Edmund kam zu sich, als man ihn eine Treppe hinuntertrug. Er hing kopfüber über einer Schulter wie ein Sack Mehl. Blut tropfte ihm ins Auge und hinterließ eine Spur.
Er wurde zurechtgerückt und stieß dabei mit dem Kopf irgendwo gegen.
Nicht so grob!
Offenbar war er bereits mehrfach mit dem Kopf irgendwo angestoßen. Das erklärte das Blut im Auge.
Seine Sicht klärte sich, bewegen konnte er sich jedoch nicht, nicht mal den kleinen Finger. Das Gift hatte sehr gut gewirkt.
Er blickte nach unten und direkt auf einen Hintern in Rüstungshose.
Nicht Trevors Hintern, stellte er fest. Der war deutlich straffer und knackiger. Schade …
Wenn es allerdings nicht Trevor war, der ihn herumtrug, wer dann? In seinem Blickfeld tauchten immer wieder Stiefelspitzen auf, die ihnen folgten. Dummerweise wollte ihm sein Körper noch nicht gehorchen. Aber er spürte deutlich wie die Betäubung mit jeder Minute nachließ.
Mit Metall gestärkte Stiefel, billig verarbeitet und das Leder war rissig. Vermutlich die Stiefel eines Wachmannes. Gut gepflegt, aber nicht viel wert und mittlerweile alt.
„Der Kerl ist schwerer als er aussieht“, beschwerte sich jemand – er wurde auf der Schulter erneut zurecht gerückt, als wäre er eine Puppe.
Willst du sagen, ich bin fett, oder was?
Das war doch die Stimme von einem der Wachen. Wie hieß der noch gleich … ? Hatte sich Ihnen überhaupt jemand vorgestellt? Nicht einmal die Familie, oder? Wenn er sich recht erinnerte, fragte er sich, warum sie überhaupt im Schloss waren. Eigentlich hatten sie Cecilia nur durchs Tor treten und dann verschwinden wollen. Was war eigentlich passiert, dass sie sich dazu hatten breitschlagen lassen?
Und das Essen war nicht mal gut!
Zugegeben war er neugierig gewesen. Alle Häuser, an denen sie vorbeigekommen waren, waren wie ausgestorben, Bürger hatten sich versteckt oder waren regelrecht geflohen. In diesem Herzogtum stimmte etwas ganz und gar nicht. Und diese Erkenntnis traf ihn nicht nur, weil man ihn gerade vergiftet hatte und er über einer Schulter durch finstere Flure getragen wurde.
„Jetzt hör auf zu jammern, Gustav.“ Eine Frauenstimme. Sie waren also mindestens zu dritt.
„Sehr wohl, Herrin!“, beschwerte sich wohl Gustav. Also mindestens zwei Wachen und es war eine „Herrin“ dabei. Aus der Stimme des Wachmanns hörte er Respekt, aber nicht sonderlich viel. Da waren Zweifel. Also schon mal nicht die Herzogin selbst. Man musste ja auch mal Glück haben.
Zwei Wachen und vermutlich eine von Cecilias Schwestern. So dumm, ihm seine Waffen zu lassen, waren sie sicherlich nicht gewesen. Und er war nicht Trevor, der sich einfach herausprügeln konnte. Abgesehen davon, dass er im Moment lediglich gucken, hängen und sabbern konnte.
Dann musste er wohl abwarten.
Sie kamen in einem Keller an.
Sie trugen ihn über groben Stein, der feucht glänzte und modrig roch. Warum musste es ein stinkender Keller sein? Warum kein schöner warmer Raum mit Wandteppichen? Schlimm genug, dass man ihn immer herumtrug, als wäre er ein störrisches Kind. Da wäre es ihm ja fast lieber gewesen, man hätte ihn an den Füßen die Treppen hinuntergeschleift. Das hätte der Sache mehr Drama gegeben. So kam er sich nur vor, als hätte er etwas falsch gemacht und wurde dafür auf sein Zimmer getragen.
Hierfür werde ich mir ewig etwas von Nelli und Esther anhören dürfen …
Immerhin wirkte das dumme Gift, das sie ihnen gegeben hatten nicht sonderlich gut. Er musterte also aufmerksam die Umgebung und merkte sich den Weg, lauschte den Geräuschen und den Gesprächen zwischen den Anwesenden und bemerkte, wie er bereits die Fußzehen wieder bewegen konnte.
Er versuchte herauszufinden, ob die anderen irgendwo in der Nähe waren. Aber er hörte und sah nichts von ihnen.
Hoffentlich geht es den anderen gut…
Er hörte weitere Schritte von schweren Stiefeln.
Am Ende des Flurs wurde er an einer weiteren Wache vorbei in einen Raum getragen. Die Stiefelspitzen blieben draußen.
Der Raum roch als hätte Nelli einen Kräutersud zubereitet und gleichzeitig der Krake in den Raum gerülpst – eine seltsam vermoderte, süßliche Mischung aus allem, was eklig war.
„Legt ihn da ab!“, forderte eine kratzige Stimme. Entweder war der Besitzer niemand, der viel redete oder genau das Gegenteil war der Fall. Vielleicht hatte die Stimme auch nur zu viel von dem ätzenden Geruch eingeatmet.
Er wurde auf einen Steintisch geworfen und jemand machte sich an seinen Füßen zu schaffen, so weit er es spürte, wurden Fesseln entweder angebracht oder entfernt. Vermutlich eher ersteres.
Gustav lehnte sich zu ihm. „Oh, er ist wach.“
Edmund starrte Gustav an. Tatsächlich, wie auch in seiner Stimme, lag neben Überraschung auch Zweifel in seinen Augen.
Gustav wurde beiseite geschoben und stattdessen schob sich das Gesicht von Cecilias Schwester in seine Sicht. Die gleichen blonden Haare und blauen Augen. Wie konnte eine Person so aussehen und so einen schrecklichen Charakter haben? Aber je länger Edmund die Frau betrachtete desto mehr bekam er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ihr Aussehen war irgendwie … unnatürlich. Ein Gedanke, der ihm bereits beim Essen gekommen war.
„Erstaunlich. Das Gift hätte einen Wal betäuben können.“ Die Schwester betrachtete Edmund.
Die kratzige Stimme meldete sich zu Wort. Ein altes Weib trat in sein Blickfeld, die noch deutlich älter und faltiger aussah als Nelli. Eine wandelnde Leiche. Oder eher Mumie. Entweder war sie wirklich älter als Nelli, oder hatte sich noch schlechter gehalten.
„Sind wir froh, dass er nicht tot ist. Das Gift muss aus seinem Kreislauf wieder heraus. Umso schneller, desto besser.“
„Meinst du, Cecilia hat recht?“ Eine weitere junge Stimme erklang. Noch eine der Schwestern. Ebenfalls blond und mit blauen Augen und dieser Porzellanhaut, die sie alle hatten.
Wie viele gibt es von denen? Ist da irgendwo ein Nest?!
„Das finden wir heraus.“ Der alte Hodensack packte sein Gesicht, wandte es, betrachtete ihn wie Ware auf dem Viehmarkt. Dabei kniff sie die Augen zusammen, als würde sie nichts erkennen. Dann griff sie nach seinem Arm, schob den Ärmel hoch und schnitt mit einer Klinge durch seine Haut. Es blutete sofort und die alte Schachtel fing das Blut mit der Schüssel auf.
„Geht es euch noch gut?“, pampte Edmund. Froh darüber, dass die Betäubung nachließ. Jetzt merkte er auch, dass man ihn gefesselt hatte. Seinen Arm wegziehen, konnte er also nicht. Miststück! „Wisst ihr eigentlich, was das für Flecken macht? Außerdem“, er wandte sich an Gustav, „bin ich nicht fett!“, er drehte sich zurück zu Cecilias Schwester, „also vergleich mich nicht mit einem Wal!“
Die Adlige sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an, während der Hodensack sich nicht um ihn kümmerte, stattdessen die Wunde betrachtete. Dann träufelte sie zwei Tropfen einer Tinktur in die Schüssel zu seinem Blut. Es färbte sich zu einer Mischung aus rosa und blau.
„Definitiv ein magisches Wesen mit einer Verbindung zu Wasser. Die Wunde verheilt bereits“, sie packte sein Gesicht, wandte es erneut hin und her, „gutes Aussehen, und eine deutlich wahrzunehmende, anziehende Aura.“ Sie musterte seine Haut, glotzte ihm mit ihren toten Fischaugen in die Augen und schnüffelte an seinem Nacken. „Keine Schuppen, aber seine Haut fasst sich robuster an. Ich denke, er hat Cecilia die Wahrheit gesagt.“
Hallo? Privatsphäre!
„Wenn er wirklich Nymphenblut besitzt, dann könnten wir uns die weiteren Tests doch sparen, oder?“, fragte die Schwester von Cecilia, die ihn in den Keller begleitet hatte. „Dann ist Nymphenblut definitiv kompatibel mit Menschenblut.“
Er bewegte sich leicht in den Fesseln. Von was um alles in der Welt redeten diese Wahnsinnigen eigentlich? Er war umso mehr froh, dass er nichts von der Suppe gegessen hatte, denn die würde ihm nun wieder hochkommen. Abgesehen von dem Auge, dass darin geschwommen war und dem sauren Geschmack, als wäre sie schon lange überfällig.
Die Alte tätschelte seine Wange.
„Kannst du das mal lassen, du ausgedörrter Haufen Froschlaich?!“, pflaumte er los.
Die Alte watschelte davon, zurück zum Tisch und schleppte die Schüssel mit sich.
„Ein Test ist unerlässlich. Oder willst du sterben, Mädchen?“ Die Alte kam mit einem frischen Gefäß zurück. „Dorothea, trete mal kurz beiseite.“
Die Tochter des Herzogs, die bereits im Keller gewartet hatte, trat weg. Wohl Dorothea. Die andere verschränkte die Arme und blickte woanders hin. Wohl beleidigt.
„Dann beeil dich, Alte. Mutter wartet nicht gerne und ich würde auch gerne endlich Resultate sehen.“
„Mich zu hetzen, bringt nichts.“
„Hört auf mich zu ignorieren!“, forderte Edmund genervt. Die Alte packte erneut seinen Arm und am liebsten hätte er ihr dafür seine Faust ins Gesicht geschlagen. Das wirst du bereuen! Der vertrocknete Haufen Existenz schlitzte erneut seinen Arm auf und befüllte damit die Schüssel. Er würde eine Menge Zitronen brauchen, um die ganzen Blutflecken aus der Kleidung zu bekommen. „Hey, das Hemd ist neu!“
„Stehlen einem Nymphen eigentlich wirklich die Seele bei einem Kuss?“, fragte die -offenbar dumme - Schwester und musterte ihn neugierig.
Was für eine bescheuerte Frage ist das denn!?
„Find es doch raus!“, zischte Edmund und funkelte die Frau finster an.
Die Hexe sah sie an. „Das sind Ghule, Judith!“
„Nymphen sind keine Seelenräuber“, meinte plötzlich eine weitere Stimme. Edmund konnte gerade so weit den Kopf drehen, sodass er sehen konnte, dass zwei weitere Personen den Raum betraten. So langsam wurde es voll hier.
Kommt nur alle herein. Wir haben hier einen riesen Spaß!
Zu den Neuankömmlingen in dieser lustigen Runde gehörten die Herzogin und eine entstellte junge Frau. Sie schien teilweise gelähmt zu sein, da sie ihre rechte Seite nachzog. Die hinkende Frau stellte eine Kiste neben ihm ab. Sie betrachtete ihn aus den gleichen blauen Augen, wie es in der Herzogfamilie scheinbar jeder hatte. War sie auch mit ihnen verwandt? Allerdings schien wohl für diese Schwester von der Schönheit nichts mehr übrig gewesen zu sein. Sie hatte Narben im Gesicht, ihre Haut war seltsam schuppig und die rechte Gesichtshälfte ebenfalls gelähmt.
„Sei still, Elisabeth. Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt.“ Die Stimme der Herzogin war eiskalt. Direkt wurde es im Keller um einige Grad kühler. Die entstellte Frau, die wohl zuvor gesprochen hatte und Elisabeth hieß, zog den Kopf ein.
Edmund musterte Elisabeth. Diese blickte zurück. Da lag etwas Entschuldigendes in ihrem Blick.
„Du bist sehr gesprächig für jemanden, der bereits tot sein sollte.“ Die Herzogin betrachtete ihn mit verschränkten Armen.
Was ist das hier? Ein Kuriositäten-Kabinett? „Hört auf mich anzuglotzen!“
„Wieso lebt er noch?“ Die Herzogin wandte sich an ihre Töchter. Diese zuckten zusammen.
„Wir waren erstaunt, dass er bereits wieder wach war und haben es vergessen. Ich kümmere mich gleich darum.“ Judith nahm ein Messer.
Leg das wieder weg ...
„So schnell seine Wunden heilen und die Wirkung des Giftes nachgelassen hat, dürfte der Großteil bereits auch abgebaut sein“, warf die Hexe ein.
Und das war der Moment, in dem Edmund normalerweise Angst bekommen sollte. Aber irgendwie hatte er in den letzten Monaten zu viel Scheiße durchgemacht, um sich wirklich um sein Leben zu sorgen. Erstaunlich, wenn er darüber nachdachte. Wann hatte er sich daran gewöhnt?
„Ehe man mich jetzt ausbluten lässt wie einen Fisch, könnte mir einer mal verraten, was das hier soll?“
Elisabeth schüttelte leicht den Kopf. Oder bildete er sich das nur ein?
Sie wurde von Judith beiseite geschubst.
Ach toll, ausgerechnet die Doofe!
„Dein Blut wird mir helfen, meine ewige Jugend beizubehalten!“, warf jedoch die Herzogin ein, ehe Judith dummes Zeug regen konnte. Wobei … apropos dummes Zeug.
An was hat die denn geschnüffelt?
„Hast du zu viel von deiner Tintenfisch-Suppe gegessen?“, gab er von sich und hob die Augenbrauen. Gut. Diese Leute waren durchgeknallt. „Nymphen sind jetzt nicht gerade für Langlebigkeit bekannt. Wie wäre es stattdessen mit dem Blut einer Riesenschildkröte oder eines Tiefseehais?“ Er wusste, dass es solche Tränke gab, die einen verjüngten – dank Nelli. Also waren Tränke, die das Aussehen positiv – oder negativ – veränderten, wohl auch machbar. Was man in den Trank hineintun musste, wusste er allerdings noch nicht. Irgendwas sagte ihm aber, dass da kein Nymphenblut hineingehörte und mit Sicherheit nicht seines. Und wenn sie vorhin von Tests gesprochen haben, schien das eine neue Mischung zu sein. Diese Irren machten das also öfter. Und offenbar hatte diese ganze Prozedur niemand überlebt. Andernfalls hätte man außerhalb des Reiches Gerüchte gehört.
Schlussfolgerung. Die atmen hier zu viel dreckige Luft! Er musste dringend von hier verschwinden. Nur wie?
„Schweig still, Nymphe.“
Von dir lass ich mir nichts sagen.
„Und der Trank ist für wen? Eure Schwester?“ Er deutete zu der Entstellten. Vorerst musste er Zeit gewinnen…und etwas austesten. Sein Vater war darin immer gut gewesen. Er selbst konnte seine Kräfte aber immer nur unbewusst einsetzen. Ob ihm das gelang, wenn er es wollte? Nun, entweder er versuchte es und ging dabei drauf, oder er versuchte es nicht, und ging dabei drauf.
Elisabeth schüttelte erneut leicht den Kopf, während die Herzogin lachte.
„Die?! Quatsch! Der Trank ist für uns!“, zischte Dorothea. Sie und Judith lachten laut auf. Die Herzogin schüttelte nur abfällig den Kopf, während Elisabeth den Kopf senkte und der Hexe zur Hand ging.
Edmund tat überrascht.
„Euch? Was? Aber du hast ihn doch gar nicht nötig.“ Er lächelte Dorothea charmant an. „Ihr seid doch bereits der Blickfang auf jedem Fest.“ Schönheit, gepaart mit mehr Arroganz, als ich jemals zusammenkratzen könnte. „Vermutlich rennen euch die Verehrer und Verehrerinnen in Scharen nach.“
Dorothea straffte bei seinen Worten die Schultern und Judith erstrahlte förmlich.
Die lassen sich beeinflussen …
Ein Plan formte sich. Er sah sich um, Gustav stand neben der Tür. Davor und auf dem Gang standen noch mindestens zwei weitere Wachen. Darum konnte er sich gleich noch Sorgen machen, aber eine Wache sollte selbst für ihn kein Problem werden. Den Faktor, den er am wenigsten einschätzen konnte, war die Alte. Wenn sie wirklich eine Hexe war, dann war sie vermutlich die Gefährlichste im Raum.
Er sah zu ihr. Die Alte war gerade mit ihrem Kräutersud und seinem Blut beschäftigt.
Und die Herzogin? Ebenfalls schwer einzuschätzen.
Sein Blick begegnete dem der entstellten Schwester. Elisabeth musterte ihn, kniff die Augen zusammen, als versuchte sie zu erkennen, was er plante. Da sich ihre Wangen rosa färbten, sollte sie jedoch sein kleinstes Problem sein. Sie würde ihm nicht in die Quere kommen.
„Also ist das euer Geheimnis?“, fragte er. „Ein Trank aus Nymphensuppe, der euch schön macht?“
Die Schwestern lachten. Judith wedelte mit der Hand. „Wir erhalten damit nur, was bereits gegeben ist. Wie du bereits festgestellt hast: wir sind der Blickfang, wo immer wir auftauchen.“
Ein Fakt, der auch auf einen Zyklop im Ballkleid zutreffen würde, aber wenn ihr meint.
„Wen findest du schöner?“, fragte Judith.
„Natürlich mich!“ Dorothea drückte ihre Schwester weg. Die beiden stritten.
„Ihr seid beide wunderschön. Ihr habt eindeutig das Aussehen eurer Mutter. Ihre Porzellanhaut, das glatte, schöne Gesicht und die vollen Lippen, langen Wimpern und strahlenden Augen.“ Die beiden Schwestern strahlten unter seinen Worten und reckten sich stolz. Er grinste und suchte zu beiden Augenkontakt. „Wenn Perfektion einen Namen hätte, würde er den eurer Mutter tragen.“
„Mutter?“ Dorothea sah zu der Herzogin, dann zu Edmund zurück. „Willst du damit sagen, sie wäre schöner als ich?“
Edmund lächelte unschuldig. „Ihr seid ebenfalls sehr schön, aber wie gesagt, wahre Perfektion erreicht nur eure Mutter.“
Hoffentlich war das ausreichend, andernfalls kotz ich gleich.
Die beiden Schwestern wurden sichtbar zornig. Ihre Augen glühten regelrecht.
„Lasst euch von ihm nicht anstacheln. Er manipuliert euch“, mischte sich die Hexe ein.
Halt die Klappe, Wachtel!
„Manipulieren? Ich? Euch? Ach was“, gab er unschuldig von sich. „Darf ich keine Komplimente mehr machen? Oder stört es dich, dass ich dich noch nicht bewundert habe?“ Er lächelte sie süßlich an.
„Wenn du das wagst, ist klar, dass du lügst.“
Edmund neigte den Kopf. „Warum? Klar, du bist ins Alter gekommen, aber ich bin sicher, dass du früher mal sehr schön warst. Deine Augen sind jedenfalls voller Weisheit und mit dem Alter kommt die Erfahrung, oder?“
Die Hexe kniff die Augen zusammen. Er grinste.
„Eben. Und meine Erfahrung sagt, dass du lügst.“
Und meine sagt mir, dass du eine verbitterte alte Vettel bist!
„Ich lüge? Wo denn?“ Edmund grinste. Gut bei ihr würde er nicht weiterkommen, aber sie war schließlich auch nicht das Ziel, er musste nur überzeugend genug sein. „Du bist nur eifersüchtig, weil du in diesem Raum voller junger Schönheiten nur da bist, diesen zu helfen, noch schöner zu werden, anstatt den Trank selbst zu nehmen.“ Er sah zu Elisabeth, die neben der Hexe stand und ihn neugierig und irgendwie bewundernd musterte. Toll, die Hässliche haben wir schon mal.
„Moment“, mischte sich Judith ein, „du findest Mutter wirklich schöner? Aber ich bin viel jünger!“
Und dümmer.
Edmund lächelte unschuldig. „Ja, das ist richtig. Du und deine Schwester, ihr habt die gleiche Voraussetzung, aber bei ihr ist da noch so ein Hauch Anmut in den Augen.“ Im Grunde war es keine Anmut, sondern irgendwas, das er nicht benennen konnte. Und es machte sie nicht schöner, sondern gruseliger. Als würde man einer jungen Frau ins Gesicht aber einer Greisin in die Seele blicken.
„Genug jetzt!“, mischte sich die Herzogin ein. Doch damit kam sie wohl zu spät. Judith funkelte erst ihn, dann ihre Schwester finster an.
Drei gewonnen, fehlen noch drei.
Er sah zu Gustav.
„Wie weit bist du, Sybilla?“ Die Herzogin wandte sich an die Hexe. Diese hantierte noch herum, dann hielt sie der Herzogin ein Fläschchen entgegen.
Als die Herrscherin danach greifen wollte, kam ihr Judith zuvor. „Das ist meins!“
„Schleich dich, Kind!“, zischte die Herzogin und versuchte ihr das Fläschchen aus der Hand zu nehmen. Doch Judith war schneller und wich ihr aus.
„Du hattest genug, das hier ist für mich!“
Dorothea schubste ihre Schwester. „Nein, es ist für mich!“
Unter den Schwestern entbrannte ein Streit, in den sich auch Gustav einmischte. Der Wachmann versuchte, die Schwestern voneinander zu trennen, was leichter gesagt war, als getan. Er kassierte zwei Hiebe und 3 Entlassungen. Währenddessen diskutierte die Herzogin mit Sybilla, dass diese ein weiteres Fläschchen anfertigen sollte.
Das wäre amüsanter, wenn weniger Kleidung und mehr Schlamm im Spiel wären.
Keiner der Anwesenden achtete mehr auf ihn. Er sah zu Elisabeth, flehend und mit einer stummen Aufforderung. Elisabeth kam zu ihm, löste die Fessel an seiner rechten Hand. „Du solltest gehen.“ Ihre Stimme war sanft.
Ich hatte nicht vor, hier Urlaub zu machen.
Mit der freien Hand friemelte er den Knoten an seiner linken Hand auf und befreite anschließend seine Beine.
„Stopp!“, brüllte plötzlich die Herzogin und sah in seine Richtung.
Zu spät!
Edmund sprang vom Tisch und brachte ihn zwischen sich und die Herzogin.
„Lasst euch von mir nicht stören“, meinte er und sah sich im Raum um. „Ihr habt doch, was ihr wolltet.“
Die Herzogin befahl Gustav ihn wieder gefangen zu nehmen. Der Wachmann zögerte sichtbar, kam dann aber auf ihn zu und versuchte ihn über den Tisch hinweg zu fassen zu bekommen.
Hoffentlich funktioniert das, andernfalls muss ich doch zu Gewalt greifen. Und darauf hatte er keine Lust.
Edmund beugte sich nach vorn, sah Gustav in die Augen, fixierte ihn und suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen, dass er zu ihm durchdringen konnte. Was nicht so leicht war, wie er dachte. Dann hatte er ihn.
Er schob sich geschickt an Gustav vorbei.
„Halt dich da raus“, forderte er nah an seinem Ohr und entwendete dem Mann seine Waffe vom Gürtel. Selbst in Edmunds Ohren klang seine Stimme seltsam anders. Eher singend.
Die Wache stolperte zurück, starrte ihm in die Augen und blieb verwirrt stehen, unfähig den Augenkontakt zu unterbinden. „Bleib da stehen.“
Gustav nickte langsam.
Aus dem Augenwinkel sah er Judith und konnte sich gerade noch wegducken, als diese mit dem Messer auf ihn einstechen wollte.
Er trat zurück, das Schwert auf die Frauen gerichtet.
Toll … Sollte er nun wirklich gegen Frauen kämpfen? Wo waren die anderen? Die hatten sicherlich keine Hemmungen.
„Jetzt mach was!“, befahl die Herzogin dem Wachmann. Doch Gustav bewegte sich keinen Millimeter.
Guter Junge …
„Was ist? Hast du Angst uns anzugreifen?“, fragte die Hexe herausfordernd, während die Herzogin auf den Wächter einschimpfte. Sie stand an ihrem Tisch und ihre Finger griffen nach einem der ganzen Phiolen, die dort standen. Vermutlich irgendwas, das ihm mächtig um die Ohren fliegen sollte.
„Ich kämpfe nicht gerne“, meinte er, dann lächelte er. Aber das muss ich meistens auch nicht. Er sah zu Dorothea, die in dem ganzen Durcheinander das Fläschchen mit dem Trank wieder aus den Fingern verloren hatte. „Schau Dorothea, Sybilla hat noch ein Fläschchen von deinem Wundermittel. Hol es dir!“ Er deutete zu der Hexe, die ihn kurz überrascht ansah.
Dorothea betrachtete ihn, er fixierte ihre Augen, dann wandte sie sich beinahe mechanisch zu der Hexe, ihre Augen glitten zu der Phiole in deren Fingern.
„Gib es mir!“, forderte sie und stürzte sich auf die Hexe. Die Alte fluchte laut los und versuchte, Dorothea von sich fernzuhalten. Die Adlige riss einige der Tränke und Behälter vom Tisch.
Edmund nutzte den Moment der Ablenkung. Er näherte sich Judith, suchte auch zu ihr den Augenkontakt, wand sich an ihr jedoch vorbei. Sie folgte ihm mit den Augen.
Damit ist sie offiziell die Dümmste im Raum.
Er hielt ihre Händen, in denen noch das Messer lag, zog sie an sich. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, sah ihr in die Augen und flüsterte: „Wenn deine Mutter nicht wäre, wärst du die Schönste in der Familie.“ Judith starrte ihn an, dann verdunkelte sich ihr Blick und sie sah zu ihrer Mutter. Der Griff um das Messer wurde fester. Mit einem Kreischen warf sie sich auf ihre Mutter.
Derweil war Dorothea damit beschäftigt, der Hexe ihre eigenen Kräuter an den Kopf zu werfen und den Tisch kreischend dem Erdboden gleich zu machen. Dabei fiel der Hexe die Phiole aus der Hand und diese explodierte in einem grellen Lichtblitz.
Verfluchte Scheiße! Edmund riss sich gerade noch rechtzeitig die Hände vor das Gesicht.
Um ihn herum kreischte und stöhnte es, er selbst sah nur noch Umrisse.
Er wandte sich um, stolperte aber über irgendwas am Boden und krachte der Länge nach hin. Sein Kopf stieß irgendwo gegen, es polterte. Es dauerte einige Sekunden, da klärte sich seine Sicht. Schemenhaft erkannte er den kaputten Tisch vor sich, die Adligen Frauen, die sich die Augen rieben.
Edmund sah sich um, die meisten Gefäße, die vom Tisch geschleudert worden waren, waren heil geblieben. Er griff nach einem davon und öffnete es. Der Geruch kam ihm bekannt vor. Nelli hatte ebenfalls etwas von diesem Zeug. Wie hieß es noch gleich?
Yopo, glaub ich. Das könnte funktionieren …
Er hielt sich den Ärmel seiner Jacke vor die Nase. In diesem Loch gab es nicht mal ein Fenster.
„Ich sehe im Übrigen viel besser aus als ihr alle zusammen."
Er öffnete das Gefäß und warf den Inhalt über den Tisch in den Raum zu den Frauen. Beinahe explosionsartig verteilte sich eine Staubwolke im Raum. Die Hexe hustete und fluchte. Und kam um den Tisch herum. Elisabeth stellte ihr jedoch das Bein, sodass die Alte fiel und einen großzügigen Atemzug des Halluzinogens inhalierte. Die entstellte Adlige hielt sich ein Tuch vor das Gesicht.
Edmund kam derweil wieder auf die Füße.
„Der Schlüssel für den Raum?“, fragte er durch den Stoff an Elisabeth gewandt. Diese schüttelte den Kopf.
„Die Wachen draußen.“
Großartig … Warum hatten die eigentlich noch nicht reagiert?
Er wandte sich zu dem zerstörten Tisch. Vielleicht war dort etwas, mit dem er das Schloss zerstören konnte. Auf seiner Suche fiel ihm der Trank der Alten in die Hände.
Ich schätze, den brauchen sie jetzt nicht mehr.
Er steckte ihn ein. Immerhin war da sein Blut drin.
Judith kreischte auf und schrie etwas von Dämonen, die sie angriffen. Sie schlug um sich, stocherte mit dem Messer in der Luft herum und traf dabei Dorothea. Die Adlige schrie als würde sie bei lebendigem Leib verbrennen. Die Herzogin hielt sich die Ohren zu. Sie blutete am Arm und der Schulter. Wahrscheinlich hatte Judith sie dort bereits mit dem Messer erwischt.
Gustav faselte dagegen etwas von Vögelchen und blickte verträumt zur modrigen Decke.
Vor der Tür wurde ebenfalls Tumult laut und ließ Edmund innehalten. Dann flog die Tür aus ihren Angeln, traf dabei die Herzogin mitten im Gesicht und schleuderte sie an die gegenüberliegende Wand.
Ups.