So, ich hab mich jetzt doch mal dazu entschieden, den nächsten Part aus der noch nicht überarbeiteten Geschichte zu posten.
Der Auftrag - Part 2 von voraussichtlich 3
Aus der Ferne hatte der Turm auf Tianon unscheinbar und klein
gewirkt. Vom Dorf aus sah man nur die Silhouette hinter einem der
Hügel. Als sie nun eben diesen Hügel langsam herab kamen, erkannte
er mehr.
Der Turm war Teil
einer kleinen Burg. Eine verfallene, nur noch etwa mannshohe Mauer
umgab einen Innenhof, auf dem die Ruinen von ein paar
Wirtschaftsgebäuden standen. Die Dächer waren eingefallen, die
Balken, die die oberen Stockwerke einst getragen hatten, verfault und
herabgestürzt. Wind und Wetter hatten Narben auf den Steinfassaden
hinterlassen. Einzig der Bergfried war noch einigermaßen intakt.
Besonders hoch war er nicht, dafür aber trutzig. Wie ein Zwerg,
klein, rund und dazu gemacht, selbst dem stärksten Sturm zu
widerstehen, dachte Tianon. Gekrönt war der Turm von einfachen
Zinnen und einem spitzen Dach, das einige Löcher aufwies.
Anscheinend hatte der neue Besitzer des Turmes nicht genügend Leute,
sein Heim in Stand zu halten.
Das war ein gutes
Zeichen. Je weniger Feinde, desto weniger musste er töten.
„Na, wenn darin
der Hexenmeister haust, dann wird er nicht viel Freude haben!“,
scherzte von Mannstein.
„Dafür aber ganz
viel schlechte Laune...“, brummte Krupp.
„Bald wird er
breit grinsen“, versprach Össbek.
Tianon hörte nicht
auf das weitere Geschwätz seiner Kameraden. Er wusste, dass sie aus
Angst immer große Sprüche klopften. Nur Fritz hielt sich zurück.
Tianon konnte nicht sagen, ob der Eisenmann keine Angst kannte und
deshalb schwieg oder ob es einfach seine Art war, vor einem Kampf
still zu werden und in sich zu gehen. Vielleicht ließ er sein Leben
noch einmal Revue passieren, dachte an all die Sünden, die er schon
begangen hatte und nahm sich vor, wenn er diesen Tag überlebte,
alles anders, alles besser zu machen. Tianon hatte auch solche Leute
kennen gelernt. Die wenigsten hatten den Sprung geschafft. Und nur
einer davon war ihm in Erinnerung geblieben. Er war einer der
schlimmsten Killer, die er je kennen gelernt hatte. Etwas über zwei
Meter groß, breitschultrig und stark wie ein Ochse, er war mit
Gewalt aufgewachsen und hatte die Gewalt zu lieben gelernt. Als Junge
hatte er Katzen gequält, als Mann Frauen vergewaltigt und Männer
verstümmelt. Nur weil es ihm Spaß machte. Und dann, eines Tages,
hatte er den Mann getroffen, der seinen Vater und seinen Bruder auf
dem Gewissen hatte... falls dieser Kerl ein Gewissen hatte. Der
Prahlhans hatte diesen Mann gesehen und war still geworden. Keine
Worte darüber, was er mit dem anderen tun würde, wie er ihn in
Stücke hacken wollte und die Körperteile an wilde Hunde verfüttern
würde. Er war still geworden und, so vermutete Tianon, hatte
angefangen zu denken. Nach dem Feldzug hatte er seine Sachen gepackt,
seinen Sold abgeholt und war aus dem Lager verschwunden. Für seinen
Bruder und seinen Vater hatte er keine Rache genommen. Tianon
vermutete, dass er zwar eine weise Entscheidung getroffen hatte, aber
sie mit jedem Schritt, um den er sich vom Lager entfernte, mehr
bereute. Bestimmt nagten die Zweifel an ihm und von tief innen kam
diese kalte Stimme, die stichelte und sagte: „Es wäre recht
gewesen, ihn zu töten. Es wäre sogar deine Pflicht gewesen.“
Mit einem
Kopfschütteln riss er sich aus seinen Gedanken. Der Turm lag vor
ihm, alles andere spielte keine Rolle.
Die Welt war grau.
Der Himmel, das trockene, hüfthohe Gras, die Männer um ihn herum.
Selbst Tianons Gemüt schien sich zu trüben. Am Horizont hinter dem
Turm drängten sich Schäfchenwolken zu einer dichten Herde. Der Wind
trieb sie über die Himmelsweide. Der Wolfswind... so nannten ihn die
Hrym, denn er heulte mit ihnen.
Mit einigen Blicken
verständigten sich die Söldner und zückten ihre Waffen. Langsam
fächerten sie in einen weiten Halbkreis aus und näherten sich dem
gespenstisch leeren Tor. Es sah aus wie eine Fratze, das Maul weit
geöffnet und leere Augenhöhlen gefühllos darauf wartend, dass sich
ein wehrloses Opfer in seinen Rachen wagte.
Ihre Mäntel
flatterten im Wind. Fritz kniff die Augen zusammen, während Krupp
vor sich hinmurmelte. Die anderen gingen schweigend, vornübergebeugt.
Tianon knetete mit seinen Fingern die Griffe seiner beiden Dolche.
Die schmalen Klingen waren matt, unscheinbar, aber scharf wie
Rasierklingen. Sie waren ein Geschenk gewesen...
Krupp war der
erste, der das Tor erreichte. Vorsichtig drängte er sich gegen die
Mauer und späte mit einem Auge in den dunklen Tunnel. Tianon sah
seine Lippen einen lautlosen Fluch murmeln, wahrscheinlich erkannte
Krupp nicht das geringste. Fritz kam von der anderen Seite, mit einem
Blick verständigten sie sich und er verschwand unter dem Tor, den
Kriegshammer zum Schlag bereit.
Tianon
und Baku erreichten das Tor gleichzeitig. Die Lippen des Jungen waren
blasser als sonst, aber seine Wangen waren gerötet. Tianon lächelte.
Andere Männer würden den Jungen auslachen oder Witze darüber
machen, aber Tianon fand es sehr
sympathisch. Schließlich hatte jeder Mann Angst.
Mit einem Klaps auf
die gepanzerte Schulter forderte Tianon Krupp dazu auf, Fritz zu
folgen, aber Krupp brummte nur, dass er da nicht hineingehen würde,
bevor Fritz nicht ein Zeichen gegeben hatte. Tianon schüttelte den
Kopf und ging selbst. Wer zurückblieb war ein Feigling, das war kein
Problem. Wer aber zurückblieb, während sein Kumpane in Gefahr war,
der war ein gemeiner Hundsfott.
Tianon schlich
durch den Tunnel. Hinter sich hörte er den leichten Tritt Bakus. Der
Junge wollte zeigen, wie mutig er war. Na wenn ihn das mal nicht
umbringt, dachte Tianon. Sein Herz klopfte gegen seinen Willen
schneller. Wer bereit ist, kann nicht überrascht werden,
schalt er sich. War er bereit? Konnte ein Mann oder eine Frau jemals
für das, was da kommen mochte, bereit sein? Bevor er weiter diesen
Gedanken nachging, erreichte er das Ende des Tunnels.
Vor ihm öffnete
sich ein kleiner Hof, der bis auf Fritz und einige Häufchen Stroh
leer war. Der Turm sich keine zehn Schritt vor ihm. Aus der Nähe
wirkte er noch gewaltiger als aus der Ferne. Und ein gutes Stück
bedrohlicher. Ein finsterer Riese voller Hinterhältigkeit und
Niedertracht. Zwischen Tianons Schulterblättern begann es zu jucken.
Es war diese eine Stelle, an die man fast nicht herankam. Bei Tianon
begann sie immer dann zu kratzen und zu kitzeln, wenn er erwartete,
böse überrascht zu werden.
Mit misstrauischen
Augen warf er einen sichernden Blick auf die Mauerkrone,
vergewisserte sich, dass dort keine versteckten Armbrustschützen
lauerten. Er konnte niemanden entdecken. Trotzdem blieb das Gefühl
und das Jucken.
Im Laufschritt
überquerte er den Hof und schloss zu Fritz auf, der mittlerweile
schon den Fuß der Treppe erreicht hatte, die zur Turmtüre
hinaufführte. Doppelt Mannshoch war sie, bestimmt zwanzig steinerne
Stufen, aber so schmal, dass ein breitschultriger Mann wie Fritz nur
sehr vorsichtig hinaufgehen konnte. Das es kein Geländer gab, war
zusätzlich beunruhigend. Tianon erwartete immer noch, das Surren von
Armbrustbolzen zu hören, aber es blieb Gott sei Dank aus.