Beiträge von RenLi

    Hey Rainbow

    Band 2 geht ja viel mehr ab als Band 1! Phuuu!! Du hast das richtig cool eingefädelt! Emilia ist durch die Verschmelzung und die Prophezeihung also Elias' grösste Stärke und grösste Schwäche.

    Ah, ich möchte wirklich nicht mit ihr tauschen. Und auch nicht mit Silas, die beiden sind in einer wirklich, entschuldige, verkackten Lage. Mal sehen, ob Micha da noch irgenwas ausrichten kann. Ich hoffe einfach, dass Silas sich besinnt und die Dunkle Seite hintergeht, sich selbst opfert, wie es für einen tragischen Helden gehört und Emilia rettet.

    Nur etwas: Dass Jesaja gerade diesen Schnipsel in alter unleserlicher Schrift mitnimmt, ist etwas erstaunlich - könnte jedoch auf göttliche Führung hin passiert sein.

    Und du schreibst, dass Dagon das einzige Wesen ist, das je die Quelle göttlicher Weisheit betreten hat (als er das Buch klaute), aber wahrscheinlich ist er das einzige Wesen, das diesen Quell unerlaubt betreten hat, oder? Wo kämen sonst die Prophezeihungen her...

    Uuuu, ich freu mich auf die nächsten Kapitel, auch wenn sie schaaaauuuurig sind :ugly:

    Hi Rainbow

    Uuuu! Das letzte Kapitel war klasse!!

    Das Ritual von Elias hast du ganz schön „aufgemotzt“. Ist super so! Aus Kerzchen sind coole Runen geworden und seine Erklärung mit der semipermeablen Membran gefällt mir.

    Ah, und toll, dass du Edwards glitzernden Superkörper miteinbeziehst, an die Parallele zu „Biss“ denk ich ja auch schon ab und zu nach. Nun, da du’s aussprichst, find ich es super! Guter Schachzug.

    Das Ganze erscheint mir sehr stimmungsvoll. Es ist schliesslich eine grosse Herausforderung Emilias Gefühlswelt in diesem Kapitel zu beschreiben. Das schwierigste Kapitel bisher, denke ich, da sie zwischen der absoluten Zerstörung und dem grössten Glück hin und her wankt. Was für ein Chaos! Und herrlich beschrieben! Ein richtig guter Abschluss deines ersten Buches!!

    Ich freu mich auf das zweite, da ist dann ja alles neu für mich :D

    Hi Rainbow

    Bin mal wieder ein bisschen am Weiterlesen.

    Hier ein paar Kommentare zum Kapitel 21.2 (Abstecher in Elias' Erinnerungen)

    und das Verlangen erneut diese Nähe zu ihm spüren zu wollen.

    Ich würde das "zu wollen" weglassen.

    „Können wir das noch mal machen?“, fragte sie erwartungsvoll und immer noch berauscht durch das überwältigende Erlebnis.

    Klingt mir etwas zu sehr nach Achterbahn. Er ist ja keine Attraktion in einem Zirkus. Da würd ich noch ein Augenzwinkern anhängen oder so.

    während sie die Augen schloss und seinen Duft einatmete: Eine Mischung aus Maiglöckchen, Zimt und Erdbeermarmelade

    wie süsss! find ich eine coole Duftbeschreibung für einen Engel. Wahrscheinlich sind das ihre Lieblingsgerüche :D

    Konnte es tatsächlich sein, dass der Kampf zwischen Gut und Böse allgegenwärtig war und die Menschen ihr pseudo-friedvolles Leben nur solange würden führen können, wie es den Engeln gelänge, die Oberhand zu gewinnen? Und welche Rolle spielte Gott bei alledem? Warum war er in Elias` Erinnerung nicht präsent gewesen?

    tolle Fragen!

    War es möglich, dass die Welt der Menschen ein originalgetreues Abbild des Himmels darstellte? Die Vorstellung, dass sie im Paradies lebte, ohne sich dessen bewusst zu sein, nahm Emilia einen kurzen Moment derart gefangen, dass sie gedanklich abdriftete.

    hihi, das find ich cool!!

    Noch Kapitel 21.3

    Was ich damit sagen will, ist, dass mich deine Gedanken manchmal regelrecht anspringen. Ich weiß auch nicht, wieso das so ist, weil ich sowas zuvor noch nie erlebt habe.

    Der weiss doch schon, dass die Verschmelzung passiert ist, oder nicht?

    als ob sich eine Türe öffnet, die den Blick auf dein Innerstes preisgibt…

    ui, das würd ich aber gar nicht mögen. Ist das nicht etwas übertrieben? Muss es gleich ihr Innerstes sein? :pupillen:

    Hi Rainbow

    Echt cool, das Kapitel "Niederträchtigkeitsskala" :D

    Eine Frage so nebenbei: Warum ist das himmlische Heer eigentlich noch nicht da? Die sollten doch längst kapiert haben, dass da etwas ziemlich schief läuft auf der Erde. Für Elias war es ja auch einfach, auf die Erde zu kommen…

    Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sie nur beruhigen wollte und es letztendlich gar keinen echten Schutz gab, wenn man nicht gerade das Glück einer 1:1-Betreuung durch einen persönlichen Schutzengel hatte.
    Sie entschied sich dazu, es für`s Erste dabei zu belassen und nicht weiter nachzufragen. Mit einem knappen Nicken signalisierte sie ihm deshalb, dass sie verstanden hatte und schob sich wortlos an ihm vorbei. Sie hängte den Schlüssel, den sie noch immer in der Hand hielt, ans Schlüsselbrett und ging weiter Richtung Küche.

    Für mich ist hier die Reaktion von Emilia nicht ganz logisch. Als Emilia würde ich da nun hören wollen, wie das mit dem Schutzzauber vonstattengehen soll. Dann kann er antworten, dass sie noch Vorbereitungen treffen müssen und dann geht sie in die Wohnung. Nicht? Ausser sie fühlt sich so unwohl in ihrer Wohnung, dass sie wirklich nur kurz packen und dann verschwinden will, aber dann wäre das Gespräch zuvor etwas lang gewesen.


    Die Szene, in welcher sie die Collage anschauen, ist toll! Emilia ist wirklich einfach ein normaler Mensch und keine Halb-Heilige oder so. Find ich cool, weil so auch Elias einen wirklichen Einblick in menschliches Leben erhält. Aber sie zwei als Paar kann ich mir im Moment nicht wirklich vorstellen, weil er halt wirklich ein Engel und kein Mensch ist. Er hat ja nicht mal einen Körper. Er ist eher der Beschützer oder Retter ihrer Seele, der ihr hilft, über sich selbst hinauszuwachsen und das Leben neu kennenzulernen. Bin gespannt, was du da noch vor hast. Keine Ahnung ob ich sie mit Fredy zusammen kommen lassen würde oder mit Silas? Irgendwie ist er ja doch etwas sympathisch seit dem letzten Abschnitt. Oder doch am Ende offen lassen. So wie: Emilia hat zwar grad keinen Partner, aber sie fühlt sich bereit, sich auf jemanden wirklich einzulassen, weil sie ihr Trauma dank Elias überwunden hat :D

    „Ach Elias. Das Leben ist kein Ponyhof …“, schnaufte Emilia, als ihr klar wurde, dass er mit dem Vergleich nicht viel würde anfangen können.

    Das ist irgendwie noch nicht ganz richtig zusammengesetzt, oder? Müsste es nicht heissen: „Das Leben ist halt kein Ponyhof…“, begann sie, doch sie erkannte, dass er mit dem Vergleich nichts anfangen konnte, also setzte sie hinterher: „…“ oder so.

    „Wäre das denn so schlimm?“, fragte er mit ernsthaftem Interesse, aber offensichtlich ohne jedes Verständnis.

    Hihihiiii, das ist ein tolles Ende von dem Abschnitt. Wunderbare Antwort, die Elias gibt. Du verstehst dich darauf, die zwei Charaktere voll auszuspielen und auszukosten. :D

    „Warum eigentlich nicht …“, sagte er mehr zu sich selbst und griff nach ihren Händen, während er ihr ein herausforderndes Lächeln schenkte. „Bist du bereit für einen Ausflug in meine Vergangenheit?“


    Ein wunderbarer Schlussatz. Was für Aussichten, das ist ein Leckerbissen für die Leserschaft!

    Hi Rainbow


    Hab mal wieder angefangen, deine Geschichte zu lesen. Bin grad mit Kapitel 19 fertig geworden, in welchem Silas mit Sirius über Emilia spricht. Schrecklich-Herrlich in einem. Es ist toll, dass du aus Silas nicht einfach einen Bösewichten gemacht hast, sondern seine Hilflosigkeit darstellst. Man kann nachvollziehen, dass er sich dem Bösen angeschlossen hat, gleichzeitig aber Emilia retten will. So hat man Mitleid mit Silas, möchte aber doch nicht, dass er sich mit Emilia trifft. Toll!

    Ich kann mich nicht mehr erinnern, dass das Treffen zwischen Emilia und Silas im ersten Band beschrieben wurde, freue mich aber schon zu lesen, wie es weitergeht :D

    Hallo zusammen

    Danke euch allen fürs Lesen der Geschichte! Nun kann ich mich fürs Erste mal an die Überarbeitung machen. Wenn ich sie für die Geschichtensammlung verwenden will, soll sie ja schon in sich stimmig sein und so weiter.

    Rainbow und Thorsten Ich werd mich sicher nochmals an die "Tempostruktur" ransetzen :) Da bin ich doch glatt als Langgeschichtenschreiberin entlarvt worden ;)

    Mal sehen, was mir so einfällt.

    Ab ans Schreiben!! :superman:

    Hallo zusammen

    Dann kommt hier also der letzte Teil. Sobald ihr euren Senf, eure Tortenglasur, oder Bratensauce hinzugemischt habt, werde ich sie nochmals überarbeiten und hoffentlich alle Ungereimtheiten ausbügeln.


    An deiner Stelle (Teil 5)

    Als sie erwachte, brannte ihr Körper. Ihre Haut war heiß. Keuchend richtete sie sich auf, doch ihre Arme knickten unter ihrem Gewicht weg, sodass sie wieder zurück auf ihr Kissen fiel. Sofort war Sora neben ihr. Sie sah ihn nicht deutlich, denn es war zu dunkel, doch sie war sich sicher, dass er es war. Sie hörte das Rascheln seines Gewandes, dann spürte sie die Perlen seiner Gebetskette an ihrer Wange. Die Holzmurmeln fühlten sich auf ihrer überhitzten Haut an wie Eis.

    „Ich fühle mich nicht gut“, brachte sie hervor.

    „Schhh“, machte er und legte seine freie Hand an ihre andere Wange.

    Tränen stiegen ihr in die Augen und sie keuchte auf, als ein brennender Schmerz durch ihre Brust jagte. Halt suchend klammerte sie sich an sein Gewand.

    „Es schmerzt!“, rief sie und spürte wie ihr Magen rebellierte. Gleich würde sie sich übergeben müssen.

    Soras gemurmeltes Mantra erreichte ihre Ohren kaum noch. Sie beugte sich über den Bettrand, doch er zog sie in eine sitzende Position hoch. Die Gebetsschnur leuchtete wie auch Soras Gesicht. Die Übelkeit ließ etwas nach. Seine Hände an ihren Wangen zitterten ebenso wie ihre und als der Schmerz endlich abgeklungen war, war er ebenso in Schweiß gebadet wie sie. Schwer atmend ließ er sich neben sie auf das Bett sinken. Nun, da die Hitze aus ihrem Körper gewichen war, begann sie zu frieren. Aus müden Augen blickte er sie an.

    „Dies ist eine größere Prüfung, als ich gedacht hatte“, gestand er und sie schauderte. „Ich bringe dir andere Kleider. Du erkältest dich noch.“

    Er will mich allein lassen!, fuhr es ihr durch den Kopf und sie griff instinktiv nach dem Ärmel seines Gewandes.

    „Ich habe Angst“, sagte sie weinerlich.

    Was, wenn es zurückkommt, wenn er weg ist?

    Sora senkte den Kopf. Er schien sich erheben zu wollen, doch dann entschied er sich anders und rückte näher zu ihr.

    „Ob sich der Mann so gefühlt hat, als er sich gegen den Mondgott erhoben hat?“, flüsterte er, mehr zu sich selbst und zu Ayas Erstaunen schloss er sie in seine Arme. Einen Moment lang war sie so überrascht, dass sie steif wie ein Brett auf dem Bett saß, doch dann entspannte sie sich und die Tränen quollen über. Schluchzend presste sie ihr Gesicht an seine Brust und vergrub ihre Hände in seinem Gewand.

    Aya wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er sich schließlich von ihr löste. Ihr Atem ging wieder gleichmäßig und draußen zwitscherten bereits die ersten Vögel, obwohl es noch nicht wirklich hell geworden war.

    „Danke“, flüsterte sie verlegen und wischte sich über die Wangen.

    Auch ihm schien die Situation etwas unangenehm zu sein, doch er lächelte zaghaft. Wie verzaubert starrte sie ihn an. Wie hübsch er doch war, wenn er nicht so ernst dreinsah. Sie hatte ihn doch falsch eingeschätzt. Sie hatte noch nie einen Novizen gesehen, der so viele Gefühle auf seinem Gesicht trug. Obwohl er in Anwesenheit von Vater Kenzo oder anderen Mönchen auch eher wie eine Steinstaute als wie ein Mensch wirkte, war er oft ganz anders, wenn sie nur zu zweit waren.

    Schnell erhob er sich und trat ein paar Schritte zurück.

    „Vater Kenzo und Yuuma erwarten uns schon bald unten im Klosterhof. Sie haben einen Weg gefunden, die Blume aus deinem Körper zu entfernen. Bei Sonnenaufgang soll die Übergabe stattfinden“, erklärte er und verbarg sich wieder hinter einer Maske der Gefühlslosigkeit.

    Aya nickte erleichtert über diese Nachricht.

    „Bis dahin solltest du dich umziehen“, fügte er an und trat an einen Schrank. Sie spürte wie sie errötete, als er ihr ein einfaches Hemd und eine Hose hinhielt. Die Tatsache, dass sie sich vor wenigen Augenblicken noch an ihn geklammert und geheult hatte, war ihr nun mehr als peinlich. Sobald sie die Kleider entgegengenommen hatte, drehte er sich um.

    Er ist ein Novize, er wird nicht schauen, sprach sie sich selbst Mut zu und begann, ihre verschwitzen Kleider auszuziehen. Zu ihrem Erschrecken, begann nun auch Sora, sein Mönchstuch an der Hüfte zu lösen. Wollte er sich etwa auch hier umziehen? Schnell wandte sie sich ab. Vor Nervosität brachte sie es kaum fertig, die Kordel ihres Kleides zu lösen.

    Ich benehme mich viel zu kindisch, fand sie und endlich gelang es ihr, den Knoten zu öffnen und aus dem Kleid zu steigen. Sie zwang sich, nicht über die Schulter zu schauen, um sicherzugehen, dass er noch immer mit dem Rücken zu ihr stand und auch als sie bereits umgezogen war, blieb sie mit dem Gesicht dem Fenster zugewandt sitzen. Draußen begann es allmählich hell zu werden.

    „Bist du fertig?“, fragte er leise.

    „Mhm“, antwortete sie und wagte es, sich umzudrehen. Er stand, in eine frische Robe gekleidet, an der Tür. Sie beeilte sich, aus dem Bett zu kommen, doch sie war viel schwächer, als sie es erwartet hatte. Hätte er sie nicht im letzten Moment aufgefangen, wäre sie auf den Fußboden gestürzt.

    „Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich so sehr schwächt“, stellte er beunruhigt fest und drückte sie zurück auf die Matratze. „Leg diese um“, sagte er und zog die Gebetskette aus seinem weiten Ärmel hervor. „Sie schützt dich vor dem Einfluss der Blume.“

    Schon streifte er ihr die Kette über den Kopf und tatsächlich spürte sie, wie sich ein Wohlgefühl in ihrem Körper ausbreitete.

    „Danke“, murmelte sie. „Hast du eigentlich etwas von meiner Mutter gehört?“

    „Es soll ihr besser gehen“, antwortete er. „Bald wirst du sie wiedersehen.“

    Erleichtert lächelte sie.

    „Danke“, sagte sie aus vollem Herzen.

    Eine Mischung aus Trauer und Zärtlichkeit zeigte sich auf seinem Gesicht, sein Mund zeigte die Andeutung eines Lächelns.

    „Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst“, flüsterte er, hob die Hand und strich ihr über die Wange. Die sanfte Berührung ließ ihr Herz schneller schlagen und bevor sie etwas erwidern konnte, zog er sich wieder zurück und fragte: „Kannst du aufstehen?“

    Sie versuchte es, doch ihre Beine wollten sie nicht tragen. Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn.

    „Ich trag dich.“

    Zögernd legte sie die Arme um seinen Hals, als er vor ihr in die Hocke ging. Er trug sie aus dem Zimmer, einen dunklen Korridor entlang.

    „Es war schön, dich kennenzulernen“, sagte er unvermittelt.

    Er schien sich darauf zu verstehen, sie zu überraschen. Von einem Moment zum anderen konnte seine Stimmung wechseln.

    „Danke, dass du auf mich aufpasst“, sagte sie und merkte, dass ihr leicht schwindlig wurde. Ob das an der Wirkung der Blume lag?

    Sie traten nach draußen in den kreisrunden Klosterhof, in dessen Zentrum der uralte Baum seine knorrigen Äste in Richtung Himmel reckte.

    „Können wir ihn wirklich noch retten?“, fragte sie benommen.

    „Mit der Blume, ja.“

    Er setzte sie neben dem Stamm ab. Erschöpft lehnte sie sich dagegen und sah zu wie er eine Glocke läutete. Wie schnell doch ihre Energie nachgelassen hatte.

    „Aya“, setzte er an. Seine Stimme war leise, nicht mehr als ein Flüstern. Er sah seltsam verletzlich aus. Was wollte er ihr sagen? Er sah hoch zu den verdorrten Ästen über ihr.

    „Ich werde immer über dich wachen, aus dem Verborgenen, wie ich es schon früher getan habe“, sagte er mit brüchiger Stimme.

    Aya wusste nicht, ob sie ihn wirklich richtig verstanden hatte.

    „Was heißt das?“, fragte sie, doch in dem Moment betraten mehrere Mönche den Hof. Sie kamen aus allen Richtungen auf sie zu, bildeten ein Meer aus graugewandeten Menschen. Ein sehr alter Mönch trat auf Sora zu, schloss ihn in seine Arme.

    „Yuuma-sama, uns bleibt nicht mehr viel Zeit!“, hörte sie Sora sagen. „Vater, bitte lasst die Zeremonie beginnen. Wir müssen die Blume so schnell wie möglich übertragen.“

    Doch der alte Mann schüttelte den Kopf.

    „Es ist zu spät, Junge.“

    „Was?!“, schockiert löste sich Sora von dem Mönch. „Nein! Ihr redet Unsinn. Ihr habt gesagt – es ist meine Aufgabe! Ich habe mich jahrelang darauf vorbereitet. Es muss einen Weg geben!“

    Aya nahm all ihre Kraft zusammen und zog sich an der toten Rinde des Baumes hoch. Sie ergriff Soras Hand.

    „Was ist los?“ Ihre Stimme war schwach. Sie musste sich an ihm festhalten, um nicht hinzufallen.

    „Aya.“ In seinem Blick lag so viel Angst.

    Das Brennen kehrte zurück. Es breitete sich von ihrer Brust über den Körper aus. Die Gebetskette begann zu glühen.

    „Vater, tut doch etwas!“, rief Sora und blickte sich über seine Schulter zu Yuuma um.

    Ein markerschütternder Schrei zerriss die Luft, als eine schwarze Ranke sich durch ihren Brustkorb bohrte. Die Gebetskette zersprang mit einem lauten Knall und die Perlen flogen in alle Richtungen.

    „Sora!“, schrie sie mit schriller Stimme. „Was passiert hier?! Was geschieht mit mir?“

    Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

    „Denk an deine Mutter, sie wird wieder gesundwerden.“

    „Du hast versprochen -“

    Etwas packte sie von hinten, zerrte sie mit sich, presste sie an den Stamm des Baumes. Sie erkannte, dass es Äste waren, die sie fest umschlungen hielten. Panisch versuchte sie, sich zu wehren, während sich die Ranke um ihre Kehle legte. Einen Moment wurden die Schmerzen unerträglich, dann plötzlich stand Sora vor ihr. Er nahm ihren Kopf in seine Hände, legte seine Stirn an die ihre.

    „Du sollst hier nicht sterben, es ist meine Aufgabe. Ich sollte das Opfer für den Baum werden. Alle hundert Jahre ein Ofer.“

    Er begann zu beten, die Worte des Mantras hüllten sie ein. Der Griff des Baumes lockerte sich in wenig. Wieder sah sie das Glühen von Soras Haut ausgehen, nur diesmal unglaublich viel stärker. Es brannte sich in ihre Augen, machte sie beinahe blind. Er war so schön, wie ein göttliches Wesen. Sie kniff die Augen zusammen. Sie fühlte wie der Stamm in ihrem Rücken nachgab, weich wurde. Langsam wurde sie in den Baum hineingesogen.

    „Nein, Aya!“

    Sie sah ihre eigene Panik in seinen Augen.

    „Lass mich nicht -“, presste sie hervor, doch sie hatte keine Kraft mehr. Ihr Blickfeld verschwamm, der Baum nahm sie zusammen mit der Mondblume in sich auf. Das Letzte, das sie sah, war sein verzweifeltes Gesicht, dann wurde sie in Dunkelheit gehüllt.

    Für immer.

    Hi Thorsten

    Uii, ganz viele tolle Anmerkungen! Dank, das ist super :D Ich werd den Unterschied zwischen Mantra und Sutra nochmals googeln, damit ich die Worte besser einsetzen kann.

    Und klar, Stäbchen, dass ich das vergessen habe. Bin allzu leicht in eigene Gewohnheiten verfallen.

    Aber von vorne:

    Genau, dass die Blume ihr Kraft entzieht, um sich zur Wehr zu setzen, das versteht Aya kaum. Ich finde die Information allerdings für die Lesenden wichtig, deshalb hab ich das reingenommen. Es gibt in Büchern ja oft Anmerkungen, die über das Wissen der Hauptfigur hinausgehen. Ich schreibe zwar oft so nahe an den Personen dran, dass auch die Lesenden nur mitbekommen, was die Figur im Buch mitbekommt, aber das bringt immer wieder ein paar Schwierigkeiten mit sich. Deshlab versuche ich, einen etwas distanzierteren Schreibstil zu entwickeln...

    Deine wohl tiefgreifenste Bemerkung: warum schlagen die Mönche da kein Camp auf, wo die Blume wächst? Das hab ich mir zugegebener Massen selbst noch nicht erklären können. Sicher ist, dass die Blume nicht immer an demselben Ort wächst. Vielleicht kann man nur kurz vor ihrem Erblühen herausfinden - durch Meditation oder etwas ähnlichem - wo die Blume in jener Vollmondnacht erblühen wird. Das heisst, die Mönche verteilen sich in der Region, um möglichst schnell vor Ort zu sein. Das würde erklären, warum Sora als Einziger da ist. Aber dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass jemand Aya sagen konnte, wo sie die Blume finden kann. Tja, da muss ich nochmals drüber. Für Aya ist es uninteressant, aber für den Sinn der Geschichte natürlich wichtig.

    Klaro, aus Vater wird Meister oder Sensei. Da bin ich wohl in meiner anderen Geschichte hängen geblieben...

    Und zum Schluss noch danke für die "Schelte"-Erklärung. :D Ich lasse sie also drin.

    Ich hoff, dir gefällt der Schluss.

    Lg, RenLi

    Hallo zusammen


    Danke fürs Lesen! Das war schon der 2. letzte Teil. Als nächstes kommt der Schluss. Ich dachte, "schelten" sei ein deutsches Wort. Da ich aus der Schweiz komme, schleichen sich bei mir manchmal schweizerdeutsche Wörter ein :blush: gut möglich, dass ich da was reingeschmuggelt habe.

    Oh, wie ich die Dramatik liebe :D Deshalb gefällt mir die Geschichte auch. Drama und Geheimniskrämerei...

    Hallo zusammen


    @Drachenlady2001 Hab mir deine Anmerkung mit dem Baum mal notiert. Stimmt, da hab ich ein paar Gefühle von Aya wohl ausgelassen. Ich schau bei der nächsten Überarbeitung, ob ich das noch reinnehme. :thumbsup:

    Rainbow Hab ich überarbeitet :D Wie gut, dass du dich ans Ende nicht mehr erinnern kannst :evil::saint: Ich mag Dramatik :D

    An deiner Stelle (Teil 4)

    Ein kleiner Mönch stand an einem Topf und blickte ihnen gutmütig entgegen.

    „Die werte Dame ist also aufgewacht, wie ich sehe“, sagte er mit einem Schmunzeln.

    „Hast du etwas von Yuuma gehört, Osamu?“, fragte Sora mit ernster Miene.

    Der Koch verneinte schweigend.

    „Du solltest dich in Geduld üben und essen, mein Junge“, sagte Osamu und schöpfte eine große Kelle voll Reis und Gemüse in zwei Holzschalen. „Das Schicksal wird sich erfüllen, so war es immer.“

    Sora nahm die Schalen entgegen. Aya warf einen nervösen Blick über die Schulter. Wollte er wirklich da draußen essen? Doch noch bevor sie etwas dagegen einwenden konnte, war Sora ihr bereits vorausgegangen und hatte den Speiseraum wieder betreten. Sie kniff den Mund zusammen und folgte ihm.

    Aufrecht, ermahnte sie sich, doch sie fühlte sich nicht halb so mutig wie sie es sich gewünscht hätte.

    Sora trat an einen Tisch in der Ecke. Sofort rückten zwei Novizen etwas zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Sora stellte ihre Schale neben seine, sodass sie zwischen ihm und der Wand saß. Ob er gemerkt hatte, dass es ihr nicht wohl war, hier zu sein? Aber hätten sie dann nicht auch im Zimmer essen können? Sie setzte sich.

    „Iss“, forderte Sora sie auf.

    Sie wurde nicht schlau aus ihm. In einem Moment konnte er warmherzig und freundlich sein und im nächsten schon wieder kühl und abweisend. Die anderen Novizen aßen schweigend und mit gesenkten Köpfen. Wahrscheinlich war es ihnen unangenehm, eine Frau am selben Tisch zu haben. Aya versuchte, die anderen zu ignorieren und konzentrierte sich auf ihr Essen, wie Sora es ihr gesagt hatte.

    „Mach mal Platz“, rief eine raue Stimme und Aya blickte scheu auf. Ein großgewachsener Mönch drängte sich gegenüber von Sora auf die Bank.

    „Hast auch schon besser ausgesehen“, stellte der Neuankömmling fest und fixierte Sora mit seinem Blick.

    „Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Masao“, entgegnete Sora trocken.

    „Höflichkeit ist eine Tugend, die gerne unterschätzt wird“, meinte Masao unberührt und begann sich sein Essen in den Mund zu schaufeln.

    „Das könntest du dir selbst ebenso sagen“, konterte der Novize.

    Aya verfolgte das Gespräch mit Erstaunen und vergaß darüber einen Moment lang ihre eigene Situation. Sie hatte sich das Zusammenleben im Kloster ganz anders vorgestellt. Wer hätte gedacht, dass hinter den verschlossenen und strengen Mönchen tatsächlich Menschen mit allen Facetten von Gefühlen steckten?

    „Sind wir nicht alle Spiegel unserer selbst?“ Masao grinste herausfordernd. „Hast du dir bereits eine Abschiedsrede überlegt, Sora?“

    Soras Augen verengten sich. „Es gibt nichts zu sagen. Der Schicksalsfaden wird weitergesponnen, Zeit vergeht.“

    Aya erinnerte sich, dass der Koch etwas Ähnliches gesagt hatte.

    Was ist das Schicksal?, fragte sie sich. Sind wir alle einem gewissen Schicksal ausgeliefert?

    „Du bist so unnahbar wie immer. Nun, da der Baum zu seinem Ende kommt, hätte ich gedacht, das würde sich vielleicht ändern. Aber vielleicht überraschst du uns ja alle noch.“

    „Das reicht.“ Einer der Novizen hatte sich erhoben. „Dein Verhalten ist unwürdig.“

    „Spricht man so zu einem Älteren?“, fragte Masao gelassen.

    Die Anspannung am Tisch war merklich zu spüren und Aya wünschte sich in ihr Zimmer zurück. Oder nach Hause. Eigentlich sollte sie am Bett ihrer Mutter sitzen und über sie wachen und nicht hier in einem Kloster, in welchem sie ganz offensichtlich nichts zu suchen hatte.

    „Du hast dein Essen noch kaum angerührt, Aya.“

    Sie zuckte zusammen, als ihr Name so unerwartet genannt wurde. Sora sah sie forschend an.

    „Tut mir leid“, murmelte sie verlegen. Nun waren die Blicke der am Tisch Sitzenden plötzlich auf sie gerichtet. Verärgert stellte sie fest, dass ihre Hand leicht zitterte, als sie den Löffel anhob, um einen Bissen zum Mund zu führen.

    „Du hast Recht, wir sollten Essen. Wer weiß, was der morgige Tag bringen wird“, stellte Masao fest. „Setz dich“, fügte er an den Novizen hinzu, welcher sich ohne Widerworte wieder auf die Bank niederließ und sich seiner Schale zuwandte.

    Den Rest des Mahles verbrachten sie schweigend. Als Sora sich erhob, sah Masao zu ihm auf. „Schau zu, dass du uns nicht enttäuschst. Hundert Jahre sind eine lange Zeit“, bemerkte er.

    Soras Miene war hart und sein Blick von einer Eiseskälte erfüllt, die Aya eine Gänsehaut verursachte.

    „Ich kenne meine Aufgabe, Masao“, sagte er und wandte sich ab.

    Aya musste sich beeilen, um mit seinem forschen Schritt mithalten zu können. Sie hätte ihn gerne gefragt, worum es in dem Gespräch gerade gegangen war, doch sie getraute sich nicht. Es schien ihr, als hätte er eine undurchdringliche Mauer aus Eis um sich herum aufgebaut, durch die nichts und niemand zu dringen vermochte. Mit einem unguten Gefühl im Bauch marschierte sie hinter ihm her, bis sie schließlich wieder vor ihrer Kammer standen. Wieder hielt er ihr die Tür auf und sie trottete gehorsam hinein.

    „Schlaf“, wies er sie an.

    Überrascht blickte sie ihn an.

    „Ich bin nicht müde“, entgegnete sie.

    Er trat auf sie zu und hob eine Hand. Unsicher wich sie ein Stück zurück. Da wurde sein Blick weicher.

    „Du musst viel Schlafen, die Blume entzieht dir Kraft. Dein Körper ist zu schwach, sie in sich zu tragen.“

    Sie musste zugeben, dass sie sich erschöpft fühlte. Außerdem brannten ihre Augen und ihre Glieder schmerzten unangenehm.

    Dabei habe ich gerade erst geschlafen.

    „Erzählst du mir mehr über den Baum? Wie verbindet er den Himmel mit der Erde?“, fragte sie, um ihn abzulenken.

    Er trat zurück und setzte sich wieder mit untergeschlagenen Beinen auf den Stuhl.

    „Ich erzähle dir, wenn du dich hinlegst“, verlangte er.

    Wieder ein Tausch, dachte sie und legte sich folgsam auf das Bett, dann schaute sie ihn erwartungsvoll an. Kaum merklich huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

    „Der Legende zufolge wurde der Baum vom Gott des Mondes geschaffen. Er soll sich vor unzähligen Jahren in eine Sterbliche verliebt haben. Sie war eine einfache Frau, die zufrieden mit ihrem Mann und ihren Kindern auf einem kleinen Hof gelebt hat. Der Mondgott hat sich ihr in Menschengestalt genähert, um sie zu verführen, doch sie wollte sich nicht von ihrem Mann trennen. So hat der Gott ihn und die Kinder umgebracht“, erzählte Sora.

    „Ist das nicht ungerecht?“, fragte Aya.

    „Die Götter gehen ihre eigenen Wege.“

    Aya schlug schuldbewusst ihre Augen nieder.

    Ich sollte nicht an den Göttern zweifeln, schalt sie sich.

    „Entschuldige. Erzählst du weiter?“, fragte sie hoffnungsvoll.

    Es war schön, ihm zuzuhören. Wenn er erzählte, wurde sein Gesicht weicher, außerdem gab ihr dies einen Grund, ihn anzusehen. Seine Augen hatten einen Glanz, der sei verzauberte und sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick zu seinen fein geschwungenen Lippen wanderte. Wie er wohl wäre, wenn er als normaler Junge in ihrem Dorf aufgewachsen wäre?

    Sora fuhr fort: „Die Frau hat zu den Göttern gefleht, ihr ihren Gatten und die Kinder zurückzubringen. Da erschien der Mondgott vor ihr, in seiner wahren Gestalt. Er hat ihr einen Tauschhandel vorgeschlagen. Wenn sie ihr Dasein bis in alle Ewigkeiten den Göttern widmen würde, so würde er ihre Kinder wieder zum Leben erwecken. Sie willigte ein und er verwandelte sie in den heiligen Baum, der noch heute unten im Klosterhof steht.“

    „Das ist doch grauenhaft!“, entfuhr es Aya. „Soll das etwa gerecht sein?“

    Sie hatte sich eigentlich zurückhalten wollen, doch die Art und Weise wie der Gott des Mondes diese Menschenfrau behandelt hatte, erschien ihr einfach zu grausam.

    Sora legte einen Finger an die Lippen.

    „Die Götter haben gute Ohren“, ermahnte er sie.

    Erschrocken schaute sie sich um, als könne auf einmal eine Gottheit neben ihr auftauchen, um sie ebenfalls in einen Baum zu verwandeln.

    „Der Mondgott hat sein Versprechen gehalten und die Kinder wieder zurückgebracht. Sie haben neben dem Baum einen Schrein errichtet und sich um diese heilige Stätte gekümmert. Daraus ist später das Kloster entstanden. Durch die Verehrung des Baumes können wir in Kontakt mit der Götterwelt treten. Ohne ihn wäre dies nicht möglich. Und alle hundert Jahre wird der Pakt mit dem Mondgott erneuert, mit Hilfe der Blume, die du gefunden hast.“

    „Wird sie wieder rauskommen?“, fragte Aya verunsichert.

    „Nicht, wenn du nun eine Weile schläfst.“

    Tatsächlich spürte sie ein seltsames Kribbeln in ihrem Körper. Sie nickte, doch sie glaubte nicht, dass sie würde einschlafen können. Nicht nach allem, was passiert war. Da trat Sora neben sie ans Bett, legte ihr die Hand auf die Stirn und kurz darauf glitt sie auch schon über in die Welt des Schlafes.

    An deiner Stelle (Teil 3)

    Es klopfte an der Tür. Aya zuckte zusammen, zog die Decke schützend bis ans Kinn hoch. Zwei Männer traten ein, in dunkle Mönchsroben gehüllt. Sie verbeugten sich. Auch sie nickte mit dem Kopf.

    „Willkommen, meine Liebe“, grüßte der ältere Herr. „Es ist rar eine weibliche Gestalt in unseren Räumlichkeiten unterbringen zu dürfen.“

    Er zwinkerte schelmisch. Sofort löste sich ihre Anspannung, sie ließ die Decke etwas sinken.

    „Auch wenn die Umstände wohl etwas verwirrend sind“, fügte er an. „Mein Name ist Kenzo, ich hoffe unser Novize hat sich anständig verhalten?“

    Sie warf dem Jungen einen nervösen Blick zu. Er stand schweigend da, das Gesicht ohne Regung.

    „Ja, alles in Ordnung“, sagte sie und erinnerte sich daran, dass sie sich noch nicht vorgestellt hatte. „Mein Name ist Aya. Ich wohne unten im Dorf.“

    Vater Kenzo nickte.

    „Schön, dich bei uns zu haben. Was hast du bereits von Sora gehört?“

    Das verunsicherte sie. Sie wusste nicht, ob sie ihn in Schwierigkeiten brachte, wenn sie die Wahrheit sagte. Sie warf ihm einen Blick zu, doch er schaute sie nicht an.

    „Nicht viel“, sagte sie deshalb ausweichend. „Dass es besser für mich ist, hier zu bleiben.“

    Wieder nickte Vater Kenzo.

    „Und kannst du das tun? Wir versprechen, uns gut um dich zu kümmern, bis du wieder nach Hause zurückkannst.“

    Der Mönch schien nett zu sein, also fasste sie Mut und sagte: „Vater, meine Mutter ist schwer krank. Deshalb wollte ich die Blume holen, um sie wieder gesund zu machen.“

    „Was für ein interessanter Gedanke.“ Er lächelte und drehte sich zur Tür. „Haruma.“

    Ein junger Novize öffnete die Tür und trat mit einer Verbeugung ein.

    „Schick den Arzt ins Dorf hinunter. Er soll sich um Ayas Mutter kümmern.“

    Haruma nickte und trat wieder hinaus.

    „Wird sie gesund werden?“, fragte Aya hoffnungsvoll.

    „Unser Arzt ist sehr erfahren. Allerdings sind unsere Kräfte durch den bedauerlichen Zustand des heiligen Baumes etwas eingeschränkt. Nach seiner Erneuerung wird es ihm sicherlich möglich sein, deiner Mutter zu helfen.“

    Erleichterung breitete sich in ihr aus. Anscheinend hatte der Novize ihr die Wahrheit erzählt.

    „Danke, Vater!“ Tränen traten ihr in die Augen.

    „Keine Sorge. Du wirst bald wieder bei ihr sein können.“

    Wie zuvor der Junge legte nun auch er ihr eine seiner Hände auf den Kopf. Wohlige Ruhe breitete sich in ihr aus.

    „Schlaf nun.“

    Als Aya erwachte, fühlte sie sich ausgeruht. Sie setzte sich auf. Wo war er? Er hatte gesagt, er würde bei ihr bleiben. Sie blickte sich im Zimmer um und entdeckte ihn in einem Stuhl sitzend. Er schlief.

    Sora.

    Neugierig betrachtete sie sein schlafendes Gesicht. Es war das erste Mal, dass sie einen der Novizen nicht nur aus der Ferne sah. Normalerweise hielten sie sich im Hintergrund, verbargen sich in ihren dunklen Gewändern und hinter einem Wall aus Stein, der keine Gefühlsregung erahnen ließ. Auch Sora schien da keine Ausnahme zu sein, oder doch?

    Als hätte er ihren Blick gespürt, öffnete er seine Augen. Er setzte sich gerade hin, warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Dann winkelte er die Beine an, bis er im Lotussitz auf dem Stuhl saß, faltete die Hände in seinem Schoss und schloss wieder die Augen. Mit einem Gesicht aus Stein.

    Sie beobachtete ihn. Was wohl gerade in ihm vorging? Wenn er so dasaß, auf einem Stuhl, der ganz offensichtlich nicht fürs Meditieren gedacht war. So leise wie möglich stand sie auf, schlich näher. Hörte er sie? Oder war er in sich selbst versunken? Sie streckte die Hand aus, verharrte, als ihre Finger nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt waren. Seine Lider flogen auf und sein Blick bohrte sich in den ihren. Erschrocken ließ sie die Hand sinken. Sie setzte sich auf das Bett zurück.

    „Was würdest du tun, wenn du nur noch einen Tag zu leben hättest?“, fragte er unvermittelt in die Stille hinein.

    Aya überlegte. Wie er wohl auf so eine Frage kam?

    „Ich würde diesen Tag mit meiner Mutter und meinen Geschwistern verbringen wollen. Außerdem ich würde in den Wald gehen. Zwischen den Bäumen fühle ich mich wohl.“

    Sie sah ihn erwartungsvoll an. Er hatte seinen Blick starr auf die Wand gerichtet.

    „Und du?“

    „Ich würde wohl nichts anderes tun als sonst auch. Ich würde die Arbeiten erledigen, die mir aufgetragen werden. Ich würde hier in diesem Zimmer sitzen und dir beim Schlafen zusehen.“ Ayas Herz machte einen Satz. Hatte er sie etwa auch beobachtet? Sein Gesicht war unverändert geblieben.

    „Oder ich würde den ganzen Tag in der Schreinhalle sitzen und meditieren.“

    Ayas Magen knurrte. Wie lange sie wohl geschlafen hatte? Ihrem Hunger nach zu schließen musste es eine Ewigkeit her sein, dass sie zuletzt etwas gegessen hatte. Sie wusste nicht einmal, seit wie langer Zeit sie schon hier in diesem Zimmer war.

    „Lass uns etwas essen gehen“, schlug er vor und erhob sich mit einer fließenden Bewegung.

    „Wirklich? Ich darf das Zimmer verlassen?“

    „Du bist keine Gefangene. Solange du bei mir bleibst, ist alles in Ordnung“, versprach er und hielt ihr die Tür in den Flur hinaus auf.

    Im Speiseraum herrschte gerade Hochbetrieb, als sie eintraten. Aya war überrascht wie lebendig es hier zu und her ging. Überall wurde geredet, sogar wild gestikulierend saßen die Mönche beisammen. Auch Kinder trollten sich zwischen den Bänken, allesamt in die dunkelgrauen Roben des Klosters gehüllt.

    Unsicher stand sie im Eingang. Ein Mönch drängte sich an ihr vorbei, warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Am liebsten hätte sie sich unsichtbar gemacht. Eine Frau im Mönchskloster musste einem Skandal gleichkommen. Wie sollte sie sich verhalten? Sie hörte bereits Getuschel und Köpfe wandten sich in ihre Richtung. Sora legte ihr eine Hand auf die Schulter. Dass dies ein viel größerer Skandal bedeutete, konnte sie nicht wissen.

    „Dort drüben ist die Küche.“ Er schob sie leicht in die richtige Richtung. Mit gesenktem Kopf durchquerte sie den Raum, dicht hinter ihr ging Sora.

    „Wo ist denn deine stolze Haltung von vorhin geblieben?“, flüsterte er ihr ins Ohr.

    Trotzig richtete sie sich auf.

    „Die ist wohl im Gemurmel deiner Freunde untergegangen“, entgegnete sie und betrat die Klosterküche. Hier duftete es nach Reis und Gemüse. Ein kleiner Mönch stand an einem Topf und blickte ihnen gutmütig entgegen.

    Hallo zusammen

    Ich fühle mich geehrt! *Höfischer Knicks* Danke fürs Lesen!!

    Dann kommt da mal der nächste Teil:

    An deiner Stelle (Teil 2)

    Aya schreckte hoch. Wo war sie? Ihr Körper schmerzte, vor allem der Nacken. Sie musste in einer unglaublich schrecklichen Position geschlafen haben. Doch sie lag in einem weichen Bett. Aber nicht in ihrem eigenen. Sie schreckte hoch, als die Erinnerung an letzte Nacht sie wieder einholte. Panisch schaute sie auf ihren Arm, doch da war nichts. Keine Wurzeln, die daran hochkletterten und sich in ihr Fleisch gruben.

    „Du bist wach“, hörte sie eine ausdruckslose Stimme unweit von ihr.

    Sie schaute hoch. Da an der Wand stand der Junge. Er hatte die Kapuze wieder hochgezogen, doch sie war sich sicher, dass er es war. Instinktiv schob sie sich weiter weg von ihm.

    „Was soll das?!“, fuhr sie ihn an. „Wo bin ich hier?“

    „Wir sind im Kloster“, antwortete er gelassen, doch seine Augen funkelten wachsam unter der Kapuze hervor.

    „Hast du mich hergebracht? Lass mich nach Hause gehen“, verlangte Aya.

    „Es tut mir leid, aber du musst noch bleiben- zu deiner eigenen Sicherheit.“

    „Wie soll das denn zu meiner Sicherheit sein?“, entrüstete sich Aya. „Ich muss nach Hause! Und wo ist die Blume!? Ich hab sie zuerst gesehen, gib sie mir zurück!“

    Sie erinnerte sich zwar nicht gerne an das schreckliche Ding, aber immerhin war diese Blume ihre einzige Hoffnung!

    „Du weißt nicht, wovon du da redest“, erwiderte er bemerkenswert ruhig. „Die Blume hätte nie in deinen Besitz geraten sollen. Ein Dorfmädchen wie du solltest eigentlich gar nicht von ihrer Existenz wissen.“ Sein Blick bohrte sich in den ihren. „Wie hast du von der Blume erfahren?“

    „Das geht dich gar nichts an“, antwortete sie schnippisch.

    „Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich da eingelassen hast!“, zischte er. Also war er doch etwas in Rage. Seine blauen, klaren Augen erinnerten sie an das Leuchten der Blume.

    „Auf was denn?“, fragte sie eingeschnappt. „Du willst mir doch nur Angst einjagen.“

    „Das geht nur die Leute vom Kloster etwas an.“ Er schaute sie abweisend an, sie verschränkte trotzig die Arme.

    „Erklär es mir“, forderte sie ihn auf. „Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass man von einem Monster angegriffen und von einer Blume verspeist wird.“ Ihr schauderte es, als sie daran dachte, doch der Junge machte keine Anstalten, ihr mehr zu verraten. Stumm blieb er stehen und musterte sie noch immer.

    „Wenn du mir nicht erzählst, warum ich hier festgehalten werde, dann sehe ich auch keinen Grund, länger zu bleiben“, setzte sie von Neuem an und machte Anstalten, sich von dem Bett zu erheben. Sie glaubte nicht wirklich daran, dass sie auch nur drei Schritte weit kommen würde, aber sie musste es zumindest versuchen. Nach allem konnte sie nun nicht einfach aufgeben!

    Er seufzte und trat auf sie zu. Bildete sie es sich nur ein, oder hatte er eben tatsächlich leicht gelächelt?

    „Nun gut, machen wir einen Tausch“, schlug er vor. „Du sagst mir, wer dir von der Blume erzählt hat und ich sage dir, was es damit auf sich hat.“

    Das klang gerecht. Sobald sie mehr Informationen hatte, konnte sie immer noch einen Fluchtversuch planen.

    „Aber du beginnst“, forderte sie.

    Einen Moment lang musterte er sie abschätzend. Dann seufzte er wieder und strich mit den Fingern über seine Gebetsschnur. Augenblicklich verkrampfte sich Aya. Sie hatte gesehen, was er damit anrichten konnte. Ihre Reaktion schien ihm nicht entgangen zu sein, denn er ließ seine Hand sinken.

    „Keine Sorge, es wird dir nichts geschehen“, versprach er. „Also gut, es kann nicht schaden, wenn ich beginne. Hör gut zu.“ Sie nickte und er begann zu erzählen: „Die Blume wächst nur alle einhundert Jahre, genau an der Stelle, an welcher du sie gefunden hast.“

    Das war ihr nichts Neues, so viel hatte sie bereits in Erfahrung bringen können.

    Er fuhr fort: „Unten im Klosterhof steht ein sehr alter, mächtiger Baum. Er ist das Herzstück des Klosters, denn er verbindet die Erde mit dem Himmel, dem Reich der Götter. Ohne ihn wären all unsere Gebete bedeutungslos.

    Die Mönche behaupten, er sei bereits über eintausend Jahre alt. Doch immer nach genau hundert Jahren beginnt der Baum abzusterben. Die Blume ist nur aus dem einen Grund da, um dem Baum neues Leben zu geben.“

    Das konnte nicht wahr sein. Der Arzt hatte ihr etwas ganz anderes erzählt!

    „Du lügst!“, brachte sie heraus.

    „Was? Warum sollte -“

    Brennender Schmerz schoss ihr in die Beine, sodass sie jäh aufschrie. Sie warf die Bettdecke beiseite und starrte entsetzt auf die Wurzeln, die aus ihrer Haut sprossen.

    „Mach es weg!“

    Der Junge stand bereits über ihr und presste seine Gebetskette auf ihre Brust, murmelte wieder die Worte in der Sprache der Götter. Der Schmerz ließ nach. Die Wurzeln zogen sich zurück. Zurück blieben nur ihre Beine, jedenfalls dem Anschein nach.

    „Alles in Ordnung?“, fragte er, sichtlich erschöpft. Glitzernde Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

    „Natürlich“, antwortete sie bissig und schob ihn grob weg von sich. „Was war das gerade? Ich dachte, ihr hättet dieses Ding an euch genommen!“

    „Ich habe dir doch gesagt, es sei zu deiner eigenen Sicherheit, dass du hier bist.“

    „Erklär es mir!“, schrie sie hysterisch.

    „Beruhige dich.“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Wir haben versucht, die Blume von deiner Hand zu trennen, doch sie hat sich in deinen Körper zurückgezogen.“

    Was sollte das bedeuten? Sie schaute auf ihre Hände. Sie war immer noch da drin. Es grauste ihr vor sich selbst. Es war ihr, als wäre das gar nicht mehr ihr Körper, als wäre er verschmutzt.

    „Kann man sie wieder rausnehmen?“, fragte sie zittrig.

    „Das versuchen die Älteren herauszufinden. Sie haben zuversichtlich ausgesehen“, sagte er mit beruhigender Stimme. „Das sind weise Männer, sie werden wissen, was zu tun ist.“

    Sorgte er sich wirklich um sie? Oder war er nur an der Blume interessiert?

    „Und was kann ich jetzt machen?“

    „Bleib einfach hier. Wir können dir helfen. Es ist meine Aufgabe, auf dich aufzupassen. Und ich verspreche dir, ich werde dich keinen Augenblick aus den Augen lassen.“

    Er klang so ernst. Das machte ihr noch mehr Angst.

    „Ich muss zurück, zu meiner Mutter“, sagte sie flehend.

    Er antwortete nichts, sah sie nur an. Es war klar, dass er sie nicht würde gehen lassen. War nun alles vergebens gewesen? Warum hatte sie sich das dann überhaupt angetan? Nun wünschte sie sich, sie hätte die Blume nie angefasst.

    „Sie ist krank“, erzählte sie niedergeschlagen. „Deshalb habe ich die Blume gepflückt. Der Arzt hat gesagt, dass die Blume sie retten kann.“

    Sie ließ den Kopf hängen, schaute wieder auf ihre Hände. Waren sie anders als sonst? Schon befürchtete sie, Wurzeln draus hervorsprießen zu sehen.

    „Er hat gesagt, ich dürfe niemandem davon erzählen.“

    „Der Arzt des Dorfes? Woher weiß er von der Blume?“, fragte der Junge misstrauisch.

    „Ich weiß es nicht, ich habe nicht weiter gefragt. Schließlich ist er Arzt, er wird wohl wissen, was er tut.“

    „Wir kümmern uns um deine Mutter, du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen. Unsere Mittel sind besser als die eines kleinen Dorfarztes“, versprach der Junge unvermittelt.

    „Wann?“, wollte sie wissen. Konnte sie ihm trauen? Warum sollte er ihr helfen? Aber womöglich war dies der einzige Weg, wie ihre Mutter noch gesund werden konnte. „Es geht ihr wirklich nicht gut. Und nun bin ich nicht einmal bei ihr, um sie zu pflegen.“

    „Sobald wie möglich“, versicherte er und sie konnte keine Lüge in seinen Worten entdecken. „Vater Kenzo sollte bald zurück sein, dann werde ich ihm von deiner Mutter erzählen. Bis dahin solltest du dich ausruhen.“

    Sie nickte, schaute noch immer auf ihre Hände. Als er nähertrat sah sie auf. Er zögerte, schien sich nicht sicher zu sein, was er tun sollte.

    „Schließ die Augen“, forderte er sie auf. „Ich werde versuchen, die Blume etwas zu beruhigen, damit sie nicht mehr…“

    Sie zögerte, doch was blieb ihr anderes übrig? Aya schloss die Augen, versuchte ruhig zu atmen. Sie spürte, dass er ganz sanft die Hand auf ihren Kopf legte. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Sie lächelte ein wenig. Ihr Körper schien wieder mehr ihr eigener zu sein.

    „Danke“, murmelte sie und öffnete die Augen. Zu ihrer Überraschung hob er die Hand und strich eine Strähne ihres langen Haares aus ihrem Gesicht.

    „Ich passe auf dich auf“, sagte er leise, dann trat er ans Fenster. „Schau, da unten siehst du den Baum.“

    Sie drehte sich zum Fenster um, schaute auf den Klosterhof hinunter. Er war kreisrund und acht schmale Pfade führten in die Mitte, in welcher ein großer Baum stand. Er sah tatsächlich aus, als wäre er bereits abgestorben. Keine Blätter hingen an den schwarzgrauen Ästen.

    „Könnt ihr ihn wirklich noch retten?“

    „Wenn wir die Blume bis in drei Tagen wieder aus deinem Körper hinausbekommen können…“

    Es klopfte an der Tür...

    Hallo zusammen

    Danke für die Rückmeldungen! Voll cool, dass ihr die Geschichte gelesen habt!!

    Aber es gibt da wohl ein Missverständnis ^^ Das oben ist erst der erste Teil. Ganz so kurz, hab ich die Sache doch nicht hingekriegt. Hab das nun gekennzeichnet.

    Rainbow Du hast das richtig in Erinnerung. :) es geht noch weiter. Danke für die Korrekturen, hab ich eingefügt. Und cool, liest du mit!

    Stadtnymphe Da sieht man, was passiert, wenn man den Namen während der Produktion ändert ^^ In einer älteren Version hiess sie Marisa, das hat sich da eingeschlichen.

    @Drachenlady2001 Ich hoffe, du liest noch weiter. :D

    Hallo zusammen

    Die Geschichte spielt in einem ländlichen Dorf in Japan, oder vielmehr in dem Kloster in der Nähe. Sie beschreibt das ebenso dramatische wie romantische Aufeinandertreffen von einem jungen Mädchen und einem Novizen des Klosters. Mehr verrate ich nicht, denn die Geschichte ist so kurz, dass jeder weitere Satz zu viel verraten würde.

    Viel Spass beim Lesen!

    An deiner Stelle (Teil 1)

    Es war verboten in der Nacht noch unterwegs zu sein. Nie zuvor hatte Aya diese Regel missachtet, doch nun stand sie mit klopfendem Herzen an der Tür und schaute durch einen schmalen Spalt nach draußen in die nächtliche Finsternis. Zwei schwankend Lichtpunkte verrieten die beiden Samurai, welche mit ihren Laternen ihre Runden durch das Dorf drehten. Ihnen wollte Aya auf keinen Fall begegnen. Sie wartete, bis die Männer um eine Ecke verschwanden und ihre leisen Stimmen nicht mehr zu hören waren.

    Aya schlüpfte nach draußen, schob die Tür leise hinter sich zu. Zum Glück befand sich das Haus ihrer Familie gleich am Waldrand; nach ein paar Schritten wurde sie bereits von den Schatten der Bäume verschluckt. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie war fest entschlossen, die Sache durchzuziehen. Im Schutz der Bäume fühlte sie sich sicherer. Trotzdem warf sie immer wieder Blicke über die Schulter, in der Angst entdeckt zu werden. Doch sie hatte keine Zeit, sich um mögliche Verfolger zu sorgen. Die Uhr tickte. Wer konnte schon sagen, wie lange ihre Mutter noch durchhalten würde! Der Gedanke an ihrer Mutter trieb Aya an, sie achtete kaum auf die Dornen, die ihre Haut zerkratzten oder die Kletten, die sich in ihrem Haar verfingen. Die Blume, sie musste sie erreichen, bevor jemand anderes sie vor ihr pflückte!

    Aya erklomm einen Hang und blieb kurz stehen, um sich zu orientieren. Der Arzt hatte ihr den Weg gezeigt, doch im Dunkeln war sie sich nicht mehr sicher. Aya fluchte frustriert, rannte weiter. Da bemerkte sie ein blaues, schimmerndes Licht, das zwischen den Blättern und Sträuchern hindurchsickerte.

    Das ist sie!, dachte sie erleichtert und mit neuem Mut kämpfte sie sich durch ein Dornengestrüpp, bis sie eine kleine Lichtung erreichte. Am Rand blieb sie stehen.

    Mitten auf der Wiese stand eine Blume. Das Licht des Vollmonds fing sich in ihrer Blüte, wurde in mystisch glitzerndem Blau zurückgeworfen. Der Anblick hatte etwas Heiliges. Für einen Moment vergaß Aya ganz, weshalb sie hergekommen war. Andächtig betrachtete Aya die Blume, wagte sich langsam näher zu gehen.

    Mit klopfendem Herzen kniete sie sich nieder. Ihre Hand zitterte, als sie sich nach dem zarten Hals der Blüte ausstreckte. Ihre Finger berührten den von feinen, silbern leuchtenden Haaren besetzten Stiel. Er war leicht warm. Erschrocken zuckte sie zurück – sie hatte ein Pulsieren gespürt! Wie von einem schlagenden Herzen. Aya schluckte einmal trocken und riss sich zusammen.

    Ich muss sie pflücken!, spornte sie sich selbst an. Sie ist meine letzte Chance, meine Mutter zu retten!

    Sie zog den Ärmel ihres Gewandes nach vorne, bedeckte damit ihre Finger, kniff die Augen zusammen, griff nach der Blume und riss sie mit einer schnellen Bewegung aus der Erde. Durch den Stoff hindurch fühlte sie das Pulsieren der Blume.

    Das war einfacher als gedacht, dachte sie und atmete erleichtert aus.

    So eine seltsame und gleichzeitig wunderschöne Blume hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Doch sie hatte keine Zeit zu verlieren, sie musste sie schnell zu ihrer kranken Mutter bringen.

    Als sie sich jedoch daran machte die Lichtung zu verlassen, begann der Pulsschlag der Blume plötzlich schneller zu werden. Wütend pochte er gegen Ayas Finger. Erschrocken beobachtete Aya wie die Blüte sich dunkel verfärbte und sich in ein glühendes Rot verwandelte. Sie ließ die Blume los, doch sie schien an ihrer Hand festzukleben. In dem Moment krachte etwas auf die Lichtung, keine zwei Schritte von ihr entfernt.

    Aya schrie und taumelte zurück. Ihre Hand brannte, wo die Blume sie berührte. Das Ding vor ihr richtete sich auf. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, was es war. Es war zumindest menschenähnlich, aber die Schultern waren viel zu breit, die Arme zu lang und muskulös, die Haut schwarz. Es brüllte, drehte sich zu ihr um. Rot flammende Augen starrten ihr entgegen. Aya war wie festgenagelt, konnte nicht wegsehen. Der brennende Schmerz jagte ihren Arm hinauf und weckte sie aus ihrer Lähmung. Sie drehte sich um, rannte los. Zurück in den Wald. Sie sah auf ihren Arm. Die Wurzeln der Blume hatten sich um ihren Arm geschlungen, wuchsen an ihm entlang, brannten sich wie Nesseln in ihre Haut. Schreiend versuchte sie, die Pflanze abzuschütteln, kratzte und zerrte, doch es half nichts. Aya trat in ein Loch im Boden, blieb mit dem Fuß hängen und fiel der Länge nach hin.

    Sie hörte das Monster hinter sich. Es warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie, drückte sie zu Boden. Die Luft wurde aus Ayas Brustkorb gepresst und sie glaubte, ihre Rippen müssten jeden Moment brechen. Mit seinen seltsamen, klauenartigen Fingern griff das Ungetüm nach der Blume. Funken stoben, das Monster brüllte vor Schmerz und sprang zurück. Die Blume pochte, entzog Aya Kraft, um sich zur Wehr zu setzen. Aya nutzte den Moment und befreite ihren Fuß aus dem Erdloch. Sie wollte weiterrennen, doch jemand versperrte ihr den Weg. Ein Mensch. Ein Junge?

    „Weg da!“, schrie sie, doch er packte sie und drückte sie nach unten.

    Schon wieder schlug sie auf dem feuchten Waldboden auf. Sie hob benommen den Kopf. Das Monster kam auf allen Vieren angerannt. Der Junge streifte seine Kapuze ab, ein geschorener Kopf kam zum Vorschein. Er gehörte also zum Kloster! Wollte auch er die Blume haben?

    Er legte die Hände aneinander, murmelte ein Mantra. Das Monster wurde von einem hellen Lichtstrahl zurückgeworfen. Es prallte gegen den Stamm eines Baumes, der gefährlich krachte, als wolle er gleich brechen. Der Junge betete weiter und Schlingpflanzen wuchsen schlängelnd aus der Erde, wickelten sich um das Monster, fesselten es an den Baumstamm.

    Aya hatte genug gesehen, sie sollte verschwinden. Doch sie konnte nicht aufstehen. Erst jetzt bemerkte sie die Schlingen, die sich auch um ihre Glieder gewunden hatten. Sie versuchte, sich zu befreien, doch es war unmöglich. Inzwischen hatte der Junge sich dem Monster bis auf Armeslänge genähert. Ein geheimnisvolles Leuchten ging von seiner Haut aus, während er seine Gebetskette durch die Finger gleiten ließ, noch immer murmelnd. Das Monster schrie, warf sich hin und her. Es musste unerträgliche Schmerzen leiden.

    Aya zerrte an den Fesseln. So wollte sie nicht enden! Doch der Junge war nicht ihre dringlichste Sorge. Die Wurzeln hatten nun ihren Hals erreicht. Wie feine Nadeln bohrten sich die Wurzeln in ihre Haut, drangen tiefer und tiefer in sie ein. Die Blume leuchtete verräterisch, dann wurde Aya schwarz vor den Augen.

    (P.S. Falls jemandem die Geschichte bekannt vorkommt: Ich hab die Kurzversion davon mal im Schreibwettbewerb ^^verwendet.)

    Hi Rainbow

    Spoiler anzeigen

    Ja, der arme Fait (Vogel) ist leider gestorben... Dabei mochte ich ihn. Edwin wird total traurig sein...

    Wenn man das in der Endversion lesen würde, wäre das mit dem Vogel verständlicher, denn dann hätte man auch nebenbei Edwins Sicht mitbekommen, der sich mittels "Vogelpost" auf den Weg macht, um Richard zu finden :) Da hattet ihr natürlich einen erschwerten Stand, auch durch die lange Pause.

    Der Teil ist ja aus Samels Perspektive geschrieben und beginnt als eine Rückblende, in der Richard und Sessilia noch nicht verschluckt wurden. Vielleicht kann ich das noch deutlicher schreiben - aber das mach ich, wenn ich in ein paar Jahren X/ wieder an der Stelle bin, bis dahin hat sich sicher noch einiges verändert...

    Stimmt, das mit dem Friedhof könnte ich auch lassen, wenn ich einfach den ersten Post der Geschichte umschreibe. Eine gute Idee! :D geh gleich an die Arbeit!

    Lg, RenLi:thumbsup:

    Fortsetzung:

    Spoiler anzeigen

    Samuel, Vermächtnis des Heiligen (566 n. Rh.)

    „Hilf mir das Bett da rüber zu stellen“, wies Samuel Sinister an.

    Der Candidatus gehorchte und gemeinsam schoben sie das massive Holzgestell über die alten Dielen. Samuel atmete auf. Die Marcam, ein Ritualzeichen, welches vom Heiligen Rhamnus selbst überliefert worden war, war noch immer da. Da der Ausgang durch den Scheiterhaufen und eine Horde Dämonen blockiert war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Ritual zur Bannung durchzuführen.

    Wie töricht, dachte Samuel. Selbst Rhamnus hat sie alle einzeln eingefangen und ich soll sie nun alle auf einmal in ihr Gefängnis zurücksperren. Doch einen besseren Plan haben wir nicht.

    Er wandte sich an Richard. „Ich hatte nicht genügend Zeit, das Ritual fertig vorzubereiten“, erklärte er seinem Schüler. „Richard, setz dich in den Kreis, das ist der sicherste Ort.“

    Folgsam setzte Richard sich auf die Marcam[1] und Samuel stellte die Kerzen um den Jungen herum auf.

    Ich kann nur hoffen, dass er wirklich der wiedergeborene Rhamnus ist, dachte Samuel und ließ die Kerzen entflammen. Mit seiner Hilfe könnte es gelingen, diese Dämonen zu bannen.

    Er warf Richard einen Blick zu. Aber auch wenn er es ist, kann ich nicht darauf hoffen, dass er nun aufwacht.
     „Mund auf!“, befahl er. Auch diesmal gehorchte Richard wie ein braves Lämmchen. Samuel gab auch den anderen beiden ein Korn, bevor er sich selbst eins in den Mund schob. Wenn dies auch nur ein bisschen half, sich die Dämonen vom Leib zu halten, war es das wert. Der befremdliche Geschmack breitete sich in seinem Mund aus und er begann mit dem typischen Singsang der Himmelslieder die alten Worte des Heiligen Rhamnus zu rezitieren.

    Samuel konnte spürte wie die Dämonen von den Worten in rasende Wut versetzt wurden. Dies war nicht verwunderlich, da es genau dieselben Worte waren, welche sie vor vielen Jahren in ihr Gefängnis verbannt hatten. Legion. Wenn die Geschichten stimmten, welche Samuel über Rhamnus gelesen hatte, dann war mit diesem Dämon nicht zu spaßen. Über mehrere Jahre hinweg hatte der Heilige das Land durchstreift und etliche Dämonen in einen tönernen Krug gesperrt, um Lux zu reinigen. Dieser Krug wurde seither unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Ducatus aufbewahrt. Doch so wie es aussah, waren es genau diese dunklen Geister, die nun über dieses Dorf hergefallen waren. Samuel konnte sich nicht vorstellen, wie Legion aus seinem Gefängnis hatte entkommen können. Es hätte eigentlich unmöglich sein sollen. Falls sie es schafften, aus Pulvis zu fliehen, musste er sich um diese ungelöste Frage kümmern. Doch nun hatte er vorerst andere Probleme.

    Die Macht der Dämonen war gewaltig. Ein dunkler, wütender Pfeil von Bosheit bohrte sich durch den Schutz, den Samuel errichtet hatte. Richard schrie auf, Sessilia wurde ohnmächtig.

    Das ganze Haus erzitterte. Samuel musste sich beeilen. Er konnte nur hoffen, dass die alten Worte ihre Wirkung zeigten und vielleicht würden sie Richards früheres Selbst sogar aufwecken.

    Die Dämonen zerrten am Dach und Samuel ließ es los. Der physische Schutz war nicht das, worauf es ankam. Mit lautem Krachen hob das Dach ab. Der kalte Wind fegte hinein, zerrte an seinen Kleidern. Regentropfen klatschten gegen seine Wange.

    „Es verwischt das Zeichen!“, rief Sinister und deutete auf die Marcam. Der Regen hatte bereits einen Teil verwischt.

    Ich kann nicht länger warten, nun liegt es an Richard. Er trat auf seinen Schützling zu, während er weiter die Worte des Heiligen sprach. Er legte Richard eine Hand auf den Kopf. Sofort verband sich die Energie des Jungen mit der seinen. Ein Fluss von Licht durchströmte ihn, erweckte die Linien der Marcam zum Leben. Doch worauf er wartete, war nicht dies.

    „Es reicht noch nicht“, sagte er halblaut und warf einen Blick zu Sessilia hinüber. Bildete er es sich nur ein, oder lechzten die Dämonen sogar noch mehr nach ihr als nach dem Jungen? Ein Versuch war es wert, was konnte es schon schaden? Schlimmer konnte es kaum werden.

    „Sinister, hol Sessilia her“, wies es den Candidatus an.

    „Sie ist ohnmächtig geworden.“ Obwohl er tapfer die Gebete aufsagte, die er kannte, war er aschfahl im Gesicht und selber der Ohnmacht nahe.

    „Bring sie her!“

    Samuel verstärkte die Verbindung zu Richards Geist. Er war ohne Zweifel kein normaler Junge. Wenn er womöglich auch nicht der Heilige selbst war, so doch eine alte Seele, die in dieser Zeit der Not auf die Erde zurückgekehrt war.

    Ich kann nicht zulassen, dass er von den Dämonen verschluckt wird.

    Samuel wandte sich Sessilia zu. „Wach auf!“, befahl er, die Stimme unterlegt mit dem prickelnden Strom von Magie.

    Ihr Körper reagierte sofort, befreit aus dem Bann, den die Dämonen ihr auferlegt hatten. Von Sinister gestützt saß sie nun neben ihm und Samuel legte auch ihr eine Hand auf den Kopf. Für einen Moment blieb Samuel die Luft weg. Die Energie, die sich von ihrem Körper auf seinen übertrug und sich mit der von Richard verband, war überwältigend. Etwas Fremdes lag darin, das er nicht zu greifen vermochte. Der Lichtstrahl brach mit beeindruckender Kraft aus dem Marcam heraus in den Himmel hinauf. Die Energien des Mädchens und des Jungen schienen miteinander zu tanzen und sich freudig zu begrüßen. Konnte es sein, dass sich mehr hinter der Verbindung zwischen Richard und Sessilia verbarg? Mehr als man von außen sehen konnte?

    Richard starrte mit glasigen Augen in die Ferne, als sähe er dort etwas, das nur er erkennen konnte. Samuel war sich nicht sicher, ob die beiden wirklich noch bei vollem Bewusstsein waren.

    Doch Samuel blieb keine Zeit mehr, sich darüber zu wundern. Die Dämonen setzten alles daran, das Ritual zu unterbrechen. Natürlich wollten sie nicht wieder zurück in ihren Topf, um darin weitere fünfhundert Jahre oder mehr gefangen zu sein. Und zu spät erkannte Samuel, dass ihm etwas Wichtiges entgangen war. Er war zu sehr mit dem Ritual beschäftigt gewesen, als dass er bemerkt hätte, was sich unter ihm abspielte. Die Macht der Dämonen waren in der physischen Welt inzwischen stark genug geworden, um die Wände des Hauses zu zertrümmern. Sollte das Haus einstürzen, bedeutete dies das Ende ihrer letzten Hoffnung.

    Samuel versuchte den Boden mit Magie zu stützen, doch in dem Chaos gelang es einem Dämon seine Barriere zu durchdringen. Für den Bruchteil einer Sekund nahm er Samuel die Orientierung und der Boden sackte ab. Samuel verlor den Kontakt zu Richard und Sessilia, rutschte über die schräge Fläche und schlug an der abfallenden Wand auf. Der Boden hing noch immer schräg in der Luft, doch Richard und Sessilia waren nirgends zu sehen, nur ein großes Loch klaffte in den Dielen.

    Samuel wollte gerade hindurch nach unten springen, als ein mächtiger Windstoß ihn an die Wand zurückwarf. Ein abgesplitterter Balken hing in der Luft und kam direkt auf ihn zugeschossen, bereit, ihn aufzuspießen. Auf einen Wink Samuels stellte sich das Bett wie eine Schutzwand vor ihm auf. Der Balken krachte dagegen, schleuderte das Bett in Samuels Richtung und kam nur knapp vor ihm zum Stehen.

    Was willst du damit erreichen, kleiner Priester?, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.

    Samuel biss die Zähne zusammen. Er hätte nicht gedacht, dass die Dämonen es durch seinen Schutzschild schaffen würden.

    Der Dämon lachte. Glaubst du wirklich, du könntest etwas ausrichten? Im Vergleich zu Rhamnus bist du ein Nichts. Du wirst uns niemals bannen können.

    Du bist nichts weiter als ein zusammengewürfelter Haufen Angst und Chaos, erwiderte Samuel kühl. Aber sag mir eins: Wie bist du hierhergekommen?

    Wieder lachte der Dämon. Du kennst uns also, kleiner Priester. Wir sind Legion, die vielen. Vom Rhamnus verbannt in einen Tonkrug für über fünfhundert Menschenjahre. Wie wir hierhergekommen sind, wissen wir nicht, nein, das wissen wir nicht. Aber wer uns in die Freiheit entlassen hat, das wissen wir.

    Samuel spürte die listige Bosheit und das Vergnügen, die hinter dieser Aussage steckte.

    Weshalb rede ich überhaupt mit dem Dämon? Er sagt ja doch nicht die Wahrheit, dachte Samuel und nahm sich zusammen. Stehe ich schon so sehr unter seinem Einfluss, dass ich mich auf seine dummen Spiele einlasse?

    Du kennst ihn gut, Samuel, derjenige, der mich hergebracht hat. Aber du kennst ihn nicht gut genug, feixte der Dämon.

    „Ruhe“, befahl Samuel und verstärkte den Schutzmantel um seinen Geist.

    Allmählich klärte sich seine Sicht. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er auf dem Boden lag und ein scharfer Schmerz in seinem linken Bein tobte. Der Dämon hatte ihn so sehr für sich eingenommen, dass er gar nicht bemerkt hatte, was in seiner Umgebung geschah. Samuel schaute an sich hinunter.

    Ein großer Balken lag quer auf seinem Bein.

    Das sieht gar nicht gut aus, dachte er.

    Mit Hilfe von Magie hob er den Balken an und schleuderte ihn fort. Mit der Heilung von Wunden kannte er sich nicht aus, also konnte er für sein Bein nichts tun. Er konnte nur den Schmerz betäuben.

    Ich muss Richard und Sessilia finden.

    Er zog sich an der Wand hoch. So wie es aussah, befand er sich nun im Erdgeschoss des zerstörten Gasthauses. Mit Hilfe von Magie versteifte er sein Bein, sodass er es trotz gebrochener Knochen belasten konnte. Er humpelte vorwärts und wäre beinahe über Sinister gestolpert. Der junge Mann lag leblos auf dem Boden. Samuel spürte noch seinen Pulsschlag, also lebte er noch. Eine dämonische Aura spürte er nicht an ihm, anscheinend war er für die Dämonen nicht wichtig genug, als dass sie sich um ihn kümmern würden.

    „Tut mir leid, Sinister“, murmelte Samuel und trat über den Candidatus hinweg.

    Lass keine Angst in dir aufkommen, beschwor er sich selbst.

    Er nahm sich einen Augenblick Zeit, um seinen Körper mit Ruhe zu tränken und das Licht der Engel durch seine Glieder strömen zu lassen, dann trat er nach draußen. Doch was er da sah, hätte ihn beinahe in ein tiefes Loch aus Panik gestürzt. Schweiß trat ihm auf die Stirn, er taumelte.

    Der Platz vor dem Scheiterhaufen hatte sich in einen dunklen Sumpf verwandelt. Es stank nach Wut, nach Elend und abgestandener Bosheit. Wie viele Dämonen mussten zusammenkommen, um ein solch abgrundtiefes Dunkel zu bilden? Kein Mensch der Welt konnte diese Gräuel fassen. Samuel wurde übel. Der Heilige Rhamnus musste eine wirklich ungeheure Anzahl von Dämonen zu seinen Lebzeiten festgesetzt haben.

    Wo sind sie?, fragte er sich, während er über die bodenlose Finsternis hinwegblickte.

    Samuel schickte seinen Geist aus, zog ihn jedoch sogleich wieder zurück, denn von außen begegnete ihm nur Schmerz und Qual. Er konnte weder Richard noch Sessilia in der Umgebung wahrnehmen. Wenn sie sich tatsächlich in diesem Morast der Scheußlichkeit befanden, gab es keine Hoffnung mehr für sie, dachte Samuel bitter. Doch dann fiel ihm der Habicht auf. Der Vogel kreiste über einer Ausstülpung des Dunkels, gleich neben dem erstickten Scheiterhaufen.

    Samuel, erklang eine zarte Stimme in seinem Kopf. Zuerst wollte Samuel die Stimme aus seinem Geist werfen, doch dann erkannte er, dass es die Stimme des Jungen war.

    Ich brauche deine Hilfe. Alleine kann ich nicht zu Richard durchbrechen, erklärte die Stimme und für einen Moment sah er die Gestalt des Jungen über der Ausstülpung schweben.

    Samuel seufzte ergeben. Ob der Junge nun wirklich Richards Bruder war wie er behauptete, oder nicht, er hatte keine andere Wahl, denn alleine würde er Richard nicht helfen können.

    Ist Sessilia auch da drin?

    Ja, sie leben noch, aber bald ist es zu spät.

    Was kann ich tun?

    Ich brauche so viel Licht wie möglich.

    Samuel nickte. „Heiliger Rhamnus, Lichtwesen, Götter aller Gestirne, ich rufe euch an. Wenn ihr das Sternenkind retten wollt, dann ist dies nun der Zeitpunkt…“

    Er öffnete sich für die Kraft der Lichtwesen, spürte ihre heilende Anwesenheit und konzentrierte die Magie auf den Habicht, der noch immer seine Kreise zog. Der Vogel begann zu leuchten, stieß einen markerschütternden Schrei aus und flog pfeilschnell auf die schwarze Masse zu.

    Samuel wusste nicht, was er erwarten sollte. Dass der Vogel das Dunkel mit seinem Schnabel aufstach und es in sich zusammensackte als würde ihm die Luft ausgehen?

    Der Habicht schoss auf die finstere Masse zu wie ein gleißender Stern in dunkler Nacht – und wurde jäh davon verschluckt.

    Das war’s, die letzte Chance, dachte Samuel. Er stand da, starrte noch immer auf den Punkt, an welchem der Vogel verschwunden war. So endet die Geschichte? War ich zu selbstgefällig? Was wollen die Götterwesen damit sagen? War ich zu sicher, dass ich es mit den Dämonen aufnehmen und Richard beschützen kann? Ist dies eine Lektion, die ich lernen muss?

    Ein irres Lachen stieg aus seiner Kehle aus, brach aus seinem Mund heraus. Die Magie, die sein Bein zusammenhielt, löste sich und Samuel brach zusammen. Noch immer geschüttelt von Lachen lag er auf dem Boden, am Rande eines Sumpfes aus brodelnder Bosheit.

    Doch auf einmal horchte er auf. Da war ein Rauschen im Wind zu hören. Samuel stemmte sich hoch.

    Es ist noch nicht vorbei, säuselten die Geister des Ortes.

    Auf einmal schien der Sturm nicht mehr bedrohlich, sondern strahlte eine wilde Schönheit aus. Selbst der Sumpf aus Bosheit und Hass schien von einer Ruhe ergriffen, die nicht zu erklären war. Ein Klingeln erfüllte die Luft, wie von tausend kleinen Glöckchen. Dann bemerkte Samuel ein Licht, das von der Ausstülpung neben dem Scheiterhaufen ausging. Anfangs war es nur ein schwaches Glimmen, doch es wurde schnell stärker. Auch die Ränder des Sumpfes begannen zu glühen.

    Mehrere Lichtsäulen schossen rund um das Dorf in den Himmel hinauf. Und nun spürte Samuel ihre Anwesenheit. Da waren mindestens dreißig Priester, die im Kreis um das Dorf Stellung bezogen hatten. Der glühende Punkt inmitten des schwarzen Sees platzte auf wie ein überreifer Furunkel und versprühte Licht und Dunkelheit in alle Richtungen.

    Neue Hoffnung durchflutete Samuel. Die Lichtwesen stellten ihn nicht auf die Probe. Das Blatt hatte sich gewendet. Samuel erneuerte die magische Verstärkung an seinem Bein und erhob sich.

    „Dämon, das ist dein Ende!“, rief er.

    Auch wenn er nun keine Marcam zeichnen konnte, so konnte er doch die anderen Priester mit seiner Magie unterstützen. Er spürte ihre Anwesenheit so deutlich als würde er neben ihnen stehen, als er die alten Worte zu rezitieren begann. Glück und Zufriedenheit durchfluteten ihn. Er fühlte sich verbunden mit etwas Größerem, etwas Unerklärlichem. Ohne dass er sich bewusst dafür entschieden hätte, setzte er einen Fuß vor den anderen, trat auf das schwarze Übel zu. Die Dämonen kreischten beim Anblick des Lichtes, das nun überall aus dem Himmel auf sie niederstürzte.

    Mit einem Lächeln auf dem Gesicht zeichnete Samuel einen Weg aus Freundschaft, Liebe, Zuversicht und Gelassenheit vor sich, auf dem er sicher zu dem Lichtkegel schreiten konnte, welcher in der Mitte des Grauens lag. Die Gewissheit, dass der Vogeljunge seine beiden Schützlinge gerettet hatte, war so stark in ihm, dass er keinen Moment daran zweifelte. Sicheren Schrittes ging er durch den Regen aus Licht, bis er vor dem Ort stand, an dem er den Vogel zuletzt gesehen hatte.

    „Richard!“, rief Samuel in das Licht hinein, das so hell war, dass er nichts sehen konnte. „Sessilia!“

    Allmählich wurde der Schein matter. Er konnte die Umrisse von zwei Gestalten erkennen. Richard kniete auf dem Boden, in seinen Armen hielt er den Vogel. Tränen liefen ihm über das junge Gesicht. Sessilia hockte neben ihm, hatte eine Hand auf Richards Rücken gelegt.

    „Edwin!“, schrie Richard in die Nacht hinaus und drückte den Leib des Tieres an sich. Kein Leben war mehr in ihm zu spüren.

    So, das war nun der letzte Teil der Geschichte in dieser Form. Richard ist gerettet. Die Priester, allen voran unser lieber Vater Justus, räumen auf, sperren die Dämonen zurück in ein Tongefäss und karren sie zurück an ihren Platz im Ducatus. Happy End. :) Nein, natürlich ist es dann noch nicht fertig, vielmehr beginnt es erst gerade.

    Auch wenn das gerade der letzte Abschnitt war, freue ich mich trotzdem sehr über eure Kommentare - und auch auf den Moment, wenn ich wieder zu der Stelle komme, vielleicht in ein paar Jahren ;( :dead:, um dann hier weiter zu schreiben.

    Die Geschichte kommt dann auf den Friedhof und ich starte im Mitgliederbereich den neuen Thread. Es würde mich ultral mega freuen, wenn ihr da weiterlest!! Bin gespannt, ob ihr meinen neuen Anfang mögt, oder ob ihr ihn zu langweilig findet...

    Hallo zusammen!!

    Yeah! Ich dachte schon, ihr würdet euch langweilen, wenn die Geschichte wieder von vorne beginnt. :D Aber wenn ihr dabei seid, dann bin ich Feuer und Flamme weiter im Forum zu posten.

    Ich bin superfroh, dass euch der neue Teil von Richard gefällt. Natürlich war das kein einfacher Einstieg. Ich hatte den einfach schon so lange im Kopf, dass er als erstes raus musste. Ein nächster folgt noch, ich kann Richard ja nicht in diesem Schlamassel sitzen lassen. Also schreib ich noch, bis er fürs Erste gerettet ist.

    Und dann geht's los. Ich hab mit dem neuen Anfang bereits begonnen und schreib jetzt tatsächlich mal ein Konzept auf, damit das mal nicht so chaotisch wird. Ob ich mich dann an meine Regieanweisungen halten kann, wird sich zeigen.

    Bin ech gespannt, was ihr von meiner neuen Herangehensweise haltet. Ich denk mal, ich werd einen neuen Beitrag eröffnen, damit es kein Durcheinander gibt...

    Edwin war übrigens richtig da. Keine Illusion des Dämons, was zwar auch cool gewesen wäre. Er ist mit Fait hergeflogen und konnte seinen Geist ausserhalb von Faits Körper verdichten, bis er sogar physisch anfassbar war, während sein Körper Meilen weit entfernt ist :) Das nenn ich mal cool. Aber mehr dazu im nächsten Abschnitt :D

    Hi Rainbow

    Danke für's Lesen und Kommentieren!!!

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    Zu deinem ersten Kommentar:

    "Mh.... ist es nicht ziemlich dumm von dem Dämon seinen Namen preiszugeben? Ich habe mal gehört, dass du ihn nur dann erfolgreich austreiben lannst, wenn du ihn mit seinem Namen ansprechen kannst.."

    Die Dämonen hier funktionnieren etwas anders und dieser hier ist ein besonderes Exemplar. Normalerweise haben Dämonen gar keine Namen. Sie entstehen, wenn Menschen sich zu sehr ihren (oftmals unbewussten) Ängsten, Rachegelüsten etc. hingeben. Alle Menschen haben sozusagen den Keim eines Dämons in sich, ohne dass das auffallen würde. Wird der Dämon zu viel von negativer Energie, wie eben Angst, Wut, Neid etc. genährt, dann kann es sein, dass er die Überhand über den Menschen gewinnt. Der Mensch ist dann sozusagen von seiner Angst oder anderen Emotionen besessen. Geht das weiter, kann der Dämon sogar eine eigenständige physische Form ausserhalb des Menschen annehmen.

    Die Priester der Gnosis wissen, dass die Dämonen sich durch negative Energien der Menschen stärken, wissen aber nicht, dass die Menschen selbst der Ursprung der Dämonen sind. Die Priester, selbst Rhamnus, können einen Dämonen nicht vollständig auslöschen. Das könnte nur der "Besitzer/Erschaffer" des jeweiligen Dämons, indem er ihn als einen Teil seiner Selbst annimmt und sich liebevoll um ihn kümmert, bis die negative Energie durch die positive wieder rein und klar wird. Das wissen aber die Priester nicht. Also können sie Dämonen nur zu einem gewissen Grad auflösen und in Gegenstände hinein bannen.

    Der Heilige Rhamnus hat vor ca. 500 Jahren viele Dämonen ausgetrieben, denn das Land war geradezu versäucht von ihnen. Viele dieser negativen Energien hat er in einen einfachen Tonkrug gebannt. Dort haben sie nun die ganze Zeit geruht. Aus ihnen ist Legion entstanden. Eine schwarze Mischung aus verschiedenen Dämonen. Deshalb sagt er auch, "wir sind viele". Er ist total ambivalent und irre, nicht nur, weil er ein Dämon ist, sondern weil er so viele "Persönlichkeiten" hat.

    Der Tonkrug wurde bis vor Kurzem im Ducatus aufbewahrt. Wie er nach Pulvis gekommen ist, ist ein Rätsel, welches Samuel so schnell wie möglich lösen sollte :D

    Das erklärt auch deine Frage am Schluss, denk ich: "Ich frage mich, welcher Dämon es schafft, gleich meherere Leute gleichzeitig zu befallen...oder hat er Hilfe?" Er ist einfach zu viele :D

    "Sessilia könnte mit einem Stock im sandigen Lehmboden herumstochern oder mit irgendwelchen spitzen Hilfsmitteln was in die Steinmauer ritzen"

    Das klingt wunderbar irre, vielleicht bau ich das noch ein ^^

    "Samuel befreit ihn gerade von einem Rest des Dämons, den er auf den Boden spuckt...er scheint darüber aber kein bisschen erstaunt zu sein oder sich zu ekeln."

    Das stimmt... Hab ich gleich angepasst :D


    Was mich noch wunder nehmen würde: Was hälst du vom Auftauchen Edwins??

    Liebe Grüsse

    RenLi

    Hallo zusammen

    Ich hoffe, ihr seid gut im Neuen Jahr gelandet! Bin mal gespannt, ob ihr noch Interesse daran habt, die Geschichte weiter zu verfolgen nach der Pause. Ich hatte als Letztes bei Jakob aufgehört, nun hatte ich total Lust, bei Richard weiterzumachen. Ich konnte ihn einfach nicht mehr in Pulvis, dem von Dämonen besetzten Dorf, sitzen lassen. Dazu werd ich zwei Posts machen. Danach weiss ich noch nicht so genau, wie ich weiterschreibe. Die Version hier auf dem Forum ist so veraltet, dass ich eigentlich gar nicht wirklich daran weiterschreiben kann, ohne dass sich gröbere Logikfehler breitmachen...
    Also überlege ich, die Geschichte wieder von vorne aufzurollen... Was hält ihr davon?

    Aber zuerst mal muss ich die Sache mit Richard klären. Er ist ja mit Samuel, Sinister, dem Krieger Roland, dem Bauern Tridan und Sessilia unterwegs, um die Dämonen zu bekämpfen, die sich in Lux eingenistet haben. Dazu sind zuerst er und Samuel nach Aper gefahren, sind dort einem Eber-Dämon begegnet und haben ihn vorläufig vertrieben. Mit der Unterstützung der anderen sind sie dann nach Pulvis weitergezogen. Dort wurden sie von aufgespiessten Kaninchen und verrückten Dorfbewohnern begrüsst. Ein Dorf voller Männer, welche ihre Frauen und Kinder abgeschlachtet hatten. Bei einem gescheiterten Fluchtversuch von Richard, Sessilia und Roland, wurde Roland verletzt und Sessilia und Richard werden mit Sinister in eine Zelle in der Festung gesperrt. Dort versuchen sie sich gegenseitig umzubringen, weil sie durch den Einfluss des Dämons irre werden. Wir erfahren den Namen des Dämons: Legion (übrigens ein Dämon aus dem Neuen Testament).

    Und gerade, als Sinster Richard töten will, kommt Rettung! Die Weiterführung im Spoiler...

    Spoiler anzeigen

    Richard, der Wahnsinn greift um sich (566 n. Rh.)

    Als Richard zu sich kam, fand er sich in einem dunklen, kalten Raum wieder. Seine Glieder fühlten sich steif an, sein Schädel brummte und als er sein Gesicht betastete, fühlte er eingetrocknetes Blut. Mühsam gelang es ihm, sich aufzusetzen. Es stank widerlich, nach Fäulnis und Verwesung.

    Wo bin ich hier?

    Die einzige Lichtquelle war ein vergittertes Loch in der Tür am anderen Ende des Raumes.

    „Richard“, flüsterte eine angsterfüllte Stimme neben ihm. In der Dunkelheit erkannte er Sessilia. Doch sie blickte ihn nicht an. Sie lag auf dem Boden, hatte die Hände auf die Ohren gepresst und krümmte sich, als hätte sie Schmerzen.

    „Nein, ich kenne dich nicht, ich kenne dich nicht“, schluchzte sie. „Richard, hilf mir.“

    Richard rutschte auf den Knien näher zu ihr.

    „Sessilia, ich bin hier“, rief er, doch sie schien ihn nicht zu hören. Ihr Gesicht war angstverzerrt, sie zitterte. „Legion, Legion ist mein Name“, flüstere sie.

    „Sessilia, was redest du, schau mich an.“

    Sie ist völlig von Dunkelheit verschluckt worden. Er legte eine Hand auf ihren Kopf und konzentrierte sich auf das göttliche Licht. „Wach auf, Sessilia!“ Ihr Zittern verebbte. Sie blickte ihn an.

    „Richard!“, keuchte sie.

    Den Göttern sei Dank!, dachte er erleichtert, doch im selben Moment weiteten sich ihre Augen, gepackt von Angst.

    „Bleib weg!“, kreischte sie und stieß ihn zurück. Er taumelte und stürzte nach hinten. Erschrocken schaute er ihr zu, wie sie von ihm wegkroch, murmelnd, fluchend.

    Sie ist verrückt. Genau wie die anderen Frauen. Ich kann sie nicht mehr retten. Sie wird mich umbringen. Wenn ich nicht aufpasse, dann bringt sie mich um!

    Panik griff nach ihm, schnürte seine Brust zu und vernebelte seinen Verstand.

    Sie haben mich gewarnt. Erdrosseln, im Schlaf. Kalter Schweiß rann ihm über die Haut.

    Nicht, wenn ich sie zuerst töte, schoss es ihm durch den Kopf. Seine Hände verkrampften sich und sein Atem ging stoßweise. Ich kann sie erwürgen. Sie ist schwächer als ich. Es ist für uns beide das Beste. Schon stand er auf den Füßen. Sie hatte sich in einer Ecke verkrochen.

    Der Dämon hat von ihr Besitz ergriffen. Es ist die einzige Möglichkeit. Er schritt auf sie zu. Sie kreischte. „Sieh mich nicht an!“, schrie sie, griff sich in die Haare und zerrte daran. Er beugte sich über sie, doch sie schlug wild um sich. Einer ihrer Füße traf sein Schienbein.

    „Richard!“, brüllte eine Stimme neben ihm.

    Reflexartig blickte Richard auf und sah, wie Sinister auf ihn zugestürzt kam. Der Candidatus riss ihn mit sich zu Boden und Richard wurde unter ihm begraben. Ein Schlag traf ihn seitlich an der Schläfe, dann wurde er hochgerissen. Sinister hielt ihn am Kragen gepackt und schüttelte ihn.

    „Du! Von der Straße haben sie dich geholt! Aber du bist nicht würdig! Du musst verschwinden!“

    „Lass mich los, du Irrer!“, schrie Richard und kratzte dem Candidatus über das wutverzerrte Gesicht. Doch Sinister war viel stärker als Richard. Er wird mich töten!, durchfuhr es ihn. Aber ich will noch nicht sterben!

    Sinister schrie auf und ließ Richard auf die Erde fallen. Schnell rappelte Richard sich auf.

    Er brennt! Sinister schrie wie am Spieß, er sah aus wie eine lebendige Fackel. Die Feuer der Hölle verschlingen ihn, dachte Richard. Doch im selben Augenblick erloschen die Flammen und ließen Sinister unbeschädigt zurück. Stattdessen wurde der gesamte Raum in gleißendes Lichtgetaucht. Richard hob die Arme vor die Augen, um sie vor den schmerzenden Strahlen zu schützen.

    Ich habe versucht, sie zu töten, durchfuhr es ihn. Ich habe tatsächlich versucht, Sessilia zu töten!

    „Im Namen von Rhamnus dem heiligen Eingeweihten befehle ich euch zu verschwinden!“, rief eine grollende Stimme und das Licht drang in Richard ein. Er spürte Schmerz, doch es war nicht wirklich sein eigener Schmerz. Der Dämon schrie, als er von dem Licht berührt wurde. Dann war er verschwunden. Richard taumelte, doch ein Arm legte sich um ihn und stützte ihn. Das Licht erlosch. Er blickte auf, in der Erwartung, Samuel zu erblicken, doch die Person, die ihn hielt war nicht sein Lehrer.

    Richards Herz setzte einen Schlag lang aus. Ich bin tatsächlich verrückt!, schoss es ihm durch den Kopf, als er ungläubig in das Gesicht seines Retters starrte. Der Junge, der ihn stützte sah seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich.

    „Richard“, sagte nun der Junge mit Edwins Mund. „Ich hab dich gefunden.“

    Richard schreckte hoch und trat weg von dem Jungen. „Ich träume“, keuchte er.

    Samuel trat hinzu. Auf seiner Schulter saß ein großer Vogel, doch Richard beachtete ihn kaum. Wie gebannt starrte er den Jungen vor sich an. „Du bist tot, ich habe gesehen, wie du in die Flammen gegangen bist. Was ist das für ein Spiel? Ist das ein weiterer Trick des Dämons?“

    „Beruhig dich Richard, du bist völlig klar“, versicherte ihm Samuel. „Er ist mir im Dorf über den Weg gelaufen, er hat mir gesagt, wo ich euch finden kann.“

    Misstrauisch schaute Richard seinen Lehrer an. Das ist ein Trick, ein Traum oder so ähnlich. Ich muss aufwachen!

    „Richard, ich bin’s wirklich“, versicherte ihm das Trugbild seines Bruders. „Ich bin nicht tot.“

    „Bleib weg von mir!“, schrie Richard, als Edwin auf ihn zugehen wollte. „Heiliger Rhamnus, befrei mich aus diesem Irrsinn!“

    Edwins Augen wurden traurig. „Ich dachte, du würdest dich freuen“, sagte er.

    Richard konnte nichts darauf antworten. Wie sehr hatte er sich gewünscht, seinen Bruder wieder zu sehen! Aber genau das wusste der Dämon wahrscheinlich. Nun wollte er ihn testen, wollte ihn noch mehr zermürben.

    „Ich pass auf dich auf, Richard“, sagte Edwin, lächelte ein wenig, dann begann sein seine Gestalt durchscheinend zu werden und löste sich auf bis nichts mehr von ihm übrigblieb.

    „Edwin!“, rief Richard verzweifelt. „Verdammt! Das ist doch Wahnsinn!“

    „Reiß dich zusammen!“, hörte er Sessilias Stimme hinter sich. „Der Dämon ist weg, lass uns von hier verschwinden.“

    Samuel nickte, kniete sich neben Sinister, der noch immer auf dem Boden lag. Mit einer sanften Berührung am Kopf weckte er ihn, Sessilia half ihm aufzustehen.

    „Wir hätten uns nicht trennen sollen“, sagte Samuel. „Es tut mir leid, das war ein Fehler. Der Dämon ist stärker, als ich gedacht hatte. Er hatte uns bereits in der Hand als wir das Gasthaus betraten.“

    Richard schwieg. Nichts denken. Vielleicht ist das das Einzige, was hilft. Keine Gedanken, kein Problem.

    Sie verließen die Zelle, eingehüllt in einen feinen Lichtschimmer, der sich um Samuel ausbreitete.

    „Schaut nicht in die anderen Zellen“, warnte der Priester und führte sie auf kürzestem Weg zu einer steinernen Treppe, die nach oben in die höher gelegenen Teile der Festung führte.

    Richard wollte gar nicht wissen, was er in den anderen Bereichen des Kerkers sehen würde. Er richtete den Blick stur auf Samuels Rücken, der schwach leuchtete. Unterwegs berichtete Sessilia, was in der Zwischenzeit geschehen war. Richard spitzte die Ohren. Ihre Geschichte deckte sich mit der seinen, was jedoch nicht hieß, dass er sich tatsächlich in der Realität und nicht in einer Traumwelt befand. Der Dämon war gerissen, wer konnte schon wissen, wozu er fähig war.

    Der Habicht auf Samuels Schulter starrte ihn an. Richard schaute schnell weg. Mit dem Vogel stimmt doch was nicht, dachte er. Und hatte ich nicht vorgehabt, nichts zu denken?

    „Wie seltsam, dass niemand hier ist“, murmelte Samuel, als sie durch eine düstere Halle schritten.

    Mit wachsender Beunruhigung lauschte Richard dem Klang ihrer Schritte, die von den Wänden widerhallten. Regte sich etwas dort drüben in den Schatten? Lauerte ein Dämon in der Dunkelheit? Was bedeutete der wachsame Blick, der sein Lehrer ihm zuwarf? Verdächtigte er ihn etwa? Dachte er womöglich, er sei ein Dämon?

    Samuel blieb stehen. „Richard“, sagte er mit klarer Stimme. „Ich kann dich zwar vor den Dämonen beschützten, die außerhalb von dir sind. Aber nicht vor denen, die du dir selbst erschaffst.“

    Richards zuckte zusammen. „Wer sagt mir, dass nicht du der Dämon bist?“, fragte er mit zittriger Stimme.

    „Wäre genügend Klarheit in dir, würdest du die Wahrheit erkennen“, seufzte Samuel. „Aber du stehst schon zu lange unter dem Einfluss des Dämons. Hast du den Stein noch bei dir?“

    Richard machte eine trotzige Mine. „Ich habe ihn bei Roland gelassen“, gestand er.

    „Dummkopf“, sagte Samuel mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ich hatte dir gesagt, dass du ihn nicht ablegen sollst.“

    War dies das erste Mal, dass er an seinem Lehrer eine Spur von Wut wahrnahm?

    „Ich wollte Roland damit schützen! Schließlich liegt er noch immer alleine im Wald – hoffentlich.“

    Samuel packte Richard am Arm und presste ihn an die Wand. Der Vogel flog kreischend auf und landete auf der Lehne eines Stuhles in der Nähe.

    „Was soll das?!“, rief Richard erschrocken.

    „Da ist wohl noch etwas, das ich übersehen habe“, sagte Samuel und schlug Richard mit der flachen Hand in die Magengrube.

    Richard blieb die Luft weg, etwas wand sich in ihm, krallte sich in ihm fest.

    Samuel ist tatsächlich besessen!, dachte er voller Panik.

    „Raus da!“, rief Samuel und schlug erneut zu.

    Richard spuckte aus, würgte. Etwas wand sich seine Speiseröhre hinauf, quetschte sich aus seinem Mund und landete platschend auf dem Steinboden. Sinister und Sessilia wichen zurück. Richard atmete schwer, stand nur noch aufrecht, weil Samuel ihn an die Mauer presste. Seine Sicht war verschwommen. Das Ding auf dem Boden zerfloss, verschwand in den Ritzen zwischen den Steinen.

    „Los, wenn wir das Ritual schon nicht aufzuhalten vermögen, müssen wir wenigstens raus, bevor es vollendet ist!“, rief Samuel und riss Richard mit sich.

    „Was war das?“, fragte Sessilia.

    „Falls wir die Sache überleben, bleibt später genug Zeit für Erklärungen“, erwiderte Samuel.

    Richard hatte seinen Widerstand inzwischen aufgegeben und ließ sich mitziehen. Was hatte es für einen Zweck, sich zu wehren? Falls Samuel ein Dämon war, dann hatte er sowieso keine Chance gegen ihn.

    Als sie durch eine Tür nach draußen traten, breitete der Habicht seine Flügel aus und flog in die Nacht davon. Sie befanden sich auf der linken Seite der Festung, die etwas erhöht lag. Von hier aus konnte man das Dorf gut überblicken.

    „Das Feuer brennt bereits!“, zischte Sinister und deutete auf einen riesigen Scheiterhaufen gleich vor dem Tor.

    Ein Schrei gellte durch die Nacht. Erst jetzt bemerkte Richard die kleine, dunkle Gestalt, die sich zuoberst auf dem Berg aus Holz befand. Die Flammen hatten ihre Füße erreicht, doch die Frau war an einen Pfahl gefesselt und konnte nicht davonlaufen.

    „Schnell“, ermahnte sie Samuel.

    Geduckt in die Schatten der Burg schlichen sie voran, erreichten die ersten Häuser. Richard versuchte jeden Gedanken an die Frau auf dem Scheiterhaufen aus seinem Kopf zu verbannen. Aber wie sollten sie das Dorf verlassen ohne bemerkt zu werden, wenn die Opferung gleich vor dem Tor stattfand?

    „Wie können sie nur so böse sein?“, flüsterte Sessilia.

    Ein weiterer Schrei ertönte und in diesem Moment begann die Erde zu beben. Die Finsternis verschluckte die letzten Sterne am Himmel.

    „Da rein!“, rief Samuel und bugsierte Richard durch eine Tür.

    Mit Schrecken stellte Richard fest, dass sie sich wieder in Betties Schenke befanden.

    „Hoch!“, raunte der Priester.

    Sie rannten die Treppe zu den Schlafzimmern hinauf und quetschten sich in eines der Zimmer. Sinister und Samuel zogen eines der Betten von der Wand weg. Darunter kam ein rundes Zeichen zum Vorschein. Richard hatte es schon manchmal an den Wänden im Ducatus gesehen.

    „Ich hatte nicht genügend Zeit, das Ritual fertig vorzubereiten“, erklärte Samuel. „Richard, setz dich in den Kreis, das ist der sicherste Ort.“

    Richard gehorchte, setzte sich auf den schmutzigen Boden, während Samuel Kerzen um ihn herum aufstellte.

    Nur mal angenommen, Samuel wäre tatsächlich ein Dämon…, begann Richard, dachte den Gedanken jedoch nicht fertig. Was solls…

    Auf den Wink von Samuels Hand entflammten die Kerzen.

    „Mund auf!“, befahl Samuel und steckte eines der Kräuterkörner, welche er bereits bei dem Reinigungsritual in Aper an die Dorfbewohner verteilt hatte, in Richards Mund. Auch an Sessilia und Sinister reichte er eines, dann legte er auch sich eines auf die Zunge.

    Die Flammen der Kerzen schossen in die Höhe, als Samuel ein Gebet zu rezitieren begann. Abermals bebte die Erde und Staub rieselte von der Decke auf die Versammelten hinab.

    Legion!, kreischte eine Stimme in Richards Kopf, begleitet von einem stechenden Schmerz, der sich durch seine Schläfen bohrte. Funken explodierten vor Richards Augen, Sessilia brach neben ihm zusammen. Das Haus knarzte und schwankte, von heftigen Böen gepackt. Mit lautem Krachen hob das Dach ab, Holzsplitter flogen durch die Luft. Einer traf Richard im Nacken, bohrte sich durch seine Haut ins Fleisch. Er wollte ihn herausziehen, doch da war nichts, das er anfassen konnte. Hatte er es sich nur eingebildet?

    Sinister kniete auf dem Boden, sein Mund bewegte sich schnell, mitten im Gebet. Richard blickte hoch, sah in den pechschwarzen Himmel hinauf, in den Sturm, der da tobte. Blätter wirbelten in das Zimmer hinein, dann fielen die ersten Tropfen, klatschten auf den Boden.

    „Es verwischt das Zeichen!“, rief Sinister und deutete auf die Linien rund um Richard. Der Regen hatte bereits einen Teil verwischt.

    Samuel ließ sich nichts anmerken, trat auf Richard zu, ohne seine Rezitation zu unterbrechen. Er legte ihm eine Hand auf den Kopf. Die gezeichneten Linien auf dem Boden begannen zu leuchten, schienen lebendig zu werden. Wie Schlangen tanzten sie um Richard herum. Samuel verengte die Augen.

    „Es reicht noch nicht“, murmelte er. „Sinister, hol Sessilia her.“

    „Sie ist ohnmächtig geworden.“

    „Bring sie her!“

    Sinister hob Sessilias schlaffen Körper hoch und schleifte ihn zu Samuel hinüber.

    „Wach auf!“, donnerte Samuels Stimme und ein Zucken durchlief Sessilias Körper.

    Sie schlug die Augen auf und mit Sinisters Hilfe gelang es ihr, sich aufzusetzen.

    Samuel legte nun auch ihr die Hand auf den Kopf, die Linien glühten, lösten sich vom Boden und ein Strahl gleißenden Lichts stach in den Himmel hinauf, mitten in die zusammengeballten Wolken. Weit oben sah er die feine Silhouette des Habichts um den Lichtstrahl kreisen. Richards ganzer Körper fing an zu prickeln, als er so vom Licht umspült dasaß. Auf einmal war seine Angst verschwunden. Er fühlte sich geradezu großartig, lebendig und kraftvoll. Diese Dämonen hatten nicht den Hauch einer Chance, sollte sich einer in seine Nähe wagen, er würde ihn einfach auslöschen.

    Als hätten sie seinen Wunsch gehört, wurde die Zimmertür aufgestoßen. Schwarze Schemen standen im Eingang, schienen jedoch nicht eintreten zu können. Richard wollte schon aufstehen und die lauernden Schatten vertreiben, doch er konnte sich nicht bewegen. Die immense Kraft, die durch seinen Körper strömte war zu viel für ihn. Er fühlte, dass er allmählich seine Grenze erreichte. Sollte dieses Ritual noch lange andauern, würde seine Haut aufplatzen wie eine überreife Frucht. Hilfesuchend richtete er seinen Blick auf Samuel, doch anstelle seines Lehrers sah er eine Lichtgestalt mit langen, silberweißen Haaren auf sich zukommen. Unter ihrem Blick schien er zu schmelzen. Der Druck auf seinem Leib nahm ab, die Energie konnte wieder ungehindert fließen und Richard atmete auf. Die Lichtgestalt streckte ihm eine Hand entgegen.

    „Du kannst mich gerne begleiten, wenn du das möchtest“, sagte die Gestalt mit einer wunderschönen Stimme, die nicht von dieser Welt zu stammen schien. Plötzlich fühlte er sich winzig und unbedeutend, wie ein kleines Kind.

    „Ich möchte mit dir gehen“, sagte er lächelnd. Er streckte die Hand aus, wollte dieses Wesen berühren. Die Gestalt bückte sich näher zu ihm und Richard erkannte die feinen Züge eines Mannes. Was für ein wunderschönes Gesicht! Richard war überwältigt von dem Anblick, konnte sich kaum sattsehen. Er fühlte sich so geborgen, als wäre er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich zu Hause angekommen.

    Doch bevor er dieses wunderbare Gesicht berühren konnte, erbebte die Erde so jäh, dass ihn der Schock aus seiner Erinnerung in die Gegenwart zurückholte. Es bebte und krachte erneut.

    „Das Haus stürzt ein!“, rief Sinister.

    Schon neigte sich der Boden unter ihnen zur Seite, wurde immer schräger und schräger. Richard verlor den Halt und rutschte aus dem Lichtkreis heraus. Das Licht erlosch, während auch Samuel und die beiden anderen Halt suchend über den Boden schlitterten. Ein lauter Knall ertönte und auf einmal befand Richard sich in freiem Fall. Sein Körper schlug irgendwo auf, etwas landete hart auf ihm, er schlitterte weiter, wurde von etwas jäh gestoppt. Für einen kurzen Moment verlor er das Bewusstsein, dann kam er wieder zu sich. Erst wusste er nicht mehr, wo er war, betrachtete die zerstörte Umgebung voller Unverständnis. Um ihn her lagen lauter Trümmer von Balken, kaputter Möbel und Stücke von Boden und Wänden. Dann kam mit der Wucht eines Schlages die Erinnerung zurück.

    „Sessilia!“, rief er. „Samuel!“

    Sein Körper schmerzte fürchterlich. Das war noch viel schlimmer, als von Onkel Theodor verprügelt zu werden. Mühsam zog er sich an der Kommode neben sich hoch, fand schwankend an ihr Halt. Dann erbebte erneut die Erde und eine Tür kam auf ihn zugestürzt. Er wich aus, sie krachte gegen die ramponierte Kommode, wo er sich eben noch festgehalten hatte.

    „Richard!“, hörte er die angsterfüllte Stimme von Sessilia in der Nähe.

    Wir sind Legion!, kreischte es in seinem Kopf, während er sich nach ihr umsah. Er kämpfte sich durch die Trümmer, die ihn nacheinander zu erschlagen versuchten. Mit grimmiger Entschlossenheit sprach Richard die Schutzformel des Heiligen Rhamnus und schaffte es tatsächlich, sich aus Betties alter Taverne zu befreien. Er trat auf die Straße. Zu seinem Schrecken sah er, wie ein paar der Männer Sessilia in Richtung Scheiterhaufen zerrten.

    „Richard!“, schrie sie und versuchte vergeblich sich loszureißen.

    Ohne zu überlegen rannte Richard los. Mit einem Brausen flog der Habicht über ihn hinweg, hinterließ ein Gefühl von Mut in seinem Herzen. Eines der Schattenwesen stellte sich Richard in den Weg. Er wusste nicht, woher er diese Kraft nahm, ob von der Erinnerung an die Lichtgestalt oder von Samuels Ritual, aber das Licht flutete aus ihm heraus wie ein unversiegbarer Strom von Reinheit, Geborgenheit und Liebe, gegen den kein Dämon standhalten konnte. Die Schattengestalt zerriss mit einem erstickten Schrei.

    Richard stürmte weiter, die Lichtwelle eilte ihm voraus. Sie erreichte die Männer, die Sessilia gepackt hatten. Augenblicklich ließen sie Sessilia los und wie bereits Emud brachen sie zusammen, erdrückt von der Erkenntnis ihrer Gräueltaten.

    Richard hatte Sessilia beinahe erreicht, als ein eiskalter Atem seine Füße berührte. Die Eiseskälte stieg seine Beine hoch, machte sie schwer und steif. Er stolperte über seine ungelenken Füße und fiel der Länge nach hin.

    „Nein!“, rief Richard, doch die frostige Kraft stieg höher, erreichte seine Brust und drang ein in sein Herz. Er spürte, wie sein Herzschlag langsamer wurde. Gleich würde er ganz zum Erliegen kommen. Das Licht um ihn erlosch und die Dämonen stürzten sich auf ihn wie die Geier auf ein totes Tier.

    Legion, Legion, viele sind wir! Und du bist einer von uns! Dein Meister hat uns nur weggesperrt, er konnte uns nicht töten. Wir können nicht sterben. Deine gerechte Strafe, Erdenmensch. Legion ist dein Name!

    Richards Kopf wurde angefüllt mit Stimmen, Schreien. Wirr sprachen sie durcheinander. Alle litten sie entsetzliche Schmerzen. Verrat, ausgestoßen, Folter!

    Da erklang eine helle Glocke inmitten dieser Stimmen. Sie riss ein Loch in das Netz der Angst und Pein und durch dieses Loch drang eine Melodie, die er nur zu gut kannte.

    „Losgelöst, ein Körper wie Wind so frei

    Nichts hält dich fest

    Niemand, nichts, jetzt nicht!

    Denn du bist frei

    Keine Banden, die dich halten

    Dein Herz ist unbeschwert, weit wie der Raum

    Erfüllt von der Kraft, die in dir wohnt

    Sich ausdehnt, alles durchdringend

    Niemand, nichts, jetzt nicht

    Denn du bist frei, in diesem Moment frei.“

    Richard schlug die Augen auf. Die Stimme erklang nicht in seinem Kopf wie er angenommen hatte. Über sich sah er verschwommen das Gesicht seines kleinen Bruders. Tränen liefen ihm über die Wangen, während er das alt vertraute Lied sang.

    Über alle Schranken sind wir verbunden

    In dem einen Raum.

    Nicht einmal der Tod kann uns noch trennen

    Keine Illusionen, keine Türen, keine Wände

    Über alle Schranken, vereint im Geheimen.“

    Edwin strich Richard über das Gesicht.

    „Wir haben versprochen, dass wir uns wiederbegegnen“, sagte Edwin mit weinerlicher Stimme, doch ein strahlendes Lachen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wo auch immer du bist, ich werde dich finden“, sagte er, dann löste er sich auf.

    Richard sprang auf. „Edwin!“, rief er, doch er erhielt keine Antwort.

    Stattdessen erblickte er den Habicht. In einem steilen Sturzflug sauste er in Richtung Erde hinunter. Richard folgte seiner Flugbahn mit den Augen und sah den schwarzen Wolf, der auf Sessilia zusprang. Der Habicht versenkte seine Krallen in den Nacken des Wolfes. Das große Raubtier warf sich auf den Boden und drehte sich auf den Rücken, um den Vogel abzuschütteln. Der Habicht schnellte wieder hoch in die Luft. Richard hatte keine Zeit, sich über das seltsame Verhalten des Tieres Gedanken zu machen. Er rannte auf Sessilia zu. Wieder gelang es ihm ganz leicht, mit dem Licht in Kontakt zu treten. Er fühlte, wie es von oben in seinen Kopf eintrat und seinen Körper ausfüllte. Er stellte sich vor, wie sich eine Wand zwischen dem Wolf und Sessilia bildete und wirklich erschien eine feine, schimmernde Barrikade aus goldenem Licht zwischen ihr und dem Dämon.

    Richard erreichte Sessilia noch rechtzeitig, bevor zwei weitere Wölfe zum ersten hinzustoßen konnten.

    „Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Richard außer Atem.

    „Alles noch dran“, bestätigte sie, doch in ihrem Gesicht stand der Schrecken geschrieben.

    „Keine wirren Gedanken?“, vergewisserte er sich.

    „Ich hoffe nicht…“

    Zur Sicherheit ließ Richard eine Woge von reinigendem Licht durch Sessilias Körper strömen. Erleichterung zeigte sich in ihren Zügen.

    „Da kommen noch mehr“, warnte sie ihn, als sich weitere Wölfe zu dem Rudel gesellten.

    Richard zog einen Schutzwall aus Licht um sie empor und die Jäger begannen ihre Opfer mit langsamen, lauernden Schritten zu umrunden. Sie konnten die Wand zwar nicht durchdringen, aber Richard wusste nicht, wie lange sie ihn aufrecht erhalten konnte.

    „Wo sind Samuel und Sinister?“, fragte Sessilia und versuchte an den Wölfen vorbei zu spähen.

    Auch Richard konnte die beiden nirgends entdecken. Er hatte auch anderes zu tun, als sich mit dieser Frage zu beschäftigen, denn die Wölfe hatten gerade ihr Verhalten geändert. Sie umkreisten die beiden nun nicht mehr, sondern zogen sich zurück in die Schatten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Richards Magen aus. Etwas war da faul.

    „Was geschieht hier?!“, rief er erschrocken aus.

    Der Boden um sie her schien flüssig geworden zu sein. Eine wabernde Masse aus schreiender Dunkelheit, die sich langsam hob und senkte wie eine zähe Brühe.

    „Richard, was ist das?“, fragte Sessilia und griff nach seiner Hand.

    „Was es auch ist, zusammen sind wir stärker“, sagte er entschlossen. „Konzentrier dich auf das Licht. Lass es durch deinen Körper strömen und hilf mir, den Schutzwall zu verdichten.“

    Sie biss sich auf die Lippe, nickte und verstärkte den Griff um seine Hand. Er spürte, wie ein zartes Gefühl von Zuneigung und Leichtigkeit von ihr ausströmte, sich mit ihm verband und ihn stärkte.

    Die schwarze Masse griff mit schleimigen Fingern nach ihrem Schutzwall, zog sich daran hoch und hüllte sie ein in einen Mantel aus Dunkelheit. Bald schon konnten sie den Himmel nicht mehr sehen, waren gefangen in diesem Kokon, der sanft erhellt wurde durch das Licht, das beständig aus ihnen herausströmte. Doch der Lichtschein wurde allmählich schwächer.

    „Je dicker die Wand aus Dunkelheit wird, desto mehr sind wir abgeschirmt von den Lichtwesen, die uns helfen“, überlegte Richard und merkte, wie ein Funke von Panik in seinen Eingeweiden zum Leben erwachte.

    Ihr Schutzwall begann sich langsam zusammenzuziehen. Stück für Stück wurde der Platz enger und die finstere Masse rückte näher. Das ganze Leid, die Angst und Verzweiflung, die in der Dunkelheit des Dämons steckten begann durch ihren Lichtschild zu dringen.

    „Richard, ich halt das nicht aus!“, keuchte Sessilia. „Er spricht zu mir! Er kennt mich! Aber ich will mich nicht erinnern.“

    Voller Entsetzen starrte sie ins Leere. Sie ließ seine Hand los, presste sie auf die Ohren, wie sie es in der Zelle gemacht hatte. Sofort rückten die Schatten näher, drangen durch kleine Ritzen in der Mauer aus Licht. Wie dicker Schleim troff die Dunkelheit ins Innere ihrer Festung.

    „Sessilia, ich brauch dich!“

    „Nein!“, schrie sie. „Er will mich. Weil ich ihn damals eingesperrt habe. Legion!“

    Ein gequälter Schrei entfuhr ihren Lippen und sie schlug mit dem Kopf gegen den Boden. Blut tropfte von ihrer Stirn, als sie sich wieder aufrichtete, das Gesicht zu einer Maske des Schmerzes verzerrt.

    Der Schutzwall zerbarst. Die Dunkelheit verschluckte sie. Richard sah nichts mehr. Spürte nur noch die Qual, die sein ganzes Wesen erfüllte. Schmerz. Ein unglaubliches Maß an Schmerz ergoss sich in jede seiner Poren. Doch er konnte nicht schreien. Es gab keinen Mund mehr, nur noch diese unendlich große Pein. Jegliche Gedanken waren fortgespült, er, Richard, existierte gar nicht mehr, denn es gab nur noch diese unfassbare Verzweiflung.