Komm!
Es ist ganz leicht.
Tu es, Lia!
Ihre Hand hob sich. (Das ist im Passiv, du könntest auch schreiben. "Sie hob ihre Hand…" Aber vermutlich ist es absichtlich so geschrieben, um zu zeigen, das Lia grade keine Kontrolle hat)
Die Rune darauf schwelte nach wie vor, doch je näher sie dem Seelenfresser kam, desto mehr glühte sie auf (desto heller glühte sie). Die Adern, welche zuvor noch dunkel hervorgestochen waren, leuchteten nun unnatürlich hell, als fließe flüssiges Gold hindurch.
Plötzlich, so kam es ihr vor, nahm sie ihre Umgebung viel intensiver war. Sie glaubte, ihren eigenen Herzschlag zu hören und spürte das Blut, wie es durch ihren Körper pulsierte. Emilias Blickfeld schärfte sich. Nun, da der Dämon im hellen Schein der aufflammenden Rune stand, sah sie das gesamte Ausmaß seiner boshaften Erscheinung.
In dem schwarzen, schattenhaften Gewand der teuflischen Kreatur wanden sich die verlorenen Seelen, die der Dämon geraubt hatte. Leidvoll klagend und dazu verdammt, für immer an diesem Ort zu verweilen, fügten sie sich zu dem luftigen und im Wind tanzenden Umhang zusammen. Schaurig und auf widerwärtige Weise abstoßend. Ein Schaudern durchfuhr sie, als ihr klar wurde, dass sie seinem Drängen um ein Haar nachgegeben hätte.
„Nein!“, hörte Emilia sich schließlich antworten und war selbst erstaunt darüber, wie fest ihre Stimme klang. „Vielleicht gibt es kein Entkommen für mich. Aber lieber schmore ich für immer im Höllenfeuer, statt mich Euch anzuschließen.“ Ein Krächzen, das an aufeinander schabendes Metall erinnerte, drang an Emilias Ohr. War das ein Lachen?
Der Dämon zog sich zurück und ließ seine ausgestreckte Hand in der Kutte verschwinden. Mit schiefgelegtem Kopf sah er sie an. Emilia spürte, das feine Knistern wie elektrische Spannung in der Luft, als seine mentalen Kräfte erneut in sie eindrangen. Es ging so schnell, dass sie ihn nicht daran zu hindern vermochte. Selbst nicht, wenn sie es gewollt hätte. (Das liest sich seltsam. Sie hat es doch sicher gewollt…)
Schwärze durchfuhr sie und griff mit klammen Fingern nach ihr, als der Dämon ihr seine Gedanken aufzwang und ihr einen Blick in sein Innerstes gewährte. Der beißende Geruch von Rauch und Verwesung fraß sich plötzlich in ihre Lungen, während sie den Blick hob. Die Höhlendecke mitsamt dem felsigen Gestein ringsum war verschwunden. Stattdessen zeichnete sich der Nachthimmel über ihr ab. Zig (Unzählige) Schatten in flatternden Umhängen stoben darüber. Wie eine Plage (Ich weiß was du meinst aber eine Plage fliegt nicht. Einfach "Schwarm" reicht) von Heuschrecken flogen sie zu hunderten, wenn nicht tausenden über das Land hinfort. Sie kreisten um eine Lichtquelle, die sich von der schaurigen Dämmerung abhob. Es war der Pentokrator. Er war geöffnet und aus seinem Inneren schoss ein greller Strahl purer göttlicher Energie hervor. Die Säule reichte bis weit in die Wolken hinauf. Blitze entluden sich und brachten ein unheilverheißendes Grollen mit sich.
Das Siegel! Es ist gebrochen.
Emilia beobachtete, wie sich die Schatten vereinten. Sie verschmolzen zu einem Strudel, der die Dämonen, einen nach dem anderen, in sich aufnahm. Es wuchs eine Kreatur heran, die größer und größer wurde. Die riesenhafte Gestalt ragte weit über Häuser, Bäume und Berge hinaus. Sie verschluckte jegliches Tageslicht, während sich ihr nachtfarbenes Gewand im aufbrausenden Wind bewegte und das Land darunter in Dunkelheit tauchte. Unter der übergroßen Kapuze flammten gelb lodernde Augen auf, die eine Feuersalve auf die Erde schickten und dafür sorgten, dass nichts, als verbrannte Asche zurückblieb.
Schließ dich uns an …
Oder sei des Todes!
Um Luft ringend tauchte Emilia aus dem grauenvollen Szenario auf. Ihr ganzer Körper schmerzte und die Trostlosigkeit der schrecklichen Bilder vertrieb auch noch das letzte bisschen Wärme aus ihrem Inneren. Darum bemüht, gegen das Zittern ihrer erstarrten Glieder anzukämpfen, hielt sie dem Blick des Dämons stand, der mit kühler, unberührter Distanz auf sie herabsah.
Tu es.
Oder besiegle dein Schicksal.
Und das aller anderen …
Er deutete zur Seite und gab den Blick frei auf den Weg, der bis dahin im Verborgenen gelegen hatte. Es war ein schmaler Pfad, der rechts und links von Zellen flankiert wurde und sich in der Unendlichkeit des Gewölbes verlor. (Ist es dann nicht eher ein Gang?) Zwischen Gitterstäben lugten Hände hervor, die sich verzweifelt an den Eisenstreben festklammerten. Vereinzelt konnte Emilia blasse Gesichter aufblitzen sehen und jede Menge Körper, die eng zusammengedrängt waren. Die Käfige quollen über vor Menschen.
Plötzlich blieb ihr Herz stehen.
Susan …
Im Halbdunkeln ließen sich ihre blonden Locken nur erahnen. Und trotzdem erkannte Emilia die Todesangst, die sich in den Zügen der jungen Frau spiegelte. In einer Ecke sitzend und am ganzen Körper zitternd, zeichneten sich direkt daneben Nils Umrisse ab. Die Arme schützend um den Kopf geschlungen presste er sich gegen die Felsen.
Emilias Gedanken flogen durcheinander. Wie in Dreiteufelsnamen (Das ist ja eher eine niedliche Frage) hatten die beiden hierher gelangen können? In die Hände der Seelenfresser. Ebenso, wie die anderen Irdischen? Das war unmöglich.
Willst du all diese Seelen opfern?
Das wirst du.
Und es werden noch viel mehr.
Bis wir haben, was wir begehren …
Die grausame Stimme des Seelenfressers hallte in ihr wider, als ihre Aufmerksamkeit auf eine der Zellentüren gelenkt wurde, die sich wie von Geisterhand öffnete. Der Arm des Dämons schwenkte in Richtung des Eingangs, woraufhin eine Gruppe von Menschen daraus hervortrat. Eine der Gefangenen blutete am Kopf. In den zitternden Händen hielt sie Büschelweise Haare, die sie sich gewaltsam ausgerissen haben musste. Die beiden anderen Frauen klammerten sich verzweifelt aneinander. Am ganzen Körper zitternd traten sie an der Seite eines Mannes über die Schwelle. Emilias Blick blieb an ihm hängen. Seine Kleidung hing wie ein verschlissener Flickenteppich an ihm herunter. Und unter den braunen, viel zu langen Haaren, die ihm in sein verdrecktes, von Schrammen übersätes Gesicht fielen, sahen Emilia vertraute braune Augen entgegen. Leid und Qual spiegelten sich darin.
Sie glaubte zu spüren, wie ihr Herz aussetzte. Nein! Das konnte nicht sein. Das war unmöglich!
„Silas“, flüsterte sie, den fassungslosen Blick nach wie vor auf den Menschen gerichtet, der von allen für Tod erklärt worden war. Obwohl er direkt vor ihr stand, wirkte er wie ein Geist. Eine Erscheinung.
Er schwankte, taumelte rückwärts gegen die Metallstreben, die ihm nur sporadisch Halt gaben. Es schien, als fehle ihm die Kraft sich aufrechtzuhalten.
Ich frage dich noch einmal.
Mit bösartigem Frohlocken loderten die flammenden Augen des Dämons auf, als er sich ihr zuwandte. Bist du bereit, diese Seelen zu opfern?
Es liegt in deiner Macht, sie zu retten.
Komm…
Und nimm deinen Platz ein.
Die Klauenhand der Kreatur hob sich und richtete sich auf ihre Opfer. Erschrocken wichen diese zurück. Silas. Zu schwach, um sich zu rühren, presste sich schutzsuchend an die Gitterstäbe in seinem Rücken und wandte in stummer Verzweiflung sein Gesicht ab. Kurz darauf durchbrach sein von Schmerz gepeinigter Schrei die Stille. Der grauenvolle Laut verband sich mit dem Kreischen der Frauen, das wie ein grausames Echo von den nackten Höhlenwänden widerhallte.
„Genug! Hört auf damit“, schrie Emilia. Doch ihre Stimme ging in dem heillosen Chaos unter. Die Schreie kamen nun von allen Seiten. Grell, hoch und auf beinahe erschreckende Weise unmenschlich. „Schluss damit! Aufhören! Hört endlich auf …“, rief sie gegen den ohrenbetäubenden Lärm an. Zorn, Hilflosigkeit und Verzweiflung fuhren ihr in die Glieder. Ihr ganzer Körper bebte vor Anspannung.
Und dann. Ganz plötzlich. War es vorbei. Von jetzt auf gleich fand sie sich auf ihrem Bett wieder. Ihr Herz raste wie verrückt.
Als sei sie aus einem Albtraum hochgeschreckt, brauchte sie einen Moment, um zu sich zurückzufinden. Obwohl die Stille in ihren Ohren rauschte, glaubte sie die qualvollen Laute der Menschen noch immer hören zu können. Susan … Nils … SILAS! …
Darum bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte sie zu verstehen, was gerade passiert war. (Diese Satzkonstruktion magst du. Ist nicht so meins. Sie bemühte sich …?)
Konnte das wirklich stimmen? War das tatsächlich real gewesen? Oder war es vielmehr das, was die Seelenfresser sie glauben lassen wollten?
Geräusche hallten aus dem Flur zu ihr ins Zimmer und rissen sie aus ihren Überlegungen. Stimmen wurden laut.
„Wo ist sie? Wir haben uns sofort auf den Weg gemacht, als wir hörten, was passiert ist.“ Das war Freddy. Er klang besorgt und außer Atem. Aber er hatte wir gesagt. Das hieß, Susan war bei ihm, oder nicht?
Erleichterung wollte sich in Emilia breitmachen, als Freddy fortfuhr. „Ich war mit Seraphina im Heaven, als Susan anrief und mir erzählte, was passiert ist. Ist sie noch nicht da?“
„Nein. Sie ist nicht hier.“ Augenblicklich glaubte Emilia eine gewisse Alarmbereitschaft in Elias Stimme hören zu können. (Oder: Elias Stimme klang alarmiert) Gleichzeitig spürte sie, wie sich ihr eigener Magen zusammenzog.
„Das ist seltsam. Ihr wird doch nichts passiert sein?“, erwiderte Freddy und obwohl er sich bemühte, leise zu sprechen, drang jedes seiner Worte wie ein Paukenschlag an Emilias Ohr.
„Freddy glaubt, einen Dämon gesehen zu haben“, ertönte nun eine weibliche Stimme, die ganz eindeutig zu Seraphina gehörte. „Als er mich kommen sah, hat er sich offenbar aus dem Staub gemacht. Allem Anschein nach hat er versuchen wollen, Freddy zu entführen …“
Emilia erstarrte. Es war, als höre sie das metallische Lachen des Seelenfressers. Beinahe glaubte sie, seinen eiskalten Atem zu spüren, der ihr den Rücken hinauffuhr. Fest presste sie die Lider zusammen. Als sie diese wieder öffnete, blickte sie auf die Rune, die nach wie vor auf ihrem Handrücken prangte. Sie war scharfkantig mit spitz zulaufenden Ecken!
Das eben war keine Einbildung. Die Vision, oder was auch immer es gewesen sein mochte, war echt … Es muss so sein. Sie haben Susan. Und Nils. Und Silas …
Emilia schluckte gegen die plötzliche Enge in ihrer Kehle an. Einige Sekunden verstrichen, in denen sie kurz davor stand, ihre Verzweiflung laut hinausschreien. Die Stimmen in ihrem Kopf verselbstständigten sich. Sie kamen von überall her und Emilia hätte nicht sagen können, welche davon aus ihr selbst kam und welche ihr von außen zuflüsterte.
Es ist ganz leicht, Lia.
Schließ dich uns an…
Willst du all diese Seelen opfern?
Sieh, was sie dir antun werden!
Es ist ganz leicht…
NEIN! … Niemals!
Zitternd vergrub sie die Hände in ihren langen Haaren und zog so fest daran, dass der Schmerz sie wieder zu sich kommen ließ. Hörbar sog sie die Luft ein, bevor sie ihren Blick über die glühenden Streben ihres Gefängnisses wandern ließ. Schließlich richtete sie sich auf und wischte sich grob über die noch tränenfeuchten Wangen. Die verzweifelte Resignation und das Gefühl trostloser Unabwendbarkeit, welches sie vorhin noch verspürt hatte, waren wie weggewischt. Hatte sie sich eben noch damit abgefunden ihren Kopf freiwillig aufs Schafott zu legen und dem allen ein Ende zu setzen, stieg nun eine unbändige Wut in ihr auf.
Wut auf die Seelenfresser.
Wut auf die Engelsfürsten.
Wut auf das, was ihr widerfahren war.
Wut darauf, was die Menschen erwartete, wenn es niemandem gelang, die Seelenfresser aufzuhalten …„Halte durch, Susan. Ich komme und hole dich. Ich hole euch da raus. Das verspreche ich. Und wenn es das Letzte ist, das ich tue“, flüsterte sie, während ihr Blick zu der Rune auf ihrer Hand wanderte. Ein leises Wispernd stieg in ihr hoch. Säuselnd. Betörend. Es weckte in ihr eine leise Ahnung. Den Hauch einer Idee nur. Als riefe sie ein längst vergessenes Wissen ab, das tief in ihrem Inneren verborgen lag. Das Klopfen an ihrer Zimmertür sorgte dafür, dass sie zusammenfuhr. Hastig ließ sie die Hand sinken und schob sie unter ihr Bein. Dann straffte sie sich und wandte sich der Tür zu, kurz bevor Freddy den Kopf durch den Spalt schob. Der Anblick ihres Freundes verursachte ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Magen und einen Moment war sie sich nicht sicher, ob sie stark genug sein würde, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Doch sie wusste, es gab keinen anderen Weg. Auch, wenn sie sich wünschte, dass es nicht so wäre.