Beiträge von Asni

    Ich muss gestehen, dass mir zu dem Thema einfach nichts gutes einfallen wollte :/. Daher großen Respekt, Kirisha , dass du eine Geschichte vollendet hast und herzlichen Glückwunsch zum Sieg!

    Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, was die Pointe ist, aber vielleicht geh ich auch einfach zu schnell in Richtung "Was will mir der Text sagen". :hmm:

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    Mir gefällt die Grundidee der Geschichte ziemlich gut. Für mich ist das die Umkehrung des Märchen- & Sagenschemas: statt eines männlichen Jünglings melden sich weibliche Heldinnen, um den im Turm "eingesperrten" Prinzen und das Königreich zu retten.

    Die drei Heldinnen decken unterschiedliche Ideen ab. Aladina: Was spricht dagegen, einen typischerweise männlichen Helden mal zu verweiblichen? Barbara: das Superheldinnenklischee, das eigentlich genauso langweilig wie sexistisch ist. Cinderelly, die normalerweise das Klischee des feinen Prinzesschens ist, ist nun eine normale Frau, wenn auch mit Siebenmeilenstiefeln ausgestattet.

    Der Prinz - offensichtlich ein Mantikor und damit mittelalterliches Sinnbild der Tyrannei - möchte sich die Flügel nicht schmutzig machen und ist gegen neumodische Sitten. Unter letzteren könnte man jetzt verstehen, dass die drei Frauen als Heldinnen agieren dürfen. Dass alle drei Heldinnen scheitern und letztlich der Prinz selbst aktiv werden muss, könnte man jetzt so lesen, dass die neumodischen Sitten halt nicht funktionieren. Das fände ich irgendwie eine traurige Aussage / Pointe gegenüber dem Gedanken, dass Gleichberechtigung (weibliche statt männliche Helden) gut ist :hmm:

    Mir gefällt besser, dass die neumodischen Sitten eher für die Veränderungen an den Helden/Heldinnen stehen, die auf ironische Weise realistischer (kiffender Aladin, hysterische Wonderwoman, ungepflegte Cinderella) gemacht sind. Demnach wäre es immer noch besser, bei den alten, "tyrannischen" Held*innen zu bleiben. :pardon:

    Für mich funktioniert die Geschichte leider nicht so gut, weil ich nicht genau weiß, wohin das gehen soll und ob ich überhaupt eine über den Text hinausgehende Interpretation versuchen soll. Letztere ist für mich nicht eindeutig und je nachdem was ich sehen möchte, finde ich das gut oder eben nicht so gut. Für eine rein humoristische Geschichte fehlt mir ein bisschen der stumpfe, slap-stick-artige oder feinfühlige Humor :hmm:

    Joa, das ist jetzt mal meine Interpretation... vielleicht bin ich einfach zu verkopft, um die Pointe richtig zu verstehen.

    Deine Leser werden es zurecht fordern. Geschichten mit historischen Kontext müssen korrekt sein, ansonsten wird die interne Logik geradezu zerschossen. Auch wenn es sich um Vampir-Fantasy oder Romanzen handelt.

    Da sehe ich eigentlich eine kleine Einschränkung :hmm: Bzw. würde argumentieren, dass es drauf ankommt, ob die Geschichte, die wir kennen, Relevanz für Story hat. Ein abgelegenes Dorf oder Tal, in dem Themen des täglichen (Über-)Lebens das Geschehen dominieren oder das Übernatürliche wichtiger ist, könnten auch darauf verzichten, auf das einzugehen, was draußen in der Welt passiert. Meiner Einschätzung nach dürften das auch viele Leser so sehen.

    Ich denke da gerade an den Film "Das finstere Tal", das letztlich ein Westerndrama in den Alpen ist. Das funktioniert (zumindest für mich) sehr gut, obwohl "Western" und "in den Alpen" nicht zusammenzupassen scheint. Soweit ich mich erinnern kann, werden da auch keine Jahreszahlen genannt.

    Am Ende ist es egal, ob die Verwendung damals geschichtliche Relevanz hatte, den heutige Leser empfinde ich als wichtiger als der Kontext in einer Geschichte

    Na, das ist doch dann ok für dich. Aber wie ich in meinem vorherigen Post geschrieben hatte: Jede*r Autor*in trifft für komplexe Situationen, die aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Anforderungen erfüllen müssten, eine Entscheidung dazu, wie und welche Anforderungen erfüllt werden und welche nicht. Du machst das z.B. in dem obigen Zitat ja auch. "Für dich ist der heutige Leser wichtiger" ist ein nachvollziehbares, akzeptables Statement, insbesondere dann, wenn du damit über dein eigenes Schreiben redest. Dennoch kann ein anderer Autor den Kontext der Geschichte für wichtiger erachten und sich daher für etwas völlig anderes entscheiden. Solange die Darstellung rechtlich im Rahmen bleibt, ist das mMn auch in Ordnung. Das muss noch lange nicht heißen, dass ich gut finden würde, was der oder die da geschrieben hat, aber ich würde ersteinmal für deren Freiheit eintreten, das schreiben zu dürfen.

    Es ist halt auffällig, dass Übergriffe auf Männer so gut wie nie in Fülle gezeigt werden

    Bei der Aussage hab ich schon so ein bisschen Probleme. Du triffst hier rein logisch ein Statement über eine riesige Menge an Werke ("so gut wie nie"). Welche sind das und aus welchen Jahren kommen die? Beziehst du dich auf Bücher oder filmische Umsetzungen? Bist du da jetzt nur im Fantasy-Genre unterwegs oder eher allgemein? Stellst du dir unter "Übergriffen" gerade sexuelle Übergriffe vor?

    Mein erster Gedanke dazu war, dass die Situationen, in denen Übergriffe auf Männer stattfinden, vielleicht grundverschieden sind, von denen, in denen Übergriffe auf Frauen passieren. Mir kam da direkt der Film 'American History X' in den Sinn, der eine Vergewaltigungsszene eines Mannes in einem amerikanischen Gefängnis zeigt. Zugegeben auch hier nicht "in Fülle" (was auch immer du damit genau meinst). Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass solche Szenen in Filmen, die im Gefängnis spielen, häufiger mit / an Männern gezeigt werden als an Frauen.

    EDIT: Vergewaltigung in der Ehe gab es bis 1992 bzw 1997 nicht als rechtlichen Begriff, konnte daher auch nicht als solche bestraft werden, sondern nur als Nötigung und/oder Körperverletzung mit milderem Strafmaß schon (Danke Dion für die Korrektur hier).

    Ursprüngliche Formulierung

    Vergewaltigung in der Ehe war in Deutschland ja bis 1992 nicht verboten bzw. nicht strafbar, d.h. in rechtlichen Begriffen konnte eine Vergewaltigung nur außerhalb der Ehe passieren.

    Dieses Konzept bzw. das Denken, das man damit unterstellen kann, ist mir persönlich absolut fremd, aber ist ein Beispiel dafür, wie viel hier letztlich in den letzten Jahren gesellschaftlich passiert (angestoßen wurde die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe schon früher, aber der Widerstand der Konservativen verhinderte das; trotzdem ist das nur 32 Jahre her). So, nun haben wir wieder einen völlig anderen Kontext, in dem die Darstellung einer Vergewaltigung auch als Kritik gelesen werden könnte. Für GoT sehe ich das nicht, da glaube ich schon, dass das Argument "Sex sells" eher im Vordergrund steht und auch als Kritik ein Stück weit berechtigt ist. Es ist halt eine komplexe Situation.

    Wenn ich jetzt mal einen Schritt weiter gehe und mich frage, welche Funktionen das Zeigen einer Vergewaltigung haben kann, fallen mir folgende Gründe ein:

    • reine Unterhaltung für den Konsumenten - sehe ich höchst kritisch
    • Die (einzelne) Vergewaltigung ist wichtiges Ereignis für eine Charakterentwicklung. Ich hatte das für Daenerys schon mal angerissen. Für Derek (der amerikanische Neo-Nazi-Charakter, der in American History X von anderen Neo-Nazis vergewaltigt wird, weil er deren Geschäfte mit Latinos und Afro-Amerikaner ideologisch ablehnt) ist es der Wendepunkt, ab dem er sich von der Nazi-Ideologie löst. Die Darstellung der Vergewaltigungen fokussiert mMn fast immer auf die Opfer, da nur bei diesen durch die Vergewaltigung ein Wandel in der Charakterentwicklung ausgelöst wird.
    • Vergewaltigung an sich ist ein gesellschaftliches Thema, auf das durch die Darstellung Aufmerksamkeit gelenkt werden soll.
    • Die (einzelne) Vergewaltigung ist Teil der Auseinandersetzung mit einem anderen gesellschaftlich relevantem Thema. Das könnte ich unter Umständen mit etwas gutem Willen z.B. bei Daenerys gelten lassen, wenn man darauf fokussiert, dass die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau eines der vielen Themen ist, die in GoT / ASoIaF angeschnitten werden.

    Bestimmt gibt es noch mehr und andere Gründe. Es muss auch niemand diese Gründe für gut empfinden, ist auch klar. Mir geht es auch nicht darum, Vergewaltigungsszenen als super gut darzustellen, sondern darum, Verständnis dafür zu erzeugen, dass eine Szene immer aus mehreren Perspektiven betrachtet und interpretiert werden kann.

    Wie würdet ihr dem Leser diese Information übermitteln?

    Ich würde das irgendwie indirekt vermitteln, vielleicht mit einer kleinen Szene mit Verweis auf etwas, was in diesem Jahr (oder kurz vorher) passiert ist oder noch ansteht. Wikipedia ist da extrem hilfreich: 1901.

    Auf den ersten Blick fällt mir auf, dass in diesem Jahr zum ersten Mal Nobelpreise vergeben werden. Das könnte man als Zeitungsmeldung, die ein Charakter vorliest, mit einbauen.

    Je nachdem, wann genau im Jahr deine Geschichte spielt, könnte ein Charakter auch ein Datum auf einen Brief schreiben und ihm dabei der vermutlich häufige Fehler passieren, dass er noch 1900 denkt, zwei Nullen schreibt und sich darüber ärgert.

    Wichtig ist, dass sich die Handlung dabei irgendwie sinnvoll an den Rest deiner Geschichte anknüpfen lässt. Wenn die Geschichte also 1901 in einem kleinen, weltabgewandten Dörfchen einer fundamentalistisch-christlichen Gemeinde im Nirgendwo von Amerika spielt, wo es keine Zeitung gibt und es vielleicht auch egal ist, ob es 1901, 1912 oder 5661 (z.B. nach jüdischer Zeitrechnung) ist, dann passt das vielleicht nicht. Oder ganz besonders, wenn ein Zeitungsexemplar mit Datum eine Sensation ist, die den Plot der Geschichte los tritt.

    Weitere Gelegenheiten, bei denen man ein Datum anbringt und das jemand schreiben oder gravieren muss: Grabsteine/-kreuze, Karten zur Geburt von entfernt lebenden Verwandten, Gebäude (z.B. im Türstock oder im Giebel),...

    Ich könnte mir auch so etwas wie eine offizielle Ankündiung vorstellen. Ich bin wieder im militärischen Kontext und wieder auf dem Land in einem kleinen Dorf, wo vielleicht ein berittener Bote aus der Stadt ankommt und vor den versammelten Männer ab 18 Jahren "die Musterung des Jahres 1901" für den kommenden Samstag ankündigt etc pp. Die Schwierigkeit könnte hier sein, dass du einen Spagat in der Sprache zwischen der Imitation einer echten, offiziellen Ankündiung und der normalen Sprache deiner Charaktere hinbekommen musst, falls deine Charaktere eher so sprechen wie wir.

    Jubilarfeiern könnten auch funktionieren, z.B. mit christlichen Hintergrund wie Silberne Konfirmation / Firmung oder mit bildungsbezogenem Hintergrund wie Schulabschluss / Klassentreffen oder vielleicht auch mit militärischem Hintergrund wie die Entlassung aus der Reserve nach (müsste man jetzt googeln, aber mal als Beispiel) 25 Jahren. Bei diesen Gelegenheiten ließe sich auch das Alter der Charaktere ein bisschen mit einordnen oder sogar ohne es zu nennen trotzdem mitteilen: Mit 20 den Wehrdienst abgeschlossen, mit 45 aus der Reserve ausgeschieden. Das ließe sich auch gut zur Beschreibung des Settings verwenden, erfordert aber unter Umständen ein bisschen mehr Rechercheaufwand.

    ich kann keinen Grund finden, weshalb man nicht vor dem Sex ablendet, wenn die Story schon so aufgebaut sein muss, dass Dany 13 Jahre alt ist bzw. in all diesen Szenen noch minderjährig.

    Ich weiß nicht, inwieweit du bei der folgenden Interpretation von Daenerys Charakterentwicklung mitgehen kannst: Daenerys Story handelt auch (!) von einem machtlosen Mädchen, das entgegen widriger Umstände zu einer selbstbewussten, teilweise selbstbestimmten (als Königin von Mereen unterliegt sie anderen Zwängen) und mächtigen Frau wird. Eine Facette ist dabei auch, dass sie - entgegen der historischen, mittelalterlichen Moralvorstellungen - ihr Sexleben selbst bestimmt. Im Kontext dieser Entwicklung aus einer letztlich machtlosen Position (ihr Bruder verheiratet sie, Kal Drogo kann unabhängig von ihrer Zustimmung oder ihren Wünschen die Ehe vollziehen) macht es durchaus Sinn, bis zu einem gewissen Grad ins Detail der Beschreibung des Sexs zu gehen. Die Serie hat das ja sehr explizit dargestellt, in den Büchern ist es glaube ich nicht ganz so explizit. Natürlich ist das keine Entschuldigung für völlig übertriebenen Darstellung von Sex und Gewalt, also Grenzen existieren immer noch. Es ist auch kein Grund dafür, dass Dany 13 Jahre alt sein muss, aber wenn sie schon z.B. 18 wäre, wäre das für eine moderne Leserschaft wiederum weniger glaubhaft. Mit 18 ist man normalerweise ein bisschen reifer als mit 13. Ich würde es zumindest so interpretieren, dass hier verschiedene Anforderungen (jung, etwas naiv, noch Entwicklungspotential, in der fiktiven, aber an Vorstellungen über das reale Mittelalter angelehnten Welt, für moderne Leser in ihren Wünschen, Gedanken und Entwicklungen nachvollziehbar, etc. ) aus unterschiedlichen Perspektiven (Plot, Charakterentwicklung, Möglichkeit, bestimmte Themen aufzugreifen, Interesse für moderne Leser) an die Charaktere gestellt werden und dann - von G.R.R. Martin - eben eine Entscheidung getroffen werden musste.

    Ganz abgesehen davon hat mich beim Lesen von ASoIaF das Alter von Bran (7) und Arya (9) mehr "gestört". Die kamen mir von ihrem Charakter her eigentlich zu alt vor. Meine Reaktion war, die Altersangaben einfach zu ignorieren. So ganz passt unsere Jahres- & Alterszählung ja auch nicht zu den "magischen Jahreszeiten" ("the long summer", der sich über mehrere Jahre erstreckt und der ominöse Winter, der auch nicht jedes Jahr kommt, sondern wesentlich unregelmäßiger). Aber das ist vielleicht nochmal ein eigenes Thema für eine Diskussion über Möglichkeiten und Probleme beim Weltenbau.

    20thcenturyman Danke dafür, dass du hier ein bisschen über 'Die Ringe der Macht' berichtest. Ich hab Staffel 1 irgendwann (vielleicht nach 6 Folgen oder so) abgebrochen, weil mir das alles zu platt und schlecht geschrieben schien, maW mich mehr traurig gemacht hat statt mich zu unterhalten.

    Ich war damals nach dem Kinobesuch von 'Die Gefährten' sehr enttäuscht, dass die filmische Umsetzung so stark von der Buchvorlage abgewichen ist und ua Tom Bombadil nicht vorkam. Heute denke ich mir, dass Tom eher schwierig ins Setting von Mittelerde passt und es besser war, auf ihn zu verzichten. Dass er jetzt in einer aus meiner Sicht eh schon verhunzten Serie noch auftaucht, lässt mich eigentlich nur traurig den Kopf schütteln.

    Ergänzen zu Thorsten s Unterscheidung in zwei Ideen von Literatur ( A) "Fantasy-Literatur hat eine starke Wechselwirkung mit der realen Welt" (meine etwas freie Umschreibung) und B) "Fantasy-Literatur darf stark von der realen Welt losgelöst sein" ) ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Diskussion auch quer dazu mit zwei unterschiedlichen Fokussen geführt wird:

    1) Fokus auf die Literatur / den Buchmarkt als Ganzes

    2) Fokus auf ein einzelnes Werk

    Wenn ich aus der Autorenperspektive für mich persönlich die Freiheit des Schreibens betone, argumentiere ich mit Fokus 2). Hier wird hoffentlich auch niemand jemandem vorschreiben wollen, welche Punkte einer Checkliste unbedingt enthalten sein müssen. Aber natürlich gibt es Dinge, die unter Umständen rechtlich trotzdem verboten sind zu schreiben (Glorifizierung von Gewalt, Volksverhetzung etc.).

    Wenn man mit Fokus 1) unterwegs ist, dann fallen häufig Sätze wie "Mir ist aufgefallen, dass viele Werke immer die gleichen Muster wiederholen". Ich mag gar nicht abstreiten, dass stimmen kann, aber ich kann es selbst absolut nicht einschätzen. Ohne dass man hier explizit macht, welche Werke man betrachtet, ist die Diskussion relativ sinnlos, weil niemand wirklich drauf eingehen kann. Für mich wäre hier z.B. sinnvoll eine Reihe von Fragen zu formulieren und der Diskussion voranzustellen: Was sind die 20 meistverkauften Fantasy-Romane seit 2000? Wie viele PoC / queere / trans /... Charaktere gibt es darin jeweils? Welche Rollen erfüllen diese innerhalb der Romane? Wie angemessen / akzeptabel ist die Art der Darstellung für Leser der jeweiligen Gruppe? Was bedeuten die gewonnen Erkenntnisse / wie gut passen die zu der von Thorsten formulierten Idee A)? Geben die Romane vielleicht auch interessante Alternativemodelle, die so nicht in der realen Welt für [beliebige Gruppe oder Thema einfügen]?

    Mit der Idee A wären mit Fokus 1 auch Fragen (bedingt) sinnvoll wie: Welche Gruppen sind unter den Autoren dieser Romane vertreten? Wie setzen sich die Leser zusammen?

    Man kann natürlich bei der Auswahl der Werke, die unter Fokus 1 diskutiert werden, natürlich alles mögliche mit betrachten oder weglassen. Im für die Diskussion schlimmsten Fall redet halt jeder über das, was er oder sie halt kennt - sprich aneinander vorbei ^^ . Die Überschneidungen dürften sich vermutlich auf eine Handvoll Werke beschränken (LotR, Asoiaf, Harry Potter,...) und man wird vielleicht noch Filme und Serien mit hinzuziehen.

    Für mich persönlich ist das Thema Diversität mit allen Facetten vor allem aus der eher literaturwissenschaftlichen Perspektive (Fokus 1) interessant. Für mein eigenes Schreiben gestehe ich ehrlich, dass Queerness und Transpersonen vermutlich nicht den Weg in einer meiner Welten finden werden. Ich finde die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und die damit verbundene Darstellung von Hautfarben mit all ihren Herausforderungen sowie den angemessenen Umgang mit der Übernahme von Aspekten und Ideen aus anderen Kulturen (Stichwort "cultural appropriation") spannender.

    Ich sehe es allgemein kritisch, dass alles eine Rolle in einer Geschichte haben soll und nicht einfach seiner selbst Willen da sein darf.

    Lustigerweise hab ich da vorhin beim Abspülen drüber nachgedacht, fand es aber eigentlich einleuchtend, dass ich persönlich nichts schreibe, von dem ich nicht erwarten würde, dass es einen Beitrag zur Geschichte leistet. Das muss nicht relevant für den Plot sein, es kann zur Charakterisierung dienen, dem World-Building, oder z.B. im Fall von Humor oder besonders schönen lyrischen Formulierungen auch einfach den Leser unterhalten. Es dürfte aber klar sein, dass die vom Autor intendierte Rolle nicht unbedingt die gleiche ist, die ein beliebiger Leser interpretiert. Ich stelle mir da gerade eine Szene "Banküberfall" in "unserer Welt" vor. Wenn ich erwähne, dass am Bankschalter 5 Leute anstehen und eine Frau davon scheint aus Sicht des POVs trans zu sein, aber niemand verhält sich deshalb auffällig, dann funktioniert das vermutlich gut, weil sich die Beschreibung dann eher unauffällig in die Gesamtsituation einfügt und die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu sehr auf etwas anderes lenkt als das, was für den Banküberfall nötig ist. Wenn ich mir aber die Hälfte der Szene Zeit nehme, um die Transfrau im Detail zu beschreiben, diese aber keine Rolle mehr spielt, sobald der Bankräuber (oder die Bankräuberin) auftaucht, dann würden vermutlich manche mit der Stirn runzeln. Warum nimmt man sich viel Zeit ein Element einer Szene zu beschreiben, wenn es dann für die übergeordnete Idee der Szene nicht relevant ist? Das hat für mich eigentlich auch überhaupt nichts mit dem Thema Diverstiät zu tun, sondern mehr mit dem Schreiben grundsätzlich. Würde in der Schlange am Bankschalter ein nackter Mann stehen, reicht die kürze der Beschreibung schon, um beim Leser den Fokus auf den nackten Mann zu richten. Man kann natürlich einwerfen, dass das schon davon abhängt, welche Mentalität der jeweilige Leser mitbringt. Bestimmt gibt es leider auch noch genug, die sich an einer kurzen Erwähnung einer Transfrau, die am Bankschalter in einer Schlange steht, stören. Vermutlich gibt es aber auch Leute, die sich auch daran stören, dass erwähnt wird, dass die Frau eine Transfrau ist und durch die besondere Hervorhebung ihres Andersseins letztlich Transpersonen diskriminiert werden würden. Kann man (als Autor) dann auch irgendwie nix machen :pardon:

    Es ist jetzt nicht direkt Fantasy im engeren Sinn, aber Science-Fiction mit einer alternativen Realität...

    The Man in the High Castle (Philipp K. Dick, 1962)

    Ich hab da letztens die Amazon-Serie gesehen und jetzt lese ich mal die Buchvorlage, an der sich lose orientiert wurde. Bisher sehr angenehm zu lesen, auch wenn ich es noch nicht unbedingt spannend finde. Ein paar Themen werden angeschnitten, die so nicht in der Serie (oder nicht so präsent) vorkamen, etwa "Place" als "Herkunftsort", der sehr relevant für das soziale Ansehen ist.

    Das Setting ist so, dass der Zweite Weltkrieg von Japan, Nazi-Deutschland und Italien gewonnen wurde, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. Der Schauplatz der Story, Nord-Amerika bzw. die USA, ist im Osten Teil des Nazi-Reichs, im Westen japanisch besetzt und entlang der Rocky Mountains befindet sich eine Pufferzone, die "neutral states". Die Nazis sind dabei deutlich den Japanern technologisch überlegen, sie sind sogar schon zum Mars geflogen. Der namensgebende "Man in the High Castle" ist in der Serie ein Mann, der Zugang zu Filmen alternativer Realitäten hat - also zu Filmen, die zeigen, dass die Nazis besiegt wurden und besiegt werden können. Das ist da zentraler Bestandteil der Bemühungen, Widerstand gegen das Regime zu mobilisieren. Im Buch sind es wohl keine Filme, sondern ein Buch - "The Grasshopper lies heavy" - das beschreibt, wie die Welt in unserer Realität aussieht, wo die Nazis besiegt wurden etc. pp.

    Was ist daran eigentlich falsch? Ohne den entsprechenden Text und die Hintergründe dazu zu kennen, kann man schwer beurteilen wie gerechtfertigt oder überzogen die Korrektur dazu war. Die Frage ist auch, wieso sollte mein Text auch bestimmten Personen aufstoßen, wenn ich es verhindern kann.

    Falsch ist daran erst einmal gar nichts, wenn man die Aufgabe an den Sensitivity Reader so formuliert: Welche im Text verwendeten Darstellungen sind evtl. aus welchen Gründen problematisch?

    Kritischer sehe ich eine Frage wie: Welche Personengruppen könnten sich durch den Text übergangen fühlen? Bei Sachtexten mag das schon auch gerechtfertigt sein, bei fiktionalen Texte geht mir das dann schon zu sehr in Richtung Erfüllung von Diversitätsquote. Allerdings hängt das natürlich auch vom Einzelfall ab. Ich denke da gerade etwa daran, dass ein Sensitivity Reader mir dann sagen würde, dass zu wenig PoC, nur heterosexuelle Menschen vorkommen oder sich Transpersonen ausgeschlossen fühlen könnten. Da ist mir persönlich die Freiheit als Autor einfach wichtiger als der berechtigte Wunsch nach literarischer Representation.

    Insgesamt sehe ich die Entwicklung ein klein bisschen kritisch, weil ich dahinter das Mindset vermute, dass man sich die Welt zu einer feel-good-Erfahrung weichspülen kann. Mal aus Sicht des Lesers formuliert: "Egal wer ich bin, ich kann mir sicher sein, dass das, was ich lese, nichts enthält, was mir irgendwie Unbehagen bereiten kann." Das ist etwas überspitzt formuliert und soll nur illustrieren, was ich meine. Ich persönlich mag es halt aber auch, mich an Themen zu reiben, mich damit auseinanderzusetzen und kritisch zu durchdenken. Gerade Erfahrungen, die man selbst nicht machen kann oder möchte, sind häufig spannend, wenn man sie eben doch literarisch erfahren kann.

    Ich hab Kvothe leider gar nicht mehr so genau in Erinnerung, fand aber die Welt und die Geschichte ultra spannend und hoffe, dass da irgendwann mal noch der dritte Band herauskommt. :hmm:

    b) ... eine gute Tat vollbringt, sich dafür in den höchsten Himmel lobt und es nebenbei noch irgendwie schafft, zu erwähnen, dass er die Fähigkeit, die für das Vollbringen der guten Tat notwendig war, (selbstverständlich) in Rekordzeit gelernt hat und er der beste Lautenspieler oder was auch immer sonst noch in der näheren und ferneren Umgebung ist.

    Ich verstehe voll (und kann es aus dem realen Leben auch nachvollziehen), dass ein solcher Charakter unsympathisch wirkt. Aber wenn es sich um einen außergewöhnlichen Menschen handelt, bei dem das halt so zutrifft (z.B. wegen einer Hochbegabung / ist vom Schicksal auserwählt), warum sollte er dann lügen? Damit sich Menschen mit weniger Begabung besser fühlen? Für mich liegt darin eine gewisse Tragik und Traurigkeit, weil Zurückhaltung und Bescheidenheit in unserer Gesellschaft (teilweise auch zu recht) höher angesehen werden und der Hochbegabte zumindest in der Jugend häufig in eine Außenseiterrolle gedrängt wird. Eigentlich müsste man ja eher mit dem Charakter mitfühlen.

    Ich muss mittlerweile sagen, dass es mir gar nicht mehr so wichtig ist, ob ich einen Charakter sympathisch finde. Für mich ist das Lesen mehr eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was mir da geboten wird (Charaktere, Welten, gedankliche Konzepte von was auch immer, die Art, wie ein Autor eine Geschichte schreibt, Stil & Sprache, Wortschöpfungen etc.). Aber ich muss auch zugeben, dass Kvothe da manchmal schon sehr nervig war und zwar immer dann, wenn er auf vorhersehbare Weise dumm gehandelt hat. Was er leider immer und immer wieder tut. :patsch:

    Mir kam beim Lesen gerade der Gedanke, dass man "Show, don't tell" nicht immer nur auf Charaktere beziehen muss, sondern durchaus auch auf die Welt als Ganzes (oder halt auch Teile davon). Gerade in der Fantasy spielt die Welt / der Weltenbau ja eine wichtige Rolle. Ich meine damit nicht nur den physischen Teil (Kontinente, Landschaften, etc. pp.) sondern auch Gesellschaften und Religionen. Ich würde hier (anders als bei den Charakteren) fast davon ausgehen, dass grundsätzlich mehr Show eingesetzt wird als Tell, einfach weil man sonst sehr leicht in eine Art Info-Dump gerät, in dem man den Lesern mal eben die Welt erklärt und dann mit der Handlung loslegt. :hmm:

    Im Kopf habe ich gerade die Art und Weise, wie man dem Leser vermittelt, dass Priester in einer Stadt/Gesellschaft höchstes Ansehen genießen und quasi absolute Macht habe. Man könnte das per Tell machen und das in einem Satz erzählen. Oder man schreibt eine kurze Szene, die zeigt, wie sich das äußert und kann dann, wenn man mit personalen Erzählern arbeitet, den POV durch seine emotionale Reaktion auf die Beobachtung charakterisieren.

    Ich wäre ohne Zögern bereit, Lobeshymnen auf die First Law Trilogie von Joe Abercrombie zu singen (sobald ich die Zeit finde, all meine Gedanken dazu zu ordnen und gescheit abzutippen) – vielleicht kommen wir dahingehend eher überein? Zumindest ist das für mich so ziemlich die einzige Buchreihe in den letzten paar Jahren, bei der ich das Gefühl habe, endlich gefunden zu haben, wonach ich suche

    Oh ja, die finde ich auch großartig! Obwohl mir da der Einstieg extrem schwer viel. Hätte ich es nicht für die Uni lesen müssen, wer weiß, ob ich das nicht abgebrochen hätte. :hmm: Kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen, ich glaube, ich lese die jedes Jahr aufs neue ^^

    Ich lese gerade "Planen. Entscheiden. Herrschen." - ein Buch über die Geschichte vom Rechnen zur elektronischen Datenverarbeitung. Klingt wahnsinnig langweilig und ich habe es auch nur aus dem Regal geholt, weil ich was zum Lesen vorm Einschlafen gesucht habe. Überraschenderweise ist es relativ spannend und stellt die Anfänge menschlicher Kultur(en) aus Sicht von Verwaltung, Beamtenwesen und dem dazu nötigen Denk-, Rechen- und Buchhaltungswerkzeugen dar. Später geht es wohl auch noch um den Einsatz von Computerprogramme für militärische und nicht militärische Zwecke. Das Buch ist von 1988 also vermutlich teilweise schon veraltet. Trotzdem finde ich es spanned und ich werde wohl auch die ein oder andere, für mich neue Erkenntnis mitnehmen.