@Alopex Lagopus Da habe ich mich beim Schreiben tatsächlich auch ziemlich traurig gefühlt. Schon interessant, wie sehr einen eigene Texte mitnehmen können.
Zu deiner Anmerkung: Habe mir schon gedacht, dass du das bemerkst. Ich habe selbst länger darüber nachgedacht, wie ich es hinbekomme, dass Kirian noch ein bisschen Zeit bekommt. Im nächsten Teil gibt's eine kleinen Grund, weshalb der Gegner gezögert hat ... was Besseres ist mir echt nicht eingefallen. Aber sonst wäre es zu wenig emotional geworden. Na ja, mal sehen, vielleicht finde ich da noch eine nachvollziehbare Lösung.
Kirian war unfähig, was geschah, zu begreifen,
»Artie«, sagte er drängend und begann ihn vorsichtig, dann kräftiger zu rütteln. »Artie, steh wieder auf! Komm schon, wir müssen hier weg! Du bist nicht tot, stimmt's? Du kannst gar nicht tot sein!«
»Ooh, die Szene, die du gemacht hast, war aber rührend«, spottete der Soldat, der soeben gegen Kirian gekämpft und bisher verharrt hatte. Sein verächtliches Gelächter löste etwas in Kirian.
Jemand hat Artemis ermordet.
Unbändige Wut entflammte in Kirian. Behutsam legte er die Leiche ab, riss das Schwert hoch und schrie seine Verzweiflung heraus, ehe er Worte fand.
»Du hast mir Artemis genommen!« Unkontrolliert vollführte Kirian Schläge, die der Himitsu nur knapp abwehrte. »Wie konntest du nur?!«
»Das war nicht mal ich, du Heulsuse von Verräter!«
Das Risiko, das sich Kirian einfing, wenn er gegen einen Himitsu kämpfte, war ihm vollends gleichgültig. Noch mochte er Artemis' Tod nicht akzeptieren; ihm war, als gäbe es eine Möglichkeit, alles rückgängig zu machen.
»Sei still!«, schrie Kirian verzweifelt und entdeckte seine wahre Geschicklichkeit. Diesmal schreckte er nicht zurück, seinen Gegner zu verletzen, und er war keineswegs geschockt, als er mit der Schwertklinge dessen Halsschlagader durchrennte.
Das schreckliche Bild vom niedersinkenden Himitsu berührte ihn nicht. Kirian zweifelte nun auch daran, ob dieser überhaupt Artemis ermordet hatte, da er es unter diesen Umständen mitbekommen hätte. Trotzdem verdiente dieser Mann sein Schicksal, hatte er ihn doch ausgelacht und verspottet.
Und der wahre Mörder konnte sicher nicht weit sein.
Seitdem Ramona Artemis aus den Augen verloren hatte, waren nur wenige Minuten verronnen.
Gekleidet in ein Gewand der Roten hatte sie es geschafft, unbemerkt als Frau am Kampfgeschehen teilzunehmen.
Doch einen Plan entwickelte sie erst, als sie Kirian erblickte.
Ramona hatte sich leicht damit abgefunden, dass galt: töten oder getötet werden. Weil sie keinen der Männer kannte, verspürte sie wenig Mitleid, wenn sie angegriffen wurde und gewann. Die meisten Kämpfer wirkten wie Laien, die zum ersten Mal versuchten, mit einem Schwert umzugehen; nichts im Vergleich zum Duell gegen Taron.
»He!«, rief Ramona auf Kirian zusteuernd, dessen Name ihr in diesem Augenblick nicht einfallen wollte.
Einen Kirian zu finden, der wild um sich schlug und dem das Wohl anderer egal zu sein schien, war das Letzte, was sie erwartet hatte. Unwillkürlich machte sie sich auf ein beschwerliches Wiedersehen gefasst.
Als sie kurz vor ihm stand, rechnete sie prompt damit, angegriffen zu werden, und wurde nicht enttäuscht.
»Warst du es?!«, zischte Kirian in einem feindseligen Ton.
Erkennt er mich nicht?
»War ich was?«, entgegnete Ramona, blockte einen Schlag und lehne sich vor, sodass Kirian durch den Druck ein paar Zentimeter zurückweichen musste.
»Hör auf, dich dumm zu stellen!«
Was auch immer mit Kirian geschehen war, Ramona musste ihn beruhigen.
»Erkennst du mich denn gar nicht?« Ramona konzentrierte sich voranging aufs Ausweichen, um ihrem Kameraden keinen Schaden zuzufügen. »Ich bin's, Ramona.«
Immer weniger Schreie drangen an ihr Ohr, was darauf hinwies, dass sich der Kampf dem Ende zuneigte. Welche Seite wohl die meisten Opfer zählten?
»Verarsch mich nicht!«, brüllte Kirian.
»Du verarschst mich doch gerade! Wie kannst du mich nicht erkennen?!« Normalerweise brauchte es viel, damit Ramona laut wurde und ihr gleichgültiger Blick Entschlossenheit widerspiegelte, aber allmählich wurde es ihr zu viel. Gestern war es Artemis gewesen, der sie missverstanden und distanziert behandelt hatte, heute trat ihr Kirian scheinbar grundlos wütend entgegen.
»Oh.« So plötzlich, wie Kirian sie angegriffen hatte, senkte er seine Waffe wieder. »Du bist es ja wirklich.«
Zufrieden nutzte Ramona die Zeit, durch Beobachtung abzuschätzen, wie es um die anderen Krieger stand. Ihr fiel schnell auf, dass die Roten nur noch eine Minderheit bildeten, die hoffnungslos von den Himitsu niedergemetzelt wurden. Für Kirian drohte inzwischen wenig Gefahr, wohingegen sie wachsam bleiben musste.
»Was war mit dir los?«, wollte Ramona wissen, die flink einen neuen Entschluss traf. Siegten die Himitsu, blieb ihr, falls sie überleben wollte, nichts anderes übrig, als unauffällig die Seite zu wechseln. Gar keine leichte Aufgabe, wenn man das rote Hemd und die weiten Hosen der Gegner trug.
»Ich ...«, begann Kirian, dann versagte seine Stimme und er vergrub das Gesicht in seinen Händen. Keine gute Idee, aber Ramona blieb keine Zeit, ihn zu decken. Kirian war aus irgendeinem Grund sichtlich verwirrt und sie würde ihm helfen, nachdem sie einem toten Himitsu die Kleidung gestohlen hatte, welche sie sich überstreifen wollte.
Für die Hose reichte es nicht, aber sie konnte einer Leiche ein zu großes Hemd entwenden, das sie über ihr eigenes zog. Die Hoffnung zur Deckung legte sie auf einen Helm, der eindeutig zeigen sollte, von welcher Seite sie angeblich stammte.
Danach wollte sie Kirian warnen, er solle aufmerksamer bleiben, doch das wurde ihm bereits unwillkürlich klargemacht. Einer der Roten, der nur noch kraftlos am Boden herumkroch, erwischte Kirian mit einem Messer, bevor Ramona ihn tötete. Über das Morden, das sie so emotionslos tat, hatte sie bisher kein einziges Mal nachgedacht.
Ramona fluchte, als Kirian durch das Messer, das tief in seinem Oberschenkel steckte, auf den Boden sank. Vielleicht musste sie doch ohne ihn fliehen.
»Halt durch, der Kampf ist gleich entschieden.«
»Es tut aber so weh«, schrie Kirian auf, völlig von seinem vorherigen Temperament verlassen. »Es tut so weh! Mach, dass es aufhört!«
Nur noch vereinzelt wurde gekämpft, die übrig gebliebenen Roten versuchten erfolglos zu fliehen. Da Ramona von niemandem mehr bedränget wurde, wandte sie sich Kirian zu. »Warte, wir entfernen das Messer, aber erst mal brauche ich etwas, um die Blutung zu stoppen.«
»Nein!«, rief Kirian aus. »Nein, das ist es nicht! Artemis ist tot. Artemis ist tot, das alles hat doch keinen Sinn mehr!« Ramona konnte schlecht glauben, wie Kirian, der über alles hinweg gelächelt und jeden aufgemuntert hatte, so zerbrochen vor ihr saß und mit den Tränen kämpfte.
»Pass auf, du musst dich beruhigen, sonst ...«
»Er liegt hier irgendwo, hörst du? Und alles ist meine Schuld! Es tut so schrecklich weh...« Überstürzt umfasste Kirian den Griff des Messers, dann zog er es mit einem Ruck heraus. Ramona begriff sofort, was er wollte, als er es vor seinen Hals erhob, und sie konnte ihn gerade noch rechtzeitig aufhalten.
»Tu jetzt nichts Unüberlegtes!«
Kirian hob seinen Kopf, betrachtete Ramona mit dem betrübtesten Ausdruck, den sie sich vorstellen konnte. Dann fiel er ihr schluchzend um den Hals.
»Scheiße ... Scheiße!«
Obwohl Ramona Körperkontakt hasste, riss sie sich zusammen und ließ Kirian stumm gewähren. Das, was er am ehesten brauchte, war das Gefühl, nicht allein zu sein.
Aber warum denke ich das überhaupt? Wir sind nur noch zu dritt, einen Ausweg hat es wahrscheinlich nie gegeben. Vielleicht sollte ich auch anfangen, mich damit abzufinden.