Wo vorher ein kleines Köhlerdorf mitten im Wald gewesen war, standen jetzt nur noch ausgebrannte Ruinen. Einer der Kohlemeiler war noch intakt, so als könnte er jeden Moment benutzt werden und in einem Lagerschuppen fand sich noch Brennholz aufgestapelt, aber das halbe Dutzend Hütten in denen die Köhler gewohnt hatten war komplett zerstört, ebenso wie zwei Ställe und ein anderer Schuppen in dem die Holzkohle gelagert worden war. Der Regen der letzten Jahre hatte den Rest davon zu einem ekligen, schwarzen Schlamm zusammengebacken der teilweise auch auf den Weg davor gesickert war. Ein paar Schritte abseits war noch ein überdachter Brunnen - er war aus irgend einem Grund komplett verschont geblieben.
Der Wald hatte noch kaum Gelegenheit gefunden, sein Recht zurückzufordern - hier und da hatte ein Schößling Fuß gefaßt, Gras, Weideröschen und Geißenbann verdeckten die schlimmsten Brandnarben, aber es war klar daß die Zerstörung erst vor ein paar Jahren geschehen war.
Immerhin waren keine Toten zu sehen, keine Knochen die zwischen den verbrannten Hütten lagen und keine Schädel die aus leeren Augen auf jeden Neuankömmlign starrten. Entweder waren sie alle rechtzeitig geflohen, oder jemand hatte sie beerdigt, oder, wahrscheinlicher, die Tiere des Waldes hatten die Überreste in den Jahren seither entfernt.
Vermutlich waren es marodierende Soldaten gewesen die das Dorf zerstört hatten wie so viele andere auch, wahrscheinlich Edreds Söldner die später zur Schwarzen Garde geworden waren, vielleicht auch gondrisches Fußvolk - irgendwie fiel es Tanred schwer, sich vorzustellen daß Ritter zu so einer Zerstörung fähig sein sollten.
Vor allem wirkte alles so sinnlos!
Die Köhler würden kaum etwas gehabt haben was für ein Heer wichtig gewesen wäre - außer der Holzkohle für eine Schmiede vielleicht, aber genau die hatten die Angreifer im Regen liegen lassen. Alles wirkte wie als wäre die Zerstörung Selbstzweck gewesen.
In den paar Stunden seit die Gaukler hier angekommen waren, war das Dorf jedoch zu neuem Leben erwacht und erinnerte jetzt eher an ein Heerlager. Nach und nach waren Bewaffnete eingetroffen, Armbrustschützen hauptsächlich, aber auch Andel, Vindric und drei andere Berittene die Tanred noch nicht kannte. Auch Vorräte waren mit zwei Packpferden gekommen - frisches Brot, Getreideschrot für einen nahrhaften Brei und Trockenfleisch. Jetzt standen Zelte neben den verbrannten Hütten, auf einem lodernden Feuer kochte ein Eintopf, die Pferde waren im Holzschuppen untergebracht den man umfunktioniert hatte, Armbrustschützen standen und saßen in kleinen Gruppen beieinander und redeten während Perren in einem Kreis mit seinen Anführern saß und den Plan besprach.
Die Rebellen wirkten nicht wie die Soldaten die Tanred kennengelernt hatte - ihnen fehlte das Draufgängertum und die Neigung zu großen Reden, aber auf ihre Art wirkten sie dennoch hart. Einige waren jung, grade mal in Tanreds Alter, andere mochten Familienväter sein, der Älteste hatte schütteres weißes Haar. Aber in allen Gesichtern malte sich die gleiche grimmige Entschlossenheit und in ihren Augen die gleiche Kälte.
Alle von ihnen hatten schon Tod und Zerstörung gesehen, hatten gesehen wie Familienmitglieder von der Garde abgeschlachtet worden waren, wie ihr Vieh und Saatgut geraubt worden war oder wie ihre Häuser und Ställe in Brand gesetzt worden waren.
Tanred nickte sinnend. Es war wohl alles andere als ein Zufall, daß der Sammelpunkt für die Kerrinsmänner die an dem Hinterhalt teilnehmen sollten an genau diesem Ort war...
Perrens Besprechung schien zu Ende zu sein und die Anführer erhoben sich. Andel kam direkt auf Tanred zu, mit Sigrun und einem weiteren Waffenknecht im Schlepptau. Tanred blickte ihn fragend an.
"Du kämpfst unter mir, Tanred", verkündete ihm der Ritter. "Unsere Aufgabe ist, von der rechten Seite zuzuschlagen. Wir haben ein Dutzend Armbrustschützen, wenn alles nach Plan geht dann ist das alles was wir brauchen. Wenn irgend etwas schief geht und ein Gegenangriff kommt, dann brauche ich Sigwart, Goran hier und dich als Verteidiger vor den Schützen - um Zeit zum Nachladen zu gewinnen."
Tanred nickte und musterte Goran, einen kräftigen Mann mit vernarbten Wangen, kurzen dunklen Haaren und einem buschigen Bart.
"Ich hab' als Soldat gedient", beantwortete er Tanreds unausgesprochene Frage. "Ich kann im Kampf schon meinen Mann stehen."
Sigrun warf bei diesen Worten einen schnellen Blick zur Seite, ließ die Sache aber auf sich beruhen. Andel runzelte kurz die Stirn, sprach dann aber weiter.
"Wir brechen zum Morgengrauen auf so daß wir ungesehen unsere Position einnehmen können. Also sorgt alle dafür daß eure Waffen und Ausrüstung in Ordnung ist - am besten ihr schlaft darin!"
Alle drei nickten.
"Tan, hast du ein Kettenhemd?", fragte der Ritter weiter.
Tanred schüttelte den Kopf.
"Nur einen Waffenrock...", entgegnete er. "Aber ich denke das reicht für mich." Alfrec hatte ihn nie im Kettenhemd fechten lassen und er war sich alles andere als sicher wie sehr so eine Rüstung seine Beweglichkeit einschränken würde.
Andel holte tief Luft um etwas zu sagen, seufzte dann aber nur und nickte.
"In Ordnung. Seid einfach darauf gefaßt daß es schnell ernst werden kann."