Langsam senkte sich das Licht des Tages, als Elias die Pforte der Ratshalle passierte.
Vorschlag: Als Elias die Pforte …
Die Kühle, die aus den Jahrtausende alten Steinmauern kroch, verband sich mit dem vertrauten Geruch von Feuer und geräuchertem Persyn-Kraut.
Schnellen Schrittes marschierte er den langen, mit lodernden Feuerschalen gezierten, Gang entlang, und kam vor dem Rednerpult im Zentrum des großen Saals zum Stehen.
Soldaten marschieren. Ist das, das richtige Wort?
Leer und verwaist ragten die vielen Sitzbänke vor ihm auf. Lediglich zwei der unteren Plätze waren belegt.
Metatron und Seraphiel blickten ihm abwartend entgegen. Ihren Mienen war zu entnehmen, dass sie keine guten Nachrichten für ihn bereithielten, als sie sich langsam von ihren Plätzen erhoben.
Satz ist seltsam, da zwei unzusammenhängende Beobachtungen zusammengefügt werden
„Ehrwürdige Fürsten“, setzte Elias zu einer Begrüßung an. „Ihr verlangtet mich zu sprechen.“
„So ist es“, sagte Metatron und deutete eine knappe Bewegung mit dem Kopf an. „Es gibt einige äußerst beunruhigende Entwicklungen. - Wie steht es um die Irdische?“
Obwohl Elias Empfindungen nach wie vor unter einer Schicht aus Eis begraben waren, spürte er deutlich die Unruhe in sich aufsteigen, welche die Worte des Fürsten in ihm auslösten.
Die unheilverheißende Vorahnung, dass die ´beunruhigenden Entwicklungen` etwas mit Emilia zu tun hatten, ließ ihn kurz innehalten.
„Ihr Zustand ist nach wie vor unverändert“, gab er schließlich zurück. „Sie zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Zumindest nichts, was auf eine dämonische Einflussnahme zurückzuführen wäre. Jedoch zehren die Kräfte des Schwertes an ihr und die Isolation setzt ihr mehr und mehr zu. Ein Umstand, den wir womöglich nicht ausreichend bedacht haben.“
„Ihre Isolation garantiert unsere Sicherheit. Und die der gesamten Menschheit“, warf Seraphiel ein. „Ein vergleichsweise kleines Opfer, wenn man die Folgen bedenkt, die es nach sich ziehen würde, wenn sich unsere Befürchtungen bewahrheiten.“
... Wenn Dagons macht sie verzehrt und sie von der Finsternis verschluckt wird, präzisierte Elias gedanklich, was der Fürst nur vage angedeutet hatte. Bei der Vorstellung zog sich etwas in ihm zusammen.
Macht
Er fragte sich, was die Oberen seines Reiches tun würden, wenn er versagte – wenn es ihm nicht gelänge Emilias Wandlung zu verhindern. Die Konsequenzen hatte er bislang in die hintere Ecke seines Verstandes verbannt.
Konsequenzen kann man nicht verbannen. Jedoch Gedanken an Konsequenzen.
Doch etwas an der Art, wie Seraphiel ihn nun ansah, ließ ihn erahnen, dass sie ihm nicht gefallen würden.
„Wie gesagt. Ihr Zustand ist derzeit stabil“, erwiderte er knapp, während er den durchdringenden Blicken der Fürsten standhielt. „Wäret Ihr nun so gütig, mir zu verraten, warum Ihr mich herkommen ließet?“ Das Drängen in seiner Stimme klang fremd in seinen Ohren und doch auf eine Art befreiend. Es war, als durchströme ihn plötzlich eine sonderbare Kraft, der Hauch eines Gefühls nur, der ihn streifte, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Er versuchte, daran festzuhalten. Für einen Moment ließ die Enge in seiner Brust nach und er glaubte, seit ewigen Zeiten wieder durchatmen zu können
Verstehe nicht, warum er sich plötzlich anders fühlt.
Seraphiel schien den Wandel in seinem Verhalten zu bemerken, da er kurz in der Bewegung innehielt und Elias abschätzend anblickte. Dabei sah er aus, als habe er einen alten Bekannten wiedergetroffen, von dem er noch nicht recht wusste, ob er sich über das Wiedersehen wirklich freute.
„Wie du weißt, melden die Wächter an den Übergängen verstärkte Dämonenaktivitäten“, sagte er dann. „Es bleibt schwierig, die genaue Herkunft zu lokalisieren. Alleine in den vergangenen Stunden ist der Alarm an den Grenzposten zur irdischen Welt so oft angeschlagen, dass wir Mühe hatten, allen Hinweisen nachzugehen.“
„Die Auffälligkeiten sind inzwischen überall auf der Erde zu verzeichnen“, meldete sich Metatron zu Wort. „Vor Ort jedoch ließen sich keinerlei Spuren finden, die Rückschlüsse zuließen. - Bis jetzt.“
„Bis jetzt?“ Elias wurde hellhörig. „Heißt das, wir haben eine Spur?“
„Nun, heute Morgen wurde etwas gefunden...“, setzte Metatron an und deutete auf den Tisch, der ein Stück abseits neben dem Podest stand. Ein dunkles Tuch verdeckte, was sich darauf befand.
Langsam trat Elias näher. Dann hob er das feine Leinen an und warf einen Blick darunter. Mit erhobener Braue blickte er zu den Fürsten herüber. „Ein menschlicher Arm?“
„Ja“, bestätigte Metatron. „Bei einer Patrouille fand man ihn im Abwasserkanal in einem Vorort von Marseille. Er hatte sich in einem Sperrgitter verfangen und ist getränkt mit so viel dämonischer Energie, dass sich damit ein gefallener Zyamon wiederbeleben ließe.“
Elias zog das Tuch nun vollends zur Seite und streckte die flache Hand über das verstümmelte Körperteil. Dieses erhob sich daraufhin und schwebte vor ihm in der Luft, sodass er es aus der Nähe betrachten konnte. Selbst ohne weitreichende pathologische Kenntnisse hinterließ das zerfranste Gewebe mit den heraushängenden Sehnen und den zersplitterten Knochenteilen, die aus der Wunde ragten, ein deutliches Bild.
Nachdenklich besah Elias die verkohlte Haut und ließ seinen aufmerksamen Blick über die Stelle wandern, an welcher der Arm,vermutlich unter hoher Krafteinwirkung, vom Rest des Körpers getrennt worden war.
Dann schloss er die Augen. Er versuchte, sich auf den Menschen dahinter zu konzentrieren, dessen Seele zu ergründen.
Doch es war nur ein trüber, undurchdringlicher Schleier, den er sah. Kein Name. Kein Gesicht. Kein noch so kleiner Anhaltspunkt, der Aufschluss über den irdischen Besitzer gegeben hätte. Genauso gut hätte es sich um den verfaulten Kadaver eines Tieres handeln können.
„Weiß man, von wem er ist?“, fragte er schließlich und wandte sich wieder den Fürsten zu.
„Nein. Jemand hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet“, meldete sich in dem Moment eine Stimme, die er zunächst nicht zuordnen konnte. Ein Engel, der bislang im Schatten einer der hohen Säulen gestanden hatte, trat hervor.
Das kurzgeschorene helle Haar gab den Blick auf die Runen preis, die seine Kopfhaut zierten und sich gleichfalls den Hals hinunterzogen, wo sie in dem Kragen seiner weißen Robe verschwanden. Erfüllt von einem stechenden Blau blitzten seine Augen in dem trüben Dämmerlicht hervor wie scharf geschliffene Diamanten.
Ein Kalamatai.
Elias war sich nicht sicher, ob er jemals einem dieser Engel begegnet war. Es hieß, sie bewachten das Orakel und waren somit die Wächter über die göttliche Weisheit. Nach allem, was Elias gehört hatte, gab es nur eine Handvoll von ihnen und die Tatsache, dass sie sich so gut wie nie außerhalb der heiligen Hallen zeigten, ließ ihn einen Moment irritiert innehalten.
„Darf ich erfahren wer Ihr seid?“, fragte er und ließ den Engel nicht aus den Augen, der ihn mit einer Art reserviertem Interesse ansah. Die Kälte, die von ihm ausging, erinnerte Elias an die Kühle, die er selbst in sich trug.
„Das ist Jehoel“, antwortete Metatron. „Wir haben die Kalamatei in die Ermittlungen einbezogen, da wir hofften, mit ihrer Hilfe könnten wir zu neuen Erkenntnissen kommen.“
Jehoel schenkte Elias ein kaum wahrnehmbares Nicken, während sich sein durchdringender Blick in ihn hineinbohrte. Eine sonderbare Aura umgab den Engel. Elias glaubte die Energie förmlich spüren zu können, die von ihm ausging. Es war nicht mehr, als die Wahrnehmung eines Lufthauchs, der ihn streifte und ein plötzliches Unbehagen in ihm auslöste.
Elias reagierte nicht schnell genug und der Versuch sein Innerstes vor den mentalen Schwingungen abzuschotten, die der Kalamateiaussandte, lief ins Leere. Sie drangen in ihn ein, tasteten ihn ab, durchleuchteten ihn.
Was zum ...?
Das ist ein verdammter Dementor. Die "Guten" lassen die Hunde los!
Mit Mühe gelang es ihm den Blick abzuwenden. Augenblicklich ließ die Intensität nach und es gelang ihm die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Nur das eiskalte Prickeln, welches sich in ihm eingenistet hatte, klang noch immer in ihm nach.
Die Kalamatei sind wahre Meister darin, Dinge, die im Verborgenen liegen, ans Tageslicht zu bringen, erinnerte sich Elias. Zwar war er selbst nie Zeuge ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten geworden, doch hatten die Legenden, welche sich um die ´göttlichen Ermittler` rankten, stets ausgereicht, seine Fantasie zu beflügeln.
Nach allem, was er wusste, bedienten sie sich der magischen Quelle, aus der das Orakel seine Energie bezog- dem unerschöpflichen Brunnen allen Wissens. Ihre mentalen Fähigkeiten überstiegen die ´gewöhnlicher` Engel bei weitem, weshalb es hieß, ein kurzer Blick von ihnen reiche aus, um tief verwurzelte Geheimnisse aufzudecken oder unausgesprochene Wünsche zu erahnen, noch bevor man selbst davon wusste.
Ihrer Bestimmung folgend stand für die Kalamatei die Wahrheitsfindung über allem anderen, ganz gleich welcher Mittel sie sich hierfür bedienen mussten, weshalb ihre Methoden in der Vergangenheit schon oft kontrovers diskutiert worden waren.
Absolut linientreu, galten sie als die ´Vollstrecker des himmlischen Gesetzes`, von denen man weder Gnade, noch Güte erwarten konnte, wenn sie einen einmal ins Visier genommen hatten.
Verdammt Junge. Die Guten sind die Bösen. Renn
Nachdem, was Elias gerade erlebt hatte, verspürte er keinen Zweifel daran, dass dem wirklich so war.„Gehört das Durchleuchten unserer eigenen Leute inzwischen auch zu der ´Gewinnung neuer Erkenntnisse`?“, fragte er nun gerade heraus und bemerkte wie sich die Mienen seiner Zuhörer verdunkelten.
„Der Weg zur Wahrheit verläuft weder geradlinig, noch unbeschwerlich“, belehrte Metatron ihn. „Jeder von uns wird seinen Teil beitragen müssen. Dazu gehört auch die bedingungslose Zusammenarbeit mit den Kalamatei.“
Zusammenarbeit...
Genau. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Verdammt!
Irgendetwas in Elias regte sich und er kam zu dem Schluss, dass laut seines Verständnisses eine ´Zusammenarbeit` auf gegenseitigem Einverständnis beruhte und nicht darauf, dass jemand unaufgefordert in seinen Geist einzudringen versuchte.
Die verständnislosen Blicke, mit denen ihn die drei Engel bedachten, riefen ihm in Erinnerung, dass er sich schon früher an diesen Dingen gestoßen hatte.
Trotzdem drang das Gefühl nicht zu ihm durch. Es ließ sich nicht fassen, so sehr er sich auch darum bemühte, es festzuhalten.
Als gehe es ihn nicht wirklich etwas an, nahm eine reservierte Gleichgültigkeit von ihm Besitz, die jeden missbilligenden Gedanken im Keim erstickte.
Reglos stand er da und ließ den Moment verstreichen, der ihn hinab zog in die Tiefe, ihn in eine Schicht von erkaltetem Wachs hüllte.
Starr ... und unberührt ...