Beiträge von Theo-Drecht

    Also ich zähle dreiundzwanzig Jahre und verliebe mich immer noch in Mädchen. Das ist eben kontextsensibel. In der Liebe wollen viele Frauen Mädchen sein, im Beruf will jedes Mädchen Frau sein.

    Mädchen trägt die Konnotation von Zartheit von Scham von Frechheit von Bewegtheit nach außen oder nach innen. Frau ist stets neutral gesprochen. Mädchen würde ich auch verwenden, wenn der Erzähler näher an der Protagonistin steht, "junge Frau", wenn er die Distanz hält.

    Ein verheiratetes Mädchen ist eine Frau.

    Lass dich aber niemals auf irgendwelche "emotionsgeladenen" Leute ein, die dir irgendwas vor die Nase definieren wollen!

    Grüßchen ;)

    Ihr Lieben!

    pfuh – ich bin eigentlich ganz froh, nicht allein gewonnen zu haben – Da hätte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich doch nicht so doll hier aktiv bin :) Ich danke euch für Euer Gefallen!

    Ich kann mich nur dem allgemeinen Ratschluss anschließen, darüber dass ich hier einige überraschend stimmige Lesemomente genießen durfte!

    Hervorheben möchte ich die Verlorenen Seelen der Mors Navis; eine besonders stimmungsmalerische Geschichte, von deren Wellenrauschen ich mich sofort in Bann genommen fühlte – und die sicherlich mehr verdient hat, als zu wenig Punkte ;)

    …dann Dornröschen, eine witzige Geschichte!

    … und natürlich das Dîner bei Baron Colette! Nachdem ich meine Stimme beim vertikalen Lesen schon mehrmals verteilt hatte, hat Novize seinen geübten Romancier bewiesen und meine Urteilskategorien gesprengt. Liebe – Hass – Pang! Von Anbeginn bis Ende; ich hoffe, du hast viel geübt, sonst wäre ich neidisch!

    (Übrigens war ich überzeugt davon, dass das bestimmt Stadtnymphe geschrieben hat, weil es mich etwas an ihren Stil erinnert hat!).

    ;P (… Die sich dieses Mal wohl doch vornehm zurückgehalten hat.)


    Zum Schluss verkommt die Verkündung des nächsten Themas wohl zur reinen Peinlichkeit – Tariq hat hier Fantasymatriarchentum bewiesen… Sprengkräftig, zart, variantenreich…


    Danke dafür, auch für Eure Wärme, und euch allen und viel Spaß weiterhin

    wünscht euch euer (Vorbei-)Streuner

    Theo!

    Tariq

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    Liebe Tariq,

    danke für deine zahlreichen Anmerkungen! Es ist wertvoll, mitzubekommen, was spontan gefällt und was nicht. Oft verschraubt man sich doch so in den Prozess, dass man irgendwann nicht mehr weiß, was schön, was hässlich ist… 0.0

    Was, wie du richtig bemerkst, spontan ins Auge springt, ist die Uneinheitlichkeit. Ich vermute mal, das ist Kennzeichen einer noch nicht abgeschlossenen Arbeit. Ich war ja schon froh, überhaupt Fünfer-Strophen zustandegebracht zu haben.

    In der Form ist das, was du Zeilenlänge nennst, wohl die variierende Länge des Metrums. Die Verse klingen zwar alle sauber, aber du hast Recht damit, dass es noch glatter von der Hand gehen könnte! Es wäre ein fruchtbares Experiment, alle Verse auf eine Hebungsanzahl zu trimmen.

    Damit hängt dann wohl auch zusammen, die Form der fünften Zeile zu vereinheitlichen! Diese Suche nach Worten, die sich darin ausdrückt "…" ist ja tatsächlich ein Aussagefundament. Dieses wird angegriffen, wenn das Lyrische Ich vor allem die vierte Strophe so locker runterpoetisiert.

    Das Reimschema ergibt sich lediglich aus den zahlreichen Assonanzen mit "ich"; durchbrochen von gelegentlichen "-äumen" besonders im Endreim. Das wäre nun aber etwas von dem wenigen, das ich in diesem Gedicht tatsächlich für formgebend und stabil erachten würde. Sonst würde es ja gar nicht funktionieren.

    Die Zeichensetzung empfinde ich tatsächlich als Inhaltsträger und daher würde ich sie ungern einebnen. Darüber haben wir schonmal in anderem Kontext diskutiert ;) ! Aber vielleicht stört die weniger; oder die feinen Unterschiede treten stärker ins Gewicht, wenn das übrige vereinheitlicht ist.

    Was den Kleinkram angeht: Auch hier sollte ich in einer Bearbeitung darauf achten, dass vor lauter Klanglichkeit der Inhalt nicht allzusehr überspült wird. So ist "blindgefärbt" eine spontane Assonanz zu "lindern", was quasi in Abwesenheit mit "Linde", also dem Baum vor dem Fenster, assoniert.

    Einige Strophen sind auch arg zusammengesetzt und erscheinen daher nun brüchig: Die Geschichte mit dem Zeichentisch ist zum Beispiel gar nicht wahr. Also vermute ich mal… 0_0.

    "über-Wunden" ist ein Wortspiel, genauso wie "versäumt". Bei versäumt geht es um den "versäumten Augenblick", der am "Saum des Nachtkleides" hängt.

    Aber die vierte Strophe fällt ja allgemein raus. Sie wirkt mir auch ein wenig zu geziert, zu glatt. Eben genau was dir gefällt, das Elegante erlebe ich als unpassend zur Empfindung des Ich. Dass hier eine Gemengelage vorliegt zeigt nur, dass diese Empfindung in den anderen Strophen nicht klar und einheitlich genug präsentiert worden ist.

    "Verwandern" wieder Wortspiel; Ausgängig von "verwandeln": "Verwandern" wäre dann etwas wie "verlaufen", sich in den Träumen zu verlaufen und damit sich selbst verfremden. Der Wanderer ist ein Fremder. Auch wandert er weit; das kann auch Bewältigung sein.

    "Tür um Tür" hatte ich auch ursprünglich stehen, nun änderte ich es in "zu", damit es eine Alliteration mit "Zimmer-" bildet.

    Die letzten drei Verse gehören zusammen. Ich verwandere (verwandele) mich zu einem Fremden nur um zu Träumen – das ist verschwenderisch und zwar Verschwendung des täglichen Lebens. Ja, und auch das: Spannend, wie man die Brüche in der Herstellung gleich alle wieder findet. Eigentlich sollte die letzte Strophe irgendwie klarstellen, dass das Lyrische Ich sein Leben für diese nächtlichen erotischen Versöhnungsträume verbrät, indem es die Tage in Unruhe verbringt. Dann im Prozess setzte ich die letzte Strophe eben einfach wieder zusammen; aus den ersten beiden Versen, den folgenden Zwein und dem Letzten.

    Es sollte klargeworden sein, wo ich nochmal ansetzen müsste. Danke! Die poetische Kraft dafür spüre ich jetzt noch nicht, das obige war anstrengend genug.

    Aber das Bedürfnis spüre ich schon, das alles in ein gescheites Werk zu kulminieren.

    Viele Grüße! :)

    Kokoronashi


    Abends denk ich immer noch an dich

    seh in die blindgefärbten Bäume,

    doch sie lindern nicht. –

    Verwunderlich – In meinen Träumen

    bist du wieder so… veränderlich.


    Am Tag bin ich wie unter Andern

    doch es ändert nichts:

    Bist über-Wunden und doch mag ich dich

    Füll ich noch deine Stunden vor dem Zeichentisch?

    – Dennoch sagst du nichts. Wagst du’s nicht?


    Nachts taste ich nach dir und das verändert mich

    Durchhaste Tür zu Tür, ich haste hinter mich

    … Dein kleines Zimmerfenster war so winterlich…

    Es zerspringt nicht: In meinen Träumen

    wirkst du so… verbindlich


    Draußen findet Abendlicht

    ins Nachtkleid – und versäumt

    daran hängt unser Augenblick

    vertrautes Glück. Schau zurück:

    Wir kosten Augenlicht und traun uns nicht


    Und reicht das nicht?

    Denkst du, dass du mich nicht willst, das weiß ich nicht?

    Verwandere ich zu einem Fremden mich?

    Nur um zu Träumen – das scheint so… verschwenderisch.

    Drum änder ichs.

    Hey ihr Lieben! Dank und Glückwunsch an Mitstreiter und Zuleser :)

    Es Tut mir etwas Leid, dass ich mich immer nur zu den Schreibwettbewerben hier melde; aber die stellen eine ganz praktische Monatsfrist dar, zu der ich mal wieder in Eure freundliche Schenke einkehre…!

    Der Wanderer

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    Davon abgesehen war es super zu lesen, nur hatte ich bei jedem Mal immer das Gefühl, als läse ich ein Kapitel aus einer größeren Geschichte...das hat mich etwas irritiert.

    Aber geht es nicht gerade darum? Dem Leser den Eindruck von Größe zu vermitteln, von einem Epos, nur an dessen Rand etwas eigentlich Beiläufiges beleuchtet wird? Woher also die Irritation? Meiner Meinung nach muss eine Kurzgeschichte keine große Pointe abseits ihrer Stimmung haben. Man muss schließlich immer Figuren einfügen, deren lange Vorgeschichte erahnbar sein muss, wenn sie nicht leer sein sollen – Daraus ergibt sich ganz von selbst der Eindruck eines größeren Romans, da jede Szene ein Lebens-Ausschnitt sein muss. Wie siehst du das?

    Ich freue mich auf das nächste Thema, und bleibe ohnehin über spioneske Quellen vom Forengeschehen informiert ;)

    Es grüßt

    Ich!

    PS: Hätte ich meine Geschichte besser "Elfinnenglocken" genannt? :P

    Room (dt. "Raum"). (Gibts auf Netflix).

    Furchtbar rührendes und süßes Duett aus einer großartigen Brie Larson und einem verwunderlich authentischen Kinderschauspieler.

    Klappentext: Sie, ein Kidnappingopfer, hat in Gefangenschaft ein Kind (ihres Peinigers) zur Welt gebracht. Nun, da der Kleine fünf ist, plant sie, mit ihm zu fliehen.

    Der Film wirkt sehr intensiv. Die Mutter-Sohn-Beziehung geht unter die Haut, vor Allem der schauspielerischen Leistung wegen. Dabei als Irisch-Britisch-Sonstwas-Koproduktion das Gegenteil von amerikanischem Haudrauf. Beeindruckt hat mich, wie durchdacht die Weltsicht der Charaktere und die Herausforderungen sind, die sich durch die Flucht an sie stellen.

    Da der Film ein halbes Kammerspiel ist, eher was für den intimeren Abend. Tatsächlich aber so mitreißend, dass auch epischere Abende sich ganz klein machen und unter die Fingernägel kriechen ;).

    Liebe Grüße :)

    Glückwunsch, Nymphe!

    ich habe anscheinend als Einziger für Sensenbach -s Geschichte gestimmt.

    Was war los, ihr Anderen? Hat euch der zeitraffende Erzählstil (ich weiß nicht, wie man das besser nennt – äh en passant??) abgeschreckt?

    Das hat für mich eine ganz eigene Atmosphäre erzeugt; etwas biographisch-verklärtes… eben ein Anklang Literarizität.

    Danke, Ihr

    Theo :))

    Hey ihr Lieben! :)

    Mögt ihr mir gerade aushelfen! Ich würde mich ganz gerne mal mit Postapokalypse auseinandersetzen und ich habe bereits mitgekriegt, dass das für einige hier (sonderlich häufig bemerkenswerterweise im Gedichts-Thread) ein Thema ist!

    Deswegen meine Frage: Welches Buch würdet ihr empfehlen, wenn ihr pinpointen müsstet, welches ein Klassiker postapokalyptischer Literatur ist? (Niemand muss hier wirklich pinpointen, schwafelt gerne ein wenig :D). Nach "Klassiker" frage ich schon wieder, da da immer die Sehnsucht drinnesteckt, dass, was als "Klassiker" gilt, möglichst anregend ist, und einem auch irgendwie ermöglicht, auf den Kern von "Postapokalypse" als Genre oder Motiv hinabzublicken. Gerne auch Bücher, die eurer Meinung nach nach diesem Kriterium als Klassiker gelten müssten!

    Hinweis: A Lasst euch nicht von der Kategorie "Non-Fantasy" foppen – ob Fantasy oder nicht ist erstmal kein Ausschlusskriterium. B Mit "Literatur" sind natürlich alle Arten von Geschreibsel gemeint, was auf deutschsprachigen Erden kursiert.

    Ich freue mich auf/über Eure Ratschläge

    und grüße lieb!

    von Theo

    PS: Ich kenne nur einen Haufen Computerspiele… In der Zeit, in der ich noch tatsächlich las, was mir Spaß machte (bis vor ~5 Jahren), war Postapokalypse irgendwie noch nicht in, glaub ich.

    Nein, ( kalkwiese ) Kalki, dein Thema war großartig – Ich hatte großen Spaß :D Die blöde Suppe. Gerade da die Tragik draufzusetzen ;)

    Aber ich hab auch schön gehustet, als ich meinen Konkurrenten gesehen habe! Dieses Fantasiereiche fehlt mir Sprachverquirler einfach, Kiddel Fee ! (Noch dazu… Humor? Ist das das Gegenteil von sehnsüchtig?? :0 )

    Nun dürfen wir also beide nächsten Monat nicht teilnehmen :(

    Danke, Ihr Lieben! :))

    vielfältigen Syntax

    Haarscharf an "interessant" vorbei, lieber Kalki ;P

    Wg. 23, Pl. 61/62

    Reisen und einander nahekommen

    [Lesedauer: ca. 10 min.]

    ***

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    Ich musste mit dem Zug nach Heidelberg. Dort tagte ab diesen Montag ein Literaturzirkel, dem auch ich mich vor nicht allzu langer Zeit angeschlossen hatte; hauptsächlich aus Karrieregründen natürlich. Im Gepäck trug ich meine neueste Kurzgeschichte, die ich auf der Tagung entwickeln wollte. Während draußen die Landschaft vorbeizog, würde ich ihr nun den letzten Schliff verpassen, so dachte ich, als ich die langen halbbefüllten Sitzreihen des ICEs abschritt.

    Die Fahrt war beileibe nicht ausgebucht. Willkürlich wählte ich einen Doppelsitz, dessen Ausblick mir passabel schien, warf meine Reisetasche in den Fußraum und pflanzte mich an Fenster, leger das eine Bein ausgestreckt, das andere angewinkelt, wie ein zu langer Jugendlicher. In der gleichen Bewegung noch zog ich den Laptop aus meiner Lederaktentasche, die ich unter dem Ärmel getragen hatte, und klappte ihn auf meinem Schoß auf. Mein Text war noch offen und wartete auf mich.

    Beim Lesen musste ich wieder einmal grinsen über mich selbst. Wahrlich kein schlechter Stoff, das! Da würden die Prollos aus dem Zirkel Augen machen. Wenn ihre Flaschenbodenbrillen das überhaupt zuließen, hieß das. Fast wollte ich gar nichts mehr ändern. Leider hatte ich einigen meiner Korrespondenzen den unfertigen Text bereits zur Durchsicht zugeschickt. Und die lichterten eben genauso auf der Tagung herum; und gemäkelt hatten sie. Sie mäkelten immer. Ihnen den gleichen Text noch einmal vorzusetzen war denn aber doch zu unverzeihlich, als dass ich es mir zugetraut hätte.

    Wie ich also gleichgültig zwischen den Semikolons ›Diesse‹ mit ›Dassen‹ verquickte, den Blick alldieweil ins ewige Buschland der Bahndämme haftend, war mir mein Reihennachbar zuerst gar nicht aufgefallen. Ich nehme an, er wäre mir auch fortwährend nicht aufgefallen, hätte ich mich nicht mehr und mehr beobachtet gefühlt. Aber der junge Mann, der auf der anderen Seite den Gangsitz belegte, hatte seinen Blick schlecht unter Kontrolle. Immer wieder blitzte es in meinen Augenwinkeln auf wie Signalleuchten. Sobald ich ihn aber meinerseits zu ertappen drohte, huschten seine Augen fort und sein Kinn machte gar Anstalten, einen Fingerbreit von mir und dem Gang, auf dem sich gerade ohnehin niemand regte, abzurücken. Was ich aber wie wandernd auf dem Handrücken spürte, in den Momenten, in denen ich vorgab, mich auf meinen Text zu fokussieren, war leuchtendes Interesse. Und das ließ ich mir natürlich nicht zweimal bedeuten.

    Bald gab ich nur noch vor, irgendwas zu ändern, löschte es aber meist wieder mit dem selben Fingerschlag. Dieses Spiel ließ ich einzwei Minuten geschehen. Dann blickte ich selbst herüber.

    Mein junger Mann trug ein seltsam erdfarbig gesprenkeltes Hemd, das war wohl das erste, was mir auffiel. Einen Lockenschopf hatte er und hohe Wangen. Niedlich fast. Fast wie ein Mädchen. Ich sah gleich, dass er mein unverhohlenes Bemessen sehr wohl wahrnahm. Bevor die Peinlichkeit zu groß wurde, mit der er den grauen Drehriegel am Klapptisch studierte, wandte er sich endlich zu mir um. Unsere Augen trafen sich: Wasserblaue Augen, ein Jungengesicht. Das Zurückzucken gleich wieder einprogrammiert.

    Ich beschloss, ihn nicht zu lassen. »Sie interessieren sich für meine Arbeit?« sprach ich ihn an, gerade als er sich schon wieder, leicht enttäuscht, wie es so ist, wenn man glaubt, ein Kennenlernen müsse unmöglich bleiben, davonverirrte. » – Du.« korrigierte ich mit verlegenem Lächeln nach unten, als ich vollends seine schmale Statur gewahrte, die er mir nun halb zuwandte.

    »Oh, nein…« Sein Blick striff meinen Laptop, wohl um sich mit irgendeinem Kommentar darüber retten zu können, was er für meine Arbeit hielt. »Oder… doch, verzeihen Sie, ja.« Er schmunzelte verbissen. »Was…«

    »Nicht schlimm« winkte ich ab.

    »Ja…« Etwas verdattert schien er immer noch nicht zu wissen, was er sagen sollte. Die einzige Pick-up-line mit der Arbeit hatte ich ja just abgewunken. »Sie erinnern mich nur an Jemanden.« gab er endlich zu.

    Aha. Daher wehte also der Wind. Der Junge hatte mich einfach nur ausgucken wollen. Halb fühlte ich mich geschmeichelt, halb enttäuscht, dass er so gar nicht hatte wissen wollen, was ich da schreibe.

    »Aha, und an wen, wenn man mal so fragen darf?«

    Er lächelte unsicher. »Das ist etwas kompliziert… fürchte ich.«

    Ich schaute auf die Uhr. 16:45; in zwanzig Minuten Umstieg in Karlsruhe. »Ich habe Zeit« behauptete ich.

    Er seufzte. Sein Blick fiel für einige Momente hinter mich in die Landschaft. »Ich habe ja zuerst geguckt.« lächelte er endlich. »Warum sollte ich also nicht erklären können weswegen.«

    »Vielleicht fandst du mich einfach nur hübsch.« witzelte ich und strich mir affektiert meine blonden Haare zurück.

    Na also, ging doch. Der Junge gackerte sein helles Jungenlachen.

    »Sollte ich das etwa auch verneinen?« lachte er. Niedlich, meldete sich noch einmal die Stimme in meinem Kopf. »Es geht tatsächlich nicht um Sie, so leid es mir tut!« Er drehte seine Knie in den Gang hinaus und stützte sich darauf. »Der an den Sie mich erinnern… das bin nämlich ich selbst.«

    »Dich selbst?« Ich bemaß noch einmal überdeutlich seine kleine Gestalt. »Na das musst du mir jetzt erklären!« Ich klappte meinen Laptop zu, ließ ihn an die Fensterwand rutschen und überschlug die Beine in den Gang hinaus, um zuzuhören.

    »Dieser Platz ist etwas Besonderes.« begann er. »Sehen Sie? Wagen 23, Platz 61/62.« Etwas verwirrt folgte ich seinem Finger, der tatsächlich einmal auf den Deckenmonitor und einmal auf die Digitalanzeige in der Gepäckleise wies, wo sonst die Reservierungen eingeblendet wurden. Heute stand dort nur ggf. freigegeben in gelber Leuchtschrift. »Um zu verstehen warum, werden Sie es zuerst als simplen Fakt hinnehmen müssen, wenn ich sage, dass sie perfekt war. Das vorauszusetzen, sonst brauche ich gar nicht anfangen, zu erzählen.«

    »Sie perfekt? Das versteh ich nun nicht…«

    Seine Handgeste unterbrach mich. »Und dieser Platz etwas besonderes ist, weil sie hier saß.«

    »Ah – ein Mädchen.« Ich grinste. Perfekt nannte der Junge sie. Was für ein Schaumschläger. »Und du hast sie hier kennengelernt.«

    »Richtig. Wobei… wenn Sie es wirklich hören wollen…«

    »Natürlich.«

    Sein Blick flackerte noch einmal unsicher herauf, dann vertiefte er sich, mit nachdenklich gesenktem Kinn in meiner Armlehne.

    »Ich habe das noch kaum jemandem erzählt. Auch wenn es sich natürlich anbieten würde, auf den vielen Fahrten, die ich seither unternehme. Und Sie sind sicher nicht der erste, der meine Reihe teilt… Sie werden also entschuldigen, wenn es mich immer noch etwas aufwühlt. Dabei geht es eigentlich gar nicht um viel. Viel ist ja auch nicht passiert, nichts zumindest, was lohnende Erwähnung finden könnte im Bahnmagazin, oder was weiß ich, oder dass es für literarische Verarbeitung Stoff böte. …«

    *

    »Ich musste mit dem Zug nach Stuttgart. An einem Freitag wie diesem. Dort besuchte ich einen Jugendfreund, der mich nach langem – wir hatten uns etwas auseinandergelebt mit meinem Studienbeginn – einmal zu sich einlud. Selbst eine Freundin hatte er sich mittlerweile organisiert, der alte Pessimist. Ich freute mich auch sehr darauf, das junge Paar kennenzulernen.

    Gerade gestern hatte ich lang mit ihm telefoniert. Über Abende, die er mit ihr durchsessen hatte und wie er in seinem frischbegonnenen Studium einen ungeheuren Aufschwung erfuhr, wie endlich seine Weltsicht sich an diesem frischen Glück erschöpfte und ganz neue Räume erschloss; so behauptete er. Ich schrieb darüber Tagebuch; über die Dinge, die ich nicht hatte, die mir aber meiner Meinung nach zustanden, führte ich genauestens Buch. Das war meine Art Abrechnung mit der Realität. Draußen war es noch diesig; der Morgen hielt sich lang.

    Mir war sie dabei zuerst gar nicht aufgefallen; zumindest nicht beim Einstieg. Wissen Sie, ich halte für gewöhnlich bereits am Bahnsteig nach Mädchen ausschau; nur um zu gucken, versteht sich. Also wenn Sie nicht verstehen – Ich bin ein Junge, und das, finde ich, sollte als Grund genügen. Entweder war sie also tatsächlich erst zugestiegen, als ich bereits dort saß, oder die ganze Zeit bereits dagewesen, wie unsichtbar. Sie war nun auch wirklich eine Maus, ein Mauerblümchen. Es fiel ihr wohl nicht schwer, nicht aufzufallen; zumindest solchen Männern nicht, die gemeinhin wie gierig die Gänge sondieren, um sich vielleicht die lange Fahrt mit diesem und jenem Flirt zu erleichtern. Die würden sie wahrscheinlich auf den ersten Blick aussortieren. Von Weitem vielleicht gar für einen Jungen halten, wenn es für ein Kind herhält. Kurze, zur Seite geharkte braune Strähnen, über ihre niedrige Stirn; ein dichtes, spitzes Gesicht. Sie trug einen labberigen rotweißgestreiften Pullover, der bis aufs Sitzpolster hinabreichte. Sie hätte ihre Knie hineinstecken können, und ich bin mir sicher, dass sie das angelegentlich Nachtfahrten auch tat. Dahingehend ist es fast schade, dass ich sie nicht später einmal getroffen habe, auf einer langen Fahrt von Leipzig oder Hamburg. Es zieht mich immer wieder in den Norden, wissen Sie? Das Mädchen aber, vorausgesetzt, sie saß bereits im Zug, als ich einstieg, wird wohl aus Basel gekommen sein oder von noch tiefer in der Schweiz. Wer weiß, vielleicht hatte sie einen schrecklich radebrecherischen Akzent oder sprach gar kein Deutsch? Sie wäre durchaus als Norditalienerin durchgegangen.

    Das alles konnte ich beim ersten Blick hinüber natürlich gar nicht auf einmal denken. Der erste Blick ging nur zufällig über die Seite meines Blocks hinaus in das gegenüberliegende Fenster und stolperte über die gestreifte kleine Gestalt, die dort saß. Wer mag jetzt noch sagen, ob es Zufall war – oder ob sie nicht doch zuerst geschaut hatte. Heutzutage hat es ja fast Seltenheitswert, wenn jemand hellichten Tags ein Notizbuch beschreibt. Da hat wohl jeder schon einmal das Bedürfnis erlebt, zu fragen, was der Fremde dort schreibt. Und dann wiederum scheint der bloße Akt so heilig, so privat, dass man doch nicht hineinzubuttern wagt. Wie auch immer – ich hätte mich sicherlich gefreut, hätte sie gefragt.

    Aber so begann ein denkwürdiges Haschmich. Einjeder sah den Blick des Anderen in den Augenwinkeln wie ein tanzendes Glühwürmchen; überhastet den anderen abtastend, herrufend und dann im richtigen Moment verlöschend. Sie gefiel mir unmittelbar. Ihre Blicke machten mich stolz. Zu stolz, wie sich später herausstellen sollte. – –

    Wir wurden mutiger. Ich blickte länger einmal; wir beharrten auf unsere Position im Augenwinkel wie ein Rugby-Spieler beim Blocken. Irgendwann, das bleibt nicht aus, und wir wünschten es wohl – fanden sich endlich unsere Blicke. Ein kleiner Moment, bevor sie wieder zurückhuschten: blau, klarblau, sehnsuchtsblau, das waren ihre Augen. Rehartig, natürlich. So wie Sie sich vielleicht einen Pool in Italien vorstellen; mit allem Fernweh, was Sie dabei packen mag. In der Zwischenmenschlichkeit ist doch jedes Fernweh ein Heimweh. Eigentlich gibt es nur Weh, verstehen Sie?« Er lachte.

    »Wir waren eben verschämt. Sie eine Maus und ich… vielleicht… ein Kater-Baby? Wir wollten zuschnappen und flüchten, ohne den Ernst anzuerkennen, den so eine Zugreise nunmal mit sich bringt. Man sieht sich nie wieder, wissen Sie? Das alte Sprichwort: ›Man sieht sich immer zweimal im Leben‹ gilt hier nicht. Das gilt für eine Person und einen Ort. Zwei-mal, verstehen Sie? Nur im Zug hat es keinen Ort, es ist zwischen Orten. Und da sieht man sich eben nicht mehr. Wo denn auch Wir aber…«

    Meine Damen und Herren; der nächste Halt ist in wenigen Minuten Karlsruhe Hauptbahnhof. In Karlsruhe werden alle vorgesehenen Anschlusszüge erreicht; wir wünschen Ihnen noch eine angenehme Reise mit der Deutschen Bahn; Vielen Dank und auf Wiedersehen. Dear ladies and gentlemen…

    Wir hatten beide aufgehorcht. Ich war mir auch nicht recht sicher, ob ich zuletzt hatte folgen können.

    »Scheiße« seufzte er jetzt. »Sagen Sie, habe ich meine Runde schon gemacht, seit Sie zugestiegen sind?« In seinen Blick war während der Ansage auf einmal etwas Gehetztes geraten, was nach meinem Empfinden dort nicht hineingehörte.

    »Deine… aber welche Runde denn?« Eigentlich hatte ich gehofft, jetzt einige Nachfragen unterzubringen, er aber begann tierisch zu fluchen. Dabei knüllte er seine wenigen Habseligkeiten – ich glaube es waren Kopfhörer und ein seltsam unpassender kleiner Teddy-Schlüsselanhänger – hastig in seinen Rucksack. Dann wuchtete er ihn über die Schulter und drängte sich aus unserer Reihe vor mich in den Gang. Ich blieb perplex sitzen.

    »Dann nichts für Ungut, wissen Sie, Herr… äh –« rief er, sich entschuldigend zu mir umwendend, während er mit langen watschelnden Schritten bereits den Waggon durchmaß »…und danke, dass Sie mir zugehört haben!«

    Nur noch gedämpft durch die automatischen Glastür, die ihn in den Gang mit den Abteilen hinausschob, tönte schließlich ein »Gute Reise!« zu mir und den anderen Fahrgästen, die sich jetzt herdenartig im Gang aufzuschichten begannen, zurück. Eine Rentnerin in beuligem roten Rollkragen und einem wuchtigen Samsonite trat mir, der ich seinem Rücken verdattert nachblickte, derart herausfordernd ins Gesichtsfeld, dass ich schnell meinen Blick abwandte und stattdessen in die sich verdichtenden schwarzen Gleislinien vor dem Karlsruher Hauptbahnhof stierte. Für einige Momente vergaß ich ganz und gar, dass ich ja eigentlich hatte aussteigen wollen. Ich zog den Bildschirm meines Laptops eine Handbreit auf, um mich im aufleuchtenden Bildschirm zu vergewissern, dass mein Text von vorhin immer noch da war. Erst als der Gang sich wieder im Entenmarsch zu leeren begann, schob ich ebenso hastig wie der Junge, nur ein wenig würdevoller vielleicht, meinen Laptop zurück in die Aktentasche, stand auf, trat aus der Reihe und wuchtete meine Reisetasche von der Gepäckablage. Neben uns wölbten sich die Bahnsteige Karlsruhes aus dem Schotter wie graue Brandung.

    *

    Etwas unschlüssig auf dem Bahnsteig angelandet, ertappte ich mich dabei, unwillkürlich auf den Ausstieg eines rotweißgestreiften Pullovers gespinxt zu haben. Seltsam eigentlich, wie mich die Geschichte des Jungen berührt hatte, gottweißwarum. Vielleicht hatte das auch sein wehmütiger Blick gemacht. Vielleicht war er auch einfach kurzsichtig und guckte immer so verkniffen.

    So sann ich weiter über meine unverhoffte Begegnung nach, während ich leichten Schritts die Treppenstufen der rauen und dunklen Unterführung nahm, und wieder hinauf auf das Gleis nach Heidelberg, im grauen Licht. Der ICE, der zur Abfahrt bereitstand, hatte noch über zehn Minuten Soll. Er empfing mich mit leise puffenden Türen.

    Rückblickend muss ich es wohl einen glücklichen Zufall nennen, dass ich unmittelbar einstieg und mich nicht noch an der Sandwichbar aufhielt oder einen Spaziergang ans Gleisende unternahm, wie es sonst meine Art war, weil ich den Anblick der ein- und ausfahrenden Züge schätzte. Das hat etwas ungemein beruhigendes, all diesen Ankünften und Abfahrten nachzuschauen, tausenden davon, die sich in den massigen Containerschlangen zusammenfinden. Wie sie sich einreihen in die zierlichen Stützpfeiler des Bahnhofs hinter all den Signalleuchten und spindeldürren Masten. Und die Reisenden, die vor allem, die unter dem Metallüberwuchs zwischen Reisezentrum und Gleisen und Läden herumhasten, als könnte ich mit ihnen mitfahren, wenn ich sie nur anspräche.

    Wer weiß, hätte ich an dem Tag mehr geträumt, vielleicht wäre der Junge dann genauso verschwunden wie damals sein rotweißgestreiftes Mädchen. So aber, als ich durch das gegenüberliegende Fenster des ICEs ihn immer noch auf seinem mittlerweile entleerten Gleis entdeckte, etwas verloren und mit hängenden Schultern, den Rucksack an seine Wade gelehnt, eilte ich freudig überrascht zurück.

    Als er mich bemerkte lächelte er nicht, aber seine Augen wurden größer, als ich, für meinen Teil breit grinsend, auf ihn zutrat. Er selbst blieb stehen wie angewurzelt.

    »Hättst ja mal sagen können, dass du in Karlsruhe aussteigst!« grüßte ich ihn.

    Er murmelte eine Entschuldigung mit gesenktem Blick. Ich war ganz schön froh, den Bengel noch mal zu fassen zu kriegen. Auch wenn seine Wiedersehensfreude sich in Grenzen zu halten schien. Oder war er einfach nur schüchtern? »Na aber das ist doch ein toller Zufall. Jetzt kannst du mir doch noch deine Geschichte zuendeerzählen!«

    »Die Geschichte war zu Ende. Sie endet in Karlsruhe.« versetzte er.

    »Oh – Ich verstehe.« sagte ich und runzelte die Stirn. »Du hast sie nicht angesprochen, nicht wahr?«

    »Ich habe sie nicht angesprochen.« wiederholte er und schaute endlich zu mir auf, aber mit verhärmter Miene.

    Es war uns beiden klar, dass wir uns an diesen Punkt des Gesprächs die Hand geben könnten, ja, wie er so die speckigen Fliesen des Bahnsteigs betrachtete, fast schon geben sollten, uns vielleicht noch einmal zuwinken und dann jeder mit unserem Reisegepäck in einem anderen Bahnsteig, einer anderen Stadt, einem anderen Leben verschwinden. Er gab sich kühl genug. Vielleicht wartete er nur darauf… Aber irgendetwas in mir sträubte sich dagegen.

    »Hörmal, Junge; Warum kommst du nicht einfach mit nach Heidelberg?« improvisierte ich.

    »Was?«

    »Und wir schauen auf dem Weg, ob wir nicht doch noch nen schönen Schluss für dich finden. Offene Geschichten machen mich unruhig – ist so ne Berufskrankheit.« Ich zwinkerte.

    Er schaute weiterhin verdattert drein, wie mit einem stummen Kopfschütteln. »Aber… ich fahre nie weiter als nach Karlsruhe!« widersprach er müde. »Und sie auch nicht.« Abe das ergänzte er so leise, dass ich unsicher war, ob es für mich bestimmt gewesen war.

    Eigentlich bestärkte mich das nur in meinem überstürzten Vorhaben. Ich setzte bewusst meine besorgte Krankenschwester-Miene auf. Der Junge musste an die frische Luft. Seinen Nachsatz ignorierte ich geflissentlich.

    »Und? – – Nach Hause kannst du morgen immer noch. Komm – Ich sorg für dich. Nur heute.«

    Ernüchternd kommentarlos setzten wir uns in Bewegung. Fast zu einfach. Er dackelte neben mir her wie zur Schlachtbank. Rückblickend glaube ich nicht, dass er noch viel auf seine Freitage gab. Ich tätschelte noch einmal, vielleicht auch meiner eigenen Unsicherheit zugute, väterlich seine weiter recht zusammengekrümelten Schultern.

    »Sie hat dir wirklich gefallen, nicht wahr?« beschwichtigte ich.

    »Sie war perfekt.« murmelte er, ganz leise für sich, erst als wir es gerade noch so, meinenteils mit wehenden Mantelschößen, in den summenden und fiependen ICE schafften. Ich hörte die Worte trotz des Trubels. Sie machten den eigentümlichsten Eindruck auf mich. Ich würde noch viele Seitenblicke auf seine halbroten Wangen verschießen heute, wenn er sich unbeobachtet meinte. Das hatte etwas manisches. Es gefiel mir nicht. Und dann auf der anderen Seite gefiel es mir doch. Sehr.

    *

    Karlsruhe–Heidelberg besetzten wir einen Viererplatz, ein neutrales Stück Zug dieses Mal, dafür saßen wir uns endlich gegenüber. Es war nun später Nachmittag. Die Landschaft mit den langen Schatten schien in den Abend hineinfallen zu wollen. Allzuviel würden wir im historischen Heidelberg nicht mehr besichtigen können.

    Wir waren stiller geworden beim Einstieg. Er hatte jetzt schon meinen Respekt erworben für seine Offenheit. Immerhin war das abenteuerlich; mit einem Fremden mitfahren, so distinguiert man sich auch gab – Er immerhin war nun auch nicht von wehrhaftem Wuchs. Eher schmächtig, fast zart. Wenn er aber aufgeregt war, ließ er sich nichts anmerken. Seine Unruhe, die unter seiner wehmütigen Maske die ganze Zeit geschwelt hatte, hatte er augenscheinlich eingebüßt; saß in seinem Sitz wie verurteilt und für gut befunden. Ab und zu blickte er zur Seite, raus in die Büsche, die aber uninteressant waren. Sein Blick kehrte zurück.

    Ganz still zwischen uns blieb es nicht. Der Bengel hatte wohl gemerkt, dass ich wieder dem verfallen war, ihn zu mustern. Und dieses Mal blickte er zurück. Er tat das ganz absichtlich, was ich daran sah, dass er hastig, aber sehr bestimmt sein Gesicht wie gegen einen Widerstand im Scharnier mir zuwandte. Seine wasserblauen Augen hielt er in die meinen. Ich hätte die Strahlen seiner Iris zählen können. Das machte mich zugegeben etwas flipsig. Erwartungsschwanger blickten sie, empfangend; ich hatte alle Züge an mich gerissen.

    »Warum hast du sie nicht angesprochen?« fragte ich, als es mir zu viel wurde.

    Anstatt zu antworten, tastete er auf dem Tisch nach dem Fahrplan und klappte ihn auf. Sein Finger strich über die Zeilen aus Miniaturschrift. »Sehen Sie, es lohnt nicht, wir sind eh bald da. Die Fahrt ist ja wirklich ein Fliegenschiss.«

    »Und wenn schon.« widersprach ich.

    Er seufzte tief. »Also gut. Die Durchsage kam. – Ich hatte mir schon die ganze Zeit gewünscht, dass sie zufällig mit mir aussteigen würde. Allzuviel Zeit blieb ja nicht mehr. Nicht wie, wenn man einem Fremden begegnet und ahnt, dass man noch bis in die Nacht miteinander fahren wird, mehr oder eben weniger stumm. Die Dunkelheit liefert dann meist die erste Kulisse für ein paar vertrauliche Worte. Dann ist es, als ob man sich schon den ganzen Tag kennt…

    Als ich also merkte, dass sie tatsächlich Karlsruhe anvisierte, wurde ich natürlich umso aufgeregter. Ich rechnete mit einer Gelegenheit, sie anzusprechen. Tatsächlich hatte sie schon angefangen, einzupacken, bevor Karlsruhe angekündigt war. Ob sie mir damit ein frühes Zeichen setzen wollte, weiß ich nicht. Wissen Sie, es ist so schwer zu trennen zwischen Blicken und Tun, zwischen Verbindlichkeit und reinem Umstand…«

    »Man kann nicht nicht kommunizieren.« warf ich ein.

    Sein Blick warf mir einen knappen Tadel zu, dann fuhr er unbeirrt fort: »Ich war stolz, wie gesagt. Sie guckte wohl heimlich, was ich mit meinen Schuhen machte, die unterm Sitz lagen. Und sicher registrierte sie es, als die Durchsage kam; sicher registrierte sie alles. Unsere Blicke standen ja eigentlich längst wie zu einer Kugel verschmolzen zwischen uns im Gang. Sie stand auf, passierte die Kugel, ohne mich noch einmal damit zu streifen und machte sich auf. Da hab ich mich natürlich beeilt, ihr nachzukommen. Und sie wusste das.

    Übrigens hat es mich da angenehm überrascht, dass sie doch einen ganzen Kopf kleiner war als ich und auch eine halbe Brust schmaler. Zwischenzeitlich am Platz war ich nämlich zu der zweifelhaften Betrachtung gelangt, dass diese kleine Gestalt in ihrem Sitz doch eigentlich viel größer war, größer gar als ich mit einer breiten, gebärfreudigen Hüfte, einem langen athletischen Körper und einem Arzthelferinnenlächeln. Das ist so eine Marotte von mir, denke ich. Andere in der Erinnerung größer zu rechnen als sie sind oder besonders auch als ich bin. Aber dass es mir nun bei unmittelbarer Betrachtung passierte, diese Verschiebung der Einschätzung, stieß mir dann schon vor den Kopf.«

    »Na bei mir wirst du da wenig Vertun haben« zwinkerte ich.

    »Wie auch immer…«

    Seine Stimme hatten einen leidenden Einschuss bekommen.

    »Sie ist im Gang stehen geblieben. Nicht ungehörig weit zurück, nur ein paar Meter eigentlich vor dem Türraum, wo man für gewöhnlich auf den Ausstieg wartet auf dem etwas raueren Teppich; aber dennoch so, dass es irgendwie klar war, dass sie mir den Weg versperrte. Das hat etwas urfrauliches, begehrliches, wissen Sie? ›Ich lasse dich nicht durch, bevor du mich nicht mitnimmst.‹ Als fast verzweifeltes Mittel quasi. Als Eindeutikum. Sie schaute halb zurück. Jetzt blieb zumindest ihr Augenwinkel konstant bei mir. Was heißt konstant, natürlich ging es hin und her, aber – – Sie wollte es unbedingt, verstehen Sie? Und ich… stehe da und grinse in mich hinein wie so ein scheiß Yuppie. Weltmännisch fühlte ich mich; ›Ich habs nicht nötig nicht niemanden anzusprechen!‹

    Naja, jedenfalls dachte ich mir so hinter ihrem Rücken: ›Wenn sie jetzt auch noch mit nach Stuttgart aufs Gleis kommt, dann spreche ich sie an. Wo soll man denn schon groß hinfahren, wenn man aus Basel kommt und in Karlsruhe umsteigt?‹ Sie können sich denken, dass sich das als blanker Unsinn herausstellte. Wir stiegen aus, treidelten am Bahnsteig aneinander vorbei und verschwanden. Bis zur Treppe verfolgten wir einander Silhouetten. Sie sind ja auch von dort zurückgekommen, Sie erinnern sich. Das Mädchen aber… Als kurz vor der Abfahrt meines Zuges es mir plötzlich wie eine Maske zusammenbrach, ich zurückhastete zu ihrem, unseren Gleis… Das Mädchen kam natürlich nicht zurück. Wie auch? Wo auch? Sie war eine Zugbekanntschaft, zwischen den Orten. Eine Zugnymphe fast schon, hm? Nicht dem Steig zugehörig. Als ich dort ankam, sah ich mein verlorenes Spiegelbild noch in einer wegfahrenden Regio flattern – rotes Chassis, weiße Türen zogen über mich. Wie ihr Pullover.«

    *

    »Ich nannte mich stolz.« begann er später noch mal. »Aber wissen Sie, was ich eigentlich war?«

    »Ein Feigling.« versetzte ich.

    »Danke.«

    »Verzeih.« Heidelberg wurde durchgerufen. »Nein, Verzeih!« beteuerte ich. Wir stiegen aus.

    *

    Von da an ging alles wie von selbst, irgendwie. Klingt es missbräuchlich wenn ich sage, er war leicht zu handhaben? In den Gässchen Heidelbergs, zuerst noch auf der breiten offenen Straße, die uns an Ampeln und Betonbögen in die Altstadt führte, hielt er sich eng an meiner Seite, folgte den Bewegungen meines Mantels wie fließendes Wasser. Wir verlebten einen illustren Spätnachmittag dort, in Eisdielen und den kleinen, aber prunkvollen Geschäften der Hauptstraße. Er lächelte viel, lachte manchmal, selten, sein helles Jungenlachen. In einem Schaufenster fand ich eine Reihe Ferngläser. Ich überlegte, ihm aus Witz eines zu schenken, damit er quasi besser nach seiner Ische spähen konnte, ließ es aber bleiben. Zu viel des Guten.

    Der Abend hing redselig über uns, wir aber hatten bewusst ausgeblendet, was er erzählte. Nun als tatsächlich die ersten Gitter an den Geschäften fielen und die Passantengrüppchen auf der Hauptstraße zurückschwemmten aus dem Flaschenhals, dessen Korken das Schloss war, ließen wir uns hinter einigen verträumten Pärchen mit an den Neckar hinabtreiben. In einer Seitengasse begegneten wir etwas Besonderem: Ein Hochzeitspaar, das eigens angereist war nach Heidelberg, um hier, mittels eines eifrig schnalzenden Fotographen, einen staatstragenden Spaziergang durch die Altstadt zu inszenieren. Wir flüchteten eilig aus dem Sucher der Kamera; später fand ich heraus, dass viele Paare solche Fotos stellten, für ihre Kühlschränke, ihre Eltern, oder auch die Kühlschränke ihrer Eltern.

    »Was arbeiten Sie denn eigentlich nun?« fragte der Junge irgendwann im Schlendern.

    Dort lag der große Fluss. Kräuselnde Wellen, keine Lichter, nur der blaugraue Abend wie in tausend kleinen hellen Böötchen auf dem dunklen Wasser.

    »Autor« sagte ich.

    »Autor.« wiederholte er sinnig. »Und? Wollen Sie die Geschichte aufschreiben, vom Mädchen aus dem Zug, das nie wieder auftauchte?«

    Ich stutzte. Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht.

    »Für mich?« fügte er da hinzu.

    Ich blieb in Gedanken, aber ich nehme an, es war schweigende Zustimmung genug für ihn.

    Wir bogen noch vor der Alten Brücke ab. Es dunkelte schneller. Das Hotel, was ich gebucht hatte (gerne hätte ich geschrieben ›was man mir gebucht hatte‹, aber so weit ist meine Karriere noch nicht) lag direkt an der Neckarpromenade. Auf dem Weg dorthin nahm ich seine Hand. Sie war kühl, aber sie erwärmte sich schnell, lose schmiegend. Ich schaute noch ein paar Mal erwartungsvoll zu ihm rüber, aber er hielt seinen Blick krampfhaft auf den Fluss gerichtet, dessen Strom wir nun folgten. Oder auch verträumt; meine Hand hielt er fest.

    Ich hatte das nicht vorausgeplant; klar hat man seine Vorlieben; aber dass es sich einfach so fügte – dass er sich einfach so fügte… Ich hatte eine Suite mit Doppelbett, aber mit Ritze gebucht. Würden wir sie auseinanderschieben müssen? Mein Schritt beschleunigte und verlangsamte sich unwillkürlich im Takt meiner Gedanken. Er machte das alles so mit. Seltsames Kerlchen. Nett, irgendwie.

    Wir betraten das Empfangszimmer des Hauses. Die Tür war mit poliertem Messing gerahmt. Das Klingelschild ziseliert. Im Empfangszimmer herrschte die goldbraune Atmosphäre eines dezent erleuchteten Bürgersalons; grüne Samtfauteuils, von einem hohen Ledersitzer dominiert. Eine beige Stehlampe, ein Kronleuchter, keine Poster, dafür eine postmoderne Metallstatuette und schokoladenbraune Vorhänge. In der Rezeption doch noch ein winziger Kunstdruck und eine reizende junge Portierdame mit ordentlichen braunen Haaren im losen Pferdeschwanz und einem Blazer.

    Sie musste schmunzeln als sie uns sah, was ihr natürlich eigentlich nicht zustand: unsere Finger verloren sich erst hinter der Tür. Ich empfing ihre Belustigung mit Gewinnerlächeln; der Junge beschaute die Fußleisten. Sie assistierte meiner heruntergespielten Aufgekratztheit, indem sie mir den Check-In im Expressverfahren abnahm. Im Zimmer würde ich dann die Bettritze mit einem Schaumstoffkeil aufgefüllt finden. Den man, wie ich mich erinnerte, auch Liebesbrücke nannte. So viel zu ihrem wissenden Lächeln. Aber mein Ruf war mir heute egal. Heute ging es darum, den Jungen zurück auf die Erde zu befördern. Und mich, vor allem mich.

    Schnell zog ich meinen verschämten Magneten in den Fahrstuhl weiter. Es gab nur zwei Stockwerke. Der Junge war immer noch nicht rot geworden, am Neckar nicht und nicht in der stillen Metallkapsel. Beim Ausstieg im ersten Stock trug er bereits meinen Arm auf seiner Schulter, wieder väterlich. Er ließ sich leiten durch die samtenen Gänge, machte keine Anstalten. Seine Arme hingen, sein Schritt dem meinen angepasst, wenn auch zögernd, gerade so meinen Antrieb abfordernd.

    Hatte ich noch Zweifel gehabt, zerbrachen sie, als, ich ihn neben mir stehen gelassen habend, um die dunkle Haustür aufzuschließen, er, sobald sich meine eine Hand von Schlüssel oder Klinke befreite, wie durstig danach schnappte, wie das trotzige Kind. Vor uns schwang die Tür auf in ein schwarzes Zimmer. Ich nahm seine hängenden zweite Hand herauf. Er tat nix, schaute nur; seine Augen trüb, fast lila im Halbdunkel. Stumm blieb er auch. Diese seine Ergebenheit verunsicherte mich; Ich hatte noch nie einen so jungen gehabt, verdammt!

    Als ich mich testweise, wie nur in natürlicher Schwankung begriffen, etwas vorbeugte, öffneten sich mit einem Schnappatmer seine Lippen. Also doch. Ich gab ihm noch einen einzigen Zug, indem ich rückwärts ins Zimmer eintrat; dann ließ ich meine Hände seine Unterarme hinaufwandern, langsam, seine Oberarme, wo sich sein Hemd knüllte, dann seinen Rücken, wo ich umherstrich an den Grabenbrüchen seiner Schulterblätter unter dem Stoff; und ich schließlich seinen Nacken in meinen beiden Händen hielt. Alldieweil ich ihn näher zog, näher an mich und das Bett. Er machte immer noch keine Anstalten eines Lächelns, oder auch nur die Lider etwas abzusenken. Ich, bereits in Wallung, sah in diese Maske der Unbefangenheit wie in einen Zerrspiegel; Nur als ich auf der Bettkante saß und ihn endlich heranzog, war er es, der in einem plötzlichen Übertrunk an Mut, oder ich weiß nicht was, die letzten Zentimeter überbrückte und meinen Händen in seinem Nacken vorauseilte.

    *

    Heidelberg. Früher Morgen. Helle Sonne glitt über die Laken, die ich im Aufwachen bereits glattgestrichen hatte. Natürlich darauf bedacht, nicht zu viel Beben auf der Matratze auszulösen. Gleich neben mir, geradezu greifbar, schlief immer noch, ruhig, der Junge. Ich wendete mich zu ihm hin. Sein Gesicht hatte sich im Schlaf vom Kissen gelöst und sich direkt in die Matratze gebettet. Etwas unbehaglich guckte er drein, wie gestrandet, wie im Sand, der sich in die Mundwinkel schleicht und die salzigen Lider verklebt. Mit einem leichten niedlichen Stirnrunzeln hatte er sich gerade eben von einigen Sonnenflecken vorgerobbt. Er lag etwas verschraubt da, ein Bein angewinkelt, ganz wie ein antiker Juvenil in seiner Toga, in marmornem Faltenwurf verwickelt. Die Bettdecke wölbte sich noch auf über seinem Schritt.

    Ich fühlte dabei einen tiefen Frieden. Wenn der wüsste, wie schön er ist. Wenn er wüsste, wie schön er war.

    Zugegeben, die ersten Küsse waren natürlich ein Desaster gewesen. Sie waren erst im Laufe des Abends besser geworden. Einmal war er wohl mitten in der Nacht aufgewacht und in einem plötzlichen Tremor von mir abgerückt, dass es ihn beinahe von der Bettkante geschmissen hatte. Bald darauf war er aber umso heftiger zu mir Halbschlafendem zurückgekehrt. Ich hatte ihn dann empfangen; er musste wohl schlecht geträumt haben; und meine Finger etwas in den Locken seines Hinterkopfs vergraben. Dort beruhigend umhergestrichen. Er hatte sich erst über die Zeit beruhigt.

    Jetzt schlief er. Ich ermahnte mich zur Geduld. Wer weiß, wie viel Schlaf ihn das Erlebnis mit mir gekostet hatte?

    Vor dem Fenster hing ein Lindenast. Er wurde von der Sonne angestrahlt, aber ich forschte in den Blättern auch nach jenen wabernden, halbmondförmigen Glanzflecken, die darauf hingewiesen hätten, dass auch der Neckar seinen morgenen Glitzerspiegel in dessen Krone warf. Als meine Gedanken an dieser stummen Beschäftigung aufgebraucht waren, sah ich irgendwann, wie durch ein Prickeln aufgeschreckt, noch einmal nach ihm – und fiel direkt in den Blick seiner blauen, wasserblauen Augen. Heute im Morgenlicht war es die Farbe von Trinkwasser, in weiten runden Tanks, in das Schleier von Bläue hineingeworfen sind, die alles, nur keine Verunreinigung sind.

    Es wurde eher ein Starren, mit dem er mich aushielt, und ich erschrak ein wenig davor. Fast als sähe er mich gar nicht, auch wenn sein Blick sichtlich meine Gesichtsmerkmale ableuchtete. Ich ahnte nur, was in seinen Gedanken umhertoben musste.

    Als ich endlich meine Hand über die weißen Decken hob, um beschwichtigend seine Wange zu streicheln, wich er zurück. Es schien noch ganz instinktiv zu geschehen, seine Augen waren noch verwirrt dabei. Es verletzte mich trotzdem; oder gerade umso mehr. Ich spürte das Bedürfnis etwas zu tun; nur heran an ihn durfte ich offenbar noch nicht. Ich wuchtete meine Beine über die Bettkante zu meiner Seite, stand auf, ließ dabei die Bettdecke von mir gleiten. Ich war nackt. Der Junge spähte. Ich stand vor dem Bett und kleidete mich an, zuerst der Slip, dann die Stoffhose, dann das weiße Hemd. Schließlich die Wildlederschuhe.

    »Schlaf noch ein wenig. Ich hole Frühstück.« sagte ich ihm. Er bewegte sich nicht; ich ließ ihn im Zimmer zurück; folgte dem kühlen Schwall von Kaffeeduft und Croissants in die Lobby des Hotels und darüber hinaus in den Speisesaal.

    Leise, für den Fall, dass der Junge wieder eingeschlafen war (ich gönnte es ihm, derweil es ja auch viel zu früh war) drückte ich die Tür ein bei meiner Wiederkunft, deren Dichtungen ein leise klebriges Geräusch von sich gaben. Muffiger Geruch kam mir entgegen, den das gekippte Fenster noch nicht ganz hatte aus diesem Schlafzimmer verscheuchen können. Gewappnet war ich mit einem Frühstückstablett aus allem, was ich mir ausgedacht hatte, was sein mürbes Jungenherz jetzt brauchen könnte. Orangensaft, Weiße Brötchen mit Nutella, zwei Buttercroissants, zwei Scheiben Wurst. Dazu eine Schale Obstsalat und einen länglichen Teller mit Gurkenstückchen, den ich einfach komplett aus der Kühlanrichte stibitzt hatte.

    Aber der Junge lag wach; er war recht weit in der Mitte des Bettes gerutscht und empfing mich doch mit einem matten Lächeln. »Ich hab mich einen Augenblick geängstigt, Sie wären trotzdem verschwunden.« grüßte er.

    »Ich mache keine One-Night-Stands« versetzte ich. »– Zumindest nicht, wenn der Andere…« beeilte ich mich hinzuzufügen, weil seine Augen sich verdunkelten.

    Er blickte versonnen in den Stuck der Decke, der sich wie eine Fensterrose um einen Kronleuchter aus gebürstetem Stahl gruppierte. »One-Night-Stand…« ließ er das Wort im Mund kullern, während ich, das Tablett auf den Schreibtisch abgestellt, mich erneut zu ihm legte, angezogen von der plötzlichen Verletzlichkeit, mit der sein halbnackter Körper wie ein Safranschal die Matratze zierte. Bald folgte sein Finger seinem Blick in die Luft und er begann, sich unmerklich neben mir wälzend, in die Zimmerdecke zu malen. Ich war glücklich in diesem Moment.

    »Wissen Sie,« begann er irgendwann, »Es ist kein Zufall, dass Sie mich getroffen haben.«

    »Was ist das jetzt, versteckte Kamera?« witzelte ich. »Wenn du den verdeckten Ermittler geben willst, hättest du rechtzeitig einfließen lassen müssen, dass du fünfzehn bist, oder so.«

    Er lachte nur kurz. »Das meine ich nicht. Ich meine, dass Sie mich gestern auf jenem Platz auf dieser Fahrt getroffen haben, Wagen dreiundzwanzig, Platz einundsechzig / zweiundsechzig.«

    »Aha, fährst du die Strecke öfter?«

    »Na Sie sind aber begriffsstutzig. Nein, nicht öfters: jeden Freitag.«

    »Jeden Freitag? Du verarschst mich doch! Seit wann?«

    »Manchmal auch Montags. Da hab ich keine Kurse.« Er gluckste.

    »Aha – und wohin?«

    »Karlsruhe.«

    »Und?«

    »Zurück.«

    Ich blickte einige Momente konsterniert in die Decke, die mittlerweile bedeckt sein musste von seinen imaginären Linien. »Und nur auf die Chance, dass sie…«

    Er nickte neben mir.

    »Du bist doch verrückt. Da – da ist es ja geradezu … Zivilcourage dich mal raus… also ich meine…« Ich deutete mit meinem Blick an uns herab.

    »Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden.«

    Ich schwieg darauf. Wie konnte der Junge eine solche Sehnsucht entwickeln nach einer Person, die er noch nicht einmal kannte? Ich fragte mich schon, ob er heute Nacht überhaupt anwesend gewesen war. Also gedanklich, bei mir.

    Da unterbrach dankbarerweise ein neuer Gedanke die bereits einsetzende Revision meiner noch taufeuchten Erinnerungen: »Und… wirst du es weiter tun?« fragte ich.

    »Ich weiß nicht.« antwortete er. Sein Finger machte Halt auf einem unsichtbaren Punkt im Putz. Da schaute er mir plötzlich seitwärts in die Augen. »Wahrscheinlich nicht.«

    Ich muss sagen, diese Worte machten mich mit einem Mal verdammt dankbar. Fast hätte ich ihn darauf ja erneut besprungen. Aber nachdem wir einige Minuten noch gelegen hatten, rappelte er sich auf und schwang sich über seine Bettkante. Dort blieb er sitzen, mit einem Stück Toga, das er mit sich genommen hatte, um sich weiterhin zu verhüllen. Ich stand darauf selbst auf. Etwas verloren saß er da, vom Fenster und mir abgewandt im Raum mit der hohen Decke.

    Ich folgte ihm auch nicht. Ich spürte, dass diese Entscheidungen von ihm ausgehen mussten. Noch immer fühlte ich die Wärme seiner kleinen Brust auf der Meinen, das Suchen seiner Lippen, seine zugedrückten Augen, in den Momenten, wo ich meine geöffnet hatte, um mich darüber zu versichern, dass er sich nicht für mich prostituierte. Es zog mich noch sehr zu ihm.

    Mein Herz klopfte, als die Decke langsam von seinen Schultern rutsche und er aufstand, nicht ins Badezimmer zu gehen, sondern zu mir.

    »Danke; wissen Sie, was ich mir gedacht habe…« Er fasste meine beiden Hände und indem er mit dem Daumen über meine Furchen strich stellt er fest: »Sie sind ich.«

    »Und du–» fragte ich und seine kleinen blauen Augen sahen zu mir hoch – »bist sie«?

    Da schubste er mich mit einer urplötzlichen Gewalt auf die Matratze zurück, dass meine Arme wie Ausleger zurückschwangen und folgte im Sprung. Schon war er auf mir, ein Leopardenbaby. Und er saugte für ein paar zaubrische, so fordernde Momente an meinen Lippen.

    Und taumelte zurück, zuerst über seine bloßen Knie, dann, als ginge von mir eine unmittelbare Gefahr aus, und fiel rücklings halb vom Bett. Ich erhob meinen Nacken, um besser zu sehen, blieb aber sonst unverständig liegen.

    Er stieg in seine Hose mit Tränen in den Augen. Warf sich sein Hemd um, das er vom Schreibtischstuhl pflückte, wo es gestern hängengeblieben war. Nun musste der Vulkan wohl ausgebrochen sein. Als Mann kenne ich das Gefühl, wenn sich wochenlang die Lava aufstaut. Mit einem mühsam bezwungenen Schluchzer eilte er, es knöpfend, in den Zimmerflur, am Bad vorbei. Ich hörte die Tür schlagen. Einen Moment den Zugwind, der mir den Frühstücksgeruch des unberührten Tabletts auf dem Gründerzeitschreibtisch um die Nase wehte; Über dem Singen von Tassen aus dem Untergeschoss stand in diesem Zimmer Gurke und Croissant. Dann nichts mehr.

    *

    Ich krabbelte selbst aus dem Bett und trat ans Fenster. Vom Gästehaus gegenüber hätte man jetzt einen Panoramablick auf das Delta meiner nackte Brust verköstigen können. Draußen, an der Straße, hinter der der Neckar das Morgenlicht zerfaserte, flog der Junge auf seinen ungelenken langen Beinen hin; immer noch die Hand an seinem obersten Knopf. Mit einem – ich muss zugeben sehr enttäuschten – Schmunzler erinnerte ich mich daran, dass er ja sonst gar nichts dabei gehabt hatte. Er hatte ja nicht damit rechnen können aus seiner wöchentlichen Routinestrecke so weit entführt zu werden, in etwas völlig Neues und etwas, was zumindest ich als sehr aufregend und sehr belohnend empfunden habe.

    Ich sah ihn noch auf die Alte Brücke einbiegen. In der Mitte der Brücke stützte er sich wie haltsuchend auf der Sandsteinbrüstung auf und wandte sich der Fließrichtung zu, wo es in die Ebene geht. Was er dort an verheißungsvoller Gräue vermutete, kann ich nicht sagen. Seinen Gesichtsausdruck sah ich aus dieser Ferne nicht mehr. Hoffentlich hat er ein Hölderlin-Reclam dabei, dachte ich. Das beruhigt.

    **

    Warum hast du das blöde Mädchen nur nicht angesprochen? Ich nehme an, wenn du es getan hättest, wären wir uns nicht begegnet. Du bist nicht noch einmal zurückgekommen, ich habe an der Rezeption gefragt. Am Morgen war ich ehrlichgesagt zu übertölpelt, dir direkt nachzulaufen; hatte mich mit dem absurden Gedanken getragen, du kämst natürlich gleich wieder, in ein paar Minuten, sobald du dich beruhigt hättest.

    Zwischenzeitlich habe ich mir Vorwürfe gemacht. So gut könne dir die Nacht ja nicht gefallen haben und dergleichen. …Aber, weißt du, ich fühle anders.

    Dass du mich hilflos zurückgelassen hättest, musst du dich nicht sorgen. Ich denke, du hast mich immerhin kennengelernt als jemanden, der nicht lange zaudert, wenn ihm etwas gefällt. Du dagegen träumst und verträumst dich, und wenn du nicht aufpasst, Junge, bringst du dein Leben zu auf leeren Gleisen. Am Nachmittag habe ich unsere Referentin getroffen, also von unserem Zirkel, die unsere Tagung organisiert und in allen Personalfragen beisammenhält. L., ein hübsches junges Ding, sehr eloquent; sie gefiel mir. Tiefe Augen, blonde Haare. Ich werde sie auf einen Wein einladen und dass sie akzeptiert wird nicht selbstverständlich sein. Nicht wie du, den ich einfach so mitziehen durfte wie eine weiche Handtasche. Danke, übrigens, Kleiner, dass du mir dieses Geschenk gemacht hast. Jedenfalls sollst du also nicht glauben, dass meine Tage in Heidelberg ohne dich einsam zuende gehen müssen; und wenn es auch nur ein guter Händedruck am Abreisebahnhof ist…

    Ich habe mich übrigens gründlich geduscht und trotzdem Sorge, dass sie dich auf mir riechen könnte. Sie soll mich nicht für einen Päderasten halten. Sollst du übrigens auch nicht, denn so ist es nicht, glaub mir das. Du bist ein wertvolles Stück, das es eigentlich auch nicht verdient, hier neidisch gemacht zu werden auf irgendwelche blonden L.s.

    Diese Geschichte habe ich ja nun für dich, eigentlich für dich geschrieben. Ich hoffe, sie ist so geworden, wie du sie dir gewünscht hast. Zugestanden, ich zaudere noch damit, ob ich sie der Tagung beisteuern soll. Vielleicht beruhigt es dich ja, dass der Text, dieses mittelmäßige Kammerstück, den ich eigentlich mitbrachte, und in dem ich so überstolz im Zug umhermarinierte (irgendwas postmodernes über Katzen und Gießkannen übrigens) jetzt zerknüllt im Papierkorb dieses Hotelzimmers liegt. Aber ob dieser hier seine Stelle einzunehmen sich eignet? Es ist dann doch nicht, was meine Korrespondenzen erwarten – oder von mir gewohnt sind.

    Vielleicht werde ich tatsächlich jene L. fragen. Vielleicht auch ein Weg, ihr näher zu kommen?

    Vielleicht ein Weg, sich also die Strecke nach Heidelberg öfter vorzunehmen. – In dem Fall und sollte es dazu kommen, versteht es sich allerdings von selbst, dass ich diese Strecke, in diesem ICE, nicht mehr werde fahren können, ohne mich, gar nicht mehr ganz wie zufällig in Wagen 23, auf Platz 61/62 wiederzufinden. Nur in der dummen Hoffnung, dich noch einmal dort wiederfinden zu können.

    Dann sitze ich wohl träumend da, halte Ausschau nach deinem gemusterten Hemd sowie natürlich auch nach einem rotweißen Pullover einer kleineren Gestalt. Du warst eben perfekt. Vielleicht wart ihr beide das.

    ***

    Hey, liebe Tariq !

    Ich wollte das jetzt nicht ganz unbeachtet stehen lassen! Du hast dir viel Mühe gemacht und ich danke dir dafür! Die Masse an Zitaten beweist, dass du es ehrlich meinst :)

    Ich hatte nun Klausurenphase und da du mir außerdem doch ein wenig zu nahe getreten schienst, hab ich mich erstmal noch nicht getraut zu antworten. :saint:

    Was das angeht brauchst du dir keine Sorgen zu machen; ich kenne es aus einer Tätigkeit im Sozialen, dass eine ehrliche Meinung manchmal benötigt wird, um den Betreffenden aus neurotischen Gedankenbahnen zu holen. Auch wenn das erst einmal ein Auskreiseln in die Schwärze ist. Viele suchen sich immer wieder aufs Neue Bestätigung auf das Unvereinbare.

    Was ich auch noch anmerken hatte wollen: Es schien mir, dass du hattest Stadtnymphe in Schutz nehmen wollen, und mich ein wenig zu arrogant gelesen hattest, als es gut und recht gewesen wäre. Tatsächlich kenne ich Stadtnymphe ein wenig (und umgekehrt) und die Spitzen waren alle auf Freundschaftlicher Basis. Trotzdem ritterlich von dir, da einmal beizuspringen :)

    Zwischenzeitlich erschien mir deine Kritik dann doch in die unhöflichere Schiene zu tendieren und mit einigen Zeichensetzungs- oder Grammtikfehlern, die du mir ankreidest, bin ich immer noch nicht ganz einverstanden.

    Auf der anderen Seite, war dein umformulierter Satz gegen Ende dann doch eine wirksamere Erfahrung ;)

    Außerdem finden sich in dem Fundus jetzt auch viele Zeichen, die tatsächlich Uneindeutigkeit zeitigen könnten. Wenn du mir eine "eigenwillige" Interpunktion diagnostizierst, finde ich daran erst einmal nichts verwerfliches; umso hilfreicher ist es allerdings, sie an Aufzeigen von Alternativen reflektieren zu können. Und tatsächlich ein nicht nur individuelles System zu entwickeln, sondern eines, was darüber hinaus auch funktioniert, stetig und fundiert ist.

    Beim Schreiben einer neuen Geschichte – so kam ich gedanklich wieder hierhin zurück – fällt mir denn doch auf, dass ich mir deine lange Kritik zu Herzen genommen habe und bei meinen Sätzen über die Schachtelungen, Zeichen und Bezüge reflektiere.

    Auch wenn sich die Stadtymphe (die ja nun auch nicht lang ist) schon länger abgeheftet fühlt, sind deine Worte also mit Wirkung behaftet geblieben.

    Ich hoffe, das reicht dir. Ich war überhaupt sehr übertölpelt davon, dass du so tief eingestiegen bist in die Sprachgestalt! Dort mein Monopol aufzugeben und an Kritiken wie der deinen zu hinterfragen (die einem im ersten Moment als "nörglerisch" aufstoßen) und wirklich zu hinterfragen, hat etwas sehr sympathisches; einen zunehmend sympathischeren Blick, mit dem ich deinen Beitrag betrachte ;)

    Der hat sich amüsanterweise erst jetzt beim Antworten entwickelt. Was ja durchaus kein schlechtes Zeichen ist.

    Ich grüße also, um einiges netter und dankbarer als gedacht! :D

    Theo!

    Du wirst finden, meine liebe Germanistik- Stadtnymphe , dass die Sätze aus textlinguistischer Sicht gar nicht mehr so verschachtelt sind :D Du wirst finden, dass vielmehr zwischendrin immer neue Hauptsätze beginnen, und ich glaube, dass diese vom Leser auch unbewusst so wahrgenommen werden. Verschachtelt heißt nach meinen Begriffen Nebensatzkonstrukte. Du hast natürlich darin Recht, dass man wohl annehmen darf, dass es für den Leser dennoch angenehm ist, hin und wieder einen Punkt zu lesen ;) Einfach weil der Gedanke dann beendet scheint.

    "romanisch" meine Liebe! Ein romanischer Bogen! :)

    Das frage ich mich auch. :D

    Lustig. ^^

    Eigentlich wollte ich diese Antwort ja nur nochmal schreiben, weil ich deine Meinung haben wollte zu dem Phänomen "Punkt am Ende der Wörtlichen Rede".

    Tatsächlich habe ich das… moment, nein, das kann ich so nicht stehen lassen, ich les es jetzt doch nach :D Okay, ich wär mir fast für eine Internetrecherche zu eitel gewesen, aber Wikipedia ging in Ordnung – und was das Reglement angeht, hast du – wie vermutet – natürlich Recht (ich hatte gehofft, das irgendwo auch begründet zu finden).

    Aber ich wollte ja deine Meinung einholen: Ich finde die Regel insofern undurchsichtig, da ich ja auch Ausrufezeichen und Fragezeichen als "spezialisierte Schlusszeichen" ans Ende einer Wörtlichen Rede stellen kann, ohne einen Bruch zu riskieren.

    Dass das bei Punkten ("Schlusszeichen") so sein soll, kann ich kaum nachvollziehen. Ich setze die Punkte tatsächlich ganz bewusst dort, weil ich der Wörtlichen Rede mehr Schluss und Gewicht geben will und nicht will, dass sie im Lesefluss direkt in die unruhige Inquit-Formel übergeht. Keine Punkte setze ich, wenn die Wörtliche Rede vor der Inquit-Formel Teil eines Dialogs ist, wenn die Szene ohnehin unruhig ist oder es einfach eine Nebenbemerkung ist.

    In dieser ruhigen Szene allerdings, wo die Worte wohlüberlegt und innig im gedämpften Abteil stehen… würde ich mich schwertun, dem Reglement nachzueifern.

    Was meinst du, Stadtnymphe? Vor dieser Folie?

    (Tatsächlich kannte ich die Regeln nie genau. Habe aber die Wörtliche Rede ganz bewusst immer als einen ‘Text im Text' behandelt, also unabhängigerweise.)

    Dank dir nochmal für die erneute Kritik: Die Geschichte fühlt sich sehr fertig an. Übrigens hab ich tatsächlich im ersten Satz was geändert daraufhin, ich sag dir nur nicht was ;)

    Jetzt wuenschte ich mir nur, all diese tolle Erzaehltechnik wuerden mal eine spannende Handlung unterstuetzen, oder sich um eine tolle Idee die mir ein Aha-Erlebnis schenkt kristallisieren - statt Stimmungsbilder zu bleiben.

    Haha Thorsten im eigentlichen wünsche ich mir das ja auch! :D

    Auch der Thread "Weiße Scherben" mag hier wenig befriedigen, nehme ich an, weil es ja doch nur kurze Bilder (Kurzgeschichten) sind, ohne viel Handlung und Spannung. Und weil erst eine Geschichte drinsteht ;)

    Manchmal kommt es mir so vor, und dann zweifele ich, als wäre das unvereinbar: Bilderreicher Stil und Spannende Handlung. Da hatte Stadtnymphe schon mal Recht, als sie meinte, ich käme wohl von der Lyrik. Und das stimmt – auch wenn ich natürlich zum Genuss mehr Fantasy-Prosa gelesen habe. Meiner Erfahrung nach sind Romanciers ziemlich schlechte Lyriker! Da scheint es eine Art Aufteilung zugeben.

    Tatsächlich bin ich ja auch hier, um das ein wenig zu entwickeln. Mein Ideal ist ja nun eigentlich schon der Roman, weil das auch das ist, was ich selbst gerne lese. Oft sehe ich mich aber im Entwickeln von Handlungen vor ein großes Problem gestellt: Mir fallen Stimmungen und Bilder ein, aber keine Verläufe! Keine Hintergrundstorys, keine Verwicklungen – das scheint mir eine noch ganz unheimliche Art des Denkens.

    Dieses Forum allerdings gibt diesem Denken eine Plattform, zu sprießen! Ich hatte nun lange eine (Schreib)Krise, in der ich fast gar nichts geschrieben hatte, naja… einzwei Erotikgeschichten, wenns pressierte :D Das Problem war nun lange, dass ich mir immer dachte: Es liest ja doch keiner – wen interessierts. So verkamen Geschichten oder Gedichte zum reinen Therapeutikum für mich selbst; und hier sind Handlungen natürlich völlig obsolet.

    Hier finde ich endlich ein wenig Öffnung, das fühlt sich befreiend an :)))

    Das koennte dann ziemlich genial sein.

    Danke für deinen Ansporn, Thorsten!; ich werd mich bemühen, bald auch mal ein Abenteuer zu schreiben. Momentan allerdings ist erstmal Klausurenphase!

    Liebe Grüße :)

    PS: Eigentlich hatte ich mich ja auch just deswegen in ein Fantasy-Geschichtenforum eingetragen: Weil ich doch meine alte Fantasyliebe endlich gerne wieder umsetzen würde. Aber so richtige Fantasy ist aus meinem spätpubertären Wust einfach noch nicht erwachsen :0

    Liebe Cory Thain , liebe Alle – was für eine tolle Diskussion hier erblüht ist, als ich das erdfarbene Forenfenster für ein paar Tage missachtete :D

    Zuerst abzuhandeln:

    Der Punkt ist, dass es im aegyptischen Substantivalsatz (ein Satz ohne Verben) einen Unterschied fuer sie Wortstellung macht, was Thema und was Rhema ist - der Satz wird dadurch nicht besser wenn sich der Schreiber klar macht was was ist, sondern er wird erst dadurch richtig.

    Forum.exe has stopped working. :thumbsup: Sorry Thorsten, hier musste ich herzlich lachen, plötzlich vom "Ägyptischen Substantivalsatz" zu lesen! Nein, es ist ein toller Einschub, weil er zeigt, dass die Begriffe wichtig sind, und insbesondere was selbst zum Erlernen unserer Sprache das Gefühl übernehmen kann uns zu Einsichten über unsere eigene Sprache zwingen würde, wenn wir nun ägyptisch lernen wollten!

    Mein Linguistikdozent sagt nach jedem dritten Satz: "Und das grandiose ist ja, dass Sie 90% von dem einfach können!"

    Stanzls (überholtes) Modell der Erzählperspektiven

    Nichts gegen Stanzls unüberholbares Modell der Erzählperspektiven! :pirate:

    Etwas erstaunt war ich dann ueber die Antwort - es kaeme nicht auf die Absicht des Autors an, sondern auf die Rezeption des Texts.

    Dazu fällt mir ein: Autonomieästhetik. Die Vorstellung dass die Kunstsphäre für sich und nur für sich steht und jeder kreative Beitrag selbst für den Autor unbegründet bleibt. Daher war auch Biographismus (das Analysieren des Textes hinsichtlich des Lebens des Autors) lange Zeit in der Germanistik verpönt. Dein Germanistik(freund/feind) wollte vielleicht darauf hinaus. Dann hat er deine Umfrage missachtet, weil er vielleicht, wie so einige Autoren der Moderne (Anfang 20.Jhd.) ein elitäres Verständnis von Kunst oder Autorschaft hat. Denn wenn die Kunst zur absoluten und entkörperlichten Sphäre wird, ist sie natürlich nur den ›Priestern‹ vorbehalten.

    Und noch zu dir Cory, die du das hier angestoßen hast, eigentlich als Antwort auf meinen (ich gestehe es: eigentlich überflüssigen) Exkurs: Ja! Die Wissenschaft zerstört das Gefühl. Es ist auch was dich stört: Du fühlst etwas und jemand kommt und reduziert es auf leere Begriffe. Das ist Postmoderne in Reinform… Das ist auch der Grund, warum Germanistik meine Hassliebe ist.

    Man kann sich allerdings durchaus durch Analyseübungen von Literatur (ich sitz gerade dran und untersuche Thema-Rhema in einem Kafka-Text) sich selbst ein feineres Verständnis einhandeln von den Bedeutungsnuancen, die ein Satz haben kann. Das ist wie ein Musikinstrument üben: Das Üben selbst ist auch wenig Gefühl, aber viel Technik. Das Tolle ist: Die ganzen feinen Triller, die man stundenlang in den Stinkefinger einarbeiten musste, die ganzen feinen Bedeutungsnuancen also, für die man nach so einer Analyse zumindest sensibilisierter ist, wirken dann doch wieder direkt auf das Gefühl!

    Ich glaube Teils-Teils an Autonomie des Textes, also Unabhängigkeit vom Autor. Wenn er in einer gewissen Kreativität schreibt, dann verbinden seine Metaphern Welten und stellen neue Wahrheiten auf, die er nicht einmal selbst begriffen haben muss. Viele Dinge laufen dann auch unterbewusst, sicherlich. Beim Autor wie beim Leser.

    Gewisse Schreibziele gibt es dann schon. Bei einem Abenteuerroman sind es wohl eher die großen Handlungslinien, die die Metaphern bilden; bei einer Kurzgeschichte können das auch wenige Worte sein, die, unbewusst zusammengestellt, irgendwas ins Klingen bringen; schließlich beim Gedicht alles.

    Danke für die Diskussion, ist toll wie viel Standpunkt hier über unsere Lieblingsbeschäftigung zusammenkommt. Mich als Forenneuling beglückt das ;*

    Lieber Thorsten – dein gutes Recht!

    Ja, ich wollte einfach nur von einer Zugfahrt schreiben und alles weitere ergab sich dann. Deswegen ist es ja hier wieder eine Schwarze Scherbe: Die Zugfahrt ist Kulisse, und meine verkappten Gedanken ziehen vor dem Fenster in Winter vorbei…

    Mein größter Wunsch auf Erden ist tatsächlich eine BahnCard 100 ;)

    Ich freue mich, dass du die in diesem Sammelthread überhaupt gefunden hast.

    Schönen Tag :)

    Sorry, dass ich jetzt mal absolut germanistischen Mist loswerden muss!

    Aber beim Lesen eines Textes über sogenanntes "Thema" und "Rhema", fiel mir auf, ich hätte den Eindruck, besonders viele erste Sätze (zumindest von mir) begännen mit Es.

    Die Begriffe: Thema ist eine bekannte und Rhema eine neue Information. Wenn wir zwei Sätze haben wie:

    "Papa ist ein toller Ingenieur. Er weiß alles."

    Dann ist im ersten Satz "Papa" (der optimalerweise schon vorher erwähnt wurde) Thema und "Ingenieur" Rhema, weil dem Thema nun eine neue Information (Ingenieur) zugewiesen wird. Im zweiten Satz allerdings ist "Er" Thema (könnten wir auch mit "Papa" ersetzen, denn in diesem Satz kennen wir ihn ja schon aus dem ersten) und dass er alles weiß, ist Rhema.

    Charakteristisch fürs Deutsche ist erstmal, dass das Rhema (das Neue) immer eher am Ende des Satzes steht.

    Deswegen gefiel mir auch dein erster Satz unter diesem Blick so gut, @Drachenlady2001:

    Zitat

    Wieder einmal, wie schon so oft in den vergangenden Tagen, saß Anika auf dem Balkon und ihre Gedanken reisten wie von selbst in die Vergangenheit.

    Weil das "Wieder einmal" als Einstieg eigentlich relativ bedeutungsentleert ist, und ja irgendwie auch einer allgemeinen Lesehaltung entspricht, mit der man "wieder einmal" deinen Text und den ersten Satz liest (wie vielleicht auch in den vergangenen Tagen). Und erst mit Fortschritt, gegen Ende des Satzes, erreichen wir die rhematischeren Positionen: Anika, und schließlich der Rhema-Gipfel: Die Vergangenheit. Mit der es ab dem nächsten Satz wohl als neues Thema weitergeht.

    Damit gehst du irgendwie vom Leser selbst gleichsam behutsam wie auch mit der für die Spannung nötigen Rasanz in die Geschichte hinein und das ist, was mir gefällt ^^

    Nun dachte ich mir, dass das ja eigentlich klassisch ist: "Es war einmal" – Das heißt, man geht vom Anfang, vom Nichts (Es ist ja sinnleer) als Thema aus und sagt dann als Rhema, dass überhaupt etwas war.

    Leider musste ich beim Lesen aller ersten Sätze hier feststellen, dass keineswegs "Es" auffällig oft als erster Satz vorkommt, zumindest nicht so oft, dass man eine besondere Häufung von Wendungen wie "Es war Nacht" oder "Es regnete" feststellen könnte. (Aber deswegen wie toll! diese Sammlung!)

    Vielleicht hilft dieser theoretische Einschub ja, den ersten Sätzen ein wenig tiefer nachzuspüren. Denn üblicherweise ergibt sich gerade am Textanfang das Problem, das noch kein syntaktisches "Thema" aus dem Vorsatz bekannt ist (wie obig im zweiten Beispielsatz "Er") und man einfach irgendwas Neues als Thema setzen muss.

    Das ist dann, was man wohl oft auch gerne als 'direkten Einstieg‘ liest; man bekommt ein Thema vor den Latz geknallt, wird ins "kalte" (also unerwähnte) "Wasser geworfen", was ja auch Spannung erzeugen kann. Ich fühle mich allerdings von Sätzen wie denen Drachenladys angesprochener!

    Liebe Grüße :)

    Eine Zugfahrt

    Flocke reist und denkt

    [Lesedauer: ca. 2 Minuten]

    ***

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    »Tickets bitte.« Was wollte der?

    »Was wollen Sie?«

    »Dein Ticket. Ich sags jetzt zum dritten Mal. Mach mal die Ohren auf, auch im Zug.«

    »Ach. Hm. Aber sehn Sie das denn nicht?«

    Aber der Fahrkartenkontrolleur sah wohl nichts weiter als Flocke selbst und den dunkelnden Wintertag hinter ihr, denn er sagte: »Also Madame, hast du nun ein Ticket oder nicht? Wenn ja, dann zeig mal geschwind her, sonst…«

    »Ist ja gut.« Flocke hatte tatsächlich ein Ticket. Es war ein ganz besonderes Ticket, deswegen zeigte sie es auch nicht gerne her. Ihm aber gab sie nun das Plastikkärtchen mit ihren Daten. Nicht ohne Befriedigung sah sie, wie das Gesicht des Schaffners beim Prüfen erstarrte und seine Augen groß wurden, als sie auf ihr Gesicht zurückkehrten.

    »Ich bin die Tochter des Bahndirektors.« Flocke war nämlich die Tochter des Bahndirektors.

    »Oh.« quäkte er. »Na denn mal – nichts für Ungut, ja?« Jetzt versuchte er es mit einem jovialen Nicken und einem Blick in die Augen. Und dann verschwand er hastig, ohne die Personen in den Sitzreihen vor ihr geprüft zu haben.

    Flocke vergaß ihn schnell. Sie starrte lieber hinaus. Hinter den Flocken, mit denen sie sich natürlich irgendwie verbunden fühlte, war bald nur noch schwarzes Buschwerk und nur ab und zu die gelbe, weißbezipfelte Leuchte eines Bauernhofes. Im Zug war es leicht, jeden zu vergessen, fand sie. Der Ort, an dem sie den Schaffner getroffen hatte, lag ja nun sicher auch schon wieder mehrere Kilometer zurück. Zwischen Schneehäuflein irgendein einsamer Bahnübergang, das hatte sie registriert. Es viel auch leicht, alles zu vergessen; Gedanken an zu Hause streiften sie, aber sie schüttelte sie ab, wie man Kopfhörer abschüttelt, wenn man einen Anruf bekommt, aber die Hände beschäftigt sind, zum Beispiel mit einem Buch, das nicht zuschlagen darf oder man hat sie im Kuchenteig. Dann allerdings kann man den Anruf auch nicht annehmen. Zum Glück gibt es in Zügen noch kein Mobilfunknetz, fand Flocke. Ihr Handy, ein Smartphone, denn ihr Bahndirektorpapa hatte es dicke, steckte ausgeschaltet in ihrer Umhängetasche.

    Was Mama jetzt wohl denkt, dachte sie. Sie war gegen das Smartphone gewesen. Aber so war es sicherer, hatte Papa Direktor immer gesagt, das Reisen war so sicherer. Denk nur, einer drückt ihr ein Cloroformtuch auf – dann könne sie doch weißgott auch nicht mehr anrufen, hatte ihre Mama mit trotzig funkelnden Augen gepatzt, aber Flocke hatte sie sich ducken gesehen. Der Streit war verloren. Und dann war das Smartphone mit der Post gekommen, drei Wochen nach Weihnachten, und es war bunt gewesen und hatte geblinkt, und all das Geblinke hatte ein paar Tage in Anspruch genommen. Irgendwann war es weniger geworden und nun steckte es eben in der Tasche. Neben Harry Potter und Artemis Fowl. ›Chloroform‹, das könnte so ein Wort sein, was auch Artemis in den Mund nimmt. Flocke überlegte einen Moment, ob sie wusste, was es bedeutete, entschied sich aber dagegen. Es mahnte sie nur daran, bei Fremden nicht mehr so sehr einzuatmen. Besonders bei den Indern, die mochte sie am wenigsten, die rochen wie Curry unter den Achseln. Eigentlich roch sie aber immer gern zwischen den Sitzreihen umher, besonders bei alten Leuten. Die erinnerten sie an ihre Großeltern.

    Draußen rollte ein Jägerhochstand vor einem Wald aus schwarzen Streichhölzern vorbei. Ihr Großvater hatte sie einmal mit Jagen genommen. Sie hatten bis tief in die Nacht gewartet, bis die Sterne sicher einige Meter über den Himmel gewandert waren, und bitterkalt war es gewesen, besonders da, wo unter der Hose die Socken aufhörten, und der Wind hereinzog. Dann aber war Opa plötzlich ganz angespannt gewesen und hatte sie angezischt und ihr die Hand auf den Ellbogen gelegt. Er hatte geschossen, Bumm, schrecklich laut, und dann waren sie in Euphorie die Leiter hinuntergekrabbelt und ins Gebüsch und dort hatte es gelegen. Ein Reh. Blut lag auf den trockenen Blättern. Aber auch Tau mengte sich in den Rillen. Flocke hatte gar nicht geweint. Und deswegen hatte Opa sie ›tapfer‹ genannt. Und das hatten sie beibehalten. Flocke sah auf die weißen Decken und Aberdecken hinaus. Sie vermisste ihren Opa. Für einen Moment sehr.

    Wenn Flocke einmal groß war, wollte sie einen Kerl heiraten. So wie Hermine Harry heiratet. Oder so. Der sollte ein Auto haben ohne Dach und eine Pferdekutsche, die sie nur Sonntags fuhren. Viel Geld war ihr nicht wichtig, aber sensibel sollte er sein. Am besten, er konnte auch Popmusik. Und nahm sie mit in eine große Villa mit Pool, wo sie ihr eigenes Zimmer hatte. Dann konnte sie schwimmen gehen und hinabsehen auf die Weinberge. Und die rote Sonne wie aus dem Katalog.

    Ihre Hochzeit stellte sie sich fast langweilig vor. Auch wenn Sonne durch die bunten Kirchenfenster strahlte und sie als weiße Braut auf einmal voller Farben hing. Weinen würde sie auch. Vielleicht mit einer Wunde in der Flanke, wie das Reh, gestellt durch etwas Tomatenketchup vom Büffet. Da würden die doof gucken!

    Flocke fand, dass manchmal der Himmel aussah wie ein einziger großer Eiskristall. Im Sommer wie eine Kardenblüte, im Herbst wie ein Apfel und im Frühling, da war ihr Geburtstag. Da spiegelte sich das Große im Kleinen. Die Zahl ihrer Jahre auf der Geburtstagstorte. Die Schnitte mit dem Messer in der Creme, das alles zerteile, auch die Bande zu ihren Großeltern. Dann trösteten sie nur die Mandeln, die sich im Schokofluff versteckten, wie gute Gedanken. In jeden Jahr gab es mindestens einen besonders guten Gedanken. Rein statistisch gesehen schon. An einem hübschen Märztag hatte sie mal angefangen ein Jahresbuch zu schreiben, hatte es aber bald darauf vergessen. Sie hatte eine Idee bekommen, wie man Papageien zähmen konnte und wie das im Kleinen schon wieder auf das Große verwies. Mehrere Tage war sie ganz von Sinnen gewesen darüber. Papa Direktor hatte ihr ein Papageienbuch geschenkt, und gesagt, wenn sie das durchhätte, bekäme sie einen Kakadu. Flocke aber hatte den Gedanken wie gesagt bald darauf vergessen, denn es waren so viele Seiten gewesen. Und an all den Seiten war ihr eigentlicher Gedanke abgeglitten wie die Schnecke an der Bierfalle, immer tiefer in die Ritze des Einbands hinein. Fraß für die Bücherwürmer.

    »Heidelberg Hbf« wurde angesagt. Das schreckte Flocke nun doch auf. Sie packte ihren Krams in die Umhängetasche zurück, ein Blatt Papier und einen Teddybär. Auch ihr Portemonnaie mit den blauen Rändern, und dann zog sie sich Schuhe über die gepunkteten Socken und eine Wollmütze über die blonden Strähnen. Bald war sie winterbahnhofsnachtfertig.

    Nun kam aber doch nochmal der Kontrolleur von vorhin durch den Gang, aber um einiges demütiger als vorhin. Er kniete sich sogar zu ihr nieder und fragte: Wirst du abgeholt? Soll ich dir ein Taxi rufen?

    »Ein Taxi bitte.« antwortete Flocke.

    Beim Aussteigen in die eisige Luft knisterte das leere Papier in der Umhängetasche unter ihrem Arm, als wolle es noch mehr vom Zugfahren wissen. Aber für heute musste das genügen; die Zeit des Denkens war vorbei. Jetzt musste sie schauen, dass sie sicher mit dem Taxi durch Heidelberg kam.

    Zu ihren Onkel. Der war ihre einzige Hoffnung. Hoffentlich war der da.

    ***

    [PS noch zur vorherigen Geschichte weiter oben, das hier hier anfügen muss wegen Doppelpostingregeln:

    Spoiler anzeigen

    Um das hier mal abzuschließen, dass niemand denkt, ich ließe Stadtnymphen im Stadtregen stehen –

    Das mit den Schachtelsätzen ist registriert. Zugegeben, ich befand mich gerade in Hoffmannsthal-Lektüre für die Uni und naja; daher auch die Spintisiererei mit "impressionistisch" im Threadtitel. Ich glaube, mir fällt zusehends auf, dass sich bestenfalls alle Geschichten aus Gedanken und Gefühlen des Innenlebens speisen sollten :huh:

    Eigentlich wollte ich aber nur anbringen dass:

    [Zitat von Stadtnymphe: "Und dass da jetzt am Ende eine "schöne Frau" vorkommt, schön und gut, aber das wirft ja mehr Fragen auf als es klärt. Z.B. was die gute Prinzessin jetzt vorhat." ]

    Eine schöne Prinzessin am Ende überhaupt nichts vorhaben muss :D Die ist ist Ende und Anfang und überhaupt die ganze Metaphysik. Vielleicht löst sich ja der Protagonist selbst ohnehin ganz als irreal in ihren kristallblauen Augen auf…

    Sou. Liebe Freunde Stadtnymphe , McFee und Thorsten – Tut mir Leid, dass ich Euch hingehalten habe mit meiner Antwort! Aber wie ihr oben nachlesen könnt, habe ich die Geschichte, auch auf Basis Eurer Anmerkungen, noch einmal grunderneuert, Satz für Satz, und das brauchte seine liebe Woche. Ich habs jetzt auch nicht noch einmal korrekturgelesen eben (Ich nehme an, ich begehe damit den selben Fehler wie beim ersten Mal)… Ich habe jetzt genug Zeit im Angesichts der Stadtnymphe – der fiktionalen ;) – verbracht.

    Dafür danke ich euch erst einmal für Eure Hinweise! Und jetzt ins Einzelne:

    Für dich Stadtnymphe:

    Spoiler anzeigen

    Was für ein Zufall, gell? Nur recht, dass du den ersten Kommentar schreibst – wie hätte das denn sonst ausgesehen… ;)

    Tja, das Gedicht ist genuin von irgendwann 2014/15 – – Ich fand es krass, hier eine "Stadtnymphe" zu finden. Kennst du das Gefühl, manchmal würden dir Personen aus deinem Unterbewusstsein in die Welt entspringen? Grund genug, den alten Gedanken noch einmal hervorzukramen. :)

    Du wirst finden, dass ich sowohl die unsäglichen Hypotaxen wie auch die Verwirrungen über den Sprecher etwas bereinigt habe – Ich hoffe nur, die Anführungszeichen machens jetzt verständlicher. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, wie man hier Texte formatieren kann abgesehen von Zeilensprüngen :S Ich hätte gerne mal Tabs in die Dialoge eingefügt…

    Für dich, McFee:

    Spoiler anzeigen

    Es ist sehr nett von dir, mir Poesie zuzusprechen! :) Tut mir Leid, wenn die Sätze, in denen du Fehler gefunden hast, nun ganz fortgeknüllt sind und sich in anderem Kleid wieder neu herausgewustet haben.

    Spannend finde ich, dass du am Gedicht arbeiten willst – viele haben einen hemmenden Schreck davor, weil sie es für unmittelbares Gefühl halten, was sie nicht antasten wollen – finde ich gut! Ich schäme mich ja jedes Mal, wenn ich das Wort "Gedicht" für "den Vierzeiler da" in den Mund nehme, aber gut.

    Es ist ein bisschen schwer für mich, da diese Verse Jugendverse sind und eigentlich damit schon zu sakral, um noch bemodelt zu werden.

    Zur Erklärung des ersten Verses: Du hast Recht, dass er so recht unverständlich ist. Hauptsächlich steht das "er" da wohl, um die folgenden Verse anaphorisch zu ergänzen. Wenn du es semantisch abspaltest, bekommst du "nur einen Abend / sie seine Stadtnymphe" und das "seine" braucht das "er". Er und Sie sind so enger verschränkt, da das "nur einen Abend" zu ihnen beiden gehört.

    Ansonsten bleibt im ersten Vers eben der Sinngehalt einer männlichen Person "nur" an einem Abend – das ist zwar keine Handlung, doch aber irgendwie eine Feststellung finde ich, mag sie auch ins Paradoxe tendieren.

    Zur Groß- und Kleinschreibung: Das ist nun wirklich Gefühlssache gewesen. Ich weiß auch nicht, wie es damals in meinem Notizbuch stand. Ich wollte Ihn und Sie nicht überfrachten, vor allem die Versanfänge nicht, auch rein optisch. Trotzdem gefällt es mir, wie "Abend", "Stadtnymphe" und "Fahrbahn" wie eine hecklastige Mauer übereinanderliegen und den eigentlichen Sinngehalt des Gedichts bilden. "Er und Sie" sind dann eher reine Tändeleien, Liebeständeleien, wie sie überall und irgendwo beteiligt sind, und die ich nicht unbedingt als wichtig hervorheben wollte. Entgegen der Erfahrung des Subjekts, des "Er", des "Freundes" in der Geschichte, für den die Beziehungsebene natürlich große Relevanz hat. Auf diese Art aber, unter Kleinhalten der Beziehungsebene, bekommt es die poetische Verklärung, die Distanz der Anschauung, die ich favorisiere.

    Da ich jetzt nun wirklich viel Zeit mit der Scherbe da verbracht habe, bin ich natürlich dankbar, wenn du dir die Zeit nimmst immer noch Fehler aufzufinden. Auch von Schreibweisen kann man immerhin in tiefe semantische Diskussionen rutschen, so wie hier bei dem Gedicht :D Ob du allerdings noch semantische Fehler findest? Stellen, die irgendwie belanglos, überfrachtet, sinnlos erscheinen?

    Und für dich, Thorsten:

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    Das ist sehr richtig! Für mich hieß das jetzt, dass dort, wo es dir aufgestoßen ist, die Vermischung der Stilebenen zu extrem geworden ist. Ich hoffe, das habe ich in der Überarbeitung besser hingekriegt.

    Ich finds lustig, dass du das anmerkst und dann auch wertvoll, wo es für dich hapert.

    Denn tatsächlich habe ich beim Schreiben über diese Frage nachgedacht und beschlossen, dass ich die Ästhetik gar nicht schlecht finde, wo "konzeptionelle Mündlichkeit" mit poetischer Schriftsprache kontrastiert. Bzw. dass ich das vermischen wollte und irgendwie eine seltsam Semi-Fiktional-Faktuale Ästhetik aufkommen sollte, in der der poetische Eindruck tief ist und dennoch die faktuale Schärfe in der Rede des Freundes direkt an der Oberfläche brodelt. So, wie sich die Binnenfiktion über die Stadtnymphe ja auch mit der Rahmenerzählung vermischt, durch die (dezenten??) Gruselelemente. Die Stadtnymphe taucht in beiden Bereichen irgendwie auf. An ihr kommt auch Poesie und Stadt zusammen – Liebe zur Stadt – anders als bspw. die großen Weltzertrümmerungs-Ideen der Expressionisten (-Lyrik) Anfang des 20. Jhdts. Bei denen das Ich aus der Kurve fliegt, weil die Geschwindigkeit zu groß geworden ist.

    Für euch alle Drei hoffe ich, dass die überarbeitete Version euer tieferes Gefallen findet, als die erste Version, die ich jetzt rückblickend noch allzu skizzenhaft finde. Besonders, die ihr die poetischere Sprache erwähnt habt: Es kam jetzt raus – und ich bin mir bewusst – dass ich mit diesen lyrischen Sätzen immer auf dem schmalen Grat wandere, alles zu krass zu machen und die grundstehende Empfindung totzuschreien. Das habe ich versucht, ein wenig zu verbügeln… aber naja. Das ist meine eigentliche Sorge.

    Jetzt bin ich erstmal geschafft. Und Euch dankend! wünscht

    Theo

    Euch ein schönstes Wochenende :)

    PS: Heute Morgen wurde ich von Donner geweckt. Ich dachte real, eine Bombe schlüge ein. Und ihr?