„Wieso macht ihr überhaupt so einen Aufstand?“, fragte Anna dazwischen. „Wieso kippt ihr nicht ein paar Tonnen Beton drauf und bunkert euch ein?“
„Das wäre nicht stabil genug“, widersprach Erik. „Das Portal senkt sich jedes Jahr um einige Zentimeter ab. Das wäre der Tod einer jeden Betonkonstruktion. Wir haben selbst mit dem Hochbunker schon unsere Probleme.“
„Ist durch dieses Absinken dieser Trichter da draußen entstanden, in dessen Zentrum das Portal ist?“, fragte ich dazwischen.
„Nicht ganz“, wiedersprach der Wissenschaftler. „Der Großteil davon ist bei der Explosion entstanden und das ist schon Jahrzehnte her. Dennoch kann man nachmessen, dass sich der Boden immer weiter absenkt. Warum das so ist, weiß keiner. Aber es sorgt dafür, dass wir halt die Lager brauchen.“
„Ich muss hier noch einmal meinen Kollegen ergänzen“, fiel Michael ein. „Andere Portale werden durchaus mit Betonfestungen verteidigt. Die Amerikaner haben ihr erstes Portal zum Beispiel recht massiv gesichert. Ihr zweites im mittleren Westen hingegen nicht.“
„Warum das denn?“
„Wir wissen schlichtweg nicht, was die Jahrmillionen überdauern könnte“, erklärte Michael weiter. „Tote Dinosaurier werden irgendwann zu Diamanten. Was passiert dann mit Stahlgittern? Was ist, wenn ein Geologe plötzlich ein versteinertes RX findet? Das ist ohnehin unsere Horrorvorstellung.“
Erik ergänzte: „Hier bei uns, bauen und planen wir so, dass wir jederzeit unsere Sachen packen und durch das Portal zurückreisen können. Bei uns dominieren Leichtbauweisen. Selbst die kleinen Lagerbunker sind einfach abzureißen. Nur der Hochbunker ist schwierig, zugegeben. Aber es ist großer Unterschied, ob man nur eine Baustelle oder ein Dutzend davon hat.“
„Ihr plant damit, jederzeit wieder aus der Kreidezeit zu verschwinden“, fasste ich zusammen.
„Ganz genau“, nickte Erik. „Die Wissenschaftler auf der anderen Seite gehen fieberhaft alle Möglichkeiten durch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir einen Durchbruch erzielen.“
Er schaute uns drei genau in die Augen. „Solltet ihr euch dafür entscheiden auf die andere Seite zu gehen, würde das auch eure Aufgabe werden. Wir geben euch neue Ausweispapiere, eine Wohnung, einen Job, ... die einzige Bedingung ist, dass ihr für eine unserer Scheinfirmen arbeitet, damit ihr direkt oder indirekt entweder die Wissenschaftler oder die Militäroperationen in der Kreidezeit unterstützt.“
Immerhin standen wir nicht ohne alles da, sobald wir hier raus waren. Allerdings wollte man uns offensichtlich kontrollieren. Die Scheinfirma-Bedingung war sicher nicht ohne Grund genannt worden. Wenn ich ein Haufen Aussteiger kontrollieren wollte, würde es nicht anders machen. Glücklich machte mich das aber nicht.
„Kommen wir zum nächsten Punkt. Jeder von euch hat das Anrecht seine eigene Akte einzusehen“, eröffnete uns Erik und ging zu einem Büroschrank, dessen abblätterndes Holzimitat auf intensive Benutzung hinwies.
„Ihr habt hier Akten über uns?“, hörte ich mich fragen.
„Ja, natürlich“, antwortete Erik, während er die Schublade herauszog. „Wir arbeiten hier streng nach Vorschrift. Jeder Schritt muss dokumentiert werden.“
Das klang nach typisch deutscher Bürokratie.
„Hier haben wir ja die erste Akte“, murmelte er und zog eine altmodische, braune Papiermappe aus dem Schrank.
„Die hast du aber verdammt schnell gefunden“, bemerkte ich.
„Ach, die sind sortiert“, winkte Erik ab. „Die meisten kommen innerhalb der ersten zwei bis sechs Wochen zu uns, egal ob sie vom Rückkehrrecht wissen oder nicht. Dann lass mich mal sehen ...“
Er schlug die Mappe auf und las einen Moment. „Ein Autounfall. Der Fahrer war viel zu schnell in der Kurve, verlor die Kontrolle, wickelte den Wagen um einen Baum, Motorblock schob sich in die Fahrerkabine. Beifahrer wurde schwerstverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Ziemlich hässliche Geschichte, ich erinnere mich. Bei dir mussten wir uns enorm beeilen, du wärst uns fast auf dem Tisch weggestorben. Heftige innere Verletzungen. Möchtest du mal sehen?“, fragte er mich und hielt mir auffordernd die Mappe hin.
„Nein, danke“, lehnte ich ab. Mir stand wirklich nicht der Sinn danach mir Fotos meiner inneren Organe anzugucken. Mein Magen fing schon bei dem Gedanken an zu rebellieren.
„Gab sogar einen Zeitungsartikel darüber“, bot er erneut an.
„Nein, wirklich nicht“, winkte ich ab. Der Kerl hatte definitiv zu wenig Freizeit.
„Dann halt nicht“, meinte er bedauernd und schlug die Akte wieder zu. „Dann schauen wir mal, was bei den anderen so steht ... also bei den Frauen. Irgendetwas mit A ... Anna ... da haben wir es.“
Er schlug die nächste Mappe auf. „Achja, Haushaltsunfall. Gar nicht mal so selten. Keine Leiter benutzt, schwere Kopfverletzung. Wäre schon schlimm genug gewesen, aber du lagst dann stundenlang alleine auf dem Boden, das hat dir den Rest gegeben. Du willst es vermutlich auch nicht lesen, nein?“
Er seufzte und griff die nächste Akte, öffnete sie und schloss sie mit einem gequälten Stöhnen sofort wieder.
„Ja, das tut selbst mir weh. Ich habe noch niemals gesehen, wie man einen Ferrari so systematisch zu Schrott fahren kann.“
Wir schauten Lisa an, die nur mit den Achseln zuckte: „Ja, was denn? Ich hab halt Geld. Na und?“
Erik schien etwas aufgefallen zu sein. Er nahm das Dossier von Anna erneut in die Hand und runzelte die Stirn. „Hier steht, du hast eine Tochter zurückgelassen. Stimmt das?“
Sie nickte. „Ja, das ist auch der Grund, warum ich wieder zurück will.“
„Wenn du deine Tochter wieder zurückhättest, könntest du dir dann vorstellen, weiter hier zu leben?“
„Nein, da das Lager die reinste Hölle ist.“
„Ah“, machte der Wissenschaftler und schien einen Moment lang zu überlegen. „Wenn das Lager in Ordnung wäre, würdest du dann hier bleiben?“
Anna runzelte die Stirn. „Vermutlich schon. Auf was willst du hinaus?“
„Auf folgendes“, Eriks Stimme war jetzt ganz sachlich. „Wir haben zu wenige Leute hier und Nachschub ist kaum zu beschaffen. Zwecklos das zu bestreiten. Daher würden wir es gerne sehen, wenn ihr drei hierbleiben würdet.“
Sein Kollege fügte hinzu: „Natürlich ist uns auch klar, dass das nicht so einfach ist. Ihr habt euch hierher durchgeschlagen und hattet es alles andere als leicht. Wir haben euch beobachtet und wir sind auch keine Idioten. Wir hatten eine Reform des Nestes beauftragt, aber wir wurden ganz offensichtlich ignoriert. Das ist etwas, was uns persönlich ärgert. Darum unser Angebot: Ihr sagt uns, was euch stört, wir werden es beseitigen und ihr bleibt hier.“
„Warte!“ Mein Arm schoss vor und zog Anna beiseite. „Ich habe da eine Idee.“