Hallo liebes Forum,
ich melde mich nach längerer Abwesenheit zurück. Derzeit tobt auf allen Kanälen der Trubel, und dass ich vorhabe, noch dieses Jahr mein Release durchzuziehen (und da absolut unbewandert bin), nimmt mich das alles zeitlich doch ziemlich gefangen.
Nichtsdestotrotz wollte ich endlich meinem Versprechen nachkommen und den dritten und wahrscheinlich letzten Teil meiner kleinen, religiösen Saga raushauen. Ich denke, die Geschichte fügt sich gut in den Kontext ihrer Vorgänger ein, kann aber auch für sich alleine stehen.
Wenn ihr Lust habt, lest mal rein und schreibt mir gerne, wie ihr sie fandet
Die Geschichte von Leben und Tod
Der
gellende Schrei klang wie eine quietschende Türangel. Das kleine
Schäfchen trat aus, traf jedoch nichts als Leere.
Oljus
hielt den Hals fest umschlossen und grunzte inbrünstig. »Irhatodi,
wir kamen vom Schwarz.« Aus Leibeskräften bäumte sich das Tier
auf, bis das Weiß im panisch zuckenden Augapfel hervortrat.
Unnachgiebig hielt der bärtige Kuttenträger die Kehle des Lammes
entblößt, so dass seine Augen ebenso aussahen - aufgerissen, wild,
entrückt. »Arihatodi, darben im Schmerz.« Er zückte eine scharfe
Schneide, die gnadenlos im Fackellicht glänzte. »Unawathatodi,
enden als Schmutz.« Dann riss er die weiche Hautfalte an der Gurgel
des Tieres in Fetzen und warmes Blut sprudelte heraus wie ein
Gebirgsbach im Sonnenuntergang.
Der
rote Saft besudelte den blassen Jungen in Ritas Armen, der sich nicht
rührte.
Oljus
grölte und riss am Kopf des verreckenden Lamms, dessen Herzschlag
den blutigen Quell verstärkte, bis er allmählich abebbte und
schließlich versiegte. »Irhatodi, Arihatodi, Una - «
»Er
ist tot«, flüsterte Rita, doch laut genug, dass der Bärtige
innehielt. Sie war ebenfalls von Kopf bis Fuß mit dem Nass besudelt
und verklebt, dass nur noch zwei weiße Skleren voller Verzweiflung
zwischen den roten Massen hinausstierten. »Es war vergebens.« Ein
Schluchzen ertönte unter den Schichten roter Suppe, die träge
begannen, zu festem Talg zu trocknen.
Oljus
schmiss die Überreste des Kadavers fort und blickte sie aus
schuldschweren Augen an. »Warum?«,
fragte sie vorwurfsvoll. »Er war doch nur ein kleiner Junge. Warum?«
Ihre Stimme versagte und Rita entwich ein bitterliches Schluchzen,
als sie das leblose Körperchen in ihren Armen an sich drückte.
»Ja,
Herr - warum hat Lucio das zugelassen?« Die Stimme kam von der
anderen Seite der flackernden Kammer, wo sich die anderen Jünger
versammelt hatten - barfuß und in schäbiger Jute.
»Lucio gebietet
nicht über den Tod«, erklärte Oljus. »Er kann ihm nur zureden,
ihn befrieden, beschwören, wenn unsere Anbetung den Herrn in der
Flamme erreicht.« Er seufzte schwer. »In der Alten Heimat, in
Hadalphi, wo Epistoklepates die Offenbarung mit bloßen Fingern in
den Stein geschrieben hat, ist die Macht stärker und Lucio erhört
die Gebete seiner Jünger. Hier herrscht zuviel Frevel.«
»Es
tut so weh«, jammerte Rita und sie alle spürten ihren Schmerz.
»Wieso tut es so weh?«
»Herr«, meldete sich ein besonders
häßliches Exemplar seiner Anhängerschaft zu Wort. »Wieso musste
Ulrich sterben?«
»Bei
Lucio!«, stöhnte Oljus und sie versammelten sich um ihn. »Ihr
wollt sie also? Die Geschichte vom Tod? Ihr sollt sie haben.« Er
riss die nassen Hände empor, denen die ehrfürchtigen Blicke der
pickeligen Burschen und verschüchterten Mädchen folgten, und
offenbarte ein blutbeschmiertes Lederbuch. Die vergilbten Seiten
raschelten porös, als Oljus sie aufschlug und sabbernd zu rezitieren
begann: »Idime erwachte aus der Starre der Jahrmyriaden,
nichts weiter als ein Augenblick für den Vater, und
begann die Schöpfung, wie er sie ergrübelt hatte.
Allkosmos
war alles und beherrschte die Masse, bis Idime ihn mit dem Wort
verdrängte und den Hohlraum kreierte.
Baraxos
war der erste, der Existenz innerhalb des Raumes band - Idime zog aus
und bezwang ihn. Der Vater gewährte ihm festzuhalten, jedoch dürfe
er nicht verschlingen. So enstand die materielle Wirklichkeit.
Als
er Kronizoz mit einer List dazu bewegte, hinter den Spiegel zu
blicken, schuf er in dessen Rücken die Zeit.
Nun,
da die zeitliche Existenz entstanden war, reute es Idime im Herzen,
dass die Weiten leer und reglos vor ihm lagen. So machte er die
Pflanzen, Pilze, Würmer, Tiere - am Himmel, in der Tiefe, dem
Erdboden und darunter. Aber es gefiel ihm nicht.
Um
Leben zu schaffen, musste er die Leblosigkeit verdrängen und ihr
Gebieter war der Tod. Da der unwillig war, seine Macht aufzugeben,
aber von dem Schicksal der Übrigen wusste, die Idime getrotzt
hatten, ging er mit dem Vater eine Vereinbarung ein. Tod würde Leben
für eine endliche Zeit lassen, bis er es sich schließlich würde
einverleiben dürfen.
Sodann
schacherte Idime mit dem Brandmeister um die Seelen, die dieser
nutzte, um sein Heim zu wärmen. Der Vater gebrauchte sie für den
Zenit seiner Schöpfung - Menschen.
Und
so gedeihte das Leben in Erden, bis zu jenem Moment, da die
vorgegebene Zeit erreicht und der Tod Besitz ergreifen konnte.
Gleichgewicht herrschte - Junge wurden geboren, Alte starben und es
wurde zum gewohnten Gang in der zeitlichen Sphäre.
Nun
begab es sich, als der Vater der Kurzweil frönte, Kometen in das
Firmament zu schleudern, da ihn Kunde von Zaaza erreichte, seiner
Geliebten. Sie berichtete von Gebeten, die an ihr Ohr drangen -
Gebete tausender, abertausender Kehlen, stöhnend unter dem Joch
verfrühten Ablebens geliebter Menschen und vom Schmerz, den es mit
sich trug.
Dies
machte Idime stutzig und er horchte dem Sternenwind. So nahm er
Kenntnis von Irnakus, der Idime im hellblauen Meereshimmel der
Ewigkeit aufwartete.
Die
Gestalt des Leviathans war menschlich und gewandet in schwarze Roben.
›Idime‹, begrüßte er den anderen, wie einen alten Freund. ›Du
suchst mich auf?‹
Der
Vater schritt über das Gewässer hin zur adretten Gestalt und
krümmte seine Finger. ›Du weißt, warum ich hier bin?‹
›Lass
uns reden unter Gleichen‹, antwortete Irnakus. ›Du bestimmst über
Leben und ich über Tod. Warum teilen wir die Macht nicht? Gewähre
mir mehr vom Leben, ich erwidere es dir im Tod.‹ Die schwarzhaarige
Gestalt tippte ihre aschfahlen Fingerkuppen aneinander. ›Kürze die
Dauer der Menschen Jahre, mehre sie in den ewigen Wassern. Vergrößere
das Jenseits meines Reiches und verkünde deine Göttlichkeit.
Menschen sollten sich ihrer stets vergegenwärtigen, so leicht sind
doch ihre Herzen zu verlocken.‹
Doch
Idime knirschte mit den Backenzähnen. ›Denkst du, darum bin ich
hier? Um zu feilschen? Denkst du, deine Worte können mich umgarnen
und bezirzen? Wer denkst du, bin ich? Ein Narr?‹ Ein Lächeln
zuckte in Irnakus’ Mundwinkel.
›Kreatur,
beende deine Maskerade!‹
Ein
kalter Orkanwind fegte über das Blau der Weiten und nahm ihm die
Farbe. Die Trübe des kalten, schwarzen Nichts erwachte und der Vater
steckte bis zur Hüfte in einem See aus Schädeln.
Von der
menschlichen Gestalt waren nur die Roben geblieben - zerschlissen
hingen ihre Fetzen am weißen Knochenkorpus herab.
Mitternachtsschwarze Höhlen starrten Idime aus einem Totenschädel
an, dessen bleiches Antlitz durch die Dunkelheit schimmerte. ›Besser,
O großer Allvater?‹ Irnakus setzte sich auf seinen Thron aus
weißem Skelett und schaute auf den Vater herab. ›Ich weiß, warum
du hier bist, Idime. Aber dein Irrtum verdammt deine Taten zur
Schande.‹
›Mein
Irrtum? Wie kannst du es wagen? Weißt du nicht, dass ich allwissend
bin?‹
Der
Tod legte den Kopf schief. ›So?‹, fragte er und seine
Kieferknochen klackten. ›Allwissender nennst du dich, doch siehst
nicht, was geschieht.‹ Er ließ die Worte wirken, bevor er
weitersprach: ›Oder willst du es nicht sehen?‹ Das Klackern von
Knochen, die auf Knochen tippten, erklang, als Irnakus seine
Fingerspitzen auf einer Schädeldecke spielen ließ. ›Das Elend,
das deine Menschen verursachen - den Schmerz, den sie verbreiten -
die Plage, die sie geworden sind für Erde. Ich kann es sehen - o ja,
Idime, ich sehe es. Ich sehe, wie Stolz ihre Herzen verführt - wie
ihre Herren deine Diener mit Leiden strafen. Flehen die gequälten
Seelen in jenen Momenten zu dir? Ich bin es, der ihnen Erlösung
bringt. Ich verdamme den Hochmut der Herren, in dem ich sie vom
Erdboden tilge. Ich sehe, wie Missgunst um sich greift, Reichtum
Armut hervorbringt, Unzucht sich am Schwachen vergeht, wo Völlerei
und Trägheit herrscht. Ich sehe die Sünde und soll tatenlos warten,
bis ihre Zeit gekommen?‹«
»Meister,
wo rührt die Sünde der Menschen her?«
Als
hätte ihn eine Ohrfeige aus einem Traum geweckt, funkelte Oljus den
Jüngling an. »Wir alle werden gewahr, wie die Ketzer freveln und
gotteslästern. Wollen unseren Herrn bezichtigen ob des Elends in
Erden. Was sagt die Schrift?« Er haute mit solchem Eifer auf den
Einband, dass Blätter zu Staubwolken stoben und der Jüngling mit
dem Flaum unter den Nasenhaaren zusammenzuckte und rot anlief. »Der
Prophet lehrt, unsere Fehlbarkeit stammt von jenem, der uns
erschaffen hat.
›Grausame
Menschen schaffen grausame Werke. Wer jedoch schuf die Grausamkeit
außer die Grausamkeit selbst?‹
›Du
brichst den Eid, den du mir gabst für Heuchelei?‹, spottete Idime.
›Nun, wahrlich ist offenbar, wer der Narr ist.‹
Ein
Laut der Entrüstung entwich dem Totenkopf. ›Du beleidigst mich? Du
kommst in mein Reich - in die zeitlose Unendlichkeit und verhöhnst
mich? Ihren Herrn? Bist du wirklich so überheblich? Wenn ich will,
kann ich mir das bisschen Leben, das sich auf deinem Flecken da oben
tummelt, jederzeit nehmen. Die Frage ist, lässt du mir stattdessen
das Richtschwert? Komm. Alles was ich will, ist dein Einverständnis.‹
Idime
ballte seine Fäuste, so dass ihr Knacken deutlich zu hören war.
›Der Flecken da?‹, fragte er, bemüht, seinen Zorn im Zaum zu
halten. ›Du hast ihn gesehen?‹
Der
Totenschädel neigte sich wieder zur Seite.
›Habe
ich mich nicht klar ausgedrückt? Kreatur,
beende deine Maskerade!‹
Irnakus
entfuhr ein störrisches Zischen.
Da
rauschte ein Strom glühender Hitze heran und die Schädel und
Knochen fingen Feuer. Binnen Augenblicken verschmolz ihre Umgebung zu
einem pulsierenden Lavasee, in dem Idime bis zum Hals steckte. Dort,
wo gerade noch das Skelett in der Robe gethront hatte, waberte ein
unförmiger Fleischberg. Ein sich windender Fühlerkranz umrahmte den
absurd riesigen Augapfel zwischen aufgespreizten Lidern und
verbogenen Wimpern.
›Ja,
ich sehe alles‹,
entfuhr es einem Schlund, tief und verzerrt. ›Alles Leben, was sich
meinem Blick nicht entziehen kann, gehört mir. So wie auch deins,
Idime.‹ Eine feuerrote Pupille gleißte inmitten der im Schwarz
gebetteten Linse auf und beäugte den Vater aufgeregt. ›Gerechtigkeit
bin ich. Ich verdamme den hochmütigen Herrn, indem ich ihn vom
Erdboden tilge.‹
Als
die heißen Fluten Idimes Kopf verschlangen, triumphierte der Tod
angesichts seiner Allmacht.
Das
Auge wollte sich nun wieder seinem Entzücken, dem Menschen, widmen,
da erschall ein Rumoren aus der Tiefe.
›Wie
ist das nur möglich?‹ rätselte Irnakus. ›Alleinig ich bin ewig
und unendlich.‹
›Was
sollst du sein, wenn nicht eine Kreatur des Lebens?‹ Idime sprengte
die Fesseln der Glut und entstieg der Magma. ›Wie gedenkt Nichts
über Alles zu herrschen?‹ Die Hände trümmerten mit solcher
Urgewalt auf die Oberfläche, dass der Erdensee bebte und geborstene
Splitter durch die Luft flogen. ›Ich alleine bin unsterblich und
unbesiegbar, deine Macht endet an meinen Fäusten.‹
Fassungslos
musste Irnakus nun seinem Schicksal entgegensehen. Der Vater ergriff
das Auge und blendete es in der brodelnden Lava, bis es völligst
erblindet war. Dann ließ er den kreischenden und zappelnden
Leviathan in der Ewigkeit zurück und schritt davon. Idime verließ
den Äurup …«
»Idime
ist Adama …«
Der vorlaute Jünger bekam den Einband so hart zu
spüren, dass seine Knollnase aufplatzte wie ein rohes Ei.
»Er
war es«, sagte Rita leise, dass alle innehielten und sie gebannt
anstarrten. »Der Vater hat den Tod geblendet. Nun sieht er nicht
mehr, wen er von Erden tilgt. Seine Willkür hat mir Ulrich
genommen.« Sie drückte den Kopf des toten Jungen an ihre Brust, die
Augen waren zu hasserfüllten Schlitzen verengt.
»Sie
spricht wahr«, ergiff wieder Oljus das Wort. »Idime war es. Er
entmachtete Irnakus, in dem er ihm das Augenlicht nahm. Seither wütet
der Tod auf Erden wie ein rasendes Tier und greift wahllos um sich.
Einzig unser Herr, der dort mit ihm lodert, vermag die Endgültigkeit
leiten und zähmen.« Bedauernden Blickes bedachte er Rita. »Hin und
wieder.«
Dann
flammte wieder der lodernde Eifer auf in Oljus’ Augen. »Doch sagen
sie, betet und bittet Lucio um Gnade? Nein! In den Staub sollen wir
uns werfen, huldigen, demjenigen Vater, der uns dieses Joch auferlegt
hat.«
Erste
Rufe ertönten aus dem Haufen und Jünger ballten entschlossen ihre
Hände.
»Niemals
sage ich. Niemals beten wir zu diesem Götzen, diesem Tyrannen,
Schädling. So lehrt es uns der Glaube, der Eid, der Schrei, die
Litanei.«
Wutentbrannt
skandierten sie Parolen, schmierten Schafsblut in ihre Gesichter und
stampften mit den Fußsohlen.
»Wir
bringen die Fackel des Glaubens tief in das Herz der Ketzerei und
lassen die Feuer lodern, bis die Welt rotgewaschen ist vom Blut der
Ungläubigen und Abtrünnigen. Tod
den Verrätern! Tod
den Renegaten! Tod
Adama!«