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Übrigens, jedes Kapitel wird gefolgt von einem Einschub in kursiv, darum die inkonsistente Formatierung.
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Der Gehstock klackte dumpf, als die Zauberin die Gemächer durchschritt und wie in einem Museum all die Kuriositäten betrachtete. Pitareth hatte sich wahrlich eine beachtliche Sammlung angeeignet. Das musste einer der vielen Vorteile sein, wenn man in der Gunst des Kaisers stand.
So wie der Kämmerling verlauten liess, hatte dieser Pitareth zu einer Sitzung gerufen. Etwas, was er dieser Tage angeblich nicht oft tat. Aber das war kein Problem, sie hatte Zeit. Zeit, um die Spielzeuge des Schosshunds zu bewundern.
Neben dem Arbeitstisch des Hofzauberers blieb Suna stehen und betrachtete das Buch in seiner Mitte. ‘Hinter dem Roten Nebel’ von Aelond Isenarth. Eine schockierend schlüssige Lektüre, obschon sie leider verboten wurde.
Mit der linken stützte sie sich schwer auf ihren Stock, während sie mit der rechten nach dem schmalen Spalt zwischen den Seiten griff. Das Buch war dort geschlossen worden, wo sie erwartet hatte. Bei der Anleitung zur Navigation astraler Energiequellen.
Suna lachte leise, musste aber sogleich husten. Es schien, als genügen die irdischen Energien Pitareth nicht mehr. Der Hofzauberer griff also nach den Sternen.
Die Tür zu den Gemächern öffnete sich und besagter Zauberer trat ein.
«Meisterin Karolun», stellte Pitareth überrascht und förmlich fest. «Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?»
«Ich war zufällig am Hof. Habe meine Resignation unterzeichnet.»
Er betrachtete sie. Er war trotz seines Alters noch ein stattlicher Mann mit vollem Haar und gepflegtem Bart. Sie dagegen hatte nichts mehr mit der jungen Zauberin gemein, die Olrim Pitareth zu seiner Studienzeit kennengelernt hatte. Bloss noch ein dürres, fleckiges Wesen. Von ihren schwarzen Locken waren ihr nur schüttere Strähnen geblieben. Sie musste aussehen wie eine gewöhnliche Aussätzige.
«Dann stimmt es also», murmelte er, bevor er die Tür hinter sich verschloss.
«Leider, ich bin nicht länger Teil der Gesellschaft Ulamitischer Zauberer.»
Pitareth schwieg einen Moment. Suna wusste nicht, was sie erwartet hatte. Worte des Beileids, Mitgefühl? Wollte sie das überhaupt? Letztendlich hatte sie sich das selbst zu verdanken. Hatte zu tief gegraben, zu viel der süssen Energie geschürft.
«Möchtest du einen Tee? Wein?»
«Wein, gerne.»
Mit einem angestrengten Seufzer liess Suna sich auf einem Sessel nieder.
«Wie lief die Ratssitzung?», wollte sie wissen.
Pitareth, der gerade eine Flasche Roter aus seiner Vitrine geholt und sie entkorkt hatte, legte seine Stirn in Falten.
«Schlecht.» Wahrscheinlich in Gedanken versunken nahm er zwei Gläser und schenkte ein. Er reichte Suna eines davon und stiess mit ihr an.
«Auf das Fortbestehen des Kaiserreichs», sprach er mit düsterer Feierlichkeit.
«Ist es so schlimm?»
«Kurz vor einem Bürgerkrieg. Reowa hat seine Unabhänigkeit erklärt, in Orth haben wir den Kontakt zu unseren Garnisonen verloren, der Kaiser stellt die Loyalität seiner Gouverneure in Frage und Söldnerhauptmänner im ganzen Land machen sich selbstständig.»
«Hat der Kaiser bereits zu den Bannern gerufen?»
«Ja, aber er glaubt nicht, dass seine Meranger Folge leisten werden. Er hat die Panzerreiter als feige Verräter beschimpft und von mir verlangt, dass ich das Problem löse.»
Suna lachte amüsiert, wurde aber sogleich von einem Husten geschüttelt, den sie in ein Taschentuch hineinwürgte. Als sie das Tuch betrachtete, war es mit geronnenen Blutklümpchen bedeckt.
«Wenn ich Ulam nicht den Wert meiner Zunft beweise, so hat er angedroht, wird er meine Position durch die Alchemisten ersetzen», sprach Pitareth unentwegt weiter.
«Diese Quacksalber?», Suna räusperte sich und liess das Tuch verschwinden. «Keinen Respekt für die natürliche Welt und die Kräfte, die darin schlummern! Ohne mich etwas anmassen zu wollen scheint mir, dass der Kaiser dir mit Absicht eine unmögliche Aufgabe gegeben hat.»
«Ich weiss», seufzte Pitareth und nahm einen tiefen Schluck Wein.
Das Kaiserhaus schien wirklich das Vertrauen in seine Magier verloren zu haben. Die Alchemisten erfanden jeden Tag neue, aufregende Tricks, während die Kräfte, mit denen sich die Zauberer befassten seit Anbeginn der Zeit bestand hatten. Für den kleinen Geist musste es den Eindruck machen, dass sie sich nicht weiter entwickelten.
Suna nahm ebenfalls einen Schluck Roten. Er schmeckte süss und ausgewogen, das war kein billiger Tropfen.
«Wie geht es dir?», unterbrach Pitareth die aufkeimende Stille.
Sie stellte das Glas hin und wickelte eine Bandage an ihrem linken Handgelenk ab. Sie hatte sie eben diesen Morgen noch erneuert.
Wenn Pitareth Ekel empfand, so liess er sich das nicht anmerken. Einzig seine steife Haltung gaben Aufschluss darüber, was er beim Anblick der Brandblasen dachte.
«Tut es weh?»
«Am Anfang fühlte es sich an, als ob man mir glühende Kohle in den Rachen schaufelte. Mittlerweile ist es besser. Nun an heissen Sommertagen fühle ich noch, wie mein Körper sich der Hitze widersetzt und wie mein Blut droht zu kochen.»
Jetzt zuckte Pitareth doch noch mit dem Auge und wandte den Blick seinem Weinglas zu. Der Anblick beschäftigte ihn also doch. Er fürchtete, genau wie sie zu enden, wenn er seine Grenzen überschritt. Wenn er nur ein kleines Stück zu gierig wurde.
«Es hat sich aber gelohnt.» Sie begann, die Bandagen fein säuberlich aufzurollen. «Ich habe einen neuen mentalen Pfad gefunden. Die Gesellschaft mag mich zwar für mein angebliches Scheitern verstossen haben, dafür bin ich nun in der Lage, viel tiefer nach den Energien der Erde zu greifen. Da unten schlummern Kräfte, die magst du dir kaum vorstellen. Steinplatten, so gross wie Länder, die sich unentwegt reiben und mahlen und dabei flüssiges Gestein zum Vorschein bringen. Ich überlege mir, ob die Akademien in Herat vielleicht Interesse an meiner Arbeit haben.»
In seinem Blick lag Unverständnis. «Du sagst, es habe sich gelohnt? Suna, dein Körper ist für immer gezeichnet, du bist krank! Wie viel Zeit bleibt dir noch?»
«Es ist nicht alles schlecht», meinte sie lächelnd und trank ihren Wein aus. «Mir ist nie mehr kalt. Ausserdem halten sich die Fliegen von mir fern.»
Sie stellte das Glas ab und erhob sich ächzend.
«Hast du bereits eine Ahnung, wie du dein unmögliches Problem lösen willst?», fragte sie.
Betrübt sah der Hofzauberer zu Boden. «Ich habe eine Spur, aber zweifle, ob sie die Richtige ist.»
«Wenn die Lage wirklich so ernst ist, bleibt dir möglicherweise nicht viel Zeit, es herauszufinden.»
Pitareth erhob sich ebenfalls und geleitete Suna zur Tür.
«Ich fürchte, du hast recht. Das Buch, das du mir geliehen hast, hat einige interessante Ansätze genannt.»
Er hielt inne und betrachtete nachdenklich die flackernden Kerzen im Raum. «Unter uns … ich lag bisher in der Annahme, dass die Anhänger von Suldraïr dieses Buch bloss nutzen, um den Glauben an die Drei Gestirne auf ketzerische Weise zu verzerren. Aber vielleicht nutze ich einige dieser Ansätze – natürlich nicht alle – für meine eigene Arbeit. Ich meine …»
«Schliesslich befinden wir uns in grosser Not», beendete Suna den Satz des Hofzauberers. «Ich bin mir sicher, der Kaiser wird über dieses Vergehen milde hinwegsehen.»
«Ja, das glaube ich auch», murmelte Pitareth und strich sich nachdenklich seine königsblaue Robe glatt, bevor er sie anlächelte. Man merkte ihm die Müdigkeit deutlich an.
Die beiden verabschiedeten sich höflich und distanziert. Als Suna Pitareth viel Erfolg bei seiner Aufgabe wünschte und im Begriff war zu gehen, rief er sie im Türrahmen nochmals zurück.
«Suna, eine Frage noch. Von Gelehrtem zu Gelehrter. Was ist der Rote Nebel?»
Suna lächelte. «Das Vierte Gestirn. Eomel – die Erde, Uton – der Mond, Iolon – die Sonne und Suldraïr – der sie alle umschliesst.