Schnee im Frühling von Yukio Mishima
Eine Empfehlung an alle, die gerne High Fantasy in Kombination mit einer verstörenden aber sehr packenden Liebesgeschichte lesen.
Also, es handelt sich hier natürlich nicht um Fantasy, sondern um einen Roman, der in Japan um die Zeit um 1912 herum spielt, aber er enthält viele der Elemente, die ich an Fantasy liebe. Zum Beispiel eine spannende, oft märchenhaft und fremd erscheinende Beschreibung der japanischen Denkweise, Feste, Gestaltung von Parks, Sitten und Lebensweise.
Im Zentrum steht die Zerrissenheit des damaligen Japan zwischen alter Tradition und westlichem Einfluss, wobei der Autor offensichtlich das Dahinschwinden der alten japanischen Kultur als einen riesigen Verlust und eigentlich als tödliches Verderben für das Land begreift. Das Buch steckt voller Symbole, so steht der junge erst 18-jährige Kiyoaki (der Protagonist) für genau dieses Syndrom. Aus einer neureichen bereits durch westliche Einflüsse geprägten Familie stammend, bewundert er die zwei Jahre ältere Satoko, aus uralter adliger Samurai-Familie stammend, mit der er seine Kindheit verbrachte, da sein Vater sich dadurch Einfluss bei Hofe und eine anständige Erziehung erhoffte.
Kiyoaki ist eigentlich ein Protagonist, den man die ganze Zeit nur schütteln könnte. Verzogen, egoistisch, leicht verletzbar, dazu kaltherzig und rücksichtslos. Er interessiert sich nicht für Bücher, nicht für die Schule und auch nicht im geringsten für seine Zukunft, ist dem, was man so für das normale Leben hält, erstaunlich gleichgültig gegenüber. Stattdessen verbringt er seine Zeit in Träumen und dem Nachsinnieren der Bedeutung der Wellenspitzen für das menschliche Leben.
Am Anfang dachte ich, warum soll ich ein Buch mit einem so kindischen und wankelmütigen Protagonisten überhaupt lesen, dessen negativen Eigenschaften auf jeder Seite deutlicher zutage treten?
Allerdings schlägt er mich durch die intensive und ungeheuer bildhafte Darstellung seiner so sehr fremdartig wirkenden Denkweise und Gefühle, die ich darum genauso intensiv mitfühlen kann, dann doch in den Bann.
Eine wesentliche Eigenart der alten Kultur ist offenbar das Verbergen der Gefühle nach außen. Schon ein normales Lachen gilt in den alt-japanischen Kreisen als unschicklich. Darum ist auch Kiyo ein Meister darin, nach außen ein anderes Gesicht zu zeigen als nach innen und selbst seinem einzigen Freund gegenüber nie aufrichtig zu sein. Genauso verläuft auch seine Beziehung zu Satoko. Er behauptet, sich nicht für sie zu interessieren, er beleidigt und demütigt sie, gleichzeitig liest man zwischen den Zeilen nur zu deutlich heraus, wie sehr er sie verehrt. Schließlich spinnt er gar eine abenteuerliche Intrige, die wohl nur in Japan möglich wäre, aus heimlichen Briefen, die von Dienstboten überbracht, dann doch nicht gelesen werden dürfen, nur um sich an ihr dafür zu rächen, dass sie geistig bereits reifer ist als er. Diese Intrige, kindisch und unüberlegt begonnen, entwickelt sich nach und nach zu einer Tragödie, da immer neue Stufen hinzukommen und er sich nicht dazu überwinden kann, die zugrundeliegende angebliche Beleidigung seines Ehrgefühls (die von ihr nie beabsichtigt war) zu verzeihen.
Selbst als klar wird, dass nicht nur sie, sondern auch er auf eine Katastrophe zuschliddern, schlägt er Angebote einer Lösung aus, weil diese beinhalten, dass er seine Schuld zugeben müsste.
Ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe, das bis zuende zu lesen (ich hasse Bücher, die schlecht enden!). Doch die Story ist so packend, dass ich bis jetzt einfach nicht aufhören konnte.
Abgesehen von der emotionalen Dramatik ist das Buch voller wunderschöner landschaftlicher Bilder, die meist mit philosophischen Betrachtungen verwoben sind und das Leben halt aus fernöstlicher Sicht interpretieren - herrlich ungewöhnlich und spannend.