Beiträge von Schreibfeder im Thema „Gefangen in den Banden der Familie“

    Langsam ging sie die Hafenstraße entlang, manche nannten sie auch die Hafenpromenade, auch wenn für Hjsas Geschmack dafür es zu dreckig war. Überhaupt war die ganze Stadt alles andere als sauber, aber zumindest von den Bettlern blieb sie verschont. Jedermann wusste ja, dass es Adeligen verboten war, sich mit denen der Unterschicht abzugeben und nirgendwo wurde das deutlicher als in Weretwach. Das sorgte immerhin dafür, dass man sie in Ruhe ließ.
    Sofern sie natürlich nicht in die finstersten Gassen reinlief. Dieben und Gesetzloses war es egal, ob sie adelig war oder nicht. Die "Geschäftsbeziehung" dauerte meist nur wenige Sekunden an.
    Aber diese Gassen waren nun wirklich nichts, in das sie reinlaufen wollte, auch wenn ihr eigentliches Ziel bei Herten sicherlich einen Herzriss verursachen würde, wüsste er etwas darüber.
    Mit strammen Schritten betrat sie eine der unangenehmen, aber immerhin bürgerlichen Schenken der Stadt. Das unterste Niveau, was ihren Stand nach erlaubt war. Als sie den langgestreckten Raum durch die offene Tür betrat, hörte sie schon kehliges Gelächter von mindestens einen halben Dutzend Minenwächtern. Rauen Burschen ohne Sinn für Anstand und Benehmen. Nach einen kurzen Blick zum Wirt, der stumm den Kopf schüttelte, verließ sie die Taverne wieder.
    Zum Glück musste sie nicht lange gehen und zwei Häuser weiter betrat sie geduckt die nächste Schenke, in der sich ein Trupp Stadtwachen vergnügten. An der Hafenstraße reihten sich die Tavernen dicht an dicht und zogen jeden Seemann, der Landurlaub bekam, die Münzen aus der Tasche.
    Und Hjsa wusste, das es hier noch eine andere Währung gab, und die bestand aus Informationen. Und die man mit puren Gold aufwiegen konnte, wenn jemand wie Hjsa diese haben wollte.
    Das ausgerechnet Stadtwachen hier sich aufhielten, machte Hjsa den Job schon fast zu leicht, denn niemand wusste mehr schmutzige Details über den Adel, als die Hüter des Gesetzes. Zumindest niemand, zu den sie hingehen durfte. Sicherlich gab es Straßenratten, die mir noch widerlicheren Geheimnissen hausieren gehen konnten, aber die waren ihr zum Glück verboten.
    Sie ging zum Tresen und bestellte sich ein gutes Bier. Nicht das verwässerte, gepanschte Zeug, das einige wie Wasser trinken konnten, sondern gute Ware. Für Hjsa war das Bier nur Mittel zum Zweck, denn zuerst wollte sie den Stadtwachen zuhören, ob die nicht ein paar schmutzige Geheimnisse austauschten, bevor sie den Wirt oder die Soldaten mit klingender Münze zum reden brachte.
    Aber selbst das wollte sie möglichst hochwertig haben.
    Wüsste allerdings ihre Köchin oder ihr Vorkoster davon, dass sie hier minderwertiges Bier aus ungewaschenen Krügen trinken wollte, an das schon hunderte andere Lippen hingen, würden sie wohl augenblicklich tot umkippen.
    Bei ihrer Mutter hatte diese Taktik leider nicht geklappt.

    Hjsa eilte mit leisen Sohlen aus dem Arbeitszimmer, sperrte das schwere Schloss ab und schlich über den Teppich im schmalen Flur weiter. Sie achtete genau darauf, dass sie nicht die Bohlen betrat, die so elendig knarrten. Ansonsten wäre ihr Haushofmeister innerhalb von zwei Herzschlägen am anderen Flurende. Und das mit einer schier endlosen Liste von Dingen, die sie noch für das Haus tun sollte.
    Verion Thilan hatte eine große Summe aufgeboten, um das Haus wieder in einen neuen Glanz erstrahlen zu lassen, aber Hjsa hielt das für eine obzöne Geldverschwendung. Es war einfach nur lächerlich, denn mit den Geld könnte man drei Grenzbefestigungen in der Steppe bauen und unterhalten.
    Noch immer leise ging sie in die große Einganghalle, mit den reich verzierten Decken und Wänden. Wuchtige Holzbalken, die mit Edelmetallen und kunstvollen Malereien verziert wurden, schraubten sich zwei Stockwerke weit in die Höhe. Die Decke war ein Meisterwerk der Schnitzkunst und die Wände kunstvoll bemalt. Die Eingangshalle strahlte noch immer die Macht und den Reichtum aus, den ihre Familie einst hatte. Beides besaßen sie schon lange nicht mehr, aber Hjsa wusste, wie verzweifelt einige sich diese alten Zeiten zurückwünschten. Allen voran ihre Mutter.
    Sie schüttelte sich und eilte mit schnellen Schritten durch die Halle. Sollte Herten, ihr Haushofmeister, sie jetzt noch sehen, war sie schneller verschwunden, als er den Mund aufmachen konnte. Eilig öffnete sie die übermannshohe Tür und betrat den Garten. Neben dem Eingang sah sie zwei Soldaten ihrer Leibgarde, beziehungsweise der Leibgarde denjenigen, der das Haus bewohnte. Da Hjsa die einzige Adelige der Familie im Haus war, hatte sie nun auch plötzlich gute dreißig Leibwächter zur Verfügung,- ohne auch nur einen davon zu benötigen.
    Ohne ein Wort zu sagen, denn schließlich könnte Herten sie noch immer hören, trug sie eine kurze Notiz ins Wachbuch, wo sie hingehen würde und wann sie wieder zurück sein wollte und ging los.
    Der Garten empfing sie dicht, grün und verwinkelt. Sie liebte ihn so. Hier konnte sie stets die Illusion des Gefühles haben, das man sie tatsächlich nicht sehen und in Ruhe lassen würde. Auch wenn sie wusste, wie trügerisch der Gedanke war. Der Garten war groß, aber nicht so groß, dass sie sich tatsächlich länger als zwei Minuten in ihr verstecken könnte. Sie fand es ungemein praktisch, das niemand in der Familie in der Vergangeheit Geld in das Anwesen stecken wollte, denn so konnte der Garten vor sich hin wildern, ohne ständig von Gärtnern zerstückelt zu werden.
    Sie wusste aber, wie sehr dies Herten zuwider war, aber er hatte noch nicht den Fehler gemacht, das gegenüber Hjsa zu erwähnen. Er war feinfühlig genug und zu sehr in seine Stellung verliebt, als das er nicht ahnen könnte, das Hjsa ihn dann vermutlich hochkantig rauswerfen lassen würde.
    Schnell eilte sie auf der Straße, nickte den beiden Wächtern am Eingang freundlich zu und betrat die Straße. Überall standen weitere Anwesen und sie ging mit schnellen Schritten in Richtung des Hafens.
    Nach einer Weile wurden die Anwesen etwas kleiner und unbedeutener, aber der Kleinadel blühte zur Zeit in Weretwach. SIe sah selbst, wie ein junger Adeliger sich von einer jungen Adeligen förmlich verabschiedete. Und ein paar Anwesen weiter, war eine ganze Armada von Handwerken an einen anderen Haus beschäftigt. Ein weiteres Stück die Straße rauf, sah sie eine nagelneue Fassade an einen Haus, dessen arkane Mster auf einen adeligen Magier zurückzuführen war.
    Aber nichts davon war ihr Ziel. Mit sicheren Schritt ging sie in eine kleine Nebengasse rein und roch auf einmal die Seeluft des Hafens.

    Hjsa Verion Thilan stöhnte genervt auf und blickte sehnsüchtig aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers. Draußen war ein recht schöner Tag, wenn auch etwas kühl, und sie wünschte sich sehnsüchtig einfach nach draußen.
    Aber sie hatte Verpflichtungen, denen sie sich nicht entziehen konnte. Sie warf erneut einen Blick auf das Papier vor sich und drehte gelangweilt die Schreibfeder in ihren Fingern. Das Arbeitszimmer war nicht besonders groß und ziemlich staubig. Hier drinnen lagen zu viele wichtige Papiere, als das man einen Bediensteten hier herein hätte lassen können.
    Und weder Hjsa noch sonst wer aus ihrer Familie, war besonders gut im putzen. Auch wenn sie sich selbst eingestehen musste, dass sie ihre Bettstatt in den Steppen stets akkurat saubergehalten hatte.
    Das konnte aber gut daran liegen, dass sie in den Teilen von Hui unterwegs war, wo selbst die Gelehrten der Steppe sich den Militär unterordnen mussten. Was wiederum bedeutete, dass selbst eine hochwohlgeborende Adelige bei Sonnenaufgang aufstehen und sich militärischer Disziplin unterwerfen musste.
    Sie dachte jedoch nicht im Traum daran, dieses Zimmer aufzuräumen. Die weniger wichtigen Papiere lagen in den Regalen, einige Bücher, die meistens Abrechnungsbücher waren, lagen meist daneben. Irgendeiner ihrer Vorfahren hatte hier tatsächlich mal eine gewisse Ordnung eingefügt, aber das war vermutlich zu Zeiten, wo die Familie Thilan noch respektabel war und einen Sitz im Rat innehatte.
    Da ihr Bruder in wenigen Wochen eintreffen wollte, wäre das dann seine Aufgabe. Sicher, sie sollte ihn unterstützen, aber ihre Aufgaben waren vielmehr diplomatischer Natur. Sie sollte herausfinden, welche Adelshäuser zu welchen Häusern Verbindungen pflegte, welche Häuser der Familie Thilan wohlgesonnen waren und welche Adeligen ihren Bruder mit ihrer Stimme in den Rat bewegen könnten.
    Selbstverständlich sollte sie bei letzteren nachhelfen, so viel sie konnte. Zwar bezweifelte Hjsa das sie dazu fähig war, aber Verion Thilan hatte sie nicht umsonst so nachdrücklich hierher beordert, wenn er nicht davon überzeugt sei, das sie der Aufgabe gewachsen war.
    Möglich, aber eigentlich unwahrscheinlich war natürlich, dass ihre Mutter da die Finger im Spiel hatte. Sie war eine Intrigantin, was ebenfalls ein Grund war, weshalb sie so wenig Kontakt wie möglich zu ihr hielt.
    Jedoch glaube Hjsa nicht, dass ihr Zweig der Familie tatsächlich so viel Einfluss auf das Oberhaupt hatte. Auch wenn es ihre Mutter sicher ändern würde, wenn sie die Möglichkeit sah.
    Allerdings täuschte sie sich, wenn sie der Meinung war, dass sich Geron ebenfalls so leicht von ihr manipulieren lässe. Sie mochte ihren Bruder zu sehr, als das sie das glauben könnte.
    Plötzlich durchzuckte sie eine Idee, wie sie das Beste aus den Tag machen konnte. Sie warf sich ihr Obergewand über und zog den Zimmerschlüssel aus einer Schublade. Dann warf sie einen Blick auf das Pergament vor sich. Sie hatte es hinbekommen, die Feder quer übers Papier zu werfen und eine Spur aus Tinte hinterlassen.
    Papier war teuer und obwohl ihre Familie Geld genug hatte, hatte sie sich in der Steppe Sparsamkeit angewöhnt. Ordentlich schob sie die Schreibfeder wieder zurück ins Tintenglas, bevor sie den halbfertigen Brief mit einen Kohlestift einsteckte.
    Wenn sie ihre Idee richtig umsetzte, brauchte sie ohnehin etwas zum notieren.