Akrah (3/3)
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Der Heilige Staat
Die Akrahnische Gesellschaft heute ist auf dem Grundpfeiler des Vultismus aufgebaut. Der Glaube bestimmt alles von Rechtssprache über Militär, Bildung, bis hin zu Aussenpolitik. Zu'Alim, als Staatsoberhaupt und Anführer des Glaubens, hält absolute Macht und spricht den Willen der Götter. Er hat das Land nach deren Vision wiederaufgebaut und ihm zumindest einen Teil seiner einstigen Grösse zurückgegeben.
Akrah ist noch immer ein weites, wildes und teilweise sehr leeres Land. Es gibt die grossen Städte in Johriwaq, wo sich auch die Hauptstadt Baschnut befindet. Darüber hinaus gibt es die antiken Städte im Sakal-Tal, die dicht besiedelten Flutebenen um den Fluss Fawar und einige wichtige Hafenstädte entlang der Handelsrouten.
Dazwischen befinden sich oft nur hunderte von Meilen Wüste, Gebirge, Buschland und Dschungel. Kleine, isolierte Dörfer durchbrechen die Einöde. Mikrokosmen, die sich wenig um das Geschehen in den Palastgärten von Baschnut scheren.
Zu'Alim hat alle Zeichen von Stammeszugehörigkeit verboten, dennoch tragen viele Akrahnis stolz die Farben und Muster ihrer Clans und leben weiter ihre Traditionen.
Akrah ist ein vielfältiges Land und es gibt wenig, was es zusammenhalten kann, wäre da nicht Narqhat, die gemeinsame Sprache aller Akrahnis, sowie der Drang, gemeinsam etwas grosses zu schaffen, der sogar einen eigenen Namen erhalten hat: Haqrushmat.
Haqrushmat ist die Botschaft, die Zu'Alim predigt und in einem kleinen Büchlein zusammengefasst hat. Eine glorifizierte Version akrahnischer Geschichte, kombiniert mit einer Reihe von Liedern und Versen über die Wichtigkeit von Zusammenhalt und einer Warnung vor der drohenden Apokalypse. Haqrushmat wird in den Schulen der grossen Städte gelehrt, deren Besuch seit kurzem obligatorisch ist, sowie in den Dörfern durch Zu'Alims wandernde Priester gepredigt.
Die Völker von Akrah
Heute lebt im Heiligen Staat Akrah eine Vielzahl von Völker.
Ganz im Süden leben die Menschen von Ilwah in ihren Blätterbedeckten Dörfern hoch in den Baumkronen.
In den Hochebenen von Ishqat leben hochgewachsene Ziegenhirten mit dunkler Haut und Gewehren, mit denen sie angeblich auf eine halbe Meile Entfernung einen Schakal ins Herz treffen können.
In den Flutebenen rund um den Fluss Fawar leben friedliebende Bauern und Mönche, die ihre Zeit lesend im Schutz von wasserumringten Zitadellen verbringen und ihr Wissen im Tausch gegen Nahrung mit den Bauern teilen.
In den Bergen von Hiljat leben die Gorjani, ein äusserst schweigsames und genügsames Volk von Hirten, die den harten Boden ihrer steinernen Hütten jedem Bett bevorzugen. Sie gelten als begnadete Kunsthandwerker, meiden aber den Kontakt zur Aussenwelt. Man sagt, sie lassen ihre Toten von wilden Tieren fressen und pflegen noch immer eine Verbindung zu den heidnischen Götzen ihrer Ahnen.
In dem schier endlosen Sandmeer von Muraat leben die Threknaari, ein stures Volk, versessen auf Pflicht und Ehre, welches seine Herden durch die Wüste führt, immer den Linien von unterirdischen Flüssen und Quellen folgend, deren Geheimnis sie mit ihrem Leben beschützen. Die Threknaari legen Konflikte mit Duellen bis zum ersten Blut bei. Sie vergiften ihre Kopesh dabei mit der Rose von Gasou, einer Blume, die nur bei Kontakt mit Wasser ihre blauen Blüten aus ihrer trockenen, stachligen Hülle schält.
Der Verlierer des Duells wird in nahezu allen Fällen durch das Gift sterben, aber ihm bleibt genug Zeit, sich bei seiner Familie für seine Schmach zu entschuldigen und ausserhalb des Stammes einen ruhigen Ort zum Sterben aufzusuchen.
Ein unterlegener Duelant der Threknaari bittet seine Familie um Verzeihung - Bild generiert durch Midjourney
Im Sakal-Tal und den Bergen von Akrahniwaq lebt rund die Hälfte der ethnischen Akrahni in Städten, die vor Geschichte nur so strotzen. Einige der reichsten und mächtigsten Familien des Landes verweilen noch immer hier und geniessen es, wenn die Regierung um ihre Gunst werben muss, sei es die Stimme der Götter oder der Schah.
Das Volk dieser Ur-Akrahni gilt als stolz, fromm und konservativ. Sie bekleiden seit Jahrtausenden der Herrschaft zahlreiche offizielle Ämter und sind als Seefahrer auf dem ganzen Kontinent anzutreffen.
Und letztendlich im fruchtbaren Johriwaq im Norden des Landes leben die Johri. Sie sind so zahlreich, dass sie von manchen für die eigentllichen Akrahni gehalten werden. Ein Volk von Händlern, Bauern und Administratoren, deren redselige Art sich mit allen gutstellt und die viele Verbindungen zu den Kadraniern, Vodraskis und Zégornern pflegen.
Die Mehrheit der Akrahni, die nach der Maisfäule das Land verlassen hatten, sind eigentlich Johri. In ihren verschiedenen Wahlheimaten haben sie sich ein gutes Leben als Bänker, Winzer, Händler, Kämmerer, Schreiberlinge und Steuerbeamte aufgebaut.
In Der Heimat sind die Johri für ihren hervorragenden Wein und köstliche Küche, sowie für ihre Webkunst und Textilfärbereien bekannt.
Der Vultismus
Jahrtausende lang praktizierten die Akrahi die Riten des Novultismus. Sie hatten den Glauben an die Götter ohne Gesicht und Namen begründet und ihn weit über die Grenzen ihres Landes hinausgetragen. Doch in der Vision von Zu'Alim Ma'Kha offenbarten die Götter ihre Identität. Die Novultistische Lehre besagt, dass sie dies nur in zwei Fällen tun: Wenn sie der Menschheit für ihre Sünde verziehen haben und bereit sind, ihr das Geschenk der Sicht zu machen, sie zu einem höheren Status des Seins zu erheben und jegliches Unrecht und jede Gewalt in der Welt zu beenden. Oder aber, wenn die Götter ihrer Schöpfung überdrüssig sind und sich entschlossen haben, sie zu vernichten, wenn sie den Lehm der Welt wieder zu einem Klumpen formen und ihr Werk von neuem beginnen.
Zu'Alims Vision liess die Meere nicht kochen, die Berge bröckeln und die Flüsse zu Teer werden. Ihm zufolge kann dies nur bedeuten, dass sich die Menschheit nun in einem Status der Ungewissheit befindet. Die Götter sind unentschlossen - sie haben noch nicht über das Schicksal der Menschheit entschieden und müssen nun von ihrer Rechtschaffenheit überzeugt werden.
Die Identität der Götter - zumindest der Gruppe, die vor Zu'Alim getreten war, hat der Prophet im Büchlein Haqrushmat niedergeschrieben.
Als Erstes erschien ihm Mulaiq, ein Fürst unter Göttern und ein Sprecher von Recht und Ordnung.
Seine Gemahlin, Saabschi, kam als Zweites. Die Lebensspenderin wacht über Fluss und Meer.
Ihre Schwester, Thuraba, bringt den Regen und spricht mit der Stimme des Donners.
Als Viertes kam Baktusch, der Steinmetz der Berge und Gärtner der Wälder.
Seine Tochter, Muthara, wacht über den fruchtbaren Boden, das grüne Gras und die Tiere, die darauf weiden.
Niqwaat und Dhawaat erschienen als sechstes und siebtes. Die eine zieht tagsüber Urol über den Himmel, der Andere Nachts Magra.
Laehat, der Ränkeschmied des Schicksals, kam als Achtes und stellte dabei auch den letzten vor - den schweigenden Almwuh, Sammler der Seelen.
Der Gedanke eines Pantheons erschien zunächst vielen Akrahnis archaisch. Die Menschen im Süden des Subkontinents von Kalihadra beteten solche Gottheiten an, oder die Menschen des Fernen Ostens. Hier aber war man sich die Götter ohne Gesicht und Namen gewohnt. Die Idee einer überirdischen Macht schien vertrauter als das klare Bildnis eines mystischen Wesens.
Doch in den abgelegenen, von Stämmen geprägten Regionen fand der Pantheon grossen Anklang. Dort, wo man auch die novultistischen Götter nie akzeptiert hatte, schienen diese neuen Gottheiten ein akzeptabler Kompromiss zu sein.
Über die bald zwanzig Jahre von Zu'Alims Herrschaft hatte sich das anfängliche Misstrauen in überzeugten Glauben verwandelt. Die weissen Tempeltürme von Baschnut sind nun alle einer der Gottheiten gewidmet. Jede von ihnen hat eine eigene Priesterschaft, einen eigenen Feiertag und eigene Bräuche. Am Tag von Thuraba feiert man das Ende der Trockenzeit, am Tag von Muthara nehmen die Hirten ihre Schafe und Ziegen in das Buschland hinaus und der Tag vom Götterfürsten Mulaiq fällt auf den Geburtstag von Zu'Alim.
Einer der wichtigsten Riten der Akrahni ist die Sternenprüfung, die Wadnja. Bereits zu novultistischen Zeiten mussten alle jungen Anhänger des Glaubens durch die Götter in ihrem Wert geprüft werden. Dazu machen sie sich nackt und alleine auf die Reise zu einem nahegelegenen Najmaldyra, einem Steinkreis, umgeben von hohen Säulen, meist mitten in der Wildnis. Dort verbringen sie eine Nacht in Meditation, bevor sie sich als gesegnete Erwachsene zurück in ihr Dorf begeben.
Ein Pilger unterzieht sich der Wadnja - Bild generiert durch Midjourney
Eine hoffnungsvolle Zukunft
Die Menschen von Akrah leben heute unter der Kontrolle des heiligen Staats. Sie müssen sich nach dessen Regeln richten, aber ansonsten geht es ihnen gut. Die Hungersnot ist vorüber und der Handel fliesst wieder. Akrah hat im Vergleich zu Ardonien und Vodrask keine Kolonien und keine Manufakturen, die in grosser Menge Waren produzieren. Seine Armee ist unorganisiert, die Kriegsflotte in desolatem Zustand. Trotzdem sind alle Bedingungen erfüllt - der Aufstieg in eine neue Ära der Industrialisierung nur eine Frage der Zeit.
Zurzeit ist der Frieden gesichert, doch Zu'Alim wird alt. Seine Zunge ist nicht mehr so scharf, wie sie einst war und er muss sich auf die Suche nach einem Nachfolger begeben, der die Legitimität seiner Herrschaft wahren kann.
Gleichzeitig richtet sich sein Blick nach Norden, wo der Krieg zwischen Ardonien und Vodrask tobt. Der Traum von der Wiederherstellung akrahnischer Glorie bleibt bestehen, Zu'Alim wartet bloss auf eine Schwäche, die er ausnutzen kann. Darin war er schon immer gut und er ist fest entschlossen, seiner Herrschaft ein denkwürdiges Finale zu setzen.
Der Subkontinent Kalihadra heute