Da „Die Vampire von Rankental“ jetzt fertig ist und zumindest eine geringe Chance besteht, dass sich ein Literaturagent auf das Abenteuer einlässt, habe ich eine kürzere Novelle im selben Universum angefangen.
Der Text spielt im Jahr 1500 in Deutschland und handelt von einem asexuellen Herzogspaar und dessen gemeinsamer Herrschaft. Es ist wahrscheinlich am Ende nicht zu 100 % historisch akkurat. Das kann ich mit meinem Wissensstand so nicht leisten, aber mein Ziel ist es, dass der Text zumindest glaubhaft ist. Ich möchte an einen Punkt kommen, an dem normale Leser entweder gar keine Fehler bemerken oder darüber hinwegsehen können, weil die Qualität das ansonsten rechtfertigt.
Zuletzt die Sache mit den Namen. Die beiden heißen in meinem Kopf „Alissa“ und „Edward“. Ich lasse das erstmal so weil es das einfacher für mich ist. Die Namen werden später in passende deutsche Namen geändert.
Das Genre ist Dark-Fantasy-romantisches Drama. Es kommen Mord und Fehlgeburten vor.
*ich habe nochmal ein paar Dinge editiert die historisch oder geografisch zu komisch waren*
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Der Herbst war früh in Altenburg eingezogen.
Zu Füßen der Berges schnitten die Sensen der Feldarbeiter bereits durch die letzten Roggenähren. Rote Eschenblätter dämpften die Huftritte eines Hengstes, der sich in seiner schwarzen Zierdecke den gewundenen Feldweg zur Abtei hinaufschleppte. Sattel und Zaumzeug waren mit Gold verziert. Edward, sein Reiter, trug Brokat, und an seinem Finger glänzte einer der mächtigsten Siegelringe seiner Zeit. Ihnen folgte ein sehr bescheidener Teil der herzoglichen Dienerschaft.
Der Träger der prächtigen goldenen Krone war in Eile, aber er erinnerte sich noch an seinen letzten Besuch und daran, dass das alte Tor sich nur noch schwer öffnen ließ. Also ritt er langsamer, um der Äbtissin die Schande zu ersparen, ihn vor verschlossenen Türen warten lassen zu müssen. Sie waren keine Freunde, aber dies war der letzte Tag eines zweieinhalb Jahre andauernden Konflikts, und Edwards Herz und sein Körper sehnten sich nach Frieden.
Sein Blick verfolgte kurz die hektischen Bewegungen auf der Mauer über ihm und sank dann langsam zurück ins Tal, zu den Weihern. Auf den ersten Blick hatte sich wenig verändert, aber er kannte seine Ländereien gut. Flachs und Heu wuchsen an den sumpfigen Stellen, wo die Bauern sonst nur Schafe und Ziegen weiden ließen. Die Entwässerungsgräben funktionierten endlich. Die Wildnis war ein Stück zahmer geworden und erlaubte mehr Überschuss, um Handel damit zu treiben.
Als er den Torbogen erreicht hatte, stieg er ab und ging das letzte Stück seiner langen Reise zu Fuß. Ein Stallknecht nahm ihm die Zügel aus den Händen und führte das Tier behutsam zur Tränke. Er wollte den Gebäudekomplex, der dem Herrn gewidmet war, betreten wie ein dankbarer Gast und nicht wie ein Eroberer – auch wenn er fest mit Widerstand anderer Art rechnete. Edwards Beine waren steif, besonders das linke, das schon von Geburt an verdreht gewesen war. Er versuchte zunächst, sein Humpeln zu verbergen, entschied aber in diesem Augenblick, die Scharade ein für alle Mal aufzugeben. Er war schneller und beweglicher, wenn er sich selbst erlaubte, unregelmäßige Schritte zu tun. Es mochte ihn Eleganz kosten, aber er hatte genügend Zeit verloren. Solange er lebte, würden die Schreiber den Makel ohnehin wohlwollend übersehen.
Sein Herold trat vor, machte den Rücken gerade und holte tief Luft. Er brauchte sie.
„Seine Durchlaucht, Edward von Weitenhall, Erzherzog von Altenburg und Velbrück, Reichsvogt zu Stade, Freiherr über die sieben Flüsse, Beschützer der Handelswege und Eroberer von Kaltenmark. Edward der Löwe.“
Äbtissin Gregoria trat in ihrer goldbestickten Robe aus dem Korridor ihrer Bibliothek hinaus in den sonnengetränkten Innenhof, um ihn zu begrüßen. Sie verneigte sich vor ihm – aber nicht tief. Ein Rückenleiden, das immer nur aufflammte, wenn er anwesend war.
„Euer Besuch ehrt uns, Eure Durchlaucht. Es erscheint mir so, als wäre der Herrscher von Altenburg von den Toten auferstanden.“
Edward sah sich suchend um. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Er trug neue Narben, ja – aber er war lebendig.
„Seid ebenfalls gegrüßt, verehrte Mutter Oberin. Ich befürchte, von den Toten aufzuerstehen ist dem Sohn des Herrn vorbehalten. Was sich tatsächlich zugetragen hat, war ein Fieber während meiner letzten Militärkampagne. Der Arzt sprach nur gebrochenes Deutsch, wodurch das Gerücht entstand, ich sei verstorben.“
Die Äbtissin nickte verstehend.
„Es muss sich für Eure Leute zu Hause eigenartig angefühlt haben, die Planungen für eine Bestattung abzusagen, nur um stattdessen eine Willkommensfeier in die Wege zu leiten.“
Edwards Blick fixierte die Geistliche. In seiner Miene regte sich zum ersten Mal erkennbare Ungeduld.
„Ihr habt sicher auch Empathie für meine Lage, als ich zu meinem Schloss in Altenburg zurückkehrte, nur um zu erfahren, dass meine trauernde Gemahlin sich das Haar abgeschnitten und sich einer Abtei angeschlossen hat – Eurer Abtei. Ich bin gekommen, um sie zurückzuholen.“
„Schwester Alissa? Oh, ja. Wir sind mit ihrer Präsenz wahrlich gesegnet. Eine fleißige und kluge Frau. Und sehr bescheiden, obwohl sie weiß, dass die Gesuche um Aufnahme sich vor allem ihretwegen stark gesteigert haben.“
Der Herzog nickte zur Tür, die zu den Schlafgemächern der Nonnen führte.
„Ich muss nicht an die Vorzüge der Herzogin erinnert werden, Äbtissin. Holt sie!“
„Ich befürchte, die Ordnung der geistlichen Welt ist eine andere, Eure Durchlaucht. Ihr müsst verstehen, dass wir alle überzeugt davon waren, dass Ihr nicht zurückkehren würdet. Auch sie. Sie hat ihre Schwüre als eine der Schwestern abgelegt und ist nun ganz offiziell eine Braut Christi.“
Edward zog Luft durch die Nase ein.
„Ich bin, wie man unschwer erkennen kann, am Leben. Unsere Eheschwüre bleiben bestehen. Sie ist noch immer meine Gemahlin.“
Gregoria hob die Hände – abwehrend und entschuldigend zugleich –, als hätte die Angelegenheit nichts mit ihr oder ihren Interessen zu tun.
„Das Kirchenrecht interpretiert das anders. Verzeiht, Eure Durchlaucht.“
Der Herzog blickte auf die wartende Schar seiner Diener hinter sich.
„Schatzmeister!“, rief er.
Ein leicht gebrechlicher, älterer Mann mit einem Nerzfellkragen trat vor.
„Ich möchte dem Kloster zur Feier meiner Heimkehr eine Spende zukommen lassen“, erklärte Edward ruhig. „Ich denke, fünfhundert Gulden werden genügen, um die Restauration der Kapelle abzuschließen. Es ist meiner Frau immer ein wichtiges Anliegen gewesen, diese Abtei – so alt die Steine auch sein mögen – zu erhalten.“
Die Äbtissin ließ die Finger über die verzierten Ärmel ihrer Robe fahren und brach für einen Moment den Blickkontakt ab, um ihr Missfallen auszudrücken.
„Die nördliche Mauer ist ziemlich stark vom Regen unterspült“, murmelte sie vor sich hin.
Erneut erhob sich die ruhige, klare Stimme des Großherzogs.
„Verehrte Äbtissin Gregoria. Seid Ihr auf Euren Pilgerreisen jemals in Lindesfahne gewesen?“
Gregoria hatte die Ruinen nie besucht. Das erwähnte Kloster war berüchtigt dafür, von Wikingern geplündert und niedergebrannt worden zu sein.
„Der Anblick ist geeignet, einem Mann Demut zu verleihen“, fügte Edward an.
Die subtile Drohung kam an. Fünfhundert. Mehr konnte sie aus der Situation nicht herauspressen, ohne wahrlich mit dem Feuer zu spielen.
Sie verneigte sich erneut gerade so weit, wie sie musste, und wandte sich dann an eine der Nonnen.
„Bitte lasst Herzogin Alissa wissen, dass ihr Gemahl hier ist, um sie nach Hause zu holen.“
Die Nonne verschwand, und kurz darauf schwangen die Türen zu den Schlafräumen erneut auf. Die Herzogin rannte barfuß über die breiten Stufen, und ihm war, als kehre eine gestohlene Sonne in seine Welt zurück. Ihr hellbraunes Haar war kurz, und sie trug eine schlichte graue Robe mit Mehlflecken – aber es war sie. Nichts, was sie hergab oder anlegte, vermochte ihre Anmut zu schmälern.
„Du Schuft!“, schrie sie ihn an und ließ ihre geballte Faust mehrfach auf seine Schulter niedersausen. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Nach einem weiteren Hieb ließ sie sich nach vorne fallen. Er schloss zum ersten Mal seit siebenhundertneunzehn Tagen behutsam seine Arme um sie.
„Wie konntest du!?“, schluchzte sie.
Dann streckte sie ihre Arme durch und drückte sich vor ihm weg, um ihm in die Augen sehen zu können, und lächelte schweigend.
„Ich dachte, du lägst tot auf einem Schlachtfeld in Kaltenmark. Ich dachte, einer dieser pickligen Barbaren mit diesen fürchterlichen Armbrüsten hätte dich getötet – hätte mir meinen Edward weggenommen.“
„Vergiss das, Liebste. Handhabe es wie einen Alptraum am Morgen: Wisch es weg und vergiss es.“
Alissa griff an ihren Rücken und zog den Knoten ihrer mit Mehl und Teig bedeckten Schürze auf. Die Nonne, welche ihr die gute Nachricht überbracht hatte, trat näher, um ihr das Kleidungsstück abzunehmen. Die Herzogin war es ihr zuvor und ersparte ihr so die letzten paar Schritte – und sich selbst die Wartezeit.
Der oberste Kämmerer trat an die Seite von Edward und neigte sein Haupt. Vor seiner Brust hielt er ein verziertes Kästchen aus Silber. Alissa fixierte es mit den Augen, als ob es nach ihr gerufen hätte.
„Gnädigste?“, richtete der Erzherzog das Wort an sie. Seine Geliebte senkte ihr Haupt, und er holte aus dem Kästchen ihre Krone hervor – ein elegantes Band aus Silber und Perlen, von den Küsten, über die sie regierten. Feierlich setzte er die Krone zurück auf ihre Stirn.
Der Stallknecht führte eine dunkle Palfrey-Stute für sie heran. Alissa drückte den Kopf des Tieres an ihre Brust und streichelte über ihre Mähne. „Ich habe dich vermisst, Bellefeu“, flüsterte sie in die gespitzten Ohren. Edward bot an, ihr in den Sattel zu helfen, aber es war nicht nötig. Sie hatte bereits in ihrer normalen Kleidung kaum Schwierigkeiten, den Rücken ihres Pferdes zu erklimmen, und in der schlichten Robe erschien es mühelos.
Kurz darauf verließ das Herrscherpaar die Abtei.
Alissa ritt neben ihm her. Ihr wacher Blick war noch genauso, wie er sie in Erinnerung hatte, und man konnte bereits jetzt kaum noch erkennen, dass sie geweint hatte.
„Mir wurde von deinen Zofen berichtet, dass du dich Gregoria angeschlossen hast und den Rest deines Lebens damit verbringen wolltest, für mein Seelenheil zu beten. Glaubst du wirklich, dass es so schlecht um meine Seele steht?“
Seine Frage war ehrlich. Er hatte sie sich auf dem gesamten Weg immer wieder gestellt. Dachte sie so schlecht von ihm? Hatte sie recht?
Ihr Blick war fest auf die Straße vor ihnen gerichtet. Sie tupfte sich immer wieder sachte mit einem Taschentuch auf die Wangen, um ihre fahle Haut nicht wund zu reiben. Sie musste sich sammeln, ehe sie in Reichweite ihres Gefolges kamen.
„Der Himmel ist weit weg“, begann sie. „Ich hatte die Befürchtung, der liebe Gott würde nur sehen, wie du die niederen Männer auf dem Feld vor dir niederschlachtest –
und nicht, wie du unsere Feinde gebeten und angebettelt hast, dir diesen Krieg nicht aufzuzwingen, wie sehr du provoziert wurdest, die strategische Bedeutung deiner Entscheidung. Und wie viel unverdiente Gnade du nach deinem Sieg hast walten lassen. Und zu meiner Verteidigung: Du bist die Art Mann, die einer Geistlichen drohen würde.“
„Das Gerücht war ein interessantes Versehen. Es hat mir eine Vision davon gegeben, was passieren würde, wenn ich tatsächlich nicht mehr zurückkäme. Wo getrauert wird und wo Feiern ausbrechen. Dennoch tut es mir leid, dass ich dir all diesen Kummer bereitet habe.“
Sie hob ihr Kinn und trug den Kopf hoch erhoben.
„Ich wäre eine hervorragende Nonne geworden, aber ich bin froh, dass du lebst.“
„Liebste Gemahlin, ich möchte dir für deine Treue danken. Nicht nur das hier“ – er drehte sich noch einmal um und deutete auf die schweren Tore, die sich gerade hinter ihnen schlossen.
„Du hast meine Ländereien während meiner Abwesenheit eisern behütet. Der Handelskrieg hätte unser Ruin sein können. Aber dank dir ist es nur eine verschmerzbare Delle in unseren Einnahmen. Du wusstest, dass die Eisenminen erschöpft waren, und hast dich geweigert, sie zu kaufen, obwohl ich es dir befohlen hatte. Und du hast durch ein mir unbekanntes Wunder dafür gesorgt, dass die sumpfigen Stellen im Tal endlich trocken liegen.“
Ein geringfügiges Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht, nur eine Sekunde lang, als wollte sie nicht zugeben, dass sie sich über sein Lob freute.
„Ich bin eine gute Diplomatin, weil ich zu jeder Zeit einen brillanten Feldherrn hinter mir weiß. Außerdem ist es angenehm, dir zuzuhören, wenn du von Zollrecht sprichst. Du hast mir geholfen, meine Bildungslücken zu schließen, ohne dass ich mich je wie ein Kind fühlen musste.“
Zurück auf der festen Straße, ganz unten am Weinberg, wurde sie von ihren Zofen und ihren Leibwachen erwartet.
Sie alle hatten sich die Haare kurz geschnitten – sowohl die Knaben als auch die Mägde. Beide stiegen von ihren Pferden ab. Von hier aus würde es auf ebeneren Straßen mit ihrer Kutsche weitergehen.
„Willkommen zurück!“, rief ihre Vorkosterin und streckte zögerlich die Arme aus. Sie überlegte es sich dann aber anders und zwang ihrer Herrin die Umarmung doch nicht auf.
Alissa deutete mit einer Handbewegung auf sich selbst, dass sie es erlaubte.
„Ihr habt mir gefehlt, Eure Durchlaucht“, wimmerte die Dienerin in ihre Schulter.
„Du mir auch, Franziska. Jetzt hast du dein schönes Haar ganz umsonst weggegeben.“
„Es wächst nach“, versicherte sie und wischte sich die Freudentränen mit ihrem Handrücken weg. „Euer Zimmer zu Hause ist so, wie Ihr es verlassen habt.“
Die prächtige Staatskutsche mit ihrem Friesen-Gespann fuhr vor, und der Kutscher hielt ihr und Edward die Tür zur Passagierkabine auf.
„Du machst meine Krone und mein Schwert leichter“, gab der Großherzog liebevoll zu, nachdem sich das Gefährt in Bewegung gesetzt hatte.
Alissa studierte sein Gesicht. Ihm fehlten der Schlaf und ruhige, warme Mahlzeiten von vielen Monaten.
„Du hast wieder in den Feldküchen gegessen, anstatt Köche mitzunehmen“, beklagte die Herzogin.
Er zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster. „Die Generäle, mit denen ich arbeiten muss, sind doppelt oder dreimal so alt wie ich. Es ist schwer, ihren Respekt zu verdienen.“
Sie winkte ab. „Du hast recht. Es wäre falsch, Dinge von deinen Männern zu verlangen, die du selbst nicht leisten kannst.“
„Musstest du viele Heiratskandidaten ablehnen?“, fragte Edward sie scherzhaft und nutzte die Gelegenheit, ihr auch ihren Ehering zurückzugeben. Er steckte den Ring vorsichtig an ihren Finger und hielt ihre Hand dabei einen Augenblick länger fest als nötig.
„Theodor hat es versucht. Du hättest die Geschenke sehen sollen, die er den Fluss hochgeschifft hat.“
„Das nächste Mal, wenn ich ihn sehe, ramme ich ihm eine Pike in den Arsch!“
Sie lachte. In der Öffentlichkeit hielt sie sich eine Hand vor den Mund und dämpfte jede Gefühlsregung, um so wenig wie möglich über ihre Motive und Interessen zu verraten. Aber das hier – dieses herzliche, ehrliche Lachen – das war nur für ihn. Wertvoller als alle Juwelen, die er besaß.
Ein wenig widerwillig kehrte er zu ernsteren Themen zurück.
„Ein Mitglied meines engen Beraterstabs ist bald siebzig Jahre alt“, erklärte er mit monotoner Stimme. „Es ist nur gerecht, ihn bald in seinen verdienten Ruhestand zu entlassen. Ich möchte, dass du seinen Posten übernimmst.“
Sie holte tief Luft und nickte dann. Ihre Sätze wurden immer kürzer und höfischer, je näher sie ihrem Schloss kamen.
„Wie du es wünschst, Liebster.“
Sie überquerten eine steinerne Brücke zwischen zwei Flachs-Feldern. Ihr Blick blieb in die Ferne gerichtet, und Edward fragte sich, ob sie ihm mehr zu sagen hatte – aber ehe er sich vergewissern konnte, ergriff sie selbst das Wort.
„Darf ich für meine Dienste um eine weitere Gunst bitten?“
„Wenn es in meiner Macht steht, sollst du alles haben, was dein Herz begehrt. Immer.“
Zum ersten Mal, seit er sie befreit hatte, wirkte sie nachdenklich. Sie zog den schweren blauen Vorhang zu und sprach so leise, dass das Klappern der Räder fast genügte, um sie zu übertönen.
„Bitte teile von jetzt an öfter mein Bett. Die Kränklichkeit deines Cousins hat ihn eingeholt. Er verstarb vor ein paar Wochen. Du bist jetzt der letzte Mann in deiner Blutlinie. Wir brauchen einen Erben – einen Sohn, um den Frieden, den du erkämpft hast, zu halten.“
Er hatte das Thema gefürchtet, konnte sich ihm aber nicht länger entziehen. Ohne Söhne würde sein Reich nach ihrer beider Tod unweigerlich in fremde, vertrauensunwürdige Hände fallen.
Sein Magen verkrampfte sich unangenehm. Sein Wortschatz war schon in seiner Kindheit sorgsam von einer Auswahl Privatlehrer und Poeten gebildet worden. Aber das, was er sagen wollte, erschien ihm trotz allem so ungreifbar wie Wolken.
„Verehrte Gemahlin, ich will, dass du weißt, dass meine“ – er zögerte – „Kälte … dir gegenüber nicht dein Verschulden ist. Du weißt, ich betrachte dich mit immenser Liebe. Du bist schön, aber auf dieselbe Art und Weise, wie es ein Sonnenaufgang ist. Es ist, als würde ich vor einem opulenten Festmahl sitzen. Ich weiß über jeden Zweifel, dass das Essen exquisit ist – aber ich bin niemals hungrig. Egal, was man mir präsentiert.“
Zu seinem Erstaunen nickte sie knapp und hob erneut ihr Kinn, wie sie es immer tat, wenn sie wollte, dass er aufmerksam zuhörte.
„Wusstest du, dass ich vor unserer Hochzeit dachte, dass Frauen, Grundpfeiler der Zivilisation und Tugend, die wir sind, keine Begierde empfinden?“
Er legte den Kopf zur Seite und erinnerte sich daran, wie sein Vater ihm damals so gut er konnte erklärt hatte, was in der Hochzeitsnacht zu tun war. Kannten die Damen am Hof diese Fürsorge nicht?
„Ich leite aus dieser Frage ab, dass es nicht so ist.“
Alissa schmunzelte und schüttelte den Kopf.
„Ich lebe in einem Schloss voller Zofen, Köchinnen und Schneiderinnen, und sie alle haben ‚farbenfrohe‘ Meinungen über die Physik von jedem Mann, der das Tor passiert. Nein, es liegt nicht daran, dass ich eine Frau bin. Ich liebe dich, aber ich kenne keine Lust – weder für dich noch für irgendeinen anderen Menschen. Trotzdem: Ich würde es sehr wertschätzen, wenn wir das Physische unseren Pflichten hinzufügen könnten – auch wenn wir beide es nicht so genießen wie andere Paare.“
Er deutete mit dem Kopf eine Verneigung an. Nur ganz leicht, aber er war sich sicher, sie würde die Geste trotzdem auffangen wie ein weites Netz einen Fisch. Er hatte damals vor dem Altar genau die richtige Person vorgefunden. Die eine verwandte Seele, die seine Worte nicht nur hörte, nicht nur verstand, sondern annahm.
„Ich muss als Nächstes die nördlichen Provinzen besuchen und sicherstellen, dass alle Stadthalter verstanden haben, dass ich zurück bin. Du wirst mit mir kommen. Wenn ich mich recht erinnere, hast du dort eine Schwester. Euer Frauengeklatsch erweist sich verblüffend oft als wertvolle politische Hilfe. Auf diesem Weg können wir Diplomatie und Zweisamkeit am effektivsten miteinander vereinbaren.“
Sie grinste, fast verspielt – fast.
„Das ist weit – und mein Pferd ist schon etwas in die Jahre gekommen.“
Er lachte und lehnte sich aus dem Fenster.
„Schatzmeister, zu mir!“