Beiträge von Tindaya

    Zum Glück waren sie wieder an Land. Den festen Boden unter den Füßen zu spüren hatte etwas derart beruhigendes, dass Nelli ein erleichtertes Seufzen nicht unterdrücken konnte und sich vielleicht einen Moment länger an Trevor fest klammerte, als unbedingt notwendig gewesen wäre. Zum Glück achtete niemand auf sie und ihre zitternden Knie während sie zurück zu ihrem Schiff liefen. Die Hexe warf einen kurzen Blick auf das Wasser zurück und atmete erneut tief durch, das war knapp gewesen. Aber wer ging denn auch schon bitte auf ein Abenteuer mit einem Schiff, wenn man nicht schwimmen konnte? Nicht sonderlich clever, Peternella...

    Sie hatte sich die Kiste unter den Arm geklemmt, wiegelte Trevor ab. Sie musste ihre Theorie zu Formwandlern und dieser Art von Magie nicht wirklich unter Beweis stellen. Wenn sie Recht hatte, konnte das für alle Beteiligten unangenehm werden. Das Esther diese Art von Wissen nicht besaß, ging ihr dabei völlig durch die Lappen. Ein fataler Fehler, wie sich nur zu schnell herausstellte.

    Als Trevor auf die Knie sank, die Luft unangenehm erfüllt vom Geruch verbrennenden Fleisches, kamen im ersten Moment eine ziemliche Menge Flüche über ihre Lippen, in sämtlichen Sprach die ihr bekannt waren. Wollte dieser Tag der Katastrophen denn eigentlich nie ein Ende nehmen?

    Was um alles in der Welt...?“ vernahm sie Edmunds Stimme, Esther wiederum schien einfach nur erstarrt zu sein. Die Alte wandte sich an die beiden:

    Steht da nicht so nutzlos rum! Eine Schüssel Wasser und Tücher, sofort!“ Sie beugte sich leicht zu dem Formwandler.

    Das wird jetzt unangenehm. Also...noch unangenehmer“, murmelte sie entschuldigend und löste langsam, Finger für Finger dessen Hände von der Kiste.

    Das Geräusch, was das erzeugte, war schwer zu beschreiben, irgendetwas zwischen einem Zischen und dem Geräusch, wenn man in tiefem Matsch watete. Sie konnte an Trevors Blick sehen, dass der Schmerz vermutlich schwer auszuhalten war und zu gerne hätte sie ihnen beiden das erspart. Schließlich war eine Hand geschafft und sackte kraftlos nach unten, in der Handinnenfläche war keinerlei Haut mehr zu sehen und das Fleisch sah aus wie geschmolzen. Das würde etwas Arbeit, das wieder her zu stellen.

    Taucht die Tücher in das Wasser und wickelt die Hand vorsichtig darin ein“, verlangte sie an niemand besonderes gerichtet, hoffte einfach, dass irgendwer der anderen ihren Anweisungen Folge leisten würde. Sie wiederholte ihre Vorgehensweise an der anderen Hand und war froh, dass ihr Magen so stark war nach all den Jahren als Heilerin. Ansonsten hätte sie sich entweder schon bei dem Geräusch oder spätestens beim Anblick der völlig entstellten Hand übergeben. Was auch einer ihrer Mitreisenden hinter ihr tat. Die alte Heilerin tauchte das zweite Tuch in das Wasser und wickelte die andere Hand ein. Sie erhob sich und deutete mit ihrem knorrigen Finger auf den Händlersohn.

    Hilf mir ihn in sein Bett zu bringen.“

    Das war definitiv keine Bitte, sondern ein klarer Befehl und sie gab Edmund auch keine Möglichkeit, ihr großartig zu widersprechen sondern eilte so schnell sie konnte zu ihren Kräutern, die sie fein säuberlich in dem Regal in der Kombüse aufgereiht hatte. Wie gut, dass sie den Alkohol von dem anderen Schiff mitgenommen hatte, der würde sich wenigstens erst mal eignen, etwas gegen die Schmerzen herzustellen, die Trevor unter Garantie empfand, auch wenn er es nicht äußern konnte.

    Wie kann ich helfen?“ kam die etwas zögerliche Stimme von Esther hinter ihr, aus der Nelli eine ordentliche Menge schlechtes Gewissen herauslesen konnte. Zwar war es Esther gewesen, die Trevor die Kiste in die Hand gegeben hatte, aber woher hatte die junge Magierin es auch besser wissen sollen? Ein weiteres Problem, um das sie sich später kümmern musste.

    Kannst du etwas Wasser zum Kochen bringen, Mädchen?“

    Sie runzelte die faltige Stirn, beobachtete wie die Magierin nickte und machte ihr dann etwas Platz am Herd.

    Dann koch Wasser auf, und gib die Kräuter in genau der Reihenfolge rein, in der ich sie dir hier hin stellen, klar?“

    Wieder nickte Esther und kramte nach ihrem Zauberstab. Kurz stutzte Nelli. Natürlich, das war ja wirklich deutlich einfacher. Warum hatten sie sich denn bitte die ganze Zeit mit dem Feuer abgemüht, wenn sie eine Magierin in ihren Reihen hatten? Das war im Grunde das Sinnbild ihrer Gruppe, wenn sie ehrlich war. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht...

    Sie kramte nach den Kräutern, stellte ein halbes Dutzend an Gläsern und Töpfen in einer Reihe neben Esther auf und erklärte genau die Abfolge und die Menge, in der deren Inhalt in das Wasser musste, ehe sie sich ein paar andere Kräuter nach, die eher nachlässig klein hakte und drückte um sie in den Alkohol zuzufügen. Schade drum, damit war der zum einfach so trinken verdorben, aber jeder musste Opfer bringen. Kurz überprüfte sie, ob bei Esther alles nach Plan lief, ehe sie Edmund und Trevor folgte.

    Sie setzte sich neben den Formwandler, der immer noch wie paralysiert schien und flößte ihm etwas mühsam den mit den Kräutern versetzten Alkohol ein.

    Komm schon, trink das. Ich weiß, schmeckt widerlich, aber dann wird wenigsten der Schmerz weniger“, redete sie auf ihn ein und ließ ihn sicherheitshalber einen Schluck mehr trinken, als unbedingt nötig gewesen wäre. Im schlimmsten Fall würde er einfach einschlafen, was bei dem, was folgen würde sicher nicht die schlechteste Idee war. Haut nachwachsen und Fleisch sich neu bilden lassen, war sicher nicht das Angenehmste, was man hinter sich bringen konnte, vor allem, wenn das durch Magie erzeugt wurde.

    Für Nelli hieß das eine ziemlich schlaflose Nacht, in der sie stündlich die Verbände würde tauschen müssen und lediglich hoffen konnte, dass die anderen beiden nichts anstellten, was ihre Aufmerksamkeit forderte.

    Das die Verwandlung nicht so geklappt hatte, wie geplant, hätte sie eigentlich nicht überraschen sollen. Wann lief denn in ihrer Konstellation überhaupt mal etwas wie geplant? Ursprünglich hatte Nelli einen gut gebauten, jungen Seemann mit breitem Kreuz im Kopf gehabt. Doch stattdessen war sie jetzt diese...Seegurke. Und das nur, weil Edmund sich mal wieder nicht an Anweisungen gehalten hatte. Aber gut, wozu jammern, wenn es keinen Zweck hatte. Wenigstens hatte dieser Körper keine krummen, steifen Finger und keine Rückenprobleme, wie es aussah. Man konnte weiß Gott nicht alles haben.

    Nelli lugte über das Fass und beobachtete Trevor bei seinem Versuch die Seemänner zu umgarnen. Ernsthaft, der Junge brauchte dringen Unterricht darin, wie man eine Liebschaft anbandelte. Sie unterdrückte ein leises Seufzen und schlich sich schließlich an den Fässern vorbei, schnappte sich unterwegs noch Edmund, der sich in ihrer Hand wand.

    Verhalt dich bloß ruhig, sonst werf' ich dich ins Wasser“, fauchte sie und setzte sich das Fellknäuel auf die Schulter. Immerhin schienen die drei Matrosen von Trevor abgelenkt genug zu sein, dass sie nicht bemerkten, wie Nelli sich hinter ihrem Rücken an Bord schmuggelte.

    Meine Güte, die haben aber auch definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Die sehen ja fast so alt aus wie ich! Sie schüttelte sich und verschwand mit Edmund unter Deck. Unten angekommen blieb sie wie angewurzelt stehen. Gut, das Ding war deutlich größer als die kleine Schaluppe, mit der sie segelten. Wer genau hatte noch mal gesagt, dass es eine gute Idee war, einfach blindlings auf das Schiff zu laufen?

    Mach dich mal nützlich und versuch die Kapitänskajüte zu finden. Du kommst eher mal durch irgendwelche Ritzen“, wies sie Edmund an, der nur entrüstet quiekte und für einen Moment war Nelli mehr als froh, dass sie sein Gemecker nicht ertragen musste. Sie selbst wandte sich nach rechts, öffnete eine Tür – und wurde von etlichen Hängematten und Matratzen auf dem Boden begrüßt. Der Gestank von Schweiß und Dingen, die sie besser nicht genauer benennen wollte schlug ihr entgegen. Angewidert verzog sie das Gesicht. Anscheinend hatten einige der Matrosen hier ein Bad mehr als nötig. Kurz war sie einfach dankbar um ihre Reisegesellschaft, die wenigstens darauf allesamt wert legte. Ein leises Schnorcheln riss sie aus den Gedanken und ihr Kopf ruckte hoch. Oh nein, hatten sie etwa jemanden hier übersehen? Doch dann kehrte wieder Stille ein, sodass sie sich nicht sicher war, ob sie sich das nicht einfach eingebildet hatte.

    Hervorragend, jetzt fängst du auf deine alten Tage auch noch mit so einem Quatsch an“, murmelte sie und schloss die Tür wieder. Das würde ihr definitiv keine Informationen bringen. Abgesehen davon, dass die Mannschaft ein Haufen ungewaschener Rüpel war. Was wohl Esther sagen würde, wenn sie hier wäre? Sicher hätte ihr das mehr als eine gerunzelte Stirn entlockt.

    Ein leises Fiepen ließ sie nach unten sehen und eine kleine Ratte wollte gerade in ihren Knöchel beißen.

    Untersteh dich! Im Gegensatz zu den anderen kann ich dich sehr wohl von einer gewöhnlichen Ratte unterscheiden, Wendy, warnte sie Edmund und brummte leise. Himmel, war dieser Kerl, dessen Gestalt sie angenommen hatte, denn nie aus dem Stimmbruch raus gekommen? Dessen Stimme klang wie das unangenehme Knarren einer Tür, wenn Holz auf Holz schabte. Edmund schien sich zu besinnen, weshalb er sie gesucht hatte und lief vor ihr her zu einer Tür, quietschte erneut. Selbst in dieser Form klang er genervt. Nicht mal nach der Verwandlung konnte er das ablegen.

    Natürlich habe ich wieder die ganze Arbeit gemacht, war ja klar. Jetzt stell dich nicht so an, Hexlein, mach endlich die Tür auf“, imitierte sie seine Stimmlage und synchronisierte sein Gefiepe, was ihm so gar nicht zu gefallen schien. Mit einem Kichern schob sie die Tür auf und landete wirklich in der Kapitänskajüte. Auf einem großen Tisch lagen überall Karten und Gerätschaften ausgebreitet, mit denen Trevor oder Edmund sich sicher besser ausgekannt hätte. Sie hob die Ratte auf den Tisch, damit er sich umschauen konnte, während sie sich den Schubladen und der Kommode zuwandte. Sie hatten nicht viel Zeit, immerhin konnte jederzeit jemand hier auftauchen, aber übersehen wollte die alte Heilerin auch nichts. Sie überflog Ladungslisten, Passagierverzeichnisse, Berichte über Reisen, fand sogar die Speisepläne für die nächsten zwei Wochen, die der Kapitän wohl abgesegnet hatte.

    Das ist nutzlos, hier ist nichts“, brummte sie irgendwann resigniert, als ihr Blick auf die Bar fiel. Wenn sie schon keine Informationen fanden, dann konnte sie sich wenigstens etwas von dem Schnaps mitnehmen.

    Nelli hatte erst das Pentagramm auf dem Boden und dann die junge Frau vor sich angestarrt. Natürlich, warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Das hatte sie so verwirrt die ganze Zeit! Ihr Neuzugang war eine Nekromantin! Ihr Herz zog sich unangenehm zusammen, sie wollte damit nichts zu tun haben. Aber gleichzeitig war sie zu schockiert um zu reagieren und wurde so eher unfreiwillig Teil der Beschwörung. Sie konnte spüren, wie ihr die Energie entzogen wurde, auch wenn es nicht so viel war, wie sie vermutet hatte. Edmund hingegen wurde ordentlich geschröpft. Schwer atmend schaute die Alte kurz zwischen ihren Gefährten hin und her, ehe er Horror über sie hereinbrach, als das Ding in der Schubkarre zu sprechen begann. Leise murmelnd zog sie sich zurück, ließ die anderen einfach stehen und floh. Sie floh vor einer jungen Frau, die vermutlich nur wenig älter war, als die Katze, die sie begleitete. Natürlich war es keine logische Entscheidung, Weglaufen war eigentlich nie eine Lösung. Aber in diesem Moment war alles, was sie fühlte, Panik. Nackte, blanke Panik. Und die hatte nie etwas mit Vernunft oder Logik zu tun.

    Das Holz des Schiffes knarrte unter ihren eiligen, humpelnden Schritte, die sie direkt in ihre Kabine führten. Ohne bewusst darüber nachzudenken warf sie ihre Tasche auf die Pritsche und begann ihre Sachen zusammen zu packen. Die jungen Leute brauchten sie doch sowieso nicht, sie war mehr Ballast als Unterstützung, nutzlos innerhalb dieses Kreises. Immerhin konnte die junge Nekromantin sie jetzt sogar heilen, wenn es zu spät war – ein Gedanke, der die alte Frau freudlos auflachen ließ. Sie schob den Stuhl und den kleinen Nachttisch mühsam beiseite um an ihre Notizen und Rezepte zu kommen, die irgendwann während der Fahrt vom Tisch gesegelt und zu Boden gefallen waren, als es an der Tür klopfte. Nein, sie wollte sich nicht vor irgendjemanden für ihre überstürzte Flucht rechtfertigen, zudem würde sie sowieso niemand hier wirklich vermissen.

    Wenn du das Schiff auseinander nimmst, bekommst du bestimmt Ärger mit Trevor“, ertönte Edmunds Stimme von draußen. Nelli stutzte und überlegte einen Moment, ehe sie sich schließlich aufrappelte und zur Tür humpelte. Leise fluchend stolperte sie noch fast über eine Kiste mit Glasflaschen auf dem Boden, ehe sie die Tür mit etwas viel Schwung aufriss.

    Edmund!“, rief sie aus und musterte den Händlersohn mit einer Mischung aus Überraschung und Sorge im Gesicht. Im Grunde hatte sie nicht erwartet, dass ausgerechnet er ihr folgte. „Wie fühlst du dich?“

    Der junge Mann schob seine Hände tief in die Taschen seiner Hose. Bildete Nelli sich das ein oder wirkte er wirklich etwas blasser um die Nase? Sie hielt seinem trotzigen Blick stand, auch wenn ihr durchaus auffiel, dass seine Augen kurz zu dem Chaos hinter ihr wanderten.

    Dreckig, müde, mies gelaunt, aber ansonsten prima“, gab er zurück und seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Wieder wanderten die fast schon unnatürlich blauen Augen des Jüngeren in ihr Zimmer rein und seine Augenbrauen schoben sich nach oben. „Was machst du da?“, wollte er wissen und Nelli zog die Tür etwas weiter zu, was ziemlich nutzlos war, da Edmund sicher locker über sie würde hinweg sehen können.

    Bist du sicher? Ich weiß, was da passiert ist und das war nicht so ohne. Und weit weg von normal oder in Ordnung.“ Sie runzelte ihre faltige Stirn und erneut lief ihr ein Schauer über den Rücken. Jahrzehnte lang hatte sie gehofft, so etwas nie wieder sehen zu müssen. Und ausgerechnet hier... Schließlich folgte sie seinem Blick seufzend. „Wonach sieht es denn aus? Ich packe!“ erklärte sie und legte den Kopf schief.

    Edmunds Augenbrauen schoben sich noch etwas höher und er zog seine Hände aus den Taschen um sie vor der Brust zu verschränken. „Packen? Warum?“, verlangte er zu wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen. Die Alte seufzte und leckte sich kurz über die runzeligen Lippen, ließ sich einen Moment Zeit, bevor sie antwortete: „Ihr braucht mich nicht, wenn wir ehrlich sind. Ich bin nur unnütze Ladung“, gab sie die Lüge zurück, die sie sich schon die ganze Zeit selbst erzählte. Wie sollte sie auch klar machen, dass sie einfach Angst vor der jungen Nekromantin hatte? Eine völlig irrationale Angst, immerhin war das Mädchen viel zu jung um irgendetwas mit den Erlebnissen der Vergangenheit zu tun zu haben. Und doch hatte sich diese Furcht so tief im Herzen der alten Heilerin vergraben, dass sie am liebsten Reißaus nehmen würde: so weit und so schnell es ging.

    Edmunds Augen weiteten sich kurz – oder bildete sie sich das nur ein? Sicher war, dass er sich an ihr vorbei in die Kabine drängte und sich ungeachtet der Unordnung einfach auf ihrem Bett nieder ließ um sie herausfordernd anzusehen.

    Ich brauche etwas um wach zu bleiben“, erklärte er und grinste amüsiert bei Nellis verdutztem Gesichtsausdruck. Was war das denn jetzt?

    Wach? Warum?“, fragte sie sichtlich irritiert und legte den Kopf schief.

    Wir haben heute noch etwas vor...“ erinnerte der Händlersohn sie und die Alte seufzte. Natürlich, dieser irrige Plan mit dem Trank, der in der Küche noch immer friedlich vor sich hin köchelte.

    Du könntest auch einfach noch etwas schlafen...“ gab sie zurück und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, während sich nun ihre Arme sich vor der Brust verschränkten.

    Dafür haben wir keine Zeit“, behauptete Edmund und wirkte langsam aber sicher etwas ungeduldig.

    Bis zum Einbruch der Dunkelheit sind es noch ein paar Stunden“, hielt Nelli dagegen, immer noch völlig verwirrt, was er jetzt eigentlich von ihr wollte.

    Dann eben etwas zum Schlafen!“ verlangte der Jüngere mit einem genervten Seufzen und nach einem Moment fiel der Groschen endlich. Die Haltung der alten Heilerin entspannte sich und ihre Gesichtszüge wurde etwas weicher.

    Du willst, dass ich bleibe“, stellte sie leise fest und ließ ihren Blick auf ihm ruhen, prüfend, ob sie Recht hatte. Doch Edmund schnaubte lediglich leise auf.

    Ich will nicht, dass die, denen ich vertraue, sang- und klanglos verschwinden! Hättest du dich denn wenigstens verabschiedet oder wärst du einfach in einer Nacht- und Nebelaktion abgehauen? Schönen Danke auch, dass du mich alleine auf das Schiff von diesem Typen schicken willst!“ maulte er grummelnd und Nelli unterdrückte sich das Schmunzeln. Ja, das klang schon viel eher nach Edmund, so kannte sie ihn. Dennoch wärmten seine Worte ihr Herz und sie lächelte leicht, ehe sie auf den Stuhl sank mit einem schweren Seufzen.

    Ist ja gut...Ich bleibe“, murmelte sie, was Edmund veranlasst, in die Hände zu klatschen und wieder aufzustehen, wobei einige der kleinen Glasphiolen auf dem Bett gefährlich nah an die Kante rollten und leise klimpernde Geräusche von sich gaben.

    Gut, nachdem wir das geklärt haben, bin ich jetzt mal wieder weg“, kündigte er an und Nelli musste grinsen. Natürlich, er hatte gar keine Hilfe gewollt. Gut gespielt, dass musste sie ihm lassen. Es war schon fast erschreckend, wie einfach er es schaffte, sie zu manipulieren, auch wenn sie gegen sein Nymphenblut immun war. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie auch eigentlich gar nicht gehen wollen, also war es leichtes Spiel gewesen. Sie mochte diese kleine Gruppe, für die sie sich mehr oder weniger verantwortlich fühlte.

    Der Alten war auch nur zu deutlich bewusst, dass sie Agatha auf dem Schiff nicht aus dem Weg gehen konnte. Vielleicht war es an der Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen, auch wenn sie einige Bilder sicher nie aus ihrer Erinnerung würde löschen können. Der Zwist zwischen Hexen und Nekromanten ging schon seit etlichen Generationen, immerhin versuchte die eine Partei, den Toten Frieden zu geben und die andere, sich die Toten zu nutzen zu machen. Nelli hatte an einigen Kriegen dieser Art teilgenommen, hatte Freunde und Familie sterben sehen nur um sie dann wieder auferstehen zu sehen und gegen sie kämpfen zu müssen. Doch das war schon etliche Jahrzehnte her, weit vor der Geburt der jungen Nekromantin, die oben auf Deck mit ihrer Zombie-Katze saß. War es nicht wirklich albern, dass sie selbst mit ihren 169 Jahren Angst vor einem Kind hatte?

    Ich frage mich, was sie hier noch will. So weit ich das sehen, hätte sie uns schon töten können, wenn sie das wirklich gewollt hätte. Stattdessen hilft sie uns...“, murmelte Edmund noch im Gehen und riss die Hexe damit aus ihren Gedanken. Nachdenklich zuckte Nelli mit den Schultern.

    Vielleicht weiß sie nicht, wo sie sonst hin will. Oder sie findet uns als Testobjekte spannend“, überlegte sie und begann, ihre Sachen wieder aufzuräumen um das Chaos zu beseitigen.

    Kurz runzelte Edmund die Stirn, schien etwas besorgt zu sein, ehe sich ein Grinsen auf seine Lippen schlich. „Meinst du, sie will testen, wie weit man deine runzelige Haut ziehen muss, bis sie wieder glatt ist?“ stichelte er und entlockte Nelli damit ein amüsiertes Schnauben.

    Unwahrscheinlich, so groß ist das Schiff nicht“, erwiderte sie trocken und schaute zu ihm auf, ein Schmunzeln erhellte ihr Gesicht und die Lachfalten um ihre Augen vertieften sich.

    Der Händlersohn lachte auf und seine Schultern entspannten sich wieder. „Segelersatz“, gab er zurück und funkelte sie frech an.

    Dafür reicht der Mast nicht. Und jetzt geh dich ausruhen“, verlangte sie und schüttelte leicht den Kopf. „Ich rette deinen Hintern später ganz sicher nicht, nur weil du übermüdet bist.“

    Nelli hatte das Gespräch mehr oder weniger schweigend verfolgt, immerhin wusste sie, dass sie nicht sonderlich nützlich sein konnte. Den Meuterer fangen lag definitiv nicht in ihrer Gewalt, der wäre schneller weg, als sie auch nur vom Anleger gehumpelt wäre. Die Alte tippte sich nachdenklich ans Kinn und ließ ihren Blick über ihre ungewöhnliche Gruppe gleiten. Wenn sie ehrlich war, fragte sie sich, wie sie es bei dieser Konstellation überhaupt bis hier her geschafft hatten. Esther und Edmund schienen sich noch weniger grün zu sein als sonst, Edmund und Trevor waren in Kombination der Inbegriff von Chaos, Andre ein absolutes Rätsel und sie selbst ungefähr genauso hilfreich wie dieser Kater, der ohne das Messer im Rücken schon fast als niedlich durchgehen würde in ihren Augen. Dieses Abenteuer war wirklich größer geworden, als sie es zu Beginn vermutet hatte, als sie sich an Bord der Eleftheria geschummelt hatte. Aber dennoch kam sie nicht umhin, diese Leute als ihre Freunde, fast eine Art Familie zu sehen. Zwar eine Familie, vor der jeder normale Mensch Reißaus nehmen würde und für die man starke Nerven brauchte, aber noch immer eine Familie.

    Sie hatten beschlossen, dem Piraten in der Dunkelheit aufzulauern, wenn er vielleicht schon nicht mehr ganz so nüchtern war. Dann malten sich alle die besten Chancen aus. Also blieb ihr noch genügend Zeit, sich um den Trank zu kümmern, der besser funktionieren würde, je länger er kochte. Also gesellte sie sich wieder zu Edmund in die Küche und griff sich ein Brett und ihren Mörser.

    Was hast du denn da vor?“ wollte der Händlersohn misstrauisch wissen und kniff die Augen zusammen, während er mit einem Lappen vor ihrer Nase herumwedelte. „Ich hab hier grade alles sauber gemacht!“ Nelli starrte ihn für einen Moment an. „Und? Das war wohl etwas voreilig, wenn wir besprochen haben, dass ich einen Trank herstellen soll, oder?“ Sie zog ihre Augenbrauen hoch und erkannte an Edmunds Blick, dass dieser diesen Teil des Planes schon wieder vergessen hatte. „Weiß ich doch...“ brummelte er schließlich und rieb sich den Nacken, ein sicheres Zeichen für Nelli, dass er das tatsächlich schon wieder verdrängt hatte. Sie konnte es ihm nicht mal übel nehmen. Die Aussicht wieder auf diese Piraten zu treffen und wenn es nur ein einzelner war, erfreute sie ebenso wenig, wie alle anderen. Sie hatte zum Glück am wenigsten darunter leiden müssen, war nicht verletzt worden oder hatte Dinge gesehen, die völlig neu für sie wären. Edmund hingegen hatte sich seitdem deutlich verändert, vermutlich war das auch ganz natürlich, nachdem man zum ersten Mal getötet hat. „Dann lass mich dir wenigstens helfen, damit du nicht zu viel Unordnung anstellst“, verlangte er und Nelli seufzte leise. „Meinetwegen“, murmelte sie und griff nach einem zweiten Brett und einem Messer. Ihre knorrigen Finger glitten über die Gläser und Töpfe, die sie neu befüllt hatte und musterte den Inhalt nachdenklich, ehe sie begann einige hervor zu holen. Dieser Trank war deutlich komplizierter und erforderte mehr Inhaltsstoffe, als das, was sie üblicherweise herstellte. Sie konnte hören, wie Edmund ungeduldig mit den Fingern auf der Arbeitsplatte trommelte, aber das war ihr gleich, sie musste sich konzentrieren. Schließlich richtete sie sich auf und blickte auf die etlichen Ingredienzien, die sich vor ihr aufreihten. „Und du bist sicher, dass du uns mit dem Zeug nicht vergiftest?“, warf der Händlersohn zweifelnd ein, was die alte Heilerin zum Lachen brachte. „Glaub mir, wenn ich das gewollt hätte, wäre das schon lange passiert“, erwiderte sie sichtlich amüsiert. Kurz glitt ihr Blick zu dem Jüngeren, der doch wirklich ernsthaft interessiert wirkte. Also begann sie nebenbei zu erklären, was für Kräuter das waren, die sie ihn mit dem Mörser zerkleinern ließ, während sie frisches Wasser aufsetzte. Sie griff nach einer Schote, die einer Chili sehr ähnlich sah – wenn man von ihrer blass violetten Farbe absah. „Und das da?“, fragte Edmund dann und zog die Augenbrauen hoch. „Das ist eine Täublingsbohne“, erklärte Nelli, „Die wird dafür sorgen, dass wir unsere Gestalt verändern können. Dafür müssen wir uns dann nur die entsprechende Person vorstellen. Das heißt volle Konzentration, ansonsten wirst du das, woran du gerade denkst für die nächsten zwei Stunden – und wenn das ein Stück Seife ist.“ Vorsichtig schnitt sie die Bohne auf und entfernte die Samen, die sich in ihrem Inneren verbargen. Diese Samen waren eine der seltensten Zutaten, die man finden konnte und wenn, dann zu unverschämten Preisen. Dennoch bargen diese kleinen, erbsengroßen Samen unglaublich viel Magie, dass selbst die alte Hexe sie nur mit äußerster Vorsicht einsetzte. Mit der flachen Seite des Messers zerdrückte sie sie und ließ den Saft in das kochende Wasser tröpfeln. Nach und nach kam der Rest der Zutaten hinzu und konzentriert rührte sie erst in die eine, dann in die andere Richtung. „So, jetzt heißt es warten“, seufzte sie leise und begann ihre Utensilien wieder aufzuräumen. Immerhin wollte sie nicht, dass Edmund wieder einen Grund hatte sich zu beschweren – auch wenn er den zweifelsohne finden würde. Der Händlersohn schaute nachdenklich die Treppe Richtung Deck hoch. „Meinst du, es ist schon Zeit?“, fragte er abwesend und die Alte legte den Kopf schief. „Ich bezweifle, dass es schon spät genug ist. Trevor wird sicher ein Auge auf ihn haben, damit wir den richtigen Moment erwischen“, erwiderte sie nachdenklich. Der Punkt, an dem der Pirat betrunken genug war um unachtsam zu sein, aber noch nüchtern genug um ihre Fragen zu beantworten. Ein sehr schmales Zeitfenster Nellis Erfahrung nach. Sie hatten sich geeinigt, dass Esther und Trevor sich um den Matrosen kümmern würden, während sie den Trank braute, der sie und Edmund sicher an Bord des Schiffes bringen sollte, während Andre sich eher widerwillig bereit erklärte hatte, auf den Gefangenen aufzupassen. Ziemlich nett von ihm, immerhin hatte er nichts mit ihren Angelegenheiten zu schaffen, er hätte auch einfach gehen können. Vielleicht würde er sich ja doch noch ganz gut bei ihnen einleben, auch wenn Nellis Alarmsignale noch immer in seiner Nähe schrillten.

    Die nächsten Stunden verbrachte die alte Heilerin damit, in der Küche zu sitzen, den Trank umzurühren und darauf zu warten, dass es Zeit wurde, dass der erste Teil des Planes in die Tat umgesetzt werden konnte. Indigoblaue Schwaden stiegen vom Topf auf, der einen starken Geruch nach gemähtem Gras gemischt mit Schuhpolitur in der ganzen Küche verteilte. Irgendwann jagte sie Edmund aus der Küche, der ihr mit seinem unruhigen, nervösen Fingergetrommel oder dem Herumgelaufe und sinnlosem Putzen auf die Nerven ging. Wie sie sich mit ihm auf ein Schiff schleichen sollte, war ihr ein absolutes Rätsel. Warum auch immer alle geglaubt hatten, dass ausgerechnet sie beide sehr unauffällig sein würden. Vermutlich waren sie wohl eher das genaue Gegenteil, aber jeder hatte nun Mal seinen Teil beizutragen. Und irgendwie reizte Nelli auch der Gedanke, mal wieder in einem jungen Körper zu stecken.

    Nelli beobachtete, wie sich alle anderen auf dem Steg verteilten und jeder begann die Zivilisation zu genießen. Ihr Blick ruhte etwas länger auf Andre und sie zog die Augenbrauen hoch. Es war sicher spannend heraus zu finden, wie lange die anderen auf seine – oder sollte sie besser sagen ihre – Maskerade herein fielen. Denn dass der junge Matrose sicher kein Mann war, hatte sie schon schnell genug erkannt. Auch das mit seinem komischen Kater etwas nicht stimmte. Oder ihr allgemein. Etwas in der alten Heilerin schauderte jedes Mal, wenn sie das Tier oder dessen Besitzerin anschaute.

    Ihr Blick ging zu Trevor, der mit ihr zusammen das Boot bewachen wollte, bis die anderen wieder da waren. Wobei die Alte sich ernsthaft fragte, wer diese Nussschale wohl stehlen würde. Ihr war aber auch bewusst, dass es vermutlich da auch nie um das Schiff selbst ging, sondern ihre Ladung im Frachtraum. Sie selbst hatte sich nie sonderlich viel aus Geld gemacht, es hatte nur dafür reichen müssen, dass sie genug zu Essen und Zutaten für ihre Tränke hatte. Und genau da würde sie auch ansetzen. Und vielleicht war die Zeit doch mal reif für neue Kleidung. Im Grunde musste sie Edmund Recht geben, wenn er sich immer wieder über die Fetzen, die sie am Leib trug lustig machte. Im Grunde waren mittlerweile wirklich nur Stoffstreifen, die nur wie durch ein Wunder zusammen hielten. Ihr Blick glitt zu Trevor, der die Schäden am Segel begutachtete.

    Kann ich dich kurz allein lassen, Bursche?“ rief sie nach oben und schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. Der Formwandler saß oben auf dem Mast und für einen Moment war Nelli sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte, ehe er dann aber seinen Daumen nach oben streckte.

    Wenn du Hilfe brauchst, sagst du Bescheid“, verlangte er, was der alten Frau ein leises Schnauben entlockte. Für neue Kleidung würde sie seine Hilfe sicher nicht in Anspruch nehmen. Kurz wanderte sie unter Deck, nahm sich etwas von dem Geld, was in einer der Truhen gelagert war, und wanderte dann selbst über den Steg an Land. Es fühlte sich komisch an, plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Der Sand auf dieser kleinen Insel hatte unter ihren Füßen nachgegeben, doch der gepflasterte Grund des Hafens, war unnachgiebig und hart. Die gefühlt hunderte von Stimmen, die ihr entgegen schallten, überforderten Nelli einen kurzen Augenblick lang, sodass sie versucht war, zurück aufs Schiff zu gehen, wo es eindeutig ruhiger war.

    Jetzt reiß dich zusammen, alte Fledermaus. Das ist nichts, was du nicht kennst!“ rief sie sich selbst zur Ordnung und lief durch die Gassen, auch der Suche nach einem Laden, der sie als Kundin auch bedienen würde.

    Ein leises Klingeln ertönte, als sie ein Geschäft betrat. „Oh, habt ihr etwas vergessen, edle...“ begann der Ladenbesitzer, brach aber schlagartig ab, als er sie erblickte. Sofort konnte Nelli sehen, wie sich sein Blick und seine Haltung veränderte, erkannte die Abscheu und den Ekel in seinen Augen. Innerlich seufzte sie. Natürlich, warum sollte es je anders sein? „Ich brauche neue Kleidung“, erklärte sie dann ruhig und setzte ein zahnloses Lächeln auf. „Ganz offensichtlich“, erwiderte der Mann murmelnd und taxierte die alte Heilerin von oben bis unten. „Ich weiß nicht, ob ich etwas habe, was eurer...Preiskategorie entspricht.“ Missbilligend schnalzte Nelli mit der Zunge und legte den Kopf schief. „Oh, mach Dir darüber keine Sorgen. Ich werde Deine Preise schon bezahlen können“, antwortete sie herausfordernd und pfiff auf irgendwelche Höflichkeiten, die an diesen Schnösel völlig verschwendet waren. Vielleicht war Edmund deshalb so, weil er in so einem Umfeld groß geworden war. „Ich benötige etwas praktisches, am besten im Kombination mit einer Schürze. Es sollte für warme Temperaturen nicht zu dick sein, aber im Winter frieren will ich auch nicht. Eine Art Jacke oder Mantel wären für schlechtes Wetter auch nicht schlecht.“ Ihr Blick ruhte bei ihrer Aufzählung auf ihrem Gegenüber. „Meinst du, du hast etwas um meinen Ansprüchen gerecht zu werden?“ wollte sie herausfordernd wissen und langsam kam Bewegung in den Ladenbesitzer, der ihr zwei Kombinationen zeigte. Nelli musterte beide, ließ ihre knorrigen Finger über den Stoff wandern und entschied sich dann für ein dunkelblaues Ensemble aus einem Rock, einer Tunika und einer Weste. Gegen das schlechte Wetter fiel ihre Wahl auf einen Umhang aus Loden, der schwer, aber auch angenehm warm auf ihrer Haut lag. Widerwillig ließ der Händler zu, dass sie sich bei ihm umzog und ihre alte Kleidung im Müll landete. Richtig freundlich wurde er erst, als er Nellis Geldbeutel sah. Dachte ich mir doch, du kleine gierige Ratte! Dennoch konnte sie sich das Grinsen kaum verkneifen, als der Mann ihr dann auch noch die Tür öffnete und ihr einen schönen Tag wünschte. Den würde er sicherlich nicht haben. Denn auch wenn sich die Alte nichts hatte anmerken lassen, so würde sie dennoch dafür sorgen, dass er es bereuen würde, so mit ihr umgegangen zu sein. Der Haarausfall, der ihn die nächsten Tage ereilen würde in Kombination mit dem hässlichen Ausschlag würden sicher eine Auswirkung auf sein Geschäft haben.

    Zufrieden mit ihrem Einkauf watschelte sie durch die Gassen, musterte die Auslagen in den Ständen und Geschäften. Schnell fand sie, was sie suchte und nach einigem Feilschen fanden etliche Kräuter, Tinkturen und auch die Zutaten für ihren Schnaps den Weg in ihren Beutel. Ihr Geldbeutel wurde immer leerer, doch das störte sie recht wenig. Es war noch genug unter Deck und einen Großteil davon würde sie ja auch zum Wohl ihrer Begleiter einsetzen. Und nach allem, was sie bisher mit ihnen erlebt hatte, konnte sie gar nicht genug Zutaten dabei haben. Alles in allem ein erfolgreicher Tag, bis sie einen bläulichen Schimmer am Rande ihres Gesichtsfeld wahr nahm. Erstaunt drehte sie sich um. Ein Geist? Hier? Jetzt?

    Etwas abwesend folgte sie der Gestalt in eine etwas ruhigere Gasse. Als sie jedoch erkannte, wer das war, stolperte sie ein paar Schritte zurück. Wie war der Name des Matrose der Elefteria noch gleich gewesen? Sandro...Siegmar...Silvester – was für ein dämlicher Name, wer würde denn sein Kind so nennen? - Stiev! Das war es! „Was willst du denn von mir?“ Das Misstrauen in ihrer Stimme war unüberhörbar, ihre letzte Begegnung mit einem Geist war nicht so gut gelaufen. Das Gespräch mit Johnny wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen, egal wie oft Trevor behauptete, dass es in Ordnung war. Und gerade Stiev, der ihretwegen gestorben war, hatte sicherlich nicht viel Liebe für ihre Gruppe übrig. „Ich will euch nur warnen. Sie sind hier und auf der Suche danach, die verlorene Mannschaft zu ersetzen. Und ziemlich sauer, dass keine Schätze unter Deck waren“, berichtete der Matrose so schnell, dass Nelli Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen. Ob er wohl wusste, dass er keiner Gefahr mehr ausgesetzt war? Da er schon lebendig nicht mit besonders viel Grips geglänzt hatte, wagte die Heilerin das zu bezweifeln. „Wenn sie euch sehen, vor allem Armod, dann wird das kein gutes Ende nehmen“, beteuerte Stievs durchscheinende Gestalt weiter. Endlose Gefahren, natürlich. Warum sollte auch irgendetwas hier friedlich ablaufen? Genervt stöhnte die Alte auf und nickte Stiev dennoch dankbar zu. „Du hast deine Pflicht und deine Aufgabe erfüllt. Ich danke dir und du kannst jetzt in Frieden Ruhen“, sagte sie ruhig, doch der Matrose streckte seine Hand nach ihr aus. „Bitte...an Bord der Elefteria sind ist noch ein Ring unter der losen Diele im Lagerraum. Bitte bringt den meiner Verlobten, sie wartet auf mich.“ Nelli schluckte schwer und nickte dann. „Ich verspreche es dir“, erwiderte sie leise und mit einem Lächeln wurde die durchscheinende Gestalt immer blasser, bis sie ganz verschwand.

    Kaspar Hauser und Ichuebenoch Vielen Dank für Euer Lob, da bin ich glatt ein bisschen rot geworden :)

    Kirisha Danke für dein ausführliches Feedback! Da sind wirklich viele Dinge dabei, mit denen ich arbeiten kann. Das mit der wörtlichen Rede ist eigentlich echt peinlich, eigentlich weiß ich es besser, aber die Geschichte ist jetzt auch schon ein bisschen älter und ich heute zu doof um es vernünftig zu überarbeiten :D Danke dir!

    Hey Ho!

    Bisher war ich eher schweigsam und schüchtern, aber heute packte mich der Ehrgeiz, nach dem ich den Ordner mit meinen Kurzgeschichten auf meinem Rechner wieder gefunden habe. Demzufolge wird es hier in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal kleine Geschichten und Ideen von mir geben. Kritik ist gern gesehen, wenn ich euch auch bitte, Rücksicht mit einer blutigen Anfängerin zu haben :whistling:

    Heute starten wir direkt mal mit einer Geschichte, die ich mal im Rahmen einer Challenge geschrieben und nie abgeschickt habe xD

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    Yamauba

    Seine Schritte führten ihn zielsicher immer tiefer in den Wald. Die roten Blätter der Ahornbäume wirbelten um seine Füße, als der Wind durch die Stämme wehte. Das Rauschen der Blätter und das Knarren der Bäume hörte sich fast wie leise Stimme an, Stimmen, die nach ihm riefen und ihn immer weiter, immer tiefer in den Wald zogen. Plötzlich meinte er ein helles Lachen zu hören und hob den Kopf. Durch den Schleier der Tränen, von denen er gar nicht gemerkt hatte, dass sie unaufhörlich über seine Wangen rannen, konnte er nur undeutlich die Umrisse des Waldes erkennen. War das da hinten wirklich eine weiße Gestalt oder täuschten ihn seine Sinne? Wie von einer unsichtbaren Macht gezogen, bewegte er sich in Richtung der Gestalt, die ihn nur noch weiter ins Dickicht zog. Er glaubte hinter einem der Bäume den Saum eines weißen Kimono gesehen zu haben und sein Herz setzte einen Moment aus. „Suki?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, was der Wind hinfort trug. Er streckte seine Hand aus und versuchte den hellen Stoff zu greifen, doch griffen seine Finger ins Leere. Schmerzhaft zog sich sein Herz zusammen und er tapste weiter in die Richtung, in der er die Lichtgestalt vermutete. Wieder klang das weiche, helle Lachen in seinen Ohren. Er konnte sie vor sich sehen, ihre dunklen Haare, ihr warmes Lächeln und ihre leuchtenden Augen, die ihm so tief in die Seele geschaut haben. Es war ihr gleich gewesen, dass er der Sohn eines Fürsten war, sie hatte ihn bedingungslos geliebt, ihm ihr Leben gewidmet. Und nun war sie fort. Hier war der Einzige Ort, wo er ihr noch nah sein konnte. „Ich folge dir, Suki.“ murmelte er leise und ging immer weiter.

    Die roten Ahornbäume wurden von dichten Tannen und Zypressen abgelöst. Das weiche Moos federte unter seinen Füßen und verbarg etliche Äste und Wurzeln, die ihn ins Stolpern brachten. Die Bäume standen dicht an dicht und ließen es kaum zu, vorherzusagen, wie spät es gerade war. Er konnte sich lediglich daran erinnern, dass es Abend gewesen war, als er dem pochenden Schmerz in seiner Brust nachgegeben und die Burg seines Vaters verlassen hatte. Still und heimlich war er verschwunden, hatte die Schatten der Nacht für sich zu nutzen gewusst. Es war nicht weit bis zum Aokigahara-Wald gewesen. Hatten sie sie hier her gebracht? War sie den gleichen Weg gegangen, wie er? Hatte man sie gehetzt, bis ihre müden Füße sie nicht mehr hatten tragen können? War sie hier in diesem weichen Moos zu Liegen gekommen, angsterfüllt und mit vom Weinen gerötetem Gesicht? Hatte man ihr wenigstens eine Möglichkeit gegeben, ihr Leid selbst zu beenden oder hatte man darauf vertraut, dass sie nach ein paar Tagen verhungern und verdursten würde? Ein deutlich undankbareres Schicksal als ihr einen Dolch zu geben, damit sie selbst entscheiden konnte, wann sie ihr Leben beenden wollte. Seine Hand glitt über den Griff seiner zwei Schwerter, welche er mit sich genommen hatte. Diese Werkzeuge und Standessymbole, die ihn als einen waschechten Samurai kennzeichneten. Es war nur recht, wenn genau dieses Privileg ihn von seinem Leid erlösen würde. Noch nicht, rief er sich selbst zurecht, Noch ist es zu früh. Noch hast du sie nicht gefunden.

    Er erinnerte sich noch genau an das erste Mal, als er ihr wunderschönes Antlitz gesehen hatte. Sie war ihm als Beute seines Bruders vorgestellt worden, der sie in einem Dorf einer befeindeten Provinz aufgesammelt und an den Hof gebracht hatte. In ihrer Heimat war sie wohl die jüngste Tochter des Fürsten gewesen, doch nun, in ihrem neuen Leben war sie ein niemand, eine Dienerin, die dazu auserkoren war, seinem Bruder zu Diensten sein zu müssen. Vom ersten Moment an hatte er sich in ihren klugen Augen verloren, die scheu und doch neugierig zu ihm aufgeschaut hatten. Als sein Bruder wieder fort musste, hatte er sie in seiner Obhut zurück gelassen. Ein leises Seufzen glitt über seine Lippen. Oh, diese Tage waren so wundervoll gewesen. Sie hatten sich verstanden, ohne miteinander reden zu müssen, ihre Augen hatten für sie gesprochen, die Blicke, die sie einander immer wieder zugeworfen hatten. Er hatte seine Gefühle nicht aussprechen müssen, sie hatte ihn auch so verstanden und diese auch noch geteilt. Sie hatten sich ihre Liebe geschworen und die Lippen des jeweils anderen gekostet. Ihre Herzen hatte im gleichen Takt geschlagen, als sie ihn während eines Gewitters in seinem Gemach aufgesucht hatte und sie ihre Liebe besiegelt hatten. Natürlich hatten sie beide gewusst, dass diese Beziehung nicht für die Ewigkeit sein konnte. Er konnte sie nicht heiraten, eine Bedienstete, eine Kriegsgefangene. Das hätte ihm sein Vater niemals erlaubt. Und doch hatte er sie geliebt, mit einer Ernsthaftigkeit und einer Leidenschaft, die ihn selbst erschreckt hatte. Und als sie ihm berichtet hatte, dass sie sein Kind erwartete, war er bereit gewesen, alles hinter sich zu lassen und mit ihr zu fliehen. Egal wo hin, so lange sie nur zusammen waren. Doch leider hatten man sie belauscht und die Nachricht an seinen Bruder weiter getragen, der außer sich vor Zorn gewesen war. Von einem Tag auf den anderen war Suki verschwunden und mit ihr die Wärme und die Sonne in seinem Leben. Lange hatte man ihn hingehalten, hatte ihm erzählt, dass man das Mädchen ins Dorf geschickt hatte zu einem Arzt. Es wäre ihr nicht gut gegangen und sie erwarte immerhin offiziell das Kind seines Bruders. Eine Lüge nach der anderen hatte man ihm aufgetischt und er hasste sich dafür, dass er sie alle geglaubt hatte. Schließlich hatte ihm sein Bruder nach einer Alkohol geschwängerten Nacht höhnisch erzählt, dass sie Suki weg gebracht hatten und er sie nie wieder sehen würde. „Im Wald, Bruder. Wir haben sie in den Wald gejagt. Das macht man so mit Huren.“ hatte er undeutlich gelallt und ihn hämisch angegrinst. Das blaue Auge am nächsten Morgen war nicht ansatzweise Strafe genug für das, was dieser Unhold, mit dem er leider verwandt war, seiner Geliebten angetan hatte. Egal, wie sehr sein Vater ihn hatte beruhigen wollen, mit Suki war auch ein Teil seiner selbst gestorben. Die Welt schien die Farbe verloren zu haben, der Ahorn wirkte nur noch blass rot, obwohl ihn sonst dessen Farbenpracht immer begeistert und fasziniert hatte. Nun dachte er nur noch an Sie, seine Suki, seine kleine Kirschblüte. Sie hatte ihr zartes Leben in seine Hände gelegt und er war nicht in der Lage gewesen, sie zu beschützen.

    Seine Schritte wurden immer schwerer und sein Atem ging stoßweise. Er wusste nicht, wie lange er schon durch diesen unwegsamen Wald gegangen war, doch er merkte, wie seine Kräfte ihn langsam aber sicher verließen. Wann hatte er das letzte Mal gegessen oder getrunken? Er konnte sich nicht daran erinnern. Hatte er seit des Geständnisses seines Bruders überhaupt etwas zu sich genommen? Und wie lange mochte das schon her sein? Er konnte sich nicht entsinnen, die letzten Tage waren nur von dem stechenden Schmerz in seinem Inneren dominiert worden, das Gefühl als wären tausende Scherben in seiner Brust, die sich in sein Herz bohrten.

    Erschöpft sank er auf die Knie. „Verzeih mir, Suki. Ich habe nicht auf dich aufgepasst.“ flüsterte er und lauschte dem Schluchzen, was seine Lippen verlassen hatte. Für den ersten Moment schien es, als ob um ihn herum die Welt stehen geblieben war und nur absolute Stille herrschte. Doch dann vernahm er sie, die weiche, betörende Stimme. „Du warst so tapfer, mein Geliebter. Komm, Komm zu mir. Lass uns für immer zusammen sein.“ flüsterte sie in sein Ohr und willig nickte er. „Vergiss den Schmerz und folge mir. Nichts wird uns noch trennen können.“ Er zog das Wakizashi aus der Scheide und legte es kurz vor sich ab. Er legte beide Hände auf den Boden, beugte sich vor, sodass seine Stirn das kühle Metall berührte. „Ich warte auf dich, mein Herz.“ flüsterte die leise Stimme wieder und er meinte ihre Hand in seinem Nacken spüren zu könne, wie ihre schmalen, zierlichen Finger über seine Schulter strichen. Er richtete sich wieder auf, setzte das Kurzschwert an seine Brust und stieß es beherzt in sein Inneres. „Jetzt sind wir frei...“ hörte er die weiche Stimme, ehe zu Boden sank und die Welt immer kleiner wurde. Das Letzte, was er hörte, war ein leises Kichern. „Das war schon fast zu einfach...“ Die Stimme klang viel höher als gerade eben noch und hatte einen harten, unangenehmen Beiklang. In ihm tauchte nur ein letzter Gedanke auf: Das war NICHT Suki.


    Mühsam setzte sie ihre Füße auf die Stufen. Deutlich sichtbar zeichnete sich der runde Bauch unter ihrem Kimono ab. Lange war sie krank gewesen, der Arzt hatte sich fast rund um die Uhr um sie gekümmert, während sie im Dorf in einer fast schon luxuriösen Unterkunft im Bett gelegen hatte. Sie war zu schwach gewesen um ihrem Liebsten Bescheid geben zu können, die Tage waren an ihr vorbei gezogen während das Fieber von ihr Besitz ergriffen hatte. Doch jetzt fühlte sie sich stärker als je, das Kind trat fröhlich gegen ihren Bauch und zwang sie zum Stehen bleiben. „Nur ruhig, mein Kleiner. Wir sind bald Zuhause.“ murmelte sie und kämpfte sich die letzten Stufen zum Eingang der Burg nach oben. Die Tür öffnete sich, bevor sie etwas tun konnte und sie blickte in ein bekanntes Gesicht. „Suki...“ sprach der älteste Sohne des Fürsten und verzog das Gesicht. Ihr fiel auf, wie blass er war, wie tief die dunklen Ringe unter seinen Augen waren. Er sah aus, als hätte er mehrere Nächte nicht geschlafen. In seinen Augen funkelte etwas, was sie nur schwer zuordnen konnte. Waren das etwa Schuldgefühle? Ein ungutes Gefühl beschlich sie. „Suki...“ wiederholte er. „Er ist nicht hier. Er ist vor ein paar Tagen verschwunden.“ Sie schwankte und war dankbar, als er auf sie zutrat um sie zu stützen. „Wo ist Euer Bruder? Was ist geschehen?“ fragte sie leise mit einem unverkennbaren Zittern in der Stimme. „Zuletzt sah man ihm am Rande des Aokigahara-Waldes.“ Ihre Knie gaben unter ihr nach und sie sank zu Boden. „Nein!“ stieß sie aus, ehe ihr die Tränen die Sicht nahmen.

    Das Schiff sank etwas ein, als sie sich vom Ufer entfernten und schwankte bedrohlich hin und her. Nelli umklammerte mit ihren knochigen Fingern die Reling. Es wäre schon wirklich bitter, wenn sie ausgerechnet jetzt sterben würden, weil sie versanken. Immerhin hatte sie auch überlebt, als Edmund sie an Land gerudert hatte und auch da war sie sich nie sicher gewesen, ob sie je wieder festes Land unter den Füßen haben würde oder ob Edmund sie einfach immer im Kreis lotste. Die Insel entfernte sich immer weiter von ihnen und die alte Heilerin zuckte zusammen, als lautes Jubelgeheul direkt neben ihr startete. Edmund und Trevor klatschten und johlten. Vor allem der Händlersohn schien ganz aus dem Häuschen.

    Auf Nimmerwiedersehen du dreckiges kleines Stück Erde ohne Bedeutung!“ rief er der Insel hinterher. Nelli fragte sich, ob dass das Eiland wirklich interessieren würde. Das war schon lange vor ihnen da gewesen und würde auch noch lang nach ihnen da sein. Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen. Immerhin würden sie endlich von ihr weg kommen und konnten ihre Reise fortsetzen, gesetzt dem Fall, die „Revenge“ würde das mitmachen. Nicht, dass Nelli kein Vertrauen in die Jungs hatte, aber dieses Schiff war sicherlich nicht für endlos lange Seefahrten tauglich. „Revenge“ erschien auch ihr ein wirklich passender Name. Auch wenn er ihrer Meinung nach ob des Zustand des Bootes eher „Hoffnung“ oder „Handwerkerglück“ hätte lauten müssen.

    Schließlich besprachen sie, wie sie die Reise weiter gestalten wollten. Man beschloss, dass die Jungs tagsüber das Ruder und das Koordinieren übernehmen sollten, während Esther und sie selbst das nachts übernehmen würden. Dann mussten sie lediglich den Kurs halten und Nelli konnte sich immerhin anhand der Sterne halbwegs orientieren. Aber dennoch waren sie in diesem Moment alle zu aufgeregt um zu schlafen, zu beseelt von der Aussicht, endlich wieder in die Zivilisation zurück kehren zu können. Selbst Edmund schien seine schlechte Laune vergessen zu haben und schaffte es mit einem Teil der Vorräte ein Essen aufzufahren, was in ihrem aktuellen Zustand einem Festmahl glitt. Nelli war ebenfalls guter Dinge, optimistisch und gut gelaunt. Jedenfalls so lange, bis sie in ihre Tasche schaute und zur Feier des Tages die letzte Flasche ihres Schnaps' anbrechen wollte. „Habt ihr die Flasche mit der besonderen Medizin gesehen?“ fragte sie in die Runde und steckte ihren Kopf tief in ihren Beutel um jedes einzelne Fach zu durchsuchen. Peinliches Schweigen legte sich über die Gruppe und die Alte hob den Kopf. Ihr Blick glitt von Trevor zu Esther und schließlich zu Edmund.

    Ein Schiff fährt nicht, wenn es nicht getauft ist...“ brachte der Formwandler schließlich hervor und Nellis Augenbrauen schossen in die Höhe.

    Und wir hatten nichts anderes da, also dachten wir, dein Schnaps wäre ein würdiger Ersatz...“ fuhr er fort und ein entschuldigender Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

    Das war die letzte Flasche. Der letzte Rest“, erwiderte die Hexe und schüttelte den Kopf.

    Ich hoffe für euch, ihr verletzt euch nicht. Wenn doch, müsst ihr leider daran sterben, dass ich eure Wunden nicht reinigen kann“ fügte sie trocken hinzu und verzog ihre Lippen zu einem missbilligenden Strich. Diese junge Brut! Sie hätten doch nur fragen müssen. Dann hätte Nelli ihnen von der Kiste Wein erzählt, die sie bei einem Ausflug ins Innere der Insel gefunden hatte, aber aufgrund des Alters für nicht mehr trinkenswert erachtete hatte. Jedenfalls nachdem sie einen Schluck probiert hatte. Aber zur Taufe des Schiffes hätte es auf jeden Fall gereicht.

    Wenn diese Nussschale jetzt nicht das schnellste Boot diesseits des Meeres ist, dann weiß ich auch nicht weiter“, stellte sie dann aber noch mit einem leichten Schmunzeln fest, ehe sie einen Schluck von ihrem Tee nahm.

    Ein paar Tage vergingen, in denen sie sich jeweils mit dem Steuern des Schiffes abwechselten. Sie kamen gut voran und laut Edmunds Karte mussten sie auch schon nah an den Felseninseln sein.

    Mit zwischen den Lippen geklemmter Zunge hielt Nelli die Schere ruhig, während sie die dunklen Locken von Edmund zwischen ihre Finger zog.

    Und du bist sicher, dass du das kannst?“ fragte der Händlersohn und Nelli konnte das Misstrauen in seiner Stimme hören.

    Mach dir keine Sorgen. Ich habe meine eigenen Haare schon immer selber geschnitten, da wird das hier nicht groß anders sein“, antwortete sie fahrig, was ihn aber nicht sonderlich zu beruhigen schien. Stattdessen zog er seinen Kopf gerade weg, als sie die Schere ansetzen wollte.

    Ich hab es mir anders überlegt. Kannst du nicht erst mal an Trevor üben?“ Der Formwandler schaute ihn erstaunt an und fuhr sich durch die Haare, die er heute in einen Zopf gebunden hatte. Die waren wirklich deutlich länger als zu Beginn ihrer Reise, aber im Gegensatz zu Edmund schien ihn das nicht zu stören. Auch, dass sein Bart deutlich länger und wilder geworden war schien ihm nichts auszumachen, während der Händlersohn nun schon seit Tagen klagte, dass er keinen Spiegel hatte um sich zu rasieren. Aber Nelli durfte ihm auch nicht zur Hand gehen. Das sollte mal einer verstehen.

    Die alte Heilerin stemmte die Hände in die Hüfte und wollte gerade etwas erwidern, als das Schiff einen heftigen Schlag von der Seite bekam und zu Schwanken begann. Nelli konnte sie gerade noch so fest halten, ansonsten hätte sie mit den harten Planken der „Revenge“ Bekanntschaft geschlossen. Esther stolperte die Treppe nach oben, sie hatte bis gerade noch geschlafen.

    Was war das denn?“ wollte sie wissen und rieb sich die Stirn, die sie sich wohl eingeschlagen hatte. Trevor lehnte sich über die Reling und anhand seines Blickes wusste die Hexe, dass es nichts Gutes war.

    Edmund, leicht backbord lenken und alle Segel setzen“, wies er an und seine Stimme klang deutlich danach, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Was Edmund natürlich nicht hinderte, es trotzdem zu versuchen. Mit einem genervten Seufzen fragte er: „Wieso? Was ist da denn so grausames?“ Seine Worte troffen vor Ironie und Unglauben, doch Trevors Blick brachte ihn zum Schweigen und ließen ihn ernst werden.

    Da ist ein Riesenkraken, der gerade ein anderes Schiff frühstückt. Ich wäre ungern der Nachtisch.“

    Nelli untersuchte die junge Frau vorsichtig und schwieg eine ganze Weile. Als sie ein leises Schluchzen vernahm, musterte sie Esther besorgt.

    Alles in Ordnung, Kindchen?“ fragte sie sanft und tätschelte den Arm der Gräfin. Verstohlen wischte die sich weitere Tränen weg und nickte betreten.

    Ja“, erwiderte sie und lächelte tapfer, doch die alte Heilerin nahm ihr das nicht ab. Esther sah nach allem aus, aber nicht danach, dass alles in Ordnung war. Also beschloss sie nach einem kurzen Moment der Stille das Thema nicht auf sich beruhen zu lassen.

    War das wegen diesem Thomas?“, hakte sie dann nach. Sie erinnerte sich nur zu gut an die Geschichte, die die Magierin ihr erzählt hatte und neuerliche Wut kochte in ihr hoch. Wenn sie könnte, würde Nelli diesem Kerl die schlimmsten Flüche auf den Hals hetzen, die ihrer Meinung nach jeder verdient hatte, der sich ungefragt an Frauen heranmachte. Selbst Edmund würde Ärger mit ihr bekommen, wenn er nicht sein verhalten gegenüber der Gräfin änderte.

    Die wiederum runzelte die Stirn und schaute zur alten Hexe.

    Was meinst du? Ich bin ins Loch gefallen, weil ich abgerutscht bin“, erwiderte sie und wich ganz offensichtlich dem Kern von Nellis Frage aus. Doch die war nicht bereit nachzugeben und schüttelte vehement den Kopf.

    Nein, du bist in das Loch gefallen, weil du weg gelaufen bist“, beharrte sie und tupfte die Schürfwunde an Esthers Arm ab. Mit geschickten Handbewegungen kramte sie eine kleine Flasche heraus, dessen Inhalt kaum noch existent war. Wenn sie nicht bald von dieser Insel runter kamen, würden ihre Vorräte bald endgültig aufgebraucht sein. Esther nestelte derweilen betreten an ihrem Ärmel herum und wich Nellis Blick aus, die die Wunde mit dem Rest der Flüssigkeit betupfte.

    Ich brauchte einen Moment für mich“, gab sie zu und zögerte ehe sie weiter sprach: „Aber ja, ich bin wegen Thomas weggelaufen.“

    Nellis Blick wurde schlagartig sehr ernst und atmete tief durch, ehe sie fragte: „Ist das der Kerl, den wir noch kastrieren müssen?“ Sie zwang ihre Stimme möglichst ruhig zu klingen, während sie innerlich tobte. Vor allem als Esther dann auch noch zögerlich nickte, kam Nelli nicht umher, unwillig zu brummen und das Stück Stoff in ihren Händen zu kneten.

    Dieses Monster. Sicher, dass ich ihn nicht doch mit Voodoo verhexen soll? Ich kenne da einige sehr effektive Zauber...“, schlug sie vor und legte den Kopf schief. Die Magierin lachte kurz freudlos auf.

    Er hat Finger verloren, das muss reichen. Aber danke für dein...Angebot“, erwiderte die Magierin, woraufhin Nelli deren Hand nahm und sie sanft drückte.

    Meine Liebe...Das ist nichts, was man leicht weg steckt, niemand weiß das besser als ich. Ich möchte, dass du weißt, dass ich da bin, falls du reden möchtest“, bot sie mit einem sanften Klang in ihrer sonst so rauen Stimme an und lächelte leicht, als Esther ihre Hand drückte.

    Ich komme klar“, sagte sie leise und ein schwaches Lächeln zeigte sich auf den blassen Lippen.“Aber...ich gebe zu, dass ich Thomas nicht noch einmal sehen will...“

    Auf dem runzeligen Gesicht der Alten zeigte sich ein fieser Ausdruck, der schon deutlich machte, dass man die Hexe nicht als Feind haben wollen würde.

    Das musst du auch nicht, Herzchen. Überlass ihn mir“, versprach sie und verzog den Mund zu einem bösartigen Grinsen, was immerhin Esther dazu brachte, sie endlich richtig anzusehen.

    Ich will nicht wissen, worüber du gerade nachdenkst...“ Die Heilerin zuckte nur mit den Schultern, doch das Funkeln in ihren Augen sprach Bände.

    Ich bin kein freund von Gewalt“, stellte Esther klar ehe sie den Blick abwandte und deutlich leiser hinzufügte: „Aber aufhalten werde ich dich auch nicht.“

    Nelli schmunzelte und zwinkerte der Magierin zu.

    Wer hat denn von Gewalt gesprochen? Ich habe meine Mittel und Wege.“ Sie grinste ein schiefes Grinsen, dessen fiese Natur aber nicht völlig versteckt blieb. „Meiner bescheidenen Meinung nach sollte jeder, der sich an jungen Mädchen vergeht oder es auch nur versucht, mehr als nur einen Finger verlieren.“ Sie wurde wieder ernst und ihr Blick lag wieder musternd auf Esther.

    Du darfst wütend sein und traurig. Aber versprich mir, dass du dir niemals die Schuld daran gibst. Dieser Abschaum hat weder dein Mitleid noch deine Gnade verdient, wenn du ihm doch begegnen solltest.“

    Ein tiefes Seufzen entkam der Kehle der Magierin.

    Ich habe kein Mitleid und ich gebe mir auch nicht die Schuld, es ist nur...“ Sie stockte und fuhr sich mit der hand durchs Gesicht, ein Anblick der Nelli fast das Herz brach. „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, ihm noch mal unter die Augen zu treten. Wenn Edmund diesen Handel abschließt, werde ich woanders sein.“ Sie zuckte mit den Schultern und ihr Blick wanderte wieder ziellos durch den Strand entlang. „Irgendwo, wo ich nicht mit ansehen muss wie dieser...“ ,sie stockte und biss sich auf die Unterlippe, „Dieser dampfende Haufen Mist das Fernrohr in die Hände bekommt.“

    Ein Feixen legte sich auf Nellis Gesicht. Hatte Esther grade wirklich geflucht? Das war ja mal etwas völlig Neues.

    Er wird das Fernrohr nicht bekommen. Und wenn Edmund mich danach verflucht und hassen wird. Nur über meine Leiche wird er das Ding an diesen dämlichen Nachttopf verkaufen..“ Die Alte runzelte die Stirn und legte den Kopf schief, schien zu überlegen. „Gut, für Wendy ist das wohl eher ein Argument FÜR den Verkauf und nicht dagegen...“ Eine Bemerkung, die Esther sogar ein leichtes Schmunzeln entlockte, was für den Bruchteil eines Moments auf ihren Lippen zu sehen war, ehe sie wieder die Stirn runzelte.

    Warum sollte Edmund das Fernrohr nicht verkaufen an Thomas? Er ist der Käufer und von uns wird sich Edmund nicht aufhalten lassen.“

    Nelli wiegte erneut den Kopf leicht hin und her und hoffte, dass sie sich mit ihrer nächsten Äußerung nicht täuschte: „Weil selbst unser lieber Händlersohn ein gewissen hat. Tief vergraben unter einem Haufen Gehabe und Arroganz. Niemand, der unschuldigen Frauen so was antut, sollte ein so mächtiges Magisches Artefakt in den Händen halten dürfen.“

    Esther schaute sie erschrocken an, wie ein Rehkitz, das in die Flinte des Jägers guckte.

    Ich will nicht, dass Edmund oder Trevor davon erfahren!“ Die Alte seufzte erneut und zuckte mit den Schultern. Die Aufgabe würde sie der Magierin nicht abnehmen können. Beschwichtigend hob sie die Hände.

    Vielleicht musst du ihnen nicht die ganze Geschichte erzählen. Sondern lediglich, dass du Thomas kennst und er kein guter Mensch ist und vielen mit dem Fernrohr schaden könnte“, schlug sie vor und bemerkte, wie die junge Gräfin ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen presste. Die restlichen Verletzungen versorgten sie schweigend, ehe Esther die Stille durchbrach: „Ich denke darüber nach.“

    Ein paar Tage versuchten sie einen normalen Tag- und Nachtrhythmus beizubehalten, was lediglich dazu führte, dass Nelli mehr als einmal hatte Salben gegen Sonnenbrand und Mittel gegen Sonnenstich herstellen müssen. Irgendwann hatte sie vorgeschlagen, dass sie nachts arbeiteten und den Tag über schliefen. Die Idee fand schnell Zustimmung und sie stellten sich alle danach um. So war es wirklich angenehmer, wenn ihnen die Sonne nicht den ganzen Tag den Schweiß auf die Stirn trieb. Auch wenn die alte Frau das nicht hatte zugeben wollen, so hatte ihr die Hitze sehr zu schaffen gemacht. Sie war eben keine zwanzig mehr und steckte das noch schlechter weg, als die jungen Leute – auch wenn Edmund tat, als würde er am meisten von allen leiden.

    So auch an diesem Nachmittag, als er da saß und für sie alle das Frühstück zubereitete: Ein Versprechen, an das er sich erstaunlicherweise noch immer hielt.

    Nelli hatte Wasser geholt, damit sie darin ein paar Früchte kochen konnten um eine Art Kompott daraus zu machen. Sie hatte sich im Sand nieder gelassen um noch ein paar Bananen klein zu schneiden, während Edmund am Feuer stand. Nach einigen Minuten des Schweigens, begann er dann aus dem Nichts zu sprechen.

    „Wieso ist es hier eigentlich immer so unendlich heiß? Wird das hier auch mal wieder kühler? Wenn es weiter so langsam voran geht, dann bekommen wir hier ja vielleicht sogar noch den Winter mit“, maulte er und Nelli verdrehte nur die Augen.

    „Bei der Hitze kann ja niemand schlafen. Warum habe ich eigentlich überhaupt ein Feuer gemacht?“, meckerte er weiter, als die alte Frau nicht weiter reagierte. Die hatte schon abgeschaltet und hörte gar nicht weiter zu, als er sich weiter über die Hitze, die Sonne und den Sand beschwerte. Irgendwann ging auch ihr aber das ständige Genörgel auf die Nerven und sie drehte sich leicht gereizt zu ihm um.

    „Was zum Henker willst du? Du bist doch sonst nach dem Aufstehen nicht so gesprächig und schon gar nicht mir gegenüber“, fragte sie schließlich offen heraus und bewunderte, wie er sie erst mal für einen Moment verdutzt anstarrte.

    „Von dir will ich gar nichts, Hexe. Du triffst leider so gar nicht meinen Geschmack. Es ist nur grade niemand anderes da“, erwiderte er wenig schlagfertig, was Nelli schon stutzen ließ. Ihr Blick glitt kurz besorgt über sein Gesicht. Täuschte es oder schien der Händlersohn trotz des Sonnenbrandes erstaunlich blass? Und warum waren ihr die tiefen Ringe unter seinen Augen noch nie aufgefallen? Schweigend stocherte Edmund etwas im Essen herum und schien sich nicht so richtig entschließen zu können, ob er mit der Sprache rausrücken wollte oder nicht. Nach ein paar Minuten raffte er sich auf.

    „Was hat deine Hexenküche eigentlich noch so zu bieten?“ fragte er zögerlich und ließ Nellis Genervtheit verpuffen. Anscheinend gab es wirklich etwas, was ihn bedrückte. Sie gab ihre abwehrend Haltung auf, drehte sich zu ihm um, was sie damit tarnte, dass sie die Bananen dem Essen zufügte.

    „Kommt darauf an, was du brauchst“, erwiderte sie deutlich sanfter und schaute dann zu ihm auf. Er wich ihrem Blick aus und kaute seltsam nervös auf seiner Unterlippe herum.

    „Irgendetwas, was mich schlafen lässt...“ murmelte er kaum hörbar. Die alte Heilerin kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Das erklärte natürlich einiges und sofort regte sich Sorge in ihr. Wie lange ging das wohl schon? Schlief er etwa seit der Meuterei nicht mehr?

    Geht es dir mehr um das Einschlafen oder möchtest du von Träumen befreit sein?“ hakte sie ruhig nach und jede Spur von Bissigkeit war aus ihrer Stimme verschwunden.

    Edmund spannte den Kiefer an und ein trotziger Zug erschien um seine Mundwinkel.

    „Macht das denn einen Unterschied?“

    Nelli nickte langsam.

    „Das macht es tatsächlich. Je nach Kraut werden andere Aspekte des Schlafes beeinflusst“, erklärte sie und zuckte mit den Schultern, während der Händlersohn ergeben seufzte.

    „Keine Ahnung! Beides, Einschlafen und Träume...“ gab er zerknirscht zu. Nelli runzelte die Stirn. Das war wirklich schlimmer als sie vermutet hatte. Vielleicht würde seine Laune aber auch besser werden, wenn er endlich wieder schlief.

    „Gut, damit kann ich arbeiten. Ich braue dir etwas, wenn ich meine Bestände und die Kräuter der Insel gesichtet habe. Aber nur unter einer Bedingung...“ stimmte sie zu, ehe Edmund sie unterbrach.

    „Keine Experimente und du bleibst mit deinen Händen weg von mir!“ verlangte er und Nelli musste sich das lachen verkneifen.

    „Ich experimentiere nicht an dir. Keine Sorge. Und so lange du dich nicht wieder verletzt besteht auch kein Zwang, dass ich dich wieder untersuchen muss. Nein, ich helfe dir und dafür hörst du auf mich ständig 'Hexe' zu nennen.“ Edmunds Augenbrauen schnellten in die Höhe und er schaute sie irritiert an.

    „Aber du bist eine Hexe“, stellte er überflüssigerweise fest und legte den Kopf schief. Ein tiefes Seufzen kam über die runzeligen Lippen der Alten und sie fuhr sich über die Stirn.

    „Das schon. Aber es haben mir schon sehr viele Menschen als Schimpfwort an den Kopf geworfen, wenn ich nicht das gemacht habe, was sie wollten. Ich bin eine Heilerin“, versuchte sie zu erklären und meinte, eine Erkenntnis in Edmunds Augen zu sehen.

    „Es war nicht als Beleidigung gemeint“, begann er, ehe sich aber ein spitzbübisches Grinsen auf seine Lippen schlich. „Jedenfalls nicht immer. Aber meinetwegen, dann eben Heilerin.“ Gleichgültig zuckte der Händlersohn mit den Schultern, während Nelli schmunzeln musste.

    „Dir ist bewusst, dass ich auch einen Namen habe, oder?“ fragte sie amüsiert und beobachtete, wie das Grinsen auf Edmunds Gesicht breiter wurde.

    „Ja. Ich auch“ erwiderte er frech, sodass Nelli sich einen Spaß erlauben wollte. Sie zuckte also mit den Schultern.

    „Ganz wie du möchtest, Wendy, neckte sie ihn und genoss die Verwirrung, die sich auf seinem Gesicht breit machte.

    „Wendy?“ echote er und zog die Augenbrauen hoch.

    „Ja, Wendy. Für Wendel“, erklärte sie, als wäre es das natürlichste der Welt. Ihr Grinsen wurde mit jedem Moment breiter, je röter Edmunds Gesicht wurde.

    „Schon gut, Schon gut, Edmund, beruhigte sie ihn und gluckste leise. Den Anblick in seinen Augen würde sie so schnell nicht vergessen. Ganz offensichtlich hatte er damit nicht gerechnet.

    „Danke, Peternella, kam es dann aber zurück, was die Alte nun erst recht wieder zum Lachen brachte.

    „Nelli ist völlig ausreichend. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mal dran erinnern, wann ich das letzte Mal Peternella genannt wurde.“ Sie grinste breit und auch um Edmunds Mund zog sie ein Schmunzeln.

    „Kein Wunder, der Name ist ja auch viel zu sperrig. Den kann man überhaupt nicht brüllen“, merkte er an, was Nellis Augenbrauen nach oben wandern ließ. Das sagte ausgerechnet er mit seinen drei Namen, von denen kein einziger wirklich gut von den Lippen ging. Was war denn bitte Wendel für ein Name? So zuckte sie lediglich mit den Schultern.

    „Oh ja. Ich weiß auch nicht, was meine Mütter sich dabei gedacht haben“, erwiderte sie gleichgültig und steckte kleine Zweige ins Feuer. Edmund hatte den Kopf nachdenklich schief gelegt und stocherte im Essen rum. Anscheinend rang er wieder mit sich und Nelli war schon neugierig, was es dieses Mal war.

    „Woher kommst du eigentlich? Wurdest du als Hex-... Heilerin geboren oder von garstigen alten Weibern als Baby mitten in der Nacht verschleppt und in einen Kessel geworfen?“ wollte er gespielt desinteressiert wissen, doch den Sarkasmus konnte er nicht ganz verstecken. Nelli beschloss, den zu ignorieren und ihm stattdessen vernünftig zu antworten.

    „Ich war ein Waisenkind. Meine Ziehmutter hat mich aufgesammelt und ausgebildet. Ich kann mich an meine richtigen Eltern nicht erinnern“, erzählte sie ruhig, während Edmund schon wieder eine Vorlage für den nächsten fiesen Kommentar hatte.

    „Jemand hat dich freiwillig aufgenommen? Hast du dann der Ziehmutter auch deinen Namen zu verdanken?“ stichelte er und die Alte verdrehte erneut die Augen. Manchmal war es selbst ihr ein Rätsle, wie sie so ruhig bei seinen Aussagen bleiben konnte.

    „Stell dir vor, als Kind war ich sogar ganz niedlich. Aber ja, den Namen hat sie mir gegeben.“ Edmund feixte und machte sich gar keine Mühe, das zu verstecken.

    „Wie viele hundert Jahre muss ich nochmal zurück gehen, um mir das vorstellen zu können?“

    „178 Jahre“, antwortete sie und musste dann aber selbst grinsen. Edmund schien zu überlegen und runzelte dann die Stirn.

    „Nein, beim besten Willen. So weit reicht meine Vorstellungskraft nicht um zwischen den Falten auch nur irgendwas Niedliches zu entdecken“, neckte er sie und Nelli schüttelte gespielt missbilligend den Kopf.

    „Du hast eindeutig zu wenig Fantasie“, stellte sie fest und Edmund konterte direkt: „Oder du zu viele Falten.“

    Kurz überlegte die Alte und wiegte den Kopf hin und her. „Vermutlich eine Kombination aus beidem. Aber komm du erst Mal in mein Alter, dann werden wir sehen, was von deinem Aussehen noch übrig bleibt, Jungchen.“ Edmund lachte kurz auf und zuckte dann mit den Schultern.

    „Darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Meine Familie wird nicht so alt.“

    „Nicht? Macht sich jeder von euch so schnell Feinde wie du?“ Die Ironie in ihrer Stimme war unüberhörbar und der junge Händlersohn schnaubte leise.

    „Das vermutlich auch. Muss in der Familie liegen“, grinste er und Nelli zuckte mit den Schultern.

    „Sei froh, es hat auch viele Nachteile, so alt zu werden“, merkte sie an und schien mit ihren Gedanken für einen Moment ganz weit weg zu sein. Sie konnte nicht verhindern, dass ein trauriger Ausdruck in ihre Miene trat. Gesichter tauchten vor ihrem inneren Auge auf, an die sie schon lange nicht mehr gedacht hatte. Als Edmund ihr eine Schüssel mit dem fertigen Essen hinstellte, zuckte sie kurz zusammen. Unangenehm berührt räusperte sie sich und fühlte den Blick des jungen Mannes auf ihr ruhen.

    „Du hast viele Menschen in all der Zeit verloren, oder?“ fragte er und Nelli meinte fast so etwas wie Mitgefühl in seiner Stimme zu hören. Also nickte sie langsam und schaute auf die Schale vor sich.

    „Viel zu viele“, gab sie ehrlich zu. Edmund zögerte und schaute sich nach den anderen beiden um, die in etwas Entfernung noch schliefen.

    „Auch deine...Geister?“ fragte er leise, beinahe ehrfürchtig. Wieder nickte die Alte und rührte in dem Essen um.

    „Ich habe schon immer Geister gesehen und mit ihnen kommuniziert“, erklärte sie und schaute wieder zu Edmund auf, der die Stirn gerunzelt hatte.

    „Warum schleppst du dann nicht deine ganzen verlorenen Menschen mit?“ wollte er wissen und Nelli fragte sich zeitgleich, wann jemand das letzte Mal wirklich so aktiv Interesse an ihr gezeigt hatte.

    „Nicht jeder wird zu einem Geist. Nur Tote, die noch etwas auf der Erde zu erledigen haben. Wie zum Beispiel Trevors Vater, diese nutzlose Miesmuschel.“ Allein beim Gedanken an dieses Gespräch wurde die alte Frau wieder wütend. Es ging ihr nicht in den Kopf, wie Johnny hatte diese Chance vermasseln können. Edmunds Blick zeigte offene Skepsis.

    „Stimmt das wirklich mit diesem Geisterkram oder hast du Trevor nur belogen?“ Nelli kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn.

    „Das stimmt wirklich. Ich kann Geister sehen, mit ihnen sprechen und ihnen meinen Körper zur Verfügung stellen, um mit anderen zu sprechen. Was hätte ich denn davon, Trevor zu belügen?“ Dieser Gedanke ergab einfach keinen Sinn, egal, wie sie es drehte und wendete. Edmund musterte sie.

    „Keine Ahnung. Deinen Spaß und einen verzweifelten Formwandler?“ schlug er vor und die Hexe schnalzte missbilligend mit der Zunge.

    „Das ist ziemlich wenig, oder? So verrückt bin ich nun auch wieder nicht...“ merkte sie spitz an und Edmund wiegelte abwehrend ab.

    „Schon gut, schon gut. Aber was ist mit deinen Geistern? Wen kannst du schon verloren haben, wenn in deinem komischen Zirkel doch alle so uralt werden?“ wechselte er das Thema und Nelli musste sich ein grinsen wieder verkneifen.

    „Fünf Ehemänner und etliche Liebhaber?“, schlug sie amüsiert vor und legte den Kopf schief. Kurz musterte Edmund sie und grinste dann.

    „Das ist doch hoffentlich 150 Jahre her?“ neckte er sie und brachte die Alte damit wieder zum Lachen.

    „Nicht ganz, aber schon ein paar Jahrzehnte. Ich habe es die letzten Jahre vermieden, mich enger an Menschen zu binden. Ihr seid seit bestimmt guten 30 Jahren die ersten, die ich 'Freunde' nennen würde“, gab sie offen zu, was ihr einen verwunderten Blick von Edmund einbrachte.

    „Weil wir so besonders sind? Oder weil niemand was mit dir zu tun haben wollte?“ fragte er nach und musterte sie mit zusammen gekniffenen Augen. Nelli wiegte erneut den Kopf hin und her.

    „Zu viel Bindung ist schlecht, wenn man schon viele Menschen verloren hat. Man hat ständig Angst, dass das wieder passiert und versucht sich das zu ersparen“, erklärte sie langsam, fast stockend, während sie Edmunds Blick weiter auf sich spürte. Ihr Blick ging zum Horizont und ihre Gedanken wanderten weit zurück in die Vergangenheit, ehe sie eine Berührung an der Schulter zurückholte.

    „Du solltest essen, sonst wird es kalt. Und wenn Trevor wach wird, bleibt nichts mehr für uns übrig.“ Edmund nickte in Richtung der Schlafenden.

    „Falls du nachher Hilfe mit den Kräutern brauchst, sag einfach Bescheid“, fügte er noch hinzu und Nelli musste sich kurz räuspern, ehe sie sprach.

    „Danke, werde ich machen“, antwortete sie, wohlwissend, dass sie vermutlich nie darauf zurück kommen würde. Edmund war mit dem Fällen von Bäumen und dem Bau des Gerüsts schon mehr als beschäftigt.

    „Hier verzichtet auch keiner auf Hilfe...“ seufzte er theatralisch und zauberte Nelli damit wieder ein Lächeln auf die Lippen, während sie beobachtete, wie die anderen beiden wach wurden und verschlafen zum Feuer kamen.

    Unglücklich schaute Nelli Trevor nach. Sie verfluchte diesen dämlichen Pirat, der sich als sein Vater herausgestellt hatte. Hätte sie gewusst, was diese miese Kröte seinem Sohn zu sagen gehabt hatte, sie hätte einem Gespräch niemals zugestimmt. Nun fühlte sie sich als Medium benutzt und schuldig, weil es dennoch ihr Mund gewesen war, der diese Sachen ausgesprochen hatte. Die Alte hatte gehofft, Trevor helfen zu können, ihm eine Möglichkeit zu geben, sich von seiner Vergangenheit zu verabschieden. Dass diese ihn belastet hatte, war mehr als offensichtlich gewesen. Nun hoffte sie einfach, nicht noch mehr Wunden aufgerissen zu haben.

    Ihre Hände vergruben sich im Sand und sie atmete tief durch um ihre Wut über Johnny und sich selbst zu zügeln. Sie hätte es besser wissen müssen, sie hatte doch so viele Jahre Erfahrung. Langsam atmete sie ein und wieder aus. Sie ließ ihre drei Reisebegleiter viel zu nah an sich ran, sie fühlte sich für jeden von ihnen verantwortlich – selbst Edmund!

    Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal solche Gefühle für Menschen entwickelt hatte, ihr letzter Lehrling war schon mindestens fünfzig Jahre her. Das arme Mädchen hatte sie damals aus einer Hütte im Welt gerettet, in der sieben Wüstlinge sie gefangen gehalten hatten um sie dann an einen adligen Lüstling zu verschachern. Das Mädchen hatte gerade mal zwölf Sommer gezählt und schon so traurige Augen gehabt, dass es Nelli das Herz gebrochen hatte. Sie hatte sie kurzfristig betäubt um sie dann zu sich zu nehmen und auszubilden. Hübsch war die kleine gewesen mit ihrem pechschwarzen Haar. Später hatte die Heilerin dann erfahren, welche Geschichte der Adlige und die Wüstlinge erzählt hatten, doch darüber hatte sie nur lachen können. Das junge Mädchen war zu einer stolzen und selbstbewussten Frau heran gewachsen und war als Hexe und Heilerin völlig glücklich gewesen.

    Nelli...Ist alles in Ordnung?“ erklang eine Stimme neben ihr und ließ sie zusammen zucken. Esthers besorgter Blick lag auf ihr und hinter ihr warf Edmund ihr misstrauische Blicke zu.

    Ja, alles in Ordnung, schätze ich“, erwiderte sie beruhigend und winkte ab, wobei ihr Blick aber dennoch in Richtung von Trevors Gestalt glitt, die schon fast im Dschungel verschwunden war.

    Habt ihr euch gestritten?“ fragte die Magierin, die Nellis Blick gefolgt war. Die alte Heilerin seufzte leise und schüttelte den Kopf.

    Nicht wir beide. Ich habe Trevor die Möglichkeit gegeben, mit dem Geist seines Vaters zu sprechen. Das ist wohl etwas aus dem Ruder gelaufen“, erklärte sie und erntete dafür nur ein amüsiertes Schnauben von Edmund, während Esther sie mit hochgezogenen Augenbrauen anschaute.

    Du kannst mit Geistern reden?“ fragte die junge Frau noch mal nach und Nelli nickte. Manchmal vergaß sie, dass das für die meisten nicht so selbstverständlich war, wie es seit je her für sie gewesen war.

    Ich glaube, du musst aus der Sonne, Hexe. In deinem Kopf läuft noch irgendwas durcheinander“, kam es von Edmund und er schüttelte den Kopf. Die Alte verdrehte die Augen. Manchmal fragte sie sich wirklich, warum sie sich auch Sorgen um den Händlersohn machte.

    Nicht viel schlimmer, als in deinem, Söhnchen“, brummte sie und streckte ihre Finger, die sich im Sand verkrampft hatten. Esther sah hingegen eher so aus, als ob sie diese Nachricht nicht wirklich überraschen würde, eher als ob sie so etwas erwartet hätte.

    Interessant...“ murmelte sie nur und schaute erneut zu Trevors Silhouette.

    Keine Sorge, er kommt wieder. Er braucht nur ein bisschen Zeit“, merkte Nelli noch beruhigend an und hoffte, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Aber sie glaubte auch nicht, dass der junge Formwandler sie im Stich lassen würde, nicht nachdem er sie so vor seinem Vater verteidigt hatte.

    Also wo ist denn das Segel, was geflickt werden muss?“ lenkte sie schließlich das Gespräch in eine völlig andere Richtung. Sie musste jetzt etwas tun, um sich nicht mehr ganz so nutzlos vorzukommen. So sehr sie es auch mochte, sich um andere zu kümmern, umso mehr hasste sie es, wenn sie selbst diejenige war, die umsorgt werden musste.

    Nelli verzog das Gesicht.

    Wie genau stellst du dir das denn vor? Die meisten meiner Kräuter sind noch auf der Eleftheria und die, die ich hier habe, sind von der Überfahrt völlig durchnässt. Der Dschungel hier bietet auch nicht sonderlich viel“, erwiderte sie auf Edmunds Frage hin und zog die Augenbrauen nach oben.

    Ich bin eine Hexe, aber Wunder wirken kann ich...“, begann sie und brach dann plötzlich ab. Ihr fiel eine Methode ein, wie sie Trevors Heilung wirklich beschleunigen konnte, doch das war ein Pfad, der nicht ungefährlich war und einiges von ihr abverlangen würde. Sie schaute zwischen dem Schiff und ihren drei Begleitern hin und her, ehe sie schließlich seufzte. Wenn sie nicht wollte, dass sie hier noch hundert Jahre fest saßen, dann blieb ihr wohl keine andere Wahl. Esther konnte nur bedingt helfen, Edmund war schwere, körperliche Arbeit sicher nicht gewohnt (und sein Gejammer konnte sie nun wirklich nicht Ewigkeiten ertragen), während Trevor nur körperlich nicht in der Lage dazu war. Sie fuhr sich über die Stirn und nickte schließlich ergeben.

    Ich schaue, was ich machen kann. Dafür muss ich aber allein sein, wehe einer von euch folgt mir. Das kann üble Folgen haben“, warnte Nelli die Drei, während sie ihren knorrigen Zeigefinger erhoben hielt und sie ernst anschaute. Die Blicke, die ihr entgegen kamen, waren alles zwischen irritiert, besorgt und verständnisvoll.

    Bevor sie es sich anders überlegen konnte, wandte sie sich um und ging tiefer in den Dschungel der Insel hinein, bis sie auf eine kleine Lichtung kam. Sie kramte in ihrer Tasche und zog ein Tuch, mit dem sie Trevors Blut abgewischt hatte heraus, zusammen mit einer kleinen Tasche, in der sie Utensilien zum Feuermachen hatte. Sie grub etwas Erde aus und begann mit der Erde ein Pentagramm auf das Gras zu zeichnen, in dessen Mitte, die ein kleines Feuer entzündete. Mit ihrem Stock zeichnete sie in paar Runen in die freien Stellen, während sie begann leise die Beschwörungsformeln zu murmeln.

    Na'chogtan! Elegtirim-cera...Trevor ran cotglotaran...“, wisperte sie und schloss die Augen, während die Geister nach und nach von ihr Besitz ergriffen. Erst war ihre Stimme noch etwas zittrig, selbst für sie war das gefährlich. In all ihren Jahren hatte sie diese Art von Magie nur sehr selten genutzt. Sie warf das Tuch in das Feuer und wiegte ihren Körper im Takt einer Musik, die nur sie hören konnte. Immer wieder wiederholte sie die Beschwörungen während ihre Bewegungen immer wilder und unkontrollierter wurden. Mit einem scharfen Stein, mit dem sie die letzten Tage Beeren von den Büschen geschnitten hatte, schnitt sie sich nun über ihre Handfläche, sodass ihr Blut auch in das Feuer tropfte. Mit einer Geschmeidigkeit, die man ihrem alten Körper nicht zugetraut hätte, tanzte sie um das Feuer herum und stieß mal leiser und lauter kaum verständliche Wörter hervor. Sie merkte kaum, dass sie immer schwächer wurde, während sie ihre Lebensenergie gegen Trevors Gesundheit eintauschte. Gegen das Opfer von ein paar Lebensjahren würde der junge Formwandler zu Kräften kommen und seine Wunden würden bis zum Aufgehen der Sonne am nächsten Morgen verheilt sein.

    Die alte Hexe verlor das Gefühl für Zeit, in ihr brannten nur die Geister, die ihren Körper in Besitz genommen hatten. Die Energie, die nun durch sie floss, war nicht von dieser Welt. Sie hoffte nur, dass die anderen sich an ihre Mahnung halten würden. Sie wusste nicht, wie sie reagieren würden, wenn sie sie so sehen würden. Diese Art von Magie war wild und ungezügelt. Die Gefahr, dass jemand anderes dadurch zu schaden kommen würde, war nur schwer einzuschätzen und damit viel zu groß. Wenn sie sich selbst dieser aussetzte und bereit war, dieses Opfer zu bringen, war das eine Sache, doch nie würde sie wollen, dass einer der anderen verletzt oder gar getötet wurde.

    Irgendwann erlosch die Flamme des Feuers von allein, als ob jemand eine Kerze auspusten würde. Schwer atmend kam Nelli wieder zu sich und sank auf die Knie. Die Welt um sie herum nahm sie nur verschwommen wahr und ihr Körper zitterte ob der Anstrengung. Kurz schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken, während sie versuchte ihre Atmung und ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie schaute zum Himmel und wunderte sich, wann denn die Sonne unter- und die Sterne aufgegangen waren. Der Wald um sie herum war außergewöhnlich still, als wollte die Natur ihr einen Moment der absoluten Ruhe schenken. Ohne groß drüber nachzudenken, sackte sie zur Seite, ihr Kopf sank in das weiche Gras und sie schloss erneut die Augen um sich einer erholenden Ohnmacht hinzugeben. Ganz am Rande ihres Bewusstseins nahm sie noch eine Stimme wahr, die ihren Namen rief.

    Nelli kümmerte sich um Trevor und half ihm, sich langsam aufzusetzen und sich zu bewegen. Geduldig erklärte sie ihm seine Verletzungen, was passiert war und wie sie hierher gekommen waren. Sie war dankbar, den jungen Formwandler wieder unter den Lebenden zu wissen und hatte jetzt wieder Hoffnung, dass sie diese Insel lebend verlassen würden. Edmund wäre sicher komplett unter gegangen, wenn Trevor gestorben wäre und auch Esther hätte extrem darunter gelitten. Und auch sie selbst hatte schlecht geschlafen vor Sorgen um ihren neu gewonnen Freund. Denn als das sah sie die drei jungen Leute – ja auch Edmund! Sie waren zu einer Gemeinschaft zusammen gewachsen und jeder war auf seine Weise ein Stützpfeiler. Fiel einer, würden alle fallen. Das hatte sie gerade nur zu gut zu spüren bekommen. Irgendwie hatte es sich angefühlt, als hätte sie drei sehr wertvolle, aber auch sehr zerbrechliche Vasen transportiert, von denen jede schon einen Riss hatte. Nur eine falsche Bewegung und sie wären endgültig kaputt gegangen. Es hatte mehr an ihrer inneren Ruhe und ihrer Kraft gekratzt, als sie zugeben wollte. Vielleicht war sie doch langsam zu alt für diese Reisen und sollte sich wirklich mal einen ruhigen Ort suchen um dort zu bleiben oder zu ihrem Zirkel zurück kehren.

    Die alte Heilerin hoffte einfach, dass Esther Edmund ein bisschen Verstand einreden konnte, ansonsten würde er vermutlich doch noch ihren Gehstock zu spüren bekommen. Sie war bei dem letzten Gespräch mit dem Händlersohn schon so kurz davor gewesen und verspürte noch immer große Lust, ihm so ein bisschen Manieren beizubringen und ihm das Selbstmitleid aus zu prügeln. Sie hatten alle unter der Situation gelitten, nur jeder ging anders damit um.

    Nur weil Nelli selbst gefasst wirkte und es definitiv nicht das erste Mal war, dass sie Menschen hatte sterben sehen, hieß es nicht, dass es ihr nicht an die Substanz gegangen war oder es sie völlig kalt gelassen hatte. Sie hatte sich schon aufgespießt von dem Degen des Dicken gesehen, hatte geglaubt, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Nur weil es regelmäßig passiert, war es trotzdem auch nach 179 Jahren nicht angenehm, wenn einem das Missfallen einer kompletten Gruppe Menschen entgegen schwappte. Völlig egal ob es eine Dorfgemeinschaft oder die Besatzung eines Schiffes war. Es tat jedes Mal weh, wenn sie bedachte, dass sie diese Leute versorgt und ihre Beschwerden gelindert hatte. Und dennoch kam es immer wieder zu solchen oder zumindest ähnlichen Situationen. Sie hatte lediglich gelernt, dass sie rein gar nichts gegen die Dummheit der betreffenden Gruppe machen konnte. Sie musste solche Geschehnisse nur aushalten und überleben.

    Ihr Blick glitt zu dem verletzten Piraten, der hinaus aufs Meer starrte und völlig in Gedanken versunken schien und seufzte leise. Sie würden alle Zeit brauchen, um das, was passiert war, zu verarbeiten. Doch sie hatten nicht endlos viel davon, wenn sie nicht irgendwann verhungern wollten. So endlos viel gab die Insel nicht her, als das sie es hier Monate aushalten würden. Und sie für ihren Teil wollte nicht ausprobieren, wie die Drei sich in so einer Situationen verhalten würden. Vermutlich würden dann alle endgültig zusammen brechen. Das zarte Gebilde, was ihre Freundschaft war, war schon durch zu viele Feuer gegangen und sollte vielleicht erst mal ein bisschen Ruhe bekommen um anständig wachsen zu können. Doch aktuell waren sie davon noch weit entfernt.

    Nelli schaute den Strand entlang und versuchte die Umrisse von Esther auszumachen, die nun schon eine ganze Weile weg war. Hatte Edmund sie ertränkt um endgültig seine Ruhe zu haben oder hatte sie sich verlaufen? So langsam begann die Hexe sich Sorgen zu machen.

    Hallo Tariq

    Ich bin grade eben über deine Geschichte gestolpert und habe mich direkt erstmal fest gelesen. Ich habe selbst fast zwei Jahre als Alltagsbegleitung in einem Altersheim gearbeitet, sogar auf der Demenzstation. Mir sind da auch viele emotionale und eindrückliche Geschichten in Erinnerung geblieben, die den Erinnerungen von Hannah sehr ähnlich sind.

    Du hast einen tollen Stil, der einen immer tiefer in die Geschichte eintauchen lässt und dafür sorgt, dass man immer weiter lesen möchte. Normalerweise wäre das nicht meine präferierte Art von Thema, aber durch die charmanten Charaktere machst du die eigentliche Schwere der Geschichte wieder wett.

    Hannah ist eine unglaublich liebenswerte alte Dame und auch ihr Umfeld ist ziemlich spannend und interessant (ein großes Herz für Karl!)

    Ich freue mich schon auf den nächsten Teil und dem nächsten Versuch mit dem Mercedes :)

    Nelli starrte Esther für einen Moment an und musste sich kurz sammeln.

    Irgendwo am Strand schätze ich. Ich gehe es gleich herausfinden. Aber wo finde ich die Quelle? Wasser wäre für uns alle jetzt wichtig.“ Esther beschrieb ihr den Weg und so rappelte sich die alte Frau auf und entgegen Esthers Widerworte, ließ sie sie mit Trevor allein.

    Glaub mir, Liebes. Dein Gesicht wird er sicher lieber sehen als meines, wenn er wach wird.“ Sie tätschelte die Magierin beruhigend auf die Schulter und watschelte langsam den Weg entlang, den Esther ihr gewiesen und durch die Kerben in den Bäumen auch deutlich gemacht hatte. Kurz bevor sie umdrehen wollte, weil sie dachte, eine Abzweigung verpasst zu haben, meinte sie plötzlich ein Rauschen zu hören. Sie folgte dem Geräusch und stand schließlich vor der Quelle.

    Geister der Natur....Danke...“ Erschöpft ließ sie sich von dem Wasser sinken und streckte ihre Hände unter das kühle Nass, sodass dieses über ihre Arme lief und die Reste von Blut abwusch. Mit ihren Händen formte sie eine kleine Schale, in der sie das Wasser auffing um es sich ins Gesicht zu spritzen und sich ein wenig abzukühlen. Zum guter Letzt trank sie gierig ein paar Schlucke und genoss das kühle Gefühl, was ihre Kehle hinab rann.

    Sie kramte in ihrer Tasche und nahm schließlich die zwei leeren Flaschen hervor, in denen irgendwann mal der Schnaps gewesen war. Sie füllt sie bis oben hin und verschloss sie vorsichtig um ja nichts zu verschwenden. Mühsam erhob sie sich und trat den Rückweg an. Eine der Flaschen ließ sie bei Esther und half ihr, Trevor etwas davon einzuflößen. Der seufzte leise, als sie seine Lippen benetzten, was Nelli ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

    Er wird wieder. Bald ist er wieder ganz der Alte“, versicherte sie Esther erneut, ehe sie sich wieder erhob, dieses Mal um das verlorene Schaf zu finden.

    Sie lief zurück an den Strand und ging einfach in die entgegen gesetzte Richtung von ihnen. Weit weg konnte er nicht sein und sich verstecken war auf dieser kleinen Insel auch ziemlich schwierig. Nachdem sie die Insel schon eine ganze Weile umrundet hatte, erkannte sie schließlich eine Gestalt an einer Palme gelehnt. Mit einem Ächzen ließ sie sich neben ihm sinken und hielt ihm die zweite Flasche Wasser hin.

    Hier, trinkt was. Ihr seid halb verdurstet und habt eindeutig zu viel Sonne abbekommen“, begrüße sie ihn und musterte sein Gesicht, was von einem Sonnenbrand gezeichnet war. Edmund musterte die Flasche nur misstrauisch, was Nelli seufzend dazu veranlasste, selbst einen Schluck daraus zu nehmen um zu zeigen, dass sie ihn nicht vergiften wollte.

    Keine Sorge, dass Wasser kommt nicht von mir, die Quelle hat die junge Gräfin gefunden.“ Edmund beobachtete sie dennoch skeptisch und wandte dann den Blick wieder ab um auf das Wasser zu starren. Als stellte die alte Heilerin die Flasche einfach neben ihn und schwieg einen Moment.

    Sie macht sich Sorgen um Euch. Die Gräfin meine ich. Genauso wie ich. Was tut Ihr hier?“, fragte sie schließlich, doch Edmund strafte sie weiter mit Schweigen. Unwillig kniff die Alte ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Gut, wenn er es nicht anders wollte.

    Ihr ward sehr mutig. Und ich danke euch, dass ihr mich verteidigt habt.“ Ah, endlich eine Reaktion. Edmunds Gesicht verzog sich zu einer Grimasse und er erinnerte Nelli an ein verwundetes Tier. Ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen.

    Geh weg. Lass mich in Ruhe“, krächzte er heiser und wandte ihr nun endgültig den Rücken zu. Die Alte räusperte sich.

    Um was zu tun? Euch hier sterben zu lassen?“, wollte sie wissen und bekam als Antwort ein gebrummtes „Ja.“

    Das werde ich mit Sicherheit nicht. Dir ist bewusst, dass hier so lange sitzen bleibe, bis du mit mir redest. Und wenn es Ewigkeiten dauert. Ich habe eine Menge Zeit. Die Insel bietet nicht wirklich viel Beschäftigung“ forderte sie ihn weiter heraus. So lange er wenigstens irgendwie sprach, war sie zufrieden. Und wenn er sie beleidigte, weil sie ihm nicht den gebührenden Respekt erwies, dann hatte sie es aber immerhin geschafft, ihn aus seinen Gedanken zu reißen.

    Ich will nicht reden“, murmelte Edmund nach einigen Augenblicken des Schweigens. Nelli streckte ihre Beine aus und nickte langsam.

    Gut, dann also nicht reden. Also möchtest du weiter in deinem Gedankenstrudel fest hängen und darin ertrinken. Tut dir das gut? Hast du Spaß?“, triezte sie ihn weiter bis er sich zu ihr umdrehte und sie wütend anfunkelte.

    Ich habe grade nur einen Gedanken und der würde verschwinden, wenn du endlich gehst! Also hau ab!“ fuhr er sie an, doch Nelli wich nicht ein Stück vor ihm zurück, sondern schaute ihn einfach weiter ruhig an.

    Ach ja? Und der wäre?“, fragte sie nach, darum bemüht, ruhig zu bleiben und das Gespräch am Laufen zu halten.

    Du nervst! Du bist immer noch hier, obwohl ich dir gesagt habe, du sollst verschwinden!“ Seine blauen Augen blitzen förmlich vor Wut und Nelli erwiderte seinen Blick.

    Das tun Freunde nun mal! Ich lasse dich hier mit deinem Elend nicht allein!“, fauchte sie ihn an und wusste sofort, dass sie einen schritt zu weit gegangen war. Edmund zuckte zurück, als ob sie ihn geschlagen hätte und zog sich wieder in sich zurück. Innerlich schalt Nelli sich eine Närrin, sie hätte es wissen müssen.

    Ich brauche keine Freunde...“ kam es fast tonlos vom Händlersohn und die alte Hexe warf die Hände in die Luft. Langsam ging auch ihr das an die Nerven und gefühlt war es gerade an ihr, sie alle irgendwie zusammen zu halten. Es fühlte sich an, als würde sie versuchen, drei Brände gleichzeitig zu löschen und dabei war Trevor ihr kleinstes Problem.

    Dumm gelaufen. Du hast aber welche. Ich zähle mindestens drei“, brummte sie schließlich und fuhr sich durch die Haare. Sie kramte aus ihrer Tasche ihr Kopftuch und band das so, dass es ihre grauen Locken aus dem Gesicht hielt.

    Warum?“, ertönte eine leise Stimme neben ihr und ließ sie zu ihm aufschauen.

    Was 'warum'? Wir drei vertrauen dir und auf deine merkwürdige Art bist du sogar ganz nett und fürsorglich. Was auf der Eleftheria passiert ist, ist nicht deine Schuld. Nichts davon. Das ist allein die Schuld von diesen Idioten, die jetzt ohne Steuermann ziellos auf dem Meer rum treiben“ erläuterte sie ausgiebig und ließ ihren Blick auf ihm ruhen. Edmund seufzte schwer genervt auf und funkelte sie dann wieder böse an und Nelli ahnte, dass sie vermutlich schon wieder einen wunden Punkt getroffen hatte.

    Nein, die Frage war: Warum gehst du nicht einfach? Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt.“ Seine Stimme hatte wieder diesen schnippischen Unterton angenommen, der Nelli an ihren guten Absichten zweifeln ließ.

    Völlig richtig, aber mittlerweile solltest du wissen, dass ich nie das tue, was man von mir verlangt.“ Sie schmunzelte leicht und stupste ihn dann mit dem Finger gegen die Brust. „Ich weiß, dass deine harte Schale nur Fassade ist, Junge. Ich weiß, dass dir das alles unglaublich zu schaffen macht. Genau deswegen kann ich dich nicht allein lassen.“ Ihre grünen Augen funkelten nun auch mittlerweile bedrohlich, doch Edmund schien das entweder nicht zu merken oder es war ihm schlicht egal. Unsanft schlug er ihre Hand weg.

    Du weißt gar nichts. Und hör auf mich zu duzen, Hexe!“ Nelli grinste, es war ihm also doch aufgefallen. „Geh schauen, ob sich jemand anderes für dein dummes Geschwätz interessiert.“ Der junge Mann rappelte sich auf und schwankte bedrohlich, was Nelli an seinen Zustand erinnerte. Leise seufzte sie, während Edmund sich an die Palme lehnte.

    Kommt mit zu dem Rest von uns. Esther hat nach Euch gefragt. Ich vermute, sie wird Euch selbst suchen, solltet ihr nicht mit mir kommen“, bat sie schließlich mit deutlich sanfterer Stimme und schaute zu ihm auf.

    Ich will nicht!“, brummte er und fuhr sich dann mit der Hand über das rote Gesicht. „Ich...Lebt Trevor noch?“ Seine Stimme klang ein wenig brüchig und hatte etwas flehendes, das Nelli dazu veranlasste, auf zustehen und ihm die Wasserflasche in die Hand zu drücken.

    Er wird wieder. Sein Herzschlag ist kräftiger und sein Atem gleichmäßiger, wir müssen seinem Körper jetzt einfach ein bisschen Zeit geben“, versprach sie zum wiederholten Mal an diesem Tag.

    Ich...“ Edmund wich ihrem Blick aus und starrte wieder stumpf auf das Meer. So intensiv, dass Nelli sich schon fragte, ob er da etwas erkennen konnte und er doch dem Wahnsinn näher war, als sie gedacht hatte. „Ich wollte das nicht. Wenn Trevor stirbt, ist das meine Schuld. Ich will nicht zurück. Ich will nicht dabei sein!“, brach es letztendlich aus ihm heraus und wieder nahm sein Gesicht den Ausdruck eines verwundeten Tieres an. Nelli seufzte tief und schüttelte leicht den Kopf.

    Das weiß ich. Aber er wird nicht sterben. Das verspreche ich bei meiner Ehre als Hexe.“ versuchte sie ihn zu beruhigen. Immerhin nahm er ihr jetzt mal die Flasche ab und trank einen Schluck.

    Hör auf zu sagen, dass du 'es weißt', Hexe“, maulte er dann wieder und Nelli glaubte erneut, mit einem kleinen Kind zu reden, was ihr wieder ein leichtes Schmunzeln auf die Lippen zauberte.

    Wie ihr wollt. Aber selbst ein Blinder konnte sehen, dass das definitiv nicht Eure Absichten gewesen waren. Das wäre ja auch reichlich dumm.“

    Edmund brummte wieder missgelaunt. „Und ich komme trotzdem nicht mit.“ Die Hexe seufzte schwer und war wirklich langsam am Ende ihrer Nerven. Sie baute sich vor ihm auf.

    Wovor um alles in der Welt habt ihr solche Angst?“, wollte sie mit einem verzweifelten Unterton in der Stimme wissen.

    Ich hab keine Angst!“, beharrte Edmund, doch der Älteren war nicht entgangen, wie sehr seine Hände zitterten, mit denen er die Wasserflasche noch immer umklammert hielt. Sie zwang sich tief durchzuatmen und schaute zu ihm auf.

    Bitte kommt mit mir. Ich bitte euch aufrichtig darum.“ Für ihre Verhältnisse war das schon fast ein Flehen, doch auch das stieß auf taube Ohren.

    Ich habe dich gebeten zu gehen, was du nicht gemacht hast. Also bleibt meine Antwort weiterhin: Nein! Geh! Hau ab! Lass mich in Ruhe!“ fauchte er und stellte die Flasche in den Sand und wandte sich dem Wasser zu. Nelli beobachtete, wie er sich nieder beugte und seine Hände fast schon manisch wusch. Seufzend gab sie schließlich auf und zuckte mit den Schultern.

    Ganz wir ihr wünscht. Ich will Euch nur helfen. Das kann ich aber nur, wenn Ihr mich lasst. Niemand von uns ist böse auf Euch. Wir machen uns nur Sorgen“, fügte sie in einem letzten Versuch hinzu und hörte ihn nur leise schnauben.

    Ich brauche deine Hilfe nicht. Und deine Sorge erst recht nicht...“ warf er ihr noch an den Kopf, während er seine Hände schrubbte. Nelli schüttelte den Kopf und machte sich schließlich auf den Rückweg. Esthers fragender Blick traf sie und mit einem tiefen, müden Seufzen ließ sie sich im Sand sinken.

    Er ist noch nicht so weit, er braucht noch Zeit. Wir können nur hoffen und warten“, erklärte sie ruhig und rieb sich die Augen. „Und ich brauche jetzt ein bisschen Schlaf. Ruh dich auch aus, Mädchen. Trevor ist morgen auch noch da.“

    Nelli war nach Außen hin die Ruhe selbst während sie Trevor versorgte, auch wenn sie innerlich vor Sorge schreien wollte. Die Verletzungen waren übel, richtig übel. Und sie hatte bei weitem nicht alles, was sie brauchte, um ihn richtig zu behandeln. Ganz abgesehen davon, dass die Enge der kleinen Nussschale und der schwankende Untergrund es kaum möglich machten, vernünftig zu arbeiten. Wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, ob er es schaffen würde. Doch sie tat alles, was in ihrer Macht stand um ihn am Sterben zu hindern. Den anderen beiden versicherte sie mehrmals, dass der Formwandler überleben würde, dass das alles kein Problem war und er stark war. Doch in Wirklichkeit war sie sich dessen nicht sicher, doch weder Edmund noch Esther sahen aus, als ob sie die Wahrheit verkraften würden. Esther stand unter Schock und man konnte ihr das schlechte Gewissen aus tausend Meilen Entfernung ansehen, doch sie hätte es nicht verhindern können. Das Kind war schon vor Tagen in den Brunnen gefallen.

    Edmund hingegen schien jeden Augenblick des Kampfes mit dem Fetten erneut zu durchleben, jeden wachen Moment seines Daseins. Und dabei war er so mutig und tapfer gewesen. Er hatte das getan um sie zu retten und das würde die alte Heilerin ihm nie vergessen. Aber vermutlich brauchte er jetzt klare Ansagen, genauso wie Esther, die ihr bei der Wundbehandlung von Trevor half. Beide hatten eine Aufgabe von Nelli bekommen, damit sie etwas zu tun hatten, ein absolut sicheres Mittel um Panik in den Griff zu bekommen. So lange die Hände beschäftigt waren, war auch der Geist ruhiger.

    Müde wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und schickte ein Stoßgebet an alle Götter, die sie kannte, damit der junge Formwandler bald wieder erwachte und sie einen Ort fanden, wo sie sich erholen und erst mal sammeln konnten. Ewig würde der Händlersohn auch nicht rudern können und ziellos auf dem Meer zu treiben war auch keine sonderlich angenehme Aussicht. Noch dazu, dass das Wasser um sie herum kein Trinkwasser war und sie früher oder später verdursten würden. Warum hatte sie nicht daran gedacht eine Flasche mitzunehmen? Immerhin hatte sie ihre Tasche doch sonst so gut es ging bestückt. Die Hexe ließ ihren Blick über das Meer gleiten, als ihr in der Entfernung ein blau-grünlicher Schimmer auffiel. Sie rieb sich die Augen und schaute genauer hin. Doch da waren tatsächlich die Schatten der Toten, Geister, die sie auf dem Wasser sah. Da mussten Schiffe auf Grund gelaufen oder angespült worden sein, was nur eines heißen konnte...

    Ich sehe Land!“, rief sie aus und deutete in die Richtung. Edmund kniff seine Augen zusammen und sah sie misstrauisch an.

    Ich sehe da gar nichts. Halluzinierst du, Alte?“, blaffte er sie an und Nelli schloss kurz die Augen um bis zehn zu zählen, damit sie ihn nicht zurück anschnauzte. Denk dran, er hat dich gerettet und für dich getötet...

    Vertraut mir einfach. Lenkt das Boot in diese Richtung und wir finden Land“, erwiderte sie gezwungen ruhig und deutete erneut in die Richtung der Geister. Wenn sie ihm jetzt erzählen würde, warum sie darauf beharrte, dass sie da fündig werden würden, würde er sie vermutlich endgültig aus dieser kleinen Nussschale werfen. Zu ihrer Überraschung widersprach er ihr aber nicht weiter, sondern ruderte tatsächlich ihrem Fingerzeig folgend. Vermutlich war er einfach zu müde um sich weiter mit ihr zu streiten, ein weiterer Umstand, der ihr Sorgen bereitete.

    Die Gestalten auf dem Wasser wurden immer deutlicher, genauso wie die Umrisse geborstener Masten und zerschellter Schiffe.

    Warum genau willst du uns umbringen, Hexe?“, flüsterte Edmund und die Alte glaubte so etwas wie Furcht in seiner Stimme vernehmen zu könne. Nelli verdrehte die Augen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue wandte sie sich zu ihm um.

    Wenn ich Euch tot sehen wollte, dann hätte ich einfachere Mittel und Wege. Ich hänge auch an meinem Leben“, brummte sie und starrte wieder gebannt auf die Wasseroberfläche, in der Hoffnung, dass sie sich nicht getäuscht hatte.

    Als sich endlich die Umrisse einer kleinen Insel aus dem Nebel schälten, atmete sie hörbar erleichtert aus und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Noch ein paar Tage länger in der brütenden Hitze der unbarmherzig niederbrennenden Sonne und sie wären allesamt wahnsinnig geworden. Langsam keimte auch eine vorsichtige Hoffnung in ihr auf, dass Trevor tatsächlich überleben könnte. Sie liefen mit dem kleinen Beiboot auf dem Strand auf und Nelli kletterte an Land. Mühsam ließen sie sich erst mal alle in den Sand fallen und atmeten tief durch, als könnte es keiner so richtig glauben, dass sie noch lebten. Mit Edmunds Hilfe schaffte sie es, Trevor in den Schatten von ein paar Bäumen zu legen und konnte ihn dann endlich vernünftig versorgen. Esther leistete ihr Hilfe, auch wenn die Alte an ihrem Blick sehen konnte, dass sie gedanklich ganz weit weg war.

    Danke, Kind. Den Rest schaffe ich alleine“, sagte sie schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen und deutete mit einem Nicken an, dass Esther sich ruhig entfernen konnte. Edmund konnte sie auch nicht sehen und vermutete, dass etwas Abstand und Ruhe ihnen allen vermutlich gut tun würde.

    Öööh eigentlich bringt das die Geschichte nicht voran aber es stört auch nicht besonders oder? Und den Körperbau, also athletisch und so werde ich noch einbauen. Danke für den Tipp!

    Naja, es ist unnötig. Ich brauche bei Buch-Charakteren selten deren Körbchengröße ;) Das könnten einige einfach falsch verstehen.

    Also ich hab echte Waffen genommen, weil.... ja warum eigentlich? Ich hab mir da nichts bei gedacht aber in sehr vielen Büchern wird immer mit echter Klinge trainiert. Das hab ich einfach mal übernommen.

    Mit echter Rüstung trainieren kann ich noch verstehen, weil du das Gewicht der Rüstung kennen lernen musst, aber mit echter Waffen trainieren wäre halt viel zu gefährlich. Man würde eher Übungsschwerter aus Holz nehmen oder Schwerter mit stumpfer Klinge, wenn du denn echte Schwerter haben möchtest ;) Davon abgesehen, dass die beiden ja noch "Kinder" sind und da eine Rüstung eher unwirtschaftlich wäre. Also zumindest eine, die richtig auf sie angepasst ist, da sie ja noch wachsen und man Rüstungen ja schlecht strecken kann...