Walter erwachte nach einer unruhigen Nacht. Bilder, die er längst vergessen glaubte, hatten ihn in seinen Träumen eingeholt. Immer wieder war er aufgewacht und hatte vor sich hingestarrt, während draußen das Gewitter tobte.
Stöhnend wälzte er sich von seinem Lager. Vielleicht würde ja seine morgendliche Routine die schwarzen Gedanken verjagen. Es war noch früh und die Sonne hatte es noch nicht geschafft, die kleinen Gassen Sonnenfelds aus den Schatten zu heben. Die Luft roch frisch nach dem Gewitter und das Wasser in den Pfützen glitzerte, sobald ein Sonnenstrahl den Weg fand. Er liebte diese Stunde des Tages. In Gedanken versunken ging er durch die Straßen und Gassen Sonnenfels. Als er aufblickte stand er vor dem alten Fachwerkbau.
Wie war er hierhergekommen? Das "Schutzhaus" wirkt heute Morgen noch verlassener als sonst. Wenn es eine Razzia gegeben hätte, hätte er davon erfahren, dessen war er sich sicher.
Walter blickte sich um, bevor er langsam auf die Tür zuging. Er lauschte, vernahm aber keinen Laut. Zögernd legte er die Hand an die Tür und versuchte sie aufzudrücken. Sie bewegte sich nicht. Er drückte stärker und hörte das Kratzen von Holz auf Holz. Offenbar hatte jemand die Tür verbarrikadiert. Sein Magen krampfte sich zusammen und sein Herz schlug ihm mit einem Mal bis zum Hals. Als er für einen Moment die Augen schloss, sah er ein kleines Mädchen, das von groben Händen aus dem Haus gezogen wurde. Es wimmerte und bettelte, sie doch gehen zu lassen, doch niemand schien Mitleid zu haben. Diese Bilder schnürten ihm die Brust zusammen.
Er sah sich ein weiteres Mal um. Doch bisher schenkte ihm niemand Beachtung. Also ging er leise um das Haus und spähte in eines der notdürftig verschlossenen Fenster. Nichts! Ausgestorben!
Er zog sich eine alte Kiste, die ihm stabile genug erschien, sein Gewicht zumindest für einen Moment zu tragen heran und stieg in das Haus. Die alten Dielen knarrten, als er auf dem Boden landete.
Walter verzog das Gesicht und blieb einen Moment hocken. Wenn noch jemand hier war, dann hatte sie oder er ihn auch gehört. Außerdem musste sich seine Augen erst an das Halbdunkel gewöhnen. Mit geschlossen Augen hörte er in das Gebäude hinein. War da ein leises Rascheln? Es könnte auch irgendein ein kleines Tier gewesen sein. Vielleicht eine Ratte oder Katze. Die Katze wäre ihm lieber.
Er atmete tief ein und versuchte möglichst geräuschlos das Haus zu durchsuchen. Der Geruch von kaltem Rauch hing gerade noch wahrnehmbar in der Luft.
Er folgte dem Geruch in ein weiteres Zimmer. Die Asche im Kamin gab noch immer etwas Wärme ab. Die Bewohner des Hauses waren noch nicht lange fort, müssen es aber sehr überstürzt verlassen haben. Ein paar alte Decken lagen noch in einer Ecke. Niemand, der auf der Straße lebt, hätte jemals freiwillig eine warme Decke zurückgelassen, außer...
Er stand da und überlegte, als er ein leises Knarren hörte. Es musste aus dem oberen Teil des Hauses kommen. Er kannte das Haus von früher, auch wenn es jetzt noch verwohnter aussah als damals. Er war selbst oft genug dabei gewesen, wenn sie diese kleinen Diebesnester ausgehoben hatten. Dort wo die Stufen auflagen, knarrten sie weniger. Schnell war er hinauf und sah, wie ein Schatten in einem der Zimmer verschwand. Ein erster dünner Sonnenstrahl stahl sich ins Innere und feiner Staub tanzt darin. Langsam und vorsichtig, darauf bedacht den kleinen Bewohner nicht noch mehr zu erschrecken, schlich er auf den Durchgang zu, hinter dem er den Schatten hatte, verschwinden sehen. Er geht in die Hocke und lugt vorsichtig hinein.
Auch wenn er niemanden sah, sagte ihm sein Gefühl, das er am richtigen Ort suchte.
"He, du da. Ich weiß das du hier drinnen bist." Seine Stimme war gedämpft und ruhig.
"Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun." Seine wachsamen Augen wanderten durch den Raum und er konzentrierte sich auf jedes noch so kleine Geräusch. Hatte sich dort etwas bewegt? War da ein ängstliches Schniefen?
"Du kannst rauskommen. Ich gehöre nicht zur Garde." Seine innere Stimme schalt ihn einen Lügner. Immer dieser Klugschwätzer... Zumindest im Moment nicht versuchte er sein Gewissen zu beruhigen. Es waren nur Sekunden, möglicherweise eine Minute die verstrichen, doch sie fühlten sich wie eine kleine Ewigkeit an. Wie musste sich sein Gegenüber fühlen?! Gefangen in der dunklen Ecke. Er richtet sich auf und sein Blick fiel auf das Fenster. Ein dumpfes, ungutes Gefühl überkam ihn.
"He, hör' mal. Ich werde jetzt langsam zu dem Fenster dort gehen, ok?" Keine Antwort. Er bewegte sich auf das Fenster zu und schlug dabei einen größeren Bogen um die Ecke, in dem er das Kind vermutete
"Ich möchte nur mit dir reden. Vielleicht kann ich dir helfen." Ein Seufzer entrang sich seiner Brust. "Dir steht es aber auch frei zu gehen. Ich werde dich nicht aufhalten. Das ist ein 'Schutzhaus' und daran halte ich mich." Seine Worte wurden durch ein Schulterzucken begleitet.
"Aber wie glaubst du dort draußen Mutterseelen allein zurecht zu kommen?" Der Gedanke daran, schnürte ihm die Brust zusammen.
"Sie kommen nicht zurück. Das tun sie nie..." presste er leise durch die Zähne und hoffte das es dirjenige, der sich dort versteckte, nicht hören würde.