Tanred konnte Fetzen aus den Gesprächen hören, aus dem Getuschel, das ihn begleitete, als er durch das Lazarett in Richtung auf das Feldlager der Kerrinsmänner ging. Blicke folgten ihm und ab und an zeigte auch jemand auf ihn.
"... in der Schlachtreihe gekämpft wie einer von uns..."
"... so ganz anders als die adeligen Herrn..."
"... so ein Prinz ist es wert, sein Leben zu wagen..."
Er war müde, seine Arme und Beine waren schwer wie Blei, ein stechender Schmerz pochte in seinem Kopf und seine Rippen taten bei manchen Bewegungen weg, aber ganz wie Vinlind ihm geraten hatte ignorierte er was er hörte und bemühte sich, trotz der Prellungen aufrecht und mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck durch das Lager zu gehen. So viel war sicher, Perren hatte jetzt seinen geheimnisvollen Kerrin für den die Männer kämpfen würden... Tanred mochte in Wahrheit in der Schlachtreihe gakämpft haben weil er schlicht und einfach nicht gut genug Reiten konnte - aber für die Kerrinsmänner war die Erklärung eine ganz andere. Vermutlich hatte Perren auch das geplant...
Er blickte sich im Lazarett um ohne irgendwo stehen zu bleiben. Ein Prinz verschafft sich einen Überblick, aber hält sich nicht mit Einzelheiten auf - ein guter Anführer vertraut seinen Untergebenen daß sie diese Details ohne Hilfe entscheiden können. So hatte Perren ihm das erklärt. Ab und an nickte er jemandem zu als würde er ihn kennen. Das Gefühl der Aufmerksamkeit - besonders von einem höher gestellten - ist wichtig für viele Menschen. Es gibt ihnen das Gefühl nicht namenlos zu sein, sondern gesehen zu werden. Vinlind hatte ihm das erklärt als sie ihn auf seine Rolle vorbereitet hatte.
Und die Kerrinsmänner die hier lagen konnten ein bisschen Aufmerksamkeit gut vertragen... Die Feldscher verrichteten ihre blutige Arbeit so gut sie konnten, schnitten Pfeilspitzen aus Wunden, versuchten klaffende Verletzungen zu verbinden, Fleisch zu nähen oder gebrochene Knochen zu richten, aber nicht jeder der ins Lazarett gebracht worden war würde es wieder verlassen, so viel konnte sogar Tanred erkennen. Blut war allgegenwärtig, es stank nach verkohltem Fleisch wo Wunden ausgebrannt wurden und gellende Schreie übertönten immer wieder das leise Wimmern derer, die zu schwach waren um laut zu werden. Zu Tanreds Überraschung gab es schmerzstillende Kräuterextrakte und andere Heilmittel, aber es war von allem zu wenig, die meisten Verletzten mußten die Torturen mit wenig mehr als einem kräftigen Schluck Branntwein überstehen...
"He, Soldat!"
Tanred ignorierte die Stimme zuerst, er war sich sicher daß sie jemand anderen meinte, aber dann kam eine junge Frau mit einem blutbespritzten Kittel und einem Tuch um die Haare geschlungen auf ihn zu.
"Soldat - dich meine ich!", wiederholte sie.
Tanred sah sie verständnislos an. Wußte sie nicht wer er war? Der Gedanke kam ganz von alleine und brachte ihn kurz zum Lachen. Er mußte komplett absurd auf die Frau wirken...
"Was ist?", fragte er schließlich.
Sie wies mit einer Hand auf seinen Kopf.
"Der Schnitt an deiner Stirn - sollte vielleicht besser sauber gemacht und verbunden werden."
Unwillkürlich faßte er an seinen Haaransatz und fühlte klebriges Blut. Seltsam, da war kein Schmerz, jedenfalls nicht wie von einem Schnitt... Nur das hartnäckiges Pochen tiefer in seinem Kopf, seit einiger Zeit schon.
Er nickte, ließ sich fast willenlos bei der Hand nehmen und zu einem Stuhl führen. Erst als die Heilerin anfing, die Wunde mit einem feuchten Tuch auszuwaschen kam plötzlich der brennende Schmerz den er vorher nicht gespürt hatte - heftig und unvermittelt. Tränen traten ihm in die Augen und unwillkürlich stöhnte er auf und versuchte den Kopf wegzureißen, aber sie hielt ihn mit geübtem Griff fest.
"Ist besser wenn ich das tief reinige...", murmelte sie beruhigend. "Wenn du da Wundbrand bekommst, dann endet das nicht gut."
Sie legte das blutige Tuch zur Seite, auf einen großen Haufen wo schon viele andere lagen, und strich dann eine aromatisch riechende, grüne Paste auf seine Stirn, die angenehm kühl war, bevor sie ihm am Ende einen Verband anlegte.
"So - das wars schon", sagte sie aufmunternd. "Eine Narbe wird wohl bleiben, aber die hast du dir ehrlich erworben - dann hast du später mal was zu erzählen. Und die Frauen werden das nicht häßlich sondern abenteuerlich finden..."
"Danke...", murmelte Tanred und erhob sich mit etwas wackeligen Knien. Einen Augenblick lang drehte sich die ganze Welt um ihn und er hatte Angst das Gleichgewicht zu verlieren. Aber nach ein, zwei Atemzügen wurde es besser. Prinz Kerrin durfte jedenfalls nicht dabei gesehen werden, wie er in einem Schwächeanfall in den Schlamm fiel...
Die einzige Frau die er möglicherweise mit einer Narbe auf der Stirn beeindrucken wollte war Sigrun. Aber sie war ja selber in der Schlacht gewesen... Der Gedanke brachte sein Herz dazu, schneller zu schlagen. Er hatte sie nicht im Lager gesehen, vermutlich war sie noch mit der Reiterei unterwegs. Aber es erschien ihm plötzlich die wichtigste Sache der Welt, sie wiederzusehen und mit ihr zu reden.