Beiträge von Windweber im Thema „Sind wir alle nur Weltenflüchter?“

    Der Fantasy wird ein Hang zum Eskapismus unterstellt, weil sie meist eine mittelalterlich geprägte, vereinfachend strukturierte Gesellschaft darstellt und somit die gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Realitäten und Probleme unserer Zeit ausblendet oder verdrängt. Dieser Vorwurf trifft auf viele Werke zu, verschweigt aber, dass bereits die frühe Fantasyliteratur ihren fiktiven Hintergrund dazu genutzt hat, philosophische Fragen zu erörtern oder gesellschaftliche Probleme aufzuzeigen, etwa die König-Artus-Buchreihe von T. H. White. Auch zeitgenössische Fantasy greift immer wieder aktuelle Fragestellungen (Krieg, Nationalismus, religiöser Extremismus) auf.J. R. R. Tolkien bezeichnet in seinem Aufsatz On Fairy Stories von 1937 den Eskapismus als integralen Bestandteil der Fantasy. Danach bestehen die Funktionen einer Fantasygeschichte immer auch darin, erstens die Phantasie zu wecken („Fantasy“), zweitens den Lesern Wiederherstellung zu ermöglichen („Recovery“), drittens Fluchtmöglichkeiten („Escape“) und viertens Trost („Consolation“) zu gewähren. Während die Phantasie gewissermaßen die Eintrittskarte in die phantastischen Welten ist, versteht Tolkien die Wiederherstellung als ein „Wiedererlangen eines klaren Blicks“ und die Einnahme einer neuen Perspektive. Beim Begriff der Flucht unterscheidet Tolkien zwischen zwei Varianten, die er als die Flucht des Deserteurs und die Flucht des Gefangenen charakterisiert. Ersterer ist einfach ein Feigling, der weglaufen will. Gefangenen aber könne man den Willen zur Flucht nicht übelnehmen. Ihre Flucht ist mehr Widerstand als bloßes Weglaufen. Somit versteht Tolkien die Fluchtmöglichkeit, die das Genre Fantasy bietet, als Möglichkeit zur Erfüllung von Sehnsüchten und Befriedigungen, die die reale Welt nicht bieten kann. Für ihn ist eine der wichtigen Funktionen von Fantasy die Rückkehr zu dem im Mythos und im mythischen Denken verankerten Zustand der Verzauberung.

    Flucht ist eine wesenliche Funktion von Fantasy, aber nicht die Flucht des Deserteurs, sondern das Entkommen eines Gefangenen. Flucht bedeutet Erholung, Wiedergesundung. Fantasy dient der Überwindung einer imaginativen Armut, denn nach Tolkiens Überzeugung ist die Imagination der Perzeption überlegen.

    (Beitrag 27)

    Ich kann mich dem guten Tolkien hier nur anschließen!

    „Wieso sollte jemand verachtet werden, der sich im Gefängnis befindet und versucht, herauszukommen und heimzugehen? Oder, sofern das nicht geht: wenn er über andere Themen nachdenkt und spricht als über Wärter und Kerkermauern?“
    -Tolkien