Von da an, ging es sehr schnell. Aufgrund meines Erfolges im Verhör, wurde Ninas Fall, mir zugeteilt.
Da wir, während den Ermittlungen, keine Beweise finden konnten, die auf ihre Schuld hindeuten würden, galt die Unschuldsvermutung.
Somit würde sie, vor Gericht, von allen Punkten freigesprochen worden, solange sie als Kronzeugin, gegen ihren Vater und seine Partner, aussagt.
Nach einigen weiteren Befragungen, die sie über sich ergehen lassen musste, wurde sie ihrem Anwalt übergeben. Damit war der Fall für mich und den Rest unserer Einheit eigentlich abgeschlossen. Wenn das Leben nur nicht seine eigene Wege hätte.
Eine Woche vor der Verhandlung, bekam mein Chef einen Anruf von Ninas Anwalt. Er bat ihn, mich
zu ihm zu schicken, um bei der Sitzung anwesend zu sein. Da ich der Einzige war, mit dem sie bisher gesprochen hatte und seine Mandantin sich strickt weigerte, auch nur ein Wort zu sagen.
Zugegeben, ich war durchaus überrascht von der Anfrage. Zugleich freute ich mich jedoch auch Nina wiederzusehen. Auch wenn ich nicht sonderlich viel Zeit mit ihr verbrachte, waren die wenigen Stunden, in denen ich sie befragte, eine Erholung für mich. Denn sie waren abwechslungsreich und nicht derart langweilig und trostlos, wie die anderen Tage.
Da der Fall entsprechend wichtig war, sagte mein Chef zu und schickte mich sofort zur Kanzlei des Anwaltes.
Dort angekommen, wartete er bereits vor der Tür auf mich.
„Schnell, kommen sie. Die Frau will einfach nicht reden und macht mich damit langsam wahnsinnig.
Eine solch sture Mandantin hatte ich noch nie gehabt. Vielleicht haben sie mehr Glück.“
Er schob mich regelrecht durch die Tür, in das kleine Büro.
Es war nicht viel darin. An der rechten Seite war ein Regal das die gesamte Wand ausfüllte und mit allerlei Gesetzesbüchern überflutet war.
Links war ein Fenster und in der Mitte des Raumes befand sich ein großer Schreibtisch mit einem Stuhl dahinter und zwei davor. Auf einem der vorderen beiden Stühle saß Nina. Ihr langes, dunkles Haar hing, bis zur Mitte ihres Rückens, über die Rückenlehne des Stuhls hinunter.
Wortlos setzte sich der Anwalt auf seinen Stuhl, hinter dem Tisch, während ich ebenso still, neben Nina Platz nahm und zu ihr schaute. Als sie registrierte, dass sich jemand neben sie gesetzt hatte, starrte sie wütend in meine Richtung. Doch ihr Ausdruck änderte sich schlagartig als ihr bewusst wurde, dass ich es war. Er änderte sich in ein Lächeln, dessen strahlen nur noch von ihren azurblauen
wurde, dass ich es war. Er änderte sich in ein Lächeln, dessen strahlen nur noch von ihren azurblauen Augen übertroffen werden konnte. Zuerst wusste ich nicht, wie ich mit dieser Reaktion umgehen sollte. Aber als sie leise meinen Namen flüsterte, wurde es mir schlagartig klar.
Der Grund wieso ich da war, wieso sie nur mit mir redete und mit ansonsten Niemanden. Das war nicht mehr nur einfaches Vertrauen. Es war weitaus mehr.
In meiner Anwesenheit fühlte sie sich scheinbar sicher, so war es dem Anwalt möglich doch noch an Informationen zu kommen mit denen er, sie vor Gericht vertreten würdekönnen. Nachdem ich jede der Fragen, die ihr gestellt wurden, mit einem Nicken in ihre Richtung bestätigte, gab sie eine – wenn auch sehr schüchterne – Antwort. Sie schien all diese Zeit so hilflos und zerbrechlich, dass ich anders
konnte als mich in sie zu verlieben. Und ich war mir sicher, dass sie genauso fühlte.
Da alles funktionierte, wenn ich anwesend war, wurde ich auch zu den restlichen Sitzungen gebeten. Zuletzt sollte ich, dann auch noch während der Verhandlung, als moralische Stütze für Nina dienen.
Der Prozess war ein voller Erfolg. Nina wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen und ihr Vater, sowie seine Anhänger, mussten sich für Betrug, Diebstahl, Mord und organisiertes Verbrechen in mehreren Fällen verantworten. Ihr Strafmaß: Lebenslänglich.
Doch nun bildete sich ein neues Problem. Nina war frei und benötigte somit keinen Schutz mehr –
zumindest war das die Meinung des Gerichts. Damit wurde nicht nur ihr Begleitschutz wieder abgeordert, sondern auch die Wohnung – welche sie bis zur Verhandlung gestellt bekam – wurde nun zurückgefordert.
Ihr altes Heim – das Gebäude, in dem Martin auch seine Geschäfte leitete – war vom Staat, als Beweismittel, konfisziert worden.
Dies sorgte dafür, dass sie nun also keinen Ort mehr hatte, wo sie hinkonnte und damit zwangsläufig auf der Straße gelandet wäre.
Kurzerhand bot ich ihr an, bei mir zu bleiben, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatte.
Zuerst war es nur für ein paar Tage. Doch dann wurden es schnell Wochen, Monate und Jahre.
Als ich, nach zwei Wochen, herausfand, dass sie noch nicht einen Finger gerührt hatte, um eine
Wohnung zu finden, stellte ich sie zur Rede. Daraufhin entschuldigte sie sich und sagte, sie hätte keine gesucht, da sie nicht von mir weg wollte. An diesem Tag küssten wir uns zum ersten Mal.
Die Zeit verging, während ich mich beruflich immer weiter hocharbeitete und sogar kurz vor meiner Beförderung zum Hauptkommissar stand. Nina und ich, hatten nach drei Jahren geheiratet und etwas später eine Tochter bekommen, die mittlerweile zehn Jahre alt geworden war.
Alles schien perfekt, doch dann traten Fälle auf, die mir stark bekannt vorkamen. Sie ähnelten dem Muster welches Ninas Vater anwandte. Darum setzte mein Chef mich auf den Fall an. Auch wenn ich damals nur den letzten Hinweis beitrug, war er von meinem Können überzeugt und traute mir zu, diesen Fall, in Windeseile, zu lösen.
Das tat ich auch, doch mit einer derartigen Wendung hätte ich damals, nie rechnen können.
Alle Beweise die wir fanden, führten uns zurück zu Martin Richard Lurtiner, doch dieser saß seit
seiner Verurteilung ein und war auch nicht geflohen. Um mich davon selbst zu überzeugen, entschied ich mich, ihm einen Besuch abzustatten.
Als ich ihm, dort im Besucherraum, gegenüber saß, erkannte ich ihn kaum wieder. Die Jahre hinter Gittern taten seiner Erscheinung nicht besonders gut. Seine Falten und grau-weißen Haare zeugten davon, wie alt er geworden war.
„Was führt Sie zu mir, Herr Oberkommissar?“, begrüßte er mich, überraschend freundlich.
„Was können Sie mir dazu sagen?“, erwiderte ich, während ich ihm die Bilder der Tatorte und Beweismittel vorlegte, die ich mitgebracht hatte.
„Dass Sie dümmer sind als ich dachte, wenn Sie wirklich glauben, dass ich das getan habe“, er hob
seine Arme und deutete um sich, „falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte, ich sitze hier wohl oder übel fest!“
„Ich habe doch gar nicht gesagt, dass wir Sie verdächtigen würden“, gab ich kühl zurück.
„Ich bitte Sie, als würde ich nicht erkennen, dass da jemand versucht in meine Fußstapfen zu treten“, er fing an zu schmunzeln, „Aber zugegeben, ich muss schon sagen, dass es mich stolz macht zu sehen was aus ihr geworden ist.“
„Was meinen Sie damit?“, fragte ich neugierig nach.
„Verstehen Sie es immer noch nicht? Nun gut lassen Sie es mich erklären und nebenbei zerstöre ich auch noch alles woran Sie dachten zu glauben“, er starrte mich mit seinem verschlagenes Grinsen an,
während er mir erzählte, wer hinter den Verbrechen stand.
Als wir fertig waren, war ich geschockt. Ich konnte nicht glauben, was mir Ninas Vater da gerade erzählt hatte. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Ach, und richten Sie meiner Enkelin, doch bitte meine Grüße aus, Herr Kommissar.“
„Woher…?“, mehr bekam ich nicht mehr raus.
Woher zum Teufel, wusste er von seinem Enkelkind.
Doch ich hatte keine Zeit mich darum zu kümmern. Ich musste schnellstmöglich den Informationen nachgehen, die mir Martin gegeben hatte.
Die Wahrheit über den wahren Täter, brach mir das Herz.
Am nächsten Tag blieb ich zuhause. Unsere Tochter war in der Schule und meine Frau kam für gewöhnlich am Vormittag von der Arbeit, da sie meist nachts arbeitete – zurückblickend hätte ich da bereits stutzig werden müssen – doch die Liebe macht nun mal blind. Als sie gegen zehn Uhr nach Hause kam, war sie sichtlich überrascht.
„Hi Schatz, du bist zuhause? Hast du heute gar keinen Dienst?“, begrüßte sie mich fragend.
„Ich bin gerade im Dienst, Nina!“, antwortete ich, während mein Herz stechend schmerzte.
„Was meinst du damit?“
Sie versuchte die Unschuldige zu spielen. Das konnte sie gut, immerhin hatte sie mich ganze zwanzig Jahre lang getäuscht.
Ich stand auf und sah ihr direkt in die Augen.
„Sei ehrlich, Nina! War alles gelogen? Hat dir alles was wir hatten, wirklich so wenig bedeutet?“
Wut, Trauer und Enttäuschung, all diese Gefühle kamen mir gerade hoch. Ich versuchte sie so gut es
ging zu unterdrücken, doch es gelang mit nur zum Teil.
„Nein! Schatz, ich liebe! Ich habe dich immer geliebt!“, nun begannen auch ihr die Tränen übers Gesicht zu rinnen, „Glaub mir bitte.“
Ihre Stimme wurde immer leiser während sie auf mich zukam und mich umarmte.
„Es tut mir Leid, Nina“, flüsterte ich ihr ins Ohr. Mit diesen Worten kamen zwei Kollegen in unser Haus und legten ihr Handschellen an.
„Tu mir das nicht an! Bitte! Ich flehe dich an!“, schrie sie während sie abgeführt wurde. Sie weinte. Sie wusste, dass ich nicht anders konnte. Ich bin Polizist. Ich war es, als ihr Vater verhaftet wurde, als ich sie Heiratete und ich bin es auch in dem Moment, als sie von meinen Kollegen abgeführt wird.
Mein Herz war gebrochen und niemals würde es sich davon erholen.
Die nächsten Jahre vergingen langsam und trostlos. Kurz nach der Verhaftung meiner Frau, ging mein
Chef in Pension. Ich wurde daraufhin befördert und übernahm seinen Posten. Ein schwacher Trost, für all das Leiden.
Auch wenn ich erfolgreich im Beruf war, schlugen die Ereignisse auf mein Privatleben. Ich begann damit, meine Tochter zu vernachlässigen. Meine Freunde hatte ich vergrault und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, lies ich all meinen Frust auf der Arbeit aus. Ich machte zwar meine Arbeit, doch war ich nicht besonders beliebt, auf meiner Dienststelle.
Eines Tages wurde es sogar so schlimm, dass ich den Frust zuhause ausließ. Meine Tochter war bereits 18 Jahre alt und versuchte mir immer zu helfen, obwohl ich mich nicht um sie scherte. Ich erhob meine Faust und schlug sie. Ich erstarrte zu Eis. Sie schaute mir direkt in die Augen, ohne auch nur ein Wort zu sagen ging sie auf ihr Zimmer, packte ihre Sachen und ging durch die Tür. Die einzige Träne die sie während all dem vergoss war, als sie aus dem Haus ging und sich mit einem:
„Ich liebe dich!“, verabschiedete.
Für immer.
Die nächsten Tage kam ich nicht in die Dienststelle. Als einer meiner Männer kam, um nach mir zu sehen, da ich mich nicht abgemeldet hatte, fand er mich, mit immer noch dem selben Ausdruck im Gesicht, auf dem Sofa sitzen. Ich reagierte jedoch auf nichts mehr.
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits verstorben.
Auf meiner Beerdigung waren genau drei Leute. Meine, mich immer noch liebende Tochter, ein Polizist, der alles dafür gegeben hätte woanders zu sein und die Frau, die er begleiten musste: Nina.
Auf der ganzen Welt gab es nur noch zwei Menschen die mich liebten und mehr hätte ich auch nie gebraucht. Doch ich musste zuerst alle um mich herum enttäuschen und sterben, um das zu begreifen.