Das dumpfe Dröhnen des Hornes schallte über die Ebene. Er saß auf seinem Reittier, einem prächtigen Hengst namens Shalin, auf der Kuppe des großen Hügels und betrachtete die Szenerie unter ihm stirnrunzelnd.
"Die Speerträger sollen fünf Schritt zurückweichen", sagte er laut und vertraute darauf, dass einer der zahlreichen Boten um ihn herum die Nachricht überbrachte. "Aber langsam. Es soll wirken, als gewännen sie an Boden." Sein ruheloser Blick galt den schier unendlichen Horden, die gegen die Schilde seiner Soldaten schmetterten. Schmetterten und zerbrachen. Bisher!
Pfeile verdunkelten den Himmel und die aufflackernden Blitze und Flammensäulen spendeten mehr Licht als die Sonne selbst.
"Das vierte Regiment soll den Hügel umgehen und sich bereithalten dem Feind in die Flanken zu fallen. Die Königinnengarde wird sie begleiten." Hinter sich war das Wiehern eines Pferdes zu hören, als der Reiter es herum riss und die Fersen spüren ließ. Der Mann zu seiner Linken, Artois, nickte ihm zu, bevor er salutierte und dem Boten folgte. Er würde als Anführer der Königinnengarde seine Männer in den Kampf begleiten. Ein jeder hier auf diesem Feld würde heute seine Waffe schwingen. Er war dabei nicht ausgeschlossen. Kurz wandte er sich vom Schlachtfeld ab und blickte sich um. Hinter ihm, fast vom Horizont verdeckt, ragten die Türme einer Stadt auf. Seiner Stadt. Welch prächtiger Abzug war es gewesen, als er und seine Männer durch die Straßen geritten waren. Jeder der blieb jubelte ihnen zu und die Frauen, die hofften nicht zu Witwen gemacht zu werden, ließen geflochtete Blumen regnen, um ihren Ehemännern Glück zu wünschen, wie es Sitte war. Wie viel Jubel hätte es gegeben, wenn sie gewusst hätten, dass die Armee in weniger als drei Monaten zurückgekehrt wäre. Beinahe geschlagen und kaum noch halb so groß wie zu Beginn. Als letzte Bastion vor einem Feind, den sie in den Bergen hätten schlagen sollen. So wie es ihnen ihre Verbündeten versprochen hatten, als sie sie lockten sich ihrem Feldzug anzuschließen. Nun, ihre Verbündete hatten einen harten Preis gezahlt. Ihre Armeen waren geschlagen und ihre Städte geschleift. Nun drohte ihnen und ihrer Stadt dasselbe Schicksal.
Mit einem eindringlichen Blick wandte er sich zu dem Mann zu seiner Rechten. Luos war der Anführer seiner Leibgarde und mittlerweile auch ihr letztes Mitglied. In seiner Miene stand nicht der Hauch eines Zweifels. Immerhin diente er unter dem großem Strategen, dem Löwen der Morgenröte. So oft hatten sie beide dem Tod getrotzt. Waren dem Schlag des Xhars durch ein letztes verzweifeltes Manöver oder eine Taktik, die genauso wagemutig wie unerprobt war, entgangen. Beiden war klar, dass sie nicht ewig entkommen konnten.
Unter ihm zog sich der Wall der Speerkämpfer ein klein wenig zurück und in den Reihen des Feindes brach Jubel aus. Jeder ihrer Gegner wusste gegen wen sie kämpften und keiner von ihnen war restlos vom Sieg überzeugt gewesen, allen Zahlen zum Trotz. Bis zu diesem Moment. Ein Hauch von Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Das hier würde seine letzte Hinterlassenschaft sein, sein Meisterstück. Kurz dachte er bedauernd an Ylenna und seine und ihre Kinder. Er würde dafür sorgen, dass sie weiterleben konnten. Dann zog er sein Schwert und er hörte wie sich der Ton hinter ihm zigfach wiederholte. Es kam ihm unerwartet still vor. Er war hundert- oder sogar tausendfach gewohnt. Mit einem letztem sehnsüchtigen Blick zurück auf die Mauern, deren alabasterweißes Funkeln er kaum erkennen konnte, ließ er Shalin antraben. Das Bild des großen Turmes in der Mitte der Stadt, der selbst aus dieser Entfernung gewaltig wirkte, brannte sich in sein Gedächtnis ein.
Die kleine Gruppe galoppierte den Hügel hinunter, aus dem Sichtfeld ihrer Gegner heraus. Der steile Abhang war zu jeder Seite hin leicht zu verteidigen und jeder hätte erwartet, dass sich auf der Kuppe die letzten Reste seiner Truppen versammeln würden, sobald der Kampf auf der Ebene verloren wäre. Sie hätten ihn bestimmt ein paar Stunden halten können. Vielleicht sogar bis zum Abend. Am Ende stände jedoch ihre sichere Niederlage.
Als sie die Stelle erreichten, wo sich die Königinnengarde und das vierte Regiment versammelt hatten, hielten sie nicht an. Die Männer, die sich bis dahin aus dem Kampf zurück gehalten hatten, fielen in ihren Galopp mit ein oder stürmten zu Fuß hinter den Pferden her. Kaum einen Augenblick später kam die Flanke der gegnerischen Horden hinter einer Erhebung zum Vorschein. Ein einziger Kundschafter, der die Seiten des Schlachtfeldes ausspähte hätte genügt, um die in einer Kuhle wartenden Truppen zu entdecken. Doch seine Bogenschützen auf dem Hügel hatten dafür gesorgt, dass sich niemand dieser Stelle genähert hatte. Jetzt fielen erschrockene Blicke auf sie und Offiziere brüllten verzweifelt ihre Befehle, um den Schlachtenlärm zu unterdrücken. Die meisten Menschen dachten, das zu einer guten Taktik ausschweifende Manöver und ausgefuchste Finten gehörten, doch meist genügten schon solch kleine und einfache Dinge. Wie zum Beispiel das Zurückweichen um ein paar Schritte, damit der Gegner dachte, die eigenen Reihen würden zerfallen. Seine Feinde waren nach vorne gestürmt, wie es ihnen die Logik der Schlacht befahl. Jeder Mann drückte sich jetzt dicht an den anderen, da die hinteren in ihrem Eifer nach vorne drängten. Die resultierende Enge und das unvermeidbare Chaos machten es ihnen unmöglich eine funktionierende Phalanx gegen den Kavallerieangriff zu schaffen. Wie rollende Felsen schlugen die Reiter in die ungeordnete Menge ein und schlugen breite Breschen für die Nachrückenden Fußkämpfer.
"Mein letztes Geschenk an dich Ylenna", war sein letzter Gedanke. Dann überflutete ihn die Schlacht wie eine tosende Flutwelle.
Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.
Die Angst in ihrer Stimme war der einzige Grund, warum er seinen Männern erlaubte die Tür zu öffnen. Ein hochgewachsener, dunkelgekleideter Mann trat ein. Er war allein. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich, als hätte er keinerlei Anlass sich zu beeilen.
"So lasst ihr also den Wolf in euren Schaafspferch", warf sie wieder ihr manipulatives Netz aus Gift und Lügen aus. "Was glaubt ihr wird er mit euch machen, wenn wir hier fertig sind." Er ignorierte die Worte und wandte sich stattdessen an den Neuankömmling.
"Ihr seid Jamal", stellte er fest. Ein Nicken folgte.
"Da liegt ihr richtig", fügte der Fremde hinzu. Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete der Mann dann ab, was er als nächstes sagen würde.
"Ich weiß nicht viel", gab er deshalb schließlich zu. "Wer ihr seid oder was ihr tut. Nur, dass wir Hilfe brauchen." Schon wieder war dieses Knarren aus dem unterem Stockwerk zu hören, das verriet, dass Feinde sich ihnen näherten. Seine Männer umschlossen ihre Waffen fester und stellten sich an die Seiten der Ausgänge. Wie lange konnten sie sich dieser Angriffe noch erwehren.
"Wissen ist ohnehin nicht viel wert", behauptete Jamal und grinste ihn an. "Nur eine Illusion, die uns davon abhalten soll an dem Sinn unseres Daseins zu zweifeln." Misstrauisch beäugte er den Fremden. Jamal war mal Legende mal Mythos. Mal war er eine Lichtgestalt, mal ein Dämon. Was war er heute. Kurz entschlossen unterdrückte er den Impuls zu fragen, wie der Mann hier herkam und was er zu tun gedachte. Es erschien ihm nicht richtig so etwas nach so einer Aussage anzusprechen und überhaupt hatten sie nicht die Zeit dazu.
Yamal blickte ihn nur unverwandt an, bis er schließlich zögernd nickte. Sofort trat er an ihm vorbei und auf die junge Frau zu, die gefesselt auf dem einzigem Stuhl im Raum saß. Doch bevor er sie erreichen konnte, warf sich ihm Senna in den Weg.
"Das dürft ihr nicht", schrie sie beinahe hysterisch und drängte sich mit dem Rücken gegen die Frau, kaum mehr als ein schmächtiges Mädchen mit goldblondem Haar, das ihr in Locken über den Rücken fiel, auf dem Stuhl.
"Senna", setzte er in beruhigendem Tonfall an und trat neben Yamal, der ruhig stehen geblieben war. Doch er kam nicht dazu weiterzusprechen. Die Frau auf dem Stuhl lachte plötzlich laut auf und umschlang seine Geliebte von hinten mit einem Arm, der eigentlich gefesselt hätte sein sollen. Ohne auf ihre Reaktion zu warten stach sie ihr mit dem Messer von Sennas Gürtel, das er ihr geschenkt hatte, damit sie sich im Notfall wehren konnte, in die Brust. Ihre Augen starrten einen Moment lang fassungslos auf den Knauf, der aus ihr ragte und dann auf ihn, der wie versteinert dastand. Dann erschlaffte sie und glitt auf den Boden vor ihrer Peinigerin. Mit einem Aufschrei löste er sich aus seiner Erstarrung und stürzte sich neben sie. Zerrte ihren kraftlosen Körper samt dem Messer fort von der Hexe auf dem Stuhl.
"Nein", wimmerte er beinahe und tastete verzweifelt nach ihrer Hand ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Er fand sie schließlich und drückte sie zwischen seinen Fingern zusammen, als könnte er so neues Leben in sie hineinpressen. Ihre bebenden Lippen verzehrten sich zu einem winzigem Lächeln. Nur die Mundwinkel zogen sich hoch und doch erschien es ihm, als verschwinde all ihre Trauer und ihr Schmerz aus ihrer Miene.
"Bleib bei mir", flüsterte er ihr zu. Zu mehr fehlten ihm die Worte. Und die Stimme.
"Sie stirbt", stellte Yamal fest. Er klang dabei völlig mitleidlos. Es war eine Tatsache, die er ohne jegliche Emotion von sich gab.
"Du", brachte er schließlich hervor. "Du kannst sie heilen. Du musst sie heilen." In seinen Augenwinkeln sah er wie dunkle Gestalten in den Raum stürmten und seine Wachen in aussichtslose Kämpfe verwickelten. Er nahm sie kaum wahr.
"Das könnte ich", bestätigte Yamal und ging auf die Knie. Nun klang doch ein wenig Mitgefühl in seiner Stimme mit. "Doch das bedeutet, dass sie", er deutete auf die Frau auf dem Stuhl, "frei bleibt, denn ich kann nur eines von beidem tun." Die Hexe verzog ihr Gesicht zu einer grinsenden Grimasse, die jede Schönheit und Unschuld, die sie davor geborgen hatte, augenblicklich vertrieb.
"Außerdem", setzte der Fremde erneut an. Nun klang seine Stimme bedauernd. "Es wird euch einen hohen Preis kosten. Über euren Tod hinaus." In seinem Rücken fiel der erste der Wächter. Aufgespießt von einer langen Klinge. Zerfetzt von scharfen Krallen.
"Alles", stieß er laut empor und wiederholte dann. "Ich gebe alles."
Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.
Er schritt durch einen langen Gang. Zu seiner Linken gab eine gewaltige Glasfront den Blick auf die etlichen Wolkenkratzer frei, die sich mit diesem hier maßen. Es mochte durchaus etwas beeindruckendes haben, zu sehen wie die Gebäude Stockwerk für Stockwerk in den Himmel empor ragten, doch heute hatte er keinen Blick für die vermeintliche Schönheit übrig. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Zielbewusst schritt er durch die Korridore und ließ mit seinem entschlossenem Blick niemandem einen Zweifel, dass er hier etwas zu suchen hatte. Die Wachmänner und Büroangestellte gingen an ihm vorbei. Muskelbepackte wie Anzugträger widmeten ihm kaum einen Blick oder grüßten ihn beiläufig. Wie sollten sie ihn auch nicht als einen der ihren ansehen. Der dunkelgraue Designeranzug, der ihm jedoch nicht genau passte, da er dem Aussehen entgegen nicht maßgeschneidert war, sah aus als gehöre er genau hier hin und auf etwas anderes achteten diese Leute ohnehin nicht. Deshalb wurde er auch kein einziges Mal angehalten, bis er das Büro erreichte, dass er gesucht hatte. Er hatte absichtlich nicht den direkten Weg genommen, um niemandem, der im Aufzug vielleicht Zeit hatte ihn genauer zu mustern, die Chance zu geben, seinen Zielort zu erraten. Vor der gläsernen Tür blieb er kurz stehen und betrachtete die Assistentin, die im Vorraum des Büros selbst Stellung bezogen hatte. Sie würde ihn nicht einfach so vorbei lassen, doch glücklicherweise hielt sie ihren Blick fest auf einen Stapel Papiere gerichtet, den sie vor sich aufgeschichtet hatte.
So leise er das fertig brachte öffnete er die Tür und glitt an der Seite der Wand entlang, möglichst weit von der Sekretärin entfernt, bis er nach einer Biegung die Tür zum eigentlichem Büro erreicht hatte. Gerade wollte er seine Hand auf den kupfernen Griff legen, als er neben sich plötzlich ein Papierrascheln vernahm. Erschrocken blickte er sich um, doch die Sekretärin hatte nur umgeblättert und hielt ihren Kopf jetzt auf einem Arm gestützt. Schnell öffnete er die zum Glück geräuschlose Tür und glitt hindurch.
Der imposante Schreibtisch vor ihm war leer. Der Mann, der dort sitzen sollte, stand ein paar Schritte daneben vor seiner ganz persönlichen Glasfront und starrte auf die Stadt hinunter. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt, doch auch der Senator hatte seine Anwesenheit scheinbar noch nicht bemerkt.
Er unterdrückte ein Grinsen. Das ganze avancierte zu einem Spaziergang. Man sollte meinen, dass jemand, der sich zur Kaiserwahl bereitstellte, besser geschützt wäre. Schnell und doch leise wie ein Windhauch huschte er rasch über den Parkettboden, den in der Mitte ein großes Abbild des Wappens, eines riesigen Adlers, der einen Stier in den Krallen trug, zierte. Noch bevor dem Senator die Spiegelung in der Glasscheibe auffallen konnte, stand er schon hinter ihm und als sich die in die Ferne gerichteten Augen vor Überraschung und Erschrecken weiteten, fuhr bereits eine Klinge über die Halsbeuge. Der Mann versuchte etwas zu sagen, doch von den durchschnittenen Stimmbändern erklang nur ein schwaches Krächzen und er stürzte zu Boden. Unwahrscheinlich, dass das jemand vor der Tür gehört hatte. Zufrieden trat er einen Schritt zurück und betrachtete den Körper, der in der immer größer werdenden Blutlache lag. Noch heute würde Chaos entflammen. Vielleicht würde Entsetzen die Menschen lähmen oder irgendwelche Narren würden Schuldzuweisungen brüllen. Er befände sich dann bereits weit entfernt, vielleicht außerhalb des Kraters, den auch der Senator verlassen wollte, mit reichlich Kapital für sein neues Leben.
Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.
Er stand inmitten einer tobenden Seeschlacht. Männer schrien zu Hunderten, um ihn herum, und die Steine der Katapulte schlugen auf die aufgewühlte Wasseroberfläche. Hin und wieder trafen sie auch das Deck eines Schiffes. Bohrten sich in ein Kastell oder ließen ein Segel krachend in sich zusammenfallen. Die Luft stank nach Rauch und Feuer. Er selbst deckte seine Umgebung mit Blitzen ein. Sie trafen die heranstürmenden Seemänner, die im Lauf erstarrt und tot umfielen. Seine Kameraden drängten derweil nach vorne. Trugen den Kampf von ihrem Schiff. Nicht wenige übersprangen bereits die schmale Kluft zu dem feindlichem Seegefährt.
Hinter ihm explodierte mit einem lautem Knall ein Tonbehälter der flüssiges Feuer über die Holzplanken versprühte. Ihn umhüllten die Flammen augenblicklich. Züngelten an ihm hoch und bissen sich tief in sein Fleisch. Mit einem Aufschrei taumelte er zur Seite, stieß gegen die Reling und fiel in seinem wilden Zappeln darüber. Einen Augenblick befand er sich in der Luft, dann schlug er hart auf der Wasseroberfläche auf. Von überall her stürzte sich das Meer auf ihn. Drückte ihn unter die Wellen. Stieß ihn umher wie eine junge Katze ein Wollknäul. Doch es löschte auch die Flammen und legte sich kühlend auf seine schmerzende Haut. Lichtstreifen, drangen zu ihm hindurch und beleuchteten, die Ascheflocken, die mit ihm in den Fluten schwammen. Immer tiefer sank er. Er spürte, wie die Kälte ihn umgriff wie eine stählerne Hand, die ihn sanft in Kissen bettete. Immer tiefer und tiefer. Er wusste nicht, ob einfach seine Sehkraft schwand oder tatsächlich weniger Licht nach hier unten drang. Das Salzwasser drang in seine Lungen, die sich panisch weiteten. Den Druck auf seiner Brust nahm er gar nicht mehr war. Dann versank er in völliger Schwärze.
Blitze brandeten über einen wolkenlosen Himmel. Dunkelheit.
Er schlug die Augen auf und fuhr hoch. In dem Raum, den er erwartet hatte, und ein paar Meter vom Bett entfernt, dass er nicht so leer vermutet hätte, öffnete sich gerade die Tür. Einem Instinkt folgend wollte er sofort zu seinem Schwert greifen, doch als das Gesicht hinter der Tür auftauchte, verschwanden all seine Bedenken. Es war nicht so, als ob er die Frau kannte, die das Zimmer wie selbstverständlich betrat, doch sie sah doch so unschuldig aus, dass er ihr nichts böses zutrauen mochte. Sie war nicht mehr jung, jedoch auch nicht viel älter als er, und Ihr Gesicht war durchaus hübsch. Die braunen Haare hatte sie zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Sie trug ein weißes Kleid, das von einem silbernem Gürtel um die Hüfte zusammengehalten wurde. Er sah keine Form von Waffe, die sie gegen ihn richten könnte. Außerdem hatte er immer noch die Blitze, um sich im Notfall zu verteidigen. Zumindest redete er sich das ein.
"Was macht ihr hier", fragte er und war selbst überrascht von der Kühle, die in seiner Stimme mitschwang. Die Frau zog nur eine Augenbraue hoch.
"Die Frage sollte vielmehr lauten, was machst du hier", entgegnete sie, lächelte ihn dabei aber so warm an, dass er sich obgleich seiner unbeantworteten Frage nicht übergangen fühlte. "Solltest du nicht bei den deinen sein und mit ihnen kämpfen."
"Ihr meint bei den Elfen?", erwiderte er schließlich nach einer kurzen Pause. "Ich habe keinen Stamm mehr."
"Ich meine natürlich nicht die Elfen", antwortete sie als sei dies selbstverständlich. "Offenbar weißt du noch kaum etwas."
Er runzelte die Stirn.
"Was sollte ich denn wissen", fragte er behutsam nach. Er wusste nicht recht, was er von der Situation halten sollte.
"Na alles", erklärte sie mit verständnisvollem Lächeln. "Aber keine Sorge. Das wirst du schon noch herausfinden." Er war nicht wirklich zufrieden mit dieser Antwort, doch glaubte er nicht, dass er eine andere bekommen würde.
"Und warum seid ihr hier?", wollte er stattdessen von ihr wissen, was sie wieder mit einem Lächeln quittierte.
"Du hast viel Kampf hinter dir", behauptete sie. "Viele Schmerzen und viel Leid. Es wird Zeit, dass du heimkehrst." Mit diesen Worten wandte sie sich um und trat auf die Tür zu aus der sie gekommen war.
"Wartet", rief er schließlich, als sie die Klinke berührte. "Wohin heimkehren, was habt ihr damit zu tun und wie heißt ihr überhaupt." Sie drehte sich zu ihm und diesmal war ihr Lächeln herausfordernder, verspielter.
"Mein Name ist Lean", gab sie schließlich preis und verschwand durch die Tür.
Einen Moment blieb er liegen, dann sprang er aus dem Bett und stürmte hinter ihr her. In dem Vorraum der Gemächer stieß er beinahe mit Thyra zusammen, die ihn halb erschrocken halb belustigt anstarrte.
"Was ist denn mit dir los?", wollte sie wissen.
"Diese Frau", sprudelte er hervor. "Du musst ihr begegnet sein, sie ist gerade erst gegangen."
"Eine Frau", wiederholte sie pikiert und hob eine Augenbraue. "Du hast geträumt. Hier war niemand außer dir und mir." Er sah sich verwirrt um. Anders als durch die Eingangstür, die noch einmal ein paar Meter entfernt lag, verließ man diese Räume nicht. Vielleicht war sie gerannt, doch selbst dann müsste sie Thyra in die Arme gelaufen sein, als diese die Gemächer betrat.
"Schlimm genug, dass du von einer anderen Frau träumst", stellte diese jetzt fest. "Aber das du ihr auch noch hinterherrennst wie ein verliebtes Rentier." Einen Augenblick starrte er sie fassungslos an, bis ihm auffiel wie das auf sie wirken musste.
"So war das nicht", verteidigte er sich mit dem dazu wohl ältesten Satz, der ihr wie unzähligen vor ihr nicht mehr als ein Stirnrunzeln entlockte. "Sie hat mir irgendwelches wirres Zeug erzählt über eine Heimat, die ich angeblich hätte." Er stockte kurz. "Es muss wohl tatsächlich ein Traum gewesen sein." Anders konnte er es sich kaum erklären. Er war aufgewacht und war so überzeugt, dass der Traum Wirklichkeit war, dass er aus dem Zimmer gestürzt war.
"Immerhin passt er zu meinen anderen Träumen", dachte er und ein Schaudern jagte ihm über den Rücken. Er hatte gar nicht an sie gedacht, bis zu diesem Moment, doch anders als gewöhnlich verblassten sie nicht sofort wieder, sondern blieben genau wie die Begegnung mit der fremden Frau in seinen Erinnerungen wie ein schwerer Stein, der ihn zu Boden zog.
"Wie geht es eigentlich Daphne", fragte er halb um Thyra abzulenken, halb weil ihn diese Frage tatsächlich herumtrieb. Er war sich zwar einigermaßen sicher, dass es ihr gut ging, aber er hatte sie nicht zu Gesicht bekommen seit Daryk sie weggetragen hatte. Tatsächlich wandelte sich Thyras Gesichtsausdruck und sie wirkte plötzlich angespannt.
"Gut", antwortete sie, jedoch klang sie unsicher. "Glaube ich zumindest. Ich war vorhin bei Daryk und ihr, doch sie liegt einfach nur da und schläft, während er sich weigert einen Deut von ihrer Seite zu weichen. Nichtmal das Essen, dass ich ihm gebracht habe, hat er angerührt und das von Daryk." Sie lachte nervös auf, schien jedoch mit dem Scherz vor allem ihre eigenen Zweifel beiseite schieben zu wollen.
"Das wird schon", tröstete er sie und schloss sie in die Arme. Sie lehnte sich gegen seine Brust ungeachtet dessen, was zuvor geschehen war. "Du kennst Daphne und Daryk und beide sind nicht so leicht unterzukriegen. Morgen sind wir wahrscheinlich schon mit dem Schiff Richtung Lyc unterwegs. Du wirst schon sehen." Als er ihr leichtes Zusammenzucken bei der Erwähnung der Schiffsreise und Lyc spürte, hätte er sich am liebsten selbst in den Magen geboxt. Sie war ohnehin schon zwiegespalten wegen ihres vermeintlichen Vaters und ihres Stamms, da musste er sie nicht auch noch daran erinnern. Jedoch sagte sie nichts, als sie ihre Umarmung lösten, deshalb ließ er es auch auf sich beruhen.
"Am besten wir essen erstmal was", schlug er vor. "Und dann gehen wir nochmal gemeinsam zu Daphne und Daryk."