Beiträge von TiKa444 im Thema „Gejagt...“

    Jegar starrte aus dem Spalt hinaus in die Dunkelheit. Der Mond befand sich gerade nicht in dem richtigem Bereich um sichtbar zu sein. Doch obgleich dem Mangel an Licht genoss er diese Stunden zwischen den Tagen, an denen die Sonne die Luft zwischen den Wänden ungnädig aufheizte. Zwei davon hatte er schon hier erlebt. Einen weiteren wollte er nicht ausharren. "Ich habe einen Vorschlag zu machen", sagte er in die Runde, "Wir gehen ins nach Sarrera. Das liegt in Gelifra, unserem Nachbarland." "Ich weiß wo Gelifra liegt", knurrte Rodrick missmutig, "Da ist es heiß, ungemütlich und die Tavernen verkaufen statt Bier warmes Wasser, das sie nur so genannt haben." "Aber der Herzog von Sarrera ist ein alter Freund meiner Familie", beharrte Jegar und zog den Zettel aus seiner Tasche, den er seit Tagen mit sich herumtrug, "Ich war mir nie sicher, ob er die Wahrheit kennt oder die Lügenmärchen glaubt und hatte bisher auch keine Möglichkeit, das Land alleine zu verlassen, aber jetzt bin ich ja nicht mehr allein und außerdem habe ich das hier. Es wurde mir in die Tasche gesteckt" Er zeigte den Zettel herum, der dank einer gewissen Renn und Kletterpartie vollkommen zerknittert war, aber immer noch die Worte Sarrera zeigte. "Dies habe ich von einem Unbekanntem", erklärte er und blickte sie erwartungsvoll an. Rodrick musterte einen Moment das Stück Papier und sah ihn dann an. "Und das soll alles sein?", fragte er, "Ein Zettel. Wer sagt dir, dass das keine Falle war." "Ich denke die Chancen ihn gleich zu töten wäre für jemandem, der nah genug an Jegar herankam um ihm einen Zettel in die Tasche stecken konnte, größer als die Hoffnung Jegar könne dem Zettel glauben schenken um ihn dann dort umbringen zu können", gab Norwen zu denken. "Genau", stimmte Jegar zu und nickte begeistert, "Und ich bin mir sicher der Herzog wird euch alle reichlich belohnen. Er ist reich, sehr reich." Er blickte Rodrick an, der das Risiko gegen den möglichen Gewinn abzuschätzen schien. "Glaubst du im Ernst der Herzog würde dir helfen", frage Belle, die bisher nur still dagesessen war. "Ja", antwortete Jegar ohne zu zögern. "In Ordnung. Ich komme mit", entschied sie und warf ihm ein Lächeln zu. "Ich habe gehört in Sarrera soll es eine große Bibliothek geben", warf Norwen ein, was Jegar als Zustimmung verstand. "Da wir ja sowieso bereits alle auf einer Liste mit dir stehen, kann es nicht schaden das Land zu verlassen", behauptete Rodrick. Letztendlich richtete Jaris seinen Blick auf Cyra, die etwas abseits von ihnen dastand. Nach einem Moment der stille nickte auch sie. "Sehr gut", sagte Jegar mit einem Strahlen in die Runde. Endlich hatte er ein Ziel, eine Möglichkeit die ständige Flucht auf eine andere Weise als mit seinem Tod enden zu lassen. "Dann müssen wir jetzt nur noch das Land verlassen", seufzte Norwen, wohl bei dem Gedanken an die lange Reise. Die Grenze zu Gelifra lag an der anderen Seite des Landes. "Und dazu müssen wir erstmal aus dieser Stadt raus", gab Rodrick zu denken, "Und das am Besten im Schutz der Nacht. Dieser Nacht."

    Jegar sah wie Cyra verschwand, runzelte die Stirn und folgte ihr langsam. Als er dort angekommen war, wo sie zuvor gestanden hatte, sah er, dass sich hinter einer Nische ein schmaler Gang befand. Kaum sichtbar und perfekt für jemanden dem Verfolger unliebsame Gesellen waren. Das Mädchen war nur schemenhaft im Schatten zu sehen. Er winkte die anderen her und sie folgten ihr, bevor sie sie noch aus den Augen verloren. Sie mussten sich beeilen und gerade Rodrick hatte mit der zunehmenden Enge zu kämpfen. Eine schwere Rüstung war nichts für schmale Durchgänge. Die Dunkelheit hatte sie beinahe verschluckt, da waren Schritte hinter ihnen zu hören. Die Soldaten suchten immer noch nach ihnen, auch wenn sie den Durchgang scheinbar noch nicht gefunden hatten. Sonst hätten die Geräusche mehr Hall besessen. Trotzdem fasste er instinktiv unter seinen Mantel und tastete nach der Waffe, die ihm sein Vater einst geschenkt hatte. Es schien als wäre es in einem anderem Leben geschehen. Sie wäre hier zwar wegen dem Mangel an Platz selbst mit nur einer ausgeklappten Klinge unbrauchbar, aber das Spüren ihres kalten Eisen gab ihm Sicherheit und sowas wie Halt. Es war immerhin eines der wenigen verbliebenen Stücke, die er noch von früher besaß. "Ich habe sie lange nicht mehr einsetzen müssen", dachte er und schämte sich beinahe dafür. Seltsame Welt.

    Als sie endlich das Ende des langen Ganges erreichten und in die Kühle Nachtluft heraustraten - selbst die Luft hatte zwischen den beiden Häuserwänden irgendwie gepresst gewirkt -, vernahmen sie erleichtert das Geräusch vom Ausbleiben trampelnder Stiefel. Hier auf der anderen Seite der Stadt war es noch ruhig. Dies würde aber nicht mehr lange so bleiben und sie brauchten dringend etwas Schlaf.

    Jegar beobachtete das Mädchen misstrauisch. Auch wenn ihre Kleidung als verschlissen gelten durfte und sie offenbar beschlossen hatte auf jegliches Schuhwerk zu verzichten sah sie für ihn nicht aus, als wäre sie ein Bettlerin. Bettler schliefen nicht auf Dächern. Vielleicht eine Diebin. "Cyra", antwortete schüchtern. Auch fiel ihm auf, dass ihre Augen ständig nervös hin und herblickten, als wären sie auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit, die hier oben, umringt von der Gruppe, schlichtweg nicht bestand. "Sie ist nicht die Jägerin, sie ist die Gejagte", ging ihm auf, auch wenn er diesen Gedanken sofort wieder beiseite schob. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass sie hinter ihm her war, immerhin war die Gruppe auf sie gestoßen und nicht umgekehrt, aber von dieser Annahme auszugehen wäre immer noch unvorsichtig. Und Unvorsichtigkeit brachte den Tod.
    "Keine Sorge, wir tun dir nichts", sagte Norwen beruhigend. Ihm schienen Misstrauen oder Zweifel völlig unbekannt zu sein. Auch Rodrick hatte den Griff vom Knauf seines Schwertes genommen und selbst Jegar ließ, als er den ängstlichen Blick des Mädchens auf seine Hand wahrnahm, von dem Dolch unter seinem Ärmel ab. Er konnte kein Anzeichen entdecken nach dem sie irgendwo eine Waffe versteckt hatte. Trotzdem blieb seine Hand angespannt. "Mein Name ist Regars", sagte Jegar sicherheitshalber. Belle, Norwen und Rodrick stellten sich ebenfalls der Reihe nach vor. Jedoch mit ihren echten Namen. "Ich muss geradezu paranoid wirken", dachte er. Dann standen sie schweigend auf dem Dach herum. Nachdem die Namen gesagt waren, wusste niemand, was er noch einbringen sollte. Keiner fragte, was wer auf dem Dach machte. Cyra fragte auch nicht, was die Stimmen, die immer noch unter ihnen erschallten und sich gegenseitig Dinge wie "Hier ist niemand" und "Wo sind sie hin" zuriefen, bedeuteten. "Hier oben", erklang dann aber plötzlich eine weitere und alle fünf schreckten panisch zusammen. In zehn, zwanzig Metern Entfernung stand ein Mann. Gekleidet in ein Kettenhemd und einem eisernen Helm, in der Hand einen Streitkolben, schritt er langsam über die Ziegeln auf sie zu. Sie mochten wohl rot sein, doch jetzt im Dunkeln konnte Jegar die Farbe nicht zweifelsfrei ausmachen. Ein kurzer Blick genügte, dann rannten sie los. Ohne klares Ziel und nur weg von den Stimmen, die jetzt vermehrt aus der selben Höhe erklangen wie die ihren, doch aus irgendeinem Grund schafften sie es zusammenzubleiben. Unter ihnen wechselten sich fester Boden und schwindelnde Abgründe stetig ab und der Mond stahl sich hinter den Wolken hervor, die ihn bis jetzt doch in sicherer Gewahrsam hatten. Er warf sein schimmerndes Licht auf den Asphalt und die Dächer. Jetzt konnte Jegar auch die Farbe der Ziegeln erkennen und tatsächlich waren sie rot.

    Als Jegar die Treppe hinauf schritt, dachte er über den Wortwechsel der beiden Söldner nach. Eine Flotte. Ein ganzes Heer. Es könnte nach mehr klingen als es war. Sein Vater hatte damals als General des Königs dessen Truppen befehligt. Schickte er ein Heer aus, schickte er nur soviele Männer wie nötig. Zehntausende, Hunderttausende oder gerademal ein paar hundert um beispielsweise eine Räuberbande niederzuschlagen oder ähnliches.
    Trotzdem. Auch ein paar hundert Mann als Gefolgschaft waren für die Zwecke eines einfachen Söldners mehr als nur übertrieben, womit sich die Frage stellte welchem Ziel Rodrick wirklich folgte. Ebenso wichtig war die Tatsache, dass er zum Erreichen dieses Ziels offensichtlich Geld brauchte. Viel Geld. Geld was er nicht hatte. Geld das Jegar ihm bringen könnte. Hatte ihn Rodrick nur deshalb in eine Stadt gebracht um sicherzustellen, dass ein paar "übereifrige "Stadtwachen" nicht entschieden die Belohnung doch lieber für sich selbst zu behalten, indem er ihn direkt zu einem Präfekten des Königs brachte. Er öffnete die ihnen zugewiesene Zimmertür und ließ Belle hindurch, bevor er selbst hindurch ging und sie zufallen ließ. Sie schien selbst in ihre Gedanken vertieft, während Norwen, der vorher noch direkt hinter ihnen gewesen war, noch einmal nach unten gegangen zu sein schien. Wieso auch immer. Manchmal war der Gelehrte so unauffällig, dass man ihn schlichtweg vergaß. Eine gefährliche Eigenschaft. Das Zimmer selbst war klein, aber sauber. Vier Betten standen in die Ecken gedrängt, in der Mitte gab es einen kleinen Freiraum. Es genügte. Die Schenke bot nicht viel Platz für Zimmer, da konnten sie froh sein überhaupt eines bekommen zu haben. Er setzte sich auf eines der Betten und ließ seinen Rücken auf die Matratze sinken. Sie war angenehm weich. Definitiv besser als in Heuböden oder Höhlen zu schlafen. Er beschloss, während er liegend aus dem Fenster hinter ihm auf den Sternenhimmel sah, er hatte gar nicht mitbekommen wie spät es bereits war, Rodrick fürs erste weiterhin zu vertrauen. Es blieb dabei, dass der Söldner ihm bislang keinen Grund zum Misstrauen gegeben hatte, aber viele Gegenteilige. Ohnehin hatte er für heute nicht mehr die Kraft über Rodricks geheimnisvollen Pläne nachzugrübeln. Die Strapatzen des Tages zeigten sich jetzt, da er lag überdeutlich.

    Jegar war zusammengezuckt, als diese Stimme erklang. Seine Hand schob sich augenblicklich zu dem Dolch, der ihr am nächsten war, und umklammerte dessen Griff. Der Anblick des grob gepanzerten Mannes, der sich einen wehenden zerschlissenden Umhang hinter sich herziehend, der wohl mal blau gewesen sein mochte, auf sie zubewegte, ließ seine aufkeimende Sorge nicht gerade verfließen. "Rodrick, alter Gauner", rief dieser aus, als er vor ihrer Gruppe zum stehen kam, "Was führt dich hierher." Rodrick stieß ein lachen aus. "Immer ein lauter Auftritt San, was?", antwortete er, "Ich bin nur auf der Durchreise. Wir haben ein paar Probleme mit ... ein paar Leuten." Jegar hoffte, dass Rodrick wusste was er da tat. Immerhin hatte der Mann, San hatte der Söldner ihn genannt, sich noch nicht als Gesetzeshüter oder Kopfgeldjäger erwiesen. "Also braucht ihr eine Unterkunft?", fragte San. "Irgend etwas diskretes", bejahte Rodrick, "Falls diskret nach deinem Auftritt hier überhaupt noch möglich ist." Jetzt musste auch der Mann in dem verschlissenen Umhang lachen. "Keine Sorge. Goldkliff vergisst schnell", antwortete er, "Ich wüsste da etwas passendes." Er drehte sich einfach um und ging die Straße entlang, so dass die Gruppe kaum anders konnte als ihm zu folgen. "Ich hoffe ihr mögt Ratte", schob San noch nach, als er den Kopf kurz zu ihnen wandte um sich zu vergewissern, dass sie alle hinter ihm waren. "Gab es in diesem Kaff denn kein anderes Fleisch als Ratte", dachte Jegar missmutig und hoffte inständig auf ein vegetarisches Gericht.

    "Vielleicht sollten wir eine kurze Rast einlegen", schlug Jegar mit Blick auf den taumelnden Gelehrten vor, "Ich weiß, dass wir verfolgt werden, aber wir können auch nicht riskieren, dass jemand vor Erschöpfung zusammenbricht." Die anderen sahen sich und ihn zweifelnd an. Es war ruhig, hier oben - bis auf den Wind, der um die Felsen strich und den einsamen Rufen eines fernen Adlers - doch Ruhe vermochte nicht immer nur Gutes zu heißen. Ihre Jäger kannten diese Berge weit besser als sie und würden sich kaum mit unnötigen Lärm verraten. "In Ordnung", stimmte schließlich Belle zu und auch die anderen nickten nach und nach zustimmend. Nur Norwen protestierte erst und ließ sich letztlich trotzdem erschöpft zu Boden sinken, als sie einen kleine Nische gefunden hatten, die sich zwischen den Felsen zu beiden Seiten des Pfades öffnete und wenigsten das Gefühl von Schutz bot. Die anderen taten es ihm schließlich nach, bis auf Rodrick, der sich erboten hatte als erster Wache zu halten und nun am Rande der Nische, gegen den Felsen gedrückt, stand und den Pfad den Berg hinab im Auge behielt. "Wer war dieser Mann", fragte Jegar an Belle gewandt, nachdem sich das schwere Atmen, das sich nicht nur bei Norwen eingeschlichen hatte, und der Pulsschlag etwas beruhigt hatten, "Ich hatte keine Gelegenheit ihm zu danken." Belle sah ihn überrascht an, als sei sie gerade in Gedanken an einem fernen Ort gewesen. Einen Moment lang schien sie zu zögern, dann öffnete sie den Mund um etwas zu sagen, aber ein leiser Pfiff von Rodrick unterbrach sie. Der Krieger hatte sich zu ihnen gedreht, den Zeigefinger warnend an die Lippen gelegt. Sofort war die Anspannung wieder da, die einen Moment lang von Jegar abgefallen war. Er umfasste den Griff einer seiner Dolche und lauschte. Stimmen, erklangen in der Ferne, zu ihnen getragen durch den Wind, der immer noch durch den Pfad strich. "Wenigstens haben sie uns nicht gehört", dachte Jegar. Der Wind konnte nur in eine Richtung wehen. Außerdem hieß das, dass die Stimmen wohl von vor ihnen stammten, als von hinter ihnen, wo ihre Verfolger sich befinden mussten. Zeit verging, in der sie schwiegen, wie erstarrt dasaßen und sich Blicke zuwarfen. Die Stimmen wurden lauter und lauter und Jegar begann zu frieren, da er sich kaum zu bewegen wagte. Was lächerlich erschien, angesichts der Entfernung, die noch zwischen ihnen und den Sprechern lag. Trotzdem verharrte er unbewegt. Vielleicht, sollten sie ihnen einfach entgegen gehen und sie warnen, dass sie einen übel gelaunten Bergstamm in die Hände liefen, wenn sie ihrem Weg weiter folgten. Andererseits könnten es Späher desselben sein, die die Umgebung nach ungeladenen Gästen absuchten, wie sie es gewesen waren. Oder Jäger, die im kargen Gelände nach Berglöwen suchten. Schließlich waren die Stimmen so nah, dass erste Wortfetzen zu verstehen waren. Jegar konnte Krieg, Anschlag und Tote verstehen. Fragende Blicke wurden ausgetauscht. Dann erklang das Geräusch von Hufen, die auf Stein trafen. Offensichtlich waren die Sprecher, Jegar war sich mittlerweile einigermaßen sicher, dass es zwei waren, nicht wie sie zu Fuß unterwegs. Belle, Norwen und er standen leise auf und drückten sich neben Rodrick an den Stein. Sie sollten wohl besser vom Pfad aus nicht zu sehen sein. "Was denkst du, erreicht er damit?", frage der eine gerade, "Dass er selbst König wird." "Vielleicht nicht", antwortete die andere Stimme, "Aber er könnte auswählen wer es wird." Eine Windböe riss die nächsten Worte mit sich, bevor sie wieder abklang. "Ein Mord der 50 000 Goldmark wert ist", sinnierte gerade der eine. Jetzt schienen die Stimmen schon wieder weitaus näher. Ebenso wie das Trommeln der Hufe. "Es ist ein Herzog", erwiderte der andere. Sie konnten nur noch wenige Meter entfernt sein. "Es ist ein verdammter Goldesel", warf wiederum der andere ein, "Zumindest für uns." Nun waren sie direkt neben ihnen. Jegar bildete sich ein sie atmen zu hören, auch wenn sich immer noch eine dünne Schicht Fels zwischen ihm und den Fremden befand. Doch die Pferde. Die konnte Jegar schnaufen höre. Jetzt begannen beide zu lachen. Vermutlich über Freude über ihrer beider baldiger Reichtum. Einen Moment lang hallte das Lachen in Jegars Ohren. Dann wurde es endlich wieder leiser, genauso wie die Hufe und die Stimmen.

    Wieder Erwarten blieb Belle nicht lange weg. Und wieder Erwarten wurde sie auch nicht von dem Riesen in die Hütte geschleift, erschöpft und gezeichnet von dem Verhör. Nein. Vollkommen unversehrt wurde sie von dem kleinen Mann mit durchdringendem Blick begleitet. Begleitet, nicht bewacht. Als fürchte er nicht, dass sie zu Flüchten versuchen könnte. Jegar atmete erleichtert auf. Er hatte es nicht ertragen können, sie leidend zu wissen, gerade da er sie doch in diese Lage gebracht hatte. Aller Freiheiten zum Trotz folgte sie dem Mann bereitwillig ins Innere der Hütte und ließ sich wieder festbinden. Kein Wort wurde dabei gesprochen. Doch die Blicke, die sie mit dem Mann wechselte, schienen nicht feindselig und die, die sie mit ihnen wechselte, nicht verzweifelt. Irgendetwas wusste sie, das ihr Hoffnung gab, und er brannte darauf herauszufinden, was das sein konnte. Doch als der Mann die Hütte wieder verlassen, die Tür wieder zufallen lassen hatte, was einen Großteil des Lichtes raubte, und Jegar zu einer Frage ansetzte, hob sie den Finger nur mahnend an die Lippen. "Natürlich", dachte Jegar, "Sie werden uns belauschen." So blieb es ihm nur in die Leere zu starren und abzuwarten, was wohl passieren mochte. Stunden vergingen. Durch die schmalen Lücken zwischen den Holzbrettern, aus denen die Hütte bestand, konnte man erkennen wie die Dunkelheit der Nacht kam... und wie sie wieder ging. Allmählich spürte Jegar allzu deutlich den Hunger, den Durst. Sein Knochen schmerzten vom andauerndem Verharren in der selben Position. Dann wurde die Tür plötzlich aufgerissen und Helligkeit flutete das Zwielicht, die sie alle blendete. Schwere Schritte hallten durch den Raum. Jegar blinzelte solange, bis er wieder etwas erkennen konnte. Nicht der kleine Mann stand vor ihnen, was anhand der lauten Schritte schon zu vermuten gewesen war, aber auch nicht der Riese. Ein anderer, ebenfalls sehr großer, Mann blickte auf die vier Gefesselten herab. In seiner Hand hielt er etwas. Jegar bemerkte entsetzt, dass es ein Kopf war. Der Mann warf ihn vor ihre Füße, wo er sie mit milchigen toten Augen anblickte. "Wer ist das", fragte der Mann laut und mit viel Wut in seiner Stimme, "Er und ein paar andere sind euch gefolgt." Jegar musste sich überwinden, den Kopf genauer anzublicken. Der Kopf trug einen Helm. Einen Helm der Stadtwache.

    Gleißend helle Blitze in den verschiedensten Farben durchzuckten die Dunkelheit. Erflammten um gleich darauf wieder zu verlöschen. Sie vermischten sich zu einem Sog, der ihn wirbelnd umschloss. Pulsierend im Takt von... Ja. Von was eigentlich. Seines Herzschlags? Er hätte nicht mal sagen können, ob sein Herz überhaupt noch schlug. Vielleicht war er ja auch tot. Um Gewissheit zu erlangen versuchte er seine Augen zu öffnen, seine Glieder zu bewegen oder sonst irgendeinen Muskel. Er versagte. Wenn er recht bedachte spürte er seinen Körper noch nicht einmal. Kein Wunder, dass er ihn nicht bewegen konnte. "Seltsam", dachte er sich, "Jetzt müsste ich doch eigentlich in Panik ausbrechen." Doch irgendetwas umschloss seine Gedanken, machte sie träge. "Panik", überlegte er, "Ist eigentlich viel zu anstrengend und den Aufwand nicht wert." Statt also zu verzweifeln wartete er müde und mit einem zufriedenen Grinsen - er war sich zumindest sicher, dass er gegrinst hätte, wenn er es denn gekonnt hätte, - ab und sah dem farbigen Strom zu. Wie er ihn fort trug und ihn dabei vollkommen in seinen Bann zog. Ihn hypnotisierte. Ihn immer müder und müder machte. Er riss ihn weg von dort, wo auch immer er war, hinein in eine Welt aus reinem Licht. Doch mit der Zeit mischte sich etwas anderes in den Wirbel. Etwas was dort nicht hingehörte. Etwas lautes. Geräusche. Und mit dieser Erkenntnis kehrte plötzlich alles wieder. Sein Gefühl, der Schmerz, der sich in Gestalt tausender Nadeln in jeden erdenklichen Punkt seines Körpers zu bohren schien, sowie auch die Erinnerung. Er lag, halb aufgerichtet und an etwas hartes rundes gelehnt, auf kaltem Untergrund und um seine Handgelenke spürte er ein Seil, dass sich tief in seine Haut gescheuert hatte. Sofort riss er die Augen auf und schloss sie ebenso schnell wieder. Blendend helles Licht hatte ihn dazu veranlasst, dass all die schönen Farben in seinem Kopf ausgelöscht hatte und selbst jetzt, mit geschlossenen Augen, immer noch schmerzte. Nach einer Zeit lang öffnete er die Augen wieder, schloss sie, öffnete nur ein einziges, blinzelte, öffnete das andere. Es schien ihm als brauchte er allein Stunden um sie an das Licht zu gewöhnen. Als er endlich wieder in der Lage war, immer wieder die Tränen wegblinzelnd, Konturen zu erkennen, unterzog er seiner Umgebung einer gründlichen Untersuchung. Er saß in einem Raum, in einer Hütte vielleicht. Die Fenster waren allesamt verschlossen. Eine Tür sah er nicht. Sie befand sich wohl hinter ihnen. Das Licht, das ihm so zu schaffen gemacht hatte, drang durch etliche kleine Schlitze zwischen den Brettern, die die Wand bildeten. Nur die Wand wohlgemerkt, von oben kam kein Licht. Der Boden, auf dem er saß, bestand aus nackter Erde. Harter kalter Erde, die sich anfühlte als sei sieh gefroren. Schnee, vermutete er. Das würde die Helligkeit, der mangelnde Lichtdurchlass des Daches und den Untergrund erklären. Also befanden er sich entweder immer noch in den Bergen oder er hatte mehrere Monate geschlafen. Jegar hoffte inbrünstig ersteres. Die Geräusche, die zu ihm durchdrangen und die ihm vorhin noch so laut vorgekommen waren, ließen ihn zumindest zuversichtlich werden. Wind, der um die Hütte strich. Ein Adler, der weit entfernt schrie. Und Stimmen, die er durch das Rauschen des Windes nicht verstehen konnte, die aber viel zu nah klangen. Die Einrichtung war spärlich. Bis auf vier Holzpfähle von denen er an einen gefesselt war und deren Rest die anderen drei beherbergte. Rodrick, dessen Kopf auf seine Brust gesunken war, der aber immer noch wirkte, als könne nichts ihm etwas anhaben. Bewusstlos oder nicht. Norwen, der die Hände im Schoß verschränkt hatte, als sitze er einfach nur seelenruhig da und denke nach. Und Belle, deren Haare über ihr Gesicht gefallen waren und es so vor fremden Blicken schützte. Erleichtert sah er, dass sich die Brust aller drei beim Atmen hob und senkte. Sie lebten noch. "Psst", zischte er leise um die anderen zu wecken. Er musste das noch zwei, dreimal wiederholen bis sich zumindest Belle endlich regte. Sie schüttelte die Haare aus ihrem Gesicht und sah sich um. Ihre Augen verengten sich sofort, als sie sich ihrer Lage bewusst wurde, ihr Gesicht jedoch zeigte pure Entschlossenheit. Lautlos verständigten sie sich darauf erst einmal, die anderen zu wecken. Norwen, der Entschlossen aber gefasst augenblicklich ins Nachdenken versank. Vermutlich nach einer Idee suchend, wie sie sich befreien konnten. Rodrick, der eher wütend wirkte und auch etwas wie Sorge verstrahlte. Jared beschloss die Differenzen, die er mit ihm gehabt hatte, zur Seite zu legen und sich erst einmal auf ihre Flucht zu konzentrieren. Ihn konnte er hier für nicht verantwortlich machen, selbst wenn er den Weg vorgeschlagen hatte. Er war immerhin in derselben Lage wie sie und es wäre töricht ihm jetzt noch eine Absicht zu unterstellen. Vielleicht war es an der Zeit ihm und auch den anderen zu vertrauen. Nicht restlos, aber so gut er es vermochte. Er war noch in seine Gedanken versunken, als plötzlich Holz über Holz scharrte, als sich die Tür, die er nicht sehen konnte, öffnete. Sofort riss ihn die Wirklichkeit aus allen Überlegungen und steiß ihn zurück in eine Welt in der Vertrauen und Misstrauen für den Moment keine Rolle spielten. Kalte Luft strömte in den Raum und bis sich in seine Haut. Er spürte wie sich die kleinen Härchen auf seinen Armen aufstellten. Dann erklangen Schritte.

    Sie alle folgten Belle in die Höhle hinein. Sie wusste von dem Weg? Sie hätte doch schon längst ein Wort gesagt, wenn sie ihn wirklich kannte. Andererseits. Er kannte sie auch nicht wirklich. Aber im Moment war es egal, ob sie die Wahrheit sagte, oder nur log um sie zum gehen zu bewegen. Ob Rodrick log, ob Norwen log. Die direkte Alternative, als ihnen zu folgen, wäre der Tod. Oder sogar noch schlimmeres. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können. Hätte Belle sie nicht gewarnt, hätten sie vermutlich gestritten bis die Soldaten gekommen wären. War er wirklich dem Beisein anderer so entwöhnt oder hatte er einfach nur Todessehnsucht. Er würde sich zusammenreißen müssen, denn wie es aussah war er noch einige Zeit an die anderen gebunden.
    Wie es sich herausstellte war es vollkommen egal, ob Belle den Weg kannte oder nicht, da es nur einen einzigen gab. Das Finden der Höhle selbst stellte, das vermutete er zumindest, die wesentlich schwerere Aufgabe dar, an der diejenigen, die von der Existenz des Schmugglerpasses wussten und nach ihm suchten, am ehesten scheiterten. Allmählich schwand das Licht, das am Eingang in die Dunkelheit drang, und einzig die Fackel, die Norwen von seinem Feuer aufgelesen hatte, war ihr unstetes Licht auf den rauen Stein zu ihren Seiten. Wer auch immer diesen Weg in den Fels geschlagen hatte, war wahrlich keiner gewesen, der sein Fach verstand. Allerdings diente es auch nur der Durchreise von Schmuggler und diesen Zweck erfüllte die Höhle vollkommen aussreichend. Immer weiter drangen sie in die tiefe Dunkelheit ein und immer rarer wurde das Licht. Die Luft war abgestanden und roch nach Jahrzehnten der Leere. Von den Decken hallte nun ein Platschen, wenn sie in eine der vielen Fützen, die sich am Boden gebildet hatten, traten. Das Wasser musste sich durch Ritzen im Stein gedrängt haben. nach einiger Zeit, es mussten Stunden gewesen sein, in denen keiner ein Wort gesprochen hatte, fragte sich Jegar allmählich, ob sie je wieder ans Tageslicht gelangen würden. Allzu lang konnte dieser Gang doch nicht mehr sein, oder? Andererseits hatte Rodrick von einem nachfolgendem schmalen Pass am Bergrücken gesprochen, der, wenn man sich nicht an die Felsen drückte, einen tiefen Fall in den Tod versprach, und er musste zugeben, dass er sich nicht mehr wirklich sicher war, ob er das oder die Dunkelheit bevorzugte. Doch seine Gedanken waren eigentlich nicht beim Ausgang, sondern verweilten beim Eingang wo ihre, aufgrund der geringen Zeit, spährlich verwischten Spuren auf ihre Verfolger warteten. Er hoffte nur, dass die Soldaten diese, oder am besten gleich die gesamte Höhle, übersahen.

    Jegar merkte Wut in ihm aufkeimen. Was verlangte der Söldner von ihm. Dass er alle Bedenken über Bord warf um einem völlig Fremden blind zu folgen. Er musste an sich halten, dass er nicht davonstürmte und die Gruppe verließ. Und was sollte das überhaupt heißen, dass er Belles Rat mehr getraut hätte als den des Söldners. "Vielleicht hätte ich das, vielleicht auch nicht", antwortete er nicht mehr nur gereizt, er musste sich vor dem Söldner nicht rechtfertigen, "Doch das tut nichts zur Sache. Fest steht, dass ich nicht weiß, ob ich euch trauen kann oder nicht." Er fragte sich unwillkürlich, ob der Mann recht hatte. Hätte er auf Belle eher gehört, als auf Rodrick. Er hatte nicht allzu viele gute Erfahrungen mit Söldnern gemacht. Und Belle. Vertraute er ihr wirklich mehr als für ihn üblich? "Ob ihr mir vertrauen könnt", echauffierte sich der Mann, "Ich habe euch verdammt nochmal das Leben gerettet." "Ja, als ihr noch genauso in der Klemme stecktet, wie wir anderen", gab Jegar zurück. Nebenbei bemerkte er wie neben ihm eine kleine Flamme aufloderte und an den Holzscheiten, die Norwick aufgeschichtet hatte, leckte. Dem daneben knienden Gelehrten musste es wohl gelungen sein ein Feuer zu entfachten. "Ich hätte euch im Gasthaus nicht helfen müssen", antwortete Rodrick. Sein Gesicht hatte sich mittlerweile rot verfärbt. In seinen Augen spiegelten sich derweil die Flammen und ließen ihn gefährlicher wirken. "Wir wären hervorragend ohne euch zurechtgekommen", behauptete Jegar und wusste selber wie hochmütig er wirken musste. Aber ob er Rodrick unrecht tat oder nicht, war ihm mittlerweile ziemlich egal. Es war vermutlich sowieso besser. Betrog der Söldner ihn, dann fiele ihm das recht schwer, wenn diese Gemeinschaft aufgelöst würde. War er dagegen vertrauensvoll, war es besser für ihn nicht in Jegars Nähe zu sein. Am besten er ließe Belle und Norwen bei Rodrick und machte sich aus dem Staub. Sein Umfeld hatte die Eigenschaft ziemlich schnell ziemlich tot zu sein. "Jetzt hört doch endlich auf mit diesem Kinderkram und helft mir lieber herauszufinden wo Belle ist", unterbrach Nowen sie. "Ich bin hier", erklang wie aus dem Nichts eine Stimme aus dem Höhleneingang. Belle stand dort. Hinter ihr das Licht der aufgehenden Sonne, dass ihren Schatten, weit in das Höhleninnere warf. Jegar hatte sie nicht bemerkt und den anderen ging es da wohl auch nicht anders, ihren erschrockenen Gesichtern zufolge. Sie war wirklich lautlos wie eine Katze. Vermutlich hatte sie schon eine Zeit lang dort gestanden und gelauscht, da sie gar nicht erst fragte worum es ging. "Norwen hat recht, lasst das Herumgebrülle", wies sie sie stattdessen zurecht, "Man kann euch meilenweit hören, vermutlich haben sie bereits Soldaten geschickt, die herausfinden sollen woher dieses Geschrei kommt."

    Jegar beobachtete das Geplänkel zwischen dem Söldner und dem Gelehrten skeptisch. Vor allem die Tatsache, dass sie anscheinend wegen nichts weiter als einer Karte, die nicht einmal auf der Höhe ihrer Zeit war, solche Risiken eingegangen waren, runzelte er die Stirn. "Andererseits", dachte er sich, als er das Leuchten in Norwens Augen sah, "Denkt der Gelehrte darüber vermutlich anders." Er beschloss nicht mehr weiter darüber nachzudenken und schloss sich Rodrick an, der beschlossen hatte, dass es an der Zeit war sich schlafen zu legen. Der Mann war die andere Sache, die ihm Stirnrunzeln bereitete. Was wollte ein Söldner von ihnen, obwohl sie ihn nicht bezahlen konnten, sondern nur eine ganze Menge Risiken mit sich brachten. Die Situation in der Stadt hatte ihm wenig Wahl gelassen, nachdem er in den Vorfall in dem Wirtshaus verstrickt worden war, aber jetzt hier draußen? Nichtsdestotrotz hatte er ihn nicht verraten, als er die Gelegenheit gehabt hatte und war mit seiner Aktion vor den Toren der Grund, wieso sie sich jetzt überhaupt außerhalb dieser befanden. Dies musste er, bei all dem Misstrauen, dass er gegenüber Männern, die ihre Fähigkeiten zu Kämpfen und zu Morden in Dienst des Meistbietenden stellten, hegte, anerkennen. Es war auch nicht so, als hätte er per se etwas gegen den Beruf an sich, man tat eben das was man am besten konnte um Geld zu verdienen. Nur, dass seine vorherigen Bekanntschaften mit solchen Menschen alles andere als positiv gewesen waren. Belle bot an die erste Wache zu übernehmen und er nahm dankend an. Zuviel war an diesem Tag passiert, schon bevor er auf Belle und die anderen getroffen war. Seine Gedanken stahlen sich unaufhaltbar zu dem kleinem Stück Pergament in seinen Taschen, dass ihm ein Vermummter am Mittag ohne ein Wort, ohne eine Erklärung in die Hand gedrückt hatte. Er entschloss sich Norwen am Morgen zu fragen, ob er nicht einen Blick auf seine anderen, hoffentlich aktuelleren, Karten werfen dürfe, sofern dieser denn noch weitere hatte. Andererseits. Ein Gelehrter ohne Karten... Undenkbar. Unruhig rutschte er auf dem glatten Stück Stein hin und her, bis er der Meinung war eine für den Rücken unbedenkliche Lage gefunden zu haben und starrte an die Höhlendecke über ihm. Der rötliche goldene Schein der unweit von ihm tanzenden Flammen zeichnete ohne Unterlass neue Muster auf den glatten Fels. Er betrachtete die Figuren solange bis seine Augenlider schwer wurden und zufielen, sodass von der Außenwelt nur noch die Geräusche des Waldes außerhalb der Höhle und das Atmen der anderen innerhalb der Höhle zu ihm vordrangen. Wie lange hatte er das letztere nicht mehr gehört. "Ach ja", dachte er und schob die Gedanken daran schnell beiseite.

    Jegar spürte wie sein Körper anfing vor Anspannung zu vibrieren. Nur seine Finger um den Dolch, den sie noch verborgen unter seinem Mantel hielten waren ruhig. Als der Söldner beruhigend die Hände hob, zwang er sich zur Beherrschung. aus den Augenwinkeln sah er ein leichtes Lächeln, das die Lippen des Gelehrten umspielte und Belle, die angespant wie eine Katze vor den Sprung dasaß. Nur das ihre Krallen schärfer, länger und aus kaltem Stahl waren. Demonstrativ zog er die Hände unter dem Mantel hervor um die Lage zu entspannen, wenn er dies von sich selber auch nicht gerade behaupten konnte. Er wollte ein Blutbad vermeiden. Norwen tat es ihm gleich, indem er seine Hände von dem Stab, dessen eisernen enden das flackernde Licht des Feuers reflektierten, nahm und auch Belle ließ von ihrem Dolch ab. "Ein Verbrecher fürwahr. Und was für einer", behauptete er. Er hatte beschlossen auf den Sarkasmus einzugehen, auch wenn er seine Lippen nicht dazu bringen konnte sich zu einem Lächeln zu krümmen. "Als ich 11 war stahl ich ein Stück Brot aus unserer Küche und auch danach folgten unzählige Verbrechen, die es dem ersten an Grausamkeit und Niederträchtigkeit nachtaten", gestand er und erreichte ein Lächeln seitens Rodricks, welches jedoch nicht über seine ernsten Augen hinwegtäuschen konnte. "Ich muss ihm ehrlich Antworten", wurde Jegar bewusst, auch wenn er es gerne vermieden hätte. Doch wie es ihm schien war er auf die Hilfe des Söldners angewiesen. Zumindest für das erste. "Meine Familie wurde von Vertrauten des Königs verraten", erzählte Jegar schließlich und bemühte sich so viel Hohn wie nur möglich in das Wort "Vertrauten" zu legen, "Und verlor so dessen Gunst." Er musste schlucken, als Bilder erneut, wie schon so viele Male anfingen hämisch vor seinen Augen umher zu tanzen und ihn zu verspotten schienen. Bilder, die er schon so oft versucht hatte zu verdrängen. "Diese Vertrauten gaben mir dann die Schuld", fuhr er mit unwillentlich belegter Stimme fort, "Für ihre Verbrechen, die dann folgten."

    Jegar ließ seinen Blick über die Wachen schweifen. Suchte nach Schwachstellen, nach Nachlässigkeit. Er wurde enttäuscht. "Sie überprüfen jeden einzelnen", stellte er leise fest, "Auf diesem Weg kommen wir nicht aus der Stadt." Kleine Gruppen von bis zu fünf Wachen schlugen zudem Breschen in die Menge und bewarfen auch die Wartenden mit misstrauischen Blicken. "Sie werden nicht aufgeben", erkannte Jegar, "Zumindest nicht in den nächsten paar Tagen." In den Gesichtern der anderen fand er genauso viel Ratlosigkeit vor, wie die anderen vermutlich in dem seinem. Nur in Rodricks machte sich Nachdenklichkeit breit. Hatte der Mann eine Idee? "Was nun", fragte er in die Runde, "Hier können wir nicht bleiben." Die anderen nickten zustimmend. "Ein Gasthaus", schlug Norwen vor, "Ich weiß es ist riskant, aber wir müssen die Spuren des Kampf beseitigen." Jegar dachte an die eindeutigen Blutflecken auf ihrer Kleidung und musste zugeben, dass der Gedanke an ein warmes Bad verlockend erschien. Doch trotzdem. Was wenn ein Gast sie erkannte. "Aber in welchem Gasthaus ruft man nicht so bald wir einen Stiefel über die Schwelle setzen die Wache", sprach Belle seinen Gedanken aus. Sie wirkte harmlos so wie sie da stand, das Blut fiel auf ihrem dunklem Hemd kaum auf, aber Jegar wusste, dass der Schein trog. Sie hätte ihn töten können, dort in der Seitengasse. Aber sie hatte es nicht getan. Und das obwohl sie im Gegensatz zu den anderen wusste wie hoch das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld war. So richtig schlau wurde er nicht aus ihr. Was hatte ihr Anlass gegeben ihm, jemanden den sie kaum kannte und der vielleicht keinen Skrupel hätte sie im Gegenzug hinterrücks zu erstechen, zu vertrauen? Er hoffte nur, dass diese Entscheidung ihr nicht zum Verhängnis wurde. Er brachte sie in Gefahr, er brachte alle in Gefahr, das war ihm durchaus bewusst. Nicht, dass er bezweifelte, dass einer von ihnen nicht damit klar kommen würde. Trotzdem. Zum ersten Mal seit Jahren, spürte er so etwas wie Dankbarkeit und er wusste nicht, ob er das gut finden oder ob es ihm Angst machen sollte. "Das ist jetzt auch egal", behauptete Rodrick, der mit dem auf dem Rücken geschnallten Beidhänder keinen Hehl aus der Gefahr, die von ihm ausging, machte, "Auf jeden Fall müssen wir jetzt hier weg." Er deutete mit dem Kopf auf eine Gruppe Wachen, die nun in ihre ungefähre Richtung steuerte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sie entdeckt hätten.

    Jegar kam nicht umhin zu seufzen. Der Marktplatz. Es gab wahrlich bessere Verstecke als einen Marktplatz, wenn man blutbesudelt und bewaffnet war, aber immerhin hatte der Gelehrte sein leben auch für ihn eingesetzt und vielleicht würden selbst die Spuren eines Kampfes in einer Menschenmenge wie die, die da draußen herrschte, untergehen. Dafür musste man jedoch erstmal zum Marktplatz kommen... Trotz seiner Bedenken nickte er jedoch und sah erwartungsvoll in die Runde. Nur Belle hatte sich noch nicht geäußert. Der Gedanke die Gesellschaft vierer Menschen schien ihm unvertraut, doch er hoffte trotzdem, dass sie sich ihrer kleinen Gruppe anschließen würde. Eine Gruppe. Genau das war hieraus geworden. Aus 4 Menschen, die auf absurdeste Weise zufällig zusammengekommen waren. Nun, zumindest galt das bis zum Verlassen der Stadt. Oder bis einer von ihnen sich entschloss, dass so ein hohes Kopfgeld nicht abzulehnen war. Ob schuldig oder nicht. Ein bisschen Misstrauen durfte ihm nicht abhanden kommen. Sie war seine einzige Möglichkeit zu überleben.

    Jegar atmete erleichtert durch und ließ den Dolch durch seine Finger wandern. Diese Übung hatte ihn schon beruhigt, als noch alles normal war in seinem Leben. Ohne das Fingerspiel zu beenden beugte er sich herab und zog einen anderen seiner Dolche aus dem Genick eines der Männer. Er hatte ganz hinten gestanden, am nächsten an der Tür. Sein Fluchtversuch hatte ihm nur kalten Stahl eingebracht. Andernfalls stände vermutlich bereits die Stadtwache vor der Tür. Er bedauerte es in gewisser Weise sie getötet haben zu müssen, sie waren im Grunde Opfer der Lüge seiner Häscher genau wie er, aber immerhin hatten sie mit den Mordversuchen begonnen. Bedrohlich wendete er sich dem letztem Verbliebenen zu. Der Mann war von der Frau und diesem Söldner namens Rodrick in eine Ecke gedrängt worden. Blitzender Stahl von einem Breitschwert und einem Dolch spiegelte sich in seinen vor Angst weit aufgerissenen Augen. Sein eigenes Schwert lag mittlerweile vergessen auf dem blutdurchtränkten Holzboden des Gasthauses. "Ihr da", rief er dem Mann zu, der den Blick nur zögerlich von seinen "Wächtern" hob, "Was wollt ihr von mir." Jegar kannte die Antwort schon, aber wenn der Söldner und der Gelehrte sie von einem Mann hörten, der sie der Stadtwache übergeben lassen wollte, und von ihm nur die Verteidigung, wirkte er vielleicht etwas glaubwürdiger. "Dein Steckbrief", antwortete der Mann stotternd und mit hoher Stimme, die im diffusen Kontrast zu seiner Körpermaße von nahezu zwei Metern und mindestens 130 Kilo stand, "Was erwartest du, du dreckiger Verbrecher." Die Stimme war bei seinem zweiten Satz um mehrere Tonlagen nach unten gerutscht. Mut hatte er, dass musste ihm Jegar lassen. "Du bist ein elendiger Mörder", fuhr der Mann fort und spukte auf den Boden, "Ein Mann der seine Familie umbringt verdient nichts als den Tod." Jegar spürte die Blicke des Gelehrten über ihn wandern. Der Söldner hatte seiner Geschichte ja vermutlich bereits gelauscht und sich seinen Teil gedacht. Ob er ihm glaubte war dagegen eine andere Sache. "Lüge", fuhr Jegar auf und entgegnete dann deutlich ruhiger, "Aber das könnt ihr ja nicht wissen." Der Mann lachte. Es war ein raues Lachen, ohne Freude, ohne Häme. "Das habe ich schon oft gehört", behauptete er, "Ich bin unschuldig. Man hat mich reingelegt. Nur, dass diese Menschen in der Regel die andere Seite eines Schwertes in ihre Richtung gewandt hatten." Jegar ignorierte das und wandte sich zu den anderen. Belle, bei der er froh war nicht mit ihr in einen echten Messerkampf verwickelt worden zu sein, Rodrick, der mit seinem Breitschwert einen Mann zu Zwillingen gemacht hatte, und Norwen, der mit seinem Stock genauso gewandt schien wie mit dem Wort. "Was machen wir mit ihm", fragte er. "Wir töten ihn und verschwinden", knurrte der Söldner sofort, "Und dann suchen wir uns einen Ort wo wir uns mal in Ruhe unterhalten können Junge." Jegar musterte ihn. Ihm schien, seinen Worten und dem Blick nach zu urteilen, die Menge der Angreifer zu missfallen, die es auf einen einzigen Mann, oder mit seinen Worten "Jungen", abgesehen hatten. "Oder wir lassen ihn einfach hier", warf der Gelehrte ein, "Die Wirtin wird sich um ihn kümmern und es wird nicht noch mehr Blut vergossen. Das hier geschehene dürfte eurem Ruf ohnehin nicht mehr schaden als ohnehin schon." "Die Wirtin", unterbrach Belle ihn. Die vier sahen sich an. Rodrick ging zum Tresen, sah dahinter, und dann weiter in den darauffolgenden Raum. "Ist ausgeflogen", berichtete er bei seiner Rückkehr, "In Kürze wird es hier von Wächtern nur so wimmeln." Jegar überlegte kurz, ging zu dem verbleibendem Mann hin und schlug ihm seinen Dolchknauf gegen die Schläfe. "Der wacht nicht mehr so schnell auf", behauptete er und wandte sich dann zu den anderen, "Ich weiß ihr kennt mich nicht, aber ich danke euch für eure Hilfe. Wenn ihr alleine fliehen wollt, dann tut das. Ich würde es verstehen." Er spürte wie sich Panik in ihm breit machte. Jede verstrichene Sekunde ließ die Angst in ihm hochbrodeln. Er musste einen Ausweg finden, die Stadt verlassen... Wieder. Es durfte nicht alle umsonst gewesen sein.

    "Jeagar", antwortete Jegar gedankenverloren, immer noch in die Entscheidung vertieft, ob die beiden nun als ungefährlich einzustufen wären, oder nicht, und schalt sich sogleich für seine Arglosigkeit. Was, wenn der Söldner von seinem Namen gehört hatte. Er wusste wie hoch das Kopfgeld auf ihn war und es stieg jeden Monat, in dem er lebte. Viele achteten bei soviel Geld gar nicht mehr auf das vermeintliche Verbrechen, sondern nur auf Name und Aufenthaltsort und beides kannten die Fremden jetzt. Dennoch konnte er in keinem ihrer Gesichter eine Reaktion erkennen. Vielleicht hatte er Glück oder sie waren einfach sehr gut darin dergleichen zu verbergen. "Weshalb habt ihr euch eigentlich zu uns gesetzt?", fragte er den Mönch, "Irgendetwas müsst ihr ja von uns gewollt haben."

    Als sich sowohl der Robenträger, als auch der Mann mit der Narbe zu ihnen gesetzt hatten, wurde die Situation zugleich entspannter und beängstigender. Entspannt deshalb, weil außer ihnen 4 sich niemand mehr in der Gaststube befand, der ein potenzieller Kopfgedjäger sein könnte und beängstigend deshalb weil nun drei Menschen so nah bei ihm waren, dass er einen Dolch unter der Tischplatte kaum kommen sehen konnte. Er wusste, dass das paranoid wirken mochte und vielleicht war es das auch, aber wenn man wusste, dass die ohne seinen Vater mittlerweile vermutlich mächtigste und reichste Familie es auf ihn abgesehen hatte... Nun ja. Zumindest war er froh, als er registrierte, dass ihrer aller Hände sich über der Tischplatte befanden. "Nun", begann er, bemüht entspannt, "Wer seid ihr und was wollt ihr von uns." Er wusste, das war unhöflich, und er wusste, dass sein Vater ihn bei Tisch in hoher Gesellschaft getadelt hätte, aber das hier war keine hohe Gesellschaft und sein Vater würde ihn nie wieder tadeln. Vielleicht war es hier und jetzt unverschämt und misstrauisch, doch hier und jetzt war es ihm egal.

    Jegar atmete bei der Frage hörbar ein und nahm dann schnell einen tiefen Schluck von seinem Bier um einerseits seine Reaktion zu überspielen und andererseits Zeit zu gewinnen. Er überlegte sich, ob er die Frage nicht einfach ignorieren sollte, oder lügen, oder wütend werden, oder... Ach er wusste auch nicht. Eben wie er bei jedem anderem reagiert hätte. Aber sie hatte sein Leben verschont und seltsamerweise hatte er das Gefühl, ihr das ganze anvertrauen zu können. Wieso wusste er auch nicht, vielleicht weil er die Geschichte so lange niemandem mehr erzählt hatte, dass er hoffte sie wäre ihm selbst unbekannt. Ihr? Wie hieß sie eigentlich? "Meine Familie ist wirklich tot", begann er und spürte sogleich wie sein Mund beim Aussprechen dieser Worte trocken wurde. Schnell nahm er noch einen Schluck Bier. Kühl und lindernd rann der Gerstensaft die Kehle hinab und betäubte die Wunden, die dieser Satz gerissen hatte. "Ermordet auch. Aber nicht von mir", ergänzte er fort und bemühte sich wieder einmal seine Stimme ruhig zu halten. Diesmal gelang es nicht. "Es berührt mich mehr von meiner Familie zu sprechen, als einen Dolch an der Kehle zu haben, der mein Leben mit einem Schnitt auslöschen könnte", erkannte er, doch diese Tatsache ängstigte ihn weniger, als er erwartet hätte. "Es wahr Nacht und wir wurden verraten. Sie kamen zahlreich", fuhr er mit trockener Stimme fort, doch jetzt war bereits zu viel gesagt um noch umzukehren, "Mein Vater war ein Soldat. Aber ein guter Mann. Sein Einfluss war sein Ende und das von meiner gesamten Familie. Ich bin der letzte, der übrig geblieben ist." Jetzt wo die Worte raus waren fühlte er sich teils mutlos, teils erleichtert. Er blickte in ihre Augen, die nun bei Licht dunkelbraun und nicht schwarz waren und meinte so etwas wie Mitleid in ihnen zu erkennen, andererseits war es schon so lange her, dass er jemandem etwas gesagt hatte, das eine Reaktion hervorrufen könnte, dass es auch Spott sein könnte. "Wie ist eigentlich dein Name", fragte er in die entstandene Stille hinein, stille war jetzt das letzte, was er ertragen könnte, "Du kennst meinen, aber ich nicht deinen." Sie öffnete den Mund, vielleicht um die Frage zu beantworten, vielleicht um auszuweichen, als Jegar den Blick eines Mannes mit einer langen Nabe quer übers Gesicht einen Tisch weiter bemerkte, der denselbigen sofort senkte, und sich zugleich ein weiterer Mann in einer lilafarbenen Robe und gutmütigen Gesicht mit dem Wort "Verzeihung" zu ihnen setzte. Jegar griff sofort nach seinem Dolch und hielt ihn dem erschrockenen Robenträger an den Hals, während er mit einem zweiten in der anderen Hand zum Wurf auf den Mann mit der Narbe ausholte. Er war erst vor einer Woche von einem Mann beinahe umgebracht worden, der ihn mit dem sorgsamsten und gütigsten Lächeln, das er je gesehen hatte, in Vertrauen gewiegt hatte und von Söldnern mit auffälligen Narben wollte er erst gar nicht anfangen. Die Frau ihm gegenüber war genauso schnell gewesen und hatte ihren Dolch gezogen, hielt diesen jedoch abwehrbereit und minder agressiv als er vor sich. "Eine Falle", knurrte Jegar nur und hoffte innigst, dass die Frau nicht mit den anderen beiden zusammen arbeitete. Eine dritte Hand hatte Jegar nicht mehr.

    Jegar schritt mit bedächtigem Schritt über die Straße. Den Kopf sorgfältig unter einer Kapuze verborgen, duckte er sich zwischen die Massen, die ihn wie Meerwasser umspülten. Stimmen hallten laut aus all den Gassen und Gerüche hatten sich wie eine schwere Decke aus Kräutern, Unrat und diversen anderen Dingen über sie gelegt. Jegar ignorierte das alles, scheinbar teilnahmslos und stier ließ er sich von der Menge mitziehen. Alles was ihn aus der Masse hervorhob, könnte seinen Verfolgern auffallen. Er wusste, dass sie irgendwo hier waren, hier lauerten, bereit bei der kleinsten Unaufmerksamkeit zuzuschlagen. Seine Finger tasteten über seinem Mantel nach dem Metall der Messer darunter. Ihre Unnachgiebigkeit beruhigte ihn. Plötzlich erhaschte er aus den Augenwinkeln den Anblick einer jungen Frau, die ihn zu mustern schien. Als er jedoch in ihre Richtung blickte, schweifte ihr Blick bereits wieder über die Auslagen eines Standes der verschiedene Stoffe feil bot. "Feinste Seide, Baumwolle und robuste Baumwolle", brüllte der Verkäufer gerade in die von den vielen Körpern aufgeheizte Abendluft hinaus, "Die beste Qualität in der ganzen Stadt." Hatte sie sein Tasten bemerkt? Ohne weiteres Interesse zu zeigen wandte sie sich wieder von dem sichtlich enttäuschten Verkäufer ab, dem ihr Interesse an seinen Waren bereits aufgefallen hatte, und ging ihres Weges. Jegar versuchte unauffällig zu bleiben und folgte ihr, während er sie weiterhin aus den Augenwinkel beobachtete. Sie war nicht besonders groß und trug einen einfachen langen Mantel. Über ihren Rücken ergoss sich eine Flut dunkelbrauner Locken. Sie ging schnell, maß den anderen Leuten ebenso viel Bedeutung zu wie ihm und bog, als Jegar sich gerade entschieden hatte sich zurückfallen zu lassen, in eine schmale Nebengasse ab. Er zögerte kurz. Sie schien eine ganz normale Person zu sein und vermutlich hatte er sich ihren Blick nur eingebildet. Außerdem gäbe es weit Klügeres als ihr zu folgen, wenn sie tatsächlich eine jener Attentäter war, die hinter ihm her waren. Trotzdem blieb er unschlüssig an der Biegung stehen. Er blickte um die Ecke, sah in bereits weiter Entfernung eine Person um eine weitere Ecke verschwinden und betrat schließlich ohne weiter nachzudenken die Gasse. Es war vielleicht dumm, besonders da die späte Stunde die Sonne bereits hinter den Horizont gedrängt und das meiste Licht des Tages vertrieben hatte, doch letztlich siegte die Neugier. Schnellen Schrittes um sie nicht zu verlieren, jedoch bemüht leise, ging er ihr hinterher. An der Stelle angelangt, an der sie verschwunden war spähte er in die darauffolgende Gasse. Sie war leer. Und das nicht etwa weil die Frau bereits um die nächste Biegung verschwunden war, denn diese war noch weiter entfernt als die vorherige. Nachdenklich blieb er einen Moment lang stehen. Vermutlich war sie in einen dieser unzähligen Hauseingänge betreten. Vielleicht wohnte sie hier und besuchte jemanden. Es ging ihn sowieso nichts an. Er scholt sich einen Narr und drehte sich schulterzuckend wieder um, eine dunkle Gasse, ob leer oder nicht, war immer ein gefährlicher Ort, und spürte prompt kalten Stahl an seinem Hals. Vor ihm stand die junge Frau, der er gefolgt war und funkelte ihn aus dunklen Augen an. "Wieso verfolgst du mich", fragte sie und druckte den Dolch fester an seinen Hals. Erste Bluttropfen drangen aus dem flachen Schnitt. Eine Warnung auf mehr. Jegars Gedanken ratterten. Sie hatten ihn. Nach unzähligen Monaten der Jagd, hatte seine Vergangenheit ihn endlich eingeholt. Verzweiflung machte sich breit. "Was haben sie für meinen Kopf geboten", fragte er um sich etwas Zeit zu erkaufen und war stolz, dass er seine Stimme ruhig halten konnte. Einen Augenblick lang schien es ihm, als würden sich ihre Augen um einige wenige Millimeter weiten. War das Überraschung gewesen? "Haben sie dir erzählt ich wäre ein Mörder oder ein Dieb oder haben sie dir die Wahrheit gesagt", fuhr er fort und bemühte sich möglichst viel Spott in seine Stimme zu legen. Unauffällig fühlte er nach dem Dolch, der sich in einer Scheide an seinem Unterarm befand. Vielleicht war da eine Chance. Wenn, dann jedoch sicher seine einzige. "Oder haben sie dir gar nichts gesagt außer die Belohnung und das Ziel", schob er eine letzte Frage nach und ließ sich nach hinten fallen. Im Sturz ließ er seinen Arm vorschnellen, so dass sich der Dolch aus der Scheide löste und dessen Griff in seine Hand glitt. Auf dem harten Boden bremste er seinen Aufprall, indem er sich abrollte und wieder auf die Beine kam. Die Frau war indes auch nicht untätig gewesen. Ein schneller Ausfallschritt und der Dolch drückte erneut an seinen Hals, diesmal fester und ihm schien es fast kälter. Doch jetzt drückte auch sein Dolch an ihre Brust. Es war nur ein Wurfdolch. Die Wunde wäre nicht sehr tief, aber tief genug um ein paar Organe zu erreichen. Trotzdem, mit etwas Glück würde sie überleben. Ein aufgeschnittener Hals indes... Aber wenigstens war es etwas. Irgendetwas.