Beiträge von Myrtana222

    Nur 20 angestellte? Ich meine, es braucht Wachleute, pfleger, Ärzte, Reinigungskräfte und eventuell noch Küchenpersonal. So wirkt die Anstalt recht klein

    Uff, ich glaube, da hast du recht, das werden einfach ein paar mehr.

    Außerdem... Was muss Medya da ausgleichen? Ist sie vielleicht die Inkarnation aller göttlicher Unzulänglichkeiten? Das würde erklären, wieso sie so verrückt ist? :rofl:

    Du bist gar nicht weit weg, ich sag mal so viel: Jeder gute Statistiker hätte gar nicht so schlechte Karten, Medya zu finden. Aber mehr verrate ich nicht :X

    Zielgruppeneinschätzungen finde ich so verwirrend! :D Ich mag die koksenden Götter und finde sie sehr passend :D In Fantasy-Literatur kommen ja auch häufig Alkoholexzesse, Gras und blutige Gewalt vor, ohne dass sich da jetzt die Einstufung als Jugendliteratur per se verbietet (ist mein Eindruck).

    Ja, vielleicht sehe ich das auch ein bisschen zu eng, ich habe manchmal das Gefühl, dass die Veröffentlichung meiner letzten Geschichte daran gescheitert ist, dass sie ein bisschen zu ernste und jungendunverträgliche Themen aufgegriffen hat, deswegen sehe ich da vielleicht auch Probleme, die gar nicht existieren.

    Hier war ich kurz verwirrt, ob Krieg sich das Röhrchen vom Anfang anzündet, um sozusagen etwaig daran klebende Reste zu rauchen.

    Da hast du recht, ich habe irgendwie nicht dran gedacht, dass die Formulierung nicht sehr eindeutig ist, wird geändert.

    Allein der Einstieg, der das "übliche" Heldentum und die Götter durch den Kakao zieht.. Herrlich! Dann war ich überrascht, wie toll das bei dir funktioniert, Medya und den Erzähler diskutieren zu lassen. Sowas finde ich sonst immer schwierig, du verpackst das aber bildhaft und humorvoll ..

    Hey liliancd, freut mich, dass dir die Geschichte gefällt!

    Hier dann aber auch mal der nächste Abschnitt:


    Müde rieb sich Satis die Augen, zögerlich in den frühen Morgen blinzelnd. Es war wieder einer dieser Tage, an denen sie ihr Zeitgefühl etwas zu früh weckte, denn die Sonne hatte sich gerade so über den östlichen Rand der Welt gewagt. Ihr Herr und ihre Herrin würden noch einige Stunden schlafen, es würde keinen Grund geben, so früh den Herd zu entzün-den und das Frühstück zuzubereiten. Gähnend drehte sich Satis um, die Augen wieder geschlossen und ihren Kopf auf ihren Händen abgestürzt.
    Das traurige Bild der Realität setzte sich in Satis Kopf nur langsam zusammen. Aber ir-gendwann ließ sich einfach nicht mehr leugnen, dass sie nicht in ihrem Bett lag, immerhin roch es in ihrem Bett nicht nach faulendem Laub. Außerdem stachen ihr dort für gewöhn-lich keine Steinchen in den Rücken, und klamm und feucht war es dort auch nicht.
    Außerdem schrie ihr dort niemand „hey, du bist ja endlich wach!“ ins Gesicht, jener Mo-ment, in dem Satis endgültig mit einem Schrei aus der befreienden Gleichgültigkeit des Schlafes gerissen wurde.
    „Wa … was …“ Es dauerte nur Sekunden, bis Satis in der Realität angekommen war, sich an den vergangenen Tag und eine Menge unnötigen Eidotter erinnerte. Völlig aufgelöst saß sie da, die übermütige Medya neben ihr tollend und redend und so überhaupt nicht aus der Fassung gebracht.
    „Guuuten Morgen!“ Reckend und streckend begrüßte die magere Rothaarige den neuen Tag. „Was für eine tolle Nacht! Keine Ratte, die an meinen Ohrläppchen kaut und keine kalte Bärenschnauze, das hatte ich schon lange nicht mehr.“
    „Was … was ist hier los?“ Aufgelöster mochte Satis noch nie in ihrem Leben ausgesehen haben, die Haare zerzaust und von Schlamm verklebt, mit kleinen Ästchen darin und Blät-ter aus ihrer improvisierten Decke. Erst jetzt merkte sie, wie die Kälte der Nacht in jedem ihrer Knochen steckte. Ein kleines, schon nicht einmal mehr klimmendes Feuer war nicht unweit von ihr. Medya musste es angezündet haben, denn Satis erinnerte sich an keinen Moment des vergangenen Abends. Nur an lange, anstrengende Märsche und die Müdig-keit, die sie schließlich übermannt hatte. Noch immer schmerzten ihre Beine, als hätte sich jemand mit einem Hammer an ihnen zu schaffen gemacht, und immer mehr Details des vergangenen Tages durchdrangen ihren verschlafenen Verstand.
    „Oh nein. Bitte, bitte nicht!“ Wild tastete Satis um sich, als könnte sie die bittere Realität irgendwo ergreifen, zusammenfalten, sich darin verstecken und warten, bis ihr altes Leben zu ihr zurückkehrte wie ein untreuer Ehegatte. Aber nein, alles blieb so, wie es in jenem Moment war – ein absoluter Albtraum.
    Verständnislos blickte Medya sie an. „Wäre dir eine Bärenschnauze denn lieber gewesen? Ich schwöre dir, die mögen kuschelig aussehen, sind aber ganz ganz furchtbar aufdring-lich!“
    „Kannst du nicht einfach mal die Schnauze halten!“, kreischte Satis kurz vor einem Ner-venzusammenbruch. „Einfach mal nur still sein!“
    „Pff!“ Beleidigt kehrte Medya ihr den Rücken zu. „Dann sag ich halt gar nichts mehr, wenn Prinzesschen am frühen Morgen so mies gelaunt ist! Hätte wohl gern noch ein Deckchen und ein Kissen für die Nacht gehabt!“
    Dieser sollte einer von unsagbar vielen Momenten sein, in denen Satis einfach nicht wuss-te, was sie auf das Gebrabbel der Irren antworten sollte. Und so beschloss sie, klug wie sie war, einfach zu schweigen. Schließlich wurde es Medya bald genug, und sie wandte sich trotzig wieder um.
    „Na ja, hier bleiben können wir schließlich nicht. Du hast gestern irgendwas gesagt, wie das nächste Kaff heißt, Am … Am …“
    „Ambere“, beendete Satis den Satz. „Das ist das nächste Städtchen, und auch noch au-ßerhalb von Isingwars Herrschaftsgebiet.“
    „Ja ja, pipapo. Ich weiß nicht wie’s dir geht, aber mein Magen knurrt, und bevor wir uns auf die Socken machen, sollten wir irgendwas zwischen die Zähne bekommen.“
    Tatsächlich konnte auch Satis nicht leugnen, dass sie beißenden Hunger hatte. Gestern noch hatte ihre Müdigkeit irgendwie den Hunger bekämpft, aber jetzt schien sich etwas mit wachsender Aggressivität durch ihre Körpermitte zu fressen. Leider war das nicht ein-mal ihre größte Sorge.
    „So wie wir gerade aussehen, wird man uns aus Ambere schmeißen, noch bevor wir einen halben Fuß über die Stadtgrenze gesetzt haben.“
    „Da hast du wahrscheinlich recht, wäre bei mir nicht das erste Mal. Aber das bekommen wir irgendwie hin, glaub mir.“ Grübelnd stand Medya einen Moment nur da, bevor sie grinsend ihre unfreiwillige Weggefährtin ansah. „Wir sollten uns vielleicht doch einfach auf den Weg machen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auf dem Weg etwas zu Essen finden werden!“
    „Wenn du denkst.“ Vorsichtig stand Satis auf ihre immer noch schmerzenden Beine, strich sich Erde und Laub vom Rock. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwie fühlte es sich befrei-end an, ein Ziel vor Augen zu haben. Wahrscheinlich blieb ihr gerade nichts anderes übrig als sich auf dieses Abenteuer einzulassen, andernfalls hätte sie sich mit der kaum zu un-terdrückenden Verzweiflung in ihrem Inneren auseinandersetzen müssen.
    Mit ihrem Versprechen für ein Frühstück zu sorgen hatte Medya nicht einmal zu arg über-trieben. Schon bald hatten sie einen schmalen Waldpfad entdeckt, und nur wenige Minu-ten später stürzte sich die Rothaarige plötzlich in ein Gebüsch.
    „Heidelbeeren! Unglaublich, das dürften die ersten reifen in diesem Jahr sein!“ Genüsslich schob sich Medya eine der Beeren in den Mund, bevor sie kurz darauf Satis eine ganze Hand voll reichte. „Da drüben sind noch mehr!“
    Und das sollte nicht der letzte Moment sein, in dem Medya scheinbar aus dem Nichts heraus etwas Essbares fand. In einer kleinen Absenkung grub sie wilde Rüben aus, an ei-nem unscheinbaren Teich fand sie Wassernüsse, und Pilze schienen ihr geradezu freiwillig vor die Finger zu hüpfen.
    „Woher weißt du denn, dass die essbar sind?“, fragte Satis vorsichtig, als Medya in einen ihr unbekannten Pilz biss.
    „Wie wohl, ich frage sie!“ Wahllos pflückte sie einen weiteren Pilz und sah ihn streng an. „Na, wie sieht es mit dir aus, kann ich dich gefahrlos essen?“
    Nur für Medya sichtbar wuchsen dem Pilzchen auf einmal Augen, eine dicke Nase und ein frecher Mund. Kichernd, auf seiner Unterlippe kauend erwiderte das Pilzchen ihren Blick.
    „Ich weiß nicht, vielleicht? Probier mich doch einfach, du findest das sicher raus!“
    „Och!“ Entrüstet stemmte Medya ihre freie Hand in die Hüfte. „Du Schlingel, du bist gif-tig!“
    Kreidebleich überlegte Satis derweil, was sie alles bereits aus Medyas Händen gegessen hatte. Von Pilzen würde sie auf jeden Fall die Finger lassen.
    Bis es Mittag wurde hatte Medya genug Pflanzen, Nüsse und Wurzeln gefunden, dass bei-de ihren ärgsten Hunger stillen konnten. Manchmal schien es Satis, als würden sich die ganzen Nahrungsmittel geradezu anbiedern, im Magen der Irren zu landen. So viel Glück konnte niemand haben, und irgendwie traute Satis ihrer Weggefährtin nicht zu, so viele Sammelkenntnisse zu besitzen.
    Am frühen Nachmittag lichtete sich der Wald und gab die weiten Weideflächen und Fel-der im Umkreis Amberes Preis. Warm schien die Sonne auf die dunkelgrüne Flur, Kühe und Schafe weideten zwischen einfachen Befriedungen, unbekümmert von den Pflichten und Sorgen der Menschen. So seelenruhig und friedlich war dieser Ort, dass Medya und Satis beschlossen hier zu baden und den schlimmsten Dreck aus ihrer Kleidung zu wa-schen.
    Mit einem wirklich sonderbaren Gefühl sah Satis dabei zu, wie ihr Rock im klaren Wasser Schlieren zog, als hätte er seit Jahren keinen Waschtrog gesehen. Es war eines der besten Kleidungsstücke, die sie in ihrem Leben besessen hatte, doch jetzt war es nicht viel mehr als ein Haufen zerschlissener Lumpen, gezeichnet von ihrer hastigen Flucht und der Nacht im Wald. In diesem Moment schien es ihr, als fließe mit dem Schmutz ihr altes Leben da-von, für einen Moment noch klar sichtbar, doch dann verloren in den Wogen des Was-sers, hinfortgetragen auf ewig.
    „Jetzt schau doch nicht so traurig!“ Grinsend tauchte Medya ihre Hände durch das kühle Nass und spritzte die brünette Haushälterin nass. Mit einem erschrockenen Quietschen erwiderte Satis den heimtückischen Angriff – und fasste Medya zum ersten Mal ohne Klei-dung wirklich ins Auge. Die Rothaarige war wirklich mager, jeder Knochen, jede Rippe zeichnete sich deutlich unter ihrer Haut ab. Doch nicht einmal das war es, was Satis einen Schauder über den Rücken jagte; Narben überzogen Medyas Rücken und Schultern, feine Striche ebenso wie wulstige Auswüchse. Wenn sich Satis ehrlich war, dann wusste sie gar nicht, was sie für die unfreiwillige Wegesgefährten fühlen sollte. Unschuldig tollte Medya durch das seichte Flusswasser, wie ein Kind, das die harte Bitterkeit des Lebens noch nicht hatte schmecken müssen, doch ihr Rücken sprach eine ganz andere Sprache. Was hatte Medya alles durchleben müssen? Lebte die doch noch sehr junge Frau nur von dem, was sie in der freien Wildbahn fand? Woher kam sie und was wollte sie verdammt noch ein-mal? Satis spürte, dass der Moment für solche Fragen vielleicht noch etwas früh war, aber wer weiß, vielleicht würde sie Medya noch das ein oder andere Geheimnis entlocken, bis sich ihre Wege wieder trennen würden.

    Jetzt möchte ich meinen Senf auch noch dazugeben, ich fange bald im allerkleinstem Rahmen mit Producing an und beschäftige mich deshalb auch gerade wieder mit dieser Thematik:

    Mikrofone:

    Ich habe selber auch das Rhode NT-1A, das ja seit Jahren und bis heute ein echter Klassiker ist, und das zurecht, es ist ein tolles Mikrofon für einen guten Preis. Ich denke aber auch, dass man sich vielleicht als völliger Anfänger damit ein wenig schwer tun wird; dadurch dass es nunmal feinzeichnender und vielseitiger ist, muss es auch etwas intensiver im Equalizer und Kompressor bearbeitet werden, um wirklich toll zu klingen. Außerdem muss das Equipment Phantomspeisung liefern, dass das NT1-A überhaupt verwendet werden kann.

    Ganz am Anfang tut man sich vielleicht mit einem dynamischen Gesangsmikrofon einfacher. Diese sind eben bereits in gewisser Weise "vorequalized" und für die Aufnahme von Stimmen optimiert. Nicht falsch verstehen: Ich denke schon, dass man mit dem Großkondensator ein besseres Ergebnis erzielt, aber man muss halt wissen wie (und da bin ich auch noch kein Held drin). Was ein dynamisches Mikrofon durch seine Bauart auch noch mitbringt, ist eine gewisse Vorkompression, die sich gut machen dürfte, wenn man sich eben mit der Produktion von Audiosignalen noch nicht so gut auskennt.

    Ein wichtiger Punkt bei dieser ganzen Sache ist auch noch die Richtcharakteristik eines Mikrofons:


    Richtcharakteristik:

    Jedes Mikrofon hat eine sogenannte Richtcharakteristik, das bedeutet im Grunde, aus welchen räumlichen Winkeln Signale durch das Mikrofon aufgenommen werden. Das NT1-A hat eine Nierencharakteristik, das bedeutet, dass es in einem nierenförmigen Umkreis Schallsignale besser aufnimmt als außerhalb dieses nierenförmigen Umkreises. Ich habe hier ein schönes Bild gefunden, um das zu verdeutlichen:

    Spoiler anzeigen

    Niere-3D-polar-pattern-768x700.jpg

    Dynamische Gesangsmikrofone haben für gewöhnlich auch so eine Nierencharakteristik. Was bringt uns das jetzt? Da spielt gerade Asni s Punkt mit den Hintergrundgeräuschen eine Rolle. Durch eine Nierencharakteristik wird Schall hinter dem Mikrofon und von der Seite stark abgedämpft. Eine Super-oder Hyperniere verstärkt diese Charakteristik noch. Wenn man jetzt also nicht unbedingt eine Räumlichkeit hat, die super Geräuscharm ist, sollte man sich vielleicht überlegen, ein Mikrofon mit Supernierencharakteristik zu kaufen. Das dämpft jetzt nicht unbedingt einen vorbeifahrenden Zug weg, aber doch sehr viel, was an leisen Nebengeräuschen entsteht. Ich benutze Live jetzt schon seit ein paar Jahren das Shure Beta 58a, meine Band hat das für die letzten Aufnahmen auch benutzt und wir sind sehr zufrieden damit.

    Software:

    Ich schließe mich da voll und ganz Asni an, Audacity bietet alles, was man für ein solches Projekt benötigt, und das quasi umsonst. Was mich mittlerweile an Audacity ein wenig stört ist die Handhabung der Funktionen und die Unübersichtlichkeit der Menüs, aber das ist schon dem geschenkten Gaul ziemlich tief in den Hals geschaut.

    Wirklich toll, aber in vielen Sachen auch bedeutend komplexer sind sogenannte Digital Audio Workstations (DAWs). Ich persönlich habe da nur mit Cubase Erfahrungen gemacht. Was diese Programme ermöglichen, ist eben eine einfache, professionelle Aufnahme und Bearbeitung von Audiosignalen, gerade, wenn man mehrere Aufnahmen parallel bearbeiten und organisieren muss. Dafür sind diese Programme aber auch sehr teuer, wer nur Sprachaufnahmen machen möchte, ist da vielleicht mit Audacity schon gut bedient. Für richtiges Musikproducing fände ich zum Beispiel Audacity nahezu unbrauchbar oder zumindest extrem umständlich, wer mit dem Gedanken spielt beides zu tun, wäre dann mit einer vollwertigen DAW besser beraten.

    Kirisha Vielen Dank, freut mich, dass du den Part mochtest. Ich glaube, mit Kriegs Besuch liegst du da ganz richtig xD

    Hey melli, schön dich wieder im Forum zu wissen, freut mich riesig, dass du dabei bist! Wundert euch nur bitte nicht zu sehr über sonderbare moderne Gegenstände und Ähnliches in Medyas Welt (oder ja, wundert euch doch bitte, das ist schon der Zweck). Es liegt zwar ein Sinn dahinter, nur kein allzu tiefer. Letzten Endes ist das alles Klamauk, wie es dazu gekommen ist, wird sinnvoll aufgelöst, ich möchte nur nichts vorwegnehmen,


    Diese Geschichte besticht schon in den ersten Teilen mit so vielen humorvollen und innovativen Ideen. Das gepaart mit deinem bildhaftem Schreibstil macht die Texte umso lesenswerter ^^

    Ist genau meine Art von Humor, ich freue mich auf mehr :fox:

    Und das vom Maestro der humoristischen Fantasy persönlich! Das gibt mir einen heftigen Selbstvertrauensboost! Auch schön, dich wieder im Forum zu sehen, da kommt endlich mal wieder ein ganz schön bunter Haufen zusammen ^^

    So, ich glaub der folgende Part wird mir jede Möglichkeit rauben, das hier als Jugendbuch zu veröffentlichen, aber ich mach mir da glaube ich mehr einen Kopf, wenn es denn mal so weit sein sollte:

    „Ch-Cheena!“ Fassungslos starrte Andhara seine Tochter an, die in der einen Hand ein schmales Röhrchen, in der anderen Hand einen kleinen Spiegel mit einem weißen Pulver hielt.

    „Oh …“ Ganz langsam ließ die Göttin der Erotik den Spiegel und das Röhrchen sinken, als ließe sich so noch irgendetwas retten. „Hallo Papa …“

    „Was zur Hölle machst du hier! Was ist das für ein Zeug!“ Kochend vor Wut presste Andhara seine Handflächen auf den Tisch, an dem die beiden saßen, bevor er noch jemanden erwürgte.

    „Wir haben uns nur … ein wenig unterhalten.“ Süß lächelte Cheena, wie die geborene Unschuld, so als gäbe es nichts an ihr, das auch nur an etwas verruchtes denken ließ. „Ganz zufällig.“

    „Spar dir dein Augengeklimpere und mach, dass du nach Hause kommst!“ Gehorsam sprang Cheena auf, die verkörperte Zierlichkeit und Eleganz, die sie war, und im Vorbeigehen hauchte sie einen Kuss auf seine Wange. Leider konnte er gar nicht anders, als ein wenig weicher zu werden; auch an ihm ging ihr ganz eigener Charme nicht gänzlich vorbei, auch wenn er bei ihm natürlich von ganz anderer Natur war. Er liebte seine Tochter von ganzen Herzen, und schließlich war sie ein Scheidungskind, und als solches hatte sie natürlich mit ihren ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Und das alles nur dank ihrer Zicke von Mutter!

    Kurz wartete Andhara noch, bis die Schritte seiner Tochter ausklangen, bevor er platzte. „Was hast du ihr da gegeben! Spuck’s schon aus du verdammter Hund!“

    „Komm mal wieder runter, Mann!“, sagte Krieg, der schon vor Andharas Tobsuchtsanfall schützend die Hände erhoben hatte. „Sie ist ein Gott, so schnell haut sie nichts um, vor allem nicht dieses Zeug!“

    „Das ist mir so verdammt scheiß egal! Du lässt die Finger von meiner Tochter, und sie lässt die Nase aus deinem Zeug!“ Andhara schlug so heftig auf den Tisch, dass der kleine Spiegel seinen Inhalt über dessen Oberfläche verteilte. „Haben wir uns da verstanden?“

    „Alles klar Kollege, alles klar!“ An einer Kerze entzündete der Gott des Krieges das erloschene Papierröllchen, das ihm zwischen den Fingern steckte. Momente später zog er daran und pustete diesen stinkenden Rauch in die Luft. „Auch nen Zug? Würde dir glaub guttun.“

    „Da wette ich dagegen“, erwiderte Andhara mit einer ablehnenden Handbewegung. Was war nur aus dem Gott geworden, den er einst gekannt hatte? Aus dem kleinen, aber immer athletischen Krieg war ein immer noch kleiner, fassförmiger Mann geworden. Seine einstmals langen Haare standen ihm nun als Stoppeln vom Kopf ab, dunkle Augengläser betonten nun seine speckigen Wangen, und eine dicke Nackenfalte erhob sich aus dem Kragen seines bunten Batik-Hemds. Krieg war kaum wiederzuerkennen, und selbst die Haushälterin Avila, die immer eine Schwäche für ihn gehabt hatte, hielt sich von ihm fern wie vor der Pest. Hinter seinen undurchdringlichen Augengläsern sah Krieg ihn an, bevor er seinen Joint ausdrückte und eine letzte Rauchwolke aus seinem Mund abließ.

    „Und, was treibt dich her? Bist ja bestimmt nicht aus purer Freude hier.“

    Wow, das beginnt ja gut. Andhara verfluchte sein Pech. Schlechter hätte ihr Gespräch ja gar nicht starten können. Ja, er hatte die Beherrschung verloren, aber welcher Vater hätte das nicht? Immerhin musste sogar Krieg das einsehen.

    „Nun, ich denke, du hast vielleicht bemerkt, dass unsere Probleme in der letzten Zeit etwas zugenommen haben …“

    „Du meinst, dass alles den Bach runtergeht, seitdem Medya nicht mehr hier ist, oder?“

    „Nun ja … im Grunde ja.“

    „Ja, das habe ich bemerkt.“ Ohne mit der Wimper zu zucken begann Krieg damit, einen weiteren Joint zu drehen. „War ja kaum zu übersehen.“

    Wie ich diesen Kerl hasse! „Nun ja, wie du dir wahrscheinlich gedacht hast, haben wir ein paar Schwierigkeiten, Medya ausfindig zu machen, und immerhin sind es jetzt auch schon vierhundert Jahre seit ihrem Verschwinden …“

    „Ach, vierhundert Jahre schon?“ Genüsslich zog Krieg an seinem neuen Joint, ließ den Rauch ein wenig in seiner Lunge verweilen. „Die vergingen ja fast wie im Flug.“

    Dieses Arschloch weiß ganz genau, worauf ich raus will. Er genießt es nur, mich zappeln zu lassen! „Na ja, ich will mal zum Punkt kommen. Du weißt ja, dass ich so meine Probleme habe, was die ganze Inkarnationssache angeht.“

    „Mhm.“ Wieder ein Zug an dem Joint.

    „Da hab ich mir gedacht, du warst ja echt schon ne Weile nicht mehr auf der Erde, und du warst früher ja fast ständig dort und kennst dich von uns am besten aus.“

    „Das stimmt.“

    „Und ich gehe mal davon aus, du hast selbst schon mal darüber nachgedacht, auf die Erde zu gehen und ein wenig nach Medya zu stöbern …“

    „Nein, habe ich nicht und werde ich auch nicht. Das habe ich euch schon oft genug klargemacht.“

    „Scheiße nochmal, Krieg! Es wird langsam ernst! Willst du denn, dass hier alles vor die Hunde geht?“

    Plötzlich richtete sich der Gott des Krieges auf, und in seiner Bewegung spiegelte sich etwas von seiner einstmaligen Kraft wider. Eine Kraft, vor der sich sogar Andhara gefürchtet hatte. Ein halbes Jahrtausend zuvor hätte sich wirklich niemand getraut, so mit Krieg zu reden.

    „Weil Medya fehlt? Weil sie jetzt nicht mehr eure Inkompetenz ausgleichen kann wie in den Urzeiten zuvor? Da habe ich einen ganz anderen Vorschlag: Lernt einfach, wie man euren Job macht!“

    „Da hast du gut reden! Bei den meisten von uns hat sich unser Job nicht damit erledigt, dass wir uns den Arsch breit sitzen und sonderbare Kräuter rauchen, verdammt noch mal!“

    Einen Moment herrschte Stille, in der nur der Joint in Kriegs Fingern knisterte, bevor dieser schließlich seufzte. „Verlass mein Haus, Andhara. Verschwinde einfach.“

    „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!“

    „Ich habe dir nichts mehr zu sagen. Geh einfach.“

    Ungläubig blieb der Gott der Zeit sitzen, bevor er aufbrausend aufsprang. „Was glaubst du eigentlich? Denkst du, du kannst ewig ignorieren, was hier los ist? Willst du einfach nur zuschauen, wie uns langsam alles entgleitet?“

    „Wie gesagt: Ich bin fertig mit dir. Geh jetzt bitte!“

    Verächtlich schnaubend wandte sich Andhara um. "Du wirst schon noch sehen, was du davon hast, du sturer Bock!" Dann ging er halt, er hatte es versucht, und mehr konnte man von ihm nicht verlangen. Auch Alami nicht.

    Als er schließlich das stickige Anwesen des einstigen Freundes verlassen hatte, kühlte Andhara langsam ab. Es dauerte dafür nicht lang, bis sich ein Kloß in seinem Magen bildete. Wenn dieser Moment nicht das Ende besiegelt hatte.


    Schwer schluckte der Leiter der Anstalt, als er die Papiere wieder sinken ließ, die sein Gegenüber ihm überreicht hatte. Unter all den Siegeln, die das hochwertige Papier schmückten, erkannte er nur die wenigsten – doch diese reichten aus, um zu verstehen, dass er einen ranghohen Regierungsbeamten vor sich hatte, und Regierungsbeamte bedeuteten generell Ärger. Vor wenigen Minuten hatte er noch gedacht, den unliebsamen Gast mit ein paar Worten abspeisen zu können; immerhin war er sichtbar ein Sukk, ein Angehöriger einer Minderheit, die generell keinen hohen Status innehatte. Doch nachdem der Fremde beharrlich darauf bestanden hatte, mit dem leitenden Betreuer zu sprechen, hatte er sich widerwillig mit den Belangen dieses Emporkömmlings auseinandersetzen müssen.

    Dieses Emporkömmlings. Nun, da er vor dem Sukk saß, war er sich in diesem Punkt gar nicht mehr so sicher. Kalt und berechnend starrte ihn der Regierungsbeamte an, die Hände vor dem Mund gefaltet, den ein dichter, ordentlich geschnittener Schnurrbart zierte. Auch wenn der Anstaltsleiter nicht ausgesprochen groß war, kam es dennoch selten vor, dass ihn jemand um einen ganzen Kopf überragte. Die kräftigen Arme und breiten Schultern des Sukk sprachen dafür, dass er öfter eine Waffe in Händen hielt als eine Aktentasche. So verhielt sich niemand und so sah niemand aus, der nicht von jungen Jahren an für seinen Beruf auserwählt und ausgebildet worden war.

    Geduldig wartete der Beatme ab, bis sein Gegenüber jedes Papier einzeln geprüft hatte; der Anstaltsleiter ließ sich Zeit, nicht, um den Sukk zu reizen, sondern um Zeit zu gewinnen – Zeit, um sein Versagen erklären zu können.

    „Nun, Herr Pila …“ Venandi Pila, so stand dort in fein säuberlicher Schrift der Name des Mannes; ein Vorname, der nach Sukk schrie. „Ich habe gehört, Ihr fordert die Herausgabe einer Patientin.“

    „Da habt Ihr richtig gehört.“ Ein Zucken des Zeigefingers auf seinen gefalteten Händen war das Einzige, was die Ungeduld des Mannes verriet. Völlig beherrscht, geradezu betont ruhig griff Venandi nach seinem Becher, setzte ihn an seine Lippen. Wasser, nicht Wein, wie der Sukk selbst verlangt hatte. „Deshalb wundert mich, dass sie nicht fixiert neben Euch steht.“

    „Es ist nicht üblich, dass wir Patienten herausgeben, insbesondere nicht ohne jegliche Begründung.“ Ganz kampflos würde der Anstaltsleiter nicht aufgeben; tatsächlich hatte keines der Papiere den Fremden befähigt, jemanden aus der Therapie zu entnehmen. Natürlich schrie alles in ihm danach, dem Wunsch des Beamten nachzukommen, schließlich war er nicht dumm. Da er jedoch niemanden auszuliefern hatte, blieb ihm nicht mehr als dieser halbherzige Versuch.

    „Ihr habt auch keinen üblichen Bittsteller vor Euch.“ Langsam lehnte sich Venandi vor. „Ihr habt überhaupt keinen Bittsteller vor Euch. Ich fordere nicht, ich verlange.“

    „Dann …“ Der Betreuer wusste, dass er verloren hatte. Jetzt war die Zeit gekommen, reinen Tisch zu machen. „Die Patienten, nach der ihr verlangt …“

    „Medya Ludus.“

    „Genau, Medya … sie ist diese Nacht entkommen.“ Verzweifelt seine Furcht vor der Reaktion des Beamten hob er die Hände, senkte sie wieder. „Wir haben sie nicht mehr!“

    Entgegen jeder Erwartung blieb Venandi Pila ruhig. Mit hochgehobenen Augenbrauen musterte er sein Gegenüber, und ohne ein Zittern in der Stimme begann er wieder zu sprechen.

    „Wie kam es dazu?“

    „Das wissen wir selbst nicht. Die Tür ihrer Zelle stand offen, die Wachen wollen sie nicht gesehen haben. Der Türwächter trug gar obszöne Zeichnungen aus Kohle in seinem Gesicht.“

    „Er ist eingeschlafen“, schlussfolgerte der Sukk. „Ich hoffe, Ihr habt ihn für seine Unfähigkeit entlassen.“

    „Es wird ein Disziplinarverfahren geben. Ich kann keinen meiner Männer entlassen. Gutes Personal findet man hier draußen nicht leicht.“

    „Das habe ich bemerkt. Wo ist sie hin?“

    „Das wissen wir nicht. Aber wenn sie nicht verhungern und frieren möchte, wird sie sich auf dem Weg in die Stadt gemacht haben, Telomer.“

    „Telomer.“ Grübelnd schwieg der Sukk, seine Lippen hinter den gefalteten Händen verborgen. „Ihr werdet so gütig sein, mir die Männer zur Verfügung zu stellen, die Stadt und das Umland nach ihr zu durchkämmen.“

    „Ich kann keinen entbehren! Dieses Weib hat schon genug Ärger angerichtet, wir sind dabei, unsere eigenen Sicherheitslücken zu schließen und sicherzugehen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht!“

    „Ihr werdet mir Eure Männer zur Verfügung stellen“, wiederholte sich Venandi, „und Euer Versäumnis wiedergutmachen. Andernfalls werdet Ihr mit den Konsequenzen leben müssen.“

    So, wie der Beamte gesprochen hatte, klangen die Worte nicht nach einer Drohung; einer Drohung bedurfte es auch gar nicht. Auch so wusste der Anstaltsleiter, dass Venandi fähig war, seine Existenz zu zerquetschten wie ein lästiges Insekt. Resigniert ließ er sich in seinen Sessel zurückfallen, dachte kurz nach.

    „Reichen Euch fünf? Das ist ein Viertel meines Personals …“

    „Es wird reichen. Sucht die … fähigsten aus. Euch mag es nicht so erscheinen, aber diese Frau ist gefährlich.“

    „Gefährlich?“ Ganz konnte der Anstaltsleiter seine Ungläubigkeit nicht verbergen. „Was soll die denn getan haben? Wenn die sich anstrengt, schafft sie es vielleicht, eine Fliege zu zerdrücken.“

    „Mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Wappnet Eure Männer.“ Kurz nickte der Sukk ihm zu, dann verließ er das karg eingerichtete Zimmer.

    Und ließ einen ziemlich ratlosen Anstaltsleiter zurück.

    Moog Vielen Dank, ich schau nochmal drüber.

    So, hier dann mal ein neuer Teil, neue Figuren und ein ganz anderer Ort:

    Heiter schien die Sonne auf die grünen Felder Ahvanachs, ließ den Lavendel am Wegesrand erstrahlen wie ein violettes Feuerwerk, so lebendig, als wollten ihm jeden Moment Beine wachsen, um in der Üppigkeit des Götterlandes zu tollen. Ganz gemächlich schlängelte sich ein Bächlein neben dem staubigen Pfad entlang, so klar und sauber, dass er nur dazu einlud, sein vollmundiges Wasser mit einem goldenen Kelch an die Lippen zu führen. Olivenhaine erstreckten sich über die Kräuterwiesen, und wo diese langsam in Eichenwälder übergingen, ästen prächtige Hirsche zwischen den Felsbrocken aus Marmor. Ja, alles hier war so prächtig und perfekt und schön – wäre da nicht Andhara, der Göttervater selbst. Missmutig stapfte der Zeitgott über den Pfad, trat unter unflätigen Flüchen Steine vor sich her, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Jedem zufälligen Beobachter musste auffallen, dass Andhara nur so schlenderte, um auch ja den eigentlichen Zweck seiner Reise so lange wie möglich hinauszuzögern. Und so stapfte der Göttervater vor sich her, statt einen der prächtigen Streitwagen zu nehmen, den Zipfel seiner Toga durch den Staub ziehend.

    Wobei Göttervater fast eine zu großzügige Bezeichnung war, denn nur eine der Göttinnen Ahvanachs entstammte seinen Lenden. Ursprünglich war das alles natürlich anders gedacht gewesen, aber wer hätte vorhersehen können, dass sich das Götterpaar an der Spitze der Ahvanachisten so gar nicht schmecken konnte. Schon seit tausenden von Jahren gingen sich Alami und Andhara aus dem Weg, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, dass beide gleichzeitig anwesend waren, endete die Begegnung meistens in Gezeter und Streit.

    Genau wie heute Morgen, doch anders als sonst hatte Alami ihren Göttergatten freiwillig und in bösester Absicht aufgesucht. Er hatte es sich noch gar nicht so lange auf seinem Himmelsthron gemütlich gemacht, als sie plötzlich in den Palast der Zeit trat und vor ihm stehen blieb, die Arme verschränkt – und ihren Blick hatte er noch immer vor Augen.

    „Tolles Oberhaupt des Götterhimmels bist du, hockst auf dem Thron und tust nichts, während uns bald ganz Ahvanach um die Ohren fliegt!“ Das waren ihre ersten Worte gewesen, und fast noch ihre nettesten. „Verdammt nochmal Andhara, bekomm endlich deinen Arsch hoch und TU ETWAS!“

    „Was soll ich denn bitte machen? Ich lasse schon nach ihr suchen, verdammt nochmal, ich habe einen der besten …“

    „Du könntest dein Hinterteil auch einfach mal wieder selbst auf die Welt der Sterblichen schwingen, zum Beispiel, und dich mal selbst umschauen! ‚Ich lass nach ihr suchen, ich lass nach ihr suchen‘, das sagst du schon seit vierhundert Jahren!“ Zornig stampfte Alami auf, dass der ganze Tempel der Zeit erzitterte und der Klang ihres Fußes auf dem schwarzen Marmor durch die Gänge hallte.

    „Ich kann nicht, und das weißt du!“ Das war gelogen, und das wusste auch Alami. Oder vielleicht nicht gelogen, doch alle Götter, die inkarnieren konnten, hatten bestimmte Begrenzungen dieser Fähigkeit. Andhara konnte wie die meisten von ihnen nur nach drei Jahren erneut inkarnieren – nur konnte er sich nicht aussuchen als was. Wie so vieles, was ihre eigenen Fähigkeiten anging, war dieser Umstand ihnen allen ein Rätsel. Der Zeitgott schien irgendwann ein Schema ausgemacht zu haben, aber nach etlichen Leben als Wurm, die nur durch einen gefräßigen Maulwurf oder einen frühen Vogel beendet wurden, nach Jahren als Stier, Schwan, Kuckuck, Adler, Ameise und Faultier hatte Andhara einfach genug. Im Schnitt nur jedes zehnte Mal war es ihm vergönnt, als Mensch geboren zu werden, und alles andere war ihm eine unerträgliche Qual.

    „Du willst dich nur nicht wieder als Wurm durch Kompost fressen“, erwiderte Alami, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Nashi sagt, sie hat dich schon seit Wochen nicht mehr am Observatorium gesehen, wenigstens das hättest du fertigbringen können!“

    „Das bringt doch überhaupt nichts! Du kannst so lange mit dem Teleskop nach Medya suchen, wie du willst, du wirst sie nicht finden, das ist schließlich Teil ihrer Macht!"

    „Dann solltest du dich vielleicht mal mit jemandem versöhnen, der das KANN!“ Herausfordern hob die Göttin des Handwerks ihr Kinn – und kaum etwas hasste Andhara als diesen Gesichtsausdruck.

    „Du gibst mir noch immer die Schuld an dieser Sache! Ich habe …“

    „Du hast ihm gesagt, er soll sich zusammenreißen!“

    „Ja!“

    „Du hast ihm gesagt, er soll endlich wieder ein Mann sein!“

    „Na und ich hatte ja auch …“

    „Du hast ihn ein jämmerliches Weichei genannt, das endlich lernen muss, mit seinen Fehlern zu leben, und das nach all dem, was er durchgemacht hat.“

    „… ja …“

    Genervt seufzte Alami, die Handfläche gegen ihre Stirn gepresst. „Es wird endlich Zeit. Beweg deinen Arsch selbst runter oder sprich mit Krieg und bring ihn dazu, nach Medya zu suchen!“

    Und wie immer hatte sie nicht mit sich reden lassen. Jetzt musste er zu Krieg kriechen und sich entschuldigen, obwohl er voll und ganz im Recht war. Nur, weil Krieg der Einzige der Ahvanachiden war, der scheinbar unbegrenzt und zuverlässig als Mensch inkarnieren konnte. Nur, weil der Haussegen mit seinem ihm angedachten Weib seit Jahrtausenden schief stand und jeder vernünftige Widerspruch die Kluft zwischen ihnen weiter aufriss. Nur, weil er sich nicht wieder als Wurm durch Dreck und Blätter fressen wollte – er war sich schließlich ziemlich sicher, dass als nächste Inkarnation wieder ein Wurm dran war.

    Unter diesen Umständen mochte wahrscheinlich jeder verstehen, warum Andhara jede Sekunde herauszögerte, am neuen Heim des Kriegsgottes anzukommen, aber es kam schließlich, wie es kommen musste. Langsam senkte sich das Land, und Andhara sah schon von weitem das einfache Landanwesen Kriegs zwischen Olivenhainen und Korkeichen aufblitzen. Resigniert seufzend schlenderte der Gott der Zeit weiter, verzweifelt mit seinen Fingern seinen weißen Bart zwirbelnd.

    Augenscheinlich unterschied sich der Landsitz Kriegs nicht von den Höfen, auf denen die Dienerschaft der Ahvanachiden die Güter für die Bedürfnisse der Götter gewann. Wenn man jedoch an das geflochtene Tor des Anwesens trat, schlug einem schon dieser würzig-süßliche Geruch entgegen, den man fast nur hier einatmen konnte, dieser seltsame Gestank, der Krieg nun schon seit einigen Jahrhunderten anhing. Seufzend ließ Andhara das Tor hinter sich zufallen und sah zu den übermannsgroßen Pflanzen mit den markanten Blättern auf. Im ersten Impuls hätte er sie am liebsten ausgerissen, mit Stumpf und Stiel, aber er wusste, dass so das Problem nicht gelöst werden würde – geschweige denn würde er Krieg dazu bringen können, ihm einen Gefallen zu erweisen.

    „Hätte Okulus ihm nur nie diese verdammten Samen gegeben!“, fluchte Andhara vor sich her. Aber es half ja nichts. Nach einem letzten Zögern öffnete Andhara die Tür des Anwesens und trat ein.

    Er hasste es, hier zu sein. Früher hatte er sich bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Krieg nicht auf der Erde irgendwelche Schlachten schlug, gerne mit ihm getroffen. Da hatte er noch in seiner Festung gewohnt, die mit dem Burggraben, den Brücken, Falltoren, Jagdzimmern und Waffenkammern, in deren Luft man pure Männlichkeit schmecken konnte. Hier lag nur der Geruch von diesem Zeug in der Luft, Kleidung lag schon im Hauseingang auf dem Boden, und alles war voller Staub und Vernachlässigung.

    Was ist verdammt nochmal aus ihm geworden! Die Menschen haben den Krieg nach IHM benannt, so etwas hat sonst keiner von uns hinbekommen! Langsam bahnte sich Andhara seinen Weg durch das Zwielicht, abgetragene Hosen und Hemden in fragwürdigen Mustern. Angewidert wich er vor einer klebrigen Wand zurück – als er plötzlich ein Lachen hörte. Das Lachen einer Frau.

    „Was verdammt nochmal …“ Mit klopfendem Herzen öffnete Andhara die Tür zum Wohnbereich des Anwesens – und blickte in zwei erschrockene Gesichter.

    Danke für eure Korrekturen, ich habe hier den nächsten Teil:

    „Beweg dich, Dummkopf!“, schrie Medya neben ihr. „Wir müssen abhauen!“ Flink riss Medya der Haushälterin den Korb mit Eiern aus der Hand, ergriff eines und warf. Fluchend stürzte die Wache zu Boden, die ihren Kopf gerade über den Rand des Vordachs geschoben hatte und riss die Leiter mit sich.

    Noch immer benommen ließ sich Satis von der irren Fremden an der Hand nehmen. Flink wie ein Wiesel rannte Medya mit ihr eine Dachrinne entlang, sprang und landete in einer Nebengasse. Die erschrockenen Schreie der Passanten ignorierend flitzte sie um ein Häusereck, doch gellende Rufe verrieten, dass man ihnen auf den Versen war.

    „Warte! Wo … Wo …“

    „Was ‚wo wo‘?"

    „Wo gehen wir hin?“

    „Raus aus der Stadt verdammt nochmal!“ Satis spürte, wie Medyas Griff um ihr Handgelenk noch fester wurde. „Wenn die uns in die Finger bekommen, machen die uns einen Kopf kürzer!“

    Sie weiß nicht mal, wie recht sie hat. Ihr ohnehin rasendes Herz begann nun nur noch heftiger zu schlagen. Isingwar war nicht für seine Milde bekannt, im Gegenteil, niemand legte das gendrische Recht schwerer aus als der Fürst Telomers. Im besten Fall würde sie eine Hand verlieren – und ihren guten Ruf, und ohne beides ließ sich nun einmal keine Anstellung als Haushälterin finden. Sie würde betteln müssen, betteln bis an ihr Lebensende!

    Chaotisch, aber doch auch irgendwie zielstrebig führte die rothaarige Irre sie nun durch das Fischerviertel; von hier aus ließ sich bereits das Südtor Telomers sehen, wie es sich über die Häuser des einfachsten Volkes der Stadt erhob. Noch dürfte die Nachricht über die beiden Flüchtigen nicht die Wachen am Tor erreicht haben, die ihre Aufmerksamkeit eher darauf richteten, wer die Stadt betreten wollte. Trotzdem brannten Satis Seiten wie Feuer, japsend kämpfte sie sich von Atemzug zu Atemzug. Lange würde sie nicht mehr durchhalten.

    Und beide wussten nichts von den drei Bütteln, die jeden Moment um die Ecke biegen würden, groß und breit und völlig ausgeruht im Gegensatz zu den extrem auffälligen Vögelchen, die ihnen gleich in die Arme laufen würden …

    „Oh Kacke Gumby, hättest du das nicht ein wenig früher sagen können?“ Erschrocken schrie Satis auf, als Medya abrupt und ohne jeden ersichtlichen Grund anhielt und sich panisch umsah.

    „Was ist los?“

    „Halt die Klappe und geh da rein!“ Noch bevor Satis reagieren konnte, zog Medya sie mit sich in einen Schweinekoben, so niedrig, dass sie fast auf die Knie gehen mussten.

    Mit pochendem Herzen lauschten sie, während sich der eigentliche Bewohner des Kobens unmutig grunzend aufrichtete. Verwundert schnupperte die Sau mit ihrer feuchten Schnauze an Satis Gesicht, die nur mühevoll einen weiteren Aufschrei unterdrückte.

    Zu ihrem Glück, denn nur wenige Handbreit vor ihr querten drei Paar Beine in der Amtstracht der Büttel den Eingang ihres Verstecks. Fassungslos, die Hand auf den Mund gepresst starrte Satis nach draußen, bis sich die schweren Schritte der Büttel entfernt hatten.

    „Woher hast du das gewusst?“, flüsterte sie, während sie weiter von der Irren weg – und näher an die Sau – rückte.

    „Das erzähl ich dir später. Willst du dich weiter mit den Schweinen im Dreck suhlen oder kommst du mit?“

    Du lässt mir ja keine andere Wahl! Zum ersten Mal hatte sich Satis so weit beruhigt, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte, und mit diesen klaren Gedanken kam auch ein ganz klarer Zorn … und Tränen. Die Erste konnte sich Satis nicht mehr verdrücken, doch schließlich brachte sie ein hochrotes Nicken zustande.

    „Na dann los!“ Eilig zerrte Medya die junge Brünette hinter sich aus dem Versteck. Indes hatte die Nachricht von Isingwars Eierdusche auch den Südteil der Stadt erreicht, und hinter ihnen gellten zornige Rufe durch die Gassen.

    „Werd‘ jetzt ja nicht langsamer!“ Mit unglaublicher Ausdauer rannte Medya dem Südtor entgegen, Satis hinter sich herzerrend, die schon im Schweinekoben kaum zu Atem gekommen war. Immer näher kamen sie dem Wehrturm mit dem kegelförmigen Durchgang, hinter dem ihnen die Freiheit winkte.

    Und plötzlich waren sie hindurch. Aus dem Augenwinkel sah Satis noch eine Hand, die nach ihrer Schulter griff, doch die Finger gingen ins Leere. Noch ein paar Meter rannten sie, bis Satis ins Straucheln geriet und vornüber auf den staubigen Boden fiel.

    „Komm schon hoch!“ Unverhohlen verzweifelt zerrte Medya an dem Arm der Leidensgenossin, bis sich Satis wieder aufgerichtet hatte, die Hände auf die Oberschenkel gepresst.

    „Ich – ich kann … kann nicht …“

    „Das ist der falsche Moment, Schätzchen!“

    „Ich …“ Mit einem dumpfen Schlag bohrte sich ein Pfeil neben der Haushälterin in den Boden, dann noch einer, nur wenige Fingerbreit hinter ihrem Bein. Energisch zog Medya an ihrem Arm, doch es brauchte keine weitere Überzeugungskraft mehr, um Satis wieder in Gang zu setzen.

    „Sie werden bald ihre Reiter aussenden. Wir müssen bis dahin den Wald erreicht haben!“ Den Finger ausgestreckt deutete Medya in Richtung der Sonne, doch Satis Blick verschwamm zu sehr, um irgendetwas auszumachen. „Vertrau mir, ich mach das nicht zum ersten Mal!“

    Nur fetzenhaft blieben Satis die Minuten im Gedächtnis, die auf diesen Moment folgen sollten, und sie sollte sich auch nicht allzu oft und allzu gerne daran zurückerinnern. Stolpern, Medyas Griff um ihr Handgelenk, ein Abhang, die Borke eines Baumes, an der sie sich den Arm aufrieb. Rufe, die blendende Sonne, das Brennen ihrer Beine bei jedem Schritt.

    Wirklich zu Bewusstsein kam sie erst wieder, als sie mit dem Rücken auf dem Waldbogen lag, Medyas Gesicht über sich, den Finger auf ihre Lippen gepresst. Angestrengt saugte sie Atemzug um Atemzug ein, doch ihr blieb nicht einmal die Kraft, die Hände auf ihre schmerzenden Seiten zu pressen. Irgendwo von den Grenzen des Waldes her erklangen die Schläge von Pferdehufen, doch schließlich entfernten sie sich wieder.

    Für einen süßen Moment herrschte Stille und Frieden, und nur das Rauschen der Baumkronen im Wind verriet, dass die Zeit noch immer vorwärtsschritt – bis Medya einen spitzen Triumphschrei ausstieß.

    „Denen haben wir’s gegeben, verdammt nochmal!“ Fassungslos sah Satis vom Boden aus zu, wie Medya vor Freude im Kreis sprang, als wäre sie nicht kurz vorher noch um ihr Leben gerannt.

    „Du hast mir alles genommen!“ Vorsichtig stemmte sich Satis auf ihre Unterarme, doch ihr wurde sofort schwindlig. „Ich habe nichts mehr! Gar nichts mehr! Ich kann mich nie mehr in Telomer blicken lassen!“ Zorn kochte in Satis hoch, Zorn wie sie ihn noch nie gekannt hatte, und doch reichte ihre Kraft nicht um aufzustehen und dieser grausamen Irren den Kopf von den Schultern zu reißen. Hilflos ließ sie sich zurück in das feuchte Moos fallen – und dann kamen die Tränen, die trotz ihres ausgedörrten Körpers nicht aufhören wollten zu fließen.

    Das Lächeln in Medyas Gesicht schmolz. Unbehaglich trat die hagere Rothaarige näher, hob die Hand, ließ sie dann wieder sinken.

    „Hey, mach dir keine Sorgen, du musst nicht in dein langweiliges Leben zurück. Du kannst so lange bei mir bleiben, wie du willst!“

    „Ich will nicht bei dir bleiben! Ich wollte nie mit dir mitgehen! Du hast mein Leben zerstört!“ Schluchzend vergrub Satis ihr Gesicht in den Händen, kämpfte um Fassung, doch die Flucht hatte sie körperlich und geistig so ausgezehrt, dass sie keinen Widerstand zu leisten vermochte. „Ich hatte eine Arbeit, ein Zimmer mit einem Bett und genug zu essen, und an nichts anderem hat es mir gefehlt!“

    Langsam ließ sich Medya in der Nähe der Weinenden nieder, die Brauen hochgezogen, den Blick auf den Boden gerichtet. „Das … das klingt wirklich schön. Ich hatte schon lange kein Zimmer und kein Bett mehr.“ Kurz schienen ihre Augen glasig zu werden, sich in weite Ferne oder alte Zeiten zu richten, bevor sie energisch den Kopf schüttelte. „Es tut mir leid, dass ich dir das alles genommen habe. Aber es ist nunmal passiert, und es wird niemals wieder nicht passiert sein. Wir können von jetzt an getrennte Wege gehen, aber glaub mir, dadurch wird es nicht leichter. Wir können aber auch zusammen zum nächsten Ort gehen, irgendwo hin, wo uns niemand mehr sucht, und dann können wir dort das Beste aus dem machen, was uns verblieben ist.“

    „Hab ich denn eine Wahl?“

    Bestimmt schüttelte Medya den Kopf. „Ich glaube nicht, aber das haben auch nur die wenigsten.“

    Beinahe trotzig starrte Satis in den Himmel, während ihre Tränen verebbten und ihr Zorn sich zurückzog – zumindest ein bisschen. Die rothaarige Fremde hatte zumindest in diesem Punkt recht, alleine durch den Wald zu irren und dann vielleicht auch noch auf ihre Häscher zu treffen war ein Gedanke, der ihr so viel Angst einjagte, dass sie vorerst bereit war, ihren Groll ruhen zu lassen. Nun schaffte sie es endlich auch sich aufzusetzen.

    „Wie heißt du?“

    „Medya.“

    „Ich heiße Satis, und ich verspreche dir, Medya, wenn ich in diesem Wald sterbe, wird mein Geist dir jeden Moment deines Lebens zur Hölle machen und nicht mehr von deiner Seite weichen, bis du den Tod gefunden hast.“

    Zur Satis‘ Überraschung hellte sich Medyas Miene auf. „Dann wären wir ja zu viert! Genug für eine Partie Doppelkopf!“

    „Was … wovon redest du?“

    „Na von den beiden anderen Rachegeistern, aber die beiden haben irgendwann die Geduld verloren, aber ab und zu lassen sie sich noch blicken. Ziemlich finstere Burschen, habe keinen von den beiden je lachen sehen!“

    In Satis Kopf mochten in diesem Moment zwei Urtriebe um die Oberhand kämpfen: der erste war die urmenschliche Eigenschaft, Dinge verstehen zu wollen und ihnen auf den Grund zu gehen. Der andere war der deutlich überlebenswichtigere Trieb, vor dem Wahnsinn in Person zu fliehen und den eigenen Hintern zu retten, bevor etwas in die Luft flog, entzündet wurde oder sonst wie aus den Fugen geriet. Doch unter diesen speziellen Bedingungen entschlossen sich diese Urtriebe einfach, das Kriegsbeil zu begraben und Satis sich selbst zu überlassen, die einfach beschloss, die letzten Worte der Irren zu ignorieren.

    „Was machen wir jetzt?“

    „Hm“, grübelte Medya, das Kinn in ihrer Hand abstützend. „Du solltest dich noch ein bisschen ausruhen, aber dann müssen wir weiter. Wir sind hier nicht lange sicher.“

    Es hat mich ein wenig an die Point and Click-Spiele „Edna bricht aus“ und co erinnert. Dein Text ist natürlich etwas ganz eigenes; ich will dir damit nur berichten, welche emotionalen Erinnerungen/Erwartungen da bei mir geweckt werden.

    Das ist denke ich kein Zufall, ich habe einen ganzen Haufen der Daedalic-Spiele gespielt, und auch wenn ich bei Medya jetzt nicht an Edna gedacht habe, war sie wahrscheinlich eine Inspiration.

    Man könnte auch überlegen, ob man die Erklärung der Götterebene erst später bringt. Dann könnte man als Prolog nur den gescheiterten Angriff des „Helden“ stehen lassen. Als Kapitel 1-X Medyas Leben beschreiben, wobei die Leser:innen im Unklaren bleiben, wie es um ihren Verstand bestellt ist, und dann erst im Intermezzo die Götterebene enthüllen.

    Und da mir persönlich die Medya-Geschichte wesentlich besser gefällt als der eher distanziert erzählte Götterteil, würde ich denken, du würdest mit der Umstellung mehr Leser an die Angel bekommen (?)

    Hm, ich bin ehrlich gesagt auch noch immer nicht happy mit dem Prolog. Für mich war das dann nur leider auch immer ein Grund nicht weiter daran zu arbeiten, deshalb habe ich fürs Erste etwas geschrieben, das mir den Einstieg ermöglicht. Ursprünglich war sogar die Medya-Szene der Prolog.

    Mein Problem an der Stelle ist, dass ich sehr bald das Hintergrundwissen um Krieg brauche, quasi in der nächsten Szene. Ich habe das Gefühl, dass ich erst noch ein paar Szenen schreiben muss bis ich wirklich sehe, welchen Spielraum ich für den Prolog habe. Ich würde vorerst den Prolog noch belassen, wie er ist, und mich dann dahinter setzen, wenn sich ein paar Dinge geklärt haben.

    Hier aber schon mal der Beginn der nächsten Szene:

    Seufzend blieb Satis am Straßenrand stehen, gegenüber der Töpferei. Hell und rosig leuchtete der Morgen durch die gepflasterten Gassen Telomers, vertrieb den dünnen Nebel, der sich noch hier und dort an den Hausmauern gesammelt hatte. Es musste ein schöner Sommermorgen sein, denn die Menschen liefen bereits zu dieser Uhrzeit geschäftig durch das verschlafene Städtchen, die Rosen und Gardenien auf den Fensterbrettern der betuchten Bürger leuchteten so strahlend, als habe ein Künstler sie mit Ölfarben bemalt.
    Ja, es musste ein schöner Tag sein, aber heute hatte Satis nur für eines Augen: den Töpfersohn, der dort hinter der Scheibe an einem wundervollen Krug arbeitete, seine kräftigen Finger über den geschlämmten Lehm gleitend. Gestern war sie ihm zum ersten Mal begegnet, war aus Versehen in ihn reingelaufen, als sie sich nach neuen Bechern umgesehen hatte – und da war es einfach passiert.
    Irgendwie ging er ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf, die breiten Schultern, die sanfte Stimme, die warmen Augen … Kaum gelang es ihr, den Blick von dem jungen Mann loszureißen, weiterzugehen, denn die Zeit drängte. Für ihren Herren hatte sie noch so einiges zu besorgen, darunter Dinge, die in Kriegszeiten knapp geworden waren. Und auch wenn das betuchte Ehepaar, dem sie den Haushalt besorgte, verständnisvoll und nett war, ging es hier um ihre Zuverlässigkeit, auf die Satis ziemlich stolz war.
    Eilig, jeder ihrer Schritte auf dem Pflaster klackend, ging Satis weiter. Zwei Gassen und einen Park weiter befand sich ein fahrendes Geschäft, eine kleine Kuriosität. Zwei Ochsen reichte aus, um das vergleichsweise schmale, aber lange Gebäude auf Rädern über die verzweigten Straßen des Landes zu ziehen. Seit einigen Monaten machte der fremde Händler hier Halt und war eine unter den Städtern beliebte – und unter den anderen Geschäftsmännern verhasste – Attraktion geworden.
    Gerade, als Satis Halt machte, öffnete der Besitzer sein Geschäft. Seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie Schwierigkeiten gehabt, ihn einzuschätzen: Er schien weder sonderlich alt noch wirklich jung zu sein, und ein Drei-Tage-Bart bedeckte oft seine Wangen. Meist starrte er etwas entrückt vor sich her, selbst wenn er mit den Kunden sprach, und kaum einer will ihm außerhalb seines Hauses einmal begegnet sein. Lustlos starrte ihr der Verkäufer entgegen, bis sie schließlich näher herantrat, ihre Grübeleien beiseiteschiebend.
    „Guten Morgen“, grüßte sie, und der Mann tat es ihr mit einem Nicken gleich. „Sagt, habt Ihr Salz?“
    „Das Pfund kostet Euch einen halben Kupferling.“ Noch bevor Satis etwas erwidern konnte, zog der Fremde einen riesigen Sack unter seinem Tresen hervor. Satis traute ihren Augen kaum. Gestern erst hatte die Nachricht die Stadt erreicht, dass die Handelszüge vom Meer ausbleiben würden; die Salzquellen Gendias, des Landes, dem sich ihr Fürst zugehörig fühlte, lagen am Nepp-Kanal, dem einzigen Zugangspunkt Gendias zum Meer. Diesen Kanal entlang waren Geschwader feindlicher Fregatten enlanggezogen; unter welcher Flagge diese Krieger zogen, wusste niemand genau. Die Gerüchteküche brodelte, sicher war nur, dass sie begonnen hatten, die Gendischen Küstenstreifen einzunehmen – und die Handelszüge vom Meer blieben aus.
    Wie zu erwarten hatten die Städter begonnen, Waren aus Überseetransporten zu horten, und die Preise für Salz und exotischere Güter waren über Nacht ins unermessliche geschossen. Wie also konnte dieser Händler noch über eine solch gewaltige Menge Salz verfügen und sie zudem für einen halben Kupferling verkaufen?
    „Ihr könntet das Doppelte verlangen, mindestens“, sprach Satis aus Versehen ihre Gedanken aus, legte gleich erschrocken die Hand vor den Mund. Etwas genervt kniff der Händler seine Augen zusammen.
    „Ich kann von Euch auch gerne das Doppelte fordern, wenn Euch das glücklich macht.“
    „Nein, nein, entschuldigt. Ich nehme drei Pfund.“ Das sollte reichen, bis sich die Situation geklärt hatte; wenn es um Geld ging, drehte sich das Rad der Zeit immer schnell. Egal wer die Kontrolle über die Küste haben würde, der Handel würde weitergehen, vielleicht mit höheren Zöllen, aber die Stände würden wieder gefüllt sein.
    Wenige Minuten später ging Satis erneut die Gasse mit dem Töpferladen entlang. Immer noch saß dort der Jüngling hinter dem Schaufenster, und Satis erlaubte sich näherzutreten, vorgebend, die ausgestellte Ware zu betrachten. Aus dem Augenwinkel musterte sie den Wildfremden – bis eine Frau in das Zimmer trat, dem Handwerker im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange hauchte. Satis Lächeln erstarrte, und mit einem irrationalen Gefühl des Verlusts trat sie einen Schritt zurück. Wie er sie angesehen hat. Die Blicke, die sich die Beiden teilten verrieten alles; sie lebten in ihrer eigenen Welt, glücklich, und alles um sie hatte nicht den Hauch einer Bedeutung.
    Seufzend drehte sich Satis um, überquerte die Straße. Der Krieg hatte so viele Männer gefressen, junge und alte, und es würde nicht lang dauern, bis es drei unverheiratete Frauen in ihrem Alter auf zwei Männer gab. Ledige Frauen gab es im Übermaß, und dieser Moment war nicht der erste, an dem sie sich vorstellte, ihr Leben lang den Haushalt von Händlern und Beamten zu führen, bis sie als alte Jungfer starb.
    Es gibt schlimmeres, dachte sie bei sich. Du bist am Leben, du hast Essen und ein Dach über den Kopf und einen Herren, der dich nicht angrabscht. Man konnte nicht alles haben, und es gab genug Leute, denen es schlechter erging – zumindest redete sie sich das immer ein.
    Energisch scheuchte sie jeden weiteren Gedanken fort, der ihr zu diesem Thema in den Kopf kriechen wollte. Du benimmst dich wie ein Schulmädchen! Krieg dich wieder in den Griff. Mittlerweile waren auch die verschlafendsten der Bewohner Telomers erwacht, und auf den Straßen herrschte Trubel. Isingwar, Telomers Fürst, hatte einen Besuch des Rosenmarkts angekündigt, und Satis hatte eigentlich längst vorgehabt, wieder beim Haus ihres Herren zu sein. Nun würde sie schauen müssen, wie sie um die Menschenmassen herumkam, die nun die Straßen verstopften.
    Gerade war die Haushälterin stehengeblieben, um nach einer Lücke zwischen den Menschen zu suchen – als etwas klatschend neben ihr aufschlug. Verwundert blickte die junge Frau zu Boden, blinzelte.
    „Ein Ei!“ Nach kurzem Zögern beugte sich Satis hinab, als traute sie ihren Augen nicht. Doch tatsächlich: Vor ihr lag nichts anderes als ein gewöhnliches Ei, und der geplatzte Dotter rann über das Pflaster. Verwundert sah Satis sich um; woher konnte das Ei nur kommen? Hatte es jemand fallengelassen? Hatte ein unachtsamer Vogel es aus seinem Nest geschubst?
    „Hey du, könntest du das wieder aufheben und zusammensetzen? Hab‘s aus Versehen fallengelassen, wollte dich aber eigentlich damit treffen!“
    „Wer …“ Doch als Satis nach oben sah, konnte sie sehr gut sehen, ‚wer‘. Bis über beide Wangen grinsend stand auf einem kleinen Vordach eine hagere Frau, ihr wirres Haar vom leichten Wind in ihre Stirn geblasen. Die Hände in die Hüften gestemmt blickte Medya auf die Haushälterin herab.
    „Die allerschnellste scheinst du ja nicht gerade zu sein! Aber das macht nichts, du hörst mir endlich zu. Also: Wusstest du schon, dass ein großer Fisch die Welt verschlucken wird?“
    „Bitte was?“ Verwundert blinzelnd schaute Satis zu der augenscheinlich irren Frau hinauf. Mit aller Gewalt versuchte ihr Hirn im Hintergrund einen Sinn, einen Zusammenhang zwischen den Worten Medyas, dem zerbrochenen Ei und sich selbst herzustellen, doch es misslang ihm gründlich. Und so blieb Satis nichts weiter übrig als weiterhin blinzelnd die Fremde anzustarren.
    Medya hingegen begann sich zu ärgern. Wieso reagierte niemand angemessen auf ihre Warnung? Warum verfiel niemand in Panik, rannte schreiend umher, raufte sich verzweifelt das Haar? Niemand schien die aufkeimende Bedrohung ernstzunehmen, und selbst das Ei, das gerade die Bordsteinkante herunterlief, bedachte sie nur mit einem hämischen Grinsen.
    Außerdem hatte sie bemerkt, wie viel hübscher die Frau zu ihren Füßen war …
    „Spinnst du, Gumpy? Warum sollte mich das interessieren?“
    Sie war ein gutes Stück kleiner als Medya, und ihr Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein brünetter, seidiger Kranz. Eine niedliche Stubsnase untermalte den freundlichen Eindruck, den man zwangsläufig von ihr gewann.
    „Jetzt übertreib mal nicht!“
    „Mit wem redest du denn?“, fragte Satis verwirrt, doch Medyas Aufmerksamkeit galt allein der Stimme in ihrem Kopf, die sie nun darauf hinwies, wie warm und strahlend die braunen Augen der Haushälterin waren, Augen, in die sich stets ein Lächeln stahl.
    „Gumby, du bist ein … Moment. Du hast recht!“ Die Lider zusammengekniffen beugte sich Medya vor, so weit, dass Satis schon fürchtete, die fremde Irre würde auf die fallen oder sie anspringen. „Sie … sie ist wirklich furchtbar süß!“ Ein funke Neid kochte in Medya auf, und Neid spiegelte sich in ihr immer in schlechter Laune wider, und nichts hasste Medya mehr als schlechte Laune. Ohne Vorwarnung griff sie in den kleinen Korb mit Eiern zu ihren Füßen, nahm eines heraus und warf es mit aller Kraft ihrer jämmerlich schwachen Arme in die Menschenmenge. Erschrocken zuckte Satis zusammen, machte sich klein, als fürchte sie, als Ursache der unerfreulichen Überraschung misserkannt zu werden.
    Tatsächlich zerplatzte das Ei im Genick eines Passanten, der sich mit einem erschrockenen Aufschrei an den Hinterkopf fasste. Zu ihrem Glück schien er nicht ausmachen zu können, aus welcher Richtung ihn das Ei getroffen hatte, doch in Satis stieg auf einmal Zorn auf. Was erlaubte sich diese Person?
    „Spinnst du eigentlich total? Du kannst doch nicht mit Eiern auf Leute werfen!“ Eine schmale Leiter führte auf das Vordach, über welche wohl diese Irre aufgestiegen war. Und in ihrem Zorn tat Satis etwas, das sie in einem normalen Gemütszustand nie getan hätte und später noch häufig bereuen würde: Sie griff nach der Leiter und setzte ihre Füße auf die Sprossen.
    Perplex starrte Medya die Haushälterin an, die nun selbst fast auf das Vordach gestiegen war. „Bist du gerade vorhin eingeschlafen oder was? Natürlich kann ich das.“ Zur Demonstration griff Medya nach einem weiteren Ei, holte aus und warf.
    Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge auf der Straße. Eilig griff Satis nach dem Korb mit Eiern, hob ihn sich hinter den Rücken, dass Medya keine Gelegenheit bekam, noch einmal hineinzugreifen.
    Doch die Rothaarige beachtete sie gar nicht mehr. Wie versteinert blickte Medya auf die Straße hinab, und kurz darauf tat Satis es ihr gleich.
    Mit einem Ausdruck tiefster Verärgerung wischte sich dort Isingwar, der Fürst Telomers, Eidotter von seiner sündhaft teuren, reich bestickten Weste. Triefend lief Eiweiß von seinen weichen, wildledernen Handschuhen, und auf einmal herrschte Stille auf der Straße.
    Die Straße war so verstopft, weil die Menschen Platz für das Gefolge des Fürsten machen wollten. So nutzlos diese Erkenntnis nun war, drängte sie sich Satis in den Kopf, bevor Furcht und Panik schlussendlich die Obermacht über ihren Verstand gewannen.
    „Was glotzt ihr so blöd?“, blaffte Isingwar seine Wachen an. „Nehmt sie endlich fest, verdammt nochmal!“

    Vielen Dank Kirisha für deine Antwort, freut mich, dass dir Medya gefällt.

    Ich würde sagen, dass wahrscheinlich einiges, was der Erzähler sagt, wirklich auch auf Medya zutrifft, nur nicht so gravierend und in dem Ausmaß. Auf eine gewisse Art ist der Erzähler eben auch ein Teil von ihr und kennt sie durch und durch, und er projiziert all ihre Unsicherheiten und Ängste auf sie zurück - und das sind momentan vor allem Äußerlichkeiten. Kurz gesagt ist sie denke ich keine Schönheitskönigin, aber auf keinen Fall abstoßend, wie sie der Erzähler ja schließlich darstellt. Ich möchte versuchen, Medya nicht nur als quietschbuntes Energiebündel darzustellen (das sie meistens durchaus ist). Sie soll auch eine Seite haben, an der sie zu Nagen hat, und der Erzähler soll hierbei seinen Teil beitragen.

    Vielen Dank nochmal allen, die mitlesen, kommentieren und korrigieren, ich freue mich sehr über Feedback und Anregungen, gerade auch, weil ich mit diesem Geschichtstyp noch auf sehr wackligen Beinen stehe. Ich schaue, dass ich bald den nächsten Teil poste!

    Hey Moog, vielen Dank für deine Antwort und deine Anmerkungen!

    Als ich plötzlich etwas von Finanzämtern las, war ich aber kurz irritiert (was natürlich nichts heißen muss; es hatte mich nur über die zeitliche Einordnung grübeln lassen). Daher könnte man von mir aus den Absatz...

    Perfekt, ich glaube, dann tut der Part, was er soll :D Es soll ein wenig schräg wirken, ich hoffe, das bleibt in einem nachvollziehbaren Rahmen und wird nicht anstrengend.

    Dann aber mal zum nächsten Part:

    Kapitel I: Wie Krieg einfach nicht Recht behalten soll

    400 Jahre später

    Rufe gellten durch die Nacht, wütend, rissen all die Schläfer aus ihren Betten, weckten gar den grummeligen Mond am Firmament. Medya entschuldigte sich im Vorbeigehen bei ihm, doch sein verschlafenes Gesicht brachte sie so zum Lachen, dass selbst die Sterne sie nicht mehr Ernst nehmen konnten. Doch Ernsthaftigkeit war noch nie eine Stärke der Sterne, und so zwinkerten sie ihr zu, als sie barfuß über Hecken und Gärten sprang, in Richtung des Waldes.

    Bellend erwachten nun auch die Hunde, an denen sie zuvor noch so einfach vorbeigeschlichen war; heftig mussten die Wärter an ihren Halsbändern zerren, an den armen Tieren, die kurz zuvor noch von Knochen und Gummibällen geträumt hatten und nun in die Nacht hinaushetzen mussten, ihr, Medya Ludus hinterher, der entkommenen Irren aus der Anstalt.

    Schritt um Schritt kam sie den Bäumen näher, den Tannen und Fichten, die ihr mit ihren hunderten Armen zujubelten, stumm, aber nicht weniger enthusiastisch. Wie eine Langstreckenläuferin durchbrach sie das Band des Waldrandes, sprang noch einen kleinen Abhang hinab, bevor sie triumphierend aufschrie, einen kurzen Freudentanz aufführte, den ihr die Würmer im Boden beantworteten. Doch dann lief sie weiter, denn sie hörte, dass das Bellen und die aufgeregten Rufe immer näherkamen.

    Ja, sie rannte, und sie rannte schnell für ihren hageren Körper, ihre dünnen Beine …

    „Quatsch, du erzählst das völlig falsch! Von Anfang an!“ Empört blieb Medya stehen, verschränkte entrüstet die Arme. „Ich bin keine ‚entkommene Irre aus der Anstalt‘!“

    Du warst in einer Anstalt eingesperrt und bist aus ihr entkommen.

    „Zu Unrecht eingesperrt!“

    Du bist eingesperrt worden, weil du Kinder und alte Leute mit Eiern beworfen und ihnen erzählt hast, ein Fisch würde die Welt verschlucken wollen.

    „Anders hat mir keiner zugehört! Was hätte ich denn bitte machen sollen? Warten, bis ein Fischmaul am Horizont erscheint?“

    Zum Beispiel.

    „Quark! Und den Teil mit den ‚dünnen Beinen‘ und dem ‚hageren Körper‘ gibst du auch völlig falsch wieder. Es sind hübsche Beine, dünn, aber wohlgeformt, und meine Brust wiegt bei jedem Schritt!“

    Doch an Medya Ludus gab es nichts, dass auch nur annähernd voll genug zum Wiegen war, insbesondere nicht ihre eher unauffällige Brust. Hager eingefallene Wangen …

    „Du meinst ‚ihr wunderschön geschnittenes Gesicht‘!“

    … hager eingefallene Wangen schauten unter einem wirren, krausen Vorhang aus Haaren hervor, rot und strohig wie das Haupt einer Vogelscheuche.

    „Hey, ich bin stolz auf mein Haar!“

    Auf jeden Fall musste Medya ihren Streit mit dem Erzähler jetzt beenden, denn während sie im Wald stand und mit sich selbst sprach, waren ihre ehemaligen Wächter und deren Hunde gefährlich nahegekommen, durchstöberten das Unterholz und folgten der Fährte, die die kalten Schnauzen voller spitzer Zähne aufgenommen hatten.

    „Oh … wo du Recht hast.“ Den Steinen und Moosdecken winkend rannte Medya weiter, wo auch immer ihr ungelenker Gang sie hinführte. Und doch rannte sie nicht ziellos, denn ihr Weg führte sie nach Westen, hin zu den Dörfern und Städten im Umland der Anstalt.

    „Du hättest noch etwas über meine Augen sagen können. Meine schönen, großen Augen.“

    Genau. Denn Medyas Augen mochten das einzige an ihr sein, dass unauffällig war, braun mit völlig normal langen Wimpern; wäre dort nicht der starre, durchdringende Blick gewesen, der jeden in die Flucht schlug, noch bevor er ihr abscheuliches Äußeres überhaupt wahrgenommen hatte.

    „Du bist ein Arsch, weißt du das? Wie heißt du eigentlich?“

    Ich? Ich bin nur ein Erzähler, ich habe und brauche keinen Namen.

    „Dann nenne ich dich einfach Gumby. Gumby ist ein guter Name für jemanden, der eigentlich gar keinen Namen möchte.“

    Von mir aus.

    „Jap!“

    Und so floh Medya weiter, Stunde um Stunde mit dem Wort ‚Gumby‘ auf ihren Lippen, dass sie kichernd und kichernd immer wieder wiederholte, um so den Stimmen in ihrem Kopf auf den Geist zu gehen. Doch nichts würde sie aufhalten, denn Medya wusste: Sie war zu etwas sehr besonderem bestimmt.

    Da bin ich wahrschlich mit einem Einwurf recht spät dran, aber hier in der Gegend wurde ein Fürstinnengrab von vor 2600 Jahren ausgehoben haben - und da haben sich zumindest ein paar Knochen und andere organische Materialen erhalten, und das gerade weil das Grab die längste Zeit unter Wasser stand. Immerhin schützt das auch vor Sauerstoff, und den brauchen ziemlich viele Mikroorganismen. Wenn man sich jetzt noch die ganzen Leichen auf dem Mount Everest anschaut, die, wenn sie windgeschützt liegen, nach Jahrzehnten noch recht frisch aussehen, scheint es da eben doch nen ganzen Haufen an Faktoren zu geben, wie so ne Leiche denn mal verschwindet.

    Da das Haus jetzt aber wahrscheinlich nicht auf dem Mount Everest steht oder auf dem Boden eines Flusses: Ich denke, dass sich Skelette ohne Tierverbiss, ohne Wind und Wetter verdammt lange halten. Es gibt immerhin frühmenschliche Knochenfunde in Höhlen.
    Dann gibt es noch diesen Fall von zwei englischen Prinzen, die im Kindesalter (wahrscheinlich) umgebracht, 1483 eingemauert und 1674 (wahrscheinlich) wieder gefunden worden sind, die Knochen scheint es heute noch zu geben. Ich glaube nicht, dass ein Skelett, das trocken, dunkel und geschützt in einem Haus liegt in der Lebensspanne eines Menschen zerfällt, und ganz sicher nicht restlos.

    Hallo Forum!

    Es ist wahrscheinlich zu lange her, dass auch nur noch einem Medya etwas sagen wird - schließlich ist ihre Geschichte auch weder sehr lang noch sehr alt geworden. Die Grundidee für Medya war die einer - im "positiven" Sinne - schizophrenen Figur, die "hinter die Grenzen einer von anderen Menschen wahrgenommenen Realität blicken kann." Leider war das Konzept damals viel zu vage und meine Ideen viel zu unausgereift, weshalb ich die Geschichte wieder fallengelassen habe.

    Aber über die ganze Zeit hat mich Medya irgendwie nicht losgelassen. So schräg und seltsam die Ideen dafür waren, war es von all den Sachen, die ich nach Symphonie der Stille angefangen und nicht beendet habe meine absolute Lieblingsidee. Also habe ich ein wenig gesammelt und glaube jetzt, eine etwas fundiertere Geschichte erzählen zu können.

    Langer Rede kurzer Sinn: Hier ist alleine für euch Medya Ludus, wahnsinnig, ein bisschen schräg, aber hoffentlich auch super unterhaltsam.

    Prolog

    Krachend flogen die Flügel der eisernen Tore auf, enthüllten den Blick auf eine regnerische und stürmische Nacht, und das Klirren der Schwerter und die elendig kümmerlichen Schreie der Sterbenden, die vorher nur ein unerfreuliches Rauschen gewesen waren, schallten nun umso penetranter durch die düsteren Hallen. Fackeln flackerten in ihren Halterungen, und in ihrem Schein ließ sich eindeutig erkennen, dass wir uns in der Residenz des Bösen befanden. Warum? Nur ein Dummer hätte in der grobschlächtigen Architektur Zeichen einer lange unterdrückten, nun aber aufstrebenden Kultur gesehen, die sich nun gegen Jahrtausende der Ausbeutung wehrte und ihren Platz auf der Welt mit Blut und Eisen verteidigte. Nur ein Narr hätte in den hässlichen Fratzen der Guknuk einen anderen Zweck als den einer beweglichen Zielscheibe gesehen, hätte vielleicht ihre schnelle Entwicklung und ihren Sinn für Technik erkannt. Nur ein Trottel hätte den Satz „ja eigentlich haben sich die Guknuk schon arg bemüht, einen Krieg zu vermeiden und ein Abkommen zum gegenseitigen Vorteil auszuhandeln, aber irgendwie haben wir uns da quergestellt“ von den Lippen gebracht. Aber ein wahrer Held lässt sich von einer solchen Feingeisterei nicht beirren. Immerhin waren die Guknuk schon ordentlich hässlich, eine echte Beleidigung fürs Auge, und wie viel Gutes soll bitte schon in so einem knochigen Ledersack stecken? Zum großen Glück aller hatten wir es aber mit einem wahren Helden zu tun, der da eiserne Tore auftrat und sich sein langes, nasses Haar aus dem Gesicht strich. Zum Zeichen seines Heldentums trug er ein Schwert in der rechten Hand, von dem das Blut all jener Bösewichter tropfte, die ein bisschen weniger Geschick im Abschlachten unschuldiger Bauerntölpel bewiesen hatten. Die Linke ließ nun den Helm fahren, der scheppernd auf dem steinernen Boden aufschlug, denn schließlich sollte jeder sein Gesicht erkennen können, wenn er mit dem abgeschlagenen Kopf des Guknukkönigs Groboron vor die Kämpfenden treten, den Sieg verkünden und somit den Krieg beenden würde.

    Hochkonzentriert, jeden Moment einen Hinterhalt erwartend ging unser Held den düsteren Gang entlang, doch nur ab und zu sah er einen aufgeschreckten Diener davonrennen oder eine erschrockene Guknukmaid in Ohnmacht fallen. Ein bisschen wenig Gegenwehr, wenn doch der größte Ritter aller Zeiten gekommen war, um dieses lästige Völkchen zurück in die Steinzeit zu treten, wo es schließlich hingehörte. Energisch biss er die Zähne zusammen – die würden schon noch erleben was es bedeutete, ihm nicht den gebürtigen Respekt zu zollen.

    Nach gut fünfzehn Minuten kam unserem Helden das erste Mal der Gedanke, dass er sich verlaufen hatte. Immerhin hatten ihm keine anstürmenden Gegnerhorden den Weg gewiesen, wie hätte er da in diesem weitläufigen und unbekannten Gebäude anders sein Ziel finden sollen? Ärgerlich brummend stapfte er durch einfache Bibliotheken, Gesindekammern und Küchen, bis er schließlich einen der verbliebenen Köche aus seinem Versteck in einem Wandschrank riss.

    „Hey du!“ Grob schüttelte unser Held den armen Kerl am Kragen. „Wo finde ich den verdammten Thronsaal?“

    „D-Den Thronsaal?“, jammerte der schmächtige Guknuk zitternd, die gelben Augen panisch aufgerissen.

    „Stottere ich? Wo–finde–ich–verdammt–nochmal–den Thronsaal?“

    „N-Nur noch den Gang und die T-Treppe hinab, dann L-Links und Ihr seid sch-schon da!“

    Angewidert ließ unser Held den Koch auf den Küchenboden fallen. „Jämmerlich. Einem Menschen wären diese Worte nur unter Folter über die Lippen gekommen, wenn überhaupt!“

    „W-wenn Ihr denkt“, meinte der Guknuk irritiert. „W-Was habt Ihr denn vor?“

    „Ich werde Groboron den Kopf abschlagen und ihn zusammen mit meinen Streitern durch die Ruinen eurer Stadt tragen, mit Siegesgeschrei auf den Lippen! Was hast du denn geglaubt?“

    „A-aber Ihr seid doch ganz alleine hier, oder?“ Noch immer perplex sah sich der Guknukkoch um, als erwartete er, dass auf einmal ein Trupp schlagkräftiger Panzerkrieger die Küche stürmt.

    „Meine Männer kämpfen in den Straßen, aber ich werde diesen Krieg alleine entscheiden, indem ich euren König einen Kopf kürzer mache! Das ist die Aufgabe eines wahren Helden!“

    „Ja dann … viel Glück!“ Beklommen richtete sich der Koch auf, wischte sich Staub von seiner Schürze.

    „Scher dich davon, bevor ich dir Beine mache, du ledriger Abschaum!“ Unser Held wartete nicht lange darauf, ob der Guknuk seiner Aufforderung Gehorsam leistete, sondern schritt missgelaunt hinaus auf den Gang, den Hinweisen des Kochs folgend. Und tatsächlich, wenige Augenblicke später durfte unser Held die nun hölzerne Tür zum Thronsaal ein- und in den Schein weiterer Fackeln treten, die Spitze seines Schwertes auf Augenhöhe.

    „Yngwy von Detwen!“ Alt und klein und ganz besonders ledrig saß König Groboron in seinem Thron. Nur wenige Fackeln erhellten den weiten Raum, die Wandteppiche und den Pavillon über dem Kopf des Königs. Ein schütterer, weißer Bart fiel von seinem olivgrünen Kinn auf die schmale Brust hinab, die in den teuren roten Stoff gewandet war, wie man ihn weit im Süden der Welt machte. Nichtsdestotrotz konnte das Material nicht über den einfachen Schnitt hinwegtäuschen, wie ein König der Menschen sah Groboron in seinem Ornat nicht aus, eher wie ein einfacher Händler.

    „Groboron! Lang ist’s her, aber ich hab dir ja gesagt, dass ich mal zu Besuch komme.“

    „Ihr habt damit gedroht“, korrigierte ihn der Guknukkönig. „Ihr meintet wortwörtlich, Ihr zerrt mich von meinem Thron und hinterlasst dafür etwas von ähnlicher Größe und identischem Gestank.“

    „Ein rein rhetorisches Mittel! Wir hatten schließlich verhandelt.“

    „Verhandeln nennt Ihr das, soso.“ Seufzend ballte Groboron die dürren Hände zu Fäusten. „Verhandlungen nennt Ihr das, dass Ihr dieses Land mit Krieg überzogen habt, obwohl wir Eure Beleidigungen über uns haben ergehen lassen in der Hoffnung auf Einigung. Sind die Toten auch nur rhetorische Mittel? Die Zerstörung, die Waisen, die Männer und Frauen meines Volkes, die alles verloren haben? Habt Ihr dafür auch einen Eurer dummen Sprüche?“

    „Wo gehobelt wird, fallen nunmal Späne.“ Unverholen grinste Yngwy dem Guknukkönig ins Gesicht. „Jetzt habt ihr schon ein paar weniger Mäuler zu stopfen, immerhin waren die Ernten miserabel dieses Jahr, nicht wahr?“

    Stumm sah Groboron auf den Menschen herab, denn jedes Wort blieb ihm im Halse stecken. Mit einer zitternden Bewegung hob er seine Hand und klopfte drei Mal auf die hölzerne Armlehne seines Throns.

    Keine Sekunde später stürzten Wachen in den Thronsaal; reglos mussten sie in der Nähe gewartet haben, auf den Befehl ihres Königs wartend. Jetzt blickten sie Yngwy aus zornesroten Augen an, ihre Sichelspeere auf den Menschen gerichtet.

    „Wo gehobelt wird, da fallen Späne, ja ja. Wir werden Eure Worte mit in die Waagschale werfen, wenn wir die Bedingungen Eurer Kapitulation aushandeln. Lasst Euer Schwert fallen.“

    Blinzelnd sah Yngwy abwechselnd die Wachen und Groboron an. „Kapitulation? Wovon redet Ihr?“

    „Wovon …? Ihr seid doch hier, um mir Eure Kapitulation zu erklären, oder nicht?“

    „Ich bin hier, um Euch zum Duell zu Fordern!“, brüllte Yngwy empört. „Kämpft mit mir um den Sieg!“

    „Eure Männer werden in den Straßen abgeschlachtet. Ihr habt zwar die Mauern überwunden, aber hier seid Ihr nun in der Unterzahl. Das Blatt hat sich gewendet, es sieht nicht gut aus für Euch!“

    „Deshalb bin ich doch hier!“ Genervt fuchtelte der Mensch mit seinem Schwert. „Wir fechten aus, wer den Krieg gewinnt, Mann gegen Mann! Bewaffnet Euch!“

    Einen kurzen Moment herrschte Stille in den Hallen der Guknuk. „Nein, das werde ich nicht tun.“

    „Was? Ihr … Ihr …“

    „Warum sollte ich, Yngwy? Ich bin ein alter Mann und war jung nicht mehr als ein einfacher Bauer. Ihr seid zudem eindeutig im Nachteil, warum sollte ich zu so verzweifelten Mitteln greifen?“

    „Na …“ Langsam ließ Yngwy sein Schwert sinken „Ehre …“

    „Meine Ehre liegt unter den tausenden von Leichen begraben, die Euer Krieg verursacht hat.“ Klackernd ließ Groboron seine Fingernägel auf den Lehnen seines Throns klackern. „Also verstehe ich es richtig? Ihr wollt nicht kapitulieren?“

    „Niemals!“

    „Und Ihr seid auch kein offizieller Gesandter Eures Königs und kommt unter dem Schutz der Verhandlung zu mir?“

    „Öhh … nein …“

    „Ja dann … tötet Ihn!“

    „Das könnt Ihr nicht …!“ Und wie der König der Guknuk dies konnte, denn zehn Wachen stürzten sich nun gleichzeitig auf ihn. Geschickt ließ Yngwy sein Schwert in der Luft kreisen, wich dem ersten Stoß eines Sichelspeers aus, drehte sich und rammte die Klinge durch den Eisenschuppenpanzer seines Gegners. Noch knapper entging er dem zweiten Stoß, ergriff den Schaft des Speeres und entwand ihn seinem Besitzer.

    Und erstarrte, als kalter Stahl in seine Seite stieß. Zitternd ließ Yngwy den gerade erbeuteten Speer fallen und durchtrennte mit einem gezielten Hieb den Ansatz der Waffe, die sich in ihn gebohrt hatte. Mühselig wich er einem weiteren Angriff aus, doch der Schmerz seiner Wunde pochte mit jedem seiner rasenden Herzschläge durch seinen Körper. Tänzelnd wich unser Held zurück, die Hand auf seine Seite gepresst, schlug noch einmal nach einer Wache, bevor er sich an einer Wand zu Boden gleiten ließ.

    Groboron war indes von seinem Thron gestiegen und hatte sich einen der Speere reichen lassen. Nun endlich seinen Widersacher überragend blieb er vor Yngwy stehen, den Schaft mit beiden Händen haltend.

    „Ihr wollt nicht vielleicht doch noch über eine Kapitulation reden, oder?“, würgte Yngwy zwischen seinen Zähnen hervor, um ein verzweifeltes Lächeln bemüht.

    „Nein. Schmort in der Hölle.“ Das letzte, was unser Held in seinem Leben sah, war der kalte Blick des Guknukkönigs, bevor sein Geist für immer entschwand.


    Für immer?


    Nein! So milde mochte das Schicksal nicht mit der Welt und ihren Bewohnern umspringen, als dass sie unseren Helden aus den Annalen der Zeit getilgt hätte. Vielleicht hätte man glauben können, dass die Völker dieses Planeten mit eiternden Pestbeulen, grausamen Hungersnöten und der peinigenden Gründlichkeit von Finanzämtern nicht genug gestraft worden sind, doch der Kosmos dieser armen Welt ertrug noch eine weitaus schlimmere Last: Götter! Und unser Held ist einer davon.

    Weit oben nun über den Wolken und Meilen entfernt von allem weltlichen Geschehen erhob sich Ahvanach, Heim der Götter. Hallen so alt wie die Zeit sonnten sich unter einem immerblauen Himmel, Weinranken zogen sich an zierlichen Marmorsäulen empor. Doch weit im Bauch eines Tempels, der auch als Tempel der Wiedergeburt bekannt war, tauchte etwas aus dem Becken der Reinkarnation auf – ihr habt’s erraten: Unser Held.

    „Dieser Scheißkerl!“ In einer Mischung aus Wut und Anerkennung schlug der, der einstmals als Yngwy bekannt war, seine Hand auf den Spiegel des Beckens, lachte dann jedoch und rieb sich das Wasser aus Augen und Bart. „Ich hätte es mir denken können! Kein Funken Anstand in diesen grünen Ledersäcken! Aber was solls? Ich hatte meinen Spaß.“

    „Krieg!“, ertönte es vom Rand, irgendwo über ihm, wo eine Empore wirklich stramme Arschbomben in das Becken der Reinkarnation zuließ. „Wird aber auch mal Zeit, dass du dich wieder blicken lässt!“

    „Avila!“ Lachend drehte sich Krieg um, bis er die Haushälterin des Götterhimmels sehen konnte, dann schwamm er in wenigen, kräftigen Zügen zum Rand. Aus dem Wasser erhob sich ein wahrer Adonis – etwas kurzgeraten, aber mit einem Körper wie aus Marmor gemeißelt, stramme Muskeln unter makelloser Haut. „Ja, dreiundzwanzig Jahre! Ich hab schon fast befürchtet, ich würde in diesem Körper alt werden wie beim letzten Mal.“

    Lächelnd reichte Avila dem Gott ein samtweiches Handtuch. Strähnen ihres gebündelten schwarzen Haares fielen ihr ins Gesicht, und neben ihrem olivfarbenen Teint wirkte Krieg geradezu bleich. „Sah fast schon aus, als würdest du deinen Altersrekord brechen wollen.“

    „Meine Güte Avila, das wären fünfunddreißig Jahre! Weißt du, wie sich ein menschlicher Körper mit fünfunddreißig anfühlt? Furchtbar, wirklich abscheulich! Ich glaube, ich habe für dieses Zeitalter auch genug von dieser ganzen Rummenschlerei. Überlassen wir unseren Schäfchen das Heldentum für die nächsten hundert Jahre.“

    „Wo wir gerade dabei sind: Warum hast du zugelassen, dass sie dich schlagen? Du hattest die Guknuk doch in der Hand, hättest du sie aushungern lassen hätten sie kapitulieren müssen. Ihre Versorgungsrouten waren abgeschnitten und von Außerhalb hatten sie keine Hilfe zu erwarten!“

    „Hast du mir mal wieder mit dem Teleskop nachspioniert, was?“ Schelmisch grinste Krieg, während er sich eine fein säuberlich zusammengelegte Toga aus seinem Fach zog und das Handtuch zu Boden fallen ließ, wo es Avila ohne zu zögern aufhob. „Ich habe nun so viele Kriege gewonnen, dass mir der Sieg alleine nicht ausreicht, meine Gute. Es kommt darauf an, wie man siegt. Über gewitzte Strategen singt man keine Lieder, oder kennst du etwa eins? Nein, der Held, der eine aussichtslose Schlacht mit einem Hieb seines Schwertes zum Guten wendet, das Kühne, das Wagemutige beflügelt die Zungen der Dichter. ‚Wir saßen nur rum bis sich der Feind selbst ergab‘ macht einfach keine gute Zeile.“

    „Wohl wahr. Verzeih mir die Frage.“ Etwas schüchtern wandte Avila den Blick zu Boden, bevor sie ihn wieder über Kriegs Bizeps wandern ließ.

    „Dir doch immer, dir doch immer!“ Endlich hatte Krieg es geschafft, die Toga halbwegs elegant um seinen Körper zu wickeln. Allem Anschein nach war er etwas aus der Übung. „Aber erzähl mal: Was hat sich in meiner Abwesenheit getan?“

    „Pff, nicht wirklich viel.“ Grübelnd legte Avila den Zeigefinger ans Kinn, während sie gemeinsam die Stufen zum Kern des Gebäudes bestiegen. „Andhara und Alami liegen sich immer noch in den Haaren, Okulus ist noch keinen Schritt weiter als vor zwanzig Jahren, dass bei Nashis Durst überhaupt noch etwas von ihrem Wein für den Rest übrig bleibt ist ein Wunder …“

    „Also alles beim Alten.“

    „Alles beim Alten.“ Mittlerweile hatten sie die eigentliche Halle der Reinkarnation erreicht, ein wahrhaft riesiges Gebäude, in dem Groborons Thronsaal locker zehnmal hineingepasst hätte. Blasse, lorbeerbekranzte Diener rannten hier umher, deckten Tische, trugen Karaffen herbei, denn es war Tradition, dass mit jeder Entfleischung eines Gottes ein Fest begangen wurde. „Oh nein, warte! Medya ist vor ein paar Wochen wieder ausgebückst!“

    „Medya? Ausgebüchst?“ In gespielter Entrüstung griff sich Krieg an die Brust. „Dann ist doch alles beim Alten.“ Im Vorbeigehen riss Krieg einem Diener ein Tablett mit eingelegten Oliven aus der Hand und stieß ihn fast beiläufig, nur mit zwei Fingern so gegen die Schulter, dass es ihn von den Füßen riss.

    „Du hast selbst gesagt, dass das immer öfter vorkommt und immer länger dauert, bis sie entfleischt. Du weißt, was passiert, wenn sie länger fort ist!“

    „Und sie wird wiederkommen, wie sie es immer getan hat. Irgendwann wird es ihr da unten langweilig, wie uns allen. Gönnt ihr doch einfach mal ihren Spaß, ihr tut ja immer so, als würden wir hier ohne sie gar nichts geschissen bekommen.“

    Empört verschränkte Avila die Arme vor der Brust. „Du hast ja leicht reden, sobald du hier oben bist, ist deine Arbeit ja auch fast getan! Weißt du, wer hinter allen aufräumen darf, wenn dann wieder alles den Bach runtergeht? Ja? Ich!“

    „Jetzt beruhig dich mal! Ich prophezeie dir jetzt etwas: In vier, fünf, maximal zehn Jahren ist Medya wieder hier, zerknatscht wie eh und je, und dann läuft wieder alles am Schnürchen.“

    Kritisch legte Avila die Stirn in Falten. „Denkst du?“

    „Denke ich. Warts einfach ab. Es bleibt wie immer alles beim Alten.“

    „Es tut mir leid.“ Kalt hallte das Schluchzen von dem Fels der Wände wider, mischte sich unter das beständige Tropfen, das Fließen und Knacken. Nicht ein Sonnenstrahl hatte hier je den staubigen Boden geküsst, auf dem der König der Tiefen kniete. Der König, der nie König sein wollte in diesem augenlosen Reich.

    „Bitte vergebt mir!“ Ein winselnder Ton gewann die Oberhand in dem Geschluchze des Bleichen, zitternd zog er sich mit seinen dreckigen Fingern voran, die langen Nägel über den blanken Stein kratzend. Ein jämmerliches Bild mochte der König der Tiefen abgeben mit seinem zerschlissenen Umhang, den strähnigen Haaren voller Kalkstaub, den dürren, ledrigen Armen. Aber würden nicht die Wurzeln des Weltenbaumes in diese Hallen herabreichen, wären sie nicht die Nahrung für die leuchtenden Pilze der Tiefen, so könnte man sein Trauerspiel nicht mitansehen. Es bliebe für immer verborgen in der Dunkelheit, in der der Bleiche die Ewigkeit verbracht hatte, in der leeren Einsamkeit der unendlichen Gänge. Aber schließlich gab es hier unten auch keine Augen, keine Ohren, die Zeuge dieser Schande werden konnten. Nicht wahr?

    „Ich konnte einfach nicht mehr!“ Erfolglos versuchte der König sich hochzuziehen, zitternd krallten sich seine Hände in eine überhängende Wurzel, doch vergebens. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Die Einsamkeit. Die Dunkelheit.“ Jetzt hatte der Bleiche aufgegeben, keuchend lehnte er sich mit dem Rücken an das Geflecht aus feinen Wurzeln hinter ihm, rang um Atem. „Ich hätte nur über die Toten wachen sollen. Das war meine Aufgabe, der Sinn und Zweck, den ihr mir gabt. Aber ich habe es nicht mehr ausgehalten.“ Hustend erbrach der König der Tiefen Blut, grotesk grell in dieser farbenlosen Welt. Langsam, aber beständig begann es auch aus seinem Umhang zu tropfen, aus den Ärmeln und den Löchern, durch die sie Wunden geschlagen hatten.

    „Ich habe mir Freunde aus ihnen gemacht. Ich habe sie geformt, damit sie mir Gesellschaft leisten. Ich habe sie mit all dem gefüllt, was sie brauchen. Aber sogar sie wollen nicht hier unten bleiben!“

    Kratzen, Schaben vertrieb nun die einstige Monotonie der Stille, als sie in den Thronsaal eindrangen. Spinnen gleich schritten sie auf unzähligen Extremitäten durch das Königreich der Toten, zerflossene Körper ohne wahre Gestalt, amorphes Fleisch. Doch sie beachteten den Bleichen nicht, wie er blutend und hilflos vor ihnen lag. Wie ein einzelnes Schwarmwesen begannen sie, den Weltenbaum zu erklimmen, sich an seinen zahllosen Wurzeln emporzuziehen. Rauf in diese Welt der Wärme, diese Welt des Lebens, diese Welt des Blutes.

    Und langsam begannen auch die Wurzeln an dem König der Tiefe zu zerren, doch sie taten es nicht mit bösem Willen. Der Bleiche gab sich ihnen hin, erlaubte, dass sie eins mit ihm wurden, sich seiner annahmen.

    „Mir bleibt nun nur, euch zu warnen, und ich weiß, meine Worte werden euch erreichen. Bis dahin werde ich ruhen.

    Und meine neugeborenen Augen dürfen noch einmal das Tageslicht sehen.“

    Langsam erstarrten die Züge des Bleichen, als seine Haut zu Holz und sein Fleisch Teil des Weltenbaumes wurde. Über ihm zogen sich seine Geschöpfe empor, gruben, stachen, fraßen sich voran.

    Bis nun endlich wieder Stille über allem lag, in vergessenen Hallen, den Landen der Toten.

    Vielen Dank für eure Antworten, ich kam die letzte Zeit leider viel weniger zum Schreiben als ich gedacht habe. Der nächste Part ist aber fertig:

    Fast schon schleichend kam der Herbst, und er stahl die warmen Tage, nahm sie an sich und erstickte sie in Regenschauern und trübem Morgennebel. Die Bauern im Südwesten hatten längst Gerste und Weizen von den Feldern geholt, Bluthänflinge und Stieglitze pickten eifrig auf, was von den Erntehelfern übriggelassen wurde. Überall im Land bereiteten die Gemeinden den Erntedank vor –

    Nur in Ethlon nicht, nicht in Ethlon, wo der junge Arigatari sein Leben in Verborgenheit führen musste, denn die Menschen in Ethlon waren Nachkommen alter Völker. Völker, die noch wussten, welche wahren Hintergründe die Feste aus grauer Vorzeit hatten. Niemandem in dem Dörfchen im Wald wäre es eingefallen, das Haus am Tage des dreißigsten Scheddings ohne Maske und Verkleidung zu verlassen. Keiner dort wäre so dumm gewesen, nicht bereits am frühen Morgen eine kleine Opfergabe an der Pforte des Friedhofs abzulegen, denn sie alle wussten, dass an jenem Tage die Schleier dünn waren, die die Vielwelten voneinander trennten.

    Fremde waren rund um diesen Feiertag, dem Scheddach, nicht gerne gesehen. Die ganz Alten erzählten oft noch von den Tagen, an denen der Scheddach wie viele alte Feste verboten und grausam geahndet worden war. Scheiterfest verballhornte das Stadtvolk damals jenen heiligen Abend, höhnisch, denn nicht selten erhellten Scheiterhaufen jene längst vergangenen Nächte.

    Doch nicht immer ließ sich vermeiden, dass ein Fremder in die Vorbereitung des Totenfestes platzte, besonders nicht, wenn es ein so hartnäckiger Fremder war wie Pater Antonius. Schon als junger Priester hatte sich Antonius dem Seelenheil der Dörfler verschrieben, die am Rande der östlichen Wildnis ihr gottloses Dasein fristen mussten. Einmal im Monat besuchte er die zahlreichen kleinen Dörfer, blieb jeweils für drei Tage, um dann zum nächsten weiterzumarschieren. Die Ethloner duldeten ihn – immerhin wollte niemand den Unmut der Kirche auf sich ziehen, die noch immer mit argwöhnischem Auge auf das Landvolk blickte. Und außerdem brachte der Pater ein Gut mit, dass unter den einfachen Handwerkern und Bauern selten war – Bildung.

    „Überleg noch einmal, Arigatari. Du hast zwölf Säcke Kohle.“ Mit einem Holzstab ritzte Antonius zwölf Striche in die kleine Wachstafel, die vor dem Jungen lag. „Drei verkaufst du an den Schmied, zwei an den Glasbläser. Wie viele hast du dann noch?“ Mit hochgezogener Augenbraue lehnte sich der Priester vor, sodass er fast auf Augenhöhe mit dem Jungen war. „Und denk nicht mal dran, deine Finger zu benutzen!“

    Etwas schüchtern flatterte der Blick des Jungen zwischen den Augen des Priesters und dem Wachstäfelchen hin und her. „S-sieben?“

    „Mmh. So ganz überzeugt klingst du aber noch nicht. Was denkt ihr denn?“ Dabei sah sich Antonius in der kleinen Scheune um, die ihm als Schulhaus diente. Vier weitere Jungen saßen dort an niedrigen Tischen, alle zwischen sechs und zehn Jahren alt.

    „Ich glaub, er hat nicht recht!“ Mit den Beinen schaukelnd kratzte Seph, der Sohn des Tischlers, auf seinem Wachstäfelchen herum. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal nachgerechnet, Seph dachte nie viel nach, sondern tat einfach, was ihm gerade einfiel. Nicht so wie Arigatari, der über alles grübelte, vor allem Angst hatte, nie der Anführer sein durfte. Manchmal war Arigatari neidisch auf Seph, aber Seph ließ ihn auch immer mitspielen, und wenn irgendetwas lustiges oder aufregendes geschah, war meist Seph der Mittelpunkt des Ganzen.

    „Nein, er hat recht. Sieben Säcke bleiben übrig.“ Eher gelangweilt stützte Tiu sein Kinn auf seiner Hand ab. Dabei hatte der Müllersohn nicht mal Striche auf seiner Wachstafel gemacht. Eigentlich konnte er bereits alles, was ihnen Pater Antonius im Matheunterricht beibrachte, aber Tiu nutzte wohl jede Gelegenheit, der schweren Arbeit in der Mühle für ein paar Stunden zu entkommen.

    „Der Meister hat gesprochen! Sieben ist richtig. Glaube etwas mehr an dich, Arigatari. Du weißt, wie man seinen Kopf benutzt, also lerne auch, wie man den Mund aufmacht!“

    Schweigend nickte der Junge und erntete dafür ein Stirnrunzeln des Paters. „Ich glaube, wir werden uns nach dem Unterricht noch ein wenig unterhalten müssen. Für heute ist auch genug. Morgen werde ich euch aus dem Almanach der Weisen vorlesen. Übt Zuhause, was ihr heute gelernt habt! Vergesst nicht: Ein Handwerker, der nicht rechnen kann, wird ständig übers Ohr gehauen. Verstanden?“ Nach einem letzten prüfenden Blick in die Gesichter der Kinder nickte Antonius, und beinahe gleichzeitig sprangen die Jungen auf, rannten aus der Scheune, den Unterricht längst vergessen und den Kopf bei dem Schabernack, der sich am späten Nachmittag noch anstellen ließ. Nur Arigatari blieb sitzen. Jeder einzelne von ihnen würde lügen, wenn er behaupten würde, nicht gern in den Unterricht des Paters zu gehen, doch Mathematik hatte keinen hohen Stand in den Herzen der Kinder. Wie Arigatari mochten sie es viel mehr, wenn der Pater aus dem Almanach vorlas, dem heiligen Buch der Kirche. Für einen Moment gelang es dem Köhlersohn dem immergleichen Alltag des kleinen Walddorfs zu entfliehen, sich in den Helden-und Heiligengeschichten zu verlieren, die an so fernen, so fremden Orten spielten. Auch wenn die Erwachsenen die aufgedrängte religiöse Erziehung nur ungern sahen.

    „Ja dann, Arigatari.“ Die Ärmel der Priesterkutte stießen Arigatari fast ins Gesicht, als der Pater seine Arme verschränkte. „Was ist einundzwanzig minus neun?“

    Unverständlich sah Arigartai in Antonius Gesicht. „Ich dachte, der Unterricht ist vorbei!“

    „Ist er auch. Beantworte bitte meine Frage. Was ist einundzwanzig minus neun?“

    „Zwölf!“

    „Fünfzehn plus 8?“

    „Dreiundzwanzig.“

    „Du hast sechs Körbe und in jedem davon liegen acht Steine, wie viele Steine hast du?“

    „ Ich … achtundvierzig Steine?“

    Antonius seufzte. „Das war alles korrekt, und du hast weder deine Finger gebraucht noch deine Wachstafel. An der letzten Aufgabe wären sogar viele deiner Mitschüler, die vor dir begonnen haben, gescheitert. Und trotzdem sitzt du hier im Unterricht und tust so, als würdest du mit den einfachsten Aufgaben kämpfen. Das lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu.“ Langsam wich Antonius etwas von dem kleinen Tisch zurück, hinter dem sein Schüler zu einem kleinen Häuflein Elend zusammengeschrumpft war. „Entweder, die Anwesenheit der anderen macht dich so nervös, dass du keinen klaren Gedanken mehr gefasst bekommst, und das glaube ich nicht. Oder aber du stellst dich absichtlich dumm an.“

    „Sie mögen es nicht, wenn jemand besser ist im Rechnen als sie“, gab Arigatari klein bei. „Ich darf ja nicht mal am Scheddach auf die Nachtweihe, wie ein Kleinkind. Ich will ihnen nur keinen Grund geben, mich zu hassen.“

    Bei dem Namen des ketzerischen Feiertages zuckte der Pater kurz zusammen, und vielleicht dauerte es auch deshalb eine Weile, bis er die richtigen Worte fand. „Dass hier der Scheddach gefeiert wird ist ein ganz anderes Problem. Aber hör mir zu, Arrigatari. Es gehört zum Leben dazu, dass man anderen die Stirn bieten muss. Du kannst dich nicht jedes Mal verkriechen, wenn jemand Streit sucht. Du kannst dich nicht immer klein machen, wenn ein anderer in deinem Schatten steht. Manchmal musst du eben auch deinen eigenen Kopf haben.“

    „Dann meinst du also, ich soll einfach auf die Nachtweihe gehen?“ Erschrocken geweitete Augen blickten zu Antonius empor, der vehement den Kopf schüttelte.

    „Nein! Nein, Arigatari, das meinte ich damit nicht. Du musst aufhören dich dumm zu stellen. Glaubst du denn, du kannst ewig so tun als könntest du nichts? Das wird dir auf Dauer mehr Schwierigkeiten bereiten, als du auf dieser Weise aus dem Weg gehst.“

    Grübelnd starrte Arigatari auf sein Wachstäfelchen hinab, bevor er schließlich nickte. „Ja. Ich hab‘ verstanden.“

    „Gut. Dann darfst du jetzt gehen. Wir sehen uns morgen wieder.“

    Arigatari nahm heute nicht den direkten Weg nach Hause. Zu sehr verdichtete sich ein Gedanke in seinem Kopf, als dass er nicht noch einen Umweg zum Dorfweiher und zu dem Bänkchen unter den Fichten gemacht hätte.

    Auch in der Nacht kroch ihm dieser Gedanke durch den Schädel, reifte, bis er dann Früchte trug, kurz bevor er seine Augen schloss.

    Ja, der Pater hatte recht. Es war Zeit, dass er mal jemandem die Stirn bot.


    ow. Das war heftig. Und gut! Und seeehr dark! Und ... sehr gefühlvoll. Hat mich abgeholt und mitgenommen. Danke für dieses kurze Stück bester Unterhaltung!

    Vielen Dank, freut mich, dass dir der Einstieg gefallen hat!

    Ah cool xD
    Ich war vor kurzem im Krankenhaus und habe mir dort über mehrere Tage Informationn zur Hexenverfolgung und co reingezogen. ICh finde ddas Thema sehr interessant und deswegen hatte es auch nicht lang gedauert, bis du mich gefesselt hast

    Ich bin auch mehr oder minder über das Thema gestolpert. Ich hatte in einem Spiel zum ersten Mal von den Waldensern gehört, und dann kam da noch kürzlich eine Netflixserie, die die Hexenverfolgung in den USA thematisiert hat, das hat mich dann ein wenig beschäftigt. Zu nah an den historischen Hexenverfolgungen möchte ich dann aber nicht bleiben, ich stehle mir gerade nur aus der Realität zusammen, was mir gefällt.

    Starker Text, da geht man richtig mit. Super geschrieben.

    Danke, freut mich!

    Den Anfang habe ich zweimal lesen müssen, da ich nicht recht wusste, wie ich das doch sehr komplexe Worldbuilding auf den ersten Blick einordne. Du nutzt sehr wenig Raum und dafür viele Beschreibungen, und zunächst war ich unsicher, in welche Richtung es geht. Dafür sorgten auch die Begriffe der fremden Sprache.

    Ich versuche, nach dem Prolog etwas eingängiger zu schreiben. Ich hatte jetzt leider eine etwas längere Schreibpause und hatte schon vorher etwas den Hang, ein bisschen uneingängig zu schreiben. Aber ich bleib dran.

    Ich nehme mal an, dieser Prozess orientiert sich an historischen "Hexen"-Prozessen. Ohne das nochmal explizit recherchiert zu haben, meine ich, dass diese Prozesse zwar eine ziemliche farce waren, allerdings trotzdem sehr stark bemüht waren, den Anschein eines sauberen Verfahrens zu erwecken. Dazu würde z.B. auch gehören, dass die Identität der Zeugen genannt wird. Falls du das hier auch so machen wolltest, könntest du für den treuen Bürger einfach einen Namen ergänzen.

    Ich hab mir überlegt, einen Namen zu nennen, aber die Anzeige einer Hexe erfolgte damals tatsächlich anonym, und ich glaube, das macht auch Sinn. So musste ein Denunziant nicht fürchten, dass man Rache an ihm nimmt oder er selbst während der peinlichen Befragung als Mitherätiker verraten wird. Den Inquisitoren war immer wichtig, weitere Namen aus einem Angeklagten herauszupressen, und was bietet sich denn besser an als seinen Todesboten mit ins Grab zu nehmen.

    Paradoxerweise durfte das Geständnis nicht unter Folter abgerungen werden - das war ein Punkt, in dem die Inquisitoren den Anschein erwecken wollten, einen sauberen Prozess zu führen. Das wurde aber einfach umgangen, indem den "Hexen" nach einer Foltersession einfach gesagt wurde, dass sie genau dasselbe wieder erwartet, wenn sie nicht gestehen.

    Wunderbarer Text. Er reißt mit und... ich gebs zu, er macht Hunger auf mehr. Ein wenig klingt er wie ein Prolog zu etwas größerem. Und ein wenig klingt er wie ein Epilog von etwas Größerem... Es sind meist die kleinen Dinge "dazwischen", die fesseln...

    Danke, und auch vielen Dank noch für die Korrekturen!

    Kapitel 1: Der Junge der Lügen


    Und so lernte Arigatari in einem Fremden Haus das Laufen, ohne die stützende Hand seines wahren Vaters, und auch die ersten Worte, die über seine Lippen kamen, erreichten nie das Ohr seiner Mutter. Doch trotzdem wuchs der Junge nicht allein auf, wenn auch im Unwissenden gelassen, denn seine neuen Eltern wachten über ihn, als wäre er die Frucht ihrer Körper. Katzen schliefen mit ihm in der kleinen Krippe, der er schon so furchtbar schnell entwachsen war, und mit neugierigen Augen erkundete er die Wälder, in denen er mit seinen Freunden die wildesten Abenteuer bestritt.

    „Dunkel ist dein Arigatari, das muss man schon sagen, Heinrich.“ Nachdenklich sah der Tischler des kleinen Walddorfes der Kinderschaar nach, die einfach nur mit Stöcken im Schlamm stocherten und dabei so ernst dreinsah, als retteten sie die Welt. „Als hätte ihm die ganze Kohle die Haare schwarz gefärbt.“

    „Muss wohl so sein“, brummte der Köhler Heinrich. Nachdenklich sah er seinem geheimen Ziehsohn hinterher, die von der Arbeit verfärbten Hände über ein Geländer lehnend. Ja, er und seine Frau hatten beide dunkles Haar, doch weit weg von dem Arigataris.

    „Und nen ungewöhnlichen Namen habt Ihr euch da rausgesucht, aber na ja …“

    „Alt, nicht ungewöhnlich“, unterbrach ihn Heinrich. Tief steckte er die Nase in seinen hölzernen Bierkrug, als wolle er seine Grimmigkeit darin verbergen. Natürlich, die Leute redeten, und sie redeten viel Schwachsinn, wenn sie nichts Besseres zu tun hatten. Trotzdem hatten sie ihre Nasen nicht in Angelegenheiten zu stecken, die sie nichts anging. Außerdem hasste er Gerede.

    „Wenn du meinst“, sagte der Tischler, fuhr dann jedoch in einem versöhnlichen Ton fort. „Unsere Buben verstehen sich gut, aber das passt ja auch. Beide ihre Väter arbeiten mit Holz, der eine macht schöne Dinge daraus, der andere Dinge mit Macht.“

    „Wenn du meinst“, entgegnete der Köhler patzig. Wieder nur Gerede. In einem letzten Zug trank Heinrich den Krug aus, ließ ihn an einem Finger in der Luft baumeln.

    „Du bist ganz schön wortkarg geworden, mein Guter. Was lastet dir denn auf der Seele?“

    „Hm. Petrissa geht’s nicht so gut.“ Warum er sich jetzt dem nervigen Nachbarn anvertraute, wusste Heinrich selbst nicht. Wahrscheinlich wollte er dem Tischler nur keinen Grund mehr geben, noch weiter zu graben.

    „Ist sie krank?“

    „Nein.“ Missmutig sah Heinrich in seinen Krug, doch nur ein dünner Tropfen rann an der Seite entlang. „Ist nur wieder nix geworden mit nem zweiten Quälgeist von der Sorte.“ Dabei deutete der Köhler auf den wilden Haufen spielender Kinder.

    „Geht doch einmal zu einem Medicus. Es heißt, solche Leiden sind für sie längst kein Problem mehr. Nach Arité ist es keine Weltreise, und dort tummeln sich schließlich die besten Ärzte des Landes.

    „Pff“, schnaubte der Köhler verächtlich. „Nach Arité bekommen mich keine 10 Pferde.“

    „Wegen dem Fluch? Es heißt, es träfe niemanden von Außerhalb.“

    „Nein. Ich hab meine Gründe.“ Brummend richtete sich Heinrich auf, ließ die Wirbel in seinem Rücken knacken. „Ich muss dann wieder. Der Meiler ruft.“

    „Überleg dir das doch noch“, rief ihm der Tischler nach. „Das Dorf steht auch noch, wenn du eine Weile weg bist, und allzu teuer wird das Ganze schon nicht sein!“

    „Jaja.“ Abwinkend trottete Heinrich von dannen. So sehr ihn das Geschwätz seines Nachbarn ärgerte, hatte es ihn doch zum Grübeln gebracht. Auch wenn er sich nicht wirklich viel Hoffnung machte.

    Die Sonne war bereits untergegangen, als Heinrich nach Hause zurückkehrte. Noch bevor er die Türe öffnete, begrüßte ihn das fröhliche Schnattern seines Zöglings.

    „Und Seph meinte, er hätte einen Bahkauv gesehen! Die andern meinten er lügt oder es war nur ein alter Hund, aber dann haben wir Spuren gefunden, die in den Wald geführt haben, und die waren ganz sicher nicht von einem Hund, deshalb sind wir ihnen gefolgt! Wir haben sicher drei Stunden alles abgesucht, aber da war dann nichts, und dann …“

    Hell lachte Petrissa auf, aber noch lauter als von ihren Lippen strahlte es aus ihren Augen; die Augen, an deren Rändern sich schon erste Krähenfüße zeigten. Es war einer der Momente wie dieser, der Heinrich noch immer die Knie weich werden ließ. Sie sah noch immer jung aus, aber sie waren es beide nicht mehr. Viel Zeit, um noch ein eigenes Kind zu bekommen, blieb ihnen nicht. „Jetzt hol doch erst mal wieder Luft!“

    In jenem Moment bemerkten ihn die beiden, und das Lächeln seiner Frau verbreiterte sich, schaffte es irgendwie, um den sanften Schwung ihrer Nase zu spielen. „Macht der Meiler wieder Ärger?“

    „Er brennt zu schnell. Der Wind aus dem Osten facht die Glut zu stark an. Musste sichergehen, dass wir bald nicht nur einen Haufen Asche zum Öffnen haben.“ Seufzend ließ sich Heinrich auf einen Stuhl nieder, während Petrissa ihm Eintopf in eine Schüssel schöpfte, so selbstverständlich, dass er nicht erst darum bitten musste. „Aber bald bin ich damit nicht mehr alleine, nicht wahr? Schließlich ist der zweite Mann im Haus schon fast sieben!“

    Etwas schüchtern nickte Arigatari. „Ja, noch achtunddreißig Tage.“ So ernst sahen die dunklen Augen unter noch dunklerem Haar zu ihm auf. In seiner Gegenwart schrumpfte der sonst so lebhafte Bengel zu diesem wortkargen, leisen Zwerg zusammen. So ganz hatte Heinrich nie verstanden wieso. Schließlich verdrosch er ihn nicht, wie es viele andere Väter taten. Aber schlussendlich musste er mit seinem langen Bart und dem breiten Kreuz doch einschüchternd auf den Burschen wirken. Dabei liebte er ihn, von ganzen Herzen – und ja, das war sogar er bereit, sich einzugestehen. Er glaubte nicht, dass er ihn noch mehr lieben könnte, wenn er seinen eigenen Lenden entsprungen wäre. Schließlich hatte er auch seine Eltern geliebt.

    „Pass auf, bevor du dich versiehst, schwingst du die Axt genau so wie dein alter Herr. Dann machen wir so viel Kohle, dass sogar die Schmiede in Issix ihre Essen damit befeuern.“ Jetzt trat wieder ein Funkeln in die Augen des Jungen, wie immer, wenn es um die Welt da draußen ging. Dabei wusste Heinrich so gut wie kein anderer, warum es nirgends einen sichereren Ort für seinen Zögling gab als hier.

    „Gehen wir denn dann auch nach Issix? Seph war letzten Monat mit seinem Vater dort, und er hat dort einen Affen in einem Käfig gesehen und Menschen von weit her in fremder Kleidung, die ganz komisch sprechen …“

    „Ja, ja, wir gehen dann auch irgendwann mal nach Issix auf den großen Markt und bringen deiner Mutter eine schöne Bahne Stoff mit, damit sie sich ein neues Kleid nähen kann. Aber erst, wenn wir unseren ersten Meiler zusammen angezündet haben!“

    Entschlossen nickte Arigatari. „Das wird nicht lange dauern. Ich lerne schnell.“

    „Ich hab keine Zweifel daran, mein Junge.“ Heinrich lachte in einem plötzlichen Anflug von Heiterkeit auf. „Aber jetzt ist es schon ganz schön spät, oder? Mach dich fertig fürs Bett, dann sind die achtunddreißig Tage auch sehr viel schneller vorbei.“

    Zögerlich sah der Junge zu seiner Mutter, aber auch die schüttelte nur entschuldigend mit dem Kopf. „Da hat er leider recht. Du wirst morgen früh aufstehen müssen, wenn du dem Bahkauv noch begegnen willst.“

    Erschrocken riss Arigatari seine Augen auf. „Aber nicht alleine!“

    „Jetzt geh schon! Du fällst ja schon fast um vor Müdigkeit!“ Schmunzelnd sah Petrissa ihrem Zögling nach, als er widerwillig brummend in der Dunkelheit des Hauses verschwand. Doch dann schmolz ihr Lächeln dahin.

    „Du willst ihn also immer noch hierbehalten? Einen Köhler aus ihm machen?“

    „Was ist so schlimm daran, ein Köhler zu sein?“ Feige versteckte sich Heinrich hinter einem vollen Löffel Eintopf, bevor er seine Antwort gab. Dies war eines der Gespräche, die sich lange im Voraus ankündigten, hinterhältig schwelten wie ein Kohlemeiler, der dann doch in Flammen ausbrach.

    „Für dich? Nichts. Und für mich auch nichts. Aber du weißt, dass das nicht seine Bestimmung ist. Du weißt, wer er ist, und seine Eltern waren nunmal keine Köhler!“

    „Ich habe versprochen, mich um ihn zu kümmern, und das ist unsere einzige Verpflichtung. Er soll leben, und keine andere Aufgabe hat man uns zugeteilt. Er muss es nicht sein, er muss nur Kinder bekommen können, das Los muss nicht ihn treffen.“

    „Und du glaubst wirklich, dass du ihn vor seinem eigenen Schicksal verstecken kannst? Glaubst du, all das hier wird ewig gut gehen?“

    Aufgebracht schlug Heinrich mit seiner leeren Schüssel auf den Tisch. „Bisher hat es gut funktioniert, oder etwa nicht? Verdammt nochmal Petrissa, er ist so klein! Welche Last willst du ihm auf die Schultern laden? Er hat es verdient zu leben, wie jeder andere Junge auch. Das alles, das geht ihn nichts an, er hat sich das nicht rausgesucht, ihn hat niemand gefragt!“

    „Er wird nicht ewig dein kleiner Junge bleiben, Heinrich!“ Entschlossen verschränkte Petrissa ihre Arme, trat näher an ihren Ehemann heran. „Du wirst nicht alles vor ihm verheimlichen können. Er wird Fragen stellen. Und wer weiß, vielleicht wird noch der Tag kommen, an dem er auch hier nicht mehr sicher ist.“

    Tief atmete Heinrich ein, um dann lange und gedehnt auszuatmen, in sich zusammenzufallen wie ein ausgequetschter Blasebalg. „Ich habe Angst um ihn, ganz schreckliche Angst.“ Mit gerunzelter Stirn sah er zu seiner Frau auf, die jetzt unerbittlich über ihm stand. „Wer kümmert sich denn um uns, wenn wir einmal alt sind? Wer macht die Kohle, wer repariert das Haus, wer sorgt dafür, dass die Speisekammer voll ist?“

    „Wir sind nicht auf ihn angewiesen. Er ist auf uns angewiesen. Wir werden großzügig entlohnt dafür, dass wir in auch noch aufwachsen sehen dürfen, für ihn da sein dürfen. Vergiss nicht, wer er ist. Irgendwann wird jemand kommen, und dann werden wir ihn ziehen lassen müssen.“

    „Wir müssen gar nichts. Sollen sie kommen, sie werden mit leeren Händen wieder gehen.“

    „Du bist ein sturer alter Bock, Heinrich. Wie kann man nur so sein wie du?“ Sanft legte Petrissa ihre Hände an seine Wangen, küsste ihn. „Wie wäre es denn, wenn wir aufhören würden uns zu streiten und uns lieber darum kümmern, diesem Erben das Leben zu schenken, den du dir so wünschst?“

    Brummend mimte Heinrich noch den Gekränkten, bevor sein Brummen schließlich in ein zustimmendes Kichern umschlug. „Ich glaube, da werden wir uns einig.“

    Arigatari

    Wie ein Heer aus Schaben krochen die Schaulustigen durch die Gassen Arités, zielstrebig und gierig. So viele wie nie hatten heute ihre Häuser, ihre Geschäfte und Höfe verlassen, und wie jedes Geschmeiß trieb sie nur der niederste Instinkt, das niederste Bedürfnis an. Lachen mischte sich unter die vorfreudigen Gespräche der Städter, füllte die hämische Kakophonie aus tausend Kehlen, die von den Wänden der nahestehenden Gebäude widerhallte. Gut zwei von drei Bürgern Arités strebten dem Kern der Stadt zu, dem Karpasso Plaza, wo sonst der große Markt abgehalten wurde. Der Geruch gerösteter Nüsse und kandierter Früchte lag in der Luft, wie er es sonst nur an Festtagen tat; und wahrlich, heute gab es etwas zu feiern, ein Fest, wie es seit gut dreißig Jahren nicht mehr gefeiert wurde.

    Der Kirchturm der Kathedrale des Heiligen Mez mochte der einzige Punkt der Stadt sein, von dem sich die Menschenmassen überblicken ließen. Weit warf sie ihren Schatten über den Karpasso Plaza, erhob sich wie ein mahnender Finger über das zahlreiche Gewürm der Straßen. Pünktlich zum Glockenschlag teilte sich auf einmal die Menge – und machte Platz für zwei Karren, die aus unterschiedlichen Richtungen dem Mittelpunkt der Versammlung entgegenstrebten. Klackend schlugen die Hufe der Pferde auf das aschgraue Pflaster des Plazas, und ratternd folgten ihnen die vergitterten Bretterwägen. Ein paar schmutziger Hände legte sich um die Stäbe vor dem winzigen Fenster, und in der Dunkelheit des fahrenden Gefängnisses ließen sich die Ärmel eines Büßergewandes erkennen.

    Unruhig kamen die Pferde zum Halt, Schaum aus ihren Mäulern tropfend. Allein die Scheuklappen um ihre Augen mochten verhindern, dass sie in all dem Lärm, in dem Chaos tausender Leiber nicht in Panik ausbrachen und durchdrehten. Indes wurden die Türen der Bretterwägen aufgerissen, und grob wurden die beiden Gefangenen ans Tageslicht gezerrt. Aufgebrachtes Heulen erhob sich aus der Menschenmenge, als der Gegenstand des ganzen Tumultes endlich in Sichtweite trat: ein Mann und eine Frau, beide mit rabenschwarzem Haar.

    „Sidonia!“ Blinzelnd schaute der Gefangene ihr ins Gesicht, ein mühevolles, gequältes Lächeln auf den Lippen. Nur eines seiner Augen ließ sich so weit öffnen, dass er sie anblicken konnte, das andere war zugeschwollen. Tapfer hielt sie einige Sekunden stand, bis sich Sidonias Mund zu einem verzweifelten Schluchzen verzog. Tränen rannen an ihren Wangen hinab, zogen Spuren durch den Schmutz, der von der tagelangen Gefangenschaft an ihrer Haut klebte. Auch ihr waren die Folgen der peinlichen Befragung anzusehen, schwärende Wunden bedeckten ihre Arme, wo Pechpflaster sich in ihren Körper gebrannt hatten. Ihre gebrochenen Finger hatte man ihr hinter dem Rücken zusammengebunden, und wie auch ihm hatte man ihr die Handflächen mit einem Stück Hexenholz durchstoßen. Den gesamten Prozess hatte man sie voneinander getrennt, nicht wissen lassen, was mit dem anderen geschehen war. Bei ihrem Anblick brannten auch ihm die Tränen in den Augen, denn er wusste, das hier würde einer ihrer letzten gemeinsamen Augenblicke sein.

    Wortlos riss der Maskierte neben ihm an den Fesseln um seinen Handgelenken. Flehend versuchte er seinem Henker in die Augen zu sehen, doch der Fremde wich seinem Blick aus, und alles, was er in seinen Augen lesen konnte, waren stumpfe Gleichgültigkeit. Ohne Rücksicht auf seine von Daumenschrauben malträtierten Finger schob ihn der Maskierte voran, die steinernen Stufen empor.

    Fünf Schalen aus schwarzem Marmor erhoben sich hier über die Menge, angeordnet in einem Pentagramm, dem Schutzzeichen vor dem Bösen. In den vorderen beiden war ein Stoß Holz aufgeschichtet, ein schmaler Pfahl ragte aus jedem Haufen empor. Ebenfalls aus schwarzem Marmor geschlagen kniete eine Statue inmitten des Richtplatzes, ehrergiebig, in der einen Hand eine Bulle haltend, in der anderen eine Feder. Zitternd gingen die beiden Büßer voran, erbarmungslos vorangetrieben von ihren maskierten Scharfrichtern. Erst, als sie am vordersten Punkt der Plattform standen und ihr Gesicht der Menge zugewandt hatten, ließen die Henker ihre Stricke fahren.

    „Vor den Augen des Volkes, in Achillons Namen und im Dienste unseres Königs Hewar dem Frommen verlese ich heute die Anklageschrift!“ So laut brausten der Jubel und das wüste Geschrei über den Plaza, dass sich der Büttel kaum Gehör schaffen konnte. Nach ihnen hatte er die Plattform betreten, aber erst jetzt wurden sie seiner Anwesenheit gewahr. Zu sehr hatten die abertausend Gesichter und die Schreie, die ihren Tod wünschten, ihre Aufmerksamkeit auf sich gelegt. Doch auch der Büttel schien nervös. Etwas zittrig hielt er die Enden seines Papierbogens umklammert, Schweiß stand trotz des frischen Herbstwindes auf seiner Stirn.

    „Dem Ehepaar Arndt und Sidonia Perger wird, beeidigt durch Zeugen, schwerste Häresie, Hexerei, Trankmischerei und Schadzauber vorgeworfen. So will man sie Sonnenwendnachts gesehen haben, wie sie ihrer Kleidung entledigt und von Asmodos beflügelt die Ruinen der Alten aufgesucht haben. Dort sollen sie mit ihrer Sippschaft den Sabbath gefeiert haben, den Namen des dunklen Dieners anrufend. In ihren Fürbitten sollen sie den Tod des Medicus Avicenna, die Todgeburt des Säuglings der Müllerin Dorothea und den Hagelsturm erbeten haben, der über die Höfe im Vorland gezogen ist. Und wie von ihnen gefordert verstarb Avicenna, die Adern voll mit schwarzem Blut, und die Müllerin gebar ein verdorbenes, entartetes Wechselbalg, das den Sonnenaufgang nicht mehr erlebte.

    Nach Hinweisen eines treuen Bürgers konnte das Ehepaar Perger in Gewahrsam genommen und peinlich befragt werden.“ Hier stockte der Büttel, als müsste er noch einmal sicher gehen, sich nicht verlesen zu haben. „Nach vier Tagen im Gewahrsam des Scharfrichters wurden sie schließlich geständig. Zu den genannten Gräueln gaben sie zu einer Vielzahl weiterer Verbrechen ein Geständnis ab. So will sich Sidonia Perger Asmodos selbst hingegeben haben, um seine dunkle Saat in ihrem Körper keimen zu lassen. Jahrelang haben sie dem Volk Arités Pein zugefügt und es den Händen finstrer Mächte überlassen. Nur ein Urteil mag die abscheulichen Taten dieser verlorenen Seelen tilgen – und so mögen ihre Körper der Reinigung durch das Feuer übergeben werden.“

    Langsam hatte sich Sidonia auf das Podest herabsinken lassen. Ihre Beine trugen sie nicht länger. Fast blind vor Tränen sah Arndt auf seine Frau herab, selbst mit seiner Angst, seinem Zorn und seiner Hilflosigkeit kämpfen.

    „Es ist gut, Sidonia“, flüsterte er beinahe, doch seine Frau hob den Kopf. „Sie können tun, was sie wollen. Sie können lügen und morden, aber eines werden sie uns nicht mehr nehmen.“

    „Ich weiß doch“, antwortete Sidonia, als sie auf die Füße gerissen wurde. „Ich weiß.“

    Unter tosendem Jubel banden die Scharfrichter das Büßerpaar an ihren Pfahl, und in einem letzten Aufbegehren von Panik und Wut versuchte Arndt sich loszureißen. Vergebens. Höhnisch äfften ihn die Jugendlichen zu seinen Füßen nach, belustigten sich an seinen Tränen, bogen sich vor Lachen.

    Als ihre Henker schließlich die Fackeln in das Stroh unter dem Scheiterhaufen steckten, sah Arndt ein letztes Mal über die Menschenmenge, sah in die Gesichter der Bürger, von denen er genug beim Namen kannte, und ein letztes Mal erhob er seine Stimme.

    „Ich kann versprechen, dass einem jeden von euch Gerechtigkeit widerfahren wird. Jeder von euch bekommt, was er verdient. Ich verfluche euch, mein letzter Atemzug soll das Gift sein, das eure Körper zerfallen lässt. Euer Geist soll keine Ruhe finden, und jeden Morgen soll euch ein anderes Grauen begrüßen. Alles soll euch genommen werden, bis an den Tag, an dem das Wort der Wahrheit gesprochen wird.“

    Knackend fraßen sich die Flammen durch Stroh, Reißig und trockenes Holz. Arndt hatte kaum ausgesprochen, als die Hitze des Scheiterhaufens seine nackte Haut erreichte, und er schrie, als seine Kleidung und seine Haare Opfer der Flammen wurden. Wie in einem grausigen Duett der Qualen viel Sidonia in seine Schreie ein als das Feuer sie verschlang, den Geruch von sengendem Fleisch durch die Gassen und ihre Asche weit hinauf in den Himmel trug.

    Noch lange brannten die Feuer, noch lange labten sich die Menschen an dem grausigen Spektakel, aber noch sehr viel länger sollte man über das Ehepaar Perger sprechen, und über die Schatten, die über Arité fielen.

    Doch weit, weit weg von allen Flüchen, allen Scheiterhaufen, schlief ein Kind in seiner Krippe, wohl behütet und wohl bewacht. Der Flaum auf seiner Stirn zeigte bereits, dass es einmal pechschwarze Haare haben würde, und sein kleines Händchen öffnete und schloss sich in seinen unschuldigen Träumen.

    Öffnete und schloss sich.

    Skeptisch nickte Feron. „Bestimmt.“ Temia hatte ihnen nie verraten, wer der Vater ihres Sohnes war, und so hatten sich schnell Gerüchte verbreitet, sie wäre die Gespielin eines Adeligen aus der Hauptstadt.

    Ein plötzliches Husten überkam ihn und unterbrach seine Gedanken. Schnell wandte er sich ab, hob er die Hand vor den Mund und ignorierte den Schmerz in seiner Brust.

    Die Leute sind sehr skeptisch und haben dabei auch noch Schwierigkeiten, der Realität ins Auge zu sehen. Eine gefährliche Mischung.

    Sein Schlaf war unruhig. Er bekam das Bild des angeschwemmten Wesens nicht aus dem Kopf. Tausende Stimmen schienen ihn zu rufen, ihm zu sagen, was er zu tun hatte. Es verbrennen. Es zurück ins Meer ziehen. Ihm ein Opfer darbringen.

    Ich bin noch am Überlegen, ob nicht vielleicht auch dieses Wesen ein Opfer/Überträger der Seuche ist oder ob zwischen den beiden nicht irgendein anderer Zusammenhang besteht.

    Noch einmal hustete er kurz, ehe er kurz zu Dahla sah.

    Ich würde eins der beiden "kurz" entfernen.

    Verzweifelt versuchte der junge Mann, die Hände seines Kontrahenten festzuhalten. Plötzlich durchfuhr ein brennender Schmerz sein rechtes Auge, dicht gefolgt von einem Stechen, als hätte jemand eine Nadel in seine Iris gedrückt. Er schrie, spürte das Blut über sein Gesicht laufen und schlug wild um sic

    Sehr konsequent, das mag ich, du schonst deine Figur hier nicht.

    Gefällt mir sehr gut, in dem Prolog passiert richtig was! Eine gute Eröffnung, die gerade genug erklärt und vieles offen lässt. Irgendwie scheint der Kerl am Schluss zwar nicht unabhängig, aber doch getrennt von dieser Kreatur zu interagieren :hmm:

    So, nach einer ganzen Weile der nächste Teil. Ich muss zugeben, ich habe mich ein wenig gedrückt, ihn zu schreiben, weil ich nicht ganz sicher war, ob alles so aufgehen wird, wie ich es wollte. Aber schaun wir mal.


    Der Silberfuchs war gerade eingeschlafen, als es energisch an der Tür klopfte.

    „Seid Ihr dann mal fertig? Ihr habt echt Nerven!“

    „Entschuldigt“, nuschelte der Dieb, während er sich am Rand der Wanne hochzog. „Einen Moment!“

    Wenige Minuten später trat er wieder hinaus in den Gang, das halblange Haar feucht in seiner Stirn klebend. Das Hemd aus teurer Baumwolle, das ihm sein Entführer überlassen hatte, passte überraschend gut, ebenso die Hose. Ein leichter Schauder fuhr den Rücken des Diebs hinab; schon eine ganze Weile vor seiner Entführung mussten sie mehr über ihn gewusst haben, als ihm lieb war.

    „Endlich! Und jetzt kommt. Euer Gastgeber wartet.“

    „Gastgeber. Ich bin noch nie von einem Gastgeber entführt, gefesselt und ausgeraubt worden. Ich glaube, Ihr sucht ein anderes Wort.“

    „Es war nötig und wird sich für Euch auszahlen, glaubt mir. Lassen wir ihn weiter warten.“

    Resigniert seufzte der Silberfuchs und folgte Sophia wieder hinab, dann einen von Gemälden gesäumten Gang entlang. Ein gutes Dutzend verschiedener Gesichter blickte auf ihn herab, größtenteils Männer in Rüstung oder prunkvollen Gewändern. Sie alle verband eine gewisse Ähnlichkeit, das oft schon graue Haar bei noch jungen Gesichtern, die tiefen Geheimratsecken auf der Stirn. Jener Mann, der auf ihn wartete, blickte auf eine lange Reihe bedeutender Ahnen zurück – und der Silberfuchs wusste auch auf welche.

    Leise öffnete Sophia die Tür, bedeutete ihm hindurchzutreten. Wie ein Schatten folgte sie ihm und schloss die Türe wieder hinter sich, die Hand auf der Klinke ruhen lassend.

    „Der Dieb ist hier, mein Herr.“

    „Ich danke dir, Sophia. Lass uns bitte alleine.“ Der Graf hatte ihnen den Rücken zugedreht, blickte aus dem Fenster heraus, als erwarte er noch, seinen unfreiwilligen Besuch durch das Tor schreiten zu sehen. In dem Arbeitszimmer herrschte eine Unordnung, die das gesamte Schloss sonst misste, Berge aus Briefpapier, heruntergebrannte Kerzen.

    „Aber ihr …“

    „Der … Silberfuchs wird uns schon keinen Ärger machen, nicht wahr?“ Mit diesen Worten wandte sich der grauhaarige Mann um, ein ironisches Lächeln auf den Lippen. Mit seiner markanten Nase und dem fliehenden Haar war er ein Ebenbild der Gemälde seiner Vorfahren, als habe sein Schöpfer ein wenig von jedem von ihnen genommen, um es in ihm zu etwas neuem zu verschmelzen. Und dazu war es ein Gesicht, das jeder Junge in ganz Amuzza kannte.

    „Ihr seid Graf Autun von Monsecolio!“

    „Und Ihr seid ein Dieb, Herr Silberfuchs, und so wie es aussieht kein sonderlich erfolgreicher.“ Trotz der wenig schmeichelhaften Worte sah ihn der Monsecolio mit freundlichen Augen an. „Würdet Ihr uns bitte endlich alleine lassen, Sophia?“

    „Wenn das Euer Wunsch ist.“ Zögerlich, mit einem letzten warnenden Blick in Richtung des Silberfuchses, verließ Sophia das Arbeitszimmer ihres Herren, die Tür fast geräuschlos hinter sich zuziehend.

    „Jeder fängt klein an, Durchlaucht, und ein guter Name bedeutet Arbeit.“

    „Wahre Worte. Ich würde Euch dennoch bitten, die höflichen Anreden sein zu lassen, zumindest, wenn wir unter uns sind. Sie sind eine Albernheit, die ich in der Öffentlichkeit gerade einmal ertrage.“ Gemächlich ging der Graf zu einem Tisch, lehnte sich auf die Kante. Erst jetzt bemerkte der Silberfuchs, dass all seine Gerätschaften darauf ausgebreitet lagen, seine Dietriche, Kletterhaken, Messer. Hamil hatte wirklich gründliche Arbeit geleistet, alles, selbst die eingenähten Münzen hatte er entdeckt und seinem Herrn übergeben.

    „Interessant, was Ihr so mit Euch herumtragt, Herr Silberfuchs. Hochmoderne Technik, bestimmt nicht billig.“ Vorsichtig hob Autun von Monsecolio einen daumendicken Metallstab hoch, begutachtete ihn. „Was macht Ihr damit?“

    „Das ist ein Thermitschweißstab. Damit lässt sich ein Schloss im Notfall aufschmelzen, wenn die Situation es erfordert.“

    „Sehr grob für Euren Berufsstand, der sich damit brüstet, einen Raub spurenlos durchführen zu können. Ihr zählt Euch doch zu diesen ‚Meisterdieben‘, nicht wahr?“

    „Reines Notfallequipment. Stolz lässt Euch keine Hand nachwachsen oder befreit Euch aus dem Gefängnis.“

    „Vernünftig. Wenn man hier überhaupt von Vernunft sprechen kann. Ist diese Meisterdieberei nicht ein Sport unter jungen Abkömmlingen reicher Familien?“

    Abwägend schüttelte der Silberfuchs den Kopf. „Es stimmt, dass viele Adelssprösse und Händlersöhne unter uns sind. Es geht uns aber nicht um Geld und Reichtum, sondern um die Herausforderung, den Nervenkitzel.“

    „Seltsame Zeiten, in denen das Entwenden von anderer Leute Besitz Anerkennung bringt. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich als Jungspund auch ähnliche Dummheiten begangen. Manchmal kommt die Vernunft erst mit dem Alter.“

    „Ihr scheint weder von mir noch von meinesgleichen viel zu halten“, merkte der Silberfuchs an. „Was wollt Ihr dann von mir? Warum habt Ihr mich entführen und hier her bringen lassen?“

    Der Silberfuchs wusste, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde, als das Lächeln aus den Augen und den Wangen des Grafen verschwand. „Leider bringen uns keine erfreulichen Umstände zusammen, Herr Silberfuchs. Ich muss Euch leider mitteilen, dass Euer Cousin Lex und Eure Onkel Jero und Lurin Ostra ums Leben gekommen sind.“

    Es dauerte einen Moment, bis der Silberfuchs wirklich verstanden hatte, was Monsecolio ihm mitgeteilt hatte. Zitternd stützte er sich auf der Lehne des Stuhls vor ihm ab, und der Graf hob auffordernd die Hand.

    „Setzt Euch. Ihr werdet noch ein paar schlechte Nachrichten ertragen müssen.“

    „Ihr wisst, wer ich bin, nicht wahr?“ Mit dem plötzlichen Schock kämpfend verbarg der Silberfuchs sein Gesicht in den Händen, fuhr durch sein halblanges, braunes Haar.

    „Ihr seid Reto Ostra, und Ihr und Eure Familie habt etwas zu verbergen, das weiß ich. Aber das alles tut nichts zur Sache. Ich bin nicht hier, um in Eurer Vergangenheit zu graben, aber wie Ihr Euch denken könnt, sind Eure Verwandten nicht auf natürlichem Wege umgekommen. Sie sind ermordet worden, und nicht von irgendeinem Mörder, sondern von der besten, die es für Geld zu kaufen gibt. Und leider bin ich mir sehr sicher, dass Ihr das nächste Ziel dieser Mörderin seid.“

    „Wieso habt Ihr mich dann entführen lassen? Was wollt Ihr von mir?“ Angestrengt um Ruhe kämpfend lehnte sich Reto zurück, legte die Arme auf den Lehnen seines Stuhls ab.

    „Von Euch: Gar nichts. Ich möchte die Mörderin, oder besser gesagt den Mann, der hinter ihr steht. Er ist … mir im Weg, auf eine gewisse Weise. Er mischt sich mit Erfolg in Angelegenheiten ein, die leider auch mich angehen. Abgesehen davon, dass er eine Gefahr für jeden ist, der sich in seinem Leben Feinde gemacht hat.“

    „Und dieser Mann will meinen Tod? Wieso?“, fragte Reto verständnislos.

    „Ihr habt mich missverstanden. Er ist es nicht, der Euch tot sehen will, er ist der Herr dieser Mörderin, und nicht nur ihrer. Ihr könnt ihn Euch als eine Art Sekretär vorstellen, dessen Aufgabe es ist, Aufträge anzunehmen, ihre Durchführung zu planen und einen seiner Leute darauf anzusetzen. Wer ihn angeheuert hat, um Eure Familie auszulöschen, kann ich Euch nicht sagen. Aber das ist fürs Erste auch unbedeutend. Mit etwas Glück werden wir es erfahren, wenn wir unser Ziel in unserer Gewalt haben. Ich biete Euch das hier: Eine Chance zu überleben, eine Chance, Eure toten Verwandten zu rächen. Im Gegenzug dient Ihr mir als Lockvogel für diese Auftragsmörderin.“

    Vielen Dank für die nette Begrüßung. Da fühlt man sich gleich wohl in der Runde :)

    kalkwiese Ein Freund meines Freundes hat es auf diesem Weg geschafft, seine Geschichte als Buch zu veröffentlichen (Myrtana222). Kenne ihn aber leider nicht persönlich. Ich glaube der Freund, der mir den Link zum Forum geschickt hat, ist hier gar nicht aktiv... Hab ihn aber auch nicht gefragt :)

    Willkommen im Forum. Wer ist denn der gemeinsame Freund? :D

    Jetzt will ich aber langsam wissen, was das zu bedeuten hat :D

    Und wie der Silberfuchs wirklich heißt :stick:

    Momentan tippe ich darauf, dass der Auftraggeber einen Job für ihn hat.
    Wobei das auch noch nicht ganz aufgeht. Hamil stellt ihn ja soar als schlechten Dieb dar. Warum sollte man so jemanden anheuern? :hmm:
    Aber es würde erklären, warum ihm nichts geschehen darf ... argh. ICh weiß es nicht ^^; Ich warte einfach mal ab.

    Im nächsten Post klärt sich das dann - ich hoffe, ich spanne euch nicht zu lang auf die Folter:


    Der Silberfuchs schlief noch, als ihm der Sack vom Kopf gerissen wurde.

    „Steht auf! Wir sind angekommen.“ Blinzelnd blickte der Silberfuchs in Hamils grimmiges Gesicht. Ganz offensichtlich hatte ihm der Handlanger noch nicht für seinen nächtlichen Fluchtversuch vergeben. Während Hamil ihm die Fesseln an den Beinen löste, sah der Dieb aus der geöffneten Türe der Kutsche hinaus. Eine fast mannshohe Mauer umgab das Grundstück, weiß, wahrscheinlich aus Kalkstein. Sorgsam gepflegte Zierpflanzen und Obstbäume säumten den Rand eines wundervollen Gartens, selbst den Rand eines Teichs konnte er von seinem Sitzplatz ausmachen. Noch immer in seiner Verwunderung gefangen merkte der Silberfuchs kaum, wie Hamil in auf die Füße riss. „Was glotzt Ihr denn so? Was habt Ihr denn erwartet, eine Streckbank und einen Galgen?“

    „Mindestens die Streckbank! Aber noch bin ich nicht enttäuscht. Was nicht ist, kann ja noch werden!“

    „Ich hoffe, ich darf dann am Rädchen drehen, wenn der Herzog Eurer doch noch überdrüssig wird“, giftete Hamil zurück. „Na los, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“

    Unbeholfen stolperte der Silberfuchs auf den gekiesten Weg. Hamil hielt noch immer die Fesseln seiner Hände umklammert, als hätte er Angst, der Dieb würde nochmal versuchen zu entkommen. Doch der Silberfuchs wäre viel zu verwirrt, viel zu beeindruckt gewesen, um auch nur einen klaren Fluchtgedanken zu fassen. Der Teich und der Garten waren nur ein winziger Ausschnitt dessen, was nun vor seinen Augen lag. Weite, sorgsam getrimmte Rasenflächen wechselten sich mit Blumenbeeten ab, Statuetten umgaben einen Zierbrunnen. Exotische Früchte reiften an zierlichen Bäumen, wie der Silberfuchs sie nie zuvor gesehen hatte. Inmitten dieses Paradieses ruhte ein Anwesen, neben dem das des Fürsten von Anloch wie eine Hundehütte wirkte. Ein Turm erhob sich über die blauen Dächer, die sich über die verglasten Fenster wölbten, Erker und Balkone schmiegten sich an die sorgsam gemauerten Wände. Der Silberfuchs hatte diesen Ort noch nie mit eigenen Augen gesehen, und doch wusste er, wo Hamil ihn hingebracht hatte.

    „Wir … wir sind am Schloss von Monsecolio!“

    „Beachtlich! Ihr erkennt die bekannteste Residenz in ganz Amuzza.“ Grob schob Hamil ihn in Richtung der kunstvoll verzierten Flügeltore, riss sie auf und stieß seinen Gefangenen in die Eingangshalle. Dann zog er ein Messer aus einer Scheide an seinem Gürtel.

    „Was habt Ihr denn …“ Noch bevor der Silberfuchs ausgesprochen hatte, lockerten sich die Fesseln um seine Arme, fielen hinter ihm auf den gefliesten Boden.

    „Bei allen Göttern dieser armen Welt, nimm ihn, Sofia. Er ist jetzt dein Problem!“ An eine Säule der Eingangshalle lehnte eine junge Frau, die der Silberfuchs bisher übersehen hatte. Blaue Augen blickten verblüfft unter halblangem, schwarzem Haar hervor, flogen zwischen dem Handlanger und dem Dieb hin und her. Energisch stapfte Hamil die Treppen in das nächste Stockwerk empor, verärgert brummelnd, und verschwand schließlich außer Sicht.

    „Was habt Ihr nur getan, um diesen Mann so in Rage zu bringen? Er hat den Ruf, die Geduld in Person zu sein.“

    „Er ist dafür auch ein ganz schlechter Verlierer“, antwortete der Silberfuchs mit einem Grinsen. „Wir haben ein wenig Verstecken gespielt, und er hat mich fast nicht mehr gefunden.“

    „Verstehe. Na dann: Ab hier soll ich ein Auge auf Euch haben, und glaubt mir, ich bin eine ganz schlechte Verliererin. Solltet Ihr hier Verstecken spielen oder anderweitig Unfug treiben, werde ich Euch nicht so nachlässig behandeln wie Hamil.“

    Uh, da nimmt sich aber einer ernst. Ganz schön bieder. Unverhohlen glitt der Blick des Silberfuchses über die Kleidung der Frau, maßgeschneidert, über Arme und Beine, die einen athletischen Körper versprachen. Aber irgendwie auch scharf.

    „Seid Ihr fertig?. Dann folgt mir.“ Mit einem Blick, der eindeutig die Warnung aussprach, auch ja vorsichtig zu sein, drehte sich Sofia um. Nach kurzem Zögern folgte ihr der Silberfuchs eine hölzerne Treppe hinauf, dann einen Gang entlang, Tür an Tür. Bis auf einer mürrischen Putzfrau begegneten sie niemandem, bis Sofia schließlich vor einem der Zimmer stehen blieb.

    „Wascht Euch, man sieht Euch Eure Reise an. Kleidung in Eurer Größe liegt bereit, wenn Ihr dann keine ganz so große Zumutung mehr seid, werdet Ihr die Antworten erhalten, auf die Ihr sicher wartet.“

    „Ich könnte vielleicht etwas Hilfe beim Ausziehen gebrauchen …“ Der Silberfuchs hatte noch nicht ausgesprochen, da hatte Sofia bereits die Türe des Badezimmers aufgerissen. Rüde stieß sie den grinsenden Dieb hinein, legte die Hand auf die Klinke.

    „Wascht. Euch.“ Dann fiel die Tür mit einem Knallen ins Schloss.

    Gut. Die wird mich sicher nicht mehr behelligen. Zeit für Fluchtplan Zweipunktnull! Kurz sah sich der Silberfuchs in dem Badezimmer um, ging an der gefülten Wanne vorbei, an dem großen Standspiegel im Eck. So leise wie möglich setzte er einen Stuhl unter das hohe Fenster, rüttelte kurz daran. Zu seiner Überraschung öffnete es sich problemlos. Niemand hatte Anstalten gemacht, ihn an einer Flucht zu hindern.

    Ein Blick nach draußen belehrte ihn eines Besseren. Fast drei Mannslängen Luft lagen zwischen ihm und dem Boden. Mit gebrochenen Beinen kam er nicht weit, bis ihn Sofia oder Hamil oder sonstirgendwer wieder eingefangen hatte, und in dem Zimmer gab es nichts, aus dem sich ein Seil knüpfen ließe.

    Seufzend stieg der Silberfuchs wieder von seinem Stuhl. Dann würde er sich also fügen müssen. Aber egal, seine Angst eventuell Folter und Tod erleben zu müssen, hatte sich mittlerweile gelegt.

    Denn er wusste, wer auf ihn wartete.

    „Hey Sofia! Die Badewanne ist groß genug für zwei!“

    Der Dieb glaubte fast hören zu können, wie die Frau hinter der Tür die Augen verdrehte. „Soll ich Hamil fragen, ob er Euch Gesellschaft leisten will?“

    „Wenn Ihr nicht neidisch werdet …“

    „Wascht Euch endlich und verschont mich!“

    Lachend entledigte sich der Silberfuchs seiner zugegebenermaßen wirklich schmutzigen Kleidung. Hamil hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, keines seiner versteckten Werkzeuge und Messer hatte der Handlanger übersehen, und so hing er seine Diebeskluft über die Rückenlehne des Stuhls.

    Angenehm warm empfing ihn das Badewasser, Wusch den Dreck der Straße ab und die Schmach seines misslungenen Fluchtversuchs mit ihm.