Beiträge von Tom Stark im Thema „Der Ritter der Göttin [DSA-Universum]“

    Ich sah den stolzen Ritter, wie er seinen Helm aufsetzte, und sich das schulterlange braune Haar durch die Öffnung am Hinterkopf zog. Wie ein Pferdeschweif hing es da nun heraus. Sein Gesicht war vom breiten Nasenschutz zu einer zweigeteilten Maske geworden und nur der wild wuchernde Vollbart mit den grauen Strähnen erinnerte noch an den mir sympathischen Mann, der beim abendlichen Mal stets den ganzen Wagenzug mit heiteren Geschichten unterhielt.
    Doch nun waren unsre Verfolger so nahe gekommen, dass er sich gezwungen sah sich ihnen zu stellen. Ganz allein wollte er sie an einer Wegbiegung des Gebirgspasses abfangen und aufhalten.
    Selbst im Zwielicht des frühen Morgens konnte man deutlich den weißen Wappenrock mit der roten Löwin erkennen, den er über seiner Rüstung trug, das große Schwert mit der geflammten Klinge lässig aber nicht nachlässig auf der Schulter.
    »Aber ... aber, Ihr werdet ganz allein sein? Es sind so viele. Ihr werdet sterben!«
    Doch der gute Mann ergriff meine Hände, die Hände eines Kindes und beugte sich blinzelnd zu mir herab.
    »Ich bin niemals alleine, mein Junge. Meine Herrin, die Göttin des Krieges und der Ehre ist stets bei mir. Die Anzahl meiner Gegner ist unerheblich verglichen mit der Kraft, die sie mir verleiht euch zu beschützen. Sterben kann man nur einmal, und wenn es schon sein soll, dann wähle besser selbst den Weg dorthin, bevor der Weg dich wählt! Wenn ich also abtrete, dann nehme ich wenigstens so viele wie möglich von den Bastarden mit, die jene bedrohen, die unter meinem Schutz stehen!«
    Wie immer sah ich von der Ladefläche des Wagens wie sich der Ritter offen und weithin sichtbar auf den Weg stellte, als würde er die Verfolger verspotten.
    Wie immer erwache ich dann mit dem klopfenden Herzen des Jungens, der nie erfahren hat, was aus dem tapferen Streiter geworden ist.


    Ich bin Aldarik, Aldarik Garibaldi, Geweihter der Rondra.
    Wenn du nicht weißt, wer das ist, dann stelle dir mich einfach als Kriegerpriester, als Paladin einer Göttin vor, der Ehre im Kampf und der Schutz Hilfloser als heilig gilt und deren Wappentier die kämpfende Löwin darstellt.
    Neben mir erwacht meine Knappin Arnia. Anders als ich ist Arnia schon seit jungen Jahren bei der Kirche und ihr Weg als Geweihte liegt klar und gerade vor ihr.
    Ich selbst war Mitte dreißig gewesen und hatte mir einen Namen gemacht, einen guten Namen, wie ich nicht ohne Stolz hinzufügen will, als mich der Ruf der Göttin ereilte. Ich bin also ein Spätberufener, was vielleicht meine eine oder andere eigenwillige Ansicht erklärt.
    Zuerst hatte ich als ganz junger Kerl im Wüstenkrieg gegen die Schwarze Brut aus dem Süden gekämpft, mir sogar das Wohlwollen des Kalifen errungen, aber das ist eine andere Geschichte.
    Als ich älter war, hatte der finstere Dämonenmeister sein siebenstrahlig gekröntes Haupt erhoben und mir nicht nur in der Dämonenschlacht genug Gelegenheit verschafft mich auszuzeichnen.
    Doch nur meine größten Anhänger, die mir den durchaus schmeichelhaften Kriegsnamen »Albernischer Tiger« verpasst haben, hätten mich als überaus ehrenhaften oder gar strahlenden Ritter bezeichnet. Vielmehr neige ich dazu, eher pragmatisch meine Kämpfe zu gewinnen, ohne dabei allzu viel an eigenem Körper zu verlieren. Wenn man das nur lange genug durchhält, fällt das irgendwann auf.
    Zugegeben, ich besitze einen gewissen Anstand, den, wie ich finde, jedermann mitbringen sollte. Ich trete niemand der am Boden liegt (außer er begreift nicht, dass er endlich unten bleiben soll!), vergreife mich nicht an Frauen und Kindern und habe allgemein wenig für Plünderer und Strolche übrig. Tja, ich schätze, das macht mich vielleicht doch zu einem ganz guten Kerl, auch wenn das all die Dinge, auf die ich wenig stolz bin, nicht ungeschehen macht.
    Doch dann war dieser Traum gekommen. Zuerst nur in unregelmäßigen langen Abständen, dann regelmäßiger und schließlich so häufig, dass ich ihn nicht mehr abtun konnte.
    Auch wenn ich das Meiste darin schnell vergesse und er so echt wirkt, bin ich mir sicher, dass es keine Erinnerung aus meinem Leben ist. Ich war niemals auf einem Wagen auf der Flucht gewesen. Im Gegenteil, hatte ich meine Kindheit wohlbehütet in einer Großstadt zugebracht.
    Also war ich zu einem Geweihten gegangen, als Krieger natürlich zu einem Geweihten der Löwin, wohin sonst?
    »Du siehst das Bild eines wahrhaft Tapferen und die Löwin beruft Dich in IHREN Dienst!«
    Tatsächlich war das die Meinung auch anderer, die wirklich etwas zu sagen hatten und so hatte ich nach einer einjährigen Probezeit und einem Ausbildungsjahr die Farben der Göttin angelegt.
    Natürlich komme ich in meinen Geschichten immer ganz gut weg, immerhin bin ich Albernier und was bringt die schönste Geschichte, wenn man darin nicht auch gut da steht? Aber als besonders tapfer sah ich mich nie. Im Gegenteil träume ich im Stillen von einem geruhsamen Lebensabend auf meinem geliebten Pferdehof, Neffen und Nichten um mich herum, die Onkel Rik mit offenem Mund zuhören, wenn er von fernen Ländern und großen Schlachten erzählt.
    Doch dies ist nicht die Art, wie ein echter Ritter der Rondra abtritt. Andererseits, wer bin ich schon, meiner Göttin zu verbieten, mir einen ruhigen Lebensabend zu gönnen?


    Es ist glücklicherweise Zeit aufzustehen.
    Meine Knappin, vor drei Tagen fünfzehn geworden und wie immer viel eifriger als ihr Lehrer, ist bereits bei der Arbeit und sammelt unsre Sachen zusammen, versorgt die Pferde und hat sogar schon Tee aufgesetzt. Gleich beginnt sie mit den allmorgendlichen Übungen zur Körperertüchtigung, die man den jungen Geweihten von Novitzenalter an eintrichtert. Meine Ausbildung zum Krieger war zwar kaum anders gewesen, aber ich schüttle nach wie vor erstaunt den Kopf, wenn ich sehe mit welchem Eifer und wie ernst sie alles angeht. So war ich ganz bestimmt nie gewesen!
    Also erhebe ich mich ebenfalls. Mein Körper protestiert etwas, und meine zahlreichen Schrammen, Narben und das leichte Gliederreißen, was mich seit letztem Winter plagt, lassen mich ganz unheldenhaft stöhnen, nicht zu laut natürlich. Immerhin schaut die Knappin zu mir auf, wie zu einer Lichtgestalt und auch der Zug Flüchtlinge, die wir in die Sicherheit der Mauern Angbar geleiten sollen muss nicht gerade mitbekommen, wie der große »albernische Tiger« sich seine morgendliche Steifheit aus dem Rücken jammert.
    Wir haben an einer der Raststellen haltgemacht, die der Pass durch den Kosch alle sieben bis zehn Meilen bereithält. Viel weiter kommen viele schwere Kutschen an einem Tag auch gar nicht.
    Schon seit zwei Tagen haben wir eine Orkbande auf den Fersen, zumindest ist es das, was wir die Flüchtlinge glauben lassen, ohne sie jedoch anzulügen. Es bringt ja nichts sie mit den vermutlich zwar wahren aber weitaus bedrohlicheren Tatsachen noch mehr zu verängstigen, als sie es ohnehin sind.


    Dreimal haben Arnia und ich einen Überfall abgewehrt und meine junge Knappin hat sich wirklich sehr gut gehalten. Es ist jetzt schon abzusehen, dass sie eines Tages eine unerschütterliche Streiterin für die Götter sein wird, wie ich es in hundert Leben nie wäre. Doch dazu muss sie erst einmal überleben.
    Die Chancen stehen nicht gerade gut. Anders als die Flüchtlinge glauben, sind dies keine simplen Räuber, wie man sie heutzutage sowohl unter den Orks als auch den Menschen dieser Bergregion häufiger antrifft.
    Diese Angriffe sind gezielte Nadelstiche einer kleinen Truppe um uns zu ermüden und vorwärts zu treiben. Wenn der Haupttrupp schließlich angreift, sollen wir soweit ermüdet sein, um ihn nicht wirklich aufzuhalten. Das logische Ziel einer solchen Streitmacht ist natürlich kein armseliger Zug von Flüchtlingen, sondern das wohlhabende Angbar, welches womöglich gar nicht weiß, was da auf seine Mauern zukommt.
    Also habe ich zwei Aufgaben zugleich zu erfüllen.
    Ich muss die mir anvertrauten Menschen, und dazu zähle ich auch meine Knappin, in Sicherheit bringen, und was anderen vielleicht noch wichtiger erscheinen würde, ich muss Angbar warnen. Doch nach meinem Verständnis im Dienst an der Göttin, gibt es keinen Unterschied zwischen dem Leben weniger und dem Leben vieler. Anders als bei einem Soldaten ist es nicht meine Aufgabe abzuwägen welche Taktik am Ende am meisten Leben rettet.
    Nein, ich werde den Gegner immer genau da bekämpfen, wo er einen Unschuldigen bedroht. Ganz so konservativ wie viele meiner Schwertbrüder und Schwestern, keinen Fußbreit Boden nachzugeben, bin ich zwar nicht, doch das gilt nur solange dabei niemand zu Schaden kommt. Mein Leben für so etwas wie Grund und Boden oder Landesgrenzen hinzugeben, ist nicht (mehr) meine Sache. Es für das Leben anderer in die Waagschale zu werfen allerdings schon.
    Daher versammle ich die Flüchtlinge um mich, kurz bevor wir aufbrechen wollen.
    »Ab hier wird meine Knappin Arnia das Kommando übernehmen. Sie wird Euch nach Angbar bringen und ihr werdet ihren Anweisungen Folge leisten, als wären es meine.«
    Nicht nur meine Knappin bekommt große Augen, als ich meinen Helm aufsetze und mein geweihtes Schwert nehme.
    »Sobald ihr da vorne die Wegbiegung passiert habt, werde ich Stellung beziehen und die Schwarzpelze aufhalten. Fahrt so schnell ihr könnt und haltet wenn möglich bis Angbar nicht an.«
    Niemand erhebt Einspruch, natürlich nicht. Keiner würde einen Ritter der Göttin in einer solchen Frage anzweifeln. Auch meine Knappin gehorcht ohne Widerspruch, selbst wenn ich ihr ansehe, dass sie lieber an meiner Seite bliebe. Tapferes Mädel, werde erst einmal alt genug für solche Verrücktheiten!
    Als der letzte Wagen an mir vorüber rumpelt höre ich mich angesprochen. »Euer Gnaden?«
    Es ist Objedia, ein Junge, vielleicht fünf oder sechs. Er läuft hinter dem letzten Wagen her und bleibt nun bei mir stehen.
    »Wollt Ihr wirklich ganz alleine bleiben? Habt Ihr gar keine Angst zu sterben?«
    Ich sehe schmunzelnd seine leuchtenden Augen und mir wird klar, dass er keine Ahnung hat, welcher Knoten sich bei mir seit meiner Entscheidung im Bauch gebildet hat. Also zeige ich meine Zähne beim Lächeln, eine vielfach eingeübte Geste, und mein Traum steht mir mit einem Male klar vor den Augen. Mir wird bewusst, wen der Kleine da sieht, diesen Ritter, dessen Gesicht vom Helm entmenschlicht ist, dessen Bart nach zwei Wochen Fahrt wohl ziemlich wild aussieht und der mit seinem Schwert im Arm so verdammt unerschütterlich wirken muss.
    Und natürlich wird mir klar, was ich zu sagen habe:
    »Ich bin niemals alleine, mein Junge. Meine Herrin, die Göttin des Krieges und der Ehre ist stets bei mir.«