Danke dir Eegon2 für deine Eindrücke. Hilft mir sehr weiter. Und Sorry Chaos Rising für den Doppelpost – hatte Eegons Antwort oben vor dem Posten des zweiten Teils nicht gesehen.
Zu den Anmerkungen:
Spoiler anzeigen
Auch empfinde ich es nicht als logisch, dass der Prota einerseits vermutet, dass die Rettungsmannschaft in einer Woche da sein könnte, die Verschütteten sich aber von dieser Stelle tiefer in den Berg entfernen.
Das ist durchaus ein Wagnis - stimmt. Die Idee dahinter ist im Wesentlichen diese:
Höchstwahrscheinlich gibt es dort mindestens Verletzte. Wenn sie eine Woche auf Hilfe warten müssen, ist es vielleicht schon zu spät.
Um auf die andere Seite zu gelangen, werden wir allerdings die alten Stollen nutzen müssen. Einige davon wurden vermutlich in den letzten Jahren verschlossen. Ein paar Barrieren werden wir also beseitigen müssen, aber wir haben das nötige Werkzeug und vermutlich wird uns das nicht mehr als ein bis zwei Tage kosten.
Sprich: Sie haben die vordergründig plausible Vermutung, dass ihre Kumpel in Gefahr schweben könnten, wenn diese nicht innerhalb kürzester Zeit Hilfe bekommen. Und sie denken, dass sie diese innerhalb von 1-2 Tagen erreichen könnten, während die Bergungsmannschaft eine Woche braucht.
Durch den Besuch verschiedener Höhlen weiß ich, dass es dort feucht, kalt und schmutzig ist. Deinem Prota wird das aus Berufsgründen egal sein, aber für mich kommt diese Umgebung zu kurz bis gar nicht vor. Denn auch das macht etwas mit den Eingeschlossenen.
Macht es. Vielleicht sollte ich darauf zumindest etwas eingehen. Meine Intention war eigentlich folgende: die Kumpel sind erfahren und bestens ausgerüstet. Manche waren auch schon mal eingeschlossen. Der Kontrast, den ich aufbauen will ist eigentlich, dass sie weniger an ihre physischen als an ihre psychischen Grenzen stoßen.
Erst auf den zweiten Blick ist mir aufgefallen, dass zwei Leute im Prinzip die gleiche Geschichte erzählen, sich aber durch nichts unterscheiden.
Ja, ich habe befürchtet, dass das ein Problem wird. In gewisser Weise wollte ich das genauso haben, um beim Leser den (falschen) Eindruck zu verfestigen, dass es sich um dieselbe Gruppe handelt. Andererseits kann man das vielleicht auch anders hinbekommen. Sprich: die Charaktere könnten einen unterschiedlicheren Fokus auf das Geschehen haben. Danke - schaue ich mir nochmal an.
Gleicher Stil, gleiche Stimme, gleiche Satzlänge und Wortwahl.
Das war in der Tat nicht so geplant. Im Gegenteil wollte ich eigentlich zwei ganz unterschiedliche Erzählstile etablieren. Das muss ich mir nochmal angucken.
Die Erwähnung der Katla kommt für mich zu spät und wirkt aufgepropft, als müsse nun der Konflikt unbedingt vom Zaun gebrochen werden. Ich bin mir sicher, dass es unter zehn Leuten schon vorher zu erwähnenswerten Unstimmigkeiten gekommen ist, denn es ist eine zusammengewürfelte Mannschaft und kein eingeschworenes Team.
Das mit dem zusammengewürfelten Haufen ist ein Punkt. Vielleicht kann man hier andeuten, dass es unter der Oberfläche schon länger brodelt und sich jetzt eben Bahn bricht.
Und sie stehen unter dem Druck, absehbar sterben zu müssen.
Gut, dass du das erwähnst. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, habe ich nämlich irgendwas falsch gemacht. Eigentlich wollte ich rüber bringen, dass die Prognose für die Gruppe zu diesem Zeitpunkt relativ positiv ist. Sie sind gut versorgt, haben Proviant, Wasser und Ausrüstung. Theoretisch könnten sie auch jederzeit zur Einsturzstelle zurück kehren und entspannt auf die Bergungsmannschaft warten. Das ganze Tamtam machen sie eigentlich nur, um ihre Kumpel zu retten.
Ich schaue mir nochmal an, ob ich das deutlicher machen kann.
Die Kumpel von der alten Grube (II/II)
Eriks Tagebuch 18. Mai
Habe praktisch nicht geschlafen. Ich musste die ganze Zeit an die Katla denken. Diese bizarren Geschöpfe, die jeden jagen und fressen, der sich in ihre dunkle Welt verirrt. Opa hat davon erzählt. Sie haben uns allen davon erzählt. Immer wieder. Aber es ist dumm daran zu denken. Es sind nur Märchen. Ich muss mich zusammenreißen.
Wenn da nicht diese Geräusche wären. Manchmal glaube ich Stimmen zu hören. Aggressive, bösartige Stimmen. Bilde ich mir das ein? Irgendwas ist mit den Anderen los. Sie streiten sich wegen dem kleinsten Scheiß. Aber am meisten Sorgen macht mir Bill. Er ist völlig bleich im Gesicht. Was ist nur los mit dem Jungen? Lange hält der nicht mehr durch. Hoffentlich behält wenigstens John die Nerven.
Zumindest gibt es Wasser hier. Damit kann man diesen grässlichen, farbigen Staub von der Haut spülen. Auch wenn der nie ganz weg zu gehen scheint.
Johns Tagebuch 18. oder 19. Mai
Ich weiß nicht ob ein ganzer Tag vergangen ist. Ich kämpfe mit Tagträumen und Kopfschmerzen und schlafe nur, wenn die innere Ruhe es ausnahmsweise zulässt. Wir alle werden von Alpträumen geplagt. Thorbens markerschütternder Schrei hat mich aus meinem unruhigen Schlaf gerissen. Doch noch verstörender als der Schrei selbst war das, was ihn ausgelöst hatte. Eine rote, metallisch-salzig schmeckende Flüssigkeit quillt an einzelnen Stellen aus dem Stein hervor. Thorben ist felsenfest davon überzeugt, dass es sich um Blut handeln muss.
Ich habe ihn mit einiger Mühe zum Schweigen verpflichtet und die Spuren eiligst unter dem schwarzen Staub vergraben. Was immer das sein mag - auf keinen Fall dürfen die anderen davon erfahren. Dann würde hier die Hölle losbrechen.
Ich versuche noch immer zu verstehen, was schief gelaufen ist. An welcher Stelle ich den ersten Fehler gemacht habe. Bis auf das Lampenöl haben wir genügend Vorräte. Ist es der Sauerstoffmangel hier unten? Sicher ist die Luftqualität nicht gut, aber der Bewetterungsschacht sollte weiter seinen Dienst tun.
Wir haben bereits den Großteil des Schutts im Übergangsstollen abgetragen. Ich denke morgen können wir durchbrechen. Es wird Zeit. Ich weiß, dass der Gedanke albern ist, aber meine Fantasie spielt verrückt, wenn ich mir vorstelle, was uns auf der anderen Seite erwarten mag.
Eriks Tagebuch
Ich weiß nicht welcher Tag es ist. Zum ersten Mal seit meiner Kindheit habe ich wieder Angst. Heute bin ich zitternd aufgewacht mit dem sicheren Wissen, dass uns hier unten nur Tod und Verderben erwarten wird. Hatte ich etwas Schlechtes geträumt? Ich weiß es nicht.
Jeden Tag Kratzen, Scharren, grässliche Schreie. Ja ich bin sicher, dass es Schreie sind, die mir in der Nacht den Schlaf rauben. Immer lauter wird das, was aus dem Stollen an unser Ohr dringt.
John und Toni wollen den Eindruck erwecken, dass sie alles unter Kontrolle haben, aber auch sie werden jeden Tag unsicherer. Sie können nicht mehr erklären, was hier vor sich geht.
Bill stammelt nur noch sinnloses Zeug. Am meisten Sorgen macht mir Enzo. Der hat so einen wahnsinnigen Blick. Er hätte heute fast Bill mit der Spitzhacke erschlagen, als er unerwartet um die Ecke kam.
Die Nerven liegen blank. Bei jeder Unstimmigkeit fallen wir übereinander her.
Wie soll das nur enden? Gott steh uns bei.
Johns Tagebuch
Ich hatte keine Möglichkeit mehr, es länger geheim zu halten. Im Übergangsstollen beginnt es überall rot aus dem Stein heraus zu quillen. Die Situation war kurz davor, zu eskalieren. Ben hat vollkommen den Verstand verloren. Wir mussten ihn mit drei Mann am Boden festhalten, sonst hätte er sich den Schädel am Stein selbst eingeschlagen. Es ist schwer einzuschätzen, wie es um Thorben steht, denn er spricht nicht mehr.
Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Um seinen Schlaf beraubt, wandelt mein Verstand immer wieder in abenteuerlichen Welten. Aber immer stärker hämmert sich der Gedanke in meinen Kopf, dass das was man über diesen Berg erzählt, keine Ammenmärchen sind, sondern die grausame Wahrheit. Immer deutlicher hören wir das Scharren dieser grässlichen Wesen. Und dann sind da diese Schreie. Inzwischen bin ich mir sicher, dass es Schreie sind.
Wir müssen offen sprechen. Jetzt ist vielleicht der letzte Moment, wo ein paar von uns noch klaren Verstandes sind. Das verbleibende Geröllfeld im Stollen ist dünn. Wir müssen durchbrechen und uns diesen Monstern stellen. In der Grube trennt nur der Tod. Wir retten unsere verschütteten Kumpel aus den Fängen dieser teuflischen Wesen auf der anderen Seite. Vielleicht kann uns das noch einmal zusammen schweißen. Gott steh uns bei.
Eriks Tagebuch
Hier ist die Hölle losgebrochen. Ich weiß, ich müsste aufschreiben, was ich heute mit den Kumpeln erlebt habe. Aber meine Finger wollen nicht.
Das Geröllfeld wird immer dünner. Die Wesen auf der anderen Seite – sie sind keine Einbildung mehr. Wir können sie immer deutlicher hören. Nur dass mein Verstand kaum noch weiß, was er hört und sieht und was er träumt. Ob es von dieser oder von jener Seite des Stollens kommt.
Wir alle sind kaum noch wiederzuerkennen unter der roten Stabschicht, die sich nach und nach über unsere Haut gelegt hat. Die sich in unseren Haaren verfangen hat und die auch das Wasser nicht wirklich fortzuspülen vermag. Aber noch fremdartiger als das ist der leere Blick in den Augen der Kumpel.
Ich erwische mich dabei zu hoffen, dass es bald zu Ende geht. Dass was immer auf der anderen Seite lauert sich endlich zeigt. Was immer kommt – ich bin bereit.
Johns Tagebuch 15. Juni
Ich schreibe das hier auf, weil die Mönche mich dazu gedrängt haben. Weil sie sagten, dass ich es tun müsste, um meiner Seele Frieden zu schenken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas dazu in der Lage wäre. Aber ich will nichts unversucht lassen. Haben meine Erinnerungen mich doch Nacht für Nacht durch die Hölle getrieben.
Wir standen im Übergangsstollen, der nur noch von wenigen Brocken Geröll versperrt wurde. Sepp und Henning hatten sich rechts und links mit ihren Spitzhacken in Stellung gebracht. Schwarzer Staub bedeckte ihr Gesicht, ihre Kleidung, ihre Haare, sodass sie sich kaum von den Schatten unterschieden, die das schwache Licht der letzten Grubenlampe an die Wände warf. Ihre zitternden Knie verrieten, dass der nächste Schlag den Durchgang frei geben würde. Thorben und Ben starrten apathisch auf den Boden und umklammerten krampfhaft den Stil ihrer Spitzhacke. Auf der anderen Seite war nun kein Laut mehr zu hören. Einzig unsere Gedanken konnten sich ausmalen, was hinter den Steinen auf uns wartete.
Es war Sepp, der das Tor zur Hölle schließlich öffnete. Der Stein gab nach und ein etwa vier Fuß weiter Durchgang öffnete sich aus dem uns nichts als Dunkelheit entgegen starrte. Ich wusste, dass ich den ersten Schritt würde tun müssen und zwang mich mit schmerzhaft pochendem Herzen durch die Öffnung, während ich unsere letzte Lichtquelle in den Händen hielt.
Der Atem versagte mir, als die Grubenlampe die Wände erhellte, die in einem Rot schimmerten, das nur aus dem Fegefeuer stammen konnte. Zögerlich und mit offenem Mund folgte Sepp durch die Öffnung. Henning tat es ihm gleich und sah sich eine Weile ungläubig um, bis seine Augen schließlich auf einer kleinen Nische verharrten und aus ihren Höhlen traten. Rasch folgte ich seinem Blick und erkannte mit Entsetzen das Wesen, das dort im Halbschatten lauerte. Rot war es wie das Blut, das durch den Stein gequollen kam. Während ich seinen Körper kaum ausmachen konnte, erkannte ich doch das Metall, welches den Schein der Grubenlampe reflektierte und das eindeutig einer Spitzhacke gehörte. Einer Spitzhacke, die noch vor wenigen Tagen in den Händen unserer Kumpel ihren Dienst verrichtet hatte und die diese grässlichen Wesen ihnen abgenommen haben mussten, nachdem sie ihr entsetzliches Werk verrichtet hatten.
Wir hatten uns vorbereitet in den letzten Stunden auf diesen Moment. Hatten uns geschworen, dass welchen Horror wir auch immer auf der anderen Seite fänden – wir würden nicht zurückschrecken und unsere Kumpel retten – oder wenn es dafür zu spät war sie wenigstens rächen. „In der Grube trennt uns nur der Tod“. Mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll stürzten wir fast gleichzeitig auf das Wesen zu, neben dem sofort zwei weitere hervor huschten. Unsere lähmende Angst der letzten Tage wandelte sich in blanke Wut. Wie Berserker ließen wir unsere Spitzhacken auf die roten Geschöpfe nieder sausen.
Die nächsten Augenblicke erinnere ich nur bruchstückhaft. Durch den engen Raum hallten Schreie der Wut und des Schmerzes, deren Wortlaut man kaum mehr ausmachen konnte. Sobald das Licht der Grubenlampe einen neuen Körper frei gab, stürzten wir uns wie Wahnsinnige darauf und schlugen so lange auf ihn ein, bis sich nichts mehr regte. Unsere Gegner wehrten sich nach Kräften. Das Blut der Geschöpfe, ihre Körper, der Boden, die Wände – all das konnten unsere Augen nur mühsam voneinander trennen.
Schließlich verstarb der letzte Schrei im Stollen. Und so grausig diese Erlebnisse gewesen sein mögen – das Schlimmste stand mir noch bevor. Als ich schließlich die Lampe hob, um sicher zu stellen, dass sich nichts mehr in den Winkeln des Raumes versteckte, reflektierte erneut das Grubenlicht etwas Metallenes. Etwas, das sich um den Hals des Geschöpfes zu meinen Füßen wand. Mit einigem Unverständnis identifizierte ich Eriks Halskette und trat mit der Lampe näher an das Wesen heran. Mit grausamer Langsamkeit manifestierte sich eine entsetzliche Erkenntnis in meinem Kopf, als ich unter der roten Farbdecke die Grubenkleidung und die Stiefel ausmachte. Und als ich schließlich den Kopf des Wesens herum drehte.
Noch immer zieht sich in mir alles zusammen, wenn ich an die nachfolgenden Momente denke, in denen ich apathisch in dem kleinen Stollenabschnitt umher wandelte, in dem uns die Bergungsmannschaft später fand. Die Momente, in denen die Grubenlampe auch die blutverschmierten Gesichter vom langen John, von Bill, Toni und Enzo erhellte. In denen ich mit einer schauerlichen Endgültigkeit verstand, dass wir es waren, die diese Männer in einem wahnsinnigen Blutrausch erschlagen hatten, der einzig unseren eigenen Hirngespinsten entsprungen war. In denen ich sah, wie das Wasser den roten Staub aufnahm und im Stein versickerte und in denen ich schließlich das Tagebuch von Erik entdeckte. „In der Grube trennt nur der Tod“ hatte er in den ledernen Einband geritzt.