Danke. Jufington
Ja, die übrigen Adligen haben Pläne und Erwartungen. 😉 Die Äbtissin hat nur eine Nebenrolle. Sie kann ja die Herzogin nicht gegen ihren Willen festhalten. Das war mehr so ein „Gib mir Geld dann mache ich es dir einfach“-Ding, kein echter Widerstand.
Ich wollte das schon ewig lange anfangen. Auf Küssen und Händchenhalten zu verzichten stellt andere Gesten der Zuneigung in den Vordergrund und ist auf eine andere Weise romantisch, die ich sehr mag. Es gibt sogar ein Happy-Ending, aber eben auf meine Art.
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Wenn Bauwerke eine Persönlichkeit haben konnten, dann war Schloss Altenburg introvertiert und zynisch. Man hatte es als zweckdienliche Burg ersonnen, um Handelswege zu schützen. Größe, Material und architektonischer Anspruch entsprachen dem hohen Wert der zahlreichen Salzmienen in diesem Gebiet.
Es hatte steile Klippen in seinem Rücken, lag aber immer noch weit genug oben auf seinem rauen, bewaldeten Berg, um Aussicht über den Tannensee zu haben. Seine äußere Mauer, so imposant sie sein mochte, war bereits dreimal überwunden worden: zweimal von menschlichen Feinden und einmal vom Funken eines Schmiedefeuers, der daraufhin den gesamten inneren Burghof verschlungen hatte. Widerstand und Wiederaufbau waren Teil des Bauplans. Die Techniken der Maurer hatten sich über Generationen verändert, und diese Unterschiede traten an der Fassade wie Narben hervor.
Die meisten Fenster waren nicht mehr als verzierte Schießscharten, und viele der Flure nicht mehr als enge Wehrgänge mit roten Teppichen. Man hatte inzwischen fast alle Innenräume mit Kalkputz ausgekleidet, um die Hallen wohnlicher zu machen und sie besser warm halten zu können. Die Ställe und einige Dienstbotenquartiere waren weiter nach außen verlegt worden, um Platz für einen Ballsaal und einen Garten zu schaffen. Aber die Pflanzen wuchsen nur mühsam. Die vielen Türme und die hohen Brüstungen warfen zu viel Schatten.
Frieden, Feste und noble Besucher widerstrebten der Natur des Bauwerks. Die Angst vor Belagerung, vor Hunger, Seuchen und Feuer würde immer Teil seiner Geschichte sein, selbst wenn die Bewohner sich nicht erinnerten.
Edwards Füße kannten den Weg in die Küche auswendig. Es war ihm immer schwergefallen, zu festen Zeiten zu essen. Am Tisch sitzen zu müssen, wenn er zu arbeiten hatte, und zu hungern, wenn er die freie Zeit auch zum Essen hätte nutzen können. Seine Ansprüche zu senken, hatte geholfen. Die Köche hielten für ihn immer Schmalzbrot oder kalte Bratenreste bereit und konzentrierten an den meisten Tagen ihre Zeit und Arbeitskraft stattdessen nur noch auf das Abendessen. Aber in drei Tagen war seine Siegesfeier, und sie alle konnten ihr Handwerk endlich auf allerhöchstem Niveau ausleben.
Als er die Tür öffnete, schwebte ein Nebel aus hellgrauen Daunenfedern durch den Raum. Zwischen den Köchen, Bäckern und Hilfskräften hockte Alissa mit hochgekrempelten Ärmeln und rupfte einen Pfau. Sie stoppte, wann immer sie eine Handvoll Federn zusammenhatte, und legte diese behutsam auf einem Leinentuch ab. Das Tier sollte sein Federkleid nach dem Kochen zurückbekommen und als Zierde für den mittleren Tisch dienen. Edward zog sich einen eigenen Hocker heran und nahm neben ihr Platz.
„Was machst du da?“, begann er.
Sie stoppte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und hielt ihm das tote Tier vor das Gesicht.
„Geflügel rupfen. Wir haben Mottenfraß an den Tischdecken, weil wir sie so lange nicht benutzt haben. Es war zum Glück noch Ersatz im Lager, aber der muss zuerst geglättet werden, daher fehlen uns etliche Paar Hände, um das Essen vorzubereiten.“
Er streckte seine Hände aus und gestikulierte ihr, den Pfau zu übergeben.
„Das ist nicht, was ich meine. Warum rupfst du mit dem Strich und nicht dagegen?“
Er nahm so viele Federn, wie zwischen drei seiner Finger passten, und riss sie mit einem Ruck gegen die Wuchsrichtung sauber heraus. Weniger blutig und mit weniger aufgerissener Haut.
„Stell dir vor, ich würde fluchen“, kommentierte Alissa und deutete dabei auf zwei Kinder, die in einer Ecke mit Rübenputzen beschäftigt waren.
Edward schmunzelte und nickte verstehend, auch wenn er überzeugt war, dass Alissa dem Wortschatz der meisten Kinder selbst an ihren schlimmsten Tagen nichts hinzuzufügen hatte.
„Hat Hartmann alles, was er für die Aalspieße braucht?“
Alissa nahm den Vogel zurück und fokussierte ihren Blick ganz auf ihre Arbeit.
„Sein Name ist Hartwig, und er wird keinen Fisch anrühren, da du ihn als Maître de Confitures eingestellt hast. Du meinst Ulrich, den Maître des Poissons. Sorg dich nicht, es wurde schon alles geliefert, was wir brauchen. Alles wird sein, wie du es geplant hast.“
Edward riss theatralisch seine Hände hoch.
„Hilfe! Franzosen in meiner Küche!“, lachte er, bevor er sich mühsam von seinem Sitz hochdrückte und sich einige lose Federn von den Ärmeln zupfte. „Lass Katarina den Rest machen.“
Sie stoppte, suchte Blickkontakt und zog ihre rechte Augenbraue leicht hoch.
„Lieber, was für ein sonderliches Wesen wäre ich denn, wenn ich den Aufgaben einer Herzogin gewachsen wäre, aber nicht denen einer Küchenhilfe?“
Er seufzte, nahm ihre Hände und zog sie auf die Beine.
„Du bist gut darin, dein Gefolge zu dirigieren, weil du sie kennst, und du kennst sie, weil du ihre Arbeit nicht scheust. Ich unterstütze das ausdrücklich. Aber deine Schneiderin ist oben. Wenn du noch Änderungen an deinem Kleid machen lassen möchtest, ist das deine letzte Gelegenheit.“
Sie zog eine Feder aus ihrer Augenbraue und riss ihre blutigen Hände zurück.
„Warum sagst du das nicht gleich!? Ich muss mich waschen!“
Er nickte. „Dein Bad ist bereit, wenn du es willst. Ich habe der Schneidermeisterin Tee und Gebäck bringen lassen, während sie wartet.“
Alissa lächelte warm und nickte anerkennend.
„Das war sehr lieb, vielen Dank.“
Kurz darauf streifte Alissa neben dem Badezuber ihre geliehene Dienstbodenkleidung ab und ließ sich in den Badezuber sinken. Das Vogelblut an ihren Armen färbte das Wasser rot, aber sie hatte gerade zu wenig Zeit, es nochmal wechseln zu lassen, und akzeptierte die Umstände, wie sie waren.
Als sie sich vorbeugte und mit einem Stück Olivenseife ihre Knie schrubbte, fühlte sie eine merkwürdige Uneinigkeit zwischen ihrem Kopf und dem Rest ihres Körpers. Wie ein Weinkorken, der zwar passte, aber nicht tief genug im Flaschenhals steckte.
Als sie aufstand, reichte ihr eine ihrer Zofen ein Handtuch und half ihr in ein schlichtes Kleid, das eng am Körper anlag und am wenigsten bei Vermessungen stören würde.
Appolonia, eine anerkannte Meisterin der Schneidergilde, wartete in einer Galerie, in der Alissa ihre Jagdtrophäen aufbewahrte. Es war der einzige Raum mit relativ großen Fenstern und einem Tisch.
Die Handwerkerin aus der Großstadt trug ein dunkelblaues, besticktes Kleid. Das Highlight des Ensembles aber waren große Knöpfe aus poliertem Schafshorn, das inoffizielle Markenzeichen ihrer Gilde. Sie verneigte sich tief.
„Seid gegrüßt, Eure Durchlaucht. Vielen Dank für das Gebäck, es war vorzüglich.“
Alissa schüttelte ihre Hand und ging zu dem Tisch, den Edward für sie unter eine der alten Schießscharten geschoben hatte. Vor ihr lagen ausgebreitete Skizzen, verschiedene Garne und Stoffmuster von kostbaren importierten Seiden.
„Es tut mir leid, dass ich Euch habe warten lassen“, richtete sie an die Schneiderin. „Ich hatte die Zeit vergessen. Ich hoffe, Eure Reise w+ar entspannt.“
„Ich habe die ganze Zeit aus dem Fenster gesehen, weil ich gehofft hatte, einen schönen Rothirsch zu sehen. Es tut gut, mal wieder draußen in der Natur zu sein.“
Alissa ließ die glänzenden Stoffe durch ihre Finger gleiten. Sie suchte nach Schwarz- und Gelbtönen, die ihrem Wappen entsprachen, konnte aber nichts finden. Sie konzentrierte sich auf die Zeichnungen und begann jene mit einzelnen Details, die ihr gefielen, nebeneinander zu legen. Für einen Augenblick verschwammen die schwarzen Linien vor ihren Augen. Sie hob den Kopf und holte ein paar Mal tief Luft.
„Eure Durchlaucht?“, erkundigte sich Appolonia vorsichtig. „Ihr dürft Kritik üben, so viel Ihr möchtet. Es ist Euer Kleid. Kein Aufwand wäre zu viel.“
Sie hob beschwichtigend die Hand, legte noch einmal die Skizzen zurecht. „Ich habe eine Idee. Es wäre abenteuerlich und die Zeit ist knapp, aber ich möchte, dass meine Garderobe spricht. Und dass sie mehr zu sagen hat, als von Reichtum zu schwärmen.“
Die Handwerkerin kam näher und betrachtete die zusammengestellte Collage. „Es tut mir leid. Ich weiß, Ihr wollt Eure Wappenfarben, aber die Seide wird schon bei den Webern gefärbt, die sie produzieren. Es ist nicht immer möglich, einen bestimmten Ton zu bekommen.“
„Was, wenn ich keine Seide will?“ Die Herzogin deutete aus dem schmalen Fenster. „Altenburg produziert neben Salz auch hochwertige Wolle. Wie wäre es, wenn wir das Budget nicht in den Orient schicken würden, sondern nutzen, was wir haben?“
Appolonia zog einen Kohlestift aus ihrer Tasche und begann, Änderungen an dem abgebildeten Kleid einzuzeichnen. „Wolle glänzt natürlich nicht, Eure Durchlaucht, aber das muss sie nicht. Wenn Ihr denselben Schmuck tragt, den Ihr auch bei Seide ausgewählt hättet, dann würde der matte Stoff einen schönen Kontrast bilden.“
Die Herzogin lächelte und wünschte sich insgeheim, dass ihr mehr Zeit zur Verfügung stünde, um das perfekte Ballkleid zu planen.
„Wolle kann sehr edel sein, wenn sie fein gewebt ist. Und Ihr hättet mehr Kontrolle über die Farbe, weil wir mit dem Färber kommunizieren können. Es ist natürlich modisch unüblich, aber wenn Ihr es tragt, könnte sich das schnell ändern.“
Alissa folgte vor ihrem geistigen Auge einem Schaffließ auf seinem Weg von den grünen Weiden bis in den Ballsaal: der Schäfer, der das Tier aufgezogen und geschoren hatte, die Wollwäscherinnen, die Kämmer und Spinnerinnen, die Weber, die Walker, die Färber und schließlich Appolonia. So viele ihrer Leute konnten an diesem Kleid teilhaben, ohne dass eine einzige Münze ihr Herzogtum verließ. Je mehr die Vorschläge der Handwerkerin dieser Idee Form gaben, desto mehr verliebte sie sich darin.
Sie griff nach dem Kohlestift, um die Ärmel zu skizzieren, die sie sich vorstellte, aber der Stift glitt aus ihrer Hand und zerbrach am Boden. Kohle auf rotem Teppich.
„Eure Durchlaucht?“, die Stimme ihrer neuen Freundin war gedämpft. Der Raum drehte sich und die Ränder ihres Sichtfeldes wurden dunkel.
„Hilfe! Bitte! Die Herzogin!“, schrie eine hysterische Frauenstimme. Und plötzlich war alles weit weg. Das Schloss, die Feier und auch das Kleid.