Hach je, manchmal läufts...
Seelensplitter
Sie erwachte, als der Bus hielt und rundumher die anderen Mitreisenden Aufbruchstimmung verbreiteten. Jonna rieb sich die Augen, kramte ihren Rucksack zusammen und kletterte aus dem Bus.
„Whoooooohaaaaaaa!“ Sie traute ihren Augen kaum. Der Bus hatte direkt vor der Kaiserpfalz gehalten. Nicht mal hundert Meter entfernt lag das imposante Gebäude auf einem Hügel, als warte es nur darauf, erobert und erkundet zu werden. Ein absoluter Glückstreffer für Jonnas Orientierungskünste. Wie abgesprochen, meldete sie sich kurz bei der Reiseleiterin ab und stapfte erwartungsfroh los. Doch schon wenige Meter weiter blieb sie stehen. Was war das? Sie lauschte aufmerksam.
Trommeln.
Ganz eindeutig Trommeln. Wo kam das her? Jonna drehte ihren Kopf langsam hin und her, um den Ursprung der Trommelei zu orten. Es kam eindeutig aus der Richtung, in die die Reisegruppe grade unterwegs war zur Stadtführung.
Jonna schwankte einen Augenblick, blickte zu dem alten Gebäude hinauf, dann wieder in Richtung Stadt. Die Kaiserpfalz war schon einige Jährchen alt und war gewisslich demnächst späte nicht spontan zu Staub zerrieselt. Aber diese Trommeln… Jonna liebte Trommeln. Und besonders diesen Sound hier. Irgendwer mühte sich redlich ab, japanische Daikos zu spielen…. Jonna schenkte dem alten Gebäude einen entschuldigenden Seufzer und stiefelte so schnell sie konnte, in die Stadt hinein, immer den Trommeln nach. Sie hoffte so sehr, dass sie nicht aufhörten, bevor sie da war und ihre Wünsche wurden erhört. Auf dem Marktplatz der Stadt trommelte sich eine Truppe junger Leute mit Begeisterung die Seele aus dem Leib.
Es war Stadtfest, rundherum Verkaufsstände und Fressbuden. Jonna gönnte sich eine Kugel Eis und lauschte andächtig den Trommlern. Die Jungs und Mädels waren echt gut! Und zu Jonnas großer Freude hatten sie ihr Programm wohl gerade erst angefangen. Jonna suchte sich ein schattiges Plätzchen, lutschte an ihrem Eis und war zufrieden mit sich und der Welt.
Als die Trommler dann doch irgendwann durchgeschwitzt und keuchend ihr Programm beendeten, hatte Jonna von den zwei Stunden Aufenthalt gerade mal 30 Minuten übrig. Zeit für einen fetten Milchkaffee.
Jonna betrat ein kleines Cafe am Rande des Marktes und suchte sich ein Plätzchen, mit Blick aus dem Fenster. Es war nicht viel los hier drinnen, weil das Wetter stadtfestwürdig warm war und die Leute lieber draußen auf dem Markt die Fressbuden heimsuchten. Demzufolge war auch der Cafe schnell da und Jonna bezahlte sofort, um nachher einfach gehen zu können…
Das war heut ein richtig guter Tag! Bis auf das dumme Kribbeln im Genick richtig perfekt… Jonna versuchte, sich selber den Nacken zu kraulen… da öffnete sich die Tür mit Gebimmel und zwei Männer traten ein. Zuerst ein blonder Hüne im Dolph Lundgreen Look, allerdings bei weitem nicht so attraktiv. Hinter ihm ein Typ, der den Kopf einziehen musste, um sich die Stirn nicht am Querbalken einzuhauen. Nicht so überbemuskelt wie der blonde, aber trotzdem… nein gerade deswegen sehr ansehnlich… Ein wenig sah er aus, wie sich Jonna einen jungen griechischen Halbgott vorstellte. Wenn er nur etwas älter wäre, könnte man glatt in Versuchung kommen, hinüberzulächeln.
Stattdessen senkte Jonna den Kopf und lächelte belustigt ihren Kaffee an. Sie war schon so alt und trotzdem immer wieder blitzverguggt in hübsche Kerls. Dabei hatte sie doch schon so oft die Erfahrung gemacht, dass die hübschen immer wussten, dass sie hübsch waren. Und sich deshalb ziemlich arschlöchrig arrogant aufführten, weil sie dachten, sich nicht benehmen zu müssen. Oder aber sie waren dumm, weil hübsch sein reichte…
„Hallo!“ riss sie eine tiefe Stimme aus ihren Gedanken. Jonna sah auf und blickte dem GriechenJüngling direkt in die grauen Augen.
Sie schenkte dem Mann ein Lächeln: „Ja?“ Weiter reichte ihr Wortschatz grade nicht. Diese Optik und dann diese Stimme! Hey, da hatte sich das Universum tatsächlich mal richtig Mühe gegeben!
„Mein Name ist Marc Berger! Wie heißt du?“
Diese Frage riss Jonna aus ihrem kurz hochkochenden Hormonsüppchen. „Ich äh… weiß ich grade nicht“, erwiederte Jonna kurzentschlossen. Es brachte nichts, für 20 Minuten noch einen Flirt zu starten.
Der Mann war offenbar enttäuscht. Und Jonna tat das auch ganz dolle leid, änderte aber an ihrem Entschluss nichts. Die nächste Frage allerdings zog ihr den Boden unter den Füßen weg: „Aus welchem Rudel bist du?“ fragte der Mann.
„Wie bitte…. Was?“ Jonna war sich klar, dass sie wenig intelligent klang.
„Dein Rudel… woher bist du?“ der Mann schien irgendwie belustigt zu sein.
„Weiß ich grade nicht.“ Jonna hielt sich an ihrer Antwort fest wie an einem Rettungsseil. Der Wahnsinn versuchte sie gerade zu ersäufen. „Ich muss jetzt auch gehen!“
Jonna stand auf und versuchte nicht allzu hektisch ihren Rucksack vom Nachbarstuhl zu ziehen. „Schön sie kennengelernt zu haben!“ murmelte sie und wollte sich an dem Mann vorbei schieben… doch er griff nach ihrer Hand. „Lassen Sie mich lo….“ Jonna brach ab, und starrte irritiert auf ihre Hand in seiner. Hatte er eine blaue LED in der Handfläche? Das Leuchten wirkte fast magisch.
Jonna hob den Blick und sah den Mann fragend an: „Was… was ist das?“ Allerdings starrte der Mann ebenso fasziniert auf das blaue Leuchten.
„Du…?“ sagte er leise, hob seinen Blick und sah ihr in die Augen „Du bist da! Endlich!“
Jonna riss sich los und stürmte aus dem Cafe, quer über den Markt, dorthin, wo sie den Busparkplatz vermutete… „Bitte, lass mich richtig liegen… !“ flehte sie im Stillen, ohne zu wissen, wen sie darum bat. Und als sie erleichtert den Bus bereits da vorne stehen sah, setzte urplötzlich das Kribbeln im Genick wieder ein…