Der letzte Teil, vorerst...
Ein
Pfad aus Blut 4
Aras
Zahn war nicht viel mehr, als ein verfallener Turm. Vielleicht ein
Überbleibsel eines uralten Volkes, denn solch eine Bauweise hatte
Munakil noch nie gesehen. Er war achtseitig angelegt worden, und
graue Ziegelsteine wurden von roten, blauen und sandfarbenen
unterbrochen. An jeder der Ecken befand sich ein runder Pfeiler.
„Nun
denn, lasst uns die Ratte im Gemäuer treffen“, Seda stieg von
ihrem Pferd, „Datu ist ein guter Magier, aber er überschätzt
seine eigene Schläue so sehr, wie er die der anderen unterschätzt.“
Munakil
wollte schon seinen Säbel ziehen, als ihm die Alchemistin einen
vielsagenden Blick zuwarf: „Wir wollen ihm keinen Grund geben
zuerst loszuschlagen, hol unseren abtrünnigen
Freund.“
Feofen
schien noch immer zu schlafen, seine
Brust hob und senkte sich.
Wenn
Munakil so daran dachte schlief er schon seit drei Tagen. Was hatte
die Alchemistin mit ihm gemacht?
Seda
warf Mordaine einen Dolch zu und wies sie an: „Ich werde so
beschäftigt mit dem Dämpfen sein, dass ich nichts anderes tun
kann.“
Dabei
blickte sie Munakil an, der sich den drahtigen Körper des Pan wieder
über seine Schulter gelegt hatte. Die Alchemistin holte einen
weiteren Talisman hervor, diesmal in Form einer Silbernen Feder. Sie
schloss die Augen und begann sich zu konzentrieren. Eine unangenehme
Aura breitete sich aus und
Munakil
wurde beinahe übel. Dann erwachte Feofen plötzlich, er begann zu
schreien und zu zappeln, doch er hielt ihn fest, musste aber die
eiserne Kraft beider Arme aufwenden.
So
traten sie in den Turm ein, Seda als erste, dann folgte Munakil mit
dem wehrhaften Feofen und Mordaine zu guter letzt.
Datu
war groß, selbst für einen Pan,
er trug ein Langes Gewand aus Leinenstoff und er hatte ein
Fuchsgesicht mit hinterlistigen Augen, die vor verborgenen
Absichten
nur so blitzten.
Seine
Stimme klang wie so
süß und zähflüssig wie Honig:
„Ich sehe Sedaja, Eure
Gnade hat Euch
wieder in Angelegenheiten geführt die Euch
nichts angehen.“ Dabei schaute er auf Mordaine mit
einem Blick, wie zwei glühende Kohlen.
Das
Mädchen machte sich
dabei ganz klein und
schien gleich im Boden zu versinken.
„Wenn
Ihr
versucht Feofen zu holen, ohne zu bezahlen, dann ist das sehr wohl
meine Angelegenheit.“
„Gute
Frau, ihr werdet doch verstehen, dass ich euch nicht verraten kann wo
sich das Buch befindet, ich muss an meinen Ruf denken, mein Leben.“
Munakil
stutzte Ein
Buch, ich dachte es geht hier um freies Geleiht und Zuflucht im
Arbonon.
„Schulden
müssen beglichen werden“, gab Seda zurück, ihr Blick schien nicht
weniger furchteinflößend als der Datus.
„Ah,
aber manche Schuldschaften
reichen Tiefer als andere,“ er deutete auf den Pan,
„bringt mir den
Abtrünnigen.“
Munakil
zögerte und schaute Seda hilflos
an,
doch sie zeigte keine Regung. „So sei es, es ist ohnehin
gleich wann sein Leben endet.“ Mit
diesen Worten
holte der
Pan-Priester
einen kleinen Ball aus seinem Gewand hervor und warf es nach ihnen.
„Die
Schuld gegenüber Fefér ist die tiefste.“
Seda
und Mordaine stürzten sich
sofort
zur Seite, doch Munakil wusste nicht wie ihm geschah. Als er endlich
verstand,
war es fast zu spät. Er ließ den Pan auf seiner Schulter
fallen und warf sich flach neben die kauernde Mordaine. Der
Ball
explodierte und Fetzten von dunklem
Fleisch
und grünem
Blut
flogen durch die Luft. Munakil wusste, dass nichts
weiter von Feofen übrig geblieben war.
„Elender!“
rief Seda aus, in ihrer Stimme lag unverhohlener Zorn. „Mörder,
Verräter, …!“
Die
nächsten Worte
waren nicht zu verstehen,
denn schon Landete die nächste Munition in
ihre Mitte. Diesmal schrie
er auf, ein Splitter hatte ihn im Gesicht getroffen und er spürte
wie Blut aus einer Stelle
über seinem Auge rann. „Es
ist vorbei Sedaja“, rief Datu und Munakil spürte
wie eine Woge der Macht von ihm ausging. Mordaine schrie, doch sie
griff nicht an. Sedas Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung.
Als
sie alle drei dastanden und sich keiner Bewegte, holte Datu einen
weiteren Ball hervor. Mordaines Augen weiteten sich vor entsetzten,
als
sie auf ihn los sprang, mit dem Dolch in der linken Hand. Datu
lächelte spöttisch und Warf den Ball. Eine Krähe, kam plötzlich
durch das offene Dach des Turmes geflogen und Fing den Balls auf.
Staunend sahen sie dem Vogel nach, als er wieder in die Lüfte stieg
und von
der Explosion zerfetzt
wurde. Blut, Federn
und Eingeweide regneten herab, doch Mordaine zögerte keinen
Augenblick mehr. Sie
stieß dem Pan
den Dolch in die Brust. Keuchend wich er zurück, als er sie von sich
wegschlagen wollte, tauchte die kleine Frau unter seinem Arm hinweg
und rammte ihn den Ellbogen mit voller Wucht zwischen die Beine. Der
Priester
des Fefér sank
in sich zusammen. Mordaine zog den Dolch aus der Brust und
durchschnitt seine
Kehle mit einer Blitzschnellen Bewegung. Er war tot noch ehe er auf
dem Boden aufkam. Mordaine wandte sich um und
ihr eröffnete sich eine grausige Szene:
Munakil lag auf dem Boden, ein Blutlache bildete sich um seinen Kopf,
Seda kniete neben ihm, sie Blutete selbst aus zahlreichen Wunden.
Überall
waren Fleischfetzen und Innereien verteilt. Noch immer sanken
schwarze Federn zu Boden.
Sie
ließ sich niedersinken, neben dem Mann, der sie so viele Jahre
gefangen hielt, sie misshandelte und folterte, sie sich seinem Willen
unterwarf.
Seda
half Munakil sich aufzusetzen.
Seine rechte
Gesichtshälfte war mit Blut überströmt und
an seiner Hüfte
klaffte
ein blutiges Loch. Mordaine begann den Leichnam Datus zu durchsuchen,
sie wollte etwas finden, irgendetwas das ihnen vielleicht helfen
konnte, einen
Verband, Wein, einen Talisman,
doch sie fand nur noch zwei weitere
der zerstörerischen Bälle.
„Lass
ihn liegen“, die
Stimme der Alchemistin klang erschöpft.
„Aber
euer Buch“, gab Mordaine zu bedenken.
„Ich
weiß wo es ist, zumindest glaube ich das“,
antwortete Seda.
„Ein
Buch“, stöhnte Munakil, „alles nur wegen einem verdammten Buch?“
Seda seufzte, während
sie
eine weitere
Woge der
Magie ihres Celdatis
durch seinen Körper gleiten ließ.
„Es
ist nicht irgendein Buch, es ist das
Girim-Dovha, das Buch der verlorenen Städte.“
„Und
wenn es die heilige Schrift des ersten Priesters des ersten
verdammten Gottes wäre“, schrie
Munakil auf.
In
Mordaine schien wieder eine alte Erinnerung aufzusteigen, aufgeregt
zog sie Seda am zerschlissenen Ärmel.
„Ich
habe davon gehört, vor langer Zeit. Als ich noch beim Roten Bund
war, bevor sie mich an ihn verkauften.“, dabei
stieß Mordaine
Datus Leichnam an. Als
sie geendet hatte, erkannte sie,
dass
Seda in ihre
Gedanken verfallen
war und
die Wogen aus ihrem
Talisman
mittlerweile immer schwächer und in größeren Abständen schickte.
„Was
war das überhaupt mit der Krähe, war das Euer
Werk?“, brachte
Munakil hinter zusammengepressten Zähnen hervor.
„Nein,
ich hatte damit nichts zu tun.“
Er
stöhnte erneut: „Eines ist jedenfalls klar, ich gehe nicht mit,
wenn ihr zum Roten Bund wollt.“
„Einen
Tagesritt von hier entfernt haben sie so etwas wie ein
Lager, behütet in den Bergen.
Dort halten sie Gefangene fest um sie in die Sklaverei zu verkaufen,“
gab
das Mädchen zu bedenken.
Seda
schaute Mordaine in die Augen, als
sie mit Bestimmtheit sagte:
„Nein, er hat recht, er
hat
zu
viel für nichts ertragen,
ich kann nicht verlangen, dass er mitkommt.“ „Aber ich komme mit“, rief Mordaine
aus, „Herrin
Seda, ich stehe in Eurer
Schuld.“
Munakil
lachte auf: „Siehst du nicht was dir die Schuld ihr
gegenüber einbringt, Mädchen?“
Seda
lächelt schwach: „Wir
müssen ihn aber zuerst
in
Sicherheit
bringen, ich habe schon zu viel von ihm verlangt.“
Er
hatte sich ein Stück Leinen von Datus Gewand, als behelfsmäßiger
Verband um den Kopf gewickelt und
richtete sich nun auf.
„Sedaja,
ich kann auf eure Hilfe und die der kleinen verzichten, den Weg ab
hier
finde ich alleine. Dem
Pfad aus Blut den ihr beide beschreitet will ich nicht folgen.“
Mordaine
nickte stumm. Seda führte ihre Hand von der Stirn zur Brust und
wieder zurück. Eine Geste der
Anerkennung und des Respekts,
die
Munakil jedoch vollkommen unbekannt war, sodass er ohne ein Wort zu
sagen auf seinem Juivi davon ritt.
Sie
sahen beide zu wie der Verletzte
und Einhändige
sich davon machte. Hinaus
aus dem Lichten Walde, über den Thir bis an die Ausläufer des
Arbonons, wo er sich Sicherheit vor Mingbals Schergen erwartete.
Ihr weg würde
sie in die andere Richtung führen, bergauf, zum Gefangenenlager des
Roten Bundes. Seda wusste nicht was sie dort erwarten würde, aber
sie glaubte fest daran jemanden zu finden, der ihnen das Buch, oder
zumindest seine Position preisgeben könnte. Fast zwanzig
Jahre hatte sie danach gesucht und
diese Suche hatte sie bis nach Mingbal geführt.
Bereits
während ihrer Ausbildung hatte sie vom Buch der verlorenen Städte
gehört und von dem,
was zwischen seinen Zeilen verborgen lag.
Den
Großteil ihres Lebens hatte
sie dem hinterher gejagt und war
nicht
bereit so kurz vorm Ziel aufzugeben.
Mordaine
stellte
allerdings eine andere Angelegenheit
dar.
Sie war vielleicht fünfzehn oder sechzehn, hatte ein Leben der
Grausamkeit hinter sich und diese
Überwindung
hatte sie zur Mörderin gemacht. Ohne zu zögern hatte sie ihrem Hass
freien Lauf gelassen, nachdem sie Datus Willen entkam.
Jemand
müsse
sich dem Mädchen annehmen, jemand
müsse
ihr beibringen mehr zu sein als eine Kampfmaschine, immer nur den
Befehlen anderer
folgend. Eine schwere Bürde, wie Seda
wusste, aber nur eine der vielen, die sie bereits trug.