Beiträge von Tom Stark

    Beinahe ein Hinterhalt

    »Dein Zahnstocher, mein wortgewaltiger, schwachbärtiger Freund, wird einen Ork eher zum Lachen als zum Weglaufen bewegen. Nimm doch einfach hier, meine wohlgepflegte Axt. Die erzeugt Furcht im Herzen der Feinde und Hochachtung in den Augen der Alliierten.«
    »Hochachtung? Mein verehrter, knurriger und wildbärtiger Compadre. Bei den meisten zivilisierten Völkern erntest du damit im bestenfalls einen mitleidigen Blick. Von hoher Achtung kann dabei gar keine Rede sein. Wenngleich ich die Akribie, mit der du deine Waffen pflegst aufs Vortefflichste loben will… «
    So ging es den ganzen lieben Tag. Krieger wie Fechter wurden nicht müde einander aufzuziehen und in freundschaftlichen Wettstreit ihre eigenen Vorzüge und Verdienste den vermeintlichen Nachteilen und Verfehlungen des Anderen gegenüberzustellen.
    Halana hörte schon gar nicht mehr hin. Die Frozeleien waren die ersten Monde sogar noch lustig, die nächsten immer noch unterhaltsam gewesen. Nun gehörten sie einfach zu den gewohnten Umgebungsgeräuschen.
    »Andere haben nervig immerfrohe Musikanten im Tross, wir zwei Freunde, die es nicht aushalten, auch nur mal eine Stunde in Stille ihre Freundschaft zu genießen. So hat jeder eben sein Päckchen zu tragen …«
    Die Halbelfe an ihrer Seite nickte grinsend. Fast überall wurden Frauen als geschwätzig und Männer als mundfaul beschrieben, ihre eigene Truppe hätte so manches altbackene Weltbild komplett umkrempeln können, in weit mehr als einer Hinsicht.
    Als die Geräuschkulisse plötzlich verstummte, reagierten die Gildenmagierin und die Waldläuferin ohne zu Zögern. Viel zu eingespielt war die Truppe und trotz der vorgetäuschten Sorglosigkeit war ihnen bewusst, dass sie durch Ork-Gebiet gingen.
    Salande glitt zwischen zwei große Büsche und spannte in wenigen Atemzügen ihren Elfenbogen mit so fließenden Bewegungen, die viele Jahre der Übung verrieten.
    Die Magierin wiederrum ging in die Hocke und legte ihre Linke flach auf den Boden, die Matrix für einen Wallzauber im Geiste formend.
    Der Zwergenkrieger schob sich schützend nach vorne, seinen Schild ebenso gewandt von der Schulter nehmend, wie die Halbelfe ihren Bogen. »Rooch?«, fragte er leise in seiner Muttersprache.
    Der Fechter zog bedächtig sein Rapier und hielt es etwa in Richtung des Weges auf einige mannshohe Felsen hintern denen der Weg eine Kurve machte. Ein passabler Ort für einen Hinterhalt.
    »… dein Schild hingegen ist so schwer, dass du mittlerweile aus dem Gleichgewicht kommst, wenn du ohne ihn gehst.« Hoicht fuhr fast ansatzlos mit seinem spöttelndem Geplappert fort. Nur seine Gefährten erkannten am Tonfall, dass er abgelenkt und angespannt war. »Vielleicht solltest du einen zweiten Schild als Reserve mitnehmen, und sei es, nur um deine schiefe Haltung zu korrigieren …«
    mit einem Blick verständigten sich die beiden Männer.
    Grötz rückte langsam vor, während der Südländer immer noch plaudernd sich auf die Seite des Wegs fallen ließ, die ihm von den Felsen Sichtschutz bot.
    Salande legte einen Pfeil ein und erhob sich halb. Sie war bereit. Zeit Fahrt aufzunehmen.
    Grötz ging in einen Sprint über und stürzte Schild voran die Axt locker in der Rechten auf die Kurve zu.
    Hoicht tauchte zur Seite weg und sprang behände über das Strauchwerk am Wegesrand und umrundete die Felsformation.
    DieHalbelfe rückte ebenfalls vor, den Pfeil einlegt, bereit auf alles zu schießen, was die Ecke kommen würde. Nur die Magierin kniete weiterhin. Entfernung war nur relativ. Symbolik und Vorstellungsvermögen waren weitaus entscheidender.
    »Erwischt, Compadres! Oh, wen haben wir denn da? Freunde, keine Gefahr, senkt die Waffen.«
    Sie hörten den Südländer und entspannten sich. Seine Stimme klang sanft, fast beschwichtigend.
    Der Zwerg kam als erster an, doch er schaute sich um, sicherte die Umgebung. Grötz, Sohn des Grotz mochte vieles sein, aber leichtsinnig war er nie gewesen. Sein langes Lebens trotz seiner Berufswahl bezeugte dies.
    »Kinder? Du hast uns wegen zweier Kinder in Alarm versetzt?« Weiteren Spott verkniff er sich, als er den armseligen Zustand der Kleinen bemerkte. Menschen, besonders Menschenkinder verstanden diese Art der Ruppigkeit oft als feindselig, während Zwerge aufgesetzte Freundlichkeit oft als elfische Doppelzüngigkeit auslegten. Götz sah sich nicht ganz unrecht als zwergischer Kosmopolit.
    Die Halbelfe und die Gildenmagierin kamen an und die beiden spärlich bekleideten und vor Dreck starrenden Kinder, Junge und Mädchen, vermutlich Geschwister, atmeten auf. Auch wenn die rabenhaarige Magierin mit den schwarzen Augen etwas von einer Todesfee hatte, war zumindest die blonde Halbelfe hübsch und hatte ein wirklich vertrauenserweckendes Lächeln. Zudem zeigte keine der Frauen mit spitzen Waffen auf die Kinder.
    Ein langer Blick Halanas erinnerte Hoicht an sein Rapier und, verbunden mit einer übertriebenen Verbeugung gegenüber dem Mädchen, ließ er die Waffe geübt elegant in der Scheide verschwinden und schwenkte seinen Fedora.
    »Meine Verehrung, holde Jungfrau. Verzeiht mein ungehobeltes Auftreten. Mich dünkte, Ihr wäret gar ein Ork. Ihr seid aber kein Ork, oder?« Er zwinkerte ihr zu und schon hatte er das Lächeln erreicht, was er erreichen wollte. Frauenherzen flogen ihm schon immer zu.
    Während die Gefährten Reservekleidung und Essen an die beiden Kinder ausgaben bekamen sie einen stockenden, lückenhaften und zeitlich schon antilinearen Bericht zu hören.

    Spoiler anzeigen

    Mal sehen, was das wird ^^, ich schreib einfach drauf los.
    Habe vor, täglich morgens vor der Arbeit ein Kapitelchen als Handübung zu produzieren.
    Erwartet also kein ausgefeiltes Skript oder eine wasserdicht logische Handlung.

    dramatis personae (vorläufige Liste)

    Halana Agasta von Tann, Gildenmagierin
    Hoicht von Dorch, südländischer Fechter und Lebemann
    Grötz, Sohn des Grotz aka Flammbart Schädelknacker, Zwergenkrieger
    Salande, Halbelfe

    Gerohard von Gerold, Kommandant der Festung Sankt Gerold
    Marschall Asmus Siegesgern Arenfeld, verbannter kaiserlicher Heerführer
    Kampfschwester Leonberga, Priesterin der Kriegsgöttin
    Bruder Olof, Laienbruder im Heilerorden des Gütigen Gottes

    Svangerd, der Blutige , verbitterter Nordmann
    Rassak Kassai, Ork-Häuptling des Stammes der Stierschädel
    Brazzor Kupfermond, Ork-Schamane


    Festung Sankt Gerold


    Der grauhaarige Kommandant sah sorgenvoll noch Osten.
    Die Berichte der Späher waren allesamt besorgniserregend. Seine Späher waren natürlich nur Heideläufer, Fallensteller und Rauhändler gewesen, aber gerade als Rauhändler war ein sicheres Gespür für die Stimmung der wilden Völker überlebenswichtig.
    Als ihm also Hortwig Dreithaler, einer der Urgesteine für den Handel außerhalb der Zivilisation, mitgeteilt hatte, dass ihm die Orks zu aggressiv, die Oger zu wanderlustig und die Elfen noch unnahbarer als sonst erschienen und er fürs Erste hier seine Handelsfahrten einstellen würde, war das beinahe so, als hätten die Wachfeuer der Vorposten das Nahen einer Streitmacht angekündigt.
    Er sah über die hohen Mauern von Sankt Gerold, die breiten Zinnen und mächtigen Ecktürme. Eindrucksvoll, ja, aber weit eher dazu gebaut, die Bewohner der Feste drin als einen Feind draußen zu halten. Die Festung war vor jetzt schon sechshundertvierzig Jahren als Gefängnis und Exil für Leute erbaut worden, die das Kaiserreich loswerden wollte, ohne sie aufs Schafott zu schicken. Im Laufe der letzten hundert Jahre hatte sich dies gewandelt und Sankt Gerold war mehr ein Vorposten des Reiches geworden, bevölkert von einem vor Ort gewachsenen Menschenschlag, der in diesen Landen fern der Grenzen des Reiches existieren und gedeihen konnte. Zwar galt die Loyalität offiziell weiterhin der Kaiserin, aber wie sollte so eine Loyalität tief sein, wenn das Einzige, was die Kaiserin mit der Festung verband, die halbjährliche Versorgungslieferung und ab und an ein neuer, meist unfreiwilliger Neubewohner der Festung war.
    »Asmus Siegesgern Arenfeld«, murmelte Gerohard, dessen Familie die Festung nun in siebter Generation befehligte. »Ein Kriegsheld und militärisches Genie. Sie haben mir einen verdammten Kriegsheld aufs Auge gedrückt.«
    Was immer Siegesgern getan hatte, um den Unmut der Kaiserin zu erregen, es war ihm aber fast egal. Womöglich war der Feldherr einfach etwas zu erfolgreich und daher zu beliebt, kaiserliche Politik war hier oben im Norden noch undurchsichtiger, als sie es ohnehin war.
    »Ordonanz! Lasst den Marschall Arenfeld zu mir bitten. Ich habe das Gefühl, wir werden zwar bald weit mehr als nur ein Genie brauchen, aber wenn ich nicht mehr bekomme, nehme ich eben das, was ich habe.«

    Danke. Mir ist diese Story seit Donnerstag Abend im Kopf herumgespukt und sie musste raus. Es war wie ein Kreativ-Kondom, hat nix Anderes zugelassen.
    Betreffende Mitleser wissen vermutlich genau warum ^^

    Um jeden Preis
    von Tom Stark

    »Alle Aktionen sind von der Gilde dispensiert. Kollateralschäden sind abgesegnet und alle Kosten werden übernommen. Bringen Sie nur den Kunden rechtzeitig zu seinem Portal.«
    Diese Worte vor einem Job zu hören hatte Halana sich immer gewünscht. Sie könnte voll aufdrehen und einem Gegner so richtig die brennende Höllenscheiße ins Gesicht klatschen.
    Aber als sie ausgesprochen waren, blieb nur dieses miese Gefühl im Magen.
    »Um jeden f…king Preis? Was immer es kostet?« Die Magierin hatte ungläubig nachgefragt. Was hatte der Kunde nur gegen die Gilde in der Hand? Eine andere Erklärung konnte es gar nicht geben, warum die Gilde gegen grundlegende Gesetze verstieß. Genau aus diesem Grund gab es schließlich die Gilde. Um Magieeinsatz in vernünftigen Bahnen und Rahmen zu halten.

    Es war Mardi Gras in The Big Easy. Wobei heute für sie weder ein fetter Dienstag noch großer Leichtsinn angesagt war.
    Die Straßen waren gerammelt voll, die Leute sangen, tanzten, tranken und drehten ganz allgemein durch, allesamt irgendwie verkleidet. Ein buntes Chaos ohne sichtbare Struktur.
    Ein Alptraum für eine magische Leibwächterin wie Halana.
    »Bleiben Sie immer dicht hinter mir. Halten Sie sich notfalls an mir fest. Lassen Sie es auf keinen Fall zu, dass wir getrennt werden!«
    Sie gab noch weitere Anweisungen an ihren heutigen Schützling. An jedem anderen Tag wäre der Mann mit seinem silbergrauen Rauschebart, den Aristoteleslocken und vor allem, der schneeweißen Robe aufgefallen, wie ein weißer Rabe in einer Schar schwarzer Krähen.
    Vermutlich war das einer der Gründe, warum die Gilde zugestimmt hatte, den Druiden gerade heute vom Weg aus dem Reich der Winterkönigin zu seinem eigenen goldenen Hain durch diese Welt zu eskortieren.
    Das Portal aus dem Winterreich konnte aus sphärologisch unabänderlichen Gründen nie direkt zum Hain geöffnet werden, also blieb nur dem Umweg über andere Welten.
    Zudem gab es ein Zeitfenster von etwa einer Minute, in der das Portal zum Hain geöffnet werden musste.

    Halana fluchte zum dritten Mal innerhalb einer Minute. Gerade als sie das Haus verließen, musste auch noch eine dämliche Wagenparade stattfinden. Die Menschen drängten, nein, stapelten sich auf den Gehsteigen.
    »Dranbleiben!«, ermahnte sie den Druiden noch einmal. Seinen überheblichen Blick bemerkte sie zwar, aber beschloss ihn einstweilen zu ignorieren. Menschen waren in der magischen Welt nun einmal wenig geachtet. Scheiß drauf!
    Die Magierin schob sich energisch durch die Menge. Ihr eigener Aufzug erinnerte auch eher an eine KI-generierte Fantasy-Mischung aus Lederrüstung und Robe und zugegeben, ein paar Schnallen und Riemen waren vielleicht funktional unnötig, aber Symbolik ist in der Magie mindestens genauso wichtig wie Funktionalität. Und hier und heute fiel sie ohnehin nicht auf.
    An einer der wenigen funktionierenden Ampeln der Hauptstraße mussten sie warten. Auch an Mardi Gras mussten zum Beispiel Gastrobetriebe beliefert werden. Gerade an solchen Tagen.
    Halana lief schon los, als sie sah, dass die Plane eines LKWs hochgeworfen wurde ein Dutzend Männer und Frauen in Schwarz von der Ladefläche sprangen.
    AAC, Alien Affairs Commando. Natürlich, wer denn sonst!
    »Mir nach!«, brüllte sie zu dem Druiden zurück und versuchte in der Menschenmasse unterzutauchen.
    Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, dass die Schwarzanzüge sich aufteilten. Die wussten genau, wo sie waren und versuchten sie einzukreisen. Noch hatten sie keine Waffen gezogen und die anwesenden Nichtmagischen hielten alles für eine Show.
    Jetzt wäre es Zeit loszulegen, wusste Halana. Wenn sie jetzt eine Panik verursachte, könnten sie höchstwahrscheinlich entkommen. Und es würde fast zwangläufig zu Verletzten und Toten kommen.
    »Um jeden Preis …, scheiß drauf.« Sie schnaubte angepisst. Sie war eine verdammte Magierin. Anders als Hexen oder Zauberer, war sie eine Akademikerin, ein Profi. Zeit, wie eine zu handeln.
    Sie zog den Rauschebart in eine Seitengasse. New Orleans war eine traditionsreiche, alte Stadt, was gut war. Sie war zuletzt vor Katrina hier gewesen, aber man hatte zumindest den Stadtkern nahezu unverändert wieder aufgebaut. Daher kannte sie sich aus.
    »Laufen sie weiter bis zum Ende der Gasse. Dort geht es nach links in einen Hinterhof. Warten sie dort auf mich!«
    Sie hoffte, der Druide würde sich an den Empyrischen Pakt halten und keine Magie in einer fremden Sphäre einsetzen. Das konnte durchaus zu einer kataklystischen Katastrophe führen. Halana, war sich sicher, dass selbst die Gilde diesen Preis nicht zahlen wollte.
    Drei der Anzugträger kamen in die Gasse gestürzt und stoppten, als sie die Magierin sahen, die sie erwartete.
    »Die Gilde also? Aus dem Weg Magierin. Um Dich kümmern wir uns später.« Die Frau in Schwarz griff unter ihre Jacke und zog eine silberne Waffe, die wie eine Science Fiction Spielzeugpistole aussah.
    Halana schüttelte energisch den Kopf. »Wen glaubt Ihr eigentlich vor euch zu haben? Ich bin eine Magerin dritten Grades. Wollt ihr das wirklich?«
    Sie hob ihre Hände leicht an, in ihrem Geist bereits die komplexe Matrix formend, bereit den drei Anzugdeppen die Scheiße aus dem Leib zu zaubern.
    Die beiden Männer, welche die Frau flankierten reagierten. Sie sprangen nach links und nach rechts weg und zogen währen den Rolle am Boden ihre Waffen. Bei anderer Gelegenheit hätte Halana der Choreographie Respekt gezollt. Stattdessen ließ sie den Zauber frei und erwischte die Frau, die ihre Waffe gerade ausrichtete. Ihre Augen wurden groß und Agonie überzog ihr strenges Gesicht, als sie ihre Waffe mit einem Aufschrei fallen ließ ihre Hände gegen den Magen presste und dann mit einer Mischung aus Ekel, Unglauben und Geburtsschmerz allen angesammelten Harn und Darminhalt in Sekundenbruchteilen von sich gab.
    Die Scheiße aus dem Leib zaubern, meinte Halana durchaus wörtlich.
    Sie duckte sich noch rechtzeitig und warf sich zur Seite.
    Ein plasmablauer Strahl schoss über sie hinweg und der stählerne Müllbehälter, den sie sich als Deckung auserkoren hatte, starb einen grauenhaften Feuertod, als ihn die Entladung der Waffe des zweiten Manns traf.
    Halana formte die nächste Matrix, währen sie an der Wand zurückwich. Der mittlerweile weißglühende Mülleimer trieb sie zurück und gleichzeitig die vorrückenden Männer in Schwarz an die gegenüberliegende Wand.
    »Um jeden Preis, wie?« Halana sah zur Mauer. Hoffentlich waren da gerade keine Bewohner direkt Wohnungswand, aber ihr gingen die Alternativen aus. Sie würde hier keine Feuerbälle werfen oder hochenergetische Blitze beschwören. Den Stadtkern von N‘Orleans gerade zu Mardi Gras anzuzünden oder die mangelhaften Stromnetze zu überlasten war keine Option, die ein Gildenmagier ziehen würde. Magie sollte nützen, nicht schaden! Jedenfalls mehrheitlich. Wenn irgend möglich.
    Also ließ sie die Matrix frei und zog die Fassade des Hauses auf gut zwölf Metern Länge heraus und ließ sie über den schwarz tragenden Agenten einstürzen.
    Die Schreie und Alarme ausblendend rannte sie die Gasse hinunter und war erleichtert, dass der Druide vertrauensvoll im Hinterhof wartete.
    Der Timer ihres Smartphones gab das Bugle-Signal. Verdammten, noch zwei Minuten bis zum Zeitfenster! Sie warf einen Blick auf die GPS-Anzeige und schaute sich um. Sieben Meter nach Nordost wäre gut, aber sie brauchten eine freie Fläche. Ein Weltentor in einem Gebäude zu öffnen wäre … kataklystisch, wieder einmal. Halana erlaubte sich ein genervtes Lächeln. Sie hasste solche Superlative in der Werbung aus einem guten Grund. Die hatte doch gar keine Ahnung!
    »Dort oben, auf dem Hausdach. Sie haben noch drei Minuten. Rein ins Haus und die Treppe hoch. Bis aufs Dach. Los! Los!«
    Sie schob den Druiden alles andere als sanft zur Haustür, die natürlich verschlossen war.
    Keine Zeit mehr. Sie wollte gerade eine Matrix formen, welche das Türschloss in eine Dämonendimension verbannen sollte, als sie ein Plasmastrahl knapp verfehlte und wenigstens das Türproblem wegschmolz.
    »Rein, ich halte sie auf!«
    Sie wirbelte herum und formte die Matrix einer Energiebarriere. Energie mit Energie aufhalten, nicht gerade elegant und schon gar nicht effizient, aber um die B-Note würde sie sich später Gedanken machen.
    Ein weiterer Plasmastrahl schoss heran, zerfaserte aber am Energieschild. Heiß war er dennoch.
    Halana wich ins Haus zurück. Hoffentlich ballerten die Irren drin nicht herum. Plasma zündete diese Holzbauten ebenso schnell an wie jeder Feuerball.
    Sie hörte den Druiden bereits im zweiten Stockwerk.
    »Für so einen Rauschebart ist der ganz schön fit …«, murmelte sie und sprintete ebenfalls die Treppe hoch, immer drei Stufen auf einmal nehmend. Etwas Hartes traf sie an der Schulter, prallte ab und kam auf den Stufen auf, als sie schon ein gutes Dutzend weiter war. Die Schockwelle traf ihr Bein noch, doch sie konnte sich festhalten. Durch den Rauch erahnte sie ihre Verfolger mehr, als dass sie sie sehen konnte.
    »Um jeden f…king Preis, ja?«
    Durch den Schmerz aufgewühlt geriet ihre Matrix ein wenig schlampig und energetischer als gewollt und so verschwanden nicht nur die Treppen der nächten sechs Meter sondern das ganze restliche Treppenhaus unter ihr in Schutt und Staub.
    »Verd …« Zum Glück hatte das niemand gesehen. Undiszipliniertes Hexenvolk oder skrupelloses Zaubererpack pfutschte so mit Magie herum, aber kein von der Gilde examinierter Magier.
    Sie brachten das letzte Stockwerk hinter sich und reichten endlich das Dach.
    Mit der Melodie von Dangerzone verkündete ihr Smartphone die letzten dreißig Sekunden. Aber das Dach war leer. Gut.
    Sie förderte den leuchtenden Portalstein aus ihrer Jackentasche und zeichnete die Matrix des Weltentors zum Goldenen Hain in die Luft und … es erschient prompt.
    Halanas Anspannung fiel ab.
    »Zu sagen, es war eine Freude, wäre gelogen, aber rein mit ihnen und auf Wiedersehen in, sagen wir frühestens 100 Jahren.«
    Der Druide schenkte ihr ein eigenartiges Lächeln und trat durchs Portal.
    Halana wollte sich abwenden, als sie ein Stoß traf.
    Eine Frau in Schwarz mit seltsamen Miniflügelchen an ihren Oberarmen warf sie beinahe um, als sie sich noch während der Landung auf die Magierin stürzte. Ein kurzes Handgemenge um die silberne Minipistole der Agentin entstand, das Halana mit einen entschlossen Griff und einem magischen Stromstoß gewann, der alle Gildennormen nicht nur ignorierte sondern geradezu annihilierte.
    Ein Tritt der Frau in Schwarz schleuderte sie durch das sich langsam schließende Portal.

    Das güldene Leuchten das Hain umgab sie wie eine warme, wohlige Umarmung. Die Vöglein zwitscherten fröhlich, die Luft roch würzig und frisch und der Boden fühlte sich ganz besonders erdig an.
    »Gut gemacht, Magierin.« Er nahm ihr den Portalstein aus der Hand.
    Halana schaute verblüfft in das neutrale Lächeln des Druiden. Und auf den blitzenden Dolch, den er ihr unters Kinn hielt.
    »Du warst nützlich, ein gutes Werkzeug. Magie wirst du keine anwenden, um den Pakt nicht zu gefährden, also endet deine Nützlichkeit hier.«
    Ein Zucken um seine gnadenlosen Augen kündigte Halanas Ende an.
    Es gab einen Blitz und der Druide wurde gute drei Meter weggeschleudert, sein Messer verlor er bei der Landung.
    Entsetzt sah er auf das Brandloch in seinem Magen. »Du hast Magie gegen mich angewendet. Du hast den Pakt gebrochen …?«
    Halana hielt die kleine silberne Waffe hoch. »Keine Magie, Arschloch. Technik. Achja, behaltet den Stein. Ihr seid auf der Erde nicht mehr willkommen. Schönen Gruß von der Gilde, wir sehen von Vergeltung wegen des Angriffs ab, dafür sind wir nun quit.«
    Sie rollte sich durchs Portal und erreichte gerade noch das Dach, als das Portal sich schloss
    »It’s all over now, Baby Blue«, meldete das Smartphone das Ende des Zeitfensters.
    »Mal wieder in letzter Sekunde, wie?«
    Halana stimmte der Frau in Schwarz seufzend zu. Wie sie solche Superlative hasste. Es gab einfach zu viel davon in ihrem Leben.
    »Du hast den Druiden ganz schön erwischt.« Die Agentin reichte der Magierin die Hand, welche sich hochziehen ließ und ihr die kleine Pistole zurückgab.
    »Jepp, die kommen so bald nicht wieder und den Portalstein hat die Erde auch nicht mehr. Fürs Erste sollten wir vor dem Vollpfosten Ruhe haben. Ich hoffe, ich habe deine Leute nicht zu schlimm erwischt?«
    »Nah, alles gut. Die Mauer war schon fies, aber nicht unerwartet. Und Agent Saphire lässt Dank ausrichten, dass du uns vorgewarnt hast, nüchtern anzurücken. Dein Blitzkackzauber ist einfach obergemein. Nur der Elektroschock von eben, der war völlig unnötig.«
    Halana grinste. »Das war die Retourkutsche für die Schockgranate. Scheiße, mein Bein tut immer noch verdammt weh.«
    »Ah, sorry, ein neuer Kollege hat‘s übertrieben.«
    »Kein Ding.« Halana ließ sich dankbar den Arm um die Hüfte legen, damit die Agentin sie stützen konnte.
    »Inzwischen eine Ahnung, warum deine Führung diesen Deal mit den Druiden hat?«
    »Nah. Aber um jeden Preis? Es muss was wirklich, wirklich Gewaltiges sein. Der Erfolg sollte mich weiter an die Spitze bringen. Oder sie schmeißen mich raus.«
    »Du hast immer einen Platz bei uns.«
    Halana grinste. »Haha. Schwarz steht mir nicht und wer trägt heute noch Krawatte?«

    Wie heißt sie nun?

    gute Frage, ist vielleicht mondphasenabhängig ^^

    und, ja diese Story ist aus erzählt.
    Die Abenteuer von Kalid, dem Wächter stehen in einem DSA-Forum, was es vermutlich gar nicht mehr gibt (2010/2011). Das hier war ein unveröffentlichtes Kapitel, vermutlich weil wir ne Menge jugendlicher Leser hatten und ich verhindern wollte, dass die tugendhaften Knaben feuchte Träumen von sexy Werkatzen und die sittsamen Knabinnen ebensolche von feschen Stadtgardisten haben ... :whistling:

    nee, im Ernst, keine Ahnung, warum ich genau das Fragment über all die Jahre in meinen Daten-BackUps behalten habe.
    Der Allweise weiß es aber bestimmt.

    Ich räuspere mich und verscheuche die schlimmen Gedanken.
    »Was wurde als Omar?« Als ob das nicht allgemein bekannt wäre. Teil der Legende. Zuviel gewollt, Yasid?
    »Du Torfkopf. Er ist tot, das weißt du doch. Sein Bild hängt an der Veteranenwand! Viel wichtiger, was wurde aus der Frau, wie hieß sie?« Jenaira weißt ihn erstaunlich vertraut zurück. Die Beiden werde ich besser im Auge behalten.
    Ich nicke anerkennend auf die zweite Frage. Es ist selten, dass so junge Leute die richtigen Fragen stellen.
    »Das weiß ich leider nicht. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich die folgenden Stunden für eine ganze Weile mit ganz anderen Gedanken beschäftigten. Ich weiß nur, dass sie sehr bald die Stadt verlassen hat. Zumindest das Viertel. Der Allweise gebietet zwar, dass man denen in Not beistehen soll, aber er verlangt nicht, dass man sein Leben aufgeben und ihnen nachrennen muss, wenn sie ihr Heil woanders suchen. Letztlich hat der Gütige uns den freien Willen gegeben, damit wir ihn nutzen und wer sind wir, dass wir seine Gaben übertreffen wollen?«
    »Aber heute seid Ihr Dabit, Herr. Es ist also gut ausgegangen, jedenfalls für euch.«
    Yasid das Schlitzohr wieder. Immer eine Schmeichelei durch die Hintertür. Die Anderen werden ihm bald alle aus der Hand fressen! Außer Janeira vielleicht. Ich habe eine Ahnung, wer da die Möhre hält und wer der Esel ist.
    »Meine Schicht war zu Ende und mein Partner war fort. Die dünne Mondsichel zeigte sich bereits am Himmel und dieses Mal folgte ich sehr bereitwillig dem Gebot meines ersten Earifs, einem alten Feldwebel aus dem Heer des Kalifen, der auf seine alten Tage sein Wissen an uns Wachrekruten weitergab: Wenn dein Dienst vorüber ist, geh nach Hause!
    Wie immer zu jener Zeit, ach, wie auch heute noch, erfüllte mich der Anblick meines Hausbootes mit Stolz und Zufriedenheit. Ich werde nie ein Haus mit eigenen Händen bauen, dessen bin ich mir gewiss. Der Allweise stattet uns mit verschiedenen Talenten aus, bei mir hat er wohl alles, was mit Werkzeug zu tun hat ausgelassen. Ich warte immer noch auf die Erleuchtung, wo er mir stattdessen Talent im Übermaß zugeteilt hat.«
    Pflichtschuldiges Gelächter. Natürlich ist Bescheidenheit die höchste Form der Arroganz. Ein echtes Laster meinerseits und kluge Leute bemerken das instinktiv. Der Allweise hat uns schließlich nicht alle als einfältige Narren erschaffen, wiewohl er erstaunlich vielen diese Bürde auferlegt. Warum, hat er mir ebenfalls noch nicht offenbart. Geheimnisvoll sind seine Wege. Zu breit und zu lang für die kurze Sicht der Menschen. Dennoch ist es uns erlaubt, sie auf unsre Weise zu erforschen.
    »Ich betrat mein Zuhause und genoss das sanfte Schaukeln. Vielleicht einer der Gründe, warum mich noch nie ein Meuchler im Schlaf aufgesucht hat, ist, dass nicht einmal eine Katze ein Boot im spiegelglatten Fluss betreten kann, ohne dass es wenigstens etwas schwankt und eine ganz kleine Welle ausgelöst wird.
    Ich lauschte dem Rückschlag der Wellen und der Klängen der Nachtschiffer, die ihre Lieder sangen, um so gehört und rechtzeitig gewarnt zu werden, bevor sie auf ein zur Nacht angelegtes Boot auffuhren. In einer solch großen Stadt wie unserer, endet der Warentransport auch nicht mit der Dunkelheit. Er wird nur viel langsamer und oft auch viel gefährlicher.
    Die Geschehnisse waren mir auf den Magen geschlagen, also verzichtete ich auf mein Abendmahl. Zu jener Zeit war ein einfacher Brei mit ein wenig Gemüse ohnehin das höchste der Gefühle. Mein ganzes Gold steckte im Hausboot und ich hatte wenigstens noch sieben Mal Sold zu bekommen, bis ich es vollends mein Eigen nennen durfte.
    Sofern ich meine Stelle überhaupt so lange behalten könnte. Omar war weitaus beliebter und sehr viel einflussreicher als ich. Aber darüber wollte mir nicht Gram werden. Wenn, dann schämte ich mich immer noch, dass eine Person in Not, sich eher vor mir fürchtete, als auf meine Ehre zu vertrauen. Auch wenn mir die Klugheit sagte, dass ich mir wenig vorzuwerfen hatte, so nagte es dennoch an mir.
    In mein Grübeln hinein bemerkte ich das sanfte Schaukeln meines Bootes.
    Ich war nicht mehr alleine.
    Normalerweise hätte ich nach meinem Knüppel oder nach dem zwischen den Regalen verborgenen Dolch gegriffen, aber meine Instinkte blieben ruhig. Meine innere Stimme riet, mir weder zu verschwinden noch aktiv zu werden, also wartete ich ab.
    Ein Wächter kommt oft in Situationen, in denen er viel zu wenig über die Lage weiß, oft genug belügt man ihn im Vorfeld sogar, weiß der Allweise, welchen Gewinn sich sogar Unschuldige sich davon versprechen! Was ihm aber immer bleibt, sind die Instinkte, die ihn schon jahrelang am Leben gehalten haben. Ich sage nicht, dass ihr nicht auf die Klugheit hören sollt. Doch wenn die Klugheit nicht weiter weiß, hört auf eure Instinkte.
    Ich wartete also. Und wartete. Und wartete noch etwas länger. Ich wurde beobachtet, soviel war ich mir gewiss. Beurteilt vielleicht, aber nicht verurteilt. Wie ein Pferdekäufer, der versucht zu entscheiden, ob das Ross vor ihm ein trittsicherer Bergsteiger oder ein windschneller Steppenläufer ist oder wie viel von Beiden ihm steckt.
    Die smaragdgrünen Augen, die plötzlich vor meinem Gesicht auftauchten, schienen das wenige Licht einzufangen und zurückzuwerfen. Sonnenrotes Haar mit dunklen Strähnen rahmte ein Frauengesicht ein, das zu hell war, um schon lange hier zu leben. Vielleicht eine Nordländerin, wenngleich von hier fast alles nördlich lag. Aus dem südlichen Regenwald kam sie ja wohl kaum.
    Viele Augenblicke lang sahen wir uns in die Augen. Ihr Blick war auf eine Art unmenschlich, raubtierhaft, doch zugleich so sehr menschlich, dass ich ihre tiefe Einsamkeit aber auch ihre Begierde deutlich erkennen konnte.
    Dann fühlte ich ihr Gewicht auf meinen Schoss und meinem Oberkörper, als sie aufhörte, mit allen Vieren abgestützt über mir zu schweben, wie eine Raubkatze, die sich jeden Moment auf ihre Beute herabfallen lässt.
    Durch ihre dünne, kurze Tunika, gerade eben noch als sittsam durchgehend, konnte ich ihr Verlangen
    deutlich an meiner Brust spüren.
    Es war schon wirklich lange her, dass mich eine Frau so angesehen hatte. Nein, so hatte mich überhaupt noch keine angesehen, kam ich schließlich zum Schluss. Ich war mir nicht sicher, ob ich Hauptgewinn, lohnende Beute oder schmackhaftes Opfer darstellte. Und es war auch egal.
    Ich bin in vielerlei Hinsicht ein sehr einfacher Mann, heute wie damals. Und wenn mich eine umwerfende Frau mit solch unverhohlenem Verlangen besucht, fallen mir einfach keine passenden Fragen ein. Ungeduldig Unpassende zuhauf, natürlich. Die Kunst ist, diese rechtzeitig davon abzuhalten, dem Gehege der Zähne zu entkommen.
    Also schwieg ich und saugte den Anblick der Unbekannten in mir auf, sorgsam darauf bedacht, meine Hände ins Laken gekrallt zu lassen, um keine unbedachte Bewegung zu machen. Bestiengeist, Ifrit oder liebeshungrige Nordländerin? Ich glaube an zweite Chancen, aber ich wollte verdammt sein, wenn ich den Allweisen hier um eine zweite bitten müsste, nur weil ich vorschnell handelte.
    Dann stießen unsre Nasen aneinander. Wie in einem Traum aus Neunundneunzig und einer Nacht, ging es mir durch den Kopf und sie lächelte.
    Kein Traum, guter Mann, starker Mann. Bin kein Traum.
    Konnte sie auch Gedanken lesen? Wohl eher war mein Gesicht ein offenes Buch.
    Ihre Lippen berührten meine Nase, ihre Zunge die Nasenspitze und fuhr zu meinen Lippen hinab. Ich begann zu zittern. Nicht aus Furcht, beim Allweisen, zuallerletzt aus Furcht!
    Sanft, unendlich sanft, erkundete die Zunge meine Lippen.
    Etwas in mir riss sich los und ich versuchte sie zu küssen, doch sie wich spielerisch zurück. Ich konnte Reißzähne in ihrem Mund sehen, oben wie unten. Doch ihr sinnliches Lächeln ließ mich das sofort beiseite schieben.
    Jagdzeit. Sehe meine Beute. Und dann warst du da. Der andere? Nannte sich Wolf, nannte dich Hund.
    Ihr Mund zuckte vor und stahl sich einen Kuss, bevor ich auch nur reagieren konnte.
    Das sage ich, dummer Wolf hat in seinem Leben noch keinen Streiflöwen erblickt und weiß es nicht besser.
    Etwas ermutigt von dieser Feststellung, hob ich meine Hände an, fasste sie vorsichtig an den Oberarmen. Ihre Haut war samtig aber nicht so weich, wie ich erwartet hatte. Harte Muskelstränge bewegten sich darunter und ich hatte nichts entgegenzusetzen, als sie ihre Finger in meine hakte und meine Hände neben meinen Kopf drückten. Mag sein, dass ich auch nichts entgegensetzen wollte. Manche Details erscheinen mir immer noch wie im Traum.
    Immer jage ich. Nehme, was ich brauche, was ich will. Dem Jaguar die Beute. Ich überrasche, unterwerfe und schlemme. Mein Wille lähmt, macht gefügig. Meine Opfer, meine Beute. Meins.
    Ich hielt die Luft an. Das klang doch ein wenig bedrohlich.
    Im Zwielicht des Mondes bildete ich mir ein, ein Fleckenmuster dicht unter ihrer Haut zu sehen. Wohl nur eine Täuschung der Schatten und ich hatte auch keine Gelegenheit darüber nachzusinnen.
    Heute jage ich nicht. Heute werbe ich. Unterwerfe nicht, biete mich an. Ich bin deine Beute, wenn du willst. Deine Dienerin, wenn du der Meister bist.
    Zu sagen, dass mein Mund trocken wie die Wüste wurde, beschreibt nur einen kleinen Teil meiner Gefühlswelt.
    Wer bist du? Was bist du? Was willst du von mir? – Natürlich hatte ich eine Ahnung, aber in diesem Fall wollte ich sicher sein. Wirklich sicher.
    Frau im Körper des Tiers, Tier im Körper der Frau. Wurden zusammengebunden. Mussten Eins werden.
    Mitfühlend drückte ich ihre Finger, fühlte die viel zu harten harten Nägel an ihren Spitzen. Ich zwang mich, nicht hinzusehen.
    Ich will dich fühlen. Will mich spüren. Durch dich, in dir, in mir. Die Menschlichkeit in ihrem Blick nahm wieder zu. Dann ließ sie meine Hände los und setzt sich auf.
    Diese Hände. Sie hob ihre vor meine Augen und ich meinte Reste zu erkennen. Reste von …
    Sie zerfetzen, weiden aus. Aber nicht bei dir. Nicht jetzt. Jetzt fühlen sie, sie bitten, sie ermutigen.
    Sie griff nach unten und ich kann nur sagen, was sie ergriffen und befühlten, wollte der Bitte nur zu gerne nachgeben und war überaus ermutigt.
    Lästige Dinge, wie Vorbehalte, Bedenken oder gar Ängste landeten mit einem Platschen im Fluss, als ich sie über Bord warf. Ich ergriff ihre Hüften und hielt sie, bis in Position war.
    Du bist vom Reitervolk. Ich reite dich und danach reitest du mich. Sag, dass mich reitest. Sag, dass du mich willst.
    Auf kulturelle Feinheiten, wie dass das Reitervolk die Besatzer waren und ich eher zu den Besetzten gehörte, verzichtete ich ebenso, wie auf Worte, die ich nicht hatte und die sie ohnehin nicht hören wollte. Stattdessen gab ich ihr soviel Kalid, wie ich konnte. Ihr Schrei, als wir die Pforte zum Paradies aufstießen, hatte wohl ebensoviel von einer Bestie wie von einer Frau und fragt mich nicht, welcher Teil erregender war. Es war wie ein Rausch, ein Sandsturm, die über uns hinweg fegte und uns verschlang.
    Als wir erschöpft aber zufrieden zusammenlagen, war der Fluss jedenfalls still. Sehr still.
    Keine Gesänge weit und breit und sogar das Gezeter der dominanten Tarischa, die sonst Abend für Abend ihren Ehemann lautstark, zur Unterhaltung der ganzen Nachbarschaft runterputzte, war nicht ein einziges Mal zu hören. Mag gut sein, dass wir ein wenig zu gut gehört wurden.
    Gegen Morgen wurde ich wach. Die Sichel des Mondes zeigte an, dass die Nacht in kaum zwei Stunden dem Tag weichen musste.
    Ich betrachtete das Wesen in meinen Armen, das entspannt und glücklich schlummerte. Ihr Kopf lag auf meinem Oberarm, leicht saurerer Speichel rann ihr in einem feinen Strom aus dem Mundwinkel.
    Schläfrig öffnete sie erst das eine, dann das andere Auge, aber ich erkenne ein Schauspiel, wenn ich eines sehe. Zu lange habe ich ein ähnliches Spiel mit einer Streunerkatze gespielt, die bei mir immer wieder unterschlüpfte, bis eines Nacht ein Krokodil sie zu fassen bekam.
    Bist du wieder bereit? Ihre Aussprache war schon viel deutlicher und sicherer. Als ob die Frau deutlich die Oberhand über die Raubkatze hatte.
    Ich lächelte. Lass es uns versuchen.
    Ja, ich war wieder bereit.
    Diesmal gingen wir es langsam an. Ich merkte, wie sie wollte, dass ich Spaß hatte, ich wollte es ebenso für sie und so fanden wir einen ausdauernden Rhythmus, der uns mal schläfriger mal lebendiger machte. Endlich kündigten sich die Paradiespforten an, lange, lange bevor wir sie öffneten. Es war kein Sturm, vielleicht die Andeutung eines Hauchs. Wie mit der Flussströmung, sanft, fast unmerklich glitten wir hindurch, im Einklang mit uns selbst, einander, der ganzen Schöpfung.
    Ich merkte kaum, wie sie ging.
    Selbst heute, gerade heute, denke ich, dass sie nur eben fortgegangen ist und jeden Augenblick zurückkommt.
    Ich liebe dein Geschenk und bringe es wohlbehalten zu dir zurück. Das waren ihre letzten Worte. Es dauerte viele Jahre, bis ich den Sinn begriff.«
    Ich ergriff die Tasse und leerte sie mit meinen Leuten zusammen, die ihre leerten.
    »Dabit, Herr? Was geschah jetzt mit Omar?« Yasid ist hartnäckig, das muss ich ihm lassen.
    »Ja, den haben sie Tags darauf gefunden. Irgendein wildes Tier muss ihn übel erwischt haben, so zerfleischt und ausgeweidet, wie er war. Und da ich nun der dienstälteste Earif war, müsst ihr mich heute als Dabit ertragen. Und jetzt genug gefaulenzt. Raus mit euch und beschützt unser Viertel. Wenn wir es nicht machen, tun es andere und ob wir das wirklich wollen, das lasst uns lieber nicht herausfinden.
    Die Männer gehen schwatzend und feixend. Ich nehme es ihnen nicht übel, wenn sie meine Erzählung für ein Seil aus Wüstensand halten. Nur Janeira zögert: »Dabit? Deine Liebste. Sie kommt wieder.«
    Wir sehen uns, wir schweigen und bevor das Schweigen unangenehm werden kann, folgt sie den Anderen.


    Epilog

    »Ada, ich bin zuhause!«
    Als würde man es nicht bemerken, wenn eine junge Frau, glücklich und unbeschwert über den Steg gehüpft kommt und voller Elan ins Boot springt.
    »Dem Allweisen sei Dank, dass du rufst, Kind, sonst würde ich noch zu Tode erschrecken!«
    Sie kommt herein, ganz meine wunderbare junge Tochter, ganz meine Ceya. Nunja, fast ganz, zumindest die Hälfte ganz.
    Wie immer, setzt sie sich auf ihr Bett am Boden zum Abendessen. Stühle kann sie nicht leiden. Umso besser, wir haben ohnehin kaum Platz für zwei und so gehört der Einzige ganz mir. Inzwischen macht sich das Alter immerhin so bemerkbar, dass vom Boden aufstehen ein wenig Gestöhne und Geächtze erfordert oder wenigstens den mitleidig hingestreckten Arm einer jungen Dame, die gerade eben noch ein kleines Kind war. Genau. War sie. Ich kann sie noch genau vor mir sehen:
    Das kleine Mädchen, gerade mal acht Sommer alt. Wie sie am Ufer steht, an der Planke, wo sie meinen Namen gerufen hat.
    »Ama hat gesagt du bist mein Ada. Bist du mein Ada?«
    Ich musste ihr nur in ihre smaragdgrünen Augen blicken, die das Sonnenlicht magisch zurückwarfen und auf das kupferrote Haar, das es in der ganzen Stadt mit Sicherheit kein zweites Mal gab.
    »Klar, ich bin dein Ada. Willst du an Bord kommen? Das ist unser Zuhause.«


    Epilog zum Epilog (Jahre später)

    »Meinst du sie kommt dieses Jahr?« Wie jedes Jahr an ihrem Geburtstag stellt Ceya diese Frage und wie jedes Jahr muss ich antworten: »Das wissen nur der Allweise und deine Ama. Aber uns ist es erlaubt zu hoffen und einen weiteren Teller zu decken.«
    Zehn Jahre, machen wir das inzwischen. Das Kleine Hausboot ist einem größeren gewichen. Das Gehalt eines Dabits, der sich nicht schmieren lässt, ist zwar nicht übermäßig üppig, aber wir kommen trotzdem gut zurecht. Und mit Ceyas unheimlichen Talent, ganze Rattennester und bissige Hunderudel nur durch ihre bloße Anwesenheit zu vertreiben, haben wir ein nettes Zubrot.
    Wie immer warten wir eine Weile mit Abendessen, ob sich unser drittes Familienmitglied vielleicht nur etwas verspätet und haben zugleich Zeit, uns von unsrem Tag zu erzählen.
    »Ich treffe mich gleich mit Alrik. Dann gehen wir mit den Freunden feiern. Du könntest diesmal auch mitkommen?«
    Ich lache und denke an das Männergespräch mit Alrik, als ich vor über einem Jahr sicher war, dass das Leuchten in seinen und Ceyas Augen nicht so schnell vergehen würde, wenn sie einander ansahen. Das Männergespräch fand am Fluss statt. Es drehte sich im Wesentlichen um Krokodile, die aus irgendwelchen Gründen lieber die Oberteile von Menschen fressen, sie so lange im Wasser herumschleudern, bis sie die Körper entzweigerissen haben und wie dann am Morgen die Leichensammler die untere Hälfte der Toten einsammeln mussten. Tote, die man nie identifizieren würde. Es war ein wirklich gutes Gespräch und unser Verhältnis danach von festem Vertrauen in Alriks innere Werte geprägt. Jedenfalls von meiner Seite aus.
    »Mit euch jungen Gazellen kann ein alter Hund wie ich nicht mithalten. Geht ihr nur.«
    Sie umarmt mich so sehr, dass ich ein Stöhnen unterdrücken muss. Sie hat ja gar keine Ahnung, wie kräftig sie ist. Irgendwann muss ich das ansprechen. Aber nicht an ihrem Geburtstag. Auf keinen Fall heute.
    »Du bist doch nicht alt, Ada und schon gar kein Hund. Ein Streifenlöwe!«
    Wie immer, gebe ich mein bestes Löwenknurren von mir, was sie zum Lachen bringt und dann knurrt sie zurück. Sie kann das so viel besser als ich.
    »Hab dich lieb, Ada. Bin vor Morgengrauen zurück!«
    Und schon ist sie weg.
    Ich genieße die Stille. Bald werden die Nachtsänger einsetzen. Die blöden Flusspferde werden brunftig röhren und mit ihren Kiefern klappern und die sanften Wellen, die leise gegen das Hausboot branden, werden nicht mehr zu hören sein.
    Da spüre ich Unruhe ins Boot kommen. Jemand ist an Bord gekommen.
    Ceya? Möglich, aber unwahrscheinlich. Sie ruft mich immer, wenn sie heimkommt. Immer.
    Vielleicht sollte ich meinen Säbel holen, aber meine innere Stimme schweigt und in all den Jahren hatte ich niemals Ärger mit Meuchlern. Den anderen Dabits fällt es schwer es glauben, aber ein ehrbarer Mann hat weniger Feinde und diese sind dann meistens auch, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, ehrbar.


    Also warte ich. Und warte. Und warte noch etwas länger.
    Dann sehe ich in smaragdgrüne Augen, die das wenige Licht der Nacht einfangen und zurückwerfen.

    »Unwillkürlich suchte ich die Dächer über uns ab. Warum genau, war mir nicht klar, aber ich fühlte zu diesem Zeitpunkt genau, dass mein Lebensweg an eine Wegscheide gekommen war. Am Ende des einen Wegs, gerade noch außer Sichtweite, lag mein Grab.
    Dann fiel mir auf, dass Omar seine Tunika vorne sehr weit hochgeschoben hatte. Es war damals außer für die hohen Herrschaften nicht üblich, dass man bei der Arbeit Hosen trug. Bestenfalls ein Streifenrock oder ein Kilt war geduldet. Schlimmere Zeiten, schlimmere Sitten.
    Dann sah ich die junge Frau, die Omar mit festem Griff an der Kehle festhielt, während er mit seiner Rechten sein Gemächt in Stellung brachte.
    Omar, sprach ich ihn an. Omar?
    Mein Verstand wollte nicht annehmen, was meine Augen sahen.
    Geh weiter, Kalid. Geh einfach weiter, meinte er, nicht einmal sonderlich erschrocken, was kein Wunder war, meine Annäherung war ja nicht gerade leise gewesen.
    Omar! Ich trat näher und die aufgerissen Augen der jungen Frau blickten auf mich. Was mich mehr als alles Andere vorantrieb, war das Entsetzen in diesen Augen. Ich war ein weiter Peiniger für sie, nicht ihr Retter! Wie weit war es gekommen?
    Meine Narbe überm Auge hatte ich damals schon. Eine Torheit meiner Anfangszeit, die ich Dank Omar überlebt habe. Dennoch war es schon lange her, dass eine Frau mein Gesicht mit Begehren angeblickt hatte, aber nie, noch nie hatte ich solches Entsetzen ausgelöst.
    Ich hatte mich getäuscht. An beiden Wegenden lag mein Tod, denn in diesem Moment starb Kalid und ich, der heute vor euch sitzt, trat an seine Stelle.
    Lass. Sie. Los.
    Meine Stimme hatte diese tiefe Färbung angenommen, die sie heute hat. Bis dahin hat man mich zu Zeiten damit aufgezogen, dass ich wie ein Heranwachsender klingen konnte.
    Ich weiß, dass Hass keinen Platz im Herz des Gläubigen haben soll, denn wenn der Allweise uns stets Güte erweist, wie könnten wir einander anders begegnen, ohne den Vater aller Dinge zu schmähen und sein Verhalten töricht zu nennen?
    Doch in diesem Augenblick war ich wohl sein unvollkommenster Diener. Mein Wort darauf, hätte Omar sie nicht auf der Stelle losgelassen, ich hätte seinen Kopf mit meinem Knüppel so heftig geprügelt, bis er nur eine aufgeplatzte Masse aus Fleisch und Blut gewesen wäre.
    Sie ist doch nur eine Streunerin. Ein Flüchtling. Lungert hier nur herum. Keine Kupferzechine in der Tasche, nur eine Last für alle.
    Beinahe hätte ich mich auf ihn gestürzt. Du willst, sagen, kein Kupfer um deinen Schutz zu bezahlen! Und nun soll sie dich … anders … bezahlen …
    Meine Stimme brach vor Zorn und Omar wich schnell vor mir und der zusammenbrechenden Frau zurück.
    Und wenn es so wäre, Kalid? Was, wenn es so ist? Was man uns zahlt, ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Es ist unser Recht mehr zu …
    Recht? RECHT?! Es ist unsere Pflicht! PFLICHT, hörst du mich, Earif? Wir haben geschworen, GESCHWOREN, diejenigen zu schützen, die Schutz bedürfen. Es ist mir egal, ob du bei den Reichen die Hand aufhältst. Es ist mir egal, ob du mit den Gilden Abgaben vereinbart hast, damit du bei kleinen Diebstählen wegsiehst. Beim Allweisen, ich habe nie etwas gesagt, wenn du sie die reichen Besucher hast rupfen lassen, solange die dann nicht mittellos in der Gasse landeten und zu meinem Problem wurden. Aber sie hier. SIE? Sie hat nichts und doch nimmst du immer weiter? Was soll das werden? Wirst du dadurch reicher? Was gewinnst du hier? Ist dein Gesicht plötzlich nicht mehr hübsch genug, dass dir nicht ohnehin alle jungen Röcke nachlaufen? Was, Omar? Sag mir, was hast du hier zu gewinnen!
    Ich merkte wohl, dass ich mich immer mehr in Rage redete. Omar war in die Ecke gedrängt und hatte endlich seinen eigenen Schlagstock aus der Schlaufe gezogen.
    Du eitler Habenichts. Kleingeistiger Philosoph und Gutmensch. Predigst vom Allweisen und doch bin ich es, der dich davor bewahrt, von den Raubtieren gefressen zu werden. Hörst du, Kalid? Ich! Weil ich mit dem Wölfen heule, weil ich mit dem Rudel laufe, lassen sie dich verlausten Straßenköter in Frieden. Aber das hat jetzt ein Ende. Der Alte ist bald im Grab und dann bin ich der Dabit. Und eines sage ich Dir, Earif Kalid, dann gibt es in meiner Wache für einen bigotten Heuchler wie dich keinen Platz mehr! Und jetzt geh mir aus dem Weg, blöder Hund. Such dir jemand anderen an, den du selbstgerecht ankläffen kannst. Und viel Spaß mit deinem Lämmchen. Ohne meinen Schutz übersteht die nicht mal eine Nacht. Was machst du dann? Rennst in den Tempel und bittest den Allweisen um Verzeihung?
    Ich kenne die Gebote. Ich kenne sie genauso gut wie du. Und ich habe jene Gebote gefunden, nach denen ich lebe. Du. Bist. Nicht. Heiliger. Als. ICH!
    Er spie mir vor die Füße und stapfte davon.

    War ich eben noch voller Zorn, erfüllte mich nun tiefe Trauer. Ich hatte gerade einen Freund verloren, den ich vielleicht nie gehabt hatte, aber es tat trotzdem weh. Und noch mehr trauerte ich um Omar. Er hatte ein paar Gebote gefunden, die ihm behagten, die seine linke Art zu handeln rechtfertigen konnten. Dabei hatte er die weit zahlreicheren Gebote verloren, die ihn auf dem rechten Pfad hätten halten können.«
    Betroffen sahen mich meine Leute an. Sie hatten sichtlich damit kämpfen, meine Worte mit der Legende des edlen Omars in Einklang bringen. Eingedenk Omars nahm ich einen Schuck, möge der Allweise ihm im Jenseits den rechten Pfad erneut weisen und ihm eine weitere Runde unter den Lebenden gewähren, um sich vor den Augen des Allvaters dessen Güte als würdig zu erweisen.


    »Ich trat zu der jungen Frau, die kaum fassen konnte, was gerade geschehen war. Ungeschickt zog ich ihre Lumpen zurecht, wollte ihre Blöße bedecken, doch sie zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen.
    Nur ruhig. Ich tue dir nichts, versprochen. Der Allweise gebietet jenen beizustehen, die in Not sind. Gewähre mir das Privileg, seine Gebote durch den Dienst an dir zu befolgen.
    Ihr Zittern wurde weniger, so glaubte ich jedenfalls. Auch wenn es gegen die Vorschriften war, zog ich den Wappenrock des Fürsten aus und legte ihn ihr um.
    Ich bringe dich zu Leuten, die dich aufnehmen. Sie werden dir Kleidung geben und Obdach für eine Weile, und Essen. Und weil sie gute Leute sind, werden sie dir versuchen einen Weg zu weißen, den du gehen kannst, ohne deine Würde zu verkaufen und ohne Gefahr für Leib und Seele.
    Ihre Antwort war leise, kaum ein Flüstern. Warum sollten sie so etwas tun?
    Ich hob sie auf ihre wackeligen Beine. Falls nötig, würde ich sie tragen.
    Weil sie gute Menschen sind und die Gebote des Allweisen nicht nur kennen sondern auch leben. Sie würden wahrscheinlich auch so helfen, aber bisweilen muss man mit der Nase darauf gestoßen werden, was anständig ist und dass selbst der Allweise in seiner Güte einem nicht alles für immer durch gehen lässt. Vertrau mir. Es ist nicht weit.
    Sie nickte schwach. Und der andere Wächter?
    Meine Stimme war fest, nachdrücklich, ganz wie ein Vertreter des Fürsten und der Ordnung zu sprechen hatte: Omar? Um ihn wird sich gekümmert, mein Wort darauf.
    Wie, wusste ich selbst nicht so genau. Und wenn ich meinen Dabit gewaltsam ausnüchtern musste, ich würde dafür sorgen. Wenigstens diese eine Frau wäre in Sicherheit .
    Es ist wie der Allweise sagt: Hilfst du einem Menschen, hilfst du dir selbst. Hilfst du zwei Menschen, hilfst du der ganzen Welt.
    Zwei Steine, die man lostritt und die sich dann zur unaufhaltsamen Lawine vermehren.«


    Ich nehme die Tasse erneut hoch, noch einen oder zwei Schlucke. Und der beste Teil der Gesichte kommt erst noch. Ohne es zu wollen, stiehlt sich ein Lächeln auf mein Gesicht und ich bemerke erst an der Stille, wie man mich anstarrt.

    ErWacht
    vom Tom Stark

    »Dabit (Hauptmann), Herr. Eine Geschichte der Altvorderen. Kommt schon, Herr. Ihr könnt so gut erzählen!«
    Da ich ein guter Dabit bin – höre ich jedenfalls, gerne über mich sagen – und an mir vermutlich ein brauchbarer Haimamud (berufsmäßiger Geschichtenerzähler) verlorengegangen ist, lasse ich mich natürlich breitschlagen.
    »Also schön. Zum einen weil ihr heute früh gute Arbeit geleistet habt und besonders Du, Yasid, sogar eine beachtliche Bestechung ausgeschlagen hast, ja, der Dabit sieht alles, vergesst das nur nie, und zum Anderen ist heute ein ganz besonderer Tag.«
    Meine Männer und die eine Frau, die ich sogar gegen etwas Widerstand in die Wache geholt habe, versammeln sich um mich.
    »Eine Ein-Tee-Geschichte, dann geht es wieder auf die Straßen. Die guten Bürger werden unruhig, wenn sie lange unser Wappen nicht sehen und die Gaunergilden haben auch ein kurzes Gedächtnis.«
    Pflichtschuldig wird gegrinst und gekichert, Yasid, der alte Honighändler lacht sogar kurz. Das jüngste Mitglied meiner Wache versteht es wirklich gut, mir Honig um den Bart zu schmieren, wenn ich nicht aufpasse, werde ich mit einfachen Waschen nicht auskommen, dann kann ich zum Barbier rennen. Vorlauter Lümmel! Wenn der es nicht in drei Jahren zu Earif (Unteroffizier) bringt, dann hänge ich meinen Schlagstock an die Wand.
    Ich halte Jenaira meine Teetasse hin. Jedem anderen wäre sie mit dem Hintern ins Gesicht gesprungen für meine Frechheit, sie nicht wie jeden anderen Mann in der Truppe zu behandeln. Tatsache ist jedoch, dass sie den perfekten Zeitpunkt kennt, wie lange man den Tee ziehen lassen muss und wie schnell man ihn einschenkt. Und ich warte nie sehr lange, bis ich den Jungs wieder nahelege, sich das abzuschauen. Nichts hält dein Leben so sehr in der Balance, wie ein perfekter Tee.
    Als sich alle anderen ihren Tee geholt haben, natürlich selbst eingeschenkt, die Privilegien des Dabit muss man sich eben verdienen, nehmen wir gemeinsam den ersten Schluck. Schon seit Jahren musste ich das nicht mehr anmahnen. Die Alten bringen es den Neuen bei. Einen guten Offizier erkennt man unter anderem daran, dass er verständliche Anweisungen selten zweimal geben muss.
    »Also dann.« Ich setze meine Tasse ab und sehe das heimliche Schmunzeln meiner Leute auch ohne hinzusehen. Sie kenne mich, ich kenne sie. Und sie wissen, wenn ich Ein-Tee-Geschichte sage, meine ich auch genau eine Tasse. Wie schnell der Dabit geruht, diese zu schlürfen, ist ganz allein Sache des Allweisen und des Dabits …

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    »Es ist auf den Tag, fast auf die Stunde genau 10 Jahre her, als ich als Earif im achten Jahr zusammen mit meinem Partner Omar auf Steife war. Er war Earif im neunten Jahr und hat mir fast alles beigebracht, was ich als Wächter brauchte und über die Gassen des Südvierteles wissen musste. Und ein paar Sachen, die ich wissen musste, die ich mich aber weigerte zu brauchen.
    Damals war das Südviertel noch ein wenig ärmer als heute, auch wenn es schon zwei wirklich Reiche und sogar einen aus dem Rat hier hatte. Aber wie heute hatten wir zum Großteil Handwerker, die gerade über die Runden kommen, so wie unsereins eben auch. Und natürlich hatten wir die Armen, die Obdachlosen, Heimatlosen, Flüchtlinge, Krüppel und jene, die vorgaben, es zu sein, um die Mildtätigkeit des Gläubigen auszunutzen.
    Denn wie der Allweise uns gebietet die Not seiner Geschöpfe zu linden, insbesondere jener, die uns in Form und Gestalt ähnlich geschaffen wurden, so warnt er uns auch vor jenen, die unsren Geist vergiften und unsere Sinne vernebeln, auf dass wir die Worte des Allweisen nur im egoistischen Sinne sehen und statt Ehre, Schande auf unser Haupt laden.«
    Ich nehme einen weiteren Schluck zu Ehren des Allweisen und meine Leute folgen mir. Natürlich tun sie das. Es sind gute, Leute, anständige Leute.
    »Omar, als der Ranghöhere, wies mich an, auf der Hauptstraße zu bleiben und pirschte sich in die Nebengassen, wie er es oft zu tun pflegte. Längst wusste ich, dass er nicht den Dieben und Meuchlern auflauerte, wie er es mich in meinen ersten Jahren glauben mache. Er besuchte seine besonderen Freunde, wie er sie nannte, um sich den wöchentlichen Obolus für seinen besonders aufmerksamen Schutz zu holen. Er hatte es inzwischen aufgegeben, mich an diesen, seiner Ansicht nach völlig legitimen, Nebeneinkünften zu beteiligen. Natürlich gedachte er so zu vermeiden, dass ich ihn beim Dabit anschwärzte, aber diese Sorge hätte er sich nicht machen müssen. Mein alter Damit hatte viele Vorzüge, der Allweise segne ihn dafür im Jenseits, aber er war ein Mensch mit Schwächen wie jeder von uns. Seine größte war vielleicht der Trunk, dem er sich schon zu frühen Morgenstunden hingab. So hatte er oft schon Augenblicke später vergessen, was man ihm berichtet hatte. Wir Earifs schmissen den Laden und das schien ganz gut zu gehen. Nur wenige Tote mussten morgens von den Leichensammlern in unsrem Viertel aufgelesen werden, vom kleinen Markt kamen kaum Beschwerden wegen Diebstählen und die wenigen Reichen residierten sicher in ihren Stadtpalästen, bei den Anderen war ohnehin nichts zu holen.
    Heute wissen wir natürlich alle, dass es eben nur gut schien. Den ersten unverdeckten Blick auf die Wahrheit erhielt ich an diesem Tag. Dem Allweisen hat es gefallen, an jenem Tage seinem unvollkommenen Diener die Nebelschleier vor den Augen zu zerreißen, auf dass er sehe, was er endlich sehen musste.
    Obwohl ich strikt dagegen war, mich zusätzlich für Dienste bezahlen zu lassen, für die ich bereits den Schwur vor dem Fürsten und dem Allweisen geleistet hatte, war mir bislang nicht Schlimmes widerfahren. Weder wurde ich Opfer von Schlägern oder einem verborgenen Dolch, noch wurde mein Hausboot angerührt, das ich in den Jahren mir vom Munde abgespart hatte. Natürlich lag das auch an Omar, der trotz alle seiner Fehler für mich da war. Er war weit davon entfernt, ein so achtenswerte Mitglied der Wache zu sein wie Ihr, meine Kameraden, aber auf seine Art war ein guter Partner, fast ein Freund. Bis er aufhörte es zu sein. Der Allweise möge in seiner Güte seine Verdienste zuvor höher anrechnen, als sein Vergehen an diesem Tag.«
    Ich nehme einen weiteren Schluck, diesmal folgen mir nicht alle sofort. Zu sehr hängen sie an meinen Lippen. Immerhin ist Omar ibn Jaffad ibn Mugdim auch heute noch eine Legende. Ein Mann aus reichem Haus, der trotzdem zur Wache ging. Ich habe dieser Legende nie widersprochen. Es gibt absolut keinen Grund Jaffed und seine Frau, noch Omar nachträglich in Verlegenheit zu bringen. Armut ist entgegen vieler Auffassungen keine Schande, auch nicht, wenn man zuvor reich war. Mir hingegen erklärt es mancherlei ungesunden Hang zum schnellen Gold meines alten Partners.
    »Es gibt aber noch etwas, was bei den Oberen, den Gilden und der Bürgern immer für mich sprach. Eine Stimme in mir sagte mir meist, wenn ich einen anderen Weg gehen sollte und den Allweisen entscheiden lassen soll, ob ich etwas höre, was mich zum Umkehren zwingt oder sie trieb mich an, meine müden Beine selbst in der letzten Stunde meiner Schicht zu schwingen, weil mein Glaube und mein Knüppel vor Ort gebraucht wurden. So war ich, mit der Hilfe des Allweisen, wie ich mir hoffe nicht nur einzureden, den wahrhaft Mächtigen zu selten auf ihre Sandalen gestiegen bin, damit sie davon wunde Füße bekamen, aber oft genug genau dann von Ort, wenn es wirklich nötig war. Glaubt es ruhig eurem alten Dabit: Auch die Strolche wissen es zu schätzen, wenn sie einen Ort haben, wo sie ihr müdes Haupt sicher zu Ruhe betten können und wenn ihre Töchter sich ungestört zum Gebet versammeln können. Denkt zu keinem Zeitpunkt, dass man uns nicht will, oder uns gar hasst, völlig egal was die Halbstarken an Wände und Brücken pinseln. Sie wollen uns nur dann nicht, wenn sie Unrecht tun und hassen uns genau dann, wenn wir sie bei ihrem Unrecht ertappen. Aber sind sie in Not, erschlagen zu werden, und die lauten Schritte einer Streife vertreiben ihre Angreifer, dann sind sie dankbar. Freilich zu stolz oder zu engstirnig, um uns das wissen zu lassen. Aber niemand von uns ist, hier, damit man ihm Statuen zu Ehren aufstellt, habe ich Recht?«
    Ich lasse ihnen das zustimmende Geraune und auch ihre geflüsterten Verwünschungen, ob des harten Loses eines Wächters. Dann trinken wir gemeinsam den nächsten Schluck. Ich merke, ich muss mich sputen, der Tee erkaltet merklich.
    »Diese innere Stimme schrie mich förmlich an, mich zwischen den Häuser hindurchzuzwängen und die Seitengasse zu erreichen. Damals war ich noch ein wenig schlanker und so holte ich mir nur ein paar Abschürfungen.
    Als ich endlich die Gasse erreichte, sah ich zuerst Omar. Er war etwas nach vorne gebeugt und hielt eine Person gegen die Wand gedrückt. Schon zückte ich meinen Knüppel, bereit meinem Kameraden hilfreich den Rücken zu stärken. Wo ein Strolch zu sehen ist, lauern drei in den Schatten, heißt es nicht zu unrecht. Deswegen gehen wir niemals – Nie! Mals! – alleine vor.«
    Allgegenwärtiges Nicken zeigt mir, dass ich verstanden wurde.

    Da fehlt ein "sind" und aus "der" mach "mehr" und schon ist es ein Satz sogar mit Sinn ... besser ich gleich mal aus.

    irgendwo auch ein zweischneidiges Schwert ist: Zum einen frage ich mich, ob Du das Tempo permanent halten kannst

    Ist mein normales Tempo ^^ , aber ich weiß, dass es vielen zu hektisch ist. Selbst wenn ich cozy schreiben will, empfinde oft nur ich es als langsam und gemütlich.
    Dabei lasse ich einfach nur konsequent das weg, was ich selbst bei spannenden Romanen ohnehin überfliege ...

    Auch nach all den Jahren und auch oder gerade weil ich ich weiß, dass ich weder die Energie noch den Skill dafür habe, träume ich von einem Roman in epischer Breite, wo ich meine Figuren außer den Menschen alle ihre Muttersprache sprechen lasse und man wie bei R2D2 aus den Fragen und Antworten den Protagonisten dennoch einigermaßen folgen kann. ABER die Sprache müsste echt sein und der Leser, der ganz genau mitmacht, sollte sie mit der Zeit erlernen können, wie Achmed Ibn Fadlan beim 13. Krieger.

    Naja, es ist ein Traum und wird wohl einer bleiben, außer ich such mir einen begnadeten Co-Autor, aber das wäre ja eine Zusammenarbeit über viele Jahre. Und dazu habe ich eine viel zu starke Meinung von meinem eigenen Geschreibsel ...:whistling:

    Super, dass es euch gefällt.
    Die Idee dahinter war die These aus dem wöchentlichen Discord-Literatur-Gehirnstürmer-Treff, dass man ja eine ganz, ganz (gaaaanz) knappe KG schreiben könnte. Die hier hatte etwa 500 Wörter und etwa 3,3k Zeichen, also unter den Mindestanforderungen.
    Aber um fair zu sein, habe ich alle Fantasy-Elemente rausgeworfen. Der finstere König auf seinem Thron aus Asche und Knochen, die untoten schwarzen Reiter auf ihren Dämonenpferden, die Feenritter auf ihren Einhorn-Pegassi und die engelhafte Königin die mit flammenden Schwert und den Posaunen von Chris Jericho (war doch der?) über den Turm aus verkohlten Schädeln und Obsidian kommt ...
    Vom tapferen, leicht bewaffneten Kobold-Läufer mit 7-Meilen-Stiefeln, der Nachrichten von der Belagerung der schwarzen Feste und dem Fall der Vampirkönigin in seinem Gepäck hat, ganz zu schweigen.
    Ist echt eine Menge Schönes, auf die Spitze getriebenes Screenplay verloren gegangen.

    Also mit Fantasy-Effekten wäre ich auch wieder um die 4000 Zeichen gelandet, mindestens.

    Experiment also so semi gelungen.

    Das Setting hab ich natürlich aus dem Klassiker Battle-Chess geklaut.
    (Wer sich erinnert, der Hüftschwung der stolzen Königin, oder der Bauer, der dem König in den Schritt tritt und ihm dann die Krone klaut .... ach ....)

    Des Läufers letzter Lauf
    Tom Stark


    Coureur le Blanc war schnell. Verdammt schnell.
    Mit seinen langen Beinen überwand der Feldläufer beinahe spielerisch große Strecken, aber er hatte eine Schwäche, wie ihm nur zu sehr bewusst war. Wenn er Haken schlagen, enge Kurven nehmen oder sich gar durch und über Hindernisse bewegen musste, tat er sich schwer.
    Ausgerechnet die eigene Spießbürgergarde hielt ihn dieses Mal in seinem Lauf auf.
    Ausgerechnet diese Emporkömmlinge aus dem Bauernstand mit ihren langen Spießen und ihren lächerlichen Morions auf ihren tumben Häuptern, eher Kanonenfutter, um die Belagerungstürme aufzuhalten, als echte Krieger.
    Sei es, wie es sei.
    »Lascht misch dursch, Sacre Cœur, isch musch sum Könisch. Esch drohet Danger!«
    Der Hauptmann der Bauerngarde musterte den bunten Gecken mit dem Speer abfällig. Er schien aus nichts als Beinen zu bestehen, diese Gerbille.
    »Isch darf niemand vorlassen, Monsieur. Ihre Majestät ist en Conversation mit der Königin, oh, la, la.« Dieser Cretin verdrehte tatsächlich die Augen anzüglich.
    Unerträglich!
    Der Feldläufer warf ungeduldig die Hände in die Höhe.
    »Aber siescht du nischt den Chevalier de Noir, wie er kommt über das Feld de Guerre geritten? Lasch misch dursch, Garson idiotique!«
    Der Hauptmann warf einen Blick in die angezeigte Richtung und erbleichte. Der Schwarze Ritter galoppierte wahrlich übers Schlachtfeld. Sein Ross nahm Anlauf und setzte über eine Abteilung Spießbürger, als wären sie nur ein Hindernis in einem Parcours und brach dann direkt hinter ihrer Reihe zur Flanke weg. Die dunkle Lanze des Verderbten zeigte direkt auf das Königspaar.
    Tapfer gab der Hauptmann seiner Abteilung den Befehl die Spieße zu senken und vorzurücken.
    »Ihr scheid des Wahnes, Monsieur! Altet fescht an le Formation!« Coureurs Rufen verhallte ungehört.
    Der schwarze Ritter lachte triumphierend. Er ließ sein Streitross, spöttisch den Wimpel an der Lanze präsentierend, an dem Spießbügertrupp vorbeitraben und bog sogar in ihrem Rücken ab, um sich in Stellung zu bringen, wohl gedeckt durch das Sperrfeuer des Belagerungstrum mit dem schwarzen Wappen des dunklen Herrschers. Herausfordernd deutete der berittene Schurke auf die Brust des Königs.
    Die Majestäten geruhten nach wie vor zu palavern und ahnten nichts von der Gefahr. Nur noch Momente trennten den schwarzen Ritter und seine Lanze davor, seine Majestät, Roi Blanc des Echecs, aufzuspießen.
    »Reine Blanche, meine Errin, meine Königin. Schützt euren Gemahl, rettet unscheren Errn!«
    Todesmutig nahm der Feldläufer seinen Speer fest und hielt auf den schwarzen Ritter zu. Er sah, wie die Armbruster im Belagerungsturm ihre Waffen spannten, wie sie anlegten.
    »Meine Pflischt ischt meine Ehr!«
    Er lief auf den Reiter zu, sprang ab und holte so weit aus, dass ihm das Schultergelenk schmerzte.
    Sein Speer flog und flog, durchschlug den Schild des Ritters, bohrte sich in die Brust seines Trägers und warf den schwarzen Reiter aus dem Sattel.
    »Pour le Roi!«, hauchte Coureur noch einmal triumphierend, bevor die Geschosse des schwarzen Turms in ihn einschlugen und sein Leben auffraßen.
    Der letzte Blick des Feldläufers galt seiner Königin wie sie ganz in weiß und strahlend der Gefahr gewahr wurde. Ihr güldenes Schwert leuchtete hell, als sie sich mit ihrer Leibwache auf den Belagerungsturm stürzte.
    »Ma Reine Radieuse!«, war sein letzter, stolzer Gedanke.

    JaguarEye100pxl.jpgJessy Dalton

    Willkommen in Purgatory


    II: Keine Stadt wie jede Andere

    Kaum bin ich an den ersten Häusern vorbeigefahren, werde ich auch schon gegrüßt. Freundlich hebt man eine Hand oder winkt mir zu, ein Mann im Rentenalter macht sogar bereitwillig Platz auf dem Gehweg, obwohl auf der Mainstreet locker ein Vierzigtonner rangieren könnte.

    Ich lass die Fahrerscheibe herab und nehme meine Sonnenbrille ab. Das letzte was ich will, ist dass die Bewohner mich verwechseln und es am Ende heißt ich hätte vorgetäuscht einer ihrer Deputies zu sein, aber die Reaktionen ändern sich nicht.

    Kann es wirklich sein, dass keine Schwein merkt, dass ich weder eine Uniform anhabe noch von hier bin, aber den verdammten SUV ihres Sheriffdepartments fahre?

    »Hallo, Sie da. Darf ich Sie etwas fragen?«

    Der Alte, der shon weiterschlurfen will dreht sich zu mir um. »Sicher, Lassie. Was willst Du denn wissen?«

    Für einen Moment bin ich sprachlos, aber dann schiebe ich es einfach auf die lokalen Gegebenheiten.

    »Wo finde ich denn hier den Sheriff?«

    »Milton? Der ist jagen, wie jeden Tag.«

    »Milton ist der Sheriff? Und er geht mitten in der Woche jagen?«

    »Klar, Lassie. Joe kümmert sich ohnehin um alles. Guter Junge, auch wenn er 'ne Rothaut ist. Aber das weißt Du ja, fährst immerhin seine Karre.«

    Ich blinzle mehrmals. Die Erfahrung hat mich gelehrt, nicht aus der ersten Begegnung auf die Geisteshaltung und Geistesgröße der Restbevölkerung zu schließen, aber lieber Himmel, ich hoffe wirklich, dass es ab hier steil bergauf geht. Kann es ja eigentlich nur.

    »Äh. Ja. Ich habe den Deputy hinten liegen. Er ist schwer verletzt. Wo bringe ich ihn denn am Besten hin?«

    Falls es ihn irgendwie verwundert, dass eine Fremde, ihren offensichtlich als kompetent geltenden Deputy herumkutschiert, dann zeigt er es nicht. Also nicht mal eine Spur.

    »Das wäre dann Old Penny. Da hinten. Der Doc dürfte noch offen haben. Penny ist aber gerade nicht in der Stadt. Macht Hausbesuche draußen auf den Ranches. Aber Old Penny sollte da sein.«

    Manchmal nützt es, in Verhörtechniken geschult zu sein. In manchen Fällen erahnt man aber sofort, dass weitere Informationen nur zu noch größerer Verwirrung führen. Also nicke ich dankend und folge dem Fingerzeig und biege von der Hauptstraße in die angegebene Seitenstraße ein.

    Und siehe da, da steht es. Penelope Fontain, Dr. hum, Dr. vet, Coroner – Gerichtsmediziner.

    Perfekt, von der Geburt über die Rindviehjahre bis zum Ableben, alles im Service inbegriffen.

    Ich liebe Kleinstädte.

    Inzwischen versinkt die Sonne hinter den Häusern und lange Schatten lassen das Städtchen zumindest in Teilen wie eine Kulisse aus einem Spätwestern wirken. Wenn jetzt gleich ein paar Viehtreiber mit Howdy, Jeeha und Bierdosen in den Händen um die Ecke bögen, wäre ich nicht sonderlich überrascht.

    »Hey. Joe. Sind Sie wach?« Ich tätschle den wohl richtig als Ureinwohner eingeschätzten Deputy. »Meinen Sie, Sie können gehen?«

    Er lallt etwas deliriös und ich übersetze das mit Nein und hoffe, dass ich kein Stammestabu verletze, indem ich ihn zu einer weißen Medizinfrau schleppe. Man ahnt es bereits: Was ich von Stämmen und ihren Bräuchen kenne, stammt aus Kino und TV, und ich meine keine Dokus. Schande, über mein ungebildetes Haupt.

    »Hey, Doc. Doc Fontain?« Mein Rufen verhallt wohl ungehört. Also zapfe ich soviel wie nötig von meiner Natur an und hebe den großen Deputy im Feuerwehrtragegriff auf meine Schultern. Kann ihn ja schlecht am Kragen hinter mir herschleifen.

    Gut, ginge schon, aber wie sähe das aus?

    Ich stapfe zwei Stufen nach oben und stehe vor der Tür auf der ein Holzschild eingelassen ist:

    Wer hier eintritt, wird wie ein Mensch behandelt.
    Wem die Behandlung nicht passt:
    Die Tür ist da, wo du gerade stehst!

    Entzückend.

    Ich stoße die Tür auf, die nicht verschlossen ist. Das ist witziger weise hier in diesen Regionen generell unüblich. Auf ungebeten Gäste zu schießen hingegen schon. Ich bevorzuge ja eine geschlossene Tür gegenüber einer vorgehaltenen Flinte, aber Jedem das Seine.

    »Doc? Old Penny? Ich habe hier einen Schwerverletzten!«

    Endlich bewegt sich etwas. Ich höre wie eine TV-Sendung stummgeschaltet wird, Judge Judy, wenn ich es richtig mitbekommen habe.

    »Oh, wen haben wir denn da? Eine Rothaut, die eine andere Rothaut anschleppt?«

    Von der Political Correctness der Hauptstadt ist man hier weiter entfernt als vom Mars, aber es klingt durchaus nicht unfreundlich.

    »Du meine Güte, Joseph Blackfeather. Was hast Du wieder angestellt? Leg ihn bitte hier ab, Kindchen. Ganz langsam. Ich würde ja helfen, aber du hast genug Kraft für uns beide.«

    Während ich den Deputy auf eine Behandlungsliege wuchte und versuche meine Verwandlung unter der Oberfläche zu halten, kann ich Old Penny sehen, wie sie routiniert an die Arbeit geht.

    Doc Fontain hat sich ihr Old redlich verdient, denn die zierliche aber resolute Frau besitzt schon mehr weiße als graue Haare, die sie wohl auch vor Monaten zuletzt gefärbt hat. Ihr Gesicht besitzt dieses weiche, helle Weiß von Leuten, die sich der Sonne nur mit viel Lichtschutzfaktor aussetzen und auch sonst eher wenig im Freien arbeiten.

    Nach einer kurzen Untersuchung, Augen auf Lichtreflexe, Stethoskop wegen Herzschlag und einem liebevollem auf die Wange tätscheln, komme ich mir vor wie bei einer Folge von M.A.S.H.

    »Nett, dass Du ihn vorbeigebracht hast, Kindchen. Aber sobald es richtig dunkel wird, wird das schon heilen. Er hat das Blut von Koyote … oder Rabe. Kann mir nie den Unterschied merken. Jedenfalls, eine Nacht unter den Sternen und er ist wieder wie neu.«

    Sie begutachtet noch einmal meinen Druckverband und nickt anerkennend.

    »Wollen Sie ihn nicht wenigstens verbinden? Und was bedeutet, er hat das Blut von …?«

    Ich habe zwar eine leise Ahnung, aber ich will wenigstens so tun, als ob nicht.

    »Ach, Kindchen. Du bist wohl wirklich nicht von hier, dass Du das nicht weißt?«

    Eine weitere, jüngere Frau, betritt das Haus durch einen anderen Eingang und ich höre sie rufen.

    »Hey, Mum. Auf dem Highway habe ich einen Wagen mit DC-Kennzeichen gefunden. Du errätst nie, wem der gehört!«

    Die ältere Frau zwinkert mir zu und ruft zurück: »Zehn Dollar, dass ich es errate.«

    »Zehn Dollar? Du bist viel zu geiz …oh? Daher!«

    Eine etwa halb so alte und einen Kopf größere Ausgabe von Doc Penny betritt das Behandlungszimmer, eine Arzttasche in der Hand, wie man sie in jeder Serie sofort erkennen würde.

    »Mum? Oh, Gott, ist das Joe? Waren das die Abotts?«

    Die blonde Frau stürzt förmlich zum Deputy und wiederholt die Untersuchungen, die ich gerade schon einmal gesehen habe. Inzwischen traue ich mir zu, sie sogar selbst durchzuführen.

    »Hm, keine Bisse in der Halsgegend, keine Klauenspuren auf der Brust. Nein, das war kein …«

    Old Penny räuspert sich und Young Penny schaut fragend auf.

    Der Blick der Seniorärztin fällt vielsagend auf mich, die ich mich still und bescheiden in eine Ecke gestellt habe und beobachte. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich Fan von Arztserien wäre, aber was hier abgeht, hat schon etwas von guter Vorabendunterhaltung.

    »Ach komm schon, Mum. Sie ist Jaguar. Du musst nur etwas schräg auf ihre Stirn und ihre Wangen schauen.«

    Ertappt fasse ich an mein Gesicht und versenke meine Natur etwas tiefer. Und das mir! Peinlich sowas.

    »Die Rothaut ist wirklich nicht von hier!« Old Penny klingt zufrieden. »Jaguar ist aus Mexiko, oder?«

    Nicht, dass mir meine Natur peinlich ist. Gar nicht. Ich bin es nur einfach nicht gewohnt, dass die Bewohner vor dem Nebel so offen darüber reden. Andererseits, vielleicht ist ein Landarztding?

    »Brasilien«, trage ich zum Gespräch bei.

    Old Penny nickt nochmal und zeigt auf mich, als hätte ich gerade für sie einen Preis gewonnen.

    »Mum. Du kannst nicht zu Fremden Rothaut sagen. Sowas sagt man heutzutage nicht mehr. Das heißt jetzt indigen oder Ureinwohner.«

    Die alte Frau winkt ab. »Ich wette, unsre Familie lebt schon länger hier als ihre. Wir kamen mit den ersten französischen Siedlern in die Hudson-Bay …«

    Penny, die Jüngere winkt seufzend ab. »Man sagt es heute einfach nicht mehr. Es ist respektlos gegenüber ihrer Kultur!«

    Die alte Dame furcht ihre Stirn und starrt ihre Tochter an. »Was steht an meiner Tür«

    »Mum …«

    »Was steht da?«

    »Ich weiß, was da steht. Jeder in Purge weiß, was da steht.«

    »Und? Habe ich jemals einen nicht wie einen Menschen behandelt, egal, ob er Haut, Fell oder Schuppen hatte? Ich behandle sogar die Abotts, immerhin bin ich ja die Gerichtsmedizinerin, Deinem Vater sei Dank, und quasi auch für sie zuständig!«

    »Ja, Mum. Das soll auch kein Vorwurf …«

    »Aber, liebe Pennywise Alberta Fontain, ich werde nicht anfangen, einen Schlumpf als Gartenzwerg zu bezeichnen. Wegen mir darf man mich Weißbrot, Bleichgesicht oder Kalkwand nennen, ist mir egal. Aber niemand schreibt mir in meinem eigenen Haus vor, dass ich eine Rothaut nicht Rothaut nennen darf.«

    Ich hebe beide Hände, um das hier zu stoppen. Es ist mir natürlich nicht völlig egal, wie man mich nennt, aber mit Rothaut kann ich leben, auch wenn ich mit den meisten hiesigen Ureinwohnern wahrscheinlich weniger Gene teile, als die beiden weißen Damen hier. Aber das bin ich gewohnt. In Asien hält man mich für eine Europäerin, in Europa für eine Indigene und wenn man Joe hier fragt, sobald er wieder bei Sinnen ist, verortet er mich vermutlich nach Asien oder Hawaii. Der Segen von Großeltern aus drei Kontinenten.

    »Jaguar …«, versuche ich den eigentlichen Elefanten im Raum anzusprechen. Dann deute ich auf Joe. »Koyote?«

    Die junge Penny, ich nenne die beiden ab sofort einfach nur noch Old Penny und Penny, lächelt wissend. »Ich kann mir vorstellen, dass man das in DC oder bei den Marshals diskreter als hier handhabt. Aber schätzungsweise jeder zehnte Einwohner hier hat superaktive Gene.«

    »Superaktiv? Der Begriff ist mir neu.«

    Sie zuckt die Schultern. »So nennt man es in der Wissenschaft. Hinter dem Nebel, Schleier, magisch, wie auch immer. In Purgatory leben die Normalen mit den Übernormalen, Seite an Seite, wenn man so will. Das geht noch auf die Gründung zurück. Damals hielten es die Leute noch für eine Strafe Gottes, daher auch der Stadtname.«

    »Ich … verstehe. Und das geht? Einfach so? Es hat seinen Grund, warum die Welt hinter dem Nebel verborgen sein soll.«

    Sie nickt. »Das wird hier auch jedem Kind beigebracht. Es gibt eine Art Übereinkunft. Kein Superaktiver setzt seine Kräfte gegen die Normalaktiven ein, dafür verlieren die außerhalb der Stadt kein Wort darüber. Das klappt mal gut, mal weniger gut, aber solange Leute wie Dad, der Stammesrat und die Abotts ein Auge drauf haben, kommen wir klar. Und bevor Sie fragen, ja ich habe auch einige aktive Gene von Dad geerbt. Ich kann Dinge sehen, die unter der Oberfläche liegen. Wenn ich also aus Versehen mal etwas ausplaudere, ist das nicht böse gemeint. Für mich ist es nicht immer offensichtlich, ob das was ich sehe, auch alle anderen sehen oder nicht.«

    Ich bewege mich. »Äh. Ja. Schön. Wie dem auch sei. Ich muss noch meinen Wagen holen und will dann heute hier übernachten. Wenn der Deputy bis morgen wieder fit ist, werde ich weiter. Ich werde in San Diego erwartet und der Sheriff wird dann wohl auch von seiner Jagd zurück sein.«

    Mutter und Tochter tauschen einen langen Blick.

    »Also was das betrifft … meinen Sie, Sie könnten morgen noch kurz mit meinem Dad reden?«

    »Ihr Dad?«

    »Alwin Fontain III. unser Bürgermeister.«

    »Alwin Fontain, wie der ehemalige Senator Fontain?«

    Sie grinst. »Genau der.«

    Ich seufze leise. Senatoren machen immer Ärger. Immer. Ohne Ausnahme. Aber ihnen davonlaufen, bringt nur noch mehr Ärger.

    »Ich werde es einrichten. Wo kann ich für die Nacht unterkommen?«

    »Ich bitte Sie, seien Sie unser Gast.«

    Sie wohnen hier, mit ihrer Mutter?«

    Penny lacht. »Wo denken Sie hin? Ich wohne mit Dad auf unsrer Ranch weiter draußen. Aber keine Sorge, ich hab einen eigenen Flügel.«

    Flügel? Ranch? Wohl eher Anwesen.

    Ich seufze nochmal.

    »Ich hole meinen Wagen.«

    »Warten Sie, ich fahre sie, dann können Sie mir auch gleich hinterherfahren.«

    Ich werfe Joe einen letzten Blick zu. Tatsächlich, jetzt wo die Nacht hereingebrochen ist, scheint er mit jedem Atemzug kräftiger. Koyotenblut? Interessant.

    »Gut. Gehen wir. Doc Fontain. Es war mir eine Freude.«

    »Ganz meinerseits, Kindchen. Meine Güte, sind alle Marshals so höflich?«

    Ich entkomme einer Antwort vorläufig, indem ich schnell auf die Straße trete.



    I: Willkommen II: Keine Stadt

    JaguarEye100pxl.jpgJessy Dalton

    Willkommen in Purgatory


    I: Willkommen in Purgatory


    Phoenix liegt schon eine ganze Weile hinter mir und ich folge dem endlosen Band der Route 8 nach San Diego.
    Schon seit fast einem Tage begleitet mich der Gila River, der zu dieser Jahreszeit mal mehr, mal weniger eher ein Rinnsal, denn einen stolzen Fluss darstellt.
    Manche würden die Landschaft neben dem Highway als Wüste bezeichnen, aber niemand, der eine echte Wüste gesehen hat, kann das verwechseln. Karg, Steppe, vielleicht Prärie. Aber es hat Gras, es hat Büsche und es hat Bäume, sogar Baumgruppen. Keine Wüste, noch nicht. Aber der Klimawandel schreitet fort. Fragen Sie mich in zehn Jahren noch einmal.

    Die nächste Stadt liegt noch satte dreißig Meilen vor mir und ein Blick auf die Tankanzeige sagt mir ganz klar, dass ich dort zumindest einen Tankstopp einlegen muss. Vielleicht werde ich sogar dort die Nacht verbringen, je nachdem. Das US Marshal-Büro hat zwar nicht so strikte Vorschriften wie gewisse Behörden mit drei Großbuchstaben, die in der Wahl ihrer Motels, Mietautos und Fluglinien stark bevormundet werden, aber ich habe einen einigermaßen knappen Zeitplan.
    In zwei Tagen soll ich in San Diego eine Informantin abholen, eine wichtige Zeugin gegen einen Schweren Jungen des organisierten Verbrechens in Albany. Man hat sie an der Westküste in Zeugenschutz gesteckt, weit weg von New York und der Ostküste.
    Ihre panische Flugangst, seit dem 9.11 kein so seltenes Phänomen macht einen Überlandtransport nötig und verschafft mir die Gelegenheit zu einer Spritztour quer durch die Staaten.
    Manche sehen es als beruflichen Abstieg an, vom Personenschutz der First Lady zum Taxidienst der Marshal-Service gewechselt zu sein. Aber wen juckt es schon, was Andere denken?
    Die letzte First Lady hatte ein paar sehr spezielle Eigenheiten über die ich nicht berichten darf. Ich werfe einfach nur Vollmond und rohes, blutiges Fleisch, am besten noch am lebenden Rind, in den Raum. Das Rind war in diesem Fall meine Idee und optional. Meine speziellen Fähigkeiten waren bei dem Job nicht nur Bonus, sondern Voraussetzung.
    Sie sehen also, mit meinem Dodge Challenger Demon auf Staatskosten Zeugen durch die USA zu chauffieren, ist ein vergleichsweise toller und ruhiger Job.
    Nun hat der Dodge nicht gerade einen kleinen ökologischen Fußabdruck. Ich gehe soweit zuzugeben, dass er eine ökologische Schneise schlägt. Aber das Abschiedsgeschenk des Stabchefs bekommt sogar bei den demokratisch geführten Behörden ein goldenes Ticket, also kann ich ihn sogar als Dienstfahrzeug führen. Win-Win für alle, außer für die CO²-Bilanz, natürlich.
    Noch zwanzig Meilen bis Purgatory.
    Was die Gründer wohl zu diesem Namen veranlasst hat? Die Nähe zur mexikanischen Grenze, zur Sonora-Wüste oder war es damals einfach ein staubiger Grenzposten durch den einfach zwei große Trails führten und sich dort kreuzten und wo sich das Gesindel aus allen Himmelrichtungen traf?
    Auf großen, alten Werbetafeln wird sogar der Lake Salvation angepriesen, den es hier in der Nähe gibt oder gab. Es sieht nicht so aus, als ob die Werbung nach den Fünfzigern noch einmal erneuert worden war.
    Mein Navi zeigt mir ärgerlicherweise weder die Abfahrt noch den Lake an, also muss ich die Augen offenhalten, nicht ganz einfach bei der tiefstehenden Sonne, die gerade ihr Beste tut, Horizont und Straße als Einheit zusammenzufügen. Selbst meine Sonnenbrille hilft nur wenig. Der Fluch von richtig guten Augen, schätze ich mal wieder.
    Mit meinen sechzig Meilen die Stunde liege ich zwar klar über dem Tempolimit, aber die Straße ist gerade wie ein Laser, topfeben und einsehbar bis zum Horizont. Klar, als Marshal sollte ich wirklich mich an Verkehrsregeln halten, aber doch bitte dann da, wo es auch Verkehr gibt!
    Und gerade wenn man selbstgerecht sein schlechtes Karma gut redet, passiert es.
    Vor mir taucht wie aus dem Nichts ein SUV mit einer aktiven Blaulichtanlage - wir Profis nennen sie Rundumkennleuchten – auf seinem Dach auf. Die Karre steht quer in der Straße und hätte lächerlich leicht umfahren werden können, wenn ich sie auch nur zwei Sekunden früher bemerkt hätte.
    Natürlich kann man in so einem Fall hart bremsen und beten, oder man hat eine Gefahrensituationsfahrausbildung, packt sich die Handbremse und schleudert sich förmlich um das Hindernis herum.
    Keuchend komme ich in einer Staubwolke zum Halten, fluche hingebungsvoll auf Portugiesisch, der Sprache meiner Mutter, weil man dort viel mehr Fluchwörter pro Sekunde ausspucken kann, als in jeder mir bekannten anderen Sprache.
    Mein Muscle-Car blubbert brav und tief vor sich hin, kein Zeichen, dass er absaufen will oder sonst meine Fahrweise durch Geräusche kritisiert. Ich liebe meinen Demon dafür.
    Gerade will ich die Tür aufreißen und dem örtlichen Deputy oder wer auch immer seine Karre so dämlich abstellt, in den Hals scheißen, als der Schuss abgefeuert wird.
    Da weder ich noch der Demon einen Einschlag abbekommen, sind wir entweder nicht das Ziel, oder der schlechteste Schütze seit den Imperial Stormtroopers hat den Finger am Abzug.
    Ich öffne also langsam und vorsichtig meine Tür und gleite so leise wie möglich hinaus. Bei der Motorhaube hebe ich meinen Kopf an und spähe hinüber.
    Ein Mann in grün-weißer Uniform liegt verkrümmt vor seinem Fahrzeug und versucht gerade einhändig seine PumpAction nachzuladen. Der andere Arm hängt mit zerfetztem Ärmel an ihm herab.
    »Hey, Mann. Hier US-Marshal Dalton. Auf wen schießen sie?«
    Der Mann schaut hoch und braucht viel zu lange um zu erkennen, wo ich bin. Hoffentlich schießt er nicht nochmal und diesmal besser.
    »Gehen Sie …«, er hustet und dabei kommt einiges aus seinem Mund, was man nicht sehen will, »… gehen Sie. Steigen sie ein und fahren sie, so schnell sie kön …«
    Ein bösartiges Knurren lässt ihn verstummen und ich bekomme große Augen.
    Ein riesiger Bär hat sich gerade zu angepirscht. An-ge-pirscht!
    Ich habe von Grizzlies in Kanada gehört, die so riesig sein sollen. Unvorstellbar, dass hier Bären der Größe heimisch sind.
    Dann erhebt sich der Bär auf seine Hinterbeine und sein gebogener Rücken streckt sich durch. Seine Schnauze wird etwas kürzer, dafür sein Kopf humanoider.
    »Kochende Kaimankacke, ein Wer!« Das entfährt mir deutlich zu laut, ich weiß, aber selbst wenn man weiß, dass es sie überall gibt, rechnet man doch nie damit, wirklich einen zu treffen, wenn man nicht gezielt danach sucht. Die Were sind ja nicht blöd und legen es darauf an, bei Z oder einem anderen Medienkanal aufzutauchen. Menschen bekommen ja schon Zwangsvorstellungen, was jemand mit leicht anderer Hautfarbe und Nasenform einem antun könnte, man stelle sich vor, wenn aus der Haut ein Fell und aus der Nase eine Schnauze wird, die einem schon aus Versehen den ganzen Arm abbeißen kann.
    Der Werbär mustert mich und hebt drohend seine Pranken. »Hau ab, Menschlein. Und vergiss alles. Das hier ist eine Stammesangelegenheit.«
    Mir fällt auf, dass der Deputy inzwischen das Bewusstsein verloren hat. Ich halte mich aus gutem Grund sehr zurück mit solchen Einschätzungen, aber der Kommentar und der bronzene Hauptton des Mannes verleitet mich zum Schluss, dass er indigener Abstammung sein könnte, beim Werbären bin ich mir sogar fast sicher. Nennen wir es einfach Erfahrung.
    Ich schaue noch einmal zum Deputy. Gut, der ist wohl wirklich weg getreten. Das macht die Sache viel einfacher.
    Langsam erhebe ich mich und ziehe mein Hemd aus der Hose. Für mein Kunststück brauche ich etwas mehr Freiraum, als mir meine Kleidung normalerweise gewährt.
    Ich lasse meinen Kopf kreisen und meine Nackenmuskeln sich lockern. Jetzt nur nicht übertreiben.
    Langsam gleite ich zu meiner anderen Natur hinüber, aber nur ein wenig. Gerade so viel, dass meine Körperbehaarung etwas dichter wird, meine Zähne ein wenig raubtierhafter und die Fellfärbung deutlich macht, wohin die Reise ginge, wollte ich sie vollenden.
    Der große Wer brummt unwillig. Ich kann es förmlich hinter seinen Augen arbeiten sehen. Will er es wirklich riskieren? Were heilen schnell, verdammt schnell, aber eine herausgerissene Kehle oder ein geknackter Schädel ist auch für einen Werbär das Ende.
    Aber der Kerl ist wirklich groß. Auch aus diesem Grund halte ich mich zurück. Soll er doch raten, wie groß ich am Ende werden kann.
    »Puma?« grollt er unsicher.
    »Jaguar«, verbessere ich ihn gelassen.
    Der Wer brüllte auf, eher enttäuscht als wütend. »Das ist hier noch nicht zu Ende, Fremde!«
    »Selbstverständlich nicht. Du hast einen Deputy in Uniform angegriffen. Keine Ahnung, wie wild der Westen hier noch ist, aber jetzt ist ein Marshal in der Stadt.«
    Sein Blick fiel auf den Stern an meinem Gürtel. Die meisten Kollegen tragen ihn am schwarzen Mäppchen, wo er einen guten Kontrast hat und schnell ins Auge fällt. Ich bevorzuge ihn so am Gürtel. Einfach, unauffällig, beinahe nur eine weitere Gürtelschnalle.
    Der Wer wirft mir noch einen prüfenden Blick zu. Ich trag keine Waffe, damit wird am Ende nur noch jemand angeschossen, und halte meine Verwandlung in dem frühen Stadium. Es ist offensichtlich, dass er mich nicht als akute Bedrohung ansieht, aber auch, dass er wenig Interesse hat, hier und jetzt herauszufinden, ob die größte Raubkatze den größten Bären des Kontinents besiegen kann. Blutig würde es auf alle Fälle.
    »Dann nimm den Verräter und kümmere dich um ihn. Es mag nicht so aussehen, aber ich wollte ihm nicht wirklich schaden.« Damit wendet der Wer sich um, fällt auf alle Viere und verwandelt sich wieder. Eine Staubwolke rauscht über die Straße und verbirgt seine Konturen und als sie sich auflöst, ist auch der Wer verschwunden.
    Kaimankacke. Nicht nur ein Wer, sogar noch ein Magiewirker!
    ich eile zum Deputy, lege einen Druckverband an und versuche, über den Funk in seinem Wagen Hilfe anzufordern.
    Rauschen. Toll.
    Ich stelle den Demon sicher neben der Straße ab und lege den Deputy auf die geräumige Rückbank seines SUVs. Der Knabe ist gar nicht so leicht und verdammt hart im Nehmen. Der Arm zerfetzt und er atmet immer noch. Vielleicht kennen Indianer ja doch keinen Schmerz?
    Der SUV hat zwar nicht annähernd den Charm meines Demons, aber er springt an und fährt uns bis zur Abfahrt, die tatsächlich durch ein Schild angekündigt wird. Man ist an manchen Tagen schon für kleine Wunder dankbar.
    Nach einer ewig langen Abfahrt, die einen fast so langen Blick auf eine überschaubare Kleinstadt, eine gewaltige Tagebauanlage und einen zusammengeschrumpften See inmitten der Sonora bietet, begrüßt mich ein Schild, was noch aus dem 19. Jahrhundert stammen könnte:

    Willkommen in Purgatory.
    Falschspieler und Viehdiebe

    werden gehängt.


    I: Willkommen II: Keine Stadt

    Das Ende einer Jagd?

    Car Cazzar ist in etwa so, wie ich es in Erinnerung habe, und völlig unterschiedlich zugleich.
    Immer noch prägen die wild zusammengezimmerten Hütten das Stadtbild. Aber was sollen die Leute auch verwenden, wenn sie nur Fels, Lehm, Korbmatten und das wenige Hartholz haben, was irgendwie durch den Handel in die Stadt kommt.
    Das Stadtzentrum um die große Marktfläche wiederum zeigt mir ganz neue Gebäude, die den Namen auch zu Recht tragen. So haben tatsächlich einige Magier, Hexer und Alchimisten ausgerechnet hier am Anus Mundi eine Gilde gegründet und dieses fünfstöckige Monstrum errichtet. Mit der Hilfe von Magie natürlich. Wie sonst hätten sie die tonnenschwere Blöcke herschaffen sollen, welche die Basis zu ihrem architektonisch fragwürdigen und künstlerisch außer jeder Frage stehenden Machwerk bilden. Allein vom Hochsehen auf manche verdrehten Türmchen und Dächer wird mir schlecht.
    Gut für uns allerdings, dass wir eine Ladung seltener Parafernalien – Zeugs, um irgendwas zu beschwören - gerettet haben. Kein Wunder, dass der Orkschamane ganz wild darauf war. Damit hätte er sich vielleicht zum Obergroßgurumerlin der Stämme aufschwingen können.
    Normalerweise würde ich es damit abtun, dass ich Magie für überwertet und gefährlichen Unfug halte, aber seitdem ich mich, sehr zum Schaden meiner Klamotten, von jetzt auf gleich in eine nashorngroße Raubkatze verwandeln kann, versuche ich mit meiner Wortwahl vorsichtiger zu sein.

    Gegenüber der Zaubergilde einmal quer über den Markt, befindet sich eine nagelneue Karawanserei mit angeschlossener Garnison. Und man stelle sich mein Erstaunen vor, als ich sehe, dass die Söldner den Kaiserdrachen als Wappen führen. Also nicht das neue, Staatswappen, das alte Rebellenwappen von vor der Zeit, die nur als kurze Irrung im ansonsten tadellosen Werdegang des Kaiserreichs in die Analen eingehen soll.
    Hust! Sch … Politik!
    Mist, da habe ich mich wohl verschluckt.
    Ich bedaure nur, dass ich die Abreise von Max, Lupina und Narwinio verpasst habe. Komaartige Heilschläfchen bringen so etwas nun mal mit sich und der Winter naht! Auch oder besonders für hungrige Zwerge.
    Stattdessen sitzen wir auf dem Balkon, den das zweite Stockwerk der Karawanserei fast vollständig umgibt und frühstücken beinahe mondän.
    »Es ist anders, als du es beschrieben hast.« Manchmal ist Galina die Königin des Offensichtlichen.
    »Iss dein Brötchen«, grinse ich und behalte die Reisenden im Auge.
    »Die Magier haben mir gesagt, dass er heute noch kommt. Und sie haben mir zugesichert, dass niemand von ihnen sich einmischen wird.«
    »Wenn sie das sagen«, erwidere ich wenig überzeugt. Gut, sie haben es zwar gesagt, aber so sehr hat sich Car Cazzar nicht verändert, dass der persönliche Vorteil nicht im Zweifelsfall wichtiger ist. Ich wäre sogar bereit zu wetten, dass gewisse Leute der Zauberergilde lieber weiter die Waren des Sklavenhändlers beziehen wollen, als es zu riskieren ihn zu verlieren, weil wir eine Amazonenkriegerin befreien wollen. Zum Glück hat Galina kein Sterbenswort von Prinzessin verlauten lassen. Soviel Gerissenheit bei ihr muss ich erst einmal verdauen.
    Sie hingegen mustert mich immer wieder, wenn sie denkt, dass ich nicht hinschaue. Meine Sinne haben sich aber so extrem erweitert, dass ich wie durch eine Art Radar kleinste Bewegungen bemerke. Wäre der Dunkle nicht, der immer wieder beruhigend einwirkt, wäre ich das reinste Nervenbündel.
    Überhaupt klappt unsere Kooperation viel, viel besser. Von einer echten Dreieinigkeit zu sprechen, wäre zu viel des Guten, aber wir sind ein Oberklasseteam aus zwei All-Stars und dem Rookie des Jahres. Jeder für sich schon ziemlich klasse, aber mit unserer Synergie auf dem Weg zum Team Greatest of all Times.
    »Bald sollten sie kommen.«
    Ich schaue die Amazone besorgt an. Ich kann verstehen, dass sie etwas nervös ist, aber ich kann förmlich riechen, dass da mehr ist, obwohl sie es versucht vor mir und vielleicht auch vor sich zu verbergen.
    Ich beuge mich zu ihr hin. »Hey«, sage ich leise, »Keine Sorge, bald kannst du sie wieder in deine Arme schließen … oder was immer Amazonen seltsames mit ihrem Nachwuchs machen.«
    Sie kneift die Augen zusammen und braucht einen Moment um zu sehen, dass ich sie auf den Arm nehme.
    »Ha!« Gut, mehr bekomme ich wohl nicht.
    »Sie werden uns nicht einmal kommen sehen, wenn wir über sie herfallen. Die Söldner hier werden jedenfalls keinen Finger rühren. Nicht, nachdem sie das Wappen auf meinem Schild gesehen haben.«
    »Das ist es nicht«, wiegelt sie ab.
    »Was dann? Was stimmt nicht?«
    Galina dreht sich von mir weg, gibt vor, die Straße genauer zu beobachten.
    Toll. Jetzt hat sie es geschafft. Nun bin ich auch nervös.
    »Tormen?«
    »Hm.«
    »Sollte mir etwas zustoßen, gibst du ihr mein Pferd und meine Sachen. Ich weiß, du solltest nicht noch mehr für mich tun müssen , noch mehr, als ohnehin schon.«
    Ich räuspere mich. »Das, meine liebe Amazonenprinzessin ist ja wohl meine Sache. Aber warum sollte sie dein Pferd brauchen? Deswegen haben wir da den Honorablen dabei.«
    »Ach. Nur so.«
    »Soso.«
    »Wenn ich dich nerve, sag es einfach.«
    »Gut. Du nervst. Lass das.«
    Sie schaut mich mit großen Augen an.
    »Im Ernst, das Tanzen um den heißen Brei nervt mich wirklich. So bist du nicht. Und ich auch nicht.«
    »Okay …«
    Ich grinse, weil sie wieder mein Wort benutzt, dass man sonst hier gar nicht kennt.
    »Wenn … wenn irgendetwas passiert, beschützt du sie dann?«
    Ob sie einen Hirntumor hat, den sie mir verheimlicht, oder was soll der Mist? Bisher war es immer ich, der fast draufgegangen ist. Und sie bittet ausgerechnet einen Mann auf eine junge Amazone aufzupassen? Ich bin wohl im falschem Film gelandet.
    »Sicher, was immer nötig ist. Kannst dich auf mich verlassen.« Keine Ahnung, warum ich das sage, aber es ist wohl das, was sie hören will. Ihre Nervosität ist jedenfalls wie weggeblasen.
    »Danke. Habe ich dir jemals von Sherenas Kindheit erzählt, oder ihrem Vater?«
    Mit fällt beinahe das Brötchen aus der Hand. So heißt sie also? Hatte mich schon gefragt, ob ich das jemals erfahre. Aber ihr Vater?
    Unwillkürlich schaue ich zum Himmel und suche den Kometen, der offensichtlich gerade den Weltuntergang einleitet. Da ich keinen sehe, bekommt der Teufel wohl gerade Frostbeulen.
    »Kelores war kein übler Mann. Fleißig, Folgsam und ziemlich schlau. Und vor allem schlau genug, es nicht unnötig zur Schau zu stellen.«
    Ach, schau mal einer an!
    »Sherry kommt in mancherlei Hinsicht nach ihm.«
    Warum ich bei Sherry Lust auf etwas Hochprozentiges bekomme, kommt mir seltsam vor. So früh am Morgen …
    »Aber in vieler Hinsicht ist sie auch stur, kommt wohl nach mir. War zunehmend unglücklich in der Burg. Das ist auch der Grund, waru …«
    Ich hebe die Hand und zeige auf die Doppelreihe gut bewaffneter Söldner, welche den Platz vor der Karawanserei räumen.
    »Was zur Hölle soll das?« Ich ergreife meinen Schild.
    »Tormen. Nein. Lass mich machen.«
    Ich bin zu verblüfft, um zu antworten.
    »Vertrau mir. Ich habe einen Handel abgeschlossen.«
    »Handel? Was für einen Handel?«
    »Bitte. Vertrau mir. Denk an dein Versprechen … und verzeih mir.«
    Bevor ich etwas sagen kann, erhebt sie sich. Nun erst fällt mir auf, dass sie ihre Rüstung und Waffen säuberlich unterm Tisch abgelegt hat.
    Zwischen den Söldnern treten zwei wuchtige Kerle in den Vordergrund. Beide wenigstens Zwei Schritt und einen halben hoch, vielleicht sogar fast der und zweimal so breit wie ich.
    Oger? Das sind echte Oger?
    Hinter den beiden Kleinriesen stolziert ein beleibter Mann mit Edelklamotten, was sogar ich Modemuffel von hier oben erkenne. Neben ihm eine drahtige Rothaarige, die der Dunkle allein schon als total gerechtfertigte Vorsichtsmaßnahme kaltmachen würde, und ich stimme ihm da völlig zu. Kälter kann auch der Blick der Eiskönigin nicht sein. In bester Gesellschaft befindet sie sich bei dem hageren Galgenvogel der neben ihr geht und eine gefesselte, hübsche junge Frau mit hellbraunem Haar hinter sich her zerrt. Die junge Dame hat eindeutig Feuer und ihren Wiederstand noch lange nicht aufgegeben, wie ich an dem Achtungsabstand erkenne, den die beiden Strolche zu ihr einhalten. Ein Blick ins Gesicht löscht jeden Zweifel aus, wer dort in Ketten ist.
    Galina steht ruhig auf und hebt eine Hand, als ich ihr folgen will.
    Gut, offensichtlich ist es ihre Show. Also bleibe ich sitzen.
    Noch.
    Die Amazone geht die Außentreppe hinab durch das Spalier, welches die Söldner bilden und welches sich hinter ihr schließt. Ich knurre wütend, aber noch warte ich ab. Es gehört ja zu meinem derzeitigen Lebensplan, Konflikte so möglich, ohne ein Blutbad zu lösen.
    Der Dunkle in mir beginnt schallend zu lachen.
    Arsch!
    Galina tritt zwischen die Oger, die aber zu mir auf den Balkon starren und die für sie winzige Amazone keines Blickes würdigen.
    »Ich bin hier, wie vereinbart.« Ich kann Galina hören, als stünde ich neben ihr. Und ich rieche den Sklavenhändler. Der hat für meinen Geschmack viel zu wenig Angst um seine Sicherheit.
    »Das sehe ich. Aber du bist nicht allein, Hauptfrau.«
    Galina schaut kurz zu mir, eindeutig beschwörend, mich bloß nicht zu regen. Selbst der Helle in mir sagt jetzt laut, dass das ein Fehler ist. Ich widerspreche ja auch gar nicht.
    »Er beobachtet nur und nimmt die Amazone in Empfang.«
    »Das war so nicht abgemacht.«
    »Mag sein, aber so wird es laufen, so oder gar nicht!« Galina schaut den feisten Sklavenhändler herausfordernd an.
    Der mustert sie eingehend und ich wittere seinen Entschluss noch, bevor er es ausspricht. Zwei Amazonen sind für ihn wohl besser als eine oder gar keine.
    Er öffnet den Mund, doch die Welt ist für mich schon nicht mehr dieselbe. Als würde ich einen schweren Mantel umwerfen, nehme ich an Masse zu. Die Reste meiner Kleidung werden explosionsartig in alle Richtungen geschleudert und schon bin ich mit einem lächerlich kurzen Sprung vom Balkon auf dem Platz.
    Zwei Söldner begrabe ich bei der Landung unter mir einer weiteren Söldnerin beiße ich einfach den Kopf ab, weil sie mir absichtlich oder unabsichtlich im Weg steht.
    Dem nächsten vor mir wische ich beiläufig das Gesicht aus dem Kopf und der erste Söldling, der mich wirklich aufhält wird umgerissen und mit einem langen Streich meiner Zähne ausgeweidet.
    Dann erst beginnt das Kreischen, Schreien und Klagen.
    Musik in meinen Ohren.
    Ich schlage nach links, nach rechts, springe und beiße und bin in weniger als einer halben Minute von Sterbenden oder bereits Toten umgeben. Sobald ich eine Bewegung wahrnehme, handelt mein Körper schon. Pranken, die es mit Mikkis Hufen locker aufnehmen, fliegen nur so hin und her.
    Galina schreit meinen Namen und ich fahre herum. Wie konnte ich in meinem Kampfrausch die Amazone nur vergessen?
    Ein Oger und die Rothaarige haben sie gepackt und obwohl sie sich heftig zur Wehr setzt, hat sie der Kraft des Ogers wenig entgegenzusetzen und es kracht beinahe in meiner Ohren, als sich die Stählernen Gelenkschellen bei ihr schließen.
    Ich setze an, springe und lande in einer Wand auf Fleisch und Muskeln. Der zweite Oger.
    Während er versucht mich zu packen, beiße ich ihm in die Schulter. Sogar Ogerknochen brechen unter der Kraft meiner Kiefer.
    Der Oger brüllt und meine Ohren klingeln. Zwei heftige Schläge treffen mich, als er mich von sich stößt. Ich schüttle mich, als ich perfekt auf allen Vieren lande. Katzen landen wohl wirklich immer auf ihren Füßen.
    Der Oger schwingt einen Arm, der andere hängt wie ein nutzloses Pendel an seiner Seite. Ich weiche dem ersten Schwinger aus, erwarte den zweiten, unterlaufe ihn und springe erneut, diesmal mit aller Kraft, die meine Hinterläufe zu bieten haben.
    Der Oger und ich sind vielleicht in derselben Gewichtsklasse, aber auf zwei Beinen steht es sich einfach nicht so sicher. Sobald ich ihn am Boden habe, muss ich noch einen Schlag in den Rücken einstecken, bei dem dort irgendetwas kaputt geht, aber ich beiße dem Oger direkt ins Gesicht. Er wirft sich noch einmal zur Seite, aber ich springe ab, warte bis er halb herum ist und zertrümmere das, was von seinem Kopf noch übrig ist. Ich strecke mich kräftig durch und meine Heilkräfte verbringen innerhalb von Sekunden, was sonst Monate dauert und ich bin wieder fit. Der Dunkle hat wirklich nicht zu viel versprochen.
    Es wird langsam übersichtlich auf dem Platz. Was noch kann, entfernt sich so schnell wie möglich von mir. Nicht, dass es ihnen etwas nützt. Wenn ich will, bekomme ich sie alle.
    Ich versuche mich zu fokussieren. Ich bin nicht hier um Beute zu machen.
    Galina!
    Der Oger ist mit seinem Riesenschritten schon einige Dutzend Schritte weit gekommen und er wirft die Amazone wie eine Puppe in einen wartenden Wagen. Der Sklavenmeister und die Rothaarige steigen auf. Ich brülle wütend.
    Eine kleine Frau, in die bunten Gewänder der Zauberergilde gekleidet, wedelt mit ihren Armen und eine flimmernde Barriere spannt sich über die Straße. Ich merke mir die Frau gut. Sie sieht meinen Blick und wird bleich wie eine Wand.
    Gut so. Angstschweiß lässt sich auch noch nach Meilen und Stunden aufspüren.
    Da sehe ich, wie Sherena gegen ihren Häscher kämpft. Die tapfere Amazone hat die Gunst der Stunde genutzt und dich auf den hageren gestürzt. Der wehrt sich mit Langdolch und Peitsche gegen die wütende junge Frau, die ihre Kette wild vor sich herumschleudert, so gut es eben mit gefesselten Handgelenken und Fußfesseln möglich ist.
    Ich nähere mich langsam. Beide sind so in ihrem Kampf verstrickt, als sie mich erst bemerken, als ich laut knurre.
    Der Hagere stürzt über seine eigenen Beine und verliert seinen Dolch. Sherena knurrt wütend in meine Richtung zurück und stürzt sich auf ihren Peiniger.
    Ich bleibe wartend zurück und sehe interessiert zu, wie sie den Schurken mit wohldosierten Grausamkeiten auseinandernimmt, dass sogar der Dunkle beeindruckt nickt.
    Wer behauptet Rache muss kalt serviert werden, ist wohl einfach ein Fan von Nachspeisen.
    Schritte nähern sich. Ein paar der Söldner haben wohl irgendwo ein paar mutige Gene aufgetrieben, aber keine Selbstmördergene. Denn als ich sie anbrülle, bleiben sie stehen und als ich einen anspringe, in die Brust beiße und ihn dann mit einer wilden Bewegung zu seinem Kameraden schleudere, erinnern sie sich an die Händlervorfahren und dass es einfach Dinge gibt, für die man nicht gut genug bezahlt werden kann.
    Ich sehe, wie die kleine Magierin durch das Eingangstor zur Gilde flüchtet und mir einen letzten Blick zuwirft. Ich erwidere ihn kalt. Dieser Verrat wird gesühnt werden. So oder so.
    Als ich mich umdrehe, erhebt sich die junge Amazone schwer atmend. Für eine Gefangene sieht sie gut aus. Man wollte sie wohl in Bestzustand veräußern. Manchmal ist es eben gut, eine V.I.P. zu sein.
    Ich gehe langsam auf die zu. Sie stolpert, fängt sich wieder und hält den Dolch in beiden Händen, bereit sich mit dem Spielzeug gegen mich zu verteidigen.
    Ein letztes Mal schaue ich mich um. Außer uns beiden ist keine Seele zu sehen und auch nicht zu wittern. Triumphierend brülle ich ein letztes Mal.
    Dann werfe ich meinen metaphorischen Mantel ab.
    Sherena mustert den nackten Fremden vor sich mit bemerkenswert wenig Aufregung. Von Ogern durch die Gegend geschleift zu werden, härtet wohl etwas ab.
    »Nicht näher. Ich entkomme nicht der einen Bestie, um die Beute der Nächsten zu werden.«
    Mutig, die Kleine. Ganz die Mama.
    »Lass den Unsinn und dir helfen, deine Fesseln loszuwerden. Ich habe deiner Mutter versprochen dich zu beschützen und du machst mich nicht zum Lügner.«

    Ende Buch Eins
    Ok, doch ein Klippenhangar.
    Konnte einfach nicht widerstehen.

    Der Dunkle, der Helle und ich


    »Wenn er nicht überlebt …«, ich vernehme Galinas drohende Stimme selbst an dem weiten, ruhigen Ort an dem ich mich gerade befinde.
    »Die Geister heilen sein Fleisch, dumme Glatthaut. Er wird überleben. Aber sein Inneres ist nicht eins. Das muss sich selbst heilen.« Ich erkenne die junge Orkschamanin und bin beruhigt.
    Galina antwortet noch etwas, aber das verstehe ich nicht mehr, mein Interesse lässt sowieso nach. Sie ist offensichtlich nicht in Gefahr. Kein Grund, hier wegzugehen.
    Zumal ich auf jemand warte.


    ***


    Um mich herum ist die endlose Weite einer Heidenlandschaft. Die Sterne über mir wirken bekannt und unbekannt zugleich und das kleine Lagerfeuer knistert freundlich vor sich hin. Eigentlich ist es zu klein, um so eine Wärme auszustrahlen und ich habe auch kein Holz zum Nachschieben, aber es brennt sparsam genug, wie es scheint.
    Ich sitze, ein Bein angezogen und den Arm aufs Knie gelehnt und lausche in die Weite hinein. Vögel, Rinder, ein Fluss in der Ferne ein Wolf, nicht dass ich weiter als ein paar Schritt in die Nacht hinaussehen könnte. Dass ich wie Lederstrumpf aussehe, eine Tasse echten guten Kaffee in meiner Hand halte, ist zwar nicht völlig erwartet, aber ich sehe keinen Grund, mir deswegen einen Kopf zu machen. Alles ist so, wie es sein soll. Alles ist gut.
    Ich vernehme Schritte und ein weiterer Kerl im Stil von Old Shatterhand tritt an Feuer. Seine Hautfarbe ist so dunkel, dass ich am deutlichsten die bernsteinfarbenen Augen bemerke, die das Feuer ungewöhnlich gut widerspiegeln. Etwas nervös zeige ich auf die Kanne im Feuer.
    »Kaffee?«, biete ich ihm an. »Der ist echt gut. So einen hatten wir lange nicht mehr.«
    Der Dunkle setzt sich und nimmt sich eine Tasse von irgendwoher. »Hm«, brummt er und schenkt sich ein. Die Hitze des Feuers lässt ihn nicht einen Moment zögern, nach der Kanne zu greifen.
    »Servus!«, erklingt es etwas übermütig als der letzte erwartete Besucher aus der Dunkelheit tritt. Auch ein Lederstrumpf, aber sein Aufzug ist hellgegerbt, wirkt fast weiß. Er ist von ähnlicher Statur wie der Dunkle und ich, vielleicht etwas schlanker, oder erscheint so, weil er wesentlich jugendlicher wirkt.
    »Ich bin mal so frei?« Er zaubert ebenfalls eine Tasse hervor, zuckt aber vor der Kanne zurück und benutzt im zweiten Versuch seinen Ärmel als Topflappen. »Wird ja auch mal Zeit, dass wir uns unterhalten. Dieses ewige umeinander herumschleichen und wegschubsen ist ja keine Art.«
    Seine helle, fast faltenlose Haut bildet winzige Krähenfüsschen, als er lächelt.
    »Hm«, brummt den Dunkle.
    »Schön, dass du auch gekommen bist«, füge ich freundlicher hinzu. Ich habe die Ahnung, dass mir die Rolle des Schiedsrichters oder Mediators zugedacht ist, denn der Dunkle und der Helle sind zwar keine Feinde, aber beileibe auch keine Freunde.
    »Da wären wir mal wieder. Ausgeschaltet, kommen gerade vom Rand des Todes zurück. Mal wieder. Hätten wir nicht Glück, mit den progressiven Orkin …«
    »Kein Glück!«, unterbricht mich der Helle. »Begegne der Welt mit Freundlichkeit und sie wird dir auf dieselbe Weise ebenfalls begegnen.«
    »Blödsinn.« Nur dieses eine Wort, aber der Dunkle hat genug gesagt. Ein Mann der vielen Worte ist er ohnehin nicht.
    »Ich weiß nicht recht.« Weiß ich wirklich nicht. »Sowohl im Tubran als auch bei den Zwergen und jetzt hier bei einem Stamm, der sogar seine Agenda auf die Rache an mir und meinen Kameraden ausgerichtet hat, war Nettigkeit am Ende unser Gewinn.«
    »Wie man an den toten Arschgeigen sieht, die man uns in Tubran nachgeschickt hat. Ohne die Amazone wäre es das gewesen.« Der Dunkle klingt nicht einmal vorwurfsvoll. Eher wie ein Mann, der jede Hoffnung auf kluges Handeln bei seinen Kameraden schon lange begraben hat.
    »Da hat er einen Punkt. Und ohne das harte Vorgehen gegen die Warden, wären die Zwerge jetzt überrannt.« Ich schaue zum Hellen, dem eine Antwort offensichtlich auf den Lippen brennt.
    Und er antwortet sofort, sehr überzeugt und beinahe beschwörend. »Das wisst ihr doch gar nicht? Immerhin haben wir Lupina dort gefunden. Die ist total in Ordnung. Vielleicht hätte man mit dem Wardenboss auch reden können?«
    Der Dunkle und ich tauschen einen Blick. Der Helle ist eindeutig enthusiastisch und kontaktfreudig, aber nicht der Allerhellste, wenn er das wirklich glaubt.
    »Bei den Orks haben wir nichts als Glück gehabt, Kleiner. Ich erkenne an, dass du den richtigen Instinkt hattest, aber wären wir meiner Führung gefolgt, hätten wir den Schamanen kaltgemacht, bevor er Schaden anrichten kann. Mit den Kriegern hättest du auch dann Kumbaya singen können, ohne dass man uns mit einem Zauber in hundert Einzelteile sprengt. Und was sollte diese blödsinnige Rettungsaktion? Wir können nicht alle retten. Wenn wir dabei umkommen, nicht einmal noch einen. Du musst damit aufhören.«
    So eine lange Ansprache, ganz ohne Kraftausdrücke und Knurren habe ich von ihm noch nie gehört. In mir keimt Hoffnung auf.
    »Sorry, Dunkler, aber das kommt vielleicht von mir. Der Reflex zu helfen, wenn ich kann, das ist nicht allein seine Schuld.«
    Ich werde von den gelben Augen angestarrt. Wäre es nicht eine Version von mir, würde ich ängstlich zurückweichen.
    »Dann«, überrascht mich der Dunkle, »lass mich wenigstens helfen. Jedesmal, wenn du mich aussperrst, kann ich nur zuschauen und mich ärgern. Ich kann mehr als nur töten. Viel mehr.«
    Der Helle und ich sind nun dran mit starren. Tatsächlich ist es genau das, was ich erwarte, wenn ich den Dunklen rufe. Mord, Grausamkeit und kein Bedauern.
    »Aber ist das nicht deine Natur? Du bist der Dunkle!« Vielleicht klinge ich eine Spur vorwurfsvoll.
    »Habt ihr zwei Pappnasen euch jemals gefragt, warum ich ohne Zögern und Gnade agiere?«
    Ich und der Helle schauen uns betreten an. »Nein …?«, meint er unsicher. Auch ich fühle mich in meinem Weltbild erschüttert. Bisher war die Rollenverteilung doch ganz klar? Der Helle ist unsere Version der weiten Arme und offenen Tür, ich verwalte unsere Erfahrungen, analysiere und koordiniere. Der Dunkle ist dafür zuständig, wenn es blutig wird.
    »Pah. Natur. Eine billige Ausrede von euch Moralaposteln, um Notwendigkeiten, die euch nicht passen zu rechtfertigen. Ich überlebe. In einem Übungskampf halte ich mich raus. Keine Todesgefahr. Aber wenn ihr Schwachmaten mal wieder Einer gegen Alle spielen müsst, um eure überlegene Lebensart auch physisch zu beweisen, dass holt ihr mich. Schon mal überlegt, mich vorher zu holen?«
    »Vorher?«
    »Vorher?«
    Der Helle und ich wissen gar nicht, was wir dazu sagen sollen, weil es doch so offensichtlich ist.
    »Mann, wenn wir dich schon vorher hohlen, dann endet es doch in jedem Fall in einem Gemetzel!«
    Der Dunkle spuckt aus. »Narren. Alle beide.«
    Wir anderen schweigen. Alle beide.
    Der Dunkle stöhnt auf. Es muss ihm körperliches Unbehagen bereiten, so viele Worte aufzuwenden.
    »Überleben bedeutet auch, sich aus einem Kampf heraushalten. Nur die Schlachten zu schlagen, die man schlagen muss. Eine Demonstration der Stärke und Dominanz verweist viele Gegner schon im Vorfeld auf ihre Plätze. Und Überleben bedeutet auch, die Heilkräfte und Resistenzen des Körpers zu aktvieren. Das bringt alles aber nicht mehr viel, wenn ihr mich erst ranlasst, wenn wir uns schon eines Angriffs erwehren müssen.«
    Der Helle schüttelt ungläubig den Kopf. Präventive Gewalt oder Gewaltandrohung gefällt ihm gar nicht. Ich hingegen erkenne die Möglichkeiten.
    »Du hättest uns gegen den Schamanen schützen können? Wie?«
    Der Dunkle knurrt und erhebt sich. »Herkommen, ihr Idioten. Klappe halten, Sehen und Lernen!«
    Wir drei erheben uns. Je näher wir uns kommen, desto fassbarer wird die Welt um uns herum.
    Die Nacht weicht zurück und auch die Heide macht einem kühlen Morgen, viel Fels und dem Geruch von verbranntem Fell Platz.

    ***


    »Er erwacht. Weicht zurück. Macht ihm Platz!« Die Schamanin wirkt alarmiert.
    »Oh, große Löwin. Was ist das? Was hast du mit ihm gemacht?« Galina klingt sogar ein wenig panisch, so kenne ich sie gar nicht.
    »Zurück! Waffen senken. Wer seine Waffe erhebt, den erschlage ich persönlich!« Mein neuster, bester Freund, der Orkhäuptling. Nur warum dieses ganze Geschrei?
    Ich öffne meine Augen. Mir war gar nicht bewusst, dass ich sie geschlossen hatte. Die Eindrücke um mich herum sind so klar und deutlich. Ich weiß genau wo jeder im Umkreis um mich herum steht. Auf dem Boden hat es wohl keinen gehalten.
    Ich wittere Furcht, den Wunsch zu jagen, Wissen und fassungsloses Erstaunen.
    Als ich aufstehe, geschieht das auf alle Vieren. Ich fühle mich gewaltig, wuchtig, mächtig. Unwillkürlich reiße ich meinen Kopf in den Nacken und brülle der Welt meine Anwesenheit entgegen.
    Einige Orks lassen ihre Waffen fallen und fliehen in die Felsen. Obwohl ich auf allen Vieren bin, habe ich eher den Eindruck, die Leute um mich herum sind geschrumpft.
    Die Schamanin vor mir, die als einzige noch in der Hocke kauert, mustert mich mit einem eher wissenschaftlichen Interesse. Starrt sie mir in den Mund?!
    »Bruder, gib mir eine der Bronzescheiben. Ja die da hinten. Nein, reich sie mir rüber, komm nicht näher.«
    Ich wundere mich, beobachte aber, wie er die Scheibe am langen Arm seiner Schwester reicht.
    Galina schleicht sich am Rand meines Sichtfelds näher. Sie glaubt wohl, ich würde es nicht bemerken. Also tue ich so, als wäre das der Fall. Von ihr geht keine Bedrohung, nur dieses fassungslose Staunen aus. Was haben die nur alle? Noch nie einen nackten Kerl im Liegestütz gesehen?
    Die Schamanin hält die polierte Scheibe wie einen Spiegel vor mein Gesicht.
    Ich habe Schwierigkeiten zu erkennen, was sich darin spiegelt. Überhaupt triggern mich Bewegungen, selbst langsame, viel mehr. Irgendwas stimmt auch mit dem Licht heute Morgen nicht. Alles wirkt rötlich und viel kontrastreicher als sonst.
    »Schau in den Spiegel, Säbelzahn. Sieh, wer du bist, wenn du Eins bist.«
    Ich konzentriere mich auf das Spiegelbild. Wenn ich mich etwas bewege, erkenne ich es leichter. Dann macht es Klick und ich setze mich schwer auf den Hosenboden. Meine Arme, nein Vorderbeine, krallen sich in den felsigen Untergrund.
    Galinas Gesicht taucht zwischen meinem und dem Spiegelbild auf.
    »Tormen, bist du das?«
    Der Dunkle grinst dunkel vor Befriedigung, der Helle lacht hell vor Begeisterung und ich bin ratlos.
    Ja, ich bin hier, will ich sagen, aber es löst sich nur ein freundliches Grollen aus meiner Kehle. So freundlich ein Grollen sein kann, wenn es aus dem Hals einer dreiviertel Tonne schweren Riesenkatze kommt, mit Zähnen, lang wie Säbel und der sicheren Gewissheit im Hinterkopf, dass im Zweifel alles um mich herum Beute ist. Der Schamanin, Beute. Der Orkhäuptling, zuerst Herausforderung, dann Beute, die vielen anderen Orks, Beute.
    Galina, Beu … nein, keine Beute. Ich zucke zurück. Äußerlich wie innerlich.
    Es ist, als ob ich einen schweren Mantel abschüttle.
    Nun ist es wirklich kalt. Verdammt kalt. Ich habe beinahe vergessen, wie kalt die Nächte hier werden, besonders, wenn man im Adamskostüm auf dem nackten Fels sitzt.
    Trotzdem lächle ich Galina erleichtert an. »Ja, Galina, das bin wohl ich.«

    Da hast du mir ganz nett zum Grübeln gegeben 😋

    Ich will ja nicht Nur für Nerds schreiben....

    Ich sehe da eine Menge Überarbeitung auf mich zu kommen, aber das ist gut. Das heißt, da wächst was Neues heran.

    Tariq Überhaupt nicht? Das ist ein Problem. Dann muss ich ans Konzept ran, fürchte ich.
    Folgende Überlegungen liegen den Romanstruktur zu Grunde:

    FETTER SPOILER

    1. Isekai - ein normaler Mensch wird hoppla! in eine Welt geholt die er nur aus Filmen oder Romanen so kennt und hat durch irgend einen Zufall/Cheat/Gönner signifikante Vorteile gegenüber dem Rest. In der Regel hat er eine Frodo-Artige Mission zur Rettung dieser Welt zu bewältigen, aber nicht immer. 2. Game Lit RPG - diese Gattung ähnelt dem Isekai in mancherlei Hinsicht, ergänzt dessen Konzept aber um Gaming bzw PnP-Elemente, wie Level, besondere Regeln zur Magie oder dem Angriff und oft wird das Min/Max-Konzept (also seine werte optimal zu verteilen) auch aufgegriffen 3. Science Fiction ist auch Fantasy

    Umsetzung in plötzlich Held. Das Iseka-Konzept eine Helden mit besonderen Kräften - sind wir mal ehrlich: Damit arbeite ICH schon, seit ich schreibe - heute vielleicht mit deutlich mehr Selbstironie als früher - neu ist daran bei mir gar nix. Also von den regelmäßig auftauchenden Seitenlangen Charakterblättern in solchen Game-Lits halte ich gar nichts. Die bieten handwerklich absolut keine Herausforderung und mal ehrlich, wer liest die mehr als einmal richtig (falls überhaupt). Es gibt inzwischen Autoren die schreiben sogar: Das nächste Kapitel ist für Nicht-Regel-Füchse uninteressant, ihr könnte das ohne Handlungsabriss überspringen. Der Aspekt als sich bewusste Intelligenz in digitaler (oder vergleichbarer) Form gefällt mir aber. Zum einen kann man Information ohne Masse viel eleganter in eine neue physische Form bringen. Ja, nicht nur Sheldon sieht das diverse Vorteile. Das die Materie aber auch den Geist formt und umgekehrt ... tja, das lässt man gerne weg, ich versuche dennoch es zu thematisieren. T. im Roman ist NICHT derselbe, der er davor war. Ein jüngerer, gesunder Körper macht auch etwas mit dem Mindset. Nun wollte ich den Bogen von SciFi zu Fantasy glaubhaft schlagen und habe meine alte Idee rausgeholt: Was wäre für uns, also hier und jetzt real ein Gott. Oder ein Schritt zurück: Für wen wäre ich ein Gott? Meine persönliche Antwort darauf ist: Wenn ein Wesen jederzeit und für mich weder voraussehbar noch mit ersichtlichen Mitteln in meine Realität eingreifen kann, dann kommt das Gott schon verdammt nahe. Als Mensch bin ich ein Gott für eine (sich selbst bewusste) Comic-Figur. Ich muss sie nicht einmal selbst gezeichnet haben, aber ich kann zu einem beliebigen Zeitpunkt ihrer Existenz in ihre Welt eingreifen. Durch Vervielfältigung kann es von der Figur zahlreiche Versionen geben, die durch den Kopie-Effekt sogar alle unterschiedlich wären. Bei einem Menschen wäre das vielleicht ein Wesen, was unsre Raumzeit als Fluss oder in meinem Fall, als sich ständig verändernde Skulptur wahrnimmt. Er kann an jeden Ort schauen, aber der Ort wird jedes mal anders sein. (niemals zweimal selben Fluss baden etc) Zudem wäre es für ein Wesen völlig normal Zeitpunkt und Ort einer Kommunikation mit einem Wesen, was teil der Skulptur ist aufnehmen zu können, wenngleich mit Sicherheit auch nicht so einfach. Men stelle sich vor, man will allein mit einer ungewöhnlich intelligenten Ameise eine echten geistigen Austausch anstreben, allein die Vorstellung der Realität als Konzept würde nur zu sprachlichen Hürden führen, die kaum zu überwinden sind. Aber deswegen ja Fantasy. Man darf so tun, als wäre alles möglich.

    Es soll also drei Handlungsebenen geben.

    a) Rahmen Erde im Eimer, galaktische Überwesen ziehen die Reisleine und verfrachten die Menschheit erstmal in eine Art Flüchtlingsresevervate, wo sie unter einer gewissen Aufsicht sich entwickeln können, ohne echt was kaputt zu machen. denn, auch wenn sie so ziemlich alles verbockt haben, um sich am Ende doch der galaktischen Gemeinschaft anzuschließen, haben sie Potential zur sich bewussten Individualität und das ist, Überraschung, im Multiversum rar. Sehr rar. In manchen Universen kommt es gar nicht erst dazu. Also werden sie quasi in mehrere Trainingslager/Versuchsgelände gesteckt, wo man versucht rauszubekommen, was man mit den Deppen anfangen kann, die grob in zwei Richtungen tendieren: Die einen stehen eher darauf: Wenn es allen gutgeht, geht es auch am Ende jeden Einzelnen gut. geistige und physische Entwicklung kommt dann automatisch. Wenn man einzelne Individuen gnadenlos machen lässt, was es will geht die Welt ZWANGSLÄUFIG vor die Hunde. Die anderen meinen: Survival of the most powerful. Das Träge und Schwache muss als Dünger für das Immer vorwärts Strebende und Starke herhalten. Sonst geht die Menschheit ZWANGSLÄUFIG ein. In diesem Test steckt unser Held gerade fest. Nun sind sich auch die galaktischen Überwesen nicht komplett einig:
    1. Fairness ist ja ein Konzept was ohnehin den Make Love Not War Erdlingen sehr ähnlich ist.

    2. Fairness verhindert signifikant den Fortschritt entspricht eher dem Konzept Stark regiert über Schwach.

    Das namenlose Überwesen in meiner Idee finde Fairness zwar nicht per se als wichtig, aber er ist ein echter empirischer Wissenschaftler und findet, dass man in einem laufenden Versuch nicht mal eben die Parameter ändern und dann am Ende stolz mit passenden Ergebnisse wedeln darf. (Zudem ist er persönlich ein bisschen pissed, weil man ihn hintergeht, was er aber NATÜRLICH nicht zugeben kann. Ein Alien ist am Ende des Tages auch nur ein Mennsch ^^)

    dass die "Anderen" sich auch noch mit dem Teil der Menschheit verbünden, die tatsächlich glauben, dass gegen die Regeln zu spielen zu erstrebenswertem Fortschritt führt führt bei ihm schließlich zum ausgeschlagenen Fassboden.

    Also hilft er der anderen Fraktion, versucht aber nur auszugleichen und die ihren Weg so gut es geht allein finden zu lassen. (auch wenn es ihm dämmert, dass sein ganzer Versuchsaufbau ohnehin für die multigalaktische Katz ist ...)

    b) ganz normale Isekai-Story mit der Einschränkung, dass der Held zwar eine Mange wissen von außerhalb seiner derzeitigen Welt mitbringt, da es ja seine Persönlichkeit ausmacht (oder verändert, wenn man daran rumschreddert ...) aber er sich nur unterbewusst sich dieses Wissens bedienen kann, also wohl irgendwo weiß, dass es Wasserstoffbomben, Batman und MacDonalds gibt, aber nicht wie in vielen anderen Isekais er das Wissen nutzt um die Weltgesetze auszuhebeln. (das fand ich persönlich nämlich schon immer unsportlich, ich alter PnP-RPler ^^)

    Problem: Wie baue ich eine Bindung zwischen einem Menschen (dem man zudem noch eine Art Zwangs-Altzheimer und Gehirnwäsche verpasst hat) und einem Wesen auf, das allein schon das Konzept von Vergangenheit und Zukunft überwunden hat? Und welche Sprache wähle ich da? Lässt sich das Alien auf das Menscheniveau ganz herab oder merkt der Mensch schnell, Moment, der Typ kann lustig zu jedem Zeitpunkt meines Lebens auftauchen und zwar in beliebiger Reihgenfolge. Also für das Alien. Als Mensch passiert natürlich immer noch eines nach dem anderen. Aber das Wesen, das die Raumzeit von außen an jedem Punkt anfahren kann, wie ein Mensch eine beliebige Comic-Seite aufschlagen kann, hat eine völlig andere Sicht und damit auch Grammatik. Und wie beschreibt man eine sich ständig verändernde aber doch als ganzes erfassbare Realität? (Also für das Alien erfassbar, nicht für unsren Held.) Daher meine Idee des Heap of Faith oder Heap of Hope, oder zu Deutsch, dem Sprung des Glaubens oder Sprung der Hoffnung. Mann kann einfach mal einem anderen GLAUBEN, dass das was er so sagt zwar gegen meine komplette Sicht der Welt spricht, aber womöglich er und nicht ich richtig liege. Kinder machen diesen Sprung jeden Tag. Jugendliche verlieren die Fähigkeit zunehmend. Erwachsene, nunja? Versuch mal einem sich sehr, sehr selbstbewussten Wissenschaftler klarzumachen, dass du einfach so Kraft deines Willens eine Wunde heilen kannst. zack. Weg ist. Der will Beweise sehen. Und er wird nicht mit einem oder auch zehn zufrieden sein. Er will wissen, wie, warum und woher. Und wenn er Heisenbergsche Unschärfegleichungen dazu braucht, aber es einfach DIR glauben? Nö. Aber wenn ein einzelner Mensch sich einfach sagt Ok, ich glaube, der Typ ist in Ordnung, aber spielt dimensionstechnisch 3 Liegen über mir, ich glaub dem einfach mal. So könnte es vielleicht gehen, ohne dass beide Seiten frustriert sind. Und DAS versuche ich mit dem Dialogen rüberzubringen. Da sie körperlos sind und nach meiner Idee sogar ohne Zeitverzögerung und nur von der Kapazität, mit der diese Information von jetzt auf gleich übertragen werden kann (Bandbreite!) abhängig sind, habe ich sie so hart als Zwiegespräch gestaltet. Da gibt es kein sich umgucken, kein Augen verdrehen und auch keine Pausen, wie langes nachdenken. Die Pausen sind einfach eine kurze Information "hier Pause" aber haben zeitlich keine Relevanz. Hinzu musste ich verschiede Stile einbauen, um den Protas Profile zu geben. So siezt das Alien T. die ganze zeit, soll die Distanz ausdrücken, während T. das Alien kumpelhaft duzt, was zum einen die primitivere Kultur als auch den Versuch darstellen soll, mit dem Überwesen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen (man könnte auch böse sagen, sich anzubiedern.)

    Da das komplette Gespräch immer ein Informationsstrang ist, den das Alien zeitunabhängig in beliebiger Reihenfolge aufrufen kann, hat der Dialog etwas von Treffen sich ein Hellseher und ein Philosoph ...

    c) natürlich kommt die typische Heldenreise auch vor, wie ein Charakter sich entwickelt, reift und wie der Leser moralisch und emotional davon profitieren kann, ganz im Sinne Aristoteles: Delectare et Prodesse - sich am Text erfreuen und am Ende was mitnehmen.

    Tja, was meinst du? Soll ich hoffen, dass der Leser irgendwann darauf kommt, was ich versuche auszudrücken? Oder soll ich den "Engel" von T. deutlich weniger abgehoben und damit auch die Dialoge viel menschlicher machen?

    p.s.: Für heute soll das als meine 1500 Zeichen gelten, die ich ja jeden Tag als Training schreiben will/muss. Kann also sein, heute gibt's kein weiteres Kapitel für die Porzellan-Sitzung ^^