Dracheneier
von bigbadwolf
Der Eingang der Höhle wirkte, als hätte er seinem Bewohner nur widerwillig gedient. Die steinernen Wände waren an vielen Stellen von handbreiten Furchen und Rissen durchzogen, herausgebrochene Felsvorsprünge waren wie lästige Kiesel in den Boden gestampft worden und der junge Held konnte seine Furcht nur schwer im Zaum halten. Allein die Vorstellung, wie gigantisch die Zähne und Klauen sein mochten, welche –
Hübsch hier.
Die vertraute Stimme in seinem Kopf schien eine gänzlich andere Sichtweise zu haben.
Das intelligente, magische Schwert an seiner Hüfte, mit welchem er erst vor wenigen Zehntagen schmerzliche Bekanntschaft gemacht hatte, war im gleichen Maße hilf- und lehrreich wie auch lebensgefährlich. Für gewöhnlich stellte sich erst in heiklen Situationen heraus, welcher Aspekt derzeit überwog und der junge Held hatte sich daran gewöhnt, hastig erteilte Anweisungen des Schwertes sofort und widerspruchslos umzusetzen.
„Und du meinst wirklich, dass ich dieser Aufgabe gewachsen bin?“, fragte er erneut lautlos und schaffte es nicht einmal, das Zittern aus seinen Gedanken zu verbannen.
Keine Sorge. Mach den Kopf leer, riet das magische Schwert mit fürsorglicher Stimme. Tu einfach, was ich sage.
Der junge Held musste zugeben, dass diese Strategie ihn bisher stets am Leben erhalten hatte, obwohl die Aufträge der letzten Zehntage seine eigenen Fähigkeiten teils bei Weitem überstiegen hatten. Ebenso war seine Anwesenheit in dieser Drachenhöhle zustande gekommen. Seine Gedanken reisten einige Tage zurück.
„Er bringe mir die Eier des Thix… Thilax… Thiaxil…“, hatte Fürst Eugen Theribor stotternd versucht einen Auftrag zu erteilen, doch keiner seiner prächtig behangenen Berater hatte Interesse daran gezeigt, den Fürsten aus seinem Silbenmartyrium zu erretten.
Ich kenne den Namen Thilixantrodyon, war ein leises Grübeln in seinen Gedanken aufgetaucht…
„Thilixantrodyon, mein Fürst?“, hatte der junge Held sofort die Chance ergriffen, diese hochwohlgeborene Peinlichkeit zu beenden.
„Natürlich! Was erdreistet Ihr Euch, meine Worte dumm zu wiederholen?“, war dieser sofort aus der Haut gefahren.
„Sollen wir nicht lieber gehen?“, hatte er mental mit seinem Schwert kommuniziert.
Kommt gar nicht in Frage. Ich hab seit Äonen keinen Drachen mehr besiegt.
„Bringt mir die Eier des Drachen! Nun geht mir aus den Augen!“
Jetzt hör auf, darüber nachzudenken und konzentrier dich!, holte ihn die Stimme in die Gegenwart zurück. Ich habe keine Lust, jahrhundertelang von einem Drachenwanst platt gedrückt zu werden.
„Musst du dich ständig in meinem Kopf breit machen?“, ärgerte sich der junge Held.
Hey, ich wohne hier.
„Aber doch nicht – “, setzte er an, aber schlagartig weitete sich der Durchgang zu einer immensen Höhle, sodass er ehrfürchtig verstummte.
Da der nur trübes Licht abstrahlende Ring an seinem Finger kaum zehn Fuß vor ihm erhellte, war bislang nichts in Sicht gekommen, was ihm begründete Ehrfurcht hätte abringen können, doch allein die Vorstellung des im Dunklen lauernden Ungetüms ließ den jungen Helden erbeben.
Merkst du irgendwas?, fragte das Schwert ungerührt.
„Was meinst du?“, entgegnete er verwirrt. Er lauschte angestrengt, spähte in die undurchdringliche Dunkelheit, seine Nerven zum Zerreißen angespannt.
Und dann fiel es ihm auf.
Nichts.
„Ist er vielleicht auf der Jagd?“, mutmaßte er lautlos.
Diese Viecher jagen meines Wissens nur alle paar Jahre, selbst die Gefräßigeren nur alle paar Monate, gab die Stimme zu bedenken.
Mit schier unendlicher Vorsicht wagte sich der junge Held weiter in die Stille hinein. Beinahe hätte er aufgeschrien, als etwas am Rand der Lichtsphäre auftauchte. Minutenlang verharrte er in Schreckensstarre.
Wenn er dich bemerkt hätte, wärst du längst verdaut.
Diese unerfreuliche, wenngleich zutreffende Bemerkung seiner Waffe befreite ihn aus seiner Paralyse und er schlich lautlos vorwärts. Voller Unbehagen musste er feststellen, dass die Luft mit jedem Schritt wärmer wurde.
„Das könnte sein Hinterlauf sein“, dachte der junge Held angsterfüllt, da der Lichtschein nicht einmal genügte, den Bauch des Drachen zu beleuchten.
Halt! Schau ihn dir genau an!, rief die Stimme plötzlich beunruhigt.
Von der heftigen Reaktion seiner magischen Waffe wie gelähmt, blieb ihm nichts anderes übrig. Quälend langsam verstrich die Zeit und er rechnete in jedem Augenblick mit einem aus der Dunkelheit zuschnappenden mächtigen Maul oder einem sengenden Feuerstrahl, welcher ihn in glimmende Asche verwandelte.
Das ist sooo ungerecht!, klagte die Stimme unverhofft.
„Was denn?“, dachte er irritiert.
Jetzt beweg dich schon, seufzte das Schwert missmutig, ich gehe mal wieder leer aus… und du vermutlich auch.
Vollends verwirrt war der verängstigte junge Held gezwungen, auf weitere Erklärungen zu warten.
Ist dir nicht aufgefallen, dass sich der Fleischberg nicht im Mindesten bewegt und keinerlei Geräusch von sich gibt?, belehrte es ihn ungeduldig.
„Oh!“, entfuhr es ihm und er zuckte zusammen als er seine Stimme durch die gigantische Höhle hallen hörte.
Na los! Wir haben die Spielverderber wohl knapp verpasst und wenn du mal wieder Glück hast, haben sie nur das Gold mitgenommen.
Etwas weniger vorsichtig umrundete der junge Held den auf der Seite liegenden, frischen Drachenkadaver, musste jedoch feststellen, dass nirgends auch nur ein einziges Drachenei zu finden war. Ehrfürchtig glitt sein Blick die Umrisse des stachelbewehrten Drachenschwanzes entlang, welcher wie zum tödlichen Schlag erhoben dalag. Viele Schuppen waren gesplittert, das rote, von Waffen aller Art malträtierte Fleisch an vielen Stellen freigelegt.
Das ist ja gar kein Weibchen!, rief die Stimme überrascht.
Auch dem jungen Helden fiel plötzlich auf, wo er da gerade hinsah und er wandte den Blick ab. In seinem Kopf jedoch regte sich ein Optimismus, welcher nicht der seine war.
Hey, wir sollen doch Dracheneier mitbringen.
„Ja? Und was…? DAS IST NICHT DEIN ERNST!“
Jetzt mach schon. Du bist jung und brauchst das Geld!