Edmund schnaufte, was in seiner Rattengestalt erneut in einem Quieken endete. Das ganze Ding würde die Hexe noch bereuen. Sie hätte ihn viel stärker instruieren müssen!
Er tippelte über den Tisch, betrachtete die Bücher, die losen Zettel und das ganze restliche Chaos. Der Schreibtisch war ein Grauen! Wie sollte man hier arbeiten? Das konnte unmöglich funktionieren! Ein heilloses Durcheinander. Oder war das Absicht? Wenn man selbst nichts mehr fand, dann fand auch ein Spion nichts? Und wenn es nur derb genug stank, dann fiel der Einbrecher gleich um? Bei ihm fehlte jedenfalls nicht mehr viel.
Dumme Rattennase!
Edmund blieb auf einer Karte stehen und betrachtete diese. Es war eine Seekarte, relativ neu. Zwei weitere lagen darunter und deckten so ziemlich alles von der bekannten Welt ab. Einige Stellen waren mit Kreisen und Punkten markiert, abgehakt oder durchgestrichen. Irgendwelche Krakel, von denen er nicht sagen konnte, ob es sich um eine Sauklaue oder eine andere Sprache handelte, beschriften die einzelnen Markierungen. Er nahm es auf und versuchte, sich so viel wie möglich zu merken.
Aber hier waren sie wegen dem Fernrohr. Oder einem Hinweis darauf. Deshalb wandte er sich ab und schlängelte sich seinen weiteren Weg vorbei an etwas, das vermutlich mal Obst gewesen war. Mittlerweile aber deutlich süßlicher und widerlicher roch. Die Rattennase tat ihm dabei keinen Gefallen.
Ich will den Kerl nicht sehen, der so lebt. Oder eher vor sich hin vegetierte.
Beim Versuch auf einen Stapel Bücher (irgendwas über Magie und es waren ähnliche Zeichen darauf zu erkennen, wie auf der Karte – sicher interessant für Esther, er konnte damit leider nichts anfangen. Magier eben...) zu klettern, stieß er versehentlich ein Tintenfässchen um, das sowieso schon abenteuerlich am Rand eines Papierstapels gethront hatte. Der Inhalt ergoss sich abstrakt über die Karten und die Speisepläne.
Dann wohl kein Kohl für die Mannschaft. Kein Verlust. Und man sollte es ihm danken. Immerhin erstickten die Männer dann nur noch in ihrem eigenen Mief, aber wenigstens stank es nicht nach Kohl. Egal, aus welcher Öffnung der gekommen wäre.
Das Tintenschwarz verteilte sich über die Karten. Blöderweise tappte er auch noch in die Tinte und hinterließ Rattenspuren. Rein zufällig und ohne jede Absicht – natürlich – hüpfte er nochmal quer über die Karten. Allein dafür, dass man ihm das Fernrohr geklaut hatte. Was auch immer der Kerl auf seinen Karten markiert hatte, er hatte es sich hoffentlich gut gemerkt.
Zufrieden mit sich und seinem Kunstwerk, lehnte sich Edmund zurück und lugte dann über die Tischkante. Der Tisch hatte Schubladen. Und unter einer von ihnen lugte eine Ratte hervor. Wunderte ihn bei diesem Saustall nicht. Die Ratte starrte zurück. Er starrte die Ratte an. Irgendwas an ihrem Blick behagte ihm nicht, weshalb er sich schließlich abwandte und zu Nelli sah. Die Hexe im Körper des Matrosen widmete sich gerade der Bar.
„Geht’s noch?!“, maulte er. Nelli verstand ihn nicht, blickte aber dennoch grinsend in seine Richtung.
„Wenn wir schon mal hier sind.“ Sie zuckte die Schultern.
Das war wohl nicht ihr Ernst! Wütend gestikulierte er in Richtung der Schubladen, um sich verständlich zu machen. Sobald er diesen Rattenkörper los war, würde er ihr was erzählen!
Nelli füllte sich jedoch in aller Ruhe ein Kristallglas. Und trank. Edmund musste sich ein Würgen unterdrücken. Wenn er den Schreibtisch so betrachtete, wusste er nicht, ob er aus einem der Gläser einen Schluck nehmen würde. Wer wusste schon, welche Krankheiten sie sich mit ihrer Anwesenheit hier einholten?
Eine der Flaschen wanderte noch in Nellis Tasche, dann erbarmte sie sich und kam zu ihm.
Er deutete kommentarlos, aber mit strafendem Blick auf die Schubladen.
Nelli öffnete sie nacheinander. Sie beinhalteten: Hauptsächlich weiteren Müll und Papier. Unbezahlte Rechnungen, Materiallisten. Eine weitere Flasche ohne Etikett. Die Hexe schnüffelte darin und ließ sie dann ebenfalls in den Taschen verschwinden.
Die letzte Schublade war abgeschlossen. Das sah schon vielversprechender aus. Nur wie kamen sie an den Inhalt? Möglichst, ohne alles zu zerstören und den Besitzer direkt darauf hinzuweisen, dass sie hier gewesen waren. In dem Durcheinander würde es grundsätzlich nicht auffallen, ein zerstörter Tisch schon.
„Du hast nicht zufällig einen Dietrich dabei?“, wollte Matrosen-Nelli wissen.
„Doch klar, in meinen vielen Jackentaschen“, knurrte er. Da er nur fiepte, zuckte er die Schultern.
Nelli seufzte und sah sich dann um. Sie stand auf und begann zu suchen. „Dann benötigen wir den Schlüssel, also mach dich mal nützlich.“
Edmund blieb trotzig sitzen. Bisher hatte vor allem er sich nützlich gemacht. Die Hexe hatte gesoffen und Flaschen eingesteckt und sich über sein Fiepen beklagt. Also wenn nun jemand etwas machen konnte, dann wohl sie. Und davon abgesehen glaubte er kaum, dass der Kerl den Schlüssel hier in diesem Chaos verschlampert hatte. Es war wahrscheinlicher, dass er ihn mit sich trug.
Das wiederum versuchte er Nelli zu erklären. Die natürlich gar nichts verstand.
Als er von hinten angestupst wurde, wollte er sich erst bei Nelli beschweren, doch diese kramte noch durch die anderen Schubladen. Als sich Edmund umwandte, hockte die andere – wie sich nun herausstellte schwarz-weiße - Ratte genau hinter ihm und musterte ihn aus Knopfaugen.
„Was?“
Die Ratte schmiegte sich an ihn, schob ihn dabei beinahe vom Tisch.
„Jetzt geht’s aber los!“
Er schob sie von sich, direkt in eine zweite, graue Ratte hinein, die an einem der Tischbeine hochgeklettert kam.
„Lass das!“
Entweder war die Ratte jedoch zu dumm, oder aufdringlich. Jedenfalls sah sie keinen Grund ihn in Ruhe zu lassen. Stattdessen begann die zweite Ratte sich von der anderen Seite ebenfalls an ihm zu reiben.
„Leute echt, wo wart ihr zuletzt? Ihr stinkt widerlich!“
Er versuchte die beiden Ratten zu ignorieren. Was leichter gesagt war, als getan, da diese ihm am Hintern schnüffelten. Böse Blicke brachten auch nichts.
Nelli derweil bog sich vor lachen, was er genervt zur Kenntnis nahm und dann die Chance ergriff, auf ihren Arm zu hüpfen und von dort auf ihre Schulter zu klettern. Dass Nelli ihn nicht postwendend wieder von sich warf, verbuchte er als Erfolg und streckte den beiden Ratten die Zunge raus. Irgendwie blickten beide etwas pikiert.
Nicht mein Problem.
Derweil machte sich Nelli mit einem Messer an den Schubladen zu schaffen. Etwas Besseres war der Alten nicht eingefallen?
Edmund knirschte mit den Zähnen. War das überhaupt eine gute Idee, was war, wenn der Magier die Schublade gesichert hatte?
Er kam nicht dazu, den Gedanken bis zum Ende durchzugehen. Als Nelli bereits fluchend vor einem bläulichen Lichtblitz zurückschreckte. Es knallte. Der Tisch begann blau zu qualmen und die Ratten flüchteten quietschend, leider in Nellis Richtung. Säuerlich registrierte Edmund kurze Zeit später, dass ihm die beiden wieder auf die Pelle rückten.
„Verdammt noch eins“, maulte Matrosen-Nelli.
Edmund verzichtete auf den Hinweis, dass der Schreibtisch qualmte und vermutlich gleich zu brennen begann. Stattdessen biss er sich auf die Zunge. Nelli war blau im Gesicht und auch einige Haarsträhnen glänzten blau. Ein Blick an sich herunter verriet ihm, dass er ebenfalls Blau war …
Klasse…
Wenn sie nicht bereits aufgefallen waren, dann würde ein Lichtblitz mit anschließender Rauchentwicklung sicherlich bald Leute anlocken. Und so blau, wie sie waren, wäre es schwer, es zu leugnen.
Wenn schon nicht die eigene Mannschaft, dann die der anderen Schiffe, die im Hafen lagen. Ein Feuer auf einem Holzschiff war immer ungünstig.
Er versuchte diese Erkenntnis mit Matrosen-Nelli zu teilen. Dieser nickte. Ob Nelli ihn nun verstanden hatte oder zu dem gleichen Ergebnis gekommen war, wusste er nicht. Aber sie hockte sich hin und wedelte den Rauch etwas weg. Als dieser sich verzog, war erkennbar, dass die Schublade immerhin geöffnet war. Das wäre noch die Höhe gewesen: Die Mannschaft angelockt, das Schiff abgebrannt und sie standen ohne irgendwas das. Wobei das immer noch der Fall sein konnte. Was sollte er machen, wenn das Fernrohr nicht in der Schublade war und das Schiff wirklich abbrannte? Seinem Vater zu erklären, dass er sein Schiff und die Ware verloren hatte, war das eine. Ihm erklären zu müssen, dass er es geschafft hatte, die Waren ZWEIMAL zu verlieren, etwas völlig anderes.
Er kniff die Augen zusammen. Nicht, weil er feige war und Angst hatte, dass die Schublade wirklich leer war. Sondern weil der Rauch ihm in den Augen schmerzte. Und weil die beiden Rattendamen sich schon wieder lästig an ihn kuschelten. Was glaubten die eigentlich, wer er war?
„Sucht euch einen anderen Vater für eure Plagen!“
Er schob beide beiseite und tappte auf Nellis Arm nach unten.
Diese streckte die Hand nach dem Inhalt der Schublade aus und beförderte eine Kiste zu Tage. Es handelte sich um eine schlichte kleine Truhe aus Holz, die mit diversen Zeichen und Strukturen bekritzelt war. Zum einen waren sie hineingeritzt, zum anderen darauf geschrieben. Einige sahen aus, als wären sie durchgestrichen. Irgendwas an dieser kleinen Kiste war seltsam. Als würden sich in ihrer Nähe alle Haare aufstellen.
„Magisch“, kommentierte Matrosen-Nelli.
Edmund nickte fachmännisch und schob dabei die schwarzweiße Ratte erneut von sich. Die Frage blieb nun, ob sich darin sein magisches Fernrohr befand. Oder die Kiste allein magisch war. Und darin nur noch mehr Ramsch und Müll.
Nelli versuchte die Truhe zu öffnen. Doch Wunder – immerhin funktionierte bei ihnen nie etwas auf Anhieb und problemlos – ließ sie sich nicht öffnen. Das war doch schon wieder typisch...
„Nimm es mit“, murrte er und gestikulierte wieder herum. Das war so dermaßen lästig. Dieses Gestikuliere. Das ihn niemand verstand. Das Geschmuse und an ihm Herumgekratze und Gebeiße der beiden anderen Ratten.
Er schob sie beiseite.
Ob Nelli ihn verstand, wusste er nicht. Es konnte gut auch sein, dass sie sein Gefuchtel als Beschwerde den beiden anderen Ratten gegenüber deutete. Gerade trat er eine der Ratten von Nelli hinunter.
Er kam jedoch nicht dazu, sein Anliegen nochmals zu verdeutlichen. Er vernahm Schritte im Flur vor der Tür, die sich eilig näherten.
War ja klar …
Es herrschte Stille. Dann Stimmen.
Nelli und er sahen sich an. Dann klemmte sich Nelli kurzerhand die ganze Kiste unter den Arm und sah sich im Raum um.
Edmund tat es ihr gleich. Wenn die Matrosen schon im Flur waren, dann würde es nur noch ein paar Sekunden dauern, ehe sie hier auftauchten. Sie konnten also nicht über den Flur zurück an Deck. Im Raum selbst gab es nur einen Schrank. Und in dem würde man sicherlich zu erst nachschauen. Wenn sie überhaupt hineinpassten. Bei dem Chaos im Zimmer war der Schrank wahrscheinlich bis oben hin mit Schrott zugestapelt.
Ein Fiepen riss ihn aus seiner Suche. Er wollte schon wütend nach den beiden Ratten treten. Doch die beiden hockten vor dem Fenster, schoben es etwas auf und verschwanden nach draußen.
Edmunds Blick glitt an Nelli hoch und runter. Auch sie sollte dort durchpassen.
Er zupfte an ihrer Kleidung und hüpfte ebenfalls zum Fenster.
Nelli kam dazu, öffnete es und sofort pfiff ihnen wieder der Wind entgegen. Unter ihnen brachen sich die Wellen. Das Heck zeigte zum offenen Meer hinaus.
„Kommt gar nicht in Frage“, kommentierte Nelli und trat einen Schritt zurück.
„Das oder du wirst erwischt, altes Weib!“
Nelli sah ihn als, als wäre er wahnsinnig. Dabei sprach sie hier mit der Ratte.
Apropos Ratte …
Die schwarzweiße Ratte und die graue kamen zurück, liefen über ein Tau, dass sich an der Schiffswand entlangschlängelte und dann außer Sicht verschwand. Dort konnte sich Nelli festhalten und den schmalen Vorsprung als Tritt benutzen.
Die Schritte wurden lauter.
Edmund betrachtete Nelli und deutete wortlos aus dem Fenster.
Nelli fluchte, kroch dann aber ungelenk und zitternd durchs Fenster. Den Blick immer nach unten auf das Wasser gerichtet.
„Nicht nach unten blicken“, fiepte er und kassierte dafür einen bösen Blick des Nelli-Matrosen. Verstanden hatte sie ihn sicherlich nicht, aber vermutlich war es egal, welche hilfreichen Tipps er ihr gab. Manche Menschen wussten Hilfe eben nicht zu schätzen.
Nelli bewegte sich derart langsam und fischte nach dem Tau, dass Edmund bereits fürchtete, die Zeit wäre eingefroren. Ebenso langsam schob sie sich an der Schiffswand entlang. Immer langsam einen Schritt nach dem anderen auf dem schmalen Vorsprung.
Edmund warf einen Blick zurück zur Tür. Die Klinke wurde bereits nach unten gedrückt. Wenn Nelli in dem Tempo weitermachte, wurde sie doch noch erschossen. Oder einfach ins Meer geschubst. Oder starb an Altersschwäche.
Ehe er es sich anders überlegen konnte, pfiff er Nelli etwas zu und hüpfte dann vom Fensterrahmen. Dann musste er ihr eben etwas Zeit verschaffen. Die beiden Ratten folgten ihm, was er sowohl genervt als auch erleichtert zur Kenntnis nahm. Wenn man nach ihnen schlug, bestand die Möglichkeit die richtige Ratte zu treffen nun immerhin nur noch 33%.
Als die Tür aufging und er das erste Paar Stiefel sah, hüpfte er daran empor und biss dem Mann kurzerhand ins Bein. Der Kerl schrie auf und stolperte zurück. Während Edmund über ihn hinweglief, sich hasste und er sich am liebsten den Mund ausspülen wollte. Wenn Nelli abrutschte und dabei im Wasser ersoff, würde er sie eigenhändig an Land zerren, wiederbeleben und dann töten!
Er sprang von dem einen Matrosen zum nächsten und blickte dann direkt in das hässlichste Gesicht, das er jemals gesehen hatte. Für einen Moment glaube er, dass die beiden Typen eine Leiche mit sich herumschleppten. Dann öffnete die Leiche jedoch den Mund und fixierte ihn mit den Augen. Verständnis flackerte darin. Irgendwie war er die gleiche Kategorie wie der Haufen Hackfleisch in der Schubkarre. Nur hässlicher.
Und dass das möglich war, hätte er nicht erwartet.
Die Leiche schrie etwas, das Edmund geflissentlich ignorierte und dem Typen kurzerhand ins Gesicht sprang. Offenbar schmerzten die Krallen einer Ratte. Denn der Typ wimmerte auf.
Die beiden Rattendamen folgten ihm, weshalb nun zwölf Rattenfüße (acht davon vermutlich völlig verpestet, vier mit Tinte beschmiert) über den schreienden und um sich schlagenden Leichnam rannten.
Als auch die anderen Männer nun auf den Kerl einschlugen, hüpfte Edmund von ihm herunter. Die Ratten folgten ihm. Einen Augenblick genoss er den Anblick der auf die hässliche kreischende Wasserleiche einprügelnden Männer. Dieser wehrte sich und fluchte, beschimpfte die beiden Männer.
Edmund rollte sich beinahe vor Lachen über den Boden.
Als sie bemerkten, dass da keine Ratten mehr waren und sich ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtete, rannte er davon.
Er hörte hinter sich die Worte „Rauch“, „Feuer“ und „Ratten“. Wobei das letztere eigentlich niemanden verwundern sollte.
An Deck wuselten noch ein paar Männer herum, die wohl alarmiert ebenfalls aus der Stadt zurückgekommen oder geordert worden waren. Einer von ihnen hatte einen Eimer bei sich. Sein Blick richtete sich sofort auf Edmund, als erkannte er, dass von den drei Ratten nur er keine echte war. Edmund hatte jedoch wenig Zeit, sich darüber noch Gedanken zu machen. Wie weit wohl Nelli gekommen war? Hoffentlich bereits wieder im Hafen. Er traute sich aber dennoch nicht, auf die Seite vom Schiff zu laufen, an der sie geflüchtet war, um dort nachzuschauen. Wäre ja blöd, wenn sie doch noch ins Augenmerk der Mannschaft fiel.
„Ratte!“, schrie die Leiche. Außer Atem kam diese hinter ihm an Deck gehetzt. „Schnappt sie.“
„Welche?“, kam es von irgendwoher.
„Alle!“
Edmund hüpfte über die drei alten Kerle, die Trevor außer Gefecht gesetzt hatte. Einer von ihnen trug jetzt das Kleid, was Trevor zuvor anhatte. Die beiden anderen wurden gerade von ihren Kollegen wachgetreten.
Neben ihm schlug ein Säbel in den Boden. Gefolgt von einem Messer.
Ja, hatten die sie noch alle?
„LEBEND!“, brüllte die Leiche. Die Erkenntnis kam ja früh. Was wäre, wenn der Säbel ihn bereits gespalten hätte?
Vor ihm tauchte ein Prügel von einem Kerl auf, der vermutlich mehr wog als das ganze Schiff. Jedenfalls bebte selbiges unter seinen Schritten und es gab ein Seebeben, als er sich bäuchlings auf ihn zuwarf.
Zum Glück war es nicht allzu schwer dem Fettklotz auszuweichen. Dann hüpfte er auch schon über die Reling ins Wasser.
Das Wasser schlug über ihm zusammen. Um ihn herum löste sich eine blaue Wolke. Immerhin war das Zeug wasserlöslich. Was nicht wasserlöslich war, war er selbst. Was das Wasser sichtlich zu stören schien. Und so ein Rattenkörper hatte dem nichts entgegenzusetzen. Edmund blieb unter Wasser. Von den Wellen wurde er fröhlich mitgeschleudert. Irgendwo klatschte er gegen eine Kante und eine Mauer, dann tauchte er unter einem anderen Schiff hindurch. Und verschwand damit hoffentlich aus der Sicht der Mannschaft.
An einem der Schiffe gelang es ihm schließlich, seine Krallen in eines der Taue zu schlagen und sich aus dem Wasser zu ziehen. Als er sich in Bewegung setzte, sah er gerade noch wie ein langer Tentakel hinter dem Schiff unter Wasser verschwand.
Vermutlich Einbildung. Hoffentlich Einbildung…
Er schüttelte den Kopf und kletterte dann klatschnass auf den Hafensteg. Dort blieb er eine Weile liegen und schnaufte durch.
Tja, lief doch prima... Das hat unverhofft sogar Spaß gemacht.
Langsam machte er sich zwischen Kisten und Füßen auf den Weg zurück. Dort sah er noch immer die wütende Mannschaft und einen hässlichen Kerl ins Wasser starren. Außer Sicht, hinter ihnen, sprang gerade ein alter Matrose in Trevors Arme. Der grimmige Gesichtsausdruck der alten Hexe war bis hierher zu hören.
Was ebenfalls zu hören war, waren die tapsenden Schritte von zwei Ratten.
Als Edmund sich umdrehte, seufzte er.
„Ja, ihr ward eine große Hilfe… Toll gemacht. Ganz großartig. Aber wehe ihr betretet mein Schiff. Ich dulde da kein Ungeziefer.“
Außer mich selbst ...
Beide legten den Kopf schief und folgten ihm.
Ja, leckt mich am Arsch ... „Nicht wörtlich gemeint!"