Beiträge von Nyneve

    Neneve und Gyahara warfen Cifer noch einen skeptischen Blick zu, ehe sie langsam ihren Weg fortsetzten. Nachdem auch Casper ihn immer wieder aufmunternd ansah, begann Cifer sehr zögerlich.
    Dachtet ihr etwa, ich wäre der Einzige, der sich in Raben verwandeln kann?“ Neneve zog eine Augenbraue nach oben. Mit einer rhetorischen Frage war ihnen nur in sehr geringen Maßen geholfen. Dennoch steckte Cifers gute Laune an und milderte ihre Miene wieder ein wenig - und natürlich die Tatsache, dass sie und Gyahara sich noch einmal über ihren vergangenen, gemeinsamen Ausflug unterhielt hatten.
    Ihre Neugier jedoch war noch nicht wirklich gestillt.
    Und woher wusstest du, dass diese Katze ... ein sehr interessantes Eigenleben hat?“, drückte sie es recht unbeholfen aus.
    Ehm... Glück?“, erwiderte Cifer schwach. Am liebsten hätte die Elfe nun auch noch die andere Augenbraue nach oben gezogen.
    Das Schicksal“, frotzelte Casper theatralisch.
    Und was hast du jetzt mit ihm vor?“, mischte nun auch Gyahara mit.
    Das weiß ich nicht so genau. Aber ich kann ihn nicht seinem Schicksal überlassen“, erklärte Cifer. Es sah nicht unbedingt danach aus, als hätte er sich bereits viele Gedanken darüber gemacht. Aber wenn Neneve ehrlich war, hatten sie während ihrer Reise ohnehin nur selten einen Plan gemacht. Und wo waren sie jetzt? Sie lebten noch - was viele andere von sich nicht mehr behaupten konnten. Unbewusst strich sie wieder einmal über ihre Armbänder und lächelte schwach.

    Als Gyahara sie aus ihren Gedanken rief, atmete sie erleichtert auf. So schmerzlich es auch war, sie konnte nichts mehr für ihn tun und sollte sich stattdessen auf die Zukunft vorbereiten - wie auch immer diese aussehen würde.
    Wie lange werden wir noch unterwegs sein?“, wollte die Dämonin wissen.
    Bestimmt noch ein oder zwei Tage“, mutmaßte Neneve.
    Dann werden wir den Kleinen also noch ein wenig öfter zu sehen bekommen. Cifer scheint ja mit Feuereifer bei der Sache zu sein“, erwiderte Gyahara und lächelte. Neneve nickte. Es war schön, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn möglicherweise besser verstehen konnte als einer von ihnen.
    Dennoch werde ich den Jungen so schnell nicht aus den Augen lassen - er wurde immerhin von den Assassinen großgezogen. Wer weiß, was die ihm so alles beigebracht haben“, murmelte Neneve. Innerlich seufzte sie. Sie konnte einfach nicht über ihren Schatten springen. Zu oft war sie bereits hintergangen worden, als dass sie jemandem von vornherein vertrauen konnte. Wenn sie daran dachte, wie lange es gedauert hatte, bis sie Casper, Gyahara, Cifer und schließlich auch San hatte vertrauen können. Im Nachhinein jedoch war sie sehr froh, die vier kennengelernt zu haben.
    Er hatte es bestimmt nicht einfach“, stimmte Gyahara ihr teilweise zu. Es dauerte einen Moment, bis Neneve sich erinnerte, worüber sie überhaupt gerade sprachen.
    Ich will nicht wissen, was San bei ihnen erlebt hat“, murmelte Neneve betroffen.
    Aber er war wenigstens äußerlich wie alle anderen. Wenn man jedoch anders aussieht oder andere Dinge kann und macht - dann ist man sehr schnell sehr einsam“, erwiderte Gyahara und fuhr mit den Fingern den Rand ihrer Kapuze nach.
    Neneve schwieg. Seitdem sie so viel Zeit im Reich der Menschen verbracht hatte, trafen auch sie diese Worte.
    Und egal was man macht und wie sehr man sich auch bemüht, sich anzupassen - man wird nie wie all die anderen sein.“ Schweigend stimmte Gyahara ihr zu. Inzwischen hatten sie den Wagen wieder erreicht und liefen neben ihm. Die Elfe warf einen prüfenden Blick auf die Ware, die sich auf ihm türmte. Kleidungsstücke - vor allem Pelze und Umhänge, um sich vor der bevorstehenden Kälte zu schützen. Hoffentlich würden bis dahin einige Unterkünfte wieder aufgebaut sein.
    Auch wenn der Krieg nun offiziell vorbei war, würden seine Auswirkungen die Gebiete und Länder wohl noch jahrelang schwächen.
    Neneve seufzte, während sie wieder ihren Füßen dabei zu sah, wie sie Meter um Meter hinter sich ließen.

    Die Anspannung fiel langsam von Neneve ab, während sie noch immer ihr Schwert umklammert hielt. Mit Schaudern bemerkte sie die rostbraune Verfärbung der Klinge. Obowohl sie sich so langsam an den Anblick hätte gewöhnen müssen, bereitete er ihr noch immer Übelkeit. Wie viele Assassinen sie an diesem Abend wohl hatte töten müssen? Sie hatte es komplett ausgeblendet. Die Tatsache, dass die meisten von ihnen deutlich jünger als sie selbst waren, machte es ihr auch nicht unbedingt leichter.
    Die folgendenden Tage, während alle angespannt und besorgt auf die Rückkehr von Cifer, San und all den anderen Soldaten warteten, waren wahre Drahtseilakte. Währends sein Vater sich in seinem Arbeitszimmer regelrecht verschanzt hatte, sah man auch sonst nur in bedrückte Gesichter. Und je mehr Tage verstrichen (es waren gerade einmal zwei bisher), desto tiefer wurden die Sorgenfalten.
    Neneve unterhielt sich am Abend des zweiten Tages mit Casper und Gyahara.
    "Glaubt ihr, die Assassinen hatten einen Mitwisser?", fragte sie die beiden gerade.
    "Du meinst, jemand hier aus der Stadt - vielleicht sogar aus diesem Haus, der von unseren Plänen wusste und sie gewarnt hat?", fügte Casper hinzu.
    "Gyahara, hattest du nicht die Vermutung, dass sie ahnten, dass es sich um eine Falle handelte?", bekräftigte sie ihre Vermutungen.
    "Ich weiß es nicht. Mir kam es nur seltsam vor, dass sie mich im Garten gemeinsam angegriffen haben. Schließlich scheinen sie ja normalerweise nicht zusammenzuarbeiten...", erklärte diese.
    "Unsinn. Die haben nur bemerkt, dass sie auf die gleiche Familie angesetzt wurden und haben dann zusammengearbeitet", widersprach Casper.
    "Und wenn nicht? Wenn sie von Anfang an einen Hinweis erhielten und sich darauf vorbereitet haben? Wenn das hier nur eine Ablenkung war?", jammerte Neneve weiter. Quälende Sorge machte sich breit. Cifer und San gehörten nun zu ihrer kleinen Gruppe und waren inzwischen so etwas wie - Neneve wagte es kaum fertigzudenken, da sie noch immer kämpfen musste, um über ihren Schatten zu springen - Freunde. Sie wollte auf keinen Fall, dass die beiden in Gefahr schwebten. Oder... nein, Unsinn, sie sollte sich lieber zusammenreißen.
    "Außerdem konnten die Assassinen es erst hier bemerken - wenn überhaupt. Und dann war es ohnehin zu spät. Keiner von ihnen war mehr in der Lage, eine Warnung abzusenden oder selbst zurückzukehren", fuhr Casper fort, als hätte er die Gedanken der Elfe gelesen.
    "Hoffentlich", murmelte sie, während sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte.
    "Sie werden ja spätestens in zwei Tagen wieder hier sein. Dann werden wir es ohnehin wissen", erklärte Gyahara pragmatisch.
    Neneve nickte. Ihre Zweifel waren immer noch nicht komplett ausgelöscht, aber immerhin hatte Casper sie ein wenig beruhigen können. Und die Dämonin hatte Recht, es brachte sie nicht weiter, in diesem Augenblick weiter vor sich hin zu grübeln.
    "Was passiert eigentlich, wenn wir das hier alles überstanden haben?", lenkte Casper das Gespräch auf andere Bahnen.
    "Wie meinst du das?", fragte Neneve, die mit ihren Gedanken noch immer bei ihrem vorherigen Gesprächsthema war.
    "Naja, dieser Orden - ich bin mir sicher, dass Cifer und San erfolgreich waren und er nun Geschichte ist. Aber was ist mit uns? Sind wir es damit auch? Ich meine - was sind wir dann noch? Ein seltsamer Haufen zusammengewürfelter Problemfälle, die in der Weltgeschichte umherirren?", stimmte Gyahara Casper damit zu.
    "Ihr fragt euch, ob wir zusammen bleiben oder ob es das war?", schlussfolgerte Neneve, während sie nun vollständig auf ihre Sorgen einging und die Sorgen in die hinterste Ecke verbannte.
    "Exakt", seufzte Gyahara.
    "Ich könnte es San nicht verdenken, wenn er lieber hier bleiben würde... Aber wir anderen? Ich kann und will nicht wieder in meinen alten Beruf - und ich denke, Gyahara geht es da nicht anders", seufzte Casper.
    "Tja, ich kann mich so schnell auch nicht wieder in Bamaria sehen lassen", gab sich Neneve geschlagen...

    Neneve runzelte die Stirn. Hundertprozentig überzeugt war sie von dem Vorschlag noch nicht. Andererseits fielen ihr jedoch auch keine Alternativen ein. Und San hatte Recht, auf dem Terrain der Assassinen selbst hätten sie nicht einmal den Funken einer Chance.
    "Du willst also allen, oder zumindest den meisten, Assassinen Aufträge übermitteln, die sie dann in Fallen locken?", fasste sie es noch einmal kurz mehr für sich selbst zusammen.
    "Ja, damit wäre die Enklave weniger gut bewacht und wir hätten eine Chance, dort einzudringen", bestätigte Cifer. Einen Augenblick herrschte Schweigen, ehe San dies zögernd brach.
    "Das wäre vielleicht machbar", stimmte San ihm schließlich zu.
    "Und möglicherweise unserer einzige Chance", ergänzte Casper.
    "Das werden die Assassinen nicht merken? Ist es nicht etwas seltsam, wenn sie plötzlich einen Haufen neuer Aufträge erhalten?", unkte die Elfe.
    "Nicht, wenn wir uns geschickt anstellen. Die Kommunikationswege innerhalb der Enklave sind oft sehr kompliziert, damit niemand zu viel weiß. Die Assassinen selbst wissen meistens nur das Nötigste. Wer, wann, wie, etc., das sind die Fragen, die für sie wichtig sind. Das, und natürlich die Bezahlung", sagte San.
    "Dann werden wir uns eben besonders geschickt anstellen", resümierte sein Vater, "und die Bezahlung wird so sein, dass sie nicht mehr lange darüber nachdenken. Gleichzeitig jedoch auch nicht zu hoch, um keinen Verdacht zu schöpfen."
    "Wie viele Assassinen gibt es denn noch?", wollte Casper pragmatisch wissen. Alle Blicke richteten sich auf San, der noch immer etwas nervös wirkte.
    "Nach dem Angriff in Bamaria werden es sicher ein paar weniger sein. Aber genau lässt sich dies nur schwer sagen", erklärte dieser dann.

    Neneve hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Immer wieder hatte sie sich von der einen auf die andere Seite gerollt und gehofft, aus diesem Albtraum zu erwachen. Was für ein lächerlicher Gedanke. Casper, Cifer, Gyahara, San und sie hatten schon ganz andere Dinge überstanden - dagegen war Sans Vater ein harmloser Windhauch.
    Jetzt, nachdem Neneve sich kaltes Wasser ins Gesicht geschaufelt hatte und ein aufmunternden Blick von Gyahara erhalten hatte, fühlte sie sich zumindest soweit gewappnet, den anderen gegenüber zu treten.
    Als die beiden ihr Zimmer verließen, versuchte die Elfe, die beiden Wächter mehr oder weniger erfolgreich zu ignorieren. Wie schön, dass Jered Al-Dara ihr auf so nette Art und Weise zu verstehen gab, wie sehr er die Elfen schätzte.
    Neneve seufzte. Sie hätte jetzt gerne Vargas, Lovia und Aiana bei sich gehabt, die ihr Zuversicht und Selbstbewusstsein schenkten, doch diese hatten es vorgezogen, in den Wäldern um die Stadt herum zu verweilen. Verübeln konnte sie es ihnen nicht. Hätte sie die Wahl gehabt, wäre sie jetzt am liebsten bei ihnen.

    Als sie vor der großen Holztür standen, hinter der sich vermutlich der Raum befand, in dem auch Sans Eltern zugegen waren, begannen Neneves Hände zu zittern. Innerlich scholt sie sich eine Närrin und beschwor ihren Stolz hervor. Die Menschen würden schon noch merken, wen sie in ihrem Haus hatten - sie war schließlich keine einfache Magd, die man hin und her scheuchen konnte, wie man beliebte.
    Doch bereits als sie den Raum - besser gesagt die Halle - betraten, schlug ihr eine Welle von Abneigung entgegen. Jereds Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während der Rest der Familie sie fast schon ängstlich anstarrten. Was sie wohl fürchteten? Glaubten sie, Neneve würde jeden Augenblick ihre Hände ausbreiten und Flammen aus ihren Fingern schießen lassen?!
    Mit einer aufgesetzten, an der Grenze des freundlichen liegenden Begrüßung, setzte sich Neneve zu Casper und Cifer. San saß rechts neben seinem Vater, sodass ein Sitz zwischen ihm und Casper frei blieb.
    Mit hoch erhobenem Kopf ließ sich Neneve auf ihren Sitz gleiten. Dankbar lächelte sie Cifer an, als dieser ihr eine klare Flüssigkeit in ihren Becher schenkte. Offenbar trauten die beiden Mägde, die sich am Buffet versteckten, nicht, ihr zu Nahe zu kommen.
    "Nun, nach dem wir jetzt vollständig sind-", dabei vernahm Neneve einen deutlichen, abschätzigen Unterton in Jareds Stimme, "können wir ja über das Geschäftliche reden." Das Geschäftliche, so nannte man dies also. Am liebsten hätte Neneve laut geschnaupt. Für was hielt sich dieser Mann eigentlich?
    "Vermutlich erwartet Ihr nun, dass ich Euch zunächst einmal entgegenkomme und von den letzten Ereignissen berichten sollte...", begann Neneve. Die Stimmung im Saal war zum Zerreißen.
    "Ich glaube kaum, dass dies noch nötig sein wird. Die Tatsachen liegen doch auf der Hand, nicht wahr? Wie fühlt es sich denn an, überall als Verräterin zu gelten?", unterbrach Jered sie scharf.
    San beruhigte seinen Vater mehr oder weniger erfolgreich: "Ich halte es für wichtig, das Geschehene erneut aufzugreifen. Vor allem, weil wir dadurch zu dem eigentlichen Problem kommen."
    Demonstrativ verschrenkte Jered seine Arme vor der Brust, sah Neneve jedoch herausfordernd an.
    Und sie begann. Angefangen bei der ersten Begegnung mit dem Orden der aufgehenden Sonne bis hin zur Ermordung Zumiras und ihrer Flucht.
    Als sie fertig war, sog Jered hörbar die Luft ein.
    "Und was genau ist daran nun MEIN Problem?" Es war eine Fangfrage, das spürte Neneve sofort. Jered wollte sie in die Enge treiben, sodass sie die Kontrolle verlor und er sie endlich verhaften und vermutlich hinrichten lassen konnte. Dieser Mann hatte einen so tiefen Hass auf die Elfen, dass es ihr fast die Kehle zuschnürte, nun in seinem Haus zu sein.
    "Ihr erstaunt mich. Ich hielt Euch für intelligent genug, um das Folgende selbst zu begreifen", erwiderte sie kalt. Gleichzeitig ballte sie die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. "Dieser ganze, unsinnige Krieg weilt schon viel zu lange. Und er hat unnötige Opfer gefordert, Opfer, die für nichts und wieder nichts gestorben sind. Aber wisst Ihr, was das Bizarreste ist? Das dieses Abschlachtung nur durch eine Gruppe Assassinen initiiert wurde. Und alle sind darauf hereingefallen - Elfen, Menschen, Generäle, Könige - einfach jeder. Findet Ihr nicht auch, dass damit so langsam Schluss sein sollte? Was wollt Ihr denn noch erreichen? Etwa eine Beförderung?"

    Neneve war erleichtert, dass sowohl San als auch Cifer wieder wohlbehalten bei ihnen waren. Damit war ihr weiteres Vorgehen wohl nicht mehr aufzuhalten. Die Elfe selbst verspürte ein ungutes Gefühl, als sie sich mit den anderen auf den Weg nach Bamaria machten.
    Die Gefolgsleute des Ordens hielten sich im Hintergrund, sie waren so schweigsam und unauffällig, dass Neneve sich immer wieder umdrehen musste, um sicherzugehen, dass sie noch hinter ihnen waren. Ihre genaue Zahl konnte sie nicht ausmachen, sie wusste nur, dass es viele waren. Sehr viele. Die Elfe schluckte und strich über Vargas’ Fell. Es tat ihr gut, ihre treuen Freunde wieder um sich zu haben. Sie sorgten dafür, dass Neneve sich sicherer fühlte. Dennoch konnte sie ihre zitternden Hände nicht leugnen.
    Ein Blick zu ihrer Rechten und Linken zeigte ihr deutlich, dass es ihren Freunden nicht viel besser ging.
    Selbst Casper, der für gewöhnlich immer ein Mittel fand, um die Stimmung aufzuheitern, blickte finster auf den unebenen Weg, den sie beritten. Die Pferde hatte der Orden ihnen gestellt - ansonsten hätten sie Bamaria so schnell nicht erreicht. So sehr es Neneve schmerzte, als sie die ersten Türme der elfischen Hauptstadt vor sich auftürmen sah, und so sehr sie sich auch wünschte, dass es noch lange dauern würde, bis sie sie endlich erreichten, so genau wusste sie auch, dass die Zeit drängte. Zumira musste aufgehalten werden. Neneve hatte von einem vorbeiziehenden Händler, der gerade erst aus der Stadt gekommen war, bereits erfahren, dass die Stimmung in Bamaria brodelte und ein Funke ausreichen würde, dass die Situation eskalierte.
    Zumira. Während Neneve bereits den Riss in dem Felsen sah, der für einen unwissenden Beobachter kaum zu erkennen war, da das Gestrüpp vor dem geradezu in die Wolken wucherte, musste die Elfe an ihr ehemaliges Vorbild denken. In Gedanken schob sie Zweige der dornigen Pflanzen beiseite und bedeutete den anderen, ihr zu folgen.
    Während sie immer weiter ritten und es um sie herum immer dunkler wurde, musste Neneve an die guten alten Zeiten zurückdenken. Pah, die „guten, alten Zeiten“. Was für ein Lügengespinst. Wie sehr sie sich von Zumira verraten fühlte. Die Köngin hatte ihr Volk für ihren eigenen krankhaften Ehrgeiz verkauft und ihr, Neneve Thalion, gegenüber die Überlegene gespielt.

    Das Aufleuchten einer Fackel brachte sie in die Gegenwart zurück. Tatsächlich war es inzwischen Stockdunkel. Und kühler war es auch geworden, da sie immer tiefer in das Labyrinth aus Gängen, Sackgassen und Höhlen geritten waren. Kein Wunder, dass die Königin diese Ausgänge noch nie hatte bewachen lassen. Nur ihre engsten Vertrauten, die sich hier unten auskannten, und lebensmüde Irre nahmen diesen Weg.
    Erleichtert sah Neneve schließlich das eiserne Tor vor sich, bedeutete allen, abzusteigen, und drückte es mit einem eisigen Lächeln auf.
    Wird schon schiefgehen“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. Dann führte sie ihre Freunde und die Ordensmitglieder durch einen langen Gang, an dessen Ende eine Tür war. DIE Tür.

    Neneve räusperte sich umständlich, ehe sie sich in der Lage sah, den Heiler zum Weitersprechen überreden zu können.
    Was soll das nun genau heißen? Wieso haben sie sich gespalten - und warum wollen sie unbedingt eine Waffenruhe mit euch? Wer seid ihr überhaupt und was…“, begann sie.
    Ich weiß, dass dies zunächst verwirrend klingen mag - um ehrlich zu sein, ist es auch ein wenig verwirrend, aber wenn ihr wünscht, werde ich euch eine kleine Geschichte erzählen…“, unterbrach der Heiler sie. Neneve seufzte. Die Kurzfassung wäre ihr lieber gewesen, vor allem, da sie langsam Hunger bekam und Geduld wirklich nicht zu einer ihrer hervorstechendsten Charaktereigenschaften gehört hatte. Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl hin und her, dem Drang, mit ihren Fingern auf den Holztisch zu trommeln, widerstand sie jedoch.
    So viel ich weiß, ist jemand unter uns eine enge Vertraute der Elfenkönigin, Zumira, nicht wahr?“ Der Blick des Heilers gefiel Neneve ganz und gar nicht.
    Bis vor ein paar Wochen hätte ich ohne zu zögern diese Frage bejaht, heute bin ich mir aber nicht mehr so sicher, ob ich wirklich eine ihrer engsten Vertrauten war…“, antwortete sie nach einem Moment der Stille.
    Jedoch“, fuhr sie fort, „verstehe ich nicht, was das mit diesen … Mördern zu tun hat.
    Der Heiler lächelte milde. „Abwarten und Tee trinken“, erklärte er.
    Was zu beißen wäre mir lieber“, grummelte Casper und erntete dafür ein Lächeln vom Heiler.
    Cifer, hole doch bitte etwas aus der Küche für deine Freunde.

    Als alle wieder am Tisch saßen und Neneve vor Neugier schier platzte, erbarmte sich der Heiler ihrer.
    Am besten ist es wohl, wenn ich von vorne beginne, damit ihr mir auch folgen könnt. Das Schicksal nahm vor genau 320 Jahren seinen Laufen, als eine Elfe zu ehrgeizig und machthungrig wurde, sodass sie alle Skrupel über Bord warf“. An Neneves Freunde gewandt, erklärte er: „Ihr müsst wissen, dass zu dieser Zeit noch Zumiras Vorgänger regierte. Ein eher sanfter, nach Frieden und Idylle strebender Elf, der fast schon zu friedfertig für eine solch mächtige Position war. So versuchte er den Zwist zwischen den Elfen und den Dämonen, aber vor allem den Konflikt zwischen ihnen und den Menschen beizulegen. Dafür erntete er natürlich nicht nur Lob, im Gegenteil, immer lauter wurden die Stimmen in den eigenen Reihen. Sie wollten keinen Frieden mit anderen Völkern, sie wollten sich vor allem und in erster Linie um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern. Zu dieser Zeit hatte es einige Dürren im Reich der Elfen gegeben, sodass sie versucht hatten, ihre Gebiete auszudehnen. Dadurch war es erst zu der Anspannung zwischen Elfen und Menschen gekommen. Nun forderten sie vom König, dass er Lösungen - vor allem schnelle Lösungen - für ihr Leid fand, anstatt eine Krisensitzung nach der anderen mit den Menschen zu führen. Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, sind die meisten Elfen nicht unbedingt sonderlich barmherzige und offene Wesen, sodass es ihnen recht egal war, ob die Menschen mit ihnen klar kamen oder nicht.
    Zumindest tat sich eine Elfe in den Protesten besonders hervor. Sie stammte aus der gleichen Familie wie der König, und da dieser keine eigenen Kinder hatte, war anzunehmen, dass sie eines Tages seinen Platz innehaben würde. Und das brachte die clever, listige, junge Elfe auf einen Plan. Wen würde es noch sonderlich wundern, wenn der König ermordert werden würde? Bei den vielen Anfeindungen wären Verdächtige zur Genüge gefunden worden - und mit Sicherheit wäre auch einer davon verantwortlich gemacht worden. So heuerte sie einen Auftragsmörder an…“
    Einen Assassinen“, flüsterte Sedar.
    Der Heiler lächelte. „Aber nein, wieso sollte sie? Wieso das Risiko eingehen, mit einem Geheimbund in Verbindung gebracht zu werden, wenn die Lösung doch so nahe lag. Glaubt ihr etwa, es hätte unter den Elfen nicht auch einige gegeben, die für Geld den Lebensfaden etwas früher als grad durchschnitten hätten?
    Aber zurück zu dem König. Das Ganze gestaltete sich doch schwieriger als erwartet. Fast ein halbes Dutzend Mörder - alle engagiert von unserer gewitzten Freundin - verloren ihr Leben, da sie von den Wachen des Königs gefunden und getötet wurden.
    Die Zeit drängte für die junge Elfe - nicht nur, dass viele ihrer Verbündeten es müde waren, gegen einen König Stimmung zu machen, wenn sie die Zeit lieber nutzen konnten, um etwas Essbares nach Hause zu bringen. Nein, ihre größte Sorge war der König selbst. Er war vielleicht ein wenig leichtgläubig, aber dumm war er nicht. Und sie wusste genau, dass er einen Verdacht gegen sie hegte und der nächste Anschlag auf jeden Fall erfolgreich sein musste“, der Heiler stoppte an dieser Stelle und nahm einen Schluck Wasser aus dem Becher, der vor ihm stand.
    Ihr müsst wissen“, begann er danach wieder, „dass der Orden der Assassinen noch nicht wirklich als solcher zu dieser Zeit genannt werden konnte. Es waren vor allem einflussreiche und machthungrige Menschen, die sich zusammengeschlossen hatten, um im Verborgenen Morde zu begehen und so vor allem sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Doch es fehlte ihnen vor allem an jungen Nachfolgern, die einmal für sie an vorderster Front standen, sodass sie sich nur noch um die Ausdehnung ihrer eigenen Ansprüche zu kümmern hatten. Es war schwierig, schließlich mussten die Neuen so jung sein, dass sie noch gut geformt werden konnten, sodass sie nicht irgendwann die Seiten wechselten und sich gegen ihre einstigen Meister stellten.
    Hier hatten wir also zwei Parteien, die beide vor einem Problem standen, das sie nicht einfach so lösen konnten. Und daher war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie sich zusammenschlossen und eine Vereinbarung trafen: Die Assassinen, die wohl die erfahrensten und besten Mörder waren, die sich die Elfe vorstellen konnte, würden dafür sorgen, dass sie auf den Thron kam. Im Gegenzug versicherte ihnen die Elfe, dass sie ihnen jedes Jahrhundert, das sie an der Macht war, 12 junge, gerade geschlüpften Elfenkinder überlassen würde und der Orden zudem das Recht bekam, bei all ihren Entscheidung mitsprechen und gegebenfalls ihr Veto einlegen konnten.
    Nun, wie Neneve sicherlich weiß, wurde der König der Elfen wenig später zu Grabe getragen, während die junge Elfe seine Nachfolge antrat. Ihr alle kennt sie, es ist Königin Zumira…“
    Neneve schnappte nach Luft und sprang auf, sodass ihr Stuhl nach hinten kippte und scheppernd auf dem Steinboden aufschlug.
    Lügner! Das sind lauter Lügen!“, schrie sie und stürzte auf den Heiler zu. Blind vor Wut, versuchte sie, ihre Hände um seinen Hals zu legen und ihm die Luft zum Weiterreden zu nehmen.
    Was erlaubst du dir? Du Verräter!“, kreischte sie dabei. Doch ehe sie ihn wirklich lebensgefährlich verletzen konnte, wurde sie von mehreren Händen weggezogen und zu Boden gedrückt. Währen ihr beinahe Schwarz vor Augen wurde und sie sich zu befreien versuchte, liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie konnte sich gar nicht mehr an das Gefühl erinnern und erschrak daher, als ihr etwas Warmes die Wange hinunterronn.
    Lügner“, flüsterte sie noch, obwohl ihr Verstand bereits sagte, dass der Heiler die Wahrheit sprach.
    Er hat Recht, bitte Neneve, denk’ doch darüber nach“, hörte die Elfe eine Stimme. Erst nach einem Moment bemerkte sie, dass die Stimme nicht aus ihrem Kopf kam.
    Aber … sie … sie würde diesen Pakt nie eingegangen sein“, flüsterte Neneve, unterbrochen vom eigenen Schluchzen.
    Glaubst du das wirklich? Nach allem, was passiert ist?“ Erneut eine Stimme und wieder konnte sie sie niemandem zuordnen.
    Ich habe ihr doch vertraut“, hauchte sie, „diese … diese…“ Ihr fehlten die Worte und vor allem auch die Kraft, sich einen passenden Namen zu suchen.
    Verräterin?“ Dies war eindeutig Gyahara.
    Und vermutlich war es auch ihre Schulter, an die sich Neneve in dem Moment drückte. Es hätte aber genauso gut auch Casper oder Cifer gewesen.
    Nur Sedar konnte sie ausschließen, denn dieser begann gerade hinter ihr zu sprechen.
    Und was hat dies nun mit der Spaltung der Assassinen zu tun?
    Nun, so weit bin ich noch nicht gekommen…“, erwiderte der Heiler...

    Neneve sah sich stirnrunzelnd - diese Tätigkeit war inzwischen zur einer Gewohnheit geworden - in dem Lager der Dämonen um. Zugegeben, hier würde niemand sie je finden. Doch die Elfe war sich immer noch nicht sicher, ob der Gedanke beunruhigend war oder nicht. Gerade die Beziehung zwischen ihrem Volk und dem Volk der Dämonen war nicht unbedingt durch eine enge Verbundenheit zueinander gekennzeichnet.
    Sie selbst würde sicherlich keinen tiefen Schlaf haben, sondern lieber die Augen offen lassen.
    Gerade tauchte eine weitere dieser Schattengestalten auf. Moment, trug dieser nicht den Umhang von Gyahara? Neneve wandte sich zu der Dämonin um, die ihr in dieser Umgebung immer mehr wie eine von ihrem eigenen Volk vorkam. Tatsächlich, sie trug ihren heißgeliebten Mantel nicht mehr. Erneut bildeten sich Sorgenfalten auf Neneves Stirn. Hatte Gyahara etwa ...? War dies der Preis gewesen, ihre kleine Gruppe in Sicherheit zu bringen? Kurz schweiften ihre Gedanken zu Cifer ab. Hoffentlich würde es ihm bei dem Heiler gefallen. Und hoffentlich würde sie ihn wiedersehen. Auch wenn Neneve es nie offen ausgesprochen hätte, war ihr die kleine Truppe ans Herz gewachsen. Genau genommen waren sie auch die einzigen, die ihr wirklich noch etwas bedeuteten.
    Unterbrochen wurden ihre wenig produktiven Gedanken unterbrochen, weil eine alte Dämonin vor sie trat. Mit abwertenden Blicken musterte sie Neneve und ihre Freunde, ehe sie ohne ein Wort zu sagen, einem anderen Dämon zunickte. Schweigend führte dieser sie in ein abgelegenes Eck des Unterschlupfs unf deutete auf zwei Höhleneingänge fernab des dämonischen Geschehens. In diesen Löchern würden sie also erst einmal leben. Der Gedanke daran war der Elfe zu tiefst zu wieder, aber eine bessere Alternative fiel ihr auch nicht ein.

    Sie beschlossen, dass Gyahara und Neneve die kleinere Höhle beziehen, während San und Casper sich die größere teilen würden. Diese war immerhin groß genug, dass Casper nur leicht seinen Kopf einziehen musste.

    Neneve runzelte die Stirn und betrachtete Casper, der sich in diesem Moment zu ihr setzte. Worüber machte er sich Gedanken - und warum?! Sie waren hier, an diesem wunderbaren Ort, und er sorgte sich?! Neneve verstand ihn nicht. Überhaupt, warum waren sie denn nicht schon viel früher hergekommen?
    Warum mussten sie für die anderen Elfen kämpfen, um dann nicht einmal mehr die Wunden versorgt zu bekommen? Wieso hatte sie Königsbotin werden wollen? Der Gedanke, das eigene Leben für das einer wildfremden Person zu opfern, klang für sie so unverständlich und abwegig wie noch nie zuvor.
    Gleichzeitig schenkte sie sich ein zweites Glas ein - oder war dies bereits ihr drittes? Neneve zuckte mit den Schultern. Was war daran denn relevant? Sie nahm einen Schluck. Die kühle, weiße Flüssigkeit umschmeichelte ihren Gaumen, ehe sie träge ihre Kehle hinabfloss. Ein schmackhafteres Getränk als das, was sie gerade zu sich nahm, hatte sie noch getrunken.
    Erneut sah sie zu Casper.
    "Ich finde, wir sollten erst einmal hierbleiben. Die Wunden werden sicher eine ganze Weile brauchen, bis sie verheilt sind", erklärte sie. Innerlich hoffte sie, dass der Tag des Abschieds noch lange auf sich warten würde. Auch wenn dies bedeutete, dass San oder Cifer eine längere Zeit krank sein würden.
    "Ich weiß nicht...", erwiderte Casper und sah auf die angebissene Brotscheibe vor ihm. "Wir müssen noch so viel erledigen ... und ... wir sind noch nicht am Ziel angekommen, falls es so etwas überhaupt gibt..." Neneve sah ihn fassungslos an. Was war denn bitte sein Problem. Wortlos goss sie ihm ein Glas Milch ein und schob es ihm zu. Der Göttertrank würde ihn sicher auf andere Gedanken bringen.
    Sie selbst beobachtete ihre beiden Armreife. Wieso trug sie diese eigentlich immernoch? Seit wann war sie denn bitte so sentimental, zu hoffen, dass sie durch einen Gegenstand den Toten näher sein würde. Ihre Stirn legte sich in Falten. Hondus hätte sie für solche Töricht vermutlich ausgelacht. Überhaupt - weshalb dachte sie noch so viel an ihn? Er hatte sich geopfert, um sie zu retten. Das war nett von ihm gewesen, aber musste sie deswegen ihr Leben lang dafür dankbar sein? Jeder musste schließlich irgendwann einmal sterben. Sie selbst hätte sich mit Sicherheit gefreut, so ehrenvoll gehen zu können. Stattdessen wurde sie von ihrer Königin wie Dreck behandelt. Sie schnaubte laut auf.
    Ihr Gegenüber trank Casper gerade das Glas aus.
    "Vielleicht hast du Recht und wir sollten hier bleiben...", sagte er ihn diesem Moment mehr zu sich selbst. Selbstzufrieden nickte Neneve.
    Erneut wanderten ihre Blicke zu den Armreifen. Seltsam zufrieden versuchte sie, den Schmuck von ihrem Arm zu streifen, doch an ihrer Hand gab es kein Weiterkommen mehr. Egal wie stark sie an den Bändern zog, sie gaben nicht nach. Innerlich den billigen Ramsch verfluchend, stand sie auf.
    Huch, seit wann war der Boden denn so wabbelig? Sie runzelte die Stirn. Dann zuckte sie jedoch mit den Schultern. Vermutlich war sie einfach zu schnell aufgestanden.
    Auf diese Weise besänftigt, machte sie sich auf den Weg zu dem Raum, in dem die Krankenbetten von Cifer und San. Wenn sie sich nicht stark irrte, hatte sie vor dem Frühstück gesehen, wie der Heiler mit einem Messer Laken in kleinere Stoffteile zerschnitten hatte, um damit die Wunden zu verbinden. Vielleicht hatte sie ja Glück und er hatte dieses dort liegen gelassen. Dann würde sie endlich Gelegenheit haben, um die Ketten der Erinnerung abstreifen zu können.

    Neneve sah dem Mann skeptisch dabei zu, wie er an San doktorte. Sie konnte nicht sagen, ob er ein guter Heiler oder nicht war, denn dafür fehlten ihr selbst zu viele Kenntnisse. Die Heilung eines komplexen Wesens wie einem Menschen noch dazu mit solch schweren Verletzungen wie San sie aufwies, konnte man freilich nicht mit ihren kleinen Wald-und-Wiesen-Zaubern vergleichen, mit denen sie Pflanzen und bis zu einem gewissen Grad auch Tieren helfen konnte.
    Reiß dich zusammen, scholt sie sich selbst und schlang die Arme um ihren bebenden Körper. Langsam wurde es auch für sie einfach zu viel. Ihre Nerven, wie vermutlich die der anderen auch, lagen blank. Ach was, blank war schon längst kein Ausdruck dafür mehr.
    Im Grunde wachte sie morgens nur dank der Gewissheit auf, dass sie ein klares Ziel vor Augen sah: Der verdammte Heiler im Norden. Auch wenn der fremde Mensch, der zwischen seinen Salben, Kräutern und Tinkturen nun auch immer wieder besorgniserregende Blicke Casper zuwarf, konnte ihnen zwar helfen, aber vollkommen heilen wohl kaum.
    Und dann war da das weit weniger klare Ziel: Die dunklen Gestalten, die sie zu verfolgen schienen. Vielleicht würde San mehr wissen und ihnen das ein oder andere über seinen Angreifer erzählen können. Denn für Neneve stand fest, dass es einer der Kapuzenträger gewesen sein musste - und wenn sie diesen Abschaum erst einmal in den Finger hätte, würden sie noch ihr grünes Wunder erleben! Den niemand legte sich ungeschoren mit einer Elfe an und verletzte ihre Freunde!

    Neneve warf Gyaharas Schatten unter der Kapuze einen vielsagenden Blick zu. Sie mussten so schnell wie möglich ein paar Pferde auftreiben. Die Sache duldete keinen Aufschub mehr.
    Kurz ging sie die weiteren Optionen im Kopf durch. Sie waren fünf Personen mit zwei Reittieren. Doch ein Blick auf Caspars Pferd ließ ihre Vorstellung verblassen, dass vielleicht wenigstens Cifer darauf würde weiterreiten können. Und dann Vargas. Neneve zweifelte keinesfalls an seiner Kraft, die man einem solch grazilen Tier unter normalen Umständen niemals zugetraut hätte. Doch ihre Reise dauerte schon lange, viel zu lange, als dass sie nicht auch an seinen Kräften gezehrt hätte.
    Aber auch wenn er die Energie aufbringen würde und Caspar auf ihm reiten könnte, fehlten ihnen noch immer drei Pferde.

    Erschrocken zuckte Neneve zusammen, als sich der Mensch mit einem resignierten Seufzen aufrichtete und sie ansah.
    "Die Blutung ist vorerst gestoppt. Doch Euer Freund sollte sich ausruhen, er hat viel Kraft verloren. Er muss sich schonen", erklärte er und fuhr dann, nachdem er mit einem abschätzigen Blick den Stall begutachtet, fort: "An einem richtigen Ort, wohlgemerkt." Damit drückte er ihr etwas in die Hand und erklärte ihr noch, um was es sich dabei handelte und was sie damit tun sollte. Doch die Elfe war mit ihren Gedanken erneut bei etwas anderem.
    Daher war es auch nicht weiter erstaunlich, dass sie, kaum dass der Heiler sie verlassen hatte, ratlos und mit gerunzelter Stirn den Gegenstand betrachtete. Sie hob den Kopf und sah Gyahara ratlos an. Dabei war ihr, als würde sie ein unterdrücktes Lachen hören, ehe die Dämonin den Beutel griff und ihn sicher verstaute.
    "Also, wie sieht der Plan aus?", wollte San wissen, während er versuchte, sich ein wenig aufzurichten.
    "Seit wann haben wir so etwas wie einen Plan?", fragt Neneve pessimistisch zurück.

    Bei dem Gedanken, dem schmierigen Halunken für seine Herablassung ihr gegenüber eins auszuwischen, stahl sich ein schmales Lächeln auf Neneves Lippen.
    "Wir sollten zuerst einmal auskundschaften, wo er seinen Stall hat", schlug sie daher gierig vor, "er wird seine edlen Rösser wohl kaum bei den anderen Viechern in dieser ... Behausung untergebracht haben."
    San nickte und erwiderte: "Wir sollten uns trennen - vielleicht können wir so mehr herausfinden." Neneves Blick wanderte zu den anderen. In Gedanken fügte sie, 'wenn es da noch was zum Aufteilen gibt', hinzu. Caspar schlug sich wacker, aber dass er angeschlagen war, konnte er nicht verbergen. Er sollte lieber nicht alleine bleiben.
    Als er jedoch Anstalten machte, aufzustehen und zusammen mit der Dämonin gen Süden zu marschieren, zog die Elfe scharf Luft ein.
    "Caspar - du wirst unter gar keinen Umständen irgendwo hingehen; auch wenn ich dich dafür anketten muss", meckerte sie sogleich. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihn, auf keinen Fall wollte sie dafür verantworlich sein, dass er in einer der modrigen Gassen stürzte und sich sein Zustand dadurch noch mehr verschlechterte.
    "Ich bleibe bei ihm - wir suchen uns eine ruhigere Ecke und warten auf Sonnenuntergang." Moment - stimmte ihr Gyahara da gerade zu? Lächelnd nickte Neneve, während sie sich an Cifer und San wandte. Ersterer war sicherlich dank eine große Hilfe mit seiner Verkleidung als Rabe. Stirnrunzelnd überlegte die Elfe jedoch, ob er dafür nicht ebenfalls zu schwach war. Auch die Dämonin und San schienen darüber nachzudenken, denn auch sie musterten den anderen von Kopf bis Fuß.
    "Seht mich nicht so an, mir geht es schon besser", erklärte dieser mit dünner Stimme. Hätte Neneve in diesem Moment nicht bereits die Stirn in Falten liegend gehabt, dann hätte sie dies jetzt auf jeden Fall getan.
    "Siehst ja auch aus wie der frische Maimorgen", erwiderte sie skeptisch und zog als Bestätigung eine Augenbraue nach oben.
    Doch bevor Cifer etwas erwidern konnte, unterbrach San die wenig produktive Diskussion: "Ich habe eine Idee. Cifer, du bleibst hier und beobachtest den Händler. Vielleicht haben wir Glück und er geht im Laufe des Tages einmal in den Stall. Neneve sollte vielleicht unauffällig andere Händler oder Elfen befragen, ob sie seine Stallungen kennen und ich - ja, ich, werde mein Glück in den dunkleren Gassen suchen." Hatte die Elfe es sich nur eingebildet oder hatte er das Wort "unauffällig" besonders betont. Skeptisch sah sie ihn einen Augenblick an, gab sich dann jedoch geschlagen und nickte kurz. Auch Cifer schien mit der Tatsache einigermaßen zufrieden zu sein und ließ den Blick über die Menge schweifen. Vermutlich suchte er bereits eine Stelle nahe des Standes.
    Neneve warf der kleinen Gruppe noch einmal einen Blick zu, ehe sie sich schließlich resigniert umwandte und in die Menge eintauchte. So schwer konnte es doch eigentlich nicht sein, einen verdammten Stall zu finden! Sie hatten schon ganz andere Situationen gemeistert. Sich selbst Mut zusprechend entfernte sie sich immer weiter von dem Stand des Händlers, bis sie sich sicher genug war, dass er unter gar keinen Umständen etwas von ihrer Suche erfahren würde. Dabei stieß sie jedoch mit einem anderen Besucher des Marktes zusammen, woraufhin sie erschrocken herumfuhr. Es war ein schmächtiger Elf mit spitzen Ohren und schrägen Augen. Doch als Neneve sah, was er da in den Händen hielt, hellte sich ihre Miene schlagartig auf. Es war ein Sattel.
    "Entschuldigt, vielleicht könnt Ihr mir ja weiterhelfen. Ich bin die Gehilfin des Kaufmanns Earinugos Atar, er hat mich beauftragt, sein neues Pferd aus den Stallungen von ... eh... dem Tierhändler zu holen. Wisst Ihr zufällig, wo ich sie finden kann?", fragte sie und hoffte inständig, dass er ihr die fade Geschichte abnehmen würde. Earinugos Atar war ihr in diesem Moment spontan eingefallen, aber wie wahrscheinlich war es denn, dass der andere Elf den Schneider aus Bamaria war?
    Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und deutete mit einer Geste auf seine Ohren. Dann war er auch schon wieder in der Menge untergetaucht. Gut gemacht Neneve, scholt sich die Elfe daraufhin, natürlich musste sie auf den einzigen tauben Elfen weit und breit stoßen.

    Schweigend sahen sie sich an, ehe San das Schweigen brach.
    "Zurück zur Stadt können wir zumindest nicht. Wer weiß, wie es da aussieht."
    "Aber Gyahara hat da ganz Recht, egal wie vielem ... Abschaum ... wir auch die Kehle aufschlitzen, werden wir nicht viel tun können", mahnte Neneve sogleich. Sie hatte diese ganze Kämpferei inzwischen sichtlich satt. Wofür war sie denn Königsbotin geworden und nicht Soldatin?! Damit sie sich jetzt trotzdem von einem x-beliebigen Feind durchbohren lassen sollte? Nein, die Elfe hatte jetzt echt genug.
    "Wir kommen ja nicht einmal in die Stadt, wir können wohl schlecht einfach durch die Zelte der Menschen laufen und hoffen, dass da auch niemand ist", verschaffte sich nun auch Gyahara Luft.
    "Wie wäre es, wenn wir einfach hier rasten und uns eine kleine Verschnaufpause gönnen? Morgen ist immer noch ein Tag. Wer weiß, vielleicht hat einer von uns im Schlaf einen Geistesblitz", schlug Caspar schließlich vor. Obwohl weder Neneve noch San wirklich begeistert über diese Idee waren, mussten sie ihr letztlich zustimmen. Mit Caspars Verwundung war es ohnehin besser, sich nicht unnötig zu Bewegung - und dies wäre wohl unvermeindlich gewesen, wenn sie einen Ortswechsel vollzogen hätten. Schließlich gab es niemanden mehr, der ihn einfach über die eigene Schulter wuchten und mit sich herum tragen konnte.
    Um jedoch ihren Zweifeln entgegen zu wirken, erklärte sich die Elfe bereit, die erste Wache zu übernehmen. Mit Lovia auf ihren Schultern kletterte sie geschickt auf einen der alten Bäume und spähte in die Dunkelheit. Aiana und Vargas hatten sich bereit erklärt, als Polster für Caspar herzuhalten. So konnte er sich wenigstens so legen, dass seine Wunden weniger schmerzten.
    "Sie sind noch hier, die Menschen, oder? Lauern hinter den dunklen Schatten und schmieden ihre dunklen Pläne?", piepste die kleine Maus an ihr Ohr. Neneve nickte.
    "Warum tun die Menschen das? Haben sie keine eigenen Probleme?", fragte diese in ihrer kindlichen Art weiter.
    "Nicht alle Menschen sind grundsätzlich böse. Die meisten Soldaten sehen einfach in den Ansichten ihrer Herrscher die einzige Wahrheit und folgen ihnen willenlos, ohne eigenen Verstand. Aber was die Herrscher sich von einem Angriff auf das Reich der Elfen versprechen, wissen sie vielleicht selbst nicht", erklärte Neneve.
    "Aber kann man das nicht mit Worten regeln?" Die Elfe lächelte über die Naivität des Tieres.
    "Hast du schon einmal einen Hund und eine Katze gesehen, wie sie sich begegnen? Wie der Hund die Katze anbellt und diese ihre Krallen ausfährt, obwohl keiner etwas vom Tod oder Verschwinden des anderen hat? Und dennoch sind beide Tiere nicht gleich böse. Es gibt nicht immer *die* Bösen und *die* Guten. Manchmal ist das Problem viel profaner als man glauben könnte. Sei es nun, dass man einfach nicht die Sprache des anderen spricht und seine Handlungen als aggressiv wahrnimmt, obwohl sie ganz anders gemeint sind, oder grundsätzlich andere Lebenseinstellungen, die ein Zusammenleben fast unmöglich machen." Neneve merkte selbst, dass sie langsam anfing, zu philosophieren. Und das machte ihr Angst. Das letzte Mal, als sie das getan hatte, war etwas Schreckliches passiert. Daher wischte sie nun Lovias weitere Fragen beiseite und konzentrierte sich auf den Sternenhimmel über ihr.
    "Es gibt einfach Dinge, die man nicht verstehen kann, wenn man nicht direkt beteiligt ist", beendete sie jegliche weitere Diskussion.

    Wenig später bemerkte sie eine Bewegung unter sich, hinter einem der schwarz getränkten Büsche. Was das wohl war? Ein Tier? Doch als etwas im fahlen Mondschein aufblitzte, erkannte Neneve, dass es Menschen - genauer gesagt Soldaten - waren, die sich dort versteckten. Hatten sie sie gesehen oder gehört?, schoss es der Elfe durch den Kopf. Doch dann begann sich der Truppe aus ungefähr sieben Mann - Neneve konnte die Anzahl aufgrund der Lichtverhältnisse nicht eindeutig bestimmen - gen Süden. Weg von ihnen und der Stadt. Dabei bemerkte Neneve, dass einer der Männer einen seltsamen Umhang trug, der unheilvoll hinter ihm her wehte.
    Erleichtert atmete sie dann jedoch auf, als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren und sie sich nicht weitere Gedanken machen musste. Lange konnte es auch nicht mehr dauern und San würde sie ablösen. Inzwischen spürte Neneve doch recht deutlich den fehlenden Schlaf. Ihre Lider wurden müde und ihr Verstand immer träger.

    Neneve hatte keine Zeit, sich über die plötzliche Unterstützung eines schwarzen Vogels oder das Verschwinden Cifers Gedanken zu machen, stattdessen zog sie gerade die blutige Klinge ihres Schwerter aus dem menschlichen Körper und sah sich suchend nach dem Flüchtigen um. Er konnte noch nicht allzu weit weg sein. Ihr war bewusst, dass sie ihn auf keinen Fall entkommen lassen durften. Es war besser, wenn die Anführer der Menschen weiterhin annahmen, dass sie bald mit neuer Unterstützung rechnen konnten. Daher stand sie nun hier und ließ ihren Blick über die Landschaft wandern. Lange hatte sie jedoch nicht Zeit, da in diesem Moment eine Stimme ihren Namen rief. Geistesgegenwärtig drehte sie sich um und konnte sich nur noch der sirrenden Klinge durch einen Ausfallschritt entziehen. Ansonsten wäre sie wohl ihren vorlauten Kopf los geworden. Die restlichen sieben Soldaten waren durch den Schrei eines Kumpanen auf sie aufmerksam geworden und griffen nun ebenfalls an.
    Da kam Neneve eine Idee wieder in den Sinn, die ihr vorhin bei der Andeutung einer "fetten fliegenden Ratte" eingefallen war. Sie stemmte mit ganzem Gewicht ihre Füße in den Boden und schrie aus Leibeskräften. Beinahe hätte sie ihre eigenen Ohren zugehalten, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Der Soldat vor ihr zögerte einen Augenblick, sah sie ratlos an. Seine Gedanken konnte Neneve hören, als hätte er sie ausgesprochen, "die spinnen, die Elfen". Ein kleines Lächeln stahl sich auf Neneves Lippen. Wenn der nur wüsste, dachte sie. Im selben Augenblick hatte sie ihr eigenes Schwert gezogen und damit das des anderen ihm aus der Hand geschlagen. Doch er hatte noch ein Ass - in diesem Fall ein Messer - im Ärmel, das er kurzerhand hervorzauberte.
    "Nicht so voreilich, Kleine", erwiderte er daraufhin dämlich grinsend, wobei er schiefe Schneidezähne offenbarte. Der Wunsch, diesen Widerling in die ewigen Jagdgründe zu versetzen, wuchs ins Unermessliche. Konnte er nicht einfach seine Klappe halten und auf den Tod warten? Dabei bemerkte sie aus den Augenwinkeln, wie ein weiterer Soldat von einer gewaltigen, dornenbesetzten Ranke umwickelt wurde. Also waren ihre treuen, längsten Begleiter bereits angekommen. Dadurch motiviert parierte sie geschickt den erneuten Angriff des Soldaten. Sie wirbelte einmal um die eigene Achse, ließ das Schwert durch die Luft sausen und blieb stehen, während ein weiterer Mensch zu Boden ging.
    Sogleich eilte sie zu Lovia, wobei sie dort auch Aiana erwartete. Durch deren Amulett konnte sie sich jedoch fast unsichtbar machen. Die kleine Ratte flog hingegen die gesamte Zeit um den Kopf des Soldaten und piekte immer wieder auf sein Gesicht ein, das unter dem schrecklichen Helm hervorlugte. So rot geschwollen, wie es bereits war, vermutete Neneve, dass sie das schon eine ganze Weile tat.
    Währenddessen hatte San seinen Dreikampf als einziger Überlebender gemeistert und sich erneut ins Getümmel gestürzt. Auch Caspar und Gyahara kämpften eisern gegen die neuen Gegner. Doch wo war Cifer? Ein schrecklicher Gedanke drängte sich auf. War er in ihrem Versteck umgekippt und lag dort schutzlos und verletzt? Dass er abgehauen war, konnte sich die Elfe beim besten Willen nicht vorstellen. Und dann war da noch der schwarze Rabe, der weiterhin jedes feindliche Auge anpickte, das er finden konnten.


    Seufzend säuberte Neneve schließlich ihr Schwert an einem Kleidungsfetzen und sah sich um. Die grüne Wiese war einem schrecklichen Schlachtfeld gewichen. Die Elfe seufzte traurig, während sie sich zu ihren Freunden setze, die sich abseits niedergelassen hatten. Die Nacht war weiter vorangeschritten. Die Stimmung war gedrückt, als sie sich schweigend anstarrten. Das Vernünftigste wäre gewesen, jetzt ein paar Stunden zu schlafen, um am nächsten Morgen zu den anderen Elfen zurückzukehren. Doch alle waren noch viel zu aufgeregt, um in diesem Augenblick an Schlaf zu denken.
    Als sich Neneve neben Gyahara niederließ, bemerkte sie Cifer, der ihr gegenüber saß. "Wo warst du?", fragte sie ihn wie üblich mit ihrer direkten Art. Einen Augenblick starrte er sie verwirrt an.
    "Bei euch?", erwiderte er unsicher.
    "Nein, warst du nicht", sagte sie fest und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
    "Naja, du hast ihn vielleicht übersehen. Ein Wunder, dass du überhaupt Zeit hattest, dich umzusehen", mischte sich Caspar beschwichtigend ein.
    "Nein, ich bin mir ganz sicher, dass er nicht da war", stellte sie klar, "ich dachte ja erst, er hätte einen Schwächeanfall erlitten, aber dann wärst du jetzt wohl kaum hier..." Bohrende Blicke musterten ihn.

    Neneve seufzte auf, als sie sich mit ihren Weggefährten im Kreis nahe dem Fluss setzte. Eil Rìmon - der Segen der ganzen Region. Ohne ihn wären die Felder wohl schon längst dürr, die Erträge wie Regen im Boden versickert. Sie konnte sich noch genau erinnern, hier als deutlich jüngere Elfe mit Hondu im Wasser gespielt zu haben. Hier, inmitten des Flussbetts, hatte sie zum ersten Mal für wenige Augenblicke den Boden unter ihren Füßen verlassen. Unbewusst hatte sie wieder damit angefangen, die Kugeln ihrer beiden Armbänder mit den Fingern zu befühlen.

    Sie seufzte erneut, da sie merkte, wie die altbekannte Melancholie in ihr aufstieg. Das konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Aus ihren Gedanken gerissen, widmete sie sich wieder den anderen zu, die bereits seit geraumer Zeit redeten, ohne dass sie ihnen weiter Beachtung geschenkt hatte.
    "...sie könnten ruhig ein wenig dankbarer sein", schnaufte gerade Casper. Neneve vermutete, dass er von den Bewohnern Alvions sprach. Verdenken konnte sie es ihm nicht.
    "Behandeln uns wie Stallburschen", stimmte Gyahara ihm zu. Die Elfe schämte sich in diesem Moment deutlich für ihr Volk fremd. Auch wenn die Menschen nicht unbedingt ihre besten Freunde waren, hätten sie Neneves Freunden ruhig wohler gesonnen sein können. Schließlich bewahrten ausgerechnet diese die Königsstadt vor ihrem Untergang.
    Offenbar hatten die anderen gemerkt, wie unangenehm ihr dies war, weswegen San das Thema wechselte.
    "Und wie sieht eigentlich unser Plan für den Angriff aus? Hier sitzen bleiben und uns die Füße kühlen lassen?!" Obwohl Neneve wusste, dass San dies mit Sicherheit nicht von ihnen dachte, spürte sie, wie der Zorn seine Bahnen durch ihren Körper fraß.
    "Natürlich nicht", brauste sie ihn daher an, war jedoch froh, dass sie sich noch einigermaßen im Zaun gehalten hatte.
    "Sondern?", fragte Casper und zog die Augenbraue nach oben, "ich glaube nicht, dass die Elfen darüber sonderlich traurig wären." Seine Abneigung war genauso verständlich wie unüberhörbar.
    "Caspar hat Recht, wir tun ihnen sicherlich keinen Gefallen, wenn wir einfach mitrennen", fügte Gyahara hinzu, "vor allem wir - dabei wies sie auf alle im Kreis außer Neneve - haben absolut keine Ahnung von Euren Taktiken. Und ich glaube auch nicht, dass wir dafür die Richtigen wären. Schließlich haben nicht alle von uns eine professionelle Kampfausbildung genossen."
    Neneve dachte über das Gesagte noch nach, während die Dämonin bereits fortfuhr: "Wir sind viel stärker alleine oder unter uns. Das hat man ja bereits gemerkt..."
    Neneve knirschte mit den Zähnen. Musste sie diese leidige Geschichte mit dem Auftragsmörder erwähnen?!
    "Also gut. Es wird wenig Sinn machen, einfach mit zu marschieren. Aber wir können hier auch nicht teilnahmslos am Fluss sitzen und Däumchen drehen!", versuchte sie, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sie nahm einen kleinen Stein, der am Ufer lag, und warf ihn frustriert ins Gewässer, wo er auch sogleich unter ging. Schweigen breitete sich unter der kleinen Gruppe aus. Sollten sie sich trennen und jeder dort agieren, wo er auch wirklich gebraucht wurde? Oder doch lieber zusammen bleiben und die Stadt von Innen beschützen? Wer wusste, wie viele Mörder und Ganoven sich dort noch herumtrieben - und Neneve meinte damit nicht kleine Trickbetrüger, wie man sie in jeder Taverne vorfand.

    *räusper* Nachdem ich lange darüber nachgedacht habe, wie ich mit dieser angebrochenen Geschichte umgehe, habe ich mich letztlich dazu entschieden, sie in dieser Form nicht weiter zu schreiben.
    Ob ich sie in veränderter Fassung erneut schreibe, ist noch nicht sicher, es sieht aber eher schlecht aus. Vielleicht packt mich aber auch irgendwann wieder das Verlangen, mit der Grundidee weiterzuarbeiten. Aber im Moment bin ich noch zu sehr in der alten Geschichte, wodurch es mir schon schwer fällt, überhaupt einen neuen Anfang zu finden.
    Daher werde ich diesen Thread auch schließen - wenn ich herausgefunden habe, wie das geht ;)
    Es tut mir leid, für die, die ihre Zeit und Arbeit hier hineingesteckt haben. Ihr habt mich bei meinem Schreiben echt weitergebracht und mir auch viele gute Tipps gezeigt.
    Letztlich bleibt mir daher nur, mich bei allen ganz herzlich zu bedanken, die meine Geschichte gelesen und kommentiert haben. Mein besonderer Dank liegt hierbei bei @Rael und @Kyelia, die bis zum Schluss fleißig und konstruktiv kritisiert haben - Vielen Dank euch beiden :)

    Lg Nyneve

    Neneve runzelte die Stirn, als sie dem Davoneilenden hinterhersah.
    "Ihr wisst, ich würde euch niemals dazu zwingen, mit mir zu gehen. Wenn einer von euch also hi...", weiter kam die Elfe nicht, da bereits Gyahara und Casper heftig protestierten.
    "War das ein Seitenhieb?", fragte Cifer mit zusammengezogenen Augenbrauen.
    "Ja, ja, ich wollte nur sicher gehen, dass sich nachher keiner beschweren kann", maulte Neneve und schob ihre Unterlippe beleidigt nach vorne.
    Casper grinste, während Gyahara meinte: "Klar, ich bleibe auch viel lieber in einer ELFENstadt, die von Feinden nur so umzingelt ist. Ganz davon abgesehen, dass ich hier ja überhaupt nicht unangenehm auffalle."Ihre Stimmte driefte vor Sarkasmus. Neneve sah zu Boden. Dass Gyahara etwas anderes als eine zuverlässige Begleiterin geworden war, hatte sie wieder einmal verdrängt.
    Zum Glück ertönte in diesem Moment der leise Laut eines Uhus. Sogleich ergriff Neneve auch die Gelegenheit, aufzuspringen und in die Richtung zu eilen. Erst als sie sich umsah und bemerkte, dass die anderen ihr überhaupt nicht folgten, kehrte sie um.
    "Was ist los?", fragte sie vorsichtig.
    "Nichts", japste Cifer sogleich. Sein Gesicht war jedoch einige Nuance bleicher geworden.
    "Nichts? Du bist einfach so umgekippt", schnaufte Casper, der ihn stützte.
    "Geht schon wieder, bin halt nicht mehr der Jüngste", nuschelte Cifer und richtete sich wieder auf. Neneve musterte ihn noch einmal. Aber sie wusste, dass es keinen Sinn machen würde, ihn zum Bleiben zu bewegen. Es war seine Entscheidung und wenn die Elfe ehrlich zu sich war, wollte sie ihn auch überhaupt nicht zurücklassen.
    "Draußen werde ich Aiana, Lovia und Vargas wieder zu mir rufen. Letzterer ist im Übrigen auch ein ausgezeichnetes Reittier", schlug sie dann doch vor. Einen Augenblick sah Cifer sie forschend an, dann nickte er schwach.

    Nach diesem Vorfall beeilten sie sich, zu San aufzuholen, der bereits ungeduldig auf sie wartete.
    "Und?", fragte die Elfe ihn.
    "Nichts zu sehen, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, dass es so bleibt." Er runzelte die Stirn und sah sich um. Neneve nickte nur und wandte sich daran, weiter zu gehen. Doch San hielt sie zurück.
    "Ich fände es besser, wenn wir nicht auf diesem Handelsweg weiterlaufen würden. Zum einen werden hier sicherlich Patrouillen unterwegs sein, die darauf achten, dass keine Hilfslieferungen zur Stadt durchdringen. Aber andererseits gibt es hier sicherlich auch Banditen. Die findet man immer da, wo auch Soldaten sind. Na ja, oftmals gibt es da ja auch keinen großen Unterschied". Neneve nickte langsam und ärgerte sich, nicht selbst darauf gekommen zu sein.
    Daher folgten sie und die anderen San, der sie zu einer breiten Heckenwand führte, die dicht neben der Straße entlang wuchs. Vermutlich war es ein unterforderter Elf gewesen, der auf die glorreiche Idee gekommen war, die Sicht auf die Felder dahinter, die mitunter keine Augenweite waren, für Handelsreisende zu versperren und dafür dorniges Gestrüpp zu pflanzen. Doch für die kleine Gruppe erwies sich dies als Rettung. Denn kaum waren sie einige Schritte hintereinander auf der anderen Seite der Pflanzen gelaufen, vernahmen sie bereits Stimmen auf dem üblichen Weg. Inzwischen waren auch Neneves tierische Begleiter zu ihnen gestoßen.
    Während Aiana ihr Fell sträubte und stocksteif stehen geblieben war, tapste Lovia langsam durch das Geäst, um sich ein Bild der anderen Seite zu machen. Nur Vargas stand mit Cifer auf dem Rücken ein wenig abseits, weiter von den Hecken entfernt. Denn diese waren zwar hoch genug, um eine normal große Gestalt zu verbergen, doch bereits Casper musste den Kopf einziehen, was ihn früher schon einiges abverlangt hatte. Doch ein Mann auf einem Hirsch mit einem nicht übersehbaren Geweih würde wohl sogleich alle Blicke auf sich ziehen.

    Erleichtert lehnte sich Neneve an der nächstbesten Gelegenheit an (später stellte sie fest, dass das besagte Etwas ein großer, piksender Heuhaufen war) und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Woher sollten sie sicher sein, dass sie alle Verräter erwischt hatten? Mit einem mehr oder weniger eleganten, vor allem jedoch kraftlosen Schubs stand sie wieder auf beiden Beinen und ging erhobenen Hauptes zu dem Hauptmann, dessen Soldaten gerade die Enttarnten wegzogen.
    "Mein Name ist Neneve Thalion, ich bin direkt der Königin unterstellt." Sie hasste diese Förmlichkeiten, am liebsten hätte sie ihm sogleich die nötigen Befehle ins Gesicht geschrien, aber sie wusste, dass er mit einer elfischen Dickköpfigkeit geantwortet und keinen Fuß für sie gesetzt hätte. "Da noch nicht geklärt ist, inwiefern alle Beteiligten dieses Komplotts ausfindig gemacht wurden, möchte ich Euch bitten, die Seile und damit das gesamte Tor von Euren treuesten Soldaten bewachen zu lassen. Es wäre nicht auszudenken, wenn einfach ein ganzes Heer hier hinein patrouillieren würde, nicht wahr?" Unsicher nickte der Hauptmann, er schien immer noch Zweifel gegen ihre kleine Gruppe zu haben, was Neneve zu einem anderen Zeitpunkt wohl auch verstanden hätte. Doch in diesem Moment machte sie sein Zögern nur noch rasender.
    "Dann wünsche ich, dass meine Freunde und ich in das Schloss geführt werden - und am besten schon vor einer Stunde", zischte sie daher. Der Elf zog bereits die Lippen zornig und ablehnend zusammen, dann überlegte er es sich jedoch.
    "Nun gut, ich werde Euch selbst begleiten", grummelte er. Das Hochziehen einer Augenbraue konnte sich Neneve nicht verkneifen.

    Obwohl sie gut zu Fuß waren und daher auch rasch ihr Ziel erreichten, trippelte Neneve unruhig von einem Fuß auf den anderen. Vielleicht spiegelte das auch noch ihre Nervosität wieder, die in ihr wuchs, je näher sie dem Thronsaal kam. Einerseits wusste sie, dass Eile geboten war, andererseits fürchtete sie sich davor, der Königin erneut unter die Augen zu treten. Ihr taktloses Verhalten hatte diese mit Sicherheit nicht vergessen.
    Beinah erschrocken blickte sie auf, als die normalen Elfen mit ihren goldenen Rüstungen vor ihr auftauchen, die den Eingang zu der großen Halle bewachten.
    "Was wollt Ihr?", wollte Elfe eins wissen.
    "Woher kommt Ihr?", fragte Elfe zwei. Ihre kleine Gruppe war einen Augenblick perplex stehen geblieben. Fragten die Elfen dies zu jedem Besucher?
    "Wohin wollt Ihr?", fragte Nummer eins mit der gleichen einschläfernden Stimme erneut. Am liebsten hätte sich Neneve mit der flachen Hand gegen die Stirn gehauen. Da alle "guten" Soldaten für den Schutz der Stadt eingesetzt worden waren und sie Zuminas Ehrenkodex zu der Sicherheit ihrer Stadt kannte, waren wohl nur noch die eingeschränkten (in diesem Fall wohl eher die beschränkten) Elfen übrig geblieben.
    "Mein Name ist Neneve Thalion, ich bin direkt der Königin unterstellt", wiederholte Neneve den kurz zuvor erst gesagten Satz, "Ich und meine Freunde müssen dringend mit der Königin sprechen".
    "Seit Ihr angemeldet?", fragte zwei.
    Neneve schüttelte den Kopf. "Diese Angelegenheit ist zu ernst und dringlich, als dass ich bzw. das ganze Elfenreich Zeit hätte, einen Termin auszumachen". Traurig schüttelte Elfe eins den Kopf.
    "Ohne Anmeldung kein Empfang". Langsam riss Neneve der Geduldsfaden, der ohnehin nur noch am seidenen Faden gehangen hatte.
    "Ihr wisst wohl nicht, wer vor euch steht?! Ich bin eine Königsbotin", fauchte sie daher.
    "Die Regeln gelten für jeden", murmelte Elfe zwei eingeschüchtert.
    "Ich habe jedwedes Recht und ich werde da jetzt reingehen!" Beinahe schrie Neneve nun.
    "Das darfst du nicht!", schrie Elfe eins wie eine beleidigte Jungelfe. Eigentlich wäre Neneve dieses Verhalten ignorierend einfach in den Raumg gestiefelt, doch die ausgestreckte Lanze von Nummer zwei hielt sie zurück.
    "Diebe! Einbrecher! Räuber! Banditen! Zu Hilfe!", schrie er, wobei er sich vor lauter Aufregung auch noch verhaspelte. Neneve schaute ihn irritiert an, ehe sie den Kopf schüttelte. Neben sich hörte sie Gyahara unverhohlen lachen. Dann fiel Casper hinzu und schließlich musste auch die Elfe bei der Vorstellung, die sie und die beiden anderen Elfen bot, lachen. Vollkommen eingeschüchert starrten die beiden Wachen sie an, ehe der Hauptmann sie erlöste.
    "Weggetreten Männer, ich muss der Königin Bericht erstatten." Wie dressierte Tiere knickten die Köpfe der beiden ein und sie wanden sich ab. "Sehr wohl", sagten sie gleichzeitig. Vielen Dank, dachte Neneve als sie die beiden passierten, das hätte er auch schon früher tun können. Doch dann hatte sie erneut eine Lanze vor sich.
    "Das gilt für den Hauptmann, aber ihr...", keifte Elfe eins.
    "Sie gehören zu mir", schnaufte dieser. Neneve schob die Lanze mit spitzen Fingern beiseite und folgte ihm. Die anderen taten es ihr gleich.

    Neneve seufzte hörbar, sog die Luft scharf ein und stieß sie mit einem Schnauben wieder heraus.
    "Das ist doch zum Kühe melken!" Diesen Satz hatte sie das gefühlt tausendste Mal gesagt und dennoch schien es ihr, als hätte sie ihren Gemütszustand noch nicht zur Genüge ausgedrückt.
    "Und was genau habt ihr euch nun vorgestellt?", fragte sie daher patziger als beabsichtigt. Gyaharas Griff, der bis dahin ihren Arm beinahe abgequetscht hatte, wurde lockerer. San schaute nach hinten, als würde er jeden Moment die Wachen der Königin erwarten. Doch es blieb still. Die Ruhe vor dem Sturm, schoss es Neneve durch den Kopf. "Oder glaubt ihr etwa, wir lassen mal kurz das Tor hochgehen, stürzen raus und verhauen die paar Soldaten schnell? Dafür brauchen wir selbst Männer - viele Männer - und vielleicht nicht die Wesen, die man mal mir nichts dir nichts für ein neues Bier in den Kneipen anheuert". Die Elfe raufte sich die Haare und schaute nach oben. Sie hatte das Gefühl, als hätte sich ihre Lage vom Beginn der Reise bis hier her nicht gerade verbessert. Um ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen, stampfte sie zornig mit dem Fuß auf. "Außerdem - wenn San recht hat und manche Soldaten schon 'geschmiert' sind - wem können wir dann noch trauen?!", schimpfte sie weiter.
    "Aber er würde doch mit Sicherheit denjenigen wiedererkennen, der hier nicht hergehört, oder?", fragte Casper vorsichtig. Nun war es San, der skeptisch angesehen wurde.
    "Nun ja, wir werden sehen", erwiderte dieser.
    "Es wird ja immer besser", grummelte Neneve vor sich hin, wurde jedoch von den anderen weitergezogen.
    Als sie schließlich ein gutes Stück weiter waren, sodass das Haupttor vor ihnen emporragte, musste die Elfe schlucken.
    "Bevor wir jetzt etwas Unüberdachtes tun, sollten wir vielleicht erst einen Plan machen...", schlug sie leise vor. Auch der Tatendrang der anderen schien nachgelassen zu haben. "Eigentlich müssen wir zuerst sicher sein, dass uns niemand von hinten in den Rücken fallen kann. Ergo - wir müssen die Torwachen weglocken", murmelte sie weiter.
    "So leicht wird das nicht gehen...", grübelte Gyahara. Einen Augenblick starrten sie alle vor sich auf den Boden.
    "Feuer."
    Alle drehten sich zu Cifer um, der völlig unbemerkt ein wenig abseits stand.
    "Was meinst du?", fragte Neneve nach.
    "Feuer", wiederholte Cifer, ohne Anstalten zu machen, dies auszuführen.
    "Ah ja, Feuer. Lagerfeuer? Hast du Hunger, oder was willst du uns damit sagen?", erwiderte die Elfe, verschränkte die Arme und zog eine Augenbraune nach oben.
    "Wenn in der Nähe ein Feuer ausbricht werden die Soldaten doch sicherlich verpflichtet sein, zu helfen oder? Sie werden vielleicht einen oder zwei zurücklassen und nachschauen", erklärte Cifer langsam.
    "Vielleicht gar keine schlechte Idee...", überlegte Casper laut. Auch San und Gyahara nickten bedächtig.
    "Sagt mal, ist euch der Stress der vergangenen Tage zu Kopf gestiegen?! Wir können doch nicht einfach ein Feuer entfachen und leichtfertig mit dem Risiko spielen, dass wir einen Großbrand verursachen, der die halbe Stadt niederfegt! Dann können wir ja gleich einfach die Tore öffnen und die Soldaten reinwinken!", fauchte die Elfe und fasste sich demonstrativ an den Kopf.
    "Einer müsste dableiben und aufpassen, dass das Feuer nicht größer wird und natürlich dafür sorgen, dass die Rauchschwaden auch zu sehen sind...", murmelte San, "am besten, es wäre auf der Straße, zwischen den ausgewaschenen Steinen. Und es müsste an einem Ort sein, wo kein großer Menschenauflauf ist."
    "Ich könnte das machen", stimmte Cifer ihm zu. "Falls es zu Auseinandersetzungen kommt, werde ich euch ohnehin keine große Hilfe sein - im Gegenteil. Aber hier - außerdem bin ich unauffällig, mich wird keiner beachten." Neneve runzelte die Stirn. Sie bezweifelte zwar, dass Cifer so unauffällig war wie er meinte - denn schließlich war er immernoch ein Mensch und würde in einer Elfenstadt mit Sicherheit auffallen, doch sie gab sich geschlagen und nickte vorsichtig.

    Neneve war mit Gyahara und Caspar aufgebrochen, um das Lager in Augenschein zu nehmen. Es wäre sicherlich ratsam, geeignete Fluchtwege und dunkle Stellen auszukundschaften. Außerdem gab es der Elfe ein Gefühl von Sicherheit und linderte ihre Nervosität ein wenig.
    "Hoffentlich hält das Wetter", riss Caspar sie plötzlich aus ihren Gedanken. Noch ehe sie reagieren konnte, sah auch sie die beiden Soldaten, die auf sie zukamen. Einen Augenblick war sie wie erstarrt, dachte nur an eine möglichst schnelle Flucht.
    Erst langsam übernahm ihr Verstand wieder die Oberhand und zwang sie dazu, mit möglichst tiefer Stimme zu antworten: "Ewig will ich hier aber auch nicht ausharren". Gyahara gab ein Grunzen von sich, bei dem Neneve sich sicher war, dass sie dies von den Soldaten am Lagerfeuer kopiert hatte. Inzwischen waren die beiden anderen Rüstungen nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Dann blieben sie direkt vor ihnen stehen und starrten sie aus den Visieren an.
    "Gibt's ein Problem?", fragte Caspar. Doch auch er konnte nur schwer seine Stimme kontrollieren. Einen Moment blieb es still, erst dann erwiderte der Größere der beiden: "Wo ist Krul?" Totenstille breitete sich aus. Neneve fing den ratlosen Blick Caspars ein.
    "Wen meinst du? Hier ist kein Krul", erwiderte Gyahara grollend.
    Plötzlich gab der kleinere, kräftigere der beiden ihr einen Stoß und brüllte: "Willst du dich mit mir anlegen, oder was? Wir wissen genau, dass er mit euch auf Patrouille gegangen ist. Also, zum letzten Mal, wo ist der Hornochse?"
    "Hey, glaubt ihr, wir sind die einzigen, die heute auf Patrouille gegangen sind? Ihr verwechselt uns", schnaubte Neneve. Verstohlen sah sie sich um, ob auch niemand sie beobachte. Doch Streitereien schienen hier an der Tagesordnung zu sein. Zumindest schenkte ihnen niemand Beachtung. Nun wurde auch der andere handgreiflich, packte die Elfe und stieß sie zu Boden.
    Das fehlte ihnen gerade noch. Eine Auseinandersetzung. Etwas benommen rappelte sich Neneve wieder auf. Die beiden hatten sie inzwischen in den Schatten eines Zeltes getrieben. Zweifelnd sah sie zu Caspar, dann warf sie auch Gyahara einen Blick zu. Was sollten sie nur unternehmen? Doch in dem Moment schlug der Kleinere mit voller Wucht in den Magen der Dämonin. Als diese sich mit einem überraschten Glucksen zusammenkrümmte, riss er ihr den Helm vom Kopf.

    Einen Moment herrschte Stille. Ein bedrohliche, nichts Gutes verheißende Stille. Dann machte der größere den Mund auf. Vermutlich um die anderen Soldaten auf sie aufmerksam zu machen. Doch bevor sich Neneve ausmalen konnte, was mit ihnen geschehen würde, brach er vor ihren Augen zusammen. Denn einen hatten die beiden vollkommen außer Acht gelassen: Caspar. Als er auch den zweiten außer Gefecht gesetzt hatte, starrten sich die drei regungslos an.
    "Was machen wir jetzt mit denen?", fragte Gyahara, nachdem sie aufgestanden und sich den Helm wieder aufgesetzt hatte. Dabei versetzte sie dem Kleinen einen Tritt.
    "Wir müssen sie loswerden", erwiderte Neneve mit zitternder Stimme.
    "Na prima, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Ich hätte sie hier liegen lassen", fauchte Gyahara.
    "Vielleicht sollten wir sie in eines der Zelte...", murmelte Caspar mehr zu sich selbst.
    "Dann werden sie spätestens heute Abend gefunden", verwarf die Elfe sogleich seine Idee.
    "Nun ja, ein Loch können wir hier wohl schlecht buddeln", gab er zurück. Fieberhaft ließ sie ihren Blick über die Umgebung schweifen. Dann musste sie lächeln.
    "Seht ihr diese Kisten? Wie wäre es, wenn wir sie dahinter verfrachten und sie mit einer dieser staubigen Teppiche verdecken? Dann würden sie vielleicht nicht so schnell gefunden werden", schlug Neneve dann vor. Die beiden anderen folgten ihrem Blick.
    "Dann müssen wir aber diese Schwachköpfe am Lager ablenken, sonst werden sie uns sehen", erwiderte Gyahara.
    Caspar nickte. "Wenn ihr die beiden wegschafft, werde ich sie ablenken." Als die Elfe und die Dämonin langsam nickten, verschwand er in der entgegengesetzten Richtung. Schon bald wurden Stimmen am Lagerfeuer laut.

    "Das zum Thema 'verhaltet euch unauffällig'", grummelte Gyahara, als sie die beiden ächzend hinter die Kisten zogen. Ohne eine Antwort zu geben, breitete Neneve eine staubige Decke über die beiden. Dann atmete sie erleichtert auf.

    :hi2: Ich melde mich jetzt auch mal wieder zurück. Heute hatte ich endlich wieder Zeit, den letzten Post noch einmal durchzugehen - wobei kleinere Korrekturen das Angesprochene hoffentlich bereinigt haben. Doch bevor ich jetzt einfach weitermache, möchte ich gerne eure Einschätzung wissen: Lohnt es sich noch, hier weiterzumachen oder wäre es vllt sinnvoller, den kompletten Text zu überarbeiten? Denn @Rael hatte einmal angedeutet, dass die Ich-Perspektive nicht optimal sei und inzwischen stimme ich ihr da auch voll zu. Zudem habe ich das Gefühl, dass die Geschichte ein wenig gehetzt ist und sie sich auch nicht so entwickelt hat, wie ich gehofft habe.
    Zum einen wäre da Laumé (da es schon ein bisschen her ist: Die Hauptperson ;) ). Eigentlich hatte ich vor, sie im Laufe des Ganzen von der naiven Waldfee in eine Fee mit eigenen Ideen, Haltungen und Einfällen "reifen" zu lassen. Zudem wurde ihre eigene Entwicklung durch die vielen anderen Charaktere in der Geschichte ein wenig eingedämmt. Ich will damit sagen: Die Gruppe ist eigentlich zu groß. Dadurch habe ich als Autor das Problem, nicht über jeden einzelnen genügend zu schreiben, wie es mir lieb wäre. Ich kann mich aber ehrlich gesagt auch nicht mehr von einem einfach so verabschieden.
    Außerdem ist die Geschichte zu fröhlich geworden. Ich meine: Um die kleine Gruppe herrscht Krieg, Laumé hat ihre Heimat verloren und auch Freunde zurückgelassen - aber wirklich schockieren tut sie das inzwischen nicht mehr.
    Dazu kommt noch die Lovestory zwischen ihr und dem Elfen, die eigentlich nur am Rande erwähnt werden und Laumé nur in einen Gewissenskonflikt bringen sollte. Doch inwzsichen habe ich ein bisschen das Gefühl, als würde sie zu viel Raum beanspruchen. Und das ist definitiv nicht das, was ich beabsichtigt hatte.

    Daher würde ich gerne eure Meinung dazu wissen. Das ist schließlich auch einer der Gründe, weswegen ich die Geschichte hier gepostet habe (unabhängig von den Grammatik-Fehlern). Denkt ihr, ich sollte hier einen Cut setzen, die Geschichte vllt ein bisschen ruhen lassen und später noch einmal von vorne anfangen? Genügend Stoff zum Weitererzählen hätte ich noch, ich weiß nur nicht, ob die Geschichte noch wirklich lesenswert ist... Deswegen bin ich euch beiden (alo @Rael und @Kyelia) ja auch so dankbar, dass ihr bisher immer weiterkommentiert habt. #
    Also, ihr seht, dass ich zurzeit ein wenig im Interessenkonflikt bin. Einerseits steckt hier bereits viel Arbeit und Mühe drin, andererseits entspricht sie nicht den Ansprüchen, die ich selbst an sie setze...

    LG Nyneve

    "Was machen wir, wenn wir in Bamaria, dem Sitz meiner Königin, ankommen und sie schon an den Feind gefallen ist? Wie lange wird sie wohl schon belagert?", grübelte Neneve nach, als sie schließlich nach Luft ringend Halt gemacht hatten. Während sich Gyahara an einen Baum gelehnt hatte und ins Leere starrte, wandte sich die Elfe an die anderen. "Vielleicht ist das ja schon viel länger geplant und wir waren einfach am falschen Ort zur falschen Zeit", murmelte sie weiter. Wobei dies eigentlich nur für die anderen galt. Sie hatte den Auftrag erhalten, Fürst Keios zu begleiten, die anderen waren einfach günstige Söldner. Wobei Neneve bei allen stark daran zweifelte. Missmutig kickte sie einen Stein mit dem Fuß beiseite und stellte sich vor, es wäre Elrion. Dann verlor er sich aus ihrem Blickfeld, wurde verschluckt von der Dunkelheit.
    "Sollen wir einen weiten Bogen um die Stadt schlagen oder so schnell wie möglich Bamaria erreichen? Denn ein Umweg gen Osten und dann erst nach Norden würde uns gut zwei Tage zurückwerfen. Der direkte Weg könnte uns jedoch auch direkt in die Arme Elrions treiben", mutmaßte sie vor sich hin. Mit einem "verdammt" unterstrich sie noch ihre Gemütslage.
    "Wir sollten am besten gleich weiter und diese Entscheidung vertagen...", murmelte San schlaftrunken.
    "Das hat doch keinen Sinn, wir... si...", dann wurde Caspar von seinem eigenen Schnarchen unterbrochen. Neneve drehte sich langsam von den anderen Weg und starrte auf das spärliche Gras vor ihr. Sie konnte nicht schlafen, zumindest noch nicht. Zu schnell schlug ihr Herz, zu groß war die Sorge um Zumina. Den pelzigen Wärmer nahm sie gerne in Kauf, der sich unter ihren Arm kuschelte. Irgendwo hörte sie auch Lovias Piepsen.
    "Unterschätze deine Freunde nicht. Ihr habt schon einiges geschafft, mehr als erwartet, um ehrlich zu sein", erklärte Vargas, der nicht weit von ihr an einer Rinde knabberte.
    "Sind Söldner gleichzeitig Freunde? Denn sind sie das, warum haben die anderen Söldner Keios töten wollen? Und wenn sie nicht Freunde sind, warum helfen sie Nene dann?", philosophierte Lovia.
    "Du kannst nichts pauschal sagen. Niemand ist wie der andere. Neneve ist ja auch nicht wie Elrion, obwohl sie beide Elfen sind", erwiderte der Hirsch.
    "Seit wann ist Elrion weiblich?", japste Aiana dazwischen. Sie hatte bis eben geschlafen und den größten Teil des Gesprächs überhaupt nicht mitbekommen.
    "Hört auf zu philosophieren! Dafür ist es viel zu spät!", unterbrach die Elfe sie da. Für eine nächtliche Diskussion hatte sie jetzt wahrlich keinen Nerv mehr. "Es reicht schon, dass ich keine Ahnung habe, wem ich noch vertrauen kann. San oder Sedar, Freund oder Feind, Mörder oder Retter? Und dann Cifer. Schweigt wie ein Grab. Und auch über Caspar und Gyahara weiß ich eigentlich nichts. Wir sind umgeben von feindlichen Kriegern, sollen mirnichts dirnichts ein ganzes Königreich retten, bei dem man nicht mal sicher sein kann, ob es wirklich gerettet werden will, wenn sich die Bewohner gegen ihre eigene Königin stellen. Wir müssen einen Bogen um die Lager Elrions schlagen und gleichzeitig so schnell wie möglich Bamaria erreicht haben. Das ist ... doch alles vollkommmen widersprüchlich. Passt ja, unser Leben ist im Moment schließlich auch keinen Deut wert." Erschöpft vor lauter Reden atmete Neneve daraufhin erst einmal tief ein und aus. Dann schloss sie die Augen und hörte dem Wispern ihrer treuesten Freunde zu. Schließlich musste sie doch eingeschlafen sein, denn als sie die Lider wieder hob, war es nicht mehr Nacht.