65 b
Während sich der junge Held den Dreck abwischte, scharte sich fast ein Dutzend Personen um ihn. Die meisten von ihnen waren derart gut gerüstet, dass sie beinahe komplett aus Metall zu bestehen schienen. Fast alle trugen mächtige Helme mit heruntergeklappten Visieren. Lediglich die Gesichter der buschigen Augenbraue und das eines Gnoms mit Lederkappe und Brille waren sichtbar. Der Gnom machte sich gerade daran, den heimtückischen Stolperdraht, welcher ihn zu Fall gebracht hatte, wieder aufzusammeln. Hinter dem ganzen Metall der Umstehenden sah der junge Held die teils rauchenden Überreste einer kleinen Kolonie blauer Mykoniden.
„Sei gegrüßt, junger Recke!“, ergriff die Augenbraue lautstark das Wort und hob zum Zeichen einen kleinen Kriegshammer mit langem Stiel. Jetzt, wo der junge Held sein Gesicht nicht nur aus dem Augenwinkel heraus sah, fiel ihm auf, dass der Mann mit Leichtigkeit sein Urgroßvater hätte sein können. Mit seinem warmherzigen, zahnlückigen Grinsen, seinem schief sitzenden, verbeulten Topfhelm, welchen eine schreiend bunte Vogelfeder zierte, wirkte er wie eine Heldengestalt aus farbenfroh geschilderten Kindergeschichten.
„Seid gegrüßt!“, erwiderte der junge Held endlich. „Seid Ihr etwa der Anführer dieses schlagkräftigen Dutzends?“
Erneut brandete verhaltenes Gelächter auf und der alte Mann winkte ab.
„Wenn ich das behauptete, würde der junge Alberich hier meine Knochen zu Mehl zermahlen. Zurecht, muss ich eingestehen“, zwinkert der Alte einer der glänzenden Rüstungen zu.
Die gemeinte Rüstung öffnete ihr Visier, sodass ein faltiges, weißbärtiges Gesicht zum Vorschein kam. „Seid Euch versichert, dass Toralf der einzige hier ist, welcher mich rechtens als »jung« bezeichnen darf“, raunte er dem jungen Helden halblaut zu.
„Ich danke Euch jedenfalls, dass Ihr die Mykoniden beseitigt habt!“, entgegnete er nachdenklich und musterte erneut den Greis mit den opulenten Brauen. Die schwer gerüsteten Krieger machten sich daran, ein Lager zu errichten, obgleich die Sonne den Zenit erst kürzlich überschritten hatte.
Ich würde das lieber nicht anbringen, riet ihm die Stimme. Der haut dich bestimmt windelweich.
Du sollst nicht ständig in meinen Gedanken herumwühlen, murrte er lautlos.
„Mit Verlaub, Ihr wirkt auf mich ein wenig zu… ähm“, setzte er an, um dann doch innezuhalten.
Ich hab dich gewarnt, besserwisserte das Schwert.
„Zu alt, Bursche?“, zwinkerte er dem jungen Helden freundlich zu. „Zu alt für einen Helden, ja?“
Maaan, ich glaube, er verhaut dich doch nicht.
Stattdessen schien der alte Mann es gewohnt zu sein, diese Frage zu beantworten.
„Junge Helden sterben nicht selten jung durch ihren ungezügelten Übermut – nicht persönlich gemeint, mein Bester – und ich lebe ja noch, also kann ich noch das eine oder andere vollbringen. Wo ist denn da der Unterschied?“
Wo er Recht hat…, gab das Schwert zu.
Aber er hat doch gar nicht mehr die nötige Kraft, sich aus brisanten Lagen herauszuschlagen, grübelte der junge Held.
Und du hast nicht den nötigen Grips dazu, rügte ihn die Stimme. Deshalb hat er seine kräftigen Kumpels und du hast mich.
Du bist ja auch schon uralt, klar weißt du in vielen Dingen besser Bescheid als ich!
Und wo ist DA jetzt der Unterschied?
Der junge Held räusperte sich. „Ähm, ich weiß nicht. Habt Ihr denn einen besonderen, respekteinflößenden Namen? Vielleicht habe ich ja schon von Euch und Euren Mitstreitern gehört?“
Ich bin der Tüchtige Toralf!“, strahlte der alte Mann mit vor stolz geschwellter Brust.
Das klingt aber lahm, seufzte die Stimme nach einem Moment peinlicher Stille.
Der alte Krieger schien den nachdenklichen Blick des jungen Helden zu bemerken.
„Tüchtigkeit ist doch etwas sehr… Erstrebenswertes und… Respektverdienendes!“, insistierte er.
Klingt trotzdem lahm. Versprich mir, dass du niemals so wirst!, forderte das magische Schwert und funkelte böse seine Gedanken an.
„Sicher, sicher“, beeilte er sich, an beide gleichzeitig gewandt. „Allerdings… fehlt dieser Tugend etwas der… wie soll ich sagen… der »heldenhafte Unterton«.“
„Siehst du, Toralf? Genau das hatte ich dir damit sagen wollen“, rief der Gnom aus dem Hintergrund.
„Zu meiner Zeit galt diese Eigenschaft sehr viel“, beharrte der Alte. „Dann bin ich eben ein Held für die Angehörigen meiner Generation“, entschied er.
Dann gehen ihm aber bald die Bewunderer aus, warf das Schwert ein.
„Dann beeil dich lieber ein bisschen mit dem Heldsein“, erklang eine weitere Stimme aus dem Hintergrund, „solange deine Glieder noch nicht so steif sind wie dein Denken.“
Inzwischen war eine kleine Feuerstelle eingerichtet worden und der Gnom begann - in Ermangelung von Holz - mit einem Zauberspruch Wasser in einem Kessel zu erhitzen.
„Habt ihr denn nun eigentlich einen Namen als Gruppe?“, wollte der junge Held erneut wissen, als er sich mit Toralf an die Feuerstelle hockte.
„Nee, haben wir nicht. Wozu auch? Wir können doch auch so kräftig anpacken und gute Taten vollbringen.“
„Naja, wir überlassen ihm die angeschlagenen Feinde“, warf der Gnom zwischen zwei Feuerzaubern ein, „aber er kennt so einige Kniffe und tut, was er kann!“
„Natürlich!“, rief Toralf mit unerwartet starker Stimme. „Damals habe ich sogar im riesigen Verlies des Reiches N’Ahwidaad überlebt!“
Aus dem Augenrollen des Gnoms ließ sich schlussfolgern, dass Toralf diese Geschichte wohl schon des Öfteren zum Besten gegeben hatte.
Verlies N’Ahwidaad , echt?, schien die Stimme zu staunen.
Was denn? Du kennst diesen Ort?, dachte der junge Held interessiert.
Nie gehört.
Also manchmal gehst du mir echt –!
„Bist du eigentlich auch auf Schlangen gestoßen, Bursche? Wir wurden nämlich gestern von einem ganzen Haufen sozialer Äthervipern angegriffen. Die haben dem jungen Theobar glatt einen Finger abgebissen.“
„Ähm…, »soziale« Vipern?“, fragte er irritiert.
„Schlangen sind eigentlich für eine solitäre Lebensweise bekannt“, erklärte er, „aber diese Art bevorzugt anscheinend Gesellschaft… jetzt sind sie jedenfalls glücklich vereint – in unseren Mägen.“
In euren -?
„Ihr habt sie gegessen?!“, unterstrich er die Verblüffung des Schwertes.
„Ja, klar. Mit Kresse und Thymian. Ziemlich lecker.“
Ist das nicht sowas wie Kannibalismus zweiten Grades?, folgerte die Stimme schaudernd.
„Ähm… also… nein, keine Schlangen, äh… nur drei Riesenhirschkäfer“, stammelte der junge Held vollkommen überrumpelt.
„Oh, gut. Ihr habt also bereits gegessen?“
„Nein… äh… was?“
„Riesenhirschkäfermedaillons geben zusammen mit Spuckkraut und eingeweichtem Brot eine hervorragende Mahlzeit ab!“, erklärte Toralf mit vor freudiger Erregung bebenden Augenbrauen. Sogar die eindeutige Miene des jungen Helden konnte seiner Begeisterung nichts anhaben, sodass er fröhlich weitererzählte.
„Damals im Verlies musste ich mich wochenlang von irgendetwas ernähren und mit der Zeit wurde ich kreativer bei der Nahrungsbeschaffung.“
„Ich nehme an, das ging über Insekten und kleine Echsen hinaus…“, traute sich der junge Held den Mund zu öffnen.
„Nun, ich musste ja bei Kräften bleiben gegen die Werratten und den einen oder anderen Betrachter… die sind übrigens echt nahrhaft, wusstest du das?“
Denk mal an die Augenstiele, merkte die Stimme an und machte ein würgendes Geräusch.
„Und was war mit den… den Augen?“, nahm er all seinen Mut zusammen.
„Um Himmels Willen, Bursche! Die sind doch magisch! Viel zu kostbar, um sie zu verzehren!“, erklärte Toralf mit erhobenem Zeigefinger.
Der junge Held und sein Schwert atmeten erleichtert aus.
„Wobei sie, wenn man sie zusammen mit anderen Lebensmitteln lagert, ihr spezielles Aroma abgeben.“
Also ich habe ja keine Ahnung von Essen und so, aber das hört sich selbst für mich widerwärtig an, schüttelte sich das Schwert.
„Hey, Toralf, schaltete sich der Gnom erneut ein, „gib mir mal deine Feuerdose.“
„Hast wohl wieder deinen Magieverbrauch unterschätzt, was?“, neckte ihn Toralf, holte das in triefnasse Tücher eingewickelte Behältnis hervor und reichte es ihm.
Der junge Held wurde nun Zeuge, wie der Gnom die etwa faustgroße Blechdose unter den Kessel stellte und ihren Deckel aus sicherer Entfernung mit der Spitze eines Dolches aufhebelte. Sofort loderte ein beachtliches Feuer aus der kleinen Dose empor und umzüngelte den Kessel.
„Feuerelementarinnereien“, beantwortete Toralf die offensichtliche Frage.
Dabei sieht der Typ so harmlos aus, kam das Schwert kaum aus dem Staunen heraus.
Inzwischen begannen zwei der Gepanzerten, die Mykoniden in handliche Portionen zu zerteilen. Die naheliegende Schlussfolgerung schlug dem jungen Helden erneut auf den Magen.
„Theobar!“, rief Toralf plötzlich. „Das Wasser kocht gleich. Ich denke, du kannst jetzt die Ghultorsos holen.“
Als er sich dem jungen Helden wieder zuwandte, schien ihn dessen grünlich angelaufenes Gesicht doch ein wenig zu beunruhigen.
„Keine Sorge, die Torsos sind nur zur Aufbewahrung gedacht. Wir verwenden nur, was die Ghule hirnlos in sich reingestopft haben. Da ist wirklich nichts dabei, die können ja nichts mehr verdauen. Vorher gründlich unter Wasser abschrubben, sonst ist da doch nichts dran“, zuckte er mit den Schultern.
Was passiert dann eigentlich mit den Ghulen, wenn die sich vollgestopft haben? Platzen die Ghule dann nicht irgendwann?, schien sich die Stimme nun doch für das ganze Thema zu interessieren.
Der junge Held reichte die Frage folgsam, wenngleich mit äußerst ungutem Gefühl weiter.
„Nö, oben rein, unten raus.“
Na, hoffentlich haben die vorher gut gekaut…, grinste das Schwert.