Ergänzen zu Thorsten s Unterscheidung in zwei Ideen von Literatur ( A) "Fantasy-Literatur hat eine starke Wechselwirkung mit der realen Welt" (meine etwas freie Umschreibung) und B) "Fantasy-Literatur darf stark von der realen Welt losgelöst sein" ) ist mir immer wieder aufgefallen, dass die Diskussion auch quer dazu mit zwei unterschiedlichen Fokussen geführt wird:
1) Fokus auf die Literatur / den Buchmarkt als Ganzes
2) Fokus auf ein einzelnes Werk
Wenn ich aus der Autorenperspektive für mich persönlich die Freiheit des Schreibens betone, argumentiere ich mit Fokus 2). Hier wird hoffentlich auch niemand jemandem vorschreiben wollen, welche Punkte einer Checkliste unbedingt enthalten sein müssen. Aber natürlich gibt es Dinge, die unter Umständen rechtlich trotzdem verboten sind zu schreiben (Glorifizierung von Gewalt, Volksverhetzung etc.).
Wenn man mit Fokus 1) unterwegs ist, dann fallen häufig Sätze wie "Mir ist aufgefallen, dass viele Werke immer die gleichen Muster wiederholen". Ich mag gar nicht abstreiten, dass stimmen kann, aber ich kann es selbst absolut nicht einschätzen. Ohne dass man hier explizit macht, welche Werke man betrachtet, ist die Diskussion relativ sinnlos, weil niemand wirklich drauf eingehen kann. Für mich wäre hier z.B. sinnvoll eine Reihe von Fragen zu formulieren und der Diskussion voranzustellen: Was sind die 20 meistverkauften Fantasy-Romane seit 2000? Wie viele PoC / queere / trans /... Charaktere gibt es darin jeweils? Welche Rollen erfüllen diese innerhalb der Romane? Wie angemessen / akzeptabel ist die Art der Darstellung für Leser der jeweiligen Gruppe? Was bedeuten die gewonnen Erkenntnisse / wie gut passen die zu der von Thorsten formulierten Idee A)? Geben die Romane vielleicht auch interessante Alternativemodelle, die so nicht in der realen Welt für [beliebige Gruppe oder Thema einfügen]?
Mit der Idee A wären mit Fokus 1 auch Fragen (bedingt) sinnvoll wie: Welche Gruppen sind unter den Autoren dieser Romane vertreten? Wie setzen sich die Leser zusammen?
Man kann natürlich bei der Auswahl der Werke, die unter Fokus 1 diskutiert werden, natürlich alles mögliche mit betrachten oder weglassen. Im für die Diskussion schlimmsten Fall redet halt jeder über das, was er oder sie halt kennt - sprich aneinander vorbei . Die Überschneidungen dürften sich vermutlich auf eine Handvoll Werke beschränken (LotR, Asoiaf, Harry Potter,...) und man wird vielleicht noch Filme und Serien mit hinzuziehen.
Für mich persönlich ist das Thema Diversität mit allen Facetten vor allem aus der eher literaturwissenschaftlichen Perspektive (Fokus 1) interessant. Für mein eigenes Schreiben gestehe ich ehrlich, dass Queerness und Transpersonen vermutlich nicht den Weg in einer meiner Welten finden werden. Ich finde die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und die damit verbundene Darstellung von Hautfarben mit all ihren Herausforderungen sowie den angemessenen Umgang mit der Übernahme von Aspekten und Ideen aus anderen Kulturen (Stichwort "cultural appropriation") spannender.
Ich sehe es allgemein kritisch, dass alles eine Rolle in einer Geschichte haben soll und nicht einfach seiner selbst Willen da sein darf.
Lustigerweise hab ich da vorhin beim Abspülen drüber nachgedacht, fand es aber eigentlich einleuchtend, dass ich persönlich nichts schreibe, von dem ich nicht erwarten würde, dass es einen Beitrag zur Geschichte leistet. Das muss nicht relevant für den Plot sein, es kann zur Charakterisierung dienen, dem World-Building, oder z.B. im Fall von Humor oder besonders schönen lyrischen Formulierungen auch einfach den Leser unterhalten. Es dürfte aber klar sein, dass die vom Autor intendierte Rolle nicht unbedingt die gleiche ist, die ein beliebiger Leser interpretiert. Ich stelle mir da gerade eine Szene "Banküberfall" in "unserer Welt" vor. Wenn ich erwähne, dass am Bankschalter 5 Leute anstehen und eine Frau davon scheint aus Sicht des POVs trans zu sein, aber niemand verhält sich deshalb auffällig, dann funktioniert das vermutlich gut, weil sich die Beschreibung dann eher unauffällig in die Gesamtsituation einfügt und die Aufmerksamkeit des Lesers nicht zu sehr auf etwas anderes lenkt als das, was für den Banküberfall nötig ist. Wenn ich mir aber die Hälfte der Szene Zeit nehme, um die Transfrau im Detail zu beschreiben, diese aber keine Rolle mehr spielt, sobald der Bankräuber (oder die Bankräuberin) auftaucht, dann würden vermutlich manche mit der Stirn runzeln. Warum nimmt man sich viel Zeit ein Element einer Szene zu beschreiben, wenn es dann für die übergeordnete Idee der Szene nicht relevant ist? Das hat für mich eigentlich auch überhaupt nichts mit dem Thema Diverstiät zu tun, sondern mehr mit dem Schreiben grundsätzlich. Würde in der Schlange am Bankschalter ein nackter Mann stehen, reicht die kürze der Beschreibung schon, um beim Leser den Fokus auf den nackten Mann zu richten. Man kann natürlich einwerfen, dass das schon davon abhängt, welche Mentalität der jeweilige Leser mitbringt. Bestimmt gibt es leider auch noch genug, die sich an einer kurzen Erwähnung einer Transfrau, die am Bankschalter in einer Schlange steht, stören. Vermutlich gibt es aber auch Leute, die sich auch daran stören, dass erwähnt wird, dass die Frau eine Transfrau ist und durch die besondere Hervorhebung ihres Andersseins letztlich Transpersonen diskriminiert werden würden. Kann man (als Autor) dann auch irgendwie nix machen