Beiträge von Thráin

    Hallöchen, ihr! Heute geht es weiter! Da Kapitel 8 sehr kurz und Kapitel 9 aber sehr lang ist, kommt heute nur Kapitel 8. Ich dachte, dass ich dafür nicht so lange damit warte, das darauffolgende zu posten :)


    8

    Heute war 2000er Party im Kisses. Laut donnerten Shakira, Flo Rida, Beyoncé, die Black Eyed Peas und Konsorten an Freds Ohr, der sich an der Seite von Lena hinter Theke abmühte. Heute hatte er die frühe Schicht und würde von Rex abgelöst werden, der die meistens entspanntere, spätere Schicht zugeteilt bekommen hatte. Wieder war der Club total überfüllt, sodass Fred keine Sekunde Ruhe hatte. Das war von Vorteil, denn so hatte er keine Zeit darüber nachzudenken, ob er beobachtet wurde oder nicht. Hätte er diese Zeit gehabt, hätte er bestimmt wieder jenes bereits bekannte Gefühl, dass ihn jemand im Blick habe, bekommen. Denn, er wurde wieder beobachtet. Er war auch die Woche über verfolgt worden.

    Die blonde Frau mit dem Bob und der strengen Kinnlinie war ihm keinen Augenblick von den Fersen gewichen. Jetzt stand sie in der hinteren Ecke der Tanzfläche, neben dem Podest, auf dem der DJ stand und irgendwelche Knöpfe drückte und dabei stets bedacht war, so auszusehen, als wüsste er genau, was er da tat. Sharleen hatte sich heute Kleidung angezogen, die noch besser zu den jungen Menschen um sie herum passen sollte, hatte sich stärker geschminkt und die Haare zu einem Zopf zusammengebunden, zumindest so gut es eben ging. Sie war fest entschlossen und von Rage erfüllt.

    Ihrer Mutter war es nach der Nachricht, dass sie ihn ausfindig gemacht hatte, etwas besser gegangen, aber als sich nun nach fast einer Woche kein weiterer Fortschritt spürbar gemacht hatte, war es ihr wieder schlechter ergangen. Sharleen hatte schon öfter versucht, den Moment am Schopfe zu packen und sich den Kerl vorzuknöpfen. Aber immer wenn sie es versuchte, ging irgendetwas schief. Das letzte Mal hatte sie es in einem Discounter versucht. Der Kerl, der F. Lehmann, T. Groß oder B. Jannsen heißen musste – diese Namen zumindest standen auf dem Klingelschild, von der Wohnung, in der sie ihn am Küchentisch beobachtet hatte; es stand auch noch ein russischer Nachname drauf, aber das war bestimmt ein Student aus dem Ausland –, hatte vor einem Regal gestanden und sie hatte sich an ihn herangeschlichen. Sie wollte ihn von hinten packen, mit einem Griff an Hals und Nacken, den sie schon tausende Male durchgeführt hatte, und durch seine grau-grünen Augen alle Informationen aussaugen, die sie brauchte. Doch das war gescheitert, weil sich ein alter Mann und eine nicht jünger aussehende Frau näherten, die mit einander stritten und sich der Kerl umgedreht hatte.

    Aber heute! Heute würde sie alles aus ihm herauskriegen, was sie wollte! Und dann war endlich die Herrschaft ihrer Mutter – und damit auch ihre eigene – wieder gesichert.

    Tariq es freut mich, wenn es jetzt besser wirkt - vielen Dank nochmal! Auch Kapitel 6 habe ich schon korrigiert, danke für deine Tipps!

    7

    Schreiners Versprechen, dass er Freds Schicht am nächsten Samstag jemand anderem aufbrummen würde, wurde nicht erfüllt. Eine Woche nachdem Fred dieser sonderbaren Blondine im Kisses begegnet war, stand ein langes Wochenende an: Fred musste Freitag und Samstag Abend hinter der Theke arbeiten; zwar beide Male nur eine Teilschicht – also nur den halben Abend –, aber er war trotzdem genervt. »Ich versuch auch, deine Schicht nächsten Samstag an einen der beiden Idioten abzutreten.« Pah! Von wegen! Fred durfte sowohl Freitag als auch Samstag antanzen. Am Freitag würde er mit Lena hinter der Theke stehen und am Samstag mit Schorsch, der ein hochnäsiges Arschloch war – fast so schlimm wie Schreiner selber.

    Die Woche über traf er sich fast jeden Abend mit Josephine, entweder in ihrer kleinen Einzimmerwohnung oder in der WG. Von seinem Erlebnis Samstag Nacht erzählte er ihr nichts. Er wollte es nicht zu einem Geheimnis machen, aber er wusste nicht, wieso es seine Freundin interessieren sollte.

    »Samstag komme ich dich vielleicht mal wieder im Kisses besuchen«, sagte Josephine eines Abends und strich ihm beim Fernsehen über die Brust. Darüber freute er sich. Zu der Freude mischte sich aber das unbestimmte Gefühl, dass etwas in der Luft lag – oder liegen würde –, er wusste nur nicht, was.

    Dies wurde dadurch verstärkt, dass er immer, wenn er unterwegs war – in der Stadt oder in der Uni –, das Gefühl hatte, dass er beobachtet wurde. Das erste Mal war es ihm beim Einkaufen im Netto zwei Straßen weiter von der WG aufgefallen. Er hatte vor dem Brotregal gestanden und plötzlich hatte es in seinem Nacken höllisch gebrannt, so als würde ein Paar aufmerksamer, kalter Augen ihn anstarren – ihn beobachten, jeden Schritt, jede Handbewegung, die er tat nachverfolgen. Sein Körper hatte direkt zu kribbeln angefangen und er hatte den Drang, sich an die Jeans zu fassen und seinen Sack zu richten, während ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat. Er kämpfte gegen diesen Drang an, schließlich war er in der Öffentlichkeit, und besonders wenn er beobachtet wurde, wäre das eine noch schlechtere Idee. Er hatte sich mit einem Anflug von Angst umgesehen, doch niemanden entdeckt, der ihn beobachten könnte. In seiner Nähe befand sich nur ein altes Ehepaar, das sich gerade wegen irgendeiner Nichtigkeit anzickte, und ein junger Kerl, der vor dem Kühlregal mit Energy-Drinks stand und so aussah, als würden ihm jeden Moment die Augen zufallen.

    Über diesen Moment hatte er den gesamten restlichen Tag nachgedacht und wurde das unbehagliche Gefühl nicht los. Ab diesem Moment, hatte er das Gefühl, beobachteten zu werden, bei jeder Begebenheit und seinen unangenehmen Höhepunkt hatte diese Phase, als er Freitag am frühen Abend gemeinsam mit Timo in der Küche saß und Müsli zum Abendessen verschlang, bevor er zum Kisses los musste. Er saß mit dem Gesicht zum Fenster gewandt und war ins Gespräch vertieft.

    Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde jemand durch das dreckige Küchenfenster hineinsehen. Er blickte kurz hin. Du Vollidiot, dachte er. Wirst du wahnsinnig? Durch das Fenster kann niemand schauen, wir sind im dritten Stock. Dann versuchte er, sich weiter mit dem Gesprächsthema zu befassen, was ihn allerdings anödete, denn Timo konnte wieder über nichts anderes reden als Autos, Fußball und Titten.

    Da wieder! Da war doch etwas gewesen! Er starrte wieder zum Fenster; für einen Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, in der Scheibe etwas gesehen zu haben. Aber was? Er konnte es nicht ganz fassen, nicht beschreiben, aber dieses Bild hinterließ in ihm die Assoziation einer Kobra. Eine Kobra? Was soll das denn? Fred erinnerte sich nicht, wann er das letzte Mal etwas mit einer Schlange zu tun gehabt hatte. Hatte er einen Film gesehen, in dem Schlangen vorkamen? Nein. Nicht, dass er wüsste oder sich erinnerte. Wieso eine Schlange?

    »Jo, was denkst du denn?«, riss ihn Timo aus den Gedanken.

    »Ähm … was?«

    »Na von der hier!«, Fred sah Timo an und stellte fest, dass dieser ihm sein Smartphone hinhielt. Er warf einen Blick darauf und fand ein Foto einer Frau, jung und sehr knapp bekleidet. Sie blickte lasziv in die Kamera und war so stark geschminkt, dass man lange nach einem Funken echter Haut suchen konnte.

    Es war ein Foto von Tinder. Oh man.

    »Jo, is ganz nett, was?«, antwortete er halbherzig und schielte erneut zum Fenster. Es war nichts mehr zu sehen. Spielte ihm sein Unterbewusstsein einen Streich?

    »Ganz nett? Ganz nett?«, prustete Timo und führte den Löffel zum Mund, kaute mit offenem Mund und fuhr fort, »Alter! Die is’ der Knüller! Und Titten hat die, glaubste nicht!«

    »Ja…«, antwortete Fred abwesend.

    »Sei du nur nich´ neidisch, wenn ich die demnächst mal hier anschleppen sollte!«

    »Nee, bin ich ganz sicher nich´, ich hab ja Josephine«, antwortete er und musste schmunzeln.

    »Ach, ihr Pärchen seid alle langweilig«, grunzte Timo und fingerte eine Malboro aus der Packung, die geöffnet auf dem kleinen Esstisch lag.

    »Mag sein«, lachte Fred, auch wenn ihm nicht wirklich nach lachen war und er stand auf, »so, ich muss dann.«

    Auf dem Weg zum Kisses ließ das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht nach. Was ´ne Scheiße!

    Hey, Leute! ich hoffe, ihr habt einen schönen Sonntag :) Hier kommt der nächste Teil. Die Kapitel 5 und 6 sind verhältnismäßig kurz, deshalb kommen hier beide. Viel Spaß!


    5

    Sharleen hatte ihn gefunden. Der Kerl hinter dem Tresen, der musste es sein. Sie entdeckte ihn über Facebook; dort stand auf seinem Profil auch, dass er als Barkeeper im Kisses arbeitete. Heute hatte sie den Club betreten und Glück gehabt, er stand hinter der Theke. Sie hatte sich ihm angenähert und schon versucht, ihn ein wenig zu lesen. Sie konnte sehen, dass er es liebte, Cocktails zu mischen, und sich darüber ärgerte, dass er in diesem Club so selten dazu kam. Aber das war nur eine Kleinigkeit. Die Dinge, für die sie sich interessierte, konnte sie nicht finden. Dafür war das zu wenig Kontakt gewesen. Aber sie wollte ihn nicht zu sehr bedrängen, sonst hätte er einen Verdacht geschöpft und dann könnte sie nichts mehr aus ihm herausbekommen – zumindest nicht aus freien Stücken. Den restlichen Abend beobachtete sie ihn lieber nur noch, die Disco hatte mit ihrer Dunkelheit und dem wilden Licht genug Schutz gegeben, um selber nicht gesehen zu werden. Sie musste trotzdem vorsichtig sein und an diesem Kerl dranbleiben. Sie wollte die Sache ruhig angehen, aber zu viel Zeit durfte sie sich trotzdem nicht lassen. Sonst wäre alles vorbei… das Vermächtnis wäre verloren und Mutter würde sterben.

    Aber sie sollte auch vorsichtig vorgehen. Sie durfte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, irgendwann würde den Menschen auffallen, was sie mit jenen anstellte, die ihr im Weg standen. So wie dieser beschissene Kerl vorhin in der Disco. Was für ein Vollidiot! Der hatte doch nur irgendeine Frau ficken wollen. Er hätte sie aber auch nicht in Ruhe gelassen an diesem Abend, wenn sie ihn nicht …

    Ach ja, dieser Kerl. Das hatte sie fast vergessen. Sie saß in ihrem Versteck und grübelte. Und jetzt gerade war ihr dieser Typ wieder eingefallen. Sich in den Schneidersitz begebend, ging sie zu Boden, schloss die Augen und faltete die Hände vor der Brust. Sie konzentrierte sich so sehr sie konnte und spürte geradezu, wie ihre Gedanken die Luft um sie herum in Bewegung brachten. Sie fokussierte ihre Gedanken voll und ganz, und sie spürte wie ihr Geist für einen kurzen Moment ihre irdische Hülle verließ. Niemand sollte sterben. Zumindest fast niemand.


    6

    Kurz nach fünf hatte Schreiner die letzten Besoffenen aus dem Kisses gejagt. Danach war er in seinem Büro und wenige Minuten später durch die Hintertür verschwunden.

    Den Laden sollte Rex abschließen. Also räumten er und die übrig gebliebenen Bediensteten, wie etwa Sina vom Einlass und der Disc Jockey, die Räumlichkeiten soweit auf, dass man den Club am nächsten Tag betreten konnte, ohne vom Schlag getroffen zu werden.

    Rex hatte eine Kippe zwischen den Zähnen und sorgte hinter der Theke für Ordnung, als er den DJ durch den plötzlich so leisen Club rufen hörte: »Alter, was isˋn mit dir? Verpiss dich, wir ham geschlossen!«

    Was war da los? Rex legte den Lappen, mit dem er gerade die Theke abwischte, beiseite, trat hinter dem Tresen hervor und ging auf den klebenden Dancefloor. Da sah er Mikey, den DJ, der mit in die Seiten gestemmten Fäusten und hochrotem Kopf da stand und herumzeterte.

    »Mikey, was isˋ los?«, fragte Rex während er näher kam.

    »Dieser Wichser hier… das isˋ los!«

    Und dann sah Rex, dass der DJ nicht alleine war. Vor ihm, in einer Ecke des Dancefloors, stand noch ein Besucher. Er sah aus wie ein Türke und stand mit leicht geöffnetem und vor Schrecken geweiteten Augen da, ohne sich zu regen.

    »Yo Kumpel«, sagte Rex, an ihn gerichtet, »wir haben schon seit zwanzig Minuten zu. Geh heim!«

    Der junge Kerl rührte sich nicht.

    »Hörst du nichˋ, Arschloch?«, schrie Mikey.

    »Hey hey hey hey«, Rex legte Mikey beschwichtigend die Hand auf die Schulter, »lass mich das machen, feg du mal dahinten.«

    »Lebt der überhaupt noch?«, fragte der DJ sarkastisch, während er von dannen zog.

    »Mann, was isˋ los mit dir?«, fragte Rex und stupste den Typen an der Schulter an. Scheiß Stoner, dachte er.

    Er überlegte, was er mit dem Kerl anstellen sollte. Komisch war das schon, ein Kerl auf der Tanzfläche, der stramm da stand, sich aber nicht bewegte und nicht sonderlich bei sich zu sein schien. Sollte er den Krankenwagen rufen? Das hatte ihm ja jetzt noch gefehlt!

    »Wenn du dich das nächste Mal volldröhnst, geh danach woanders hin…«

    Plötzlich, wie auf ein unsichtbares Signal hin, ging ein Ruck durch den Körper des Starren und Leben trat in die bisher leeren Augen. Er stöhnte so laut auf, dass der sonst so ruhige Rex kurz zusammenzuckte. Ein Speichelfaden lief aus dem Mundwinkel des Besuchers heraus und suchte sich den Weg zum Boden. Er fasste sich an den Kopf, als würde dieser Schmerzen und ging in die Knie.

    »Ach schau an! Da isser ja wieder«, hörte Rex Mikey aus der anderen Ecke des Raumes rufen.

    »Alles gut bei dir, Mann?«, fragte Rex.

    »Ich… ich… Du kannst mich hören?«, stotterte der Typ.

    »Laut und deutlich. Alles gut?«, wiederholte Rex geduldig seine Frage.

    »Ja … nein. Ich weiß nicht. Was ist passiert?«

    »Wer soll das wissen, wenn nicht du?«

    »Ich … ich erinnere mich nicht!«, man konnte der Stimme gut anhören, wie verzweifelt der Typ war. Er wirkte wie einer, der normalerweise den harten Macker heraushängen ließ, aber jetzt war er nicht mehr als ein wimmerndes Kind.

    »Kollege, geh nach Hause, schlaf dich aus und danach wird wieder alles beim Alten sein«, Rex legte ihm einen schwabbeligen Arm um die Schultern und führte ihn ruhig aber bestimmt in Richtung Ausgang, »und das nächste Mal sollteste vielleicht die Drogen weglassen.«

    »Aber ich hab doch gar nicht…«, versuchte sich der junge Mann zu rechtfertigen, ihm standen Tränen in den Augen.

    »Jaja, schon klar«, sagte Rex und schloss die Tür hinter ihm.

    Scheiß Stoner, dachte er erneut.

    Hello there! Da ihr gesagt habt, das Tempo ist zu schnell, habe ich es deutlich gedrosselt ^^ deshalb kommt jetzt Teil 4.

    Viel Spaß! :)

    Und danke für die Tipps Sensenbach


    4

    Im Kisses war die Hölle los, der Fußboden dampfte und die Musikboxen donnerten. Fred schenkte ein alkoholisches Getränk nach dem anderen aus. Barkeeper – dass er nicht lachte. Die meisten wollten bloß ein einfaches Bier, da musste man keine Fähigkeiten als Barkeeper haben, selbst der letzte Idiot konnte eine Bierflasche öffnen. Da freute er sich schon, wenn jemand einen Wodka-Energy bestellte, da musste er wenigstens ein wenig mixen. Im Kisses standen auch einige Cocktails auf der Getränkekarte – hauptsächlich die beliebtesten Klassiker – und sehr selten wurde mal einer bestellt. Und wenn das geschah freute sich Fred dann den ganzen restlichen Abend. Er war zwar nur nebenberuflich Barkeeper – sein Hauptberuf bestand noch immer darin, sich durch die viel zu schnell kommenden und gehenden Semester zu fressen –, aber es war doch seine Leidenschaft. Hach, wäre doch nur Josephine hier. Hin und wieder stattete sie dem Club alleine oder mit ein paar wenigen Freundinnen einen Besuch ab, wenn Fred hinter der Theke stand. Wenn sie alleine war, saß sie dann an der Seite der Theke, nahm einen Drink nach dem anderen von ihrem Freund entgegen – der ihr nie einen berechnen würde – und schaute ihm verträumt bei der hektischen Arbeit zu. Oder, wenn sie mit Freundinnen da war, holte sie immer die Getränke für die Gruppe, und Fred blickte ihr verliebt nach bis sie in der Masse auf dem Dancefloor verschwunden war. Die beiden hatten sich erst vor drei Monaten kennengelernt – hier im Kisses. Sie war ihm an der Theke aufgefallen, einerseits wegen ihrer atemberaubenden Schönheit, andererseits, weil sie, mit ihrer adretten Kleidung, die sie damals getragen hatte, so gar nicht in die feiernde Meute gepasst hatte. Danach war sie öfter wiedergekommen, anscheinend um ihn zu sehen, und wenig später hatten sie ihr erstes Date gehabt. An diesem Abend hatte die Luft derart geglommen, dass Fred solch eine Liebe für sie empfand, die er nie für möglich gehalten hatte. Am selben Abend war sie mit ihm in die WG gekommen und sie hatten gevögelt.

    Aber jetzt war Josephine nicht hier. Also arbeitete Fred in seinem Trott, der aber trotzdem von Hektik erfüllt war, und ging seinen Gedanken nach. Dort, wo sonst Josephine saß, befand sich heute eine Gruppe junger Studentinnen mit zwei Kerlen in ihren Reihen, die eine Runde Jägermeister nach der anderen bestellte. Wenn keiner von euch beiden Jungs heute Abend noch eine von denen abschleppt, dann müsst ihr eindeutig schwul sein, dachte Fred.

    Gerade hatte er ein Pils rausgegeben und fing den Blick von einem der Mädels aus der Gruppe auf, das ihm mit einer Handgeste, die halb einem Melden und halb einem Winken entsprach, bedeutete, dass sie noch eine Runde wollten. Da trat eine junge Frau an den Tresen. Sie wirkte älter als der Durchschnitt heute Abend, etwa um die Dreißig. Ihr Bob trug nicht dazu bei, dass sie jünger herüberkam, auch wenn ihre Kleidung laut sagte, dass sie versucht hatte, jünger zu auszusehen, als sie war. Sie hatte einen kalten Blick und strenge Gesichtszüge und ihre Lippen waren zu dünnen Strichen aufeinander gepresst. Sie schien sich nicht zu amüsieren, stand nur da und musterte Fred von oben bis unten, als müsse sie sich jedes Detail seines Gesichts einprägen, oder als würde sie sich an etwas erinnern. Fred überlegte kurz, ob sie sich kennen könnten, kam aber zu keinem Ergebnis. Dann nahm er ein kleines rundes Tablett, sieben Shotgläser und widmete sich dem Jägermeister für die Studentengruppe.

    Nachdem das Tablett von diesen überschwänglich und mit lallenden Zungen und lautem Gekicher entgegengenommen wurde, wandte er sich der blonden Frau zu.

    »Was kann ich für dich tun?«, fragte er sie, während er mit nicht mehr ganz sauberen Lappen einmal über die Theke zwischen ihnen wischte.

    Sie starrte ihn kurz mit ihren kalten Augen an, als würde sie versuchen, etwas in seinem Gesicht zu lesen, und in einem Sekundenbruchteil hellte sich ihr Blick auf und sie lächelte ihn freundlich an. Es war ein hübsches Lächeln. Ein Lächeln, dass Fred fast hätte bekannt vorkommen können. Doch ihm fiel nur auf, wie hübsch es war.

    »Machst du mir einen Caipi?«, fragte sie freundlich. Ihre Stimme klang nett, doch irgendwie mochte diese Freundlichkeit nicht ganz zu dem passen, wie sie in den ersten Sekunden gewirkt hatte. Erst kühl und berechnend, und jetzt sehr freundlich. Vielleicht zu freundlich.

    »Na klar!«, er freute sich. Zum ersten Mal heute Abend durfte er einen Cocktail mixen. Er griff sich ein Longdrinkglas aus dem Regal hinter sich, und den Pitú aus dem Regal daneben und machte nach bestem Gewissen einen Caipirinha, wie er ihn schon duzende Male gemacht hatte. Ihm entging nicht, wie die Frau ihn dabei genau beobachtete, jedem seiner Handgriffe folgte und ihre Augen nicht von ihm abwandte. Fred hatte keine Schwierigkeiten damit, unter Druck zu arbeiten, sonst wäre er jetzt wahrscheinlich nervös geworden, so wie ihr kalter, stählerner Blick auf ihm ruhte. Er warf ein Limettenviertel in das Glas und stellte es vor sie auf die Theke.

    »Fünf-vierzig«, sagte er.

    Die Blonde lächelte ihn an. »Dankeschön.« Sie bezahlte und verschwand in der Menge. An diesem Abend erschien sie nicht noch einmal an der Theke. Zumindest nicht, solange Fred Dienst hatte. Dafür wurde er das Gefühl nicht mehr los, die restliche Zeit beobachtet zu werden. Körperlose Augen starrten ihn aus der feierwütigen Menge an und verfolgten jede seiner Handlungen. Gegen halb drei kam Schreiner zu ihm und sagte, dass er bald gehen könne, er selber würde die restliche Schicht übernehmen. Es war schon nicht mehr so viel los in der Disco, wie der Chef wohl gehofft hatte. Heute waren zwar viele Gäste da gewesen, aber viele waren nicht so lange geblieben, wie man es gewöhnt war.

    Ein Blick aufs Handy, nachdem Fred das Kisses durch den Angestellteneingang verlassen hatte, zeigte ihm, dass es kurz vor drei war. Er schrieb Josephine eine kurze Nachricht, auch wenn er sich sicher war, dass sie schon schlief. Dann machte er sich zu Fuß auf den Heimweg, in diese Richtung fuhr kein Nachtbus. Im Flur der WG hörte er aus Timos Zimmer die Geräusche irgendeines Ballerfilmes, was allerdings nicht zwangsläufig hieß, dass dieser auch noch wach war. Fred wusch sich in dem dreckigen Badezimmer ohne Fenster ein wenig das Gesicht und die Arme, putzte lieblos seine Zähne und legte sich dann schlafen. Nach einem Arbeitsabend fühlte er sich immer etwas leer. Nachdem er stundenlang zu laute Musik auf den Ohren und zu viele Menschen um sich herum hatte, wirkte die Leere seines WG-Zimmers beklemmend. Die leisen Schussgeräusche aus Timos Zimmer halfen da auch nicht sonderlich. Doch heute war da noch etwas anderes. Die Begegnung mit dieser sonderbaren Frau hallte in seinem Kopf nach. Was war mit der gewesen? Auf irgendeine Weise war sie unfassbar seltsam und auf eine andere Art, war da ein wohliges Gefühl. Er empfand ihr gegenüber nichts, das war gar kein Thema. Aber irgendetwas war komisch gewesen. Dieser kalte, durchbohrende Blick. Und dann dieses äußerst freundliche Lächeln, dass nicht aufgesetzt wirkte, aber sein musste.

    Fred wälzte sich noch geraume Zeit von der einen Seite auf die andere. Schlaflos im Bett liegen, das passierte ihm sonst nie. Irgendwann stand er auf, ging auf den Balkon der WG, rauchte eine Zigarette und danach wurde er von einem unruhigen Schlaf übermannt.

    Liebe Rainbow

    vielen Dank für dein Feedback! Die Geschichte an sich ist ja schon fertig, das Tempo kommt also nur durch das Hochladen ^^ aber wenn du sagst, dass das zu schnell ist, dann drossle ich es - sind ja nicht auf der Jagd xD

    Es freut mich, wenn es dir soweit gefällt :)

    LG

    Entschuldigt bitte den Doppel-Post, aber hier kommt das dritte Kapitel:


    3

    Endlich Samstag!

    Tarik freute sich die gesamte Arbeitswoche auf diesen Abend. Jede Woche. Manchmal freute er sich auch schon auf Freitag Abend, nur zur Zeit musste er am Vormittag des ersten Tages des Wochenendes auch noch arbeiten. Und dann stand er da, auf dem Bau, zimmerte ein Brett an das andere oder zog in stundenlanger Arbeit eine Mauer in die Höhe und war mit den Gedanken bei nichts anderem als dem kommenden Samstag Abend. Denn dann ging Tarik immer mit seinen Freunden in die »Disse«. Jede Woche tranken sie gemeinsam bei einem von ihnen zuhause – oder bei gutem Wetter auch mal draußen – vor, meistens waren sie dann schon betrunken, und gingen danach in Club, wo sie die Nacht bis zum ersten Tageslicht durchfeierten. Der nächste Tag wurde dann gepflegt im Bett verbracht, bis es um fünfzehn oder sechzehn Uhr das Katerfrühstück gab. Und da heute Samstag war, stand eine solche Nacht wieder ins Haus. Endlich! Die Arbeitswoche war stressig genug gewesen. Wurde Zeit, dass er sich wieder besaufen konnte, ohne darüber nachdenken zu müssen, und vielleicht sogar ein Weib abschleppen konnte. Er hatte sich sogar den Sack rasiert und sich mit Parfum eingedieselt. Mit sehr viel Parfum.

    Dann hatten sie sich bei Kev getroffen und sich ordentlich einen reingezimmert. Wodka-O und Tequila-Shots; und natürlich das Wegbier, mit dem er zuhause aufgebrochen war. Sie hatten sich mit viel zu lautem Techno auf die Verhältnisse in der Disco eingestimmt, bevor sie zu Fuß und mit dem Bus aufgebrochen waren. Samstags hatte immer das Kisses auf, ein kleiner Schuppen mit nur einem Dancefloor und einer kleinen Bar, hinter der meistens zwei, seltener drei, Barkeeper hockten. Es war kein besonders geiler Schuppen, aber das Bier war billig und die Mucke laut – und natürlich dämlichster Techno und Dancehall. Also genau nach dem Geschmack von Tarik und seinen Freunden. Die Räumlichkeiten hatten auch ihre besten Zeiten hinter sich, die Tapeten waren versifft, die Theken nicht mehr hundertprozentig sauberzukriegen. Und die Toiletten … die Toiletten sollte man am besten gar nicht betreten. Aber tat gut, einmal die Woche diesen Laden zu betreten, dessen warmer Mief ein wohliges Gefühl auslöste.

    Gegen zweiundzwanzig Uhr war die sechsköpfige Truppe am Ende der Warteschlange vor der Eingangstür des Kisses angelangt und gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig hatte Tarik schon sein drittes Bier bestellt. An der Theke standen ein etwa vierzigjähriger Grauhaariger, von dem Tarik wusste, dass er den Spitznamen Rex trug, weil er der dienstälteste Angestellte war. Der andere war ein Student, etwa in Tariks Alter, mit schwarzen, kurzen Haaren und ein paar Stoppeln am Kinn und an den Wangen, den Tarik hier auch schon öfter gesehen hatte, nur hielt er nicht so viel von ihm. Studenten waren alle gleich – die hielten sich alle für was besseres, dabei sollten die mal lernen, was echte Arbeit ist!

    Gerade spielte der DJ einen Hit aus den Neunzigern in einem fragwürdigen neuen Remix nach dem anderen und Tarik hatte sich ein wenig von seiner Gruppe losgelöst und die Massen gestürzt. Der Club, auch wenn er nicht groß war, war bis auf den letzten Platz gefüllt – der Charme des Abgeranzten zog alle jungen Menschen der Stadt an, ob Bauarbeiter oder Student. Tarik blickte sich in dem flimmernden Dunkel um und scannte den Dancefloor nach einer Frau ab, die ihm gefiel. Und dann sah er sie: Sie war hochgewachsen und dünn, trug High Heels und Bluse mit einem schwarz-weißen Blumenmuster und eine enggeschnittene Hose. Ihr dezentes Makeup und der Bob-Haarschnitt führten diese modische Kleidung jedoch ad absurdum. Es wirkte so, als wolle sie sich wie eine Zwanzigjährige kleiden, kam jedoch nicht aus ihrem dreißigjährigen Körper heraus.

    Kurzerhand ging er auf sie zu – in dem typischen Gang, der halb aus Tanzen und halb aus Laufen bestand – und berührte sie am Oberarm. Sie war auf etwas anderes konzentriert gewesen – Tarik konnte nicht feststellen, worauf – und erschrak sich ein wenig. Sie drehte sich abrupt zu ihm um und starrte ihn aus kalten, blauen Augen an. Dieser Blick sagte: Was willst du von mir?

    »Hey Süße, ich hab dich –«, fing Tarik an, gegen den Lärm der Musik anzuschreien, und dabei trotzdem freundlich zu wirken. Er kannte das. Er konnte das. Er hatte schon so viele Frauen im Club abgeschleppt, dass er so seinen Weg gefunden hatte, seinen Charme spielen zu lassen. Und auf die eine oder andere Weise funktionierte es immer. Naja, fast immer. Aber diese Frau, er wusste nicht, was es war, aber irgendwie blockierte sie jede Möglichkeit seinen Charme spielen lassen zu können. Es war fast so, als blicke sie ihm durch die Augen direkt in die Seele. Er war sich sicher, dass sie seine düstersten Geheimnisse lesen konnte.

    »Sag nichts«, sagte sie sehr leise und trotzdem konnte er es sehr gut verstehen, auch wenn er es gar nicht hätte verstehen können durfte, bei den dröhnenden Bässen und scharrenden Synthesizern um sie herum. Dann begriff er – fühlte er, dass er ihre Stimme nicht über seine Ohren wahrnahm, sondern sie in seinem Kopf zuhören schien. Hatte sie überhaupt ihre Lippen bewegt?

    Tarik war kein ängstlicher Mensch, aber gerade schoss ihm kalter Angstschweiß auf die Stirn und die Arme und malte unter seinen Achseln dunkle Flecken auf sein T-Shirt. Irgendwas stimmte mit der nicht! Und Tarik bereute es sofort, sie angesprochen zu haben. Er versuchte, noch irgendwas herauszubringen, doch seine Zunge war wie an seinen Gaumen getackert, genauso seine Füße an den Boden.

    Sie trat auf ihn zu und blickte ihm dabei tief in die Augen – durch die Augen. Tarik konnte sich nicht bewegen, auch wenn sein Bewusstsein vorhanden war. Für eine Sekunde, wenn überhaupt, sahen die blauen, menschlichen Augen dieser Blondine ganz anders aus… die Pupille war nicht rund, sondern ein Strich und sie stand vertikal. Die Iris hatte eine sonderbare Färbung, die Tarik nicht bestimmen konnte. Für diesen Bruchteil einer Sekunde schien ihre so weich scheinende Haut um den Augen herum ihr Aussehen zu ändern, als würde sie für einen Augenblick keine Haut, sondern grünliche, schimmernde Schuppen haben.

    Dann löste die Frau ihren Blick, drehte Tarik den Rücken zu und verschwand in der tanzenden und rasenden Menge. Tarik stand da mit leicht geöffnetem Mund und starrem, trüben Blick. Er konnte sich nicht rühren. Er schrie um Hilfe und brüllte sich die Stimme aus dem Hals. Aber niemand nahm ihn für voll, keiner der dutzenden Menschen um ihn herum, schien seine Misere zuerkennen oder auf seinen Hilferuf zu reagieren. Er schrie und schrie. Er wusste nicht, dass man seine Schreie nicht hören konnte.

    Lieber Sensenbach

    Vielen Dank für deinen Kommentar! Der Stil wird auch nicht die ganze Geschichte so extrem bleiben (auch wenn die Richtung natürlich gleich bleibt), finde ich zumindest^^ Zu deiner Frage, welche Art von Kommentaren ich mir wünsche: Das ist schwierig zu beantworten; prinzipiell jede Art, Gedanken, Gefühle zu dem Abschnitt, wenn irgendwelche groben Schnitzer oder sowas drin sind auch gerne Hinweise darauf!

    Ich gebe direkt mal das zweite Kapitel preis :)


    2

    Ihre hochhackigen Schuhe knallten auf dem blauweißen Marmor, doch ein mögliches Echo wurde direkt von den schweren, protzigen Wandteppichen geschluckt. In regelmäßigen Abständen zwischen jenem edlen Brokat befanden sich als Kerzen getarnte Lampen, die ein goldenes Licht verbreiteten. Jetzt wurden ihre Schritte von einem ebenso schweren Teppich gedämpft, sodass das aufsehenerregende Donnern ihrer Absätze verstummte.

    Der Gang war von einigen Türen gesäumt, die mit Zimmernummern versehen waren. Die junge Frau mit den glatten, zum Bob geschnittenen blonden Haaren, in dem adretten graugestreiften Hosenanzug und mit den strengen Gesichtszügen, die viel älter wirkte, als sie war – als ihr Körper war –, befand sich in dem teuersten Hotel der Stadt. Zielstrebig steuerte sie die Ostsuite an, in der sie residierte, wie ihr der alte Mann an der Rezeption versichert hatte.

    Der Flur machte eine Kurve nach links und schlagartig verschwanden die Türen von den Seiten. Nur am Ende des kurzen Restganges befand sich eine große, doppeltürige Pforte, die aus weißem Holz mit goldenen Beschlägen bestand. Prunk und Protz war der jungen Frau nicht fremd, ihre Familie hatte immer so gelebt, und würde es wahrscheinlich immer tun. Auch wenn die aktuellen Ereignisse Zweifel an dieser Tatsache schürten.

    Vor der Pforte schlug sie die erhöhten Hacken in den Teppich und klopfte energisch und laut an die weiße Tür. Nach wenigen Augenblicken wurde die Tür geöffnet und ein alter Mann mit schütterem Haar und Altersflecken unter den Augen streckte den Kopf hinaus.

    »Wer da?«, fragte er mit heiserer Stimme, »ach, Sharleen! Ihr seid es. Kommt herein, sie erwartet Euch.«

    Er trat beiseite und öffnete die Tür weiter, damit sie eintreten konnte. Vor ihr offenbarte sich der ganze Stolz des Hotels: eine Suite, Maisonnette, mit hohen Fenstern und heller Tapete. Sie stand in einer Art großem Wohnzimmer, von dem die Treppe nach oben führte, wo sie den Schlafbereich und vielleicht ein Badezimmer vermutete. Diese Suite wirkte nicht weniger prunkvoll als alles andere, was sie bisher von dem Hotel gesehen hatte. Ein großer Fernseher hing an der Wand und davor stand ein niedriges Sofa aus grauem Stoff mit zwei dazugehörigen Sesseln, wovon einer ein Ohrensessel war. Das ist genau etwas für sie, dachte die junge Frau. Im anderen Teil des Raumes stand ein langer Tisch mit genügend Stühlen und ein Sideboard an der Wand, das mit allerlei Dekokram – hauptsächlich ein Kandelaber und marmorne Figürchen – bestellt war. Die Treppe war eine ausladende Wendeltreppe, die sich aber nur ein halbes Mal um sich selber drehte.

    Der Alte, der sich nun in Bewegung setzte und, buckelig wie er war, voran hinkte, sagte: »Folgt mir, Herrin.«

    Die beiden schritten durch den Raum und steuerten genau auf die Treppe zu, wobei der Alte es jedoch tunlichst vermied, mit seinen Lackschuhen den riesigen Teppich, auf dem das Sofa und die Sessel standen, zu betreten. Würde sie je mitbekommen, dass er mit seinen Schuhen darauf trat – und man konnte nie sicher sein, dass sie etwas nicht mitbekam, dann würde sie ihm den Kopf abreißen. Oder schlimmeres.

    Sie stiegen die kurze Treppe hinauf und die junge Frau fürchtete bei jeder Stufe, die der Alte nahm, dass ihm die Beine brechen würden, so sehr zitterte er bei jeder kleinsten Anstrengung. Dann sah sie es schon. Der Raum war im selben Stil gehalten, wie der unten. An der Außenwand waren zwei weitere Fenster und rechts von ihnen war eine Tür, die offensichtlich ins Badezimmer führte – durch den Schlitz war eine vergoldete freistehende Badewanne zu erkennen. Im rechten Teil des Raumes stand, ebenfalls frei, ein großes Himmelbett mit Nachttischchen und unter den schweren metallenen Beinen des Bettes litt ein sehr platter Bär unter dem enormen Gewicht und starrte entsprechend leer vor sich her.

    Der Diener führte sie bis an die rechte Seite des Bettes und seine Stimme schnarrte: »Mˋlady? Sharleen ist eingetroffen, Herrin.« Dann zog er den Vorhang des schweren Baldachins auf und zog sich zurück.

    Sharleen trat etwas heran und musste sich anstrengen, um in dem dämmrigen Licht etwas zu erkennen und dann sah sie sie. Sie lag mit der Decke bis unter das spitze Kinn hochgezogen da, den Kopf halb zur Seite gedreht, die Augen nur einen Spalt geöffnet. Die Haut war grau und hatte tiefe Furchen. Ihr schütteres weißes Haar lag platt auf dem viel zu hohen Kopfkissen. Ihr Mund war leicht geöffnet und ihre Lippen zitterten feucht.

    Scheiße, sie sieht überhaupt nicht gut aus, dachte Sharleen bestürzt.

    »Sharleen…«, der dünnen, brüchigen Stimme konnte man die Anstrengung, die das Aussprechen dieses einen Wortes gekostet hatte, genau mitklingen hören.

    »Mutter! Du siehst … gut aus«, für eine Sekunde konnte man ihre Bestürzung hören, doch Sharleen hatte ihre Stimme schnell wieder unter Kontrolle und klang wieder so kühl und distanziert wie immer.

    »Du weißt, ich hasse Lügner«, hustete ihre Mutter.

    »Wie geht´s ihr?«, fragte Sharleen, den Kopf über die Schulter zu dem Diener gewandt.

    »Etwas besser als letzten Monat, gestern war sie sogar auf ihren Beinen. Aber heute … wir wissen auch nicht, warum es ihr heute so schlecht geht.«

    »Ihr braucht nicht über mich reden, als wäre ich nicht da. Ich bin zwar alt, aber noch nicht tot!« Das Bett erzitterte als die alte Dame – und sie war wirklich sehr alt – versuchte, sich ein wenig aufzurichten.

    »Verzeih, Mutter«, Sharleen setzte sich auf den Rand des Bettes und strich ihr über die faltige Wange, »wie geht’s dir?« Diesmal schwang in ihrer Stimme sogar etwas mit, was man für Empathie halten könnte.

    »Hat Alfons grade schon beantwortet. Mach dich nicht lächerlich!«

    »Nun gut…«, sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, richtete ihren Kragen und fragte mit neuer Kühle: »du hast mich rufen lassen?«

    »Ja«, ein neuer Hustenanfall brachte den dürren Leib der Bettlägerigen zum Beben. Als sie sich beruhigt und die besorgten Blicke von Sharleen und Alfons ignoriert hatte, fuhr sie fort: »es gibt Neuigkeiten in … in dieser Sache. Alfons hat … hat eine Akte für dich.«

    Sharleen blickte in Alfons graue, trübe Augen und konnte genau sehen, wie sich sein Blick aufhellte, als er den Befehl verstand. Drei Minuten später, die nur von seinem Geschlurfe von unten und Mutters schwerem Atem erfüllt war, stand er der jungen Frau wieder gegenüber und händigte ihr einen dünnen, braunen Papierumschlag aus. Auf dem Umschlag stand etwas in einer sehr alten Sprache, die Sharleen lange nicht mehr gesehen oder gehört hatte und die sie auch nur konnte, weil ihre Mutter ihr sie so eingebläut hatte. Sie öffnete den Umschlag und ihr fiel ein Foto und ein beschriebenes Blatt Papier entgegen. Sie las sich den kurzen Text durch und blickte dann auf.

    »Wir haben ihn?«

    »Wir wissen zumindest jetzt, wo wir ihn finden. Und er ist der Schlüssel zu … du weißt schon. Jetzt ist es deine Aufgabe, ihn ausfindig und vor allem –«, ein Hustenanfall unterbrach die alte Frau, »gefügig zumachen.«

    Sharleen nickte und betrachtete das Passfoto, das in großem Format ebenfalls in dem Umschlag lag. Ein schwarzhaariger Kerl Anfang Zwanzig mit Dreitagebart und einem verschlagenen Blick – nichts allzu besonderes. In der Stadt würde sie ihn leicht übersehen, wenn sie ihn nicht suchen würde.

    »Es wird Zeit«, fuhr Mutter fort, »dass dieses Unrecht ein Ende findet. Dass du dieses Unrecht beendest! Für unsere Vorfahren. Für unser Vermächtnis. Für –« ein erneuter Hustenanfall, »– deine Mutter.«

    »Du kannst dich auf mich verlassen«, erwiderte Sharleen mit starker, ja, man könnte fast meinen wütender Stimme, »ich erledige das!«

    Hey, ihr Lieben!

    Das Forum und ich führen aktuell eine ziemliche On/Off-Beziehung, aber ich schreibe privat immer mal wieder Geschichten. Ich habe das Genre ein wenig gewechselt, von der High Fantasy rüber zu Horror/Mystery/Grusel - irgendwas in der Richtung. Ich dachte mir, ich teile mal meine neueste (und bisher längste) Geschichte mit euch. Als kleinen Disclaimer möchte ich nur anmerken, dass es viel Nudity und Graphic Language gibt - aber wir sind ja keine Kiddies mehr ;)

    Die Geschichte ist bereits abgeschlossen, und ich werde hier ein Kapitel nach dem Anderen hochladen. Ich wünsche euch viel Spaß, mit der »Königin der Schlangen«!

    Euer Thráin

    PS: Ich weiß nicht, welchem Subgenre ich sie hier am besten zuordnen könnte.

    1

    Auf der Mattscheibe lief irgendein billiger Fantasystreifen, der hauptsächlich von riesigen Schwertern und noch riesigeren Schlangen handelte, doch das beachtete er gar nicht, weil sie ihn gerade laut stöhnend ritt und ihre Brüste dabei wild auf und ab hüpften. Die Symbiose aus Schweiß und Pheromonen stieg ihm als süßlich bitterer Geruch in die Nase und brachte ihn beinahe um den Verstand. Ihre nackte Schönheit, die großen Brüste, die dünne Taille und die wundervollen Rundungen hatten seinen Blick ganz auf sich gebannt. Ihre dunkelbraunen Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen und tapfer mitwippten und diese eine Strähne, die ihr immer über das Auge fiel, zogen ihn noch tiefer in ihren Bann. Jetzt gerade würde er alles für diese Frau tun.

    Das letzte Licht des Tages fiel zwischen den halb zugezogenen Vorhängen hindurch und malte bizarre Muster auf den Boden und das Bettlaken. Auf der anderen Seite der Wand rumorte gerade sein WG-Mitbewohner in der Küche, machte sich vermutlich Abendbrot und konnte das Paar garantiert hören, aber das war Fred egal. In Ekstase warf er sie auf ihren Rücken, und beugte sich weit über sie, um noch tiefer in sie eindringen zu können. Dass das Festnetztelefon klingelte, das sich die WG teilte, und sein Mitbewohner in den Flur schlurfte, um den Anruf entgegenzunehmen, bekam er gar nicht mit. Noch bevor das Telefonat beendet war, wurde Freds Atem schwer; er warf den Kopf in den Nacken und kniff bei den letzten Stößen die Augen fest zu und stöhnte laut auf.

    Jetzt lag er auf dem Rücken wie eine Schildkröte, Arme und Beine weit von sich gestreckt, und atmete schwer. Josephine strich ihm mit ihren glühenden Fingern über die Lippen, den Hals hinab, über die Brust und den Bauch bis zu seinem Penis, gab ihm einen Kuss auf die Lippen, der nach Sex schmeckte, und stand dann langsam auf.

    » … gerade beschäftigt. Er ruft Sie in fünf Minuten zurück … «, hörte er seinen Mitbewohner mit seiner von Zigaretten und Kaffee gefärbten Stimme durch die geschlossene Tür sagen, während Josephine in seinen blau-weiß gestreiften Bademantel schlüpfte, der dringend mal wieder gewaschen werden müsste. Fred fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, kratzte sich an seinen Bartstoppeln und schaute seiner Freundin dabei zu, wie sie den Gürtel des Mantels vor ihrer dünnen Hüfte zu knotete und auf nackten Fußsohlen leise aus dem Zimmer schlich, als würde sie davon ausgehen, dass Freds Mitbewohner nicht mitbekommen hätte, dass sie da ist. Fred musste schmunzeln.

    »Oh … ähm, hey Timo!«, drang die zarte Stimme seiner Freundin aus dem Flur an sein Ohr.

    »Hi, Josephine«, hörte er Timos Stimme und man konnte erkennen, dass er grinste.

    Dann hörte er, wie die Badezimmertür quietschend zugezogen wurde und seine Gedanken drifteten ab, während er beiläufig seinen Sack richtete. Wer könnte das sein, der da am Telefon etwas von ihm gewollt hatte? Dass der Anruf für ihn war, stand fest, denn der dritte Mitbewohner war seit zwei Monaten bei seinen Eltern und das vierte Zimmer wurde von einer jungen Erasmus-Studentin aus Russland bewohnt. Bestimmt war es sein Chef. Bestimmt würde er fragen, ob Fred spontan einspringen und heute Abend eine Schicht übernehmen würde. Ganz bestimmt nicht! Auch wenn Josephine den Abend nicht bleiben würde, weil ihre Großmutter sie erwartete, so hatte er heute keine Lust, jetzt nochmal losfahren zu müssen.

    Die Toilettenspülung riss ihn aus den Gedanken und er stand auf, zog sich eine Jogginghose an, wobei er auf die Unterhose verzichtete und stiefelte langsam in den Flur. In der Küche plinkte die Mikrowelle und es roch nach Fertigschnitzeln.

    Als Timo die Tür zu Freds Zimmer zufallen hörte, streckte er den Kopf aus der Küchentür, erblickte den Zweiundzwanzigjährigen und offenbarte mit einem breiten Grinsen seine gelben Zähne.

    »Naaaaa? Druck abgelassen?«, sagte er und lachte sein typisches, dreckiges Lachen.

    »Fick dich«, antwortete Fred, musste aber auch lachen.

    »Am Telefon – dein Boss. Du solltest ihn zurückrufen.« Die Mikrowellentür wurde zugeschlagen und ein Teller mit Fertigschnitzeln aus dem nächstliegenden Netto, deren Anwesenheit Fred bereits vermutet hatte, landete auf dem kleinen Küchentisch, neben einem Dosenbier und einem Teller mit trockenen Nudeln. Timo war immer schon ein Feinschmecker gewesen.

    Auf dem Tisch stand auch ein Aschenbecher, in dem eine halb aufgerauchte Zigarette in einer der Einkerbungen im Rand ihr Dasein fristete. Fred angelte sie sich mit spitzen Fingern, steckte sie sich zwischen die Lippen und schlurfte zum Telefon. Die Toilettenspülung ging erneut.

    »Schreiner?«, meldete sich Freds Chef nach nur einem Tuten. Er klang gestresst und genervt. Fuck, keine guten Voraussetzungen, dachte Fred.

    »Jo, hier is’ Fred. Sie hatten angerufen?«, versuchte er so freundlich wie möglich zu klingen.

    »Ja. Klar. Natürlich. Du sachma, ich weiß, du hättest heute Nacht frei, aber Lukas und Schorsch sind mir beide von der Schippe gesprungen und Lena is’ im Urlaub auf irgendeiner beschissenen Insel. Könnteste nicht heute Abend bis wir schließen mit Rex ein wunderschönes Barkeeper-Duo abgeben?«

    Nein. Auf keinen Fall. Fick dich, du Arschloch, frei heißt frei, hätte Fred am liebsten gesagt. Stattdessen antwortete er: »Wenn’s nich’ anders geht.«

    »Danke dir! Ich versuch auch, deine Schicht nächsten Samstag an einen der beiden Idioten abzutreten.«

    Fred verstand, dass das Kisses zu groß war, um mit einem Barkeeper auszukommen, besonders an einem Samstag Abend. Er hatte trotzdem keinen Bock, auch wenn seine Hoffnung auf eine zweite Runde mit Josephine sowieso bereits von ihrer Seite zerschmettert worden war. Wenn er einem Kommilitone, erzählte, er arbeite nebenberuflich als Barkeeper, stieß er immer auf Neid und Begeisterung. Er selber fand es meistens zum Kotzen – nüchtern musste er betrunkene Tussen und noch betrunkenere Wichser bedienen, die diese Tussen bloß ficken wollten.

    »Dann bin ich um sieben da?«, fragte er nach.

    »Spätestens!«

    »Bis dann.« Du mich auch, Pisser.

    Der Wanderer vielen Dank! Tut mir leid, dass ich so etwas damit bei dir ausgelöst habe, aber dein Lichtzauber war sehr schön! Danke dir dafür <3

    Seemonster Hey, danke dir für dein tolles Feedback! Das Problem an Depressionen ist es ja, überhaupt erst einen Hilfeschrei auszusenden - das ist zumindest, was mir so unfassbar schwer fällt. Das und sich selber aufgerappelt zu bekommen, etwas dafür (bzw. dagegen) zu tun. Und danke dir für deine Worte, und du hast recht, das Gedicht ist sehr persönlich und es war absolut nicht leicht, es anderen zugänglich zu machen. Die Zeilen befanden sich tatsächlich schnell auf dem Papier, aber auch nur, weil man ja prinzipiell erst mal nur für sich selber schreibt. <3

    Eine Kleinigkeit (Es ist absolut nicht schlimm und ich fühle mich nicht angegriffen, musste eher schmunzeln): Wenn man mich als das bezeichnen möchte, was du am Ende deiner Nachricht getan hast (dafür auch nochmal danke!!), dann bin ich doch eher ein Künstler, und keine Künstlerin^^

    Hallo Dinteyra ,

    vielen Dank für dein Feedback! Das verstehe ich voll und ganz und in einem gewissen Rahmen gehört es ja auch dazu - zu mal man ja in Gedichte erst mal interpretieren darf, was man möchte ^^

    Zu deinem PS, also ich habe aktuell eine recht schwere Zeit, habe mit Depressionen und ein paar anderen Problemen zu kämpfen und daraus ist dieses Gedicht entstanden. Also einen gewissen realen Kern hat das Gedicht, aber es ist auch ein Thema, mit dem ich mich schon häufiger beschäftigt habe :)

    Hallo, ihr Lieben :)

    Heute möchte ich ein sehr ernstes Gedicht mit euch teilen.

    Viel Spaß damit

    Euer Thráin


    Hilfeschrei

    Schwere Schatten liegen

    auf meiner Seele und obwohl

    ich sie schon so oft vertrieben

    drücken sie mich durch ein totes Tor

    Hinab in Abgründe starrend schwarz

    und feindlich gesinnt

    Gedanken wie brennendes Harz

    Schicksalsblut an meinen Augen gerinnt

    Die Schatten ziehen an meinem Leib

    drohen mich zu zerreißen

    ersticken meinen Hilfeschrei

    Niemand hört hin, vielleicht bin ich zu leise

    Ich stürze immer weiter

    in diesem Loch bis ich den Fall nicht mehr

    spüren kann. Nichts, nur mein stetes Scheitern

    Dämonen fressen meine Sinne leer

    Dämonen fressen meine Sinne leer

    Fressen meine Augen aus

    Fressen von mir immer mehr

    Verschlingen mich

    Verschlingen mich

    Wir sind Blätter im Wind verweht

    Balancieren auf der Reißleine

    Schattenjäger, deren Licht vergeht

    Zähnebleckend Biester im Scheine

    Unserer Aufgabe unbewusst

    Torkelnd trottbetrunken gehen wir

    Getrieben von Seelendurst

    Blind aneinander vorbei

    Aneinander vorbei

    Jeder von uns kennt sie

    Die Monster zähnebleckend

    Die Gedanken alles fressend

    Die Lippen, zugenäht sind sie

    Jeder von uns schreit um Hilfe

    Doch dringt es nicht nach außen

    Jeder von uns will Hilfe

    doch lässt nicht zu, dass man ihn hört

    Dämonen fressen meine Sinne leer

    fressen meine Augen aus

    fressen von mir immer mehr

    Immer mehr

    Fressen mich.

    Bis zum letzten Schuss

    Ich tauche auf

    aus Dunkelheit und Dreck

    Die Nacht nimmt ihren Lauf

    wie die meisten vor ihr

    Ein Meer aus süffisanten

    Lichtern und netten Tanten

    Regenbogen, Napf voll Gold

    Der wildeste Trip, ist mir hold

    Ich stürze durch die Räume

    Küche, Bad und Flur

    verfolgt von Angst und Träumen

    Die Sucht zieht um den Hals die Schnur

    Tausend Lichter glitzern wild

    Tausend Scherben springen wild

    Du bist mein Schutzschild

    Ich suche meinen Schutzschild

    Ich

    ich

    ahhh

    ich speie

    Lampen jagen Schatten

    Schatten fressen meine Seele

    Gedanken scharren wie Ratten

    Ich spucke erneut in die Schale

    Doch

    ich krieg nicht genug

    Ich krieg nie genug!

    Ich träume von dir, von deinem Geschenk

    Eine bessere Welt als diese hier:

    das ist dein Geschenk

    Ich stolpere zurück ins Bett

    Kann nicht mehr stehen

    Doch deine Anwesenheit wäre nett

    Ja, ja, ja, das dürfte gehen

    Ich greife nach der Spritze und

    setze sie an meiner Vene an

    Augen zu, ich schwebe von dannen

    Schaum tropft aus dem Mund

    Du warst mein Licht und meine Gier

    Brauchte dich immer ganz nah bei mir

    Bekam nie genug von dir, Unmengen schier

    Doch alles hat seinen Preis:

    nun bin ich nicht mehr hier.


    ___

    Keine Angst, das lyrische Ich bin nicht ich^^

    LG

    Thráin

    Hey, Leute :)

    Ich habe Ende letzten Jahres zwei kurze, voneinander unabhängige Geschichten geschrieben, die nicht der Fantasy sondern eher dem Thriller/Grusel zu zuordnen sind. Ich habe mit denen mal etwas Neues ausprobiert, nämlich eine brutale, reelle Welt und eine sehr direkte, ungeschönte Bindung zum Protagonisten aufzubauen. Beides habe ich bisher selten getan, weil ich in der Fantasy (auch Dark Fantasy) ja trotzdem eine gewisse, namensgebende Fantastik reinbringe :D Aktuell schreibe ich auch in diesem, bzw. einem ähnlichen Stil weiter, weil er mir sehr gefällt (habe mich vll ein bisschen von meinem wiederentdeckten Lieblingsautor Stephen King beeinflussen lassen :D ). Die erste Geschichte namens "Linie 17" möchte ich euch nicht vorenthalten. Ich möchte allerdings anmerken, dass sehr viele Schimpfwörter fallen und brutale oder obszöne Vorgänge relativ detailliert beschrieben werden (ich hoffe, ich verletzte keine Regularien, die ich grade nicht aufm Schirm habe). Ich wünsche euch ganz viel Spaß mit der Geschichte :)


    LINIE 17

    - 1 -

    Marvin, genannt Marv, Macintosh stand am Bahnsteig einer New Yorker U-Bahn-Station. In zwei Minuten sollte seine Bahn mit der Nummer 17 einfahren. Es war ein früher Donnerstagabend und der 27jährige war auf dem Heimweg von der Arbeit, in einem Büro irgendeines Unternehmens in Downtown.

    Marv hatte schon viele Jobs – meistens irgendwelche Bürojobs –, aber war nie lange an ein und demselben Ort geblieben. Entweder wurde ihm gekündigt, weil er ohne Krankmeldungen und viel zu häufig einfach nicht im Büro erschien oder in seiner viel zu kleinen, viel zu dreckigen Bude auf der Couch zwischen unzähligen Bier- und Schnapsflaschen und einer Line Koks auf dem Couchtisch aus schwerem Holz, den er damals nach der Auflösung des Hausstandes seiner Oma bekommen hatte, versank. Oder er schrieb eine Kündigung mit dumpfem und dröhnendem Schädel nach einer

    solchen Nacht, nach der er sich am liebsten vor einen Zug geworfen hätte.

    Aber nein, das hätte doch keinen Sinn.

    Nur Feiglinge sehen den Tod als Ausweg.

    Und Marv war kein Feigling – ganz sicher. Er hatte kurze, schwarzen Haare und lief immer mit einem finsteren Blick durch die Gegend, um ja nicht den Anschein zu erwecken, er wäre ein … Feigling.

    Feigling.

    Das hatte sein Stiefvater immer zu ihm gesagt, während er ihn schlug. Ein 7jähriger Junge, der sich nirgends sicher fühlt, nicht einmal bei der eigenen Mutter, so ein Junge begann, sich zu von der Außenwelt komplett abzukapseln.

    So war er als junger Teenager von zuhause weggelaufen. Seine Oma, die in einem Außenbezirk von New York lebte und die ihre eigene Tochter nicht leiden konnte, nahm ihn bei sich auf. Doch als er 17 war, verstarb sie. Und da hatte er begonnen, das zu tun, was er auch jetzt tat: trinken, von einem Job zum nächsten hetzen, mit der Miete im Minus sein (doch in der Gegend, in der er wohnte, schien das den Vermieter nicht besonders zu interessieren) und sich wild durch die Nachtclubs der Stadt zu vögeln.

    Marv strich sich eine Strähne schwarzen Haares aus der Stirn und blickte auf sein Smartphone. Er hatte eine WhatsApp-Nachricht von seinem besten Freund, beziehungsweise dem Typen, den er als das bezeichnete, Greg. Sie machten eigentlich nicht viel, außer hin- und wieder gemeinsam saufen zu gehen, durch die Clubs ziehend, sich Lines ziehend, die Abende um die Ohren zu schlagen – Greg wusste nicht, dass Marv ein Verhältnis mit dessen Freundin hatte. Ein sehr peitschenreiches Verhätnis.

    Nein, Marv war ganz sicher kein Feigling.

    Wenn es darauf ankommen sollte, würde er Greg unter die Nase reiben, wie hart er es doch seiner Freundin geben würde und wie sie dabei schrie und wie sie ihm jedes Mal sagte, er wäre so viel besser als Greg.

    Aber darauf kam es nicht an. Greg war gut genug, um mit ihm die Clubs und Bars unsicher zu machen, mehr brauchte Marv nicht. Wenn der Typ sich irgendwann verabschieden würde, würde ihn das nicht stören.

    - 2 -

    Wenn die beiden mal unterwegs waren, war es auch schon vorgekommen, dass Greg sich eine Frau aussuchte und sie dann mit nach Hause nahm, für schnellen Sex, oder es direkt auf dem Kneipenklo oder hinter der Disco mit ihr tat.

    Marv hatte ihn bisher immer gedeckt und dessen Freundin nie etwas davon erzählt. Egal, wie leicht das für ihn gewesen wäre. Er hätte bloß, nachdem er es ihr besorgt hatte, am Rande erwähnen müssen „hey, dein Freund, Greg, der betrügt dich mit irgendwelchen Weibern“.

    Aber für ihn persönlich reichte dieses Decken als Rechtfertigung. Denn was war schlimmer – die eigene Freundin mit irgendwelchen leichten Mädchen aus dem Night Life zu betrügen oder den „besten“ Freund zu hintergehen, indem man dessen Freundin fickt?

    Ersteres, ohne Frage.

    Schließlich betrog Marvin ja niemanden und Greg, den konnte er notfalls austauschen.

    Er war sich keiner Schuld bewusst.

    - 3 -

    Er überflog die Nachricht nur, verstand nicht ganz worum es ging, bestimmt nur so etwas wie „wie sieht‘s mit morgen aus? Bock durch die Clubs zu ziehen?“ und dann irgendein bescheuerter Emoji.

    Marv konnte zwischen den Zeilen lesen. Greg wollte in Wahrheit nicht feiern gehen, er wollte nur irgendein wildfremdes Mädchen bumsen, weil seine Freundin ihn wieder nicht heranließ.

    Mit einem hämischen Gesichtsausdruck steckte er sein Telefon wieder weg.

    Ein paar Meter entfernt von ihm quatschten zwei alte Frauen darüber, dass doch wieder einer aus dem Bekanntenkreis abgekratzt ist, dass der Freundeskreis ja doch immer kleiner wird

    (ja so is‘ das, wenn man älter ist als Morgan Freemann und dem Sensenmann nur entkommt, weil man ihn wegen der eigenen Kurzsichtigkeit nicht sieht)

    und wie schade das ist und ob man sich nicht mal wieder zum Kaffeetrinken und Kuchenessen bei Eleanore treffen will.

    Bei Eleanore? Hast du denn nicht mitbekommen? Die hat auch schon ins Gras gebissen und sieht sich inzwischen die Radieschen von unten an.

    Was? Oh Herr im Himmel! Dabei habe ich doch noch ihr Waffeleisen!

    Vielleicht war ja auch das der Grund dafür, dass sich die liebe Eleanore jetzt mit Würmern und Maden über die neue Frisur von Edith unterhalten musste. Sie hatte unbedingt ihr Waffeleisen wieder zurückgewollt.

    Marv seufzte.

    In der anderen Richtung sprachen laut und spuckend irgendwelche idiotischen Teenager in Jogginghose und Adidas-Trainingsjacken über das neueste Album von irgend so einem geldgierigen Rapper, der nur darüber sprach, wen er alles abknallen, wen er alles betrügen und wessen Mütter er ficken wolle.

    (ihr habt nicht mal ein Haar am Sack und profiliert euch mit so einer scheiß Musik und wenn euch ein Mädchen auch nur angucken würde, würdet ihr den Schwanz einziehen – traurig)

    Von denen gab es zu viele, weil die meisten Idioten waren und es wurden immer mehr.

    Marv seufzte.

    Es war viel los auf dem Bahnsteig und die Bahn würde auch voll sein, die meisten fuhren jetzt von der Arbeit oder von der Schule nach Hause.

    Wann kommt endlich dieser scheiß Zug?

    - 4 -

    Aus dem Tunnel kam ein scharfer Wind, der die Bahn ankündigte.

    Marv stellte den Kragen seiner Jacke auf und zog die Schultern hoch. Er machte einen Schritt weg von der gelben, auf die Steinplatten gemalten Linie, die den Sicherheitsbereich auf dem Bahnsteig markierte.

    Wenige Sekunden später konnte er zwei gelbe Lichtkegel aus dem dunklen Tunnel herausschießen sehen, gefolgt von der typisch metallic-grauen Bahn, die für die Uhrzeit normal voll war, einen Sitzplatz würde der junge Mann trotzdem aber nicht bekommen.

    Die Bahn wurde langsamer und hielt mit schmerzlich quietschenden Bremsen – die Wagen waren nicht mehr die neuesten.

    In denen saß bestimmt schon Washington, dachte Marv sarkastisch.

    Die Türen schwangen auf, und auf dem Bahnsteig bildeten sich bereits Trauben um sie, obwohl jeder wusste,

    (wie die Ameisen… ein Hofstaat ohne eigenes Hirn, der fremdgesteuert folgt, ohne an andere zu denken. Hier müsste nur einer Heil Hitler schreien. Pah, ekelhaft)

    dass eh erst einmal eine Flut an Menschen aussteigen wollte.

    Marv seufzte und begab sich seelenruhig zu der Tür die ihm am nächsten war.

    Die über Rap flanierenden Teenager betraten den Wagen ebenfalls durch die Tür, die auch Marv nahm. Einer von ihnen drängelte sich

    vor und schnitt dem jungen Mann den Weg ab, wofür er von diesem ein tiefes Knurren zu hören bekam.

    - 5 -

    Vor ein oder zwei Minuten war die Bahn wieder angefahren und Marv stand in einem der Gänge, die Hände mit festem Griff um eine der Stangen geschlossen, die über den Köpfen der Passagiere

    (Ameisen)

    montiert waren, damit nicht bei einer Bremsung alle der stehenden Insassen

    (oder Termiten)

    wie Dominosteine umkippten. Bei dieser Vorstellung musste er amüsiert schmunzeln.

    Es geschah nichts. Es war ein völlig normaler, ruhiger Frühabend in einer New Yorker U-Bahn. Marv sah aus dem Fenster, aber weil da draußen alles dunkel war, sah er bloß sein Spiegelbild, beleuchtet von diesem mattgelben Neonlicht. Das war er also, dieser Typ da. Er konnte sich selber nicht besonders leiden, aber andere meistens noch weniger.

    Die Minuten vergingen. Marv hatte ungefähr eine Viertelstunde Fahrt vor sich, nach der er noch einmal genauso lange zu Fuß unterwegs war, um dann seine Wohnungstür aufzuschließen.

    Mehr wollte er nicht.

    Die Minuten verstrichen. Nichts geschah. In einer Sekunde, Marv hatte mit leerem Blick vor sich her gestarrt, spürte er ein leichtes

    Piksen in seinem Nacken, das ihn überrascht zusammen zucken ließ.

    Er fuhr sich mit der Hand an die Stelle und drehte sich leicht um, ob da jemand stand.

    Hinter ihm war niemand, der so aussah, als wollte er etwas von ihm. Mit seinen Fingern rieb er kurz über die Stelle, konnte aber nichts komisches spüren und auch, als er die Hand wieder zurück nahm und seine Fingerspitzen betrachtete, entdeckte er nichts Außergewöhnliches.

    Somit tat er es als nichts wichtiges ab.

    War bestimmt nur so ein Muskelzucken. Manchmal war es ja so, dass Muskeln zuckten. Ja so etwas musste das gewesen sein.

    Ja, das war bloß ein Muskelzucken gewesen.

    Zwei Sekunden später hatte er es auch schon wieder vergessen.

    - 6 -

    Mit der Zeit wurde sein Atem schwer, es fühlte sich so an, als würde ihm etwas auf der Lunge liegen, etwas, das seine Brust mit Gewicht belegte. Er keuchte beim Atmen.

    Das Stehen fiel ihm schwer.. Und immer schwerer.

    Scharfe Kopfschmerzen schnitten ihm durch die Schläfen.

    Was zum Teufel …?

    Es fühlte sich an, als würde sich eine Wattewand zwischen ihn und das Geschehen um ihn herum schieben – die Geräusche von Zug und Menschen wurden leise und dumpf und seine Sicht wurde verschwommen.

    Er hörte sich selber „hallo?“, „was ist das?“, „hallo!“ sagen, aber anscheinend reagierte niemand.

    Er stützte sich an die Stange und ihm wurde schlecht.

    Das kreischende Geräusch in seinem Kopf wurde immer lauter. Und lauter. Marv hatte das Gefühl, dass gleich sein Kopf platzen und alle Menschen um ihn herum dann von seinem Blut und seiner Gehirnmasse getränkt werden würden.

    Seine Adern pochten, er hörte seinen eigenen, schnellen, unregelmäßigen Herzschlag lauter als alles andere.

    - 7 -

    Er blickte sich um.

    Sieht mich denn keiner?

    „Hallo!“ Weiterhin keine Reaktion.

    Er sah den Gang entlang, vorbei an den Köpfen der anderen Passagiere, die ihn anscheinend nicht sahen. War da irgendjemand, der ihm helfen konnte?

    Plötzlich wurde der Zug dunkel.

    Marv schwitzte.

    Nach wenigen Sekunden ging das Licht wieder an. Sowohl die anderen Fahrgäste, als auch das Gefühl, dass der Zug fuhr, waren verschwunden.

    „Ha… hallo?“

    Er stand mehrere Meter von einem Durchgang zu einem anderen Waggon entfernt. Und plötzlich bildete sich in diesem eine schwarze

    Wolke Flüssigkeit.

    Sie wuchs und stieg auf, bis sie in der Luft schwebte.

    Sie wuchs und wuchs. Mittlerweile war sie so groß, dass Marvin nur den Arm hätte ausstrecken müssen, um sie zu berühren. Aber das wollte er nicht, er fürchtete sich vor dieser sonderbaren, jeglichen physikalischen Gesetzen trotzende Masse.

    Er konnte es nicht erklären, aber es sah so aus

    (nein, fühlt sich so an)

    als würde sie – leben. Die Flüssigkeit pulsierte und es sah so aus, als hätte sie einen Willen.

    Dazu gesellte sich ein unterschwelliges Dröhnen, dass Marv auf die Trommelfelle drückte und das Gefühl, dass sein Schädel bald platzen würde, noch verstärkte.

    Es schien, als würde sich aus dem Dröhnen eine Stimme formen, langsam und schmerzerfüllt.

    Ein tiefer, dunkler Schrei. Ein Schrei, den man hörte, wenn jemand solche Schmerzen erlitt, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte – und wollte.

    In Marvs Augenwinkeln sammelte sich Tränenflüssigkeit. Er drehte sich so schnell um, wie er konnte (es fühlte sich trotzdem wie im Schneckentempo an) und wollte rennen. Er wusste, dass er sich in einem Zug befand und somit nicht entkommen wollte, aber er wollte zumindest Distanz zwischen sich und dieses Ding bringen.

    Er lief los.

    Er hetzte und drehte sich nicht um.

    Er lief vorbei an leeren Sitzen, die zum Teil aufgeschlitzt waren und aus deren Schnitten ein sonderbarer Dampf quoll; vorbei an herrenlosen, auf dem Boden abgestellten Koffern und Rucksäcken, die so aussahen, als würden sie jede Sekunde in die Luft gehen; vorbei an auf den Boden gefallenen Brillen, Kopfhörern, E-Book-Readern, Büchern.

    Er wollte sich nicht umdrehen.

    Aber in seinem Herzen wuchs das Gefühl, er müsse sich umdrehen, um zu sehen, ob dieses Ding noch da war.

    Nicht umdrehen. Nicht umdrehen. Nicht umdrehen!

    Sein Gang wurde wie ferngesteuert langsamer bis er schließlich stehen blieb. Ebenfalls wie durch eine fremde Macht befohlen begann sein Kopf, sich langsam umzudrehen.

    Nein, bitte nicht!

    Ach… Fuck.

    - 8 -

    Die Wolke war nicht mehr da. Stattdessen stand dort an der Stelle eine Gestalt, doch sie war noch immer aus dieser sonderbaren, teerähnlichen Flüssigkeit. Sie sah aus wie ein zu groß geratener Mensch mit sonderbaren Proportionen. So sah ihr Kopf aus wie ein Luftballon an einer Leine und er verhielt sich auch ähnlich.

    Der eine Arm war viel zu lang für die Körpergröße, der andere viel zu kurz. Das gleiche war den Beinen geschehen, so hinkte das Wesen langsam, aber dabei unheimlich stöhnend auf Marv zu.

    So etwas angsteinflößendes hatte er noch nie gesehen – sein Herz schlug mit seinen Wimpern um die Wette, die Knie schlotterten, doch er konnte sich nicht bewegen, er war wie angewurzelt.

    Während dieses Monster immer näher kam gab es einen langen Schrei von sich, doch dieser fühlte sich an, als wäre er nur in Marvs Kopf. War das nur ein Schrei oder formte es Wörter?

    „Aaaaargh“

    Nein, es ist nur ein Schrei.

    „Maaaaarv!“

    Doch nicht! Fuck, fuck, fuck!

    Ich muss hier weg. Sonst frisst es mich, oder schlimmeres.

    Er konnte – und wollte! – sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn das Wesen bei ihm angekommen war, doch er kam hier nicht weg.

    Die Sekunden zogen sich wie Kaugummi.

    Gaaaaaanz laaaaangsam … und nooooooch langsamer.

    Der Schrei wurde immer eindringlicher.

    Jetzt begann auch Marvin, zu schreien.

    Angst. Er hatte blanke Angst vor diesem Ding, das schlimmer schien, als alles, was er sich, was Lovecraft sich je hätte ausdenken können.

    Dieser scheiß Lovecraft!

    Das Ding kam näher.

    Und näher.

    Plötzlich ging erneut das Licht aus. Es war völlig ruhig, das

    Dröhnen war weg und auch dieses sonderbare Gefühl in Marvs Magengegend war verschwunden. Er fühlte sich nicht mehr wie angewurzelt.

    Nach 17 Sekunden ging das Licht wieder an.

    - 9 -

    Marv sah sich um. Er war immer noch allein – aber das Ding war auch nicht da. Er atmete erleichtert auf und versuchte, seinen Puls zu beruhigen.

    In der Sekunde schoss schneller als ein Flugzeug das schwarze Monster auf ihn zu. Sein Herz setzte kurz aus.

    Ihm wurde schwarz vor Augen.

    - 10 -

    Marvin wachte auf. Er rang nach Luft. Sein Schädel dröhnte schlimmer als am Morgen einer Nacht voller Alkohol und Koks.

    „Fuck!“

    Stöhnend wartete er bis seine Sicht etwas klarer war und blickte sich dann um. Er befand sich in einem kleinen, dreckigen und kalten Raum, an dessen Wänden Rohre verliefen, von denen es tropfte. Vermutlich ein Kellerraum irgendwo in einer billigen Schrottbude.

    An der Decke hing eine Neonleuchte, an deren Seite sich bereits eine Schraube gelockert hatte, wodurch sie etwas schief herunterhing. Sie strahlte ihr kaltes, steriles Licht gerade mal in einem kleinen Kreis um den Stuhl herum, auf dem Marv saß.

    Es war ein alter Gartenstuhl, dessen Sitzgitter herausgeschnitten wurde, sodass Marv nur von dem Stuhlgestell gehalten wurde, an das er mit einem Seil gefesselt war. Es wand sich um seine Brust,

    seine Arme, seinen Hals, und Beine.

    Als er an sich herunter sah, fiel ihm auf, dass er nackt war.

    (wer will hier meine Eier begrabschen?)

    Ihm gegenüber stand ein Stuhl, mit der Lehne zu ihm. Leer.

    Wo bin ich? Was soll das alles? Was ist passiert?

    Einige Zeit (er hatte jegliches Zeitgefühl verloren) passierte gar nichts. Er sah sich so gut um, wie es sein Zustand zuließ – aber es gab nicht viel zu entdecken. Abgesehen von den beiden Stühlen und einer kleinen Kiste, die neben dem anderen stand, war der Raum leer. Es lag ein Geruch in der Luft, der eine undefinierbare Mischung aus Moder und dem Gefühl war, dass hinter einer der Wände eine tote Maus vor sich hin rottete.

    Zwischen den Rohren funkelte Schimmel, der seinen Rest zu der Atmosphäre

    (und dem Gestank)

    dazu gab.

    Marv stellten sich die Härchen im Nacken und auf den Armen auf. Was auch immer hier passiert war und passieren würde – es konnte nichts gutes sein.

    Nicht aus Langeweile, sondern um sich abzulenken, zählte er die unterschiedlichen, kleinen, großen, neuen, alten Rohre.

    17.

    - 11 -

    Nach einiger Zeit voller tropfender Rohre, quietschender Mäuse in den Wänden und des Frierens – Marvin tat der ganze Körper weh und er blickte leer in seinen Schoß, dem man ganz deutlich ansah, dass es kalt war – drang ein Geräusch durch die Tür.

    Schwere Schritte, die eine Treppe herunterkamen.

    „Hilfe! Hilfeee!“, begann er unvermittelt zu brüllen. Vielleicht war er in einem Keller, in dem mehrere Kellerräume nebeneinander lagen und jedem Mieter einer gehörte.

    Die Schritte verstummten.

    Plötzlich hörte er einen Schlüssel im Türschloss kratzen.

    „Hallo? Hallo! Wer ist da?“

    Durch die Tür drang leise ein bösartiges Lachen.

    Nach wenigen Sekunden schwang die Tür auf und im Rahmen stand nicht die Gestalt aus der Bahn (die er inzwischen als einen Fiebertraum abgetan hatte), sondern ein normal großer Mann, in schwarzer Kleidung mit einer Maske auf dem Kopf, die ein entstelltes, augenloses und bleiches Gesicht zeigen sollte, dessen Lippen zusammengenäht waren.

    Die Person trug Handschuhe und zeigte keinen Millimeter Haut.

    „Dein Geschrei bringt dir gar nichts. Hier unten hört dich niemand. Du jämmerliches Würstchen.“

    Die Stimme klang durch die Maske dumpf, wurde aber zusätzlich verstellt. Marv erkannte sie nicht, aber sie kam ihm

    (woher kenne ich dich?)

    bekannt vor.

    Langsam betrat die Person den Raum, drehte sich seelenruhig um, um die Tür zu schließen und sie sorgfältig von innen abzuschließen.

    „Wer… wer bist du?“

    „Pahaha … das wüsstest du gerne, was?“, der Typ schnaubte verächtlich.

    Ruhig schritt er auf den leeren Stuhl zu und setzte sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und legte sie auf der Lehne ab, er hielt den Kopf leicht schräg, so als würde er Marv durch die toten Augen der entstellten Maske von oben bis unten mustern.

    „Kalt, oder?“, fragte er rhetorisch mit einem gehässigen Unterton.

    Aus seinen Worten sprudelte blanker Hass.

    Marv zerbrach sich den Kopf, woher er diesen Typen kannte, die Stimme, der Gang, die Figur … das alles kam ihm bekannt vor, aber er konnte es nicht zuordnen. Deswegen fragte er erneut, wobei er versuchte, seiner Stimme einen harten Klang zugeben, aber die Angst, die in ihm wütete und ihn langsam von innen auffraß, war trotzdem deutlich zu hören.

    „Wer bist du?“

    „Du kennst mich.“ Pause. „Aber nicht so gut, wie du dachtest.“

    (was? Wer? Ich verstehe gar nichts mehr. Was will der –)

    „Was willst du von mir?“

    Der Gegenüber lachte. Es war ein kaltes Lachen, das gekünstelt wirkte.

    „Was ich will?“, fragte er dumpf zurück, „was ich will, ist, dass du

    verstehst, was für ein Arschloch du bist. Ein ehrloses Arschloch. So klein mit Hut“, er hob eine Hand und streckte Daumen und Zeigefinger aus, um zu zeigen, wie klein (mit Hut) Marv doch war, „Du sollst begreifen, was du mir angetan hast, die ganze Zeit hast du mich nur verarscht. Ich war immer für dich da, aber du“, es verschwand immer mehr der krasse Klang aus der Stimme und sie wurde immer normaler, „du hast mich hinten und vorne nur verarscht. Dachtest du wirklich… Dachtest du Idiot wirklich, ich würde nie dahinterkommen, dass du meine Freundin fickst?“

    - 12 -

    „Greg?“

    Bei diesen Worten zog sich der Entführer langsam die Maske vom Kopf. Dahinter tauchte Gregs, dünnes, ausgemergeltes Gesicht auf. Er sah nicht gesund aus, selbst für seine Verhältnisse, seine wässrigen Augen waren blutunterlaufen, die Haut kreidebleich. Wirre schwarze Locken fielen ihm ins Gesicht, die fahlen, dünnen Lippen waren nicht mehr als zwei Striche auf einem Whiteboard in der Schule. Seine Nasenflügel bebten und die Augen hatten etwas… verrücktes.

    Greg schien, als wäre er nicht bei Sinnen.

    „Greg? Was soll das?“

    „Du musst für das bezahlen, was du getan hast!“

    „Hey, hey bleib cool. Sie wollte es doch auch. Sie ist genauso schuld wie ich! Außerdem, bist du doch nicht besser“, Marv bekam Angst,

    seine Knie fingen an zu zittern.

    „Das ist was völlig anderes!“, brüllte Greg und spuckte dabei etwas auf die Oberschenkel des Gefesselten.

    Das ist nichts anderes.

    „Greg… bist du auf ‘nem Trip? Hast du Zustände?“

    „Fick dich.“ Mit einem irren Blick wischte er sich die Lippen mit dem Handrücken ab.

    „Ich kann dir helfen, Kumpel“, Marv versuchte, Greg zu beruhigen; wer konnte ahnen, was der Typ vor hatte oder was er vorher eingeworfen hatte, „du musst mich nur losmachen… Da- dann können wir ein Bier trinken gehen und alles ist gut. Ver- versprochen.“

    „Du versprichst hier gar nichts mehr, Wichser“, seine Stimme schnitt durch die Luft wie eine stumpfe Säge, „ich will gar nicht wissen, wie oft du deinen kümmerlichen Schwanz in sie gesteckt hast. Sie tut mir leid.“

    „Sie hat‘s doch auch gewollt!“

    „Halt die Fresse! Jetzt rede ich. Wo war ich, ach ja… sie tut mir leid. Meine arme Jasmine, sie tut mir leid. Das hat sie nicht verdient.“

    Fast hätte Marv ihm gesagt, wie sehr sich seine arme Jasmine über ihn lustig gemacht und ihr der harte Sex mit Marv viel besser gefallen hat als der Blümchensex mit ihm. Aber das erachtete er in seiner gefährlichen Situation nicht als sinnvoll.

    Er wollte einfach nur nach Hause… Greg schien es ernst zu meinen. Todernst.

    Marv hatte Angst. Todesangst.

    Er wollte einfach nur … überleben.

    „Wie … wie bin ich hierher gekommen?“ Diese Frage schien Greg sehr zu amüsieren.

    „Ich weiß wo du wann nach der Arbeit in welchen Zug einsteigst. Ich saß schon drin und habe mich so versteckt, dass du mich nicht sehen konntest. Von meinem Dealer habe ich eine wunderhübsche Substanz, die nicht nur für Halluzinationen sorgt, sondern auch nach kurzer Zeit bewusstlos macht. Diese habe ich dir mit einer Spritze in den Nacken gepumpt als niemand geschaut hat

    (das war dieses gottverdammte Piksen!)

    und dann habe ich dich hierher geschleppt“, er grinste, stolz über seinen Plan, „wenn jemand gefragt hat, habe ich gesagt, du hattest einen Schwindsuchtsanfall und ich als dein Freund bringe dich heim. Schließlich bin ich ja auch dein Freund!“ Jetzt lachte er laut und schallend. Es war ein böses, ehrliches Lachen.

    Der ist doch krank. Nur weil seine Freundin ihn mit mir betrogen hat.

    „Du bist doch krank! Junge!“

    „Na bekommst du etwa Angst?“, Greg grinste schief und bleckte dabei seine gelben Zähne.

    Nein… Nein, Marv bekam keine Angst – er hatte bereits welche. Greg war wie ausgetauscht, er war so wütend, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Da war so ein kaltes Funkeln in seinen Augen.

    „Was…“, eigentlich wollte Marvin es nicht wissen, andererseits

    musste er einfach fragen, „was hast du jetzt vor?“

    „Naja“, wieder dieses Grinsen, „du hast meine Freundin gefickt, jetzt ficke ich dein Leben.“ Das war kein Scherz, Gregs Gesicht war völlig ernst und ausdruckslos wie ein Stein.

    Trotz der Kälte in diesem Raum schwitzte Marv, Angstschweiß. Ich

    komme hier nicht mehr raus. Der Typ ist verrückt!

    Schweißperlen liefen ihm die Schläfe hinunter und seine Augen waren unruhig.

    „Wa- was soll das heißen?“, jegliche Stärke und der abgebrühte Klang, der sonst immer vorhanden war, waren völlig aus Marvs Stimme entschwunden.

    Und wieder lachte Greg.

    - 13 -

    „Wollen wir doch mal schauen“, sagte er unheilvoll und klatschte Marv auf die Innenseite seines Oberschenkels. Dieser zuckte stark, was von Greg nur mit einem Grinsen quittiert wurde.

    Dann beugte er sich langsam nach links zu dem Karton und nahm den Deckel ab. Die ganze Zeit hatte er ein krankes Grinsen auf dem Gesicht, was Marv wahrhaftig an der psychischen Gesundheit dieses Mannes

    (mein bester Freund)

    zweifeln ließ.

    Mit beiden Händen griff er langsam hinein und ließ sie dort ein paar Sekunden verweilen. Dann zog er sie langsam wieder hervor und starrte dabei bloß Marvin ins Gesicht, als wolle er dessen Reaktion um keinen Preis verpassen und sich an dieser ergötzen.

    Dann hielt er die Hände zwischen seine und Marvs Augen, sodass dieser gezwungen war, drauf zu schauen, auf dieses lange, spitze Messer.

    Es steckte noch in einer Lederscheide, wirkte aber aufgrund seiner bestimmt 15 Zentimeter langen Klinge bereits jetzt unglaublich bedrohlich.

    Marvins Augen weiteten und sein Puls beschleunigte sich merklich. Was hat er nur damit vor? Hilfe!

    „Hilfe!“, schrie er, auch wenn er wusste, dass es keinen Zweck haben würde.

    „Hier hört dich niemand“, grinste Greg, „schrei so viel du willst. Das wirst du eh noch zu genüge tun.“

    Er nahm den Griff des Messers in die rechte Hand und zog mit der anderen langsam die Scheide von der Klinge. Marv bekam eine einschneidige, dünne, bereits mit kleinen Rostpartikeln besetzte Klinge zu sehen.

    Das Leder ließ Greg ruckartig auf die Innenseite von Marvs Oberschenkel klatschen, dort wo er kurz zuvor mit der Handfläche zu geschlagen hatte.

    Marv schrie.

    „Oh oh oh, wenn es dir jetzt schon so wehtut, tut mir das leid, was dir noch bevor steht“, säuselte er sarkastisch süffisant. Dann fuhr er mit dem Leder leicht über die Haut der Schenkel, den Bauch und die

    Brust.

    „Möchtest du erfahren, was dir gleich blühen wird?“, fragte er ebenso süffisant, „ich mein, für den Fall, dass du nicht alles davon mitbekommen wirst – denn glaube mir, das wird passieren.“

    Arschloch.

    Marv stieß Luft durch die aufeinander gepressten Lippen aus und versuchte seinen Puls zu beruhigen. Seine Brust hob und senkte sich schnell.

    „Aaaaaalso“, holte Greg gekünstelt aus, während er aufstand und die Scheide auf seinen Stuhl legte. Dann begann er ganz langsam, um Marvin herumzulaufen, „also, ich habe hier dieses wunderbare, kleine Messerchen. Damit werde ich dir“, er warf einen abschätzigen Blick auf Marvs Genitalien, „erst deine hässlichen Eier abschneiden“, mit jedem weiteren Wort wurde der Angesprochene bleicher und seine Kehle schnürte sich zu bis er das Gefühl hatte, zu ersticken, „danach trennst du dich von deinem kleinen Schwanz, mit dem du schon so viel Unheil angerichtet hast und dann irgendwann – iiiirgendwann, wenn du aufgehört hast du schreien und bereits diesen kompletten, hübschen, gemieteten Kellerraum vollgeblutet hast. Ja, dann irgendwann schneide ich dir die Kehle durch“ – Marvs ganzer Körper zitterte so sehr wie noch nie, nicht mal als er, kurz nachdem er ausgerissen war, in einem Schuppen geschlafen hatte und dann mit dem Lauf der Schrotflinte des Eigentümers im Gesicht aufgewacht war, „denn so ein Hurensohn wie du hat es nicht verdient, weiter diese Welt mit seinem ekelhaften Gestank zu ver-

    pesten!“

    Greg steigerte sich verbal immer weiter hinein, aber körperlich war ganz ruhig. Er strich mit der stumpfen Seite der Klinge über Marvs Nacken, die Schulter und den Oberarm, bis er schließlich seine Runde beendet hatte und wieder an seinem Stuhl stand. Dann legte er das Messer auf Marvs Schenkel ab.

    Dieser hätte es durch Wackeln mit seinem Bein herunterwerfen können – aber was hätte es ihm gebracht? Sein Kopf war völlig leer, er versuchte sich mit seinem Schicksal abzufinden, er konnte nicht entkommen.

    Greg griff wieder in die Kiste und zog einen BDSM-Knebel heraus, diesen band er dem 27jährigen von hinten um und flüsterte ihm dabei ins Ohr „du könntest zwar so viel schreien wie du willst, aber ich glaube, irgendwann würde es mich nerven.“

    - 14 -

    Greg hatte den Stuhl richtig herum gedreht und näher an Marvs herangezogen, um „besser hantieren“

    (besser schneiden)

    zu können.

    Marv hatte die Augen geschlossen und hoffte, dass es schnell vorüber ging.

    Greg machte es sich mit einem schiefen Grinsen gemütlich, griff mit der linken Hand unsanft nach Marvs Hoden und zog dessen Sack lang. Marv spürte, wie die kalte Klinge an diesem angelegt wurde.

    Er zitterte und schwitzte und stöhnte durch den Knebel. Seine Augenlider flatterten wild und seine Augen wollten gucken, aber er zwang sich, sie geschlossen zu halten.

    Er spürte wie Greg das Messer, ohne Druck auszuüben, langsam an der empfindlichen, faltigen Haut auf und ab gleiten ließ. Der fing an zu lachen, erst ganz leise, stetig lauter werdend bis es Marvs Kopf komplett ausfüllte, von der Schädelinnenseite abprallte und als Echo widerschallte und wieder zurückgeworfen wurde, bis sich die Schallwellen überlagerten und sein Kopf zu platzen drohte.

    Von einer Sekunde auf die nächste verstummte das Gelächter.

    Greg hielt das Messer wieder still und sagte hämisch: „Irgendwelche letzten Worte? Ach nee, Moment, du kannst ja eh nicht reden mit dem Ding im Mund! Verabschiede dich von deiner Zukunftsplanung!“

    Plötzlich hörte Marv leichte Schritte draußen auf der Treppe und eine Stimme rief: „Greg? Greg! Gregory! Was machst du da drinnen?“ Es war die Stimme von Jasmine, Gregs Freundin.

    (Rettung!)

    Sie hämmerte mit den Fäusten an die Tür.

    Greg lachte.

    Jasmine schrie.

    Marv stöhnte angsterfüllt.

    Gregs Lachen wurde lauter und dann begann er zu schneiden. Solche Schmerzen hatte Marvin bisher nicht gekannt. Er schrie innerlich.

    Und schrie.

    Er konnte nicht mehr denken, das einzige, was seinen Kopf erfüllte, war unsagbarer Schmerz.

    Und er weinte. War er doch ein Feigling?

    - 15 -

    Marvin, genannt Marv, Macintosh war nie gläubig gewesen. Aber in seinen letzten wachen Sekunden, die viel schneller gekommen waren, als sie gesollt hätten, formte er in seinem Kopf ein Stoßgebet.

    - 16 -

    Blut tropfte. Zu viel Blut.

    Blut floss.

    Es sprudelte unaufhaltsam.

    - Ende -

    Hey, Leute :)

    Ich wollte mal wieder mein neuestes Gedicht mit euch teilen, ich würde sagen, es ist etwas anders, als die, die man bisher so von mir gewöhnt war. Ich hoffe es gefällt euch trotzdem :)


    Ignis sopitus

    Schwärze, schwach und Licht

    Feuer-Rache in der Nacht

    Schatten, immenses Gewicht

    Hass und Predigt, wer zuletzt lacht

    Sinn und Sorge

    am verdrehten Orte

    Hass-Predigt und Feuerduft

    Des Waldes ältester Name

    Stahl und Leder gesucht

    Amen.

    Feuerreifer Feuereifer

    Krawumm

    Krawumm.

    Feuerreger Feuerregen

    Rauchkrieger kämpfen

    miteinander eng verwebt

    in den Himmel als Fäden

    Wolke, die lebt

    Hass und sinnlos

    in des Zornes Schoß

    Ascheregen und Glutglimmer

    Befriedigung von Wille

    Morgenrot Schreckensschimmer

    Feuerrote Brille.

    Gerächte Feuerwut

    Dachstuhl

    Rums.

    Geächtete Feuerglut

    Hass und Wut und Schwere

    Hagen von Tronje

    Feuer bringt Erlösung

    Enttäuschung und Feuerträume

    Unbändige Wut ohne Reue

    Träume sind Erinnerung.

    Tempus fugit.


    LG

    Thráin

    Hey, Leute :)
    Ich wollte mal wieder ein Gedicht mit euch teilen, ich hoffe es gefällt euch :)


    Polarmeer


    Teil I: Euphorie
    Ich stehe in der Dunkelheit
    mein Blick im Nichts verweilt
    allein an Deck eisigglatt
    Die einzig Lampe leuchtet matt
    wirft meinen Schatten zitternd
    hinaus in die Witterung
    Mein Kutter alt und gebrechlich
    Er überlebt das, hoffe ich

    Um mich herum knarzt das Eis
    schimmert düster weiß
    schiebt sich an Buch und Heck
    hungrig es am Schiffe leckt
    die Zähne in das Holz schlägt
    Hab die Umkehr nie erwägt
    Jetzt ist die letzte Chance vertan
    Bin des Meeres langer Veteran

    Endlose Stille bis auf den Wind
    und das Knarzen vom Eis, es nimmt
    sich immer mehr von mir
    Doch ich gebe nicht auf, nimmermehr!
    Die Welt treibt den Tod an mich heran
    Doch eisern Wille treibt mich voran
    Ein alter Plan, ich führe ihn aus!
    Niemand beendet meinen Lauf

    Es war die Idee meiner Vorväter,
    mit dem Schiff ins Eis steuern, später
    friert das Boot fest, mit dem Eise wandert
    bis man am and‘ren Ende des Pols landet
    am Ende der Polarnacht die Reise vollbracht
    Von den Göttern gesteuert, in ewiger Wacht
    Nie hätte es jemand gewagt zu versuchen
    Doch mein Wagemut trieb mich dazu

    So präparierte ich meinen alten Kahn
    Die Berechnungen verfielen dem Wahn
    Ich sah nur noch das Ziel und den Frust
    Ein Kampf ohne Rücksicht auf Verlust
    Ich begann ihn und ich werde ihn austragen
    Vor mir wollt‘ es nie jemand wagen
    Meine Mannschaft an Bord fiel der
    Einsamkeit zum Opfer, doch ich bin hier

    Teil II: Dysphorie
    Ich stehe in der Dunkelheit
    Mein Blick im Nichts verweilt

    Habe alles schon verlor‘n
    An Bord kaum noch Ration
    Letzter Überlebender aus Horden,
    in ewiger Nacht des hohen Nordens
    Mein treuer Gefährte, mein Boot
    macht es nicht mehr lange, Not
    Der Wind singt ein grausig Lied
    von Angst, Verzweiflung und Tod

    Um mich herum knarzt das Eis
    schimmert düster weiß

    Jedes Zeitgefühl längst verschwunden
    ob der Schwärze und den Wunden
    tief in mir, die nicht mehr heilen
    Grausige Gedanken in mir verweilen
    Würde meine Mannschaft noch leben
    Würde es für mich noch reichlich Essen geben
    Ich ekel mich vor mir selbst, doch
    das bin nicht ich, sondern das Nichts

    Das Eis, es nimmt sich immer mehr von mir
    Es zehrt, doch ich leide an des Sieges Gier

    Die Reise nimmt kein Ende
    Mich erwartet keine Wende
    Ich gehe unter Deck und esse schwach
    den allerletzten, trockenen Zwieback
    Als die Sonne das letzte Mal
    im tiefen Meer verschwunden war,
    und das ist bereits Wochen her,
    war mein Herz bereits völlig leer

    Teil III: schicksalslos
    Eisern Wille trieb mich vorn
    Das Eis fraß ihn in einer Nacht

    In einer Nacht, die Wochen dauert
    Die Trostlosigkeit in Dir lauert

    Die Trostlosigkeit saugt am Licht,
    am Leibe, am Geist und am Gesicht

    Ich stehe wieder in der Dunkelheit
    Das Nichts weit und breit
    An Deck bleibe ich stehen
    werde nicht mehr von der Stelle gehen
    Was bringt mir der Gewinn
    wenn ich dann nicht mehr am Leben bin?
    Das Eis zerrt an meinen Knien
    Ich möchte hier festfrieren.

    Die einzig Lampe leuchtet nicht mehr lang
    Vor Angst und Kälte wird mir bang.


    __________________
    LG
    Thráin