Elfenglocken
Theo-Drecht
«Hee, lass mal.»
«Was, warum?»
«Hörst du das nicht?»
«Was nicht?»
«Na das. Püh, deine Menschenohren kriegen wirklich gar nichts mit. Kein Wunder, wo sie dir so steif am Kopf sitzen.»
«Du wirst schon noch genug bekommen, von dem was du für zu steif hältst.» Ich ließ meine Hände wandern. «Und überhaupt. Stört es dich so sehr, dass meine Aufmerksamkeit gerade auf ganz anderen Pfaden verläuft?»
Sie sog die Luft ein. «Deine Aufmerksamkeit? Du meinst eher dein Blut.» Sie packte mir dorthin, wo sich mein Blut in den letzten Stunden staute. «Wie… menschlich, davon abhängig zu sein, wo gerade der Saft rinnt. Ein Wunder, dass die Trolle euch noch nicht komplett ausgeräumt haben. Ihr seid einfach zu leicht zu übertölpeln.»
Ich stöhnte. «Von Schönheiten wie dir allemal.» Ich beugte mich ein wenig vor, und rieb meinen Schoß auf ihrer geöffneten Hand. Sie floh meine suchenden Lippen, indem sie sich genüsslich nach hinten bog und die Arme hinter sich spreizte. «Aber auch von einem ralligen Trollweib?» flüsterte sie geziert. Nicht zufällig weitete sich dabei der Ausschnitt ihres Lederwamses um ein Vielfaches und öffnete die Schlucht gewisser begehrlicher Bergflanken darinnen. Deren Farbe war blassgrün wie winterliche Almwiesen: Elfenhaut eben.
Meinen gebannten Blick aufnehmend, kreiselte sie spielerisch mit den Luchsohren und schmunzelte. Dann, während ich weiterhin völlig eingenommen schien, starrte sie aus dem Fenster über unserer Bettstatt nach draußen.
Mit dem fahlweißen Spätwinterhimmel drang der Trubel des Dorfplatzes herein: Rufe, ein Muhen, Karrenräder, bespornte Stiefel und Schwertgehänge. Die feinen Scheiben im hölzernen Sparrenkreuz klirrten bei jedem Windstoß, den die umliegenden Berge, deren mächtige Präsenz man vom Bett aus gesehen nur ahnen konnte, in unsere kleine schwüle Kammer schickten. Sofort froren wir wieder.
Auch die Waffenschmiede nahm ihre Dengelei wieder auf, vermeintlich. Wahrscheinlich hatte ich die überstürzten Vorbereitungen dort draußen während der vertrauten Stunden, die hinter uns lagen, nur überhört. Lie-Su hatte Recht: Besonders aufmerksam war ich nicht. Nicht, wenn es gerade Wichtigeres gab… Eine schnittige Elfenbraut auf einem gewärmten Lager; wo draußen nur Eis und die Appellschläge der Tabula warteten.
«Was gab es denn nun zu hören?» fragte ich, mittlerweile etwas abgekühlt (und eingeschrumpft).
Sie blinzelte, wie aus einem Gedanken aufgeschreckt. «Ist doch auch egal. Fürs erste.» Und sie zog mich wieder an sich. Ich aber widersetzte mich und stemmte meine Arme gegen die Matratze.
«Fürs erste?» widersprach ich.
Sie atmete tief und hauchte mir lau ins Gesicht. Gleichzeitig suchte sie mir mit ihrem reibenden Oberschenkel wieder Stimmung zu machen. Aber ich hielt stand. Also in meinen Armen, meine ich. Noch einmal versuchte sie vergeblich, mich, überraschend kräftig, auf ihren eigenen Busen zu drücken. «Ich friere!» protestierte sie dann.
«Umso besser.» Und mit einem Ruck riss ich ihr Dekolletee völlig auf, sodass ihre beiden bis dahin wohlgehaltenen Hügel herausquollen. Im offenen Fensterlicht sahen ihre Brüste wirklich ganz überschneit aus. Oben trugen sie im Frost jeweils eine einzelne starre Mohnblüte. Um diese Mohnblüte ihrer Nippel schloss ich nun, die Drohung bekräftigend, meine Daumen und Zeigefinger: «Was hätte ich hören sollen, Lieselpüchen? Bis du den Mund aufmachst, lasse ich dich frieren.»
Ein wilder Funke glomm in ihren Augen auf und ließ ihre Pupille, die übrigens grün war, frühlingsgrün, im erdbraunen Bett ihrer Iris flackern. In diesen Momenten wurde mir stets bewusst, wie fremdartig jenes Wesen doch war, das mir in solcher Vertrautheit seit einigen Monaten seine Schenkel schenkte. Auch wenn sie an diesem Morgen erst im Dorf eingetroffen war, mit flatternden Haaren und einem schweißgebadeten Pferd, war jetzt nicht das erste mal, das wir ein Lager teilten. Wann immer die umliegenden Heerzüge, die um unser Gebirge stritten, es gewährten, besuchte sie mich. Flog mitten in der Nacht wie ein viel zu flüchtiger Traum vorbei, schlurfte in diesigen Vormittagen heran, ganz ohne Pferd, und blieb eine Woche. Sie hatte auch schon geblutet, dann hatte ich sie gesund pflegen müssen, bevor ich sie hatte anfassen dürfen. Ich fragte mich oft, warum sie den weiten Weg auf sich nahm, um bei einem Menschen zu liegen, wo doch im Heerlager sicher ein ganzes Rudel Elfenfürsten ihr Zelt belagerte.
Ein Grinsen fand ihre Mundwinkel und holte mich ins Hier und Jetzt zurück. «Aber ich mache doch den Mund auf» säuselte sie mit Piepsstimme, streckte ihre Zungenspitze zwischen ihren Lippen hervor und ließ sie wollüstig zappeln.
Ich lachte. Zudrücken tat ich trotzdem. Sie zischte.
«Du weißt, dass ich dir deine räudigen Handgelenke binnen Sekunden brechen könnte, ja?!» jaulte sie, während ihre Brüste sich nach oben freistrampeln wollten und dabei den Schmerz nur steigerten.
Ich ließ etwas Spiel, fing an, tröstlich ihre Empfindlichkeiten zu reiben und beugte meinen Mund zum ihrigen hinab. Wir küssten uns.
«Wenn ihr überheblichen Menschenkerle mal wüsstet, wie viel Umsicht es ohnehin schon braucht, um euch beim Liebesspiel nicht alle Knochen zu brechen!» sprudelte sie hervor, kaum, dass sich unsere Lippen gelöst hatten. Sie klang immer noch etwas eingeschnappt. Vielleicht hatte ich es doch übertrieben. Also nahm ich meine eigene Zunge und machte mich an versöhnliche Arbeit. Taute ihren Mohn, bis er nach Lenz schmeckte.
Bald hatte sie sich aufgesetzt und kraulte mir in meinen Haaren, während sie mich säugte. Wintersonne hatte ihr Gesicht gefunden, zumindest in den wenigen Momenten, wo ich hochsah.
«Schon gut.» murmelte sie irgendwann. «Aber mittlerweile solltest selbst du es hören. Das Klingeln. Zugegeben, es ist sehr fein. Aber der Wind trägt es.»
Tatsächlich. Über dem Dorf lag, wie ein Schleier ohne Gewicht, der Ton feiner Glöckchen. Verheißungsvoll.
«Was ist es?» fragte ich. Eigentlich dräute es mir schon. Es hätte ja auch zu schön sein müssen, dass sie allein wegen mir ins Dorf kam – in voller Schlachtmontur wie eine Amazone. Dass ich es nicht besser wusste lag daran, dass ich mir bei ihr lang abgewöhnt hatte, Fragen zu stellen. So lange ihr Leben auch reichte: Wenn sie einmal von ihrem unsterblichen Ross zu mir hinabstieg, galt ihr nur der Moment. Zu leben und lieben, was sie mir mitgeben wollte von ihrer Jugend. Manchmal fragte ich mich, wie viele Männer sie schon hatte wittern sehen. Oder ob ich gar der erste Mensch war?
«Silberschellen.» antwortete sie unumwunden. «Du müsstest sie kennen, von Falada.»
«Dein Pferd. Elfengeschirr. Heißt das, sie sind bald da?»
Sie nickte. «Ich fürchte, ja.» fügte sie hinzu, als ich schwieg. Und mit einem weiteren Blick aus dem Fenster bekundete sie: «Außerdem fürchte ich, deine Ohren sind noch schlechter als wir dachten. Sie ist bereits eingetroffen. Wenn du nur einmal etwas Blut für deine Lauscher übrig hättest, dass sie erröten könnten…»
«Wer ist eingetroffen?»
«Meine Königin.»
Ich verlor ihre Brust, indem ich meinen Mund nicht mehr zubekam. «Die Elfenkönigin höchstpers…! – Das heißt, du musst gleich raus?»
Sie haderte. Ihr Blick verlor nicht das Treiben vor dem Fenster, das ungleich unruhiger geworden war, mir aber weiter hinter dem Sims verborgen blieb. «Noch nicht.» beschied sie endlich und legte ihre Hand wieder fest in meinen Nacken.
Wir beschlossen, noch ein letztes Mal aufeinander einzugehen. Als ich sie aber herabziehen wollte, um mich über sie zu breiten, krallte sie sich am Fenstersims fest. «Nicht so.» befahl sie. Stattdessen bugsierte sie mich quer zum Bett, meine Füße auf den kalten Sand am Boden und ließ mein Gesicht zwischen ihren Schenkeln Platz finden. Sie setzte sich einfach auf mich drauf. So, dass sie weiterhin aus dem Fenster sehen konnte.
Ich konnte nur hoffen, dass niemand ihr Gesicht, oder schlimmer noch ihre ganze Büste vom Dorfplatz, wo sich die schillernden Elfentruppen mit unseren kriegsausstaffierten Köhlern und Holzfällern zu vermischen begannen, durch das Fenster entdeckte, so wie Lie-Su langsam auf mir auf und ab schunkelte und kreiselte.
Immerhin teilte sie mir derweil mit, was sich draußen Sehenswertes abspielte. «Die Königin übergibt eurem Dorfvorsteher Mertsen ein Signum ihrer Freundschaft. Es muss ein Edelstein sein, vielleicht ein Smaragd, so genau erkenne ich das nicht, deine Scheibe ist zu dreckig. Er antwortet mit einer Goldenen Sichel, dem traditionellen –» Sie unterbrach sich, um wohlig zu summen – «Totem für reiche Ernte… Ist das eine Art Witz, weil sie ja…»
Aber die Frau über mir kam nicht dazu, auszusprechen, was der Witz an der Goldenen Sichel war. Denn ein Klang schreckte uns auf, den sogar ich läppischer Mensch nicht überhören konnte. Die große bronzene Glocke aus dem Heilig-Turm verfiel in hektisches Dröhnen. Brachte unsere Scheiben ins Klirren und auf dem Herd sprang die Blechpfanne umher. Auch Lie-Su zitterte jetzt.
Ich unterbrach mich nicht in meinem Tun. «Wasch paschiert!» nuschelte ich.
«Der Alarm! – Die Lanzenträger bilden eine Phalanx um die Königin!»
«Scheische» war mein ganzer Kommentar.
«Das müssen Trolle sein! Oh nein. So früh! Und – – hier? Wir hatten sie doch weiter oben…»
Sie ließ ab vom Dorfplatz, der zu bald ein Kampfplatz sein würde, und legte ihr erhitztes Gesichtchen auf ihre Unterarme ab. Wir wussten beide, dass alles, was jetzt nicht Waffen Anlegen und Hinausstürzen hieß, einem Verrat gleichkam an unseren Leuten, und dennoch… Wenn es nicht Abneigung dagegen war, unser den ganzen Vormittag gegen die Kälte gehütetes Lager zu verlassen für etwas Eis und viel Blut, musste es wohl… Zuneigung sein.
Also stahlen wir uns noch einige wenige kostbare Minuten. Von der Welt, ihrer Königin und dem Blut meiner Freunde. Ich machte weiter, bis sie fertig war. Das war ein glorioser Moment.
Wir konnten ja nicht wissen, ob es nicht der letzte sein würde an diesem Tag.
Als sie, nackt im Raum stehend, endlich ihre Blöße in einer Lederplattenrüstung verstaute, und ich Anstalten machte, noch ebenso frei schwingend, in meine Stiefel zu steigen, sagte sie mir mit einem besorgten Seitenblick auf mein Schwert und Schild, die an der Lehmmauer lehnten, nur noch:
«Versprich mir eins, ja?»
Ich nickte.
«Markier nicht den Helden. Bleib immer hinter mir.»
Und darauf trat sie meine Tür ein und war gleich im Trubel dieses Spätwintermittages verschwunden.