@Kyelia Vielen Dank für die konstruktive Kritik und die lobenden Worte . Ich werde mir deine Vorschläge demnächst zu Herzen nehmen und den ursprünglichen Post verbessern, doch hier ist erstmal ein zweiter Teil. Er ist aufgrund der späten Stunde recht experimentiell, ich hoffe etwaige Leser haben trotzdem Spaß daran ihn zu lesen.
LG TiKa
Verwirrt sah Jain sich um. Er stand in einem Gang. Einem Gang mit Steinwänden, Steinboden und Öffnungen auf seiner rechten Seite, die wie Schießscharten wirkten. Die Decke war mit einem farbigem Mosaik verziert, welches jedoch kein rechtes Bild ergeben mochte. Es sah aus wie im Inneren einer mittelalterlichen Burg. Ja, sogar Fackelhalter säumten die Wände und in ihnen steckten echte Fackeln, die jedoch nicht entzündet waren. Wieso auch? Das Licht, das durch die Schießscharten schien war hell genug. Was machte er hier? Und viel wichtiger: Wie war er hier hergekommen. Fest stand, dass er gerade einen ziemlichen Blackout hatte. Vielleicht hatte er gestern Abend zuviel getrunken. Das würde die Gedächtnislücke erklären. Aber er war mit dem Auto dagewesen. Und außerdem hatte er keinen Kater. Vorsichtig ging er ein paar Schritte. Kein Schwindel. Nur das Hallen seiner Schuhe auf dem Stein, das ihn allerdings zusammenzucken ließ. "Reiß dich
zusammen", sagte er sich selbst, "Du musst Ruhe bewahren. Für das ganze gibt es mit Sicherheit eine vernünftige Erklärung." Wenn das hier wirklich irgendeine Burg war, dann musste es eine sein, die man besichtigen konnte. Mal ganz abgesehen davon, wieso sie an einem Samstagmittag irgendeine Burg besichtigten, war seine Familie also vermutlich nicht allzu weit. Am liebsten hätte er gerufen, aber er wusste nicht wie er ihnen das ganze erklären sollte. Er konnte ihnen ja kaum erzählen, was wirklich los war. Vermutlich würde er binnen Minuten im einem Krankenhausbett enden.
Entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, ging er den Gang hinab und bog bei der erstbesten Gelegenheit ab. Er hätte erwartet auf eine Touristentraube zu stoßen, doch vor ihm war erneut niemand zu sehen. Statt der Schießscharten zierten nun Türen die Wände und da diese nur unzureichend für Beleuchtung sorgen konnten, brannten hier die Fackeln. Wieso hängte man nicht einfach ein paar Glühbirnen auf? Das würde jede Menge Arbeit ersparen. Mit einem Stirnrunzeln ging er weiter. Mittlerweile kam ihm das ganze dann doch seltsam vor. Das hieß noch seltsamer, als die Lage ohnehin schon schien. In einem Film wäre er vermutlich in die Vergangenheit gereist oder in einer anderen Realität, aber das hier war kein verdammter Film. Plötzlich öffnete sich direkt vor ihm eine der Türen und Jain konnte gerade noch stehen bleiben, bevor er dagegen stieß. Die Tür schloss sich wieder und ein Mädchen kam zum Vorschein. Sie war etwa einen Handbreit kleiner als er, hatte dunkelbraunes Haar, das ihr in Locken auf die Schultern fiel und grüne Augen, die ihn überrascht fixierten. Außerdem war sie etwa in seinem Alter und trug aus irgendeinem Grund eine weiße Toga. Vielleicht war sie Angestellte und das war die Arbeitskleidung. Echte Fackeln, authentische Kleidung. Aber waren Togen nicht eher antik? Egal welche Epoche sie darstellen mochte, sie brach mit heller Stimme, kaum dass sie ihn gesehen hatte, in Lachen aus.
"Was ist?", fragte Jain etwas gekränkt. Da begegnete er endlich einer Menschenseele, die ihm vielleicht helfen konnte, und da hatte diese Menschenseele nichts besseres zu tun als ihn auszulachen.
"Deine Kleidung", prustete sie. Verdattert sah Jain an sich herab. Er trug dasselbe wie gestern Abend. Eine graue Jacke und eine blaue Jeans. Nicht gerade die farblich modische Kombination, aber immer noch gewöhnlicher als ein Bettlaken.
"Ja, in Ordnung", gab er zurückhaltend von sich. Er konnte sich nicht leisten beleidigt zu sein. Immerhin könnte sie ihm vielleicht wirklich helfen.
"Ich suche meine Familie. Gibt es irgendeine Führung hier, oder so etwas?" Ihr Lachen klang ab und stattdessen musterte sie ihn als hätte er etwas seltsames gesagt.
"Hier gibt es keine Familien. Das ist die Universität", behauptete sie und runzelte misstrauisch die Stirn, "Wieso weißt du das nicht. Wer bist du überhaupt?" Eine Schule? Hatten ihn seine Eltern auf ein Internat gesteckt? Ein Internat in dem die Schuluniform aus Togen bestand. Wie viel hatte er eigentlich eigentlich.
"Hör zu", redete er auf sie ein, "Ich will ehrlich sein. Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache. Hier muss irgendein Missverständnis vorliegen. Wo ist diese Schule überhaupt? Noch in Bayern?" Jetzt schien sie ebenso verwirrt zu sein wie er. Nun ja fast so verwirrt.
"Bayern?", fragte sie, "Den Namen habe ich noch nie gehört. Wir sind hier an der Westküste." Westküste?
"Meinst du die Westküste in den USA? Wir sind nicht einmal in Deutschland", erwiderte er vollends verzweifelt. Seine Eltern schuldeten ihm aber eine gewaltige Erklärung. Wenn er es auch zuvor geschafft hatte seine Panik zurückzuhalten. Jede Barriere konnte brechen. Was wenn das doch nicht nur ein Blackout war. Vielleicht hatte er ja eine multiple Persönlichkeit. Er hatte Geschichten über solche Menschen gehört, in denen sich zwei Bewusstsein um die Vorherrschaft stritten und das jeweils andere an Orten erwachen ließ, zu welches dieses nie gegangen war. Das Mädchen schien seine Verzweiflung zumindest zum Teil zu teilen. Sie machte einen Schritt zurück, als wolle sie Abstand zwischen sich und ihn bringen und starrte ihn an als wäre er vollends durchgedreht. Dabei war sie doch hier die Verrückte.
"Du redest wirr", versicherte sie ihm, "Ich werde dich jetzt zu den Drekanen bringen. Die werden dir bestimmt helfen können."
"Ich bin mir sicher es heißt Dekane", verbesserte er sie, erhob jedoch keinerlei Widerspruch. Vielleicht konnten die ihm erklären was hier los war. Oder sie hätten zumindest ein Telefon. Ein Telefon. Er tastete in seiner Hosentasche nach seinem Handy und atmete erleichtert auf, als seine Hand auf das Plastik traf. Aber wieso sollte er auch kein Handy dabei haben. Immerhin waren sie im 21. Jahrhundert und nicht im Mittelalter oder der Antike. Seine Finger betätigten den Powerbutton und der Bildschirm flammte auf. Er betrachtete es einen Moment regungslos und hätte das Gerät am liebsten sofort auf den Boden gepfeffert. "Kein Netz", stand deutlich in der rechten oberen Ecke. Das war ja klar gewesen. Wenigstens gab er so nicht ein Vermögen für Auslandsgespräche aus.
"Was ist das", fragte das Mädchen und Interesse mischte sich in das Misstrauen. Unter anderen Umständen wäre die Frage "Was ein Handy war?" das seltsamste, was ihm an diesem Tag passiert wäre, aber jetzt war es ihm nicht einmal einen überraschten Blick aus.
"Nichts", antwortete er und wollte es schon wieder in seine Tasche gleiten lassen, als sein Blick an dem Datum hängen blieb. 25. Januar 2016. Derselbe Tag wie er gestern eigentlich hätte gewesen sein sollen. Und laut seinem Handy war es auch 11:12 Uhr. 12 min nachdem er auf der Straße gestanden hatte und dann plötzlich hier gewesen war.
"Dann komm", entschied das Mädchen und riss ihn damit aus der Erstarrung. Sie wandte ihm den Rücken zu um einfach wegzugehen. Ob er ihr nun folgte oder nicht. Nach kurzem Zögern ließ er sein Handy tatsächlich in der Tasche verschwinden und rannte dem Mädchen hinterher, bis er sie eingeholt hatte. Was blieb ihm auch anderes übrig.
Sie führte ihn durch weitere Gänge, die alle den vorigen ähnelten. Nur anderen Menschen begegneten sie nicht. Wenn das hier eine Schule war, wo waren dann die Schüler? Er behielt diese Frage jedoch für sich. Vermutlich würde sie ihm doch nur wieder mit etwas unverständlichem antworten, was sie dagegen für das offensichtlichste der Welt hielt. "Komische Menschen diese Amerikaner", dachte er, "Und wieso spricht sie eigentlich kein Englisch." Er legte diese Frage zu dem sich immer weiter auftürmenden Stapel in seinem Hinterkopf. Eine Antwort würde er bestimmt nicht so schnell bekommen.
"Vielleicht ist das alles ja ein Streich", überlegte er, "Auch wenn das alles verdammt viel Aufwand für einen Witz wäre." Das Labyrinth aus gleichen Gängen wich einem ähnlichen wie dem, in welchem Jain aufgewacht war - er hatte keine Ahnung wie er es sonst nennen sollte - . Auch hier wich das Fackellicht dem Sonnenlicht. Nur das hier große Fenster und keine Schießscharten für dessen Einlass verantwortlich waren. Draußen konnte man grasbewachsene Hügel sehen, die immer wieder mit Wäldern durchsetzt waren. Die Landschaft passte eher zu Schottland oder Irland als zu Amerika. Doch viel unerwarteter als so eine Landschaft, war das Spektakel, dass sich Jain am Himmel bot. Auch wenn seine Augen brannten und zu tränen begannen, er vermochte sie nicht von dem Bild, das sich ihm bot, zu nehmen. Zwischen weißen Wolken an dem strahlenden Blau leuchteten zwei Sonnen.
"Ein schöner Ausblick nicht?", fragte das Mädchen, welches stehen geblieben war. Sie schien sich nicht im mindesten an dem Anblick zu stören.
"Was ist los?", setzte sie nach, als er ihr nicht antwortete. Er wendete den Kopf und starrte sie entgeistert an. Zwei Lichtpunkte schwebten vor ihm, nicht wie normalerweise einer, wenn man in die Sonne starrte. Mit Blinzeln versuchte er seine durch die Tränenflüssigkeit verschwommene Sicht zu klären.
"Da sind... da sind...", versuchte er zu sagen, brach dann jedoch ab als die Welt sich zu drehen begann. Der Schock? Schmerz durchflammte seinen Kopf. Das kannte er doch schon. Schwärze umgab ihn.
Er taumelte zurück und stolperte dabei beinahe über die Treppenstufe hinter ihm.
Edit: Orientierungslos sah er um sich. Der steinerne Gang war verschwunden, stattdessen befand er sich wieder direkt vor der Tür, seine Hände lagen wieder auf den Schläfen und sein Atem warf wieder kleine Nebelwölkchen. Hinter ihm erblickte er den noch immer inmitten der Straße dastehenden Mann, der sich zu ihm gedreht hatte und ihn ansah. Kaum, dass Jain ihn entdeckt hatte wandte sich der Mann wieder ab und verschwand mit schnellen Schritten aus seinem Blickfeld. Als wäre ihm sein Starren peinlich gewesen. Jain atmete tief durch. Was er gesehen hatte, konnte nicht war sein. Alles nur Einbildung. Er wartete bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte, bevor er die Hand wieder zum Türgriff führte. Was auch immer das eben gewesen war, er wollte es vergessen. Vielleicht würde eine Cola wenigstens die Kopfschmerzen vertreiben. Das wäre immerhin ein Anfang.