Beiträge von Kyelia im Thema „Kyelias kleine Geschichtensammlung“

    @Asni Vielen Dank. Es freut mich auf jeden Fall, dass die die Geschichte gefällt. ^^
    Mit einigen der Anregungen hast du mich echt noch auf Ideen gebracht, die ich einbauen kann. Gerade der Grund ihrer Ungeduld gefällt mir! :love:

    Die Geschichte wäre auch ein schöner Auftakt für weitere Geschichten zu Dakaria und ihrem namenlosen Ghul

    Da sprichst du etwas an. XD
    Tatsächlich habe ich zu ihr und ihrem Kumpel eine wahre Lkw Ladung an Ideen im Hinterkopf, die man nur noch zu einem vernünftigen Plot verbinden müsste. Allerdings fehlt mir die Zeit neben zwei Projekten noch eines zu beginnen. Vielleicht verknüpfe ich einige Kurzgeschichten miteinander, oder ich starte wenn die anderen fertig sind. Mal sehen :)

    LG, Kyelia

    Da ich zur Zeit absolut keine Motivation für eines meiner anderen Projekte habe, mir aber gefühlt 1000 Ideen durch den Kopf rennen und sich gegenseitig mit bunten Bällen abschießen, heute mal eine Kurzgeschichte XD
    Thx an @Chaos Rising und @Myrtana222, die ich nerven durfte :love:


    Puls der Nacht

    Dakaria fingerte die Uhr aus ihrer Manteltasche und blickte bereits zum zehnten Mal innerhalb der gleichen Minute den kleinen Zeiger grimmig an. Langsam kam sie sich nicht nur albern vor, sondern verspürte gleichfalls den Drang, der Mülltonne neben sich einen Tritt zu verpassen. Allerdings würde ihr der Lärm nur noch mehr Kopfschmerzen bereiten. Vom Gestank ganz zu schweigen. Das Letzte, das sie wollte, waren dreckige Schuhe. Immerhin gehörte sie nicht zu diesen glücklichen Schnepfen, die massenhaft sauberer Paare in einem Regal lagerten.
    Sie knirschte die Zähne, steckte die alte Taschenuhr zurück und vergrub ihre Hände in ihrem Mantel. Sanft fielen ihr die blonden Haare in den Nacken, als sie an der steilen Wand nach oben sah und müde den Himmel betrachtete. Die Nacht war zu hell erleuchtet und die Häuserschlucht zu eng, um die Sterne oder den Mond erkennen zu können. Wie sie es vermisste. Das sanfte Leuchten des Firmaments und das Gefühl von Freiheit, das die hellen Gestirne in die Nacht trugen. In der Stadt hatte sie dieses Gefühl nie gehabt. Beengt und voll war es dort und gäbe es einen Ort, an dem sie einfach das sein durfte, das sie war, sie wäre noch in diesem Moment losgelaufen. Doch die Arbeit und der Hunger hatten sie immer wieder zurückgerufen.
    Es gab kein Entkommen.
    Ein Krankenwagen rauschte an der Gasse vorbei, blendete sie und die Sirene dröhnte ihr in den Ohren. In der Ferne erklang das Schlagen einer Autotür und das Lachen einer Gruppe Jugendlicher, die die Nacht zum Feiern nutzten. Wann hatte sie das letzte Mal lachend mit Freunden beisammengesessen? Wann hatte sie das letzte Mal überhaupt die Kraft gehabt, sich mit Freunden zusammenzusetzen?
    Eine Bewegung am anderen Ende der Gasse riss Dakaria aus ihren Gedanken.
    Da war er.
    Dakaria richtete ihren Mantel, prüfte den Sitz ihres Kostüms. Einen schlechten Eindruck würde sie sich niemals verzeihen, würde er ihrem Ruf schaden. Und nicht nur ihrem, sondern dem ihrer ganzen Zunft.
    Sie straffte die Schultern und vergewisserte sich, dass ihr Schirm noch immer an ihrem Arm hing.
    Der hochgewachsene Mann mit dem adretten Anzug näherte sich zielgerichtet, warf keinen Blick zurück zur Straße, keinen nach links und keinen nach rechts. Stur sahen seine dunklen Augen ihr entgegen. Unter dem Hut und den grau melierten Haaren konnte sie seinen Blick nur erahnen, aber Dakaria hatte ihn oft genug gesehen und wusste wie er tickte.
    Sie konnte ihn nicht leiden.
    Unberührt betrachtete sie den langen Mantel, der hinter ihm herschwebte und dabei hypnotisch bei jeder Bewegung hin und her schwang. Entfernt erinnere der schwere Stoff an ihr eigenes Kleidungsstück, doch war ihres um ein Vielfaches älter, mit aufgenähten Flicken übersäht. Die neuste Ware konnte sie sich nicht leisten. Genauso wenig wie ein zweites Paar Schuhe.
    »Ihr seid zu spät«, begrüßte sie den Neuankömmling.
    Ein kaum merkliches Zucken huschte über sein sonst ausdrucksloses Gesicht und Dakaria spürte seine Angst. Eine Angst, die ihr das Gefühl einer Gänsehaut bescherte, obwohl sich nicht ein Haar auf ihrem Arm bewegte.
    Unweit von ihr blieb der Mann stehen. Er kam gerade weit genug heran, dass es nicht unhöflich wirkte, sie ihn aber auch mit ausgestrecktem Arm und Schirm nicht hätte berühren können. Für das ungeübte Auge wäre sein Zögern nicht sichtbar gewesen, lediglich eine Vorsichtsmaßnahme. Doch Dakaria kannte ihn. Ihn und seine Vorgesetzten. Keiner von ihnen traute ihr und umgekehrt verhielt es sich nicht anders. Die perfekte Geschäftsbasis also.
    »Dann lasst uns nicht noch mehr Zeit verschwenden.« Seine Stimme erinnerte die Frau an das Ding, das sie vor einigen Tagen in der Kanalisation gefunden hatte – ein nicht zu identifizierendes Etwas umhüllt von einer Menge Schleim.
    Der Mann deutete ein leichtes Nicken an und verwies auf den schwarzen Koffer in seinen Händen, ehe er die Augen auf sie richtete.
    »Ich hasse Verspätungen«, gab Dakaria kühl von sich. Sie rührte keinen Muskel und auch der Mann stand ihr bewegungslos gegenüber. Entgegen der ruhigen Ausstrahlung, wuchs seine Angst jedoch und steigerte sich in Panik.
    Dakaria genoss es, saugte die Furcht in sich auf und ließ sie ihren eigenen Körper durchströmen. Eine Menschlichkeit, die sie nur selten spürte und die ihr Adrenalin nur schleppend schürte. Es war kein Ersatz zu früher, kein Ersatz für eine Jagd, aber es musste ihr genügen. Wenn diese Kerle ihr doch nur den Gefallen tun würden, die Angst auch nach außen zu zeigen. Die Befriedigung wäre deutlich größer. Leider waren ihre beiden Organisationen aber nicht für Gefallen bekannt.
    Dakaria seufzte innerlich und löste schließlich ihre Starre zuerst, indem sie die Hand zu ihrem Mantel führte. Die Augen ihres Gegenübers folgten ihr, beobachteten alles mit einer Mischung aus Vorsicht und Erwarten.
    »Ist Ihnen jemand gefolgt?«, fragte die blonde Frau beiläufig, während sie den Blick von ihrem Gegenüber abwandte und einen Umschlag aus der Innentasche ihrer schwarzen Jacke holte.
    »Nein«, erhielt sie die schlichte Antwort.
    Das war, was sie hören wollte.
    Zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt Dakaria den Umschlag von sich. Der gut gekleidete Mann trat näher und streckte seinerseits den Arm aus. Schon war der Koffer in ihrer Reichweite. Beide griffen sie gleichzeitig nach Ware und Bezahlung.
    Doch während Dakaria den Umschlag langsam aus ihren Fingern gleiten ließ, ging ein Ruck durch ihren anderen Arm. Ehe sich der Mann versah, fiel er ihr stolpernd entgegen, hielt er noch immer seinerseits den Koffer fest.
    Sie fing ihn auf, packte ihn am Unterarm und beugte sich seinem Gesicht weit entgegen. Weit genug, um seinen warmen Atem spüren zu können und nah genug, um durch die Augen direkt in seine Seele blicken zu können. Eine leere Hülle, alleinstehend, ohne Frau oder Kinder, die eigenen Eltern vor Jahren gestorben. Er war ein kleines Licht, ein Handlanger – Kanonenfutter, niemand, dem man mehr als diesen Botengang zutraute.
    »Übrigens«, hauchte sie dem Mann entgegen, »mein Herr mag auch keine Verspätungen.« Ihr sonst mimikloses Gesicht formte für Sekunden ein Grinsen, während sie zufrieden feststellen durfte, dass ihr Gegenüber sich deutlich anspannte und ihm Schweiß über den Rücken floss. Der salzige Geruch brannte in ihrer Nase und sein Blut pulsierte unter ihrem Griff. Stark genug, dass sie es durch den dicken Stoff des Mantels spüren konnte.
    »Es tut mir leid«, hauchte der Mann. Sollte sie ihn endlich gebrochen haben? Nach zahllosen Wochen des Hochmuts? »Es kommt nicht wieder vor. Beim nächsten Mal werde ich … «
    Das Lächeln verschwand aus Dakarias Gesicht.
    »Ihr langweilt mich.« Sie ließ von ihm ab und strich seine Krawatte glatt. »Ihr Menschen haltet euch für überlegen«, sprach sie ruhig, »dabei seid ihr nur ein Witz, ein notwendiges Übel, ein Sprungbrett für meinesgleichen.«
    Sie seufzte, ehe sie einen Schritt zurücktrat und den Schirm in die gleiche Hand wechselte, in der sie auch den Koffer hielt.
    »Schön mit Euch Geschäfte zu machen.«
    Der Mann nickte und schien aufzuatmen. Eine Erleichterung, die Dakaria nur abgewartet hatte.
    Gerade als der Mann einen Schritt zurückmachen und sich von ihr entfernen wollte, ließ sie Koffer und Schirm zu Boden fallen und sprang auf ihr Gegenüber zu. Mit langen Krallen fischte sie nach seiner Kleidung. Ein von Wahnsinn und Gier zerfressenes Grinsen legte sich auf ihre Lippen und spiegelte sich in den von Panik gefluteten Augen des Mannes.
    »Es wird kein nächstes Mal geben«, gab sie von sich, ihre Stimme rau und trocken. Dann biss sie zu, vergrub ihre Zähne tief in seinem Hals. Vor Schmerz wollte der Mann aufschreien, doch verkam sein Ruf zu einem gurgelnden Röcheln als ihm sein Blut in den Rachen und über die Lippen lief. Dakaria presste ihm die Hand auf den Mund, um das Rinnsal zu stoppen. Nichts sollte verschwendet werden.
    Sie spürte die Kraft in sich wachsen, schmeckte das Blut, das Eisen und sein Leben. Gier überkam sie, Gier nach immer mehr. Zu lang war es her, dass sie das letzte Mal etwas so Kostbares zu sich genommen, es auf ihrer Zunge geschmeckt hatte. Alles andere war fad und langweilig. Nur das Blut eines Menschen belebte ihren toten Körper wieder.
    Seine nutzlose Gegenwehr erstarb immer mehr und während die Existenz aus seinem Körper floss, fühlte sich Dakaria seit Jahren das erste Mal wieder stärker und stärker.
    Das hätte sie schon viel eher machen sollen. Schon vor Wochen. Als die Gier sie das erste Mal heimgesucht hatte. Stattdessen hatte sie den Drang niedergekämpft, sich zurückgezogen, ihrem Vorgesetzten Folge geleistet. Aber sie konnte einfach nicht mehr. Zu gut war das Gefühl von Freiheit.
    »Das wird dem Chef nicht gefallen«, erklang eine Stimme hinter ihr, zerfetzte das Trugbild einer ungestörten Mahlzeit. Eine Stimme, die den gleichen Klang aufwies, als würde man mit Fingern über eine Tafel kratzen. Sie brannte in den Ohren. »Heikel«, meinte die Stimme.
    Seufzend ließ Dakaria von dem mittlerweile bewegungslosen Mann ab, betrachtete die fahle Haut und die farblosen Augen. Nun war die leere Hülle restlos hohl.
    Dann ließ sie ihn achtlos fallen. Kraftlos faltete sich der Körper zusammen, ohne Spannung, ohne Leben.
    »Hast du nur zu meckern?«, fragte sie, als sie sich umwandte. Mit dem Handrücken wischte sie die letzten Reste ihrer Mahlzeit aus dem Mundwinkel, während sie die hagere Gestalt im Schatten einer Mülltonne suchte. Zusammengekauert hockte der Ghul dort und war für menschliche Augen nicht zu erkennen. Lediglich zwei milchige Iriden verrieten seine Position.
    Dakaria fischte ein Stofftuch aus ihrer Manteltasche und reinigte in aller Ruhe ihr Gesicht. Das Blut an ihrem Mantel und am Kragen ihrer Bluse konnte sie leider nicht verstecken. Aber darin zeigte sich einer der wenigen Vorteile einer Stadt – nur wenige Menschen achteten auf ihre Umgebung. Es würde niemandem auffallen und selbst wenn, würde man nicht direkt an ein Verbrechen denken. Diese Welt hatte sich verändert.
    Dennoch versteckte sie ihre blutverschmierten Hände in Handschuhen, während der Ghul langsam aus dem Schatten kroch und sich ihr und dem Mann näherte. Hektische Augen wanderten von ihr zu ihm und zurück.
    »Natürlich kann ich auch loben«, gab er ruhelos von sich, während seine Augen auf nichts und niemandem liegen blieben. Etwas Speichel tropfte aus seinem Mundwinkel.
    Gleichgültig bückte sich Dakaria nach dem Briefumschlag in der Tasche des Mannes, nahm ihn wieder an sich und verstaute ihn an der gleichen Stelle, wo sie ihn hergenommen hatte. Dann betrachtete sie einige Zeit das leblose Häufchen, ehe sie dieses um den teuren Mantel erleichterte. Er würde ihn nicht mehr benötigen.
    »Ich bin fertig. Also sorg dafür, dass nichts von ihm übrigbleibt.« Kaum hatte sie den Satz beendet, stürzte sich das drahtige Wesen auf den Mann. Knochen knackten widerlich, als sich Krallen und mehrreihige Zähne in das noch frische Fleisch gruben.
    Dakaria wandte den Blick ab. Still bewunderte sie die jugendliche Energie ihres Partners und betrachtete erneut den Himmel. Ein einzelner Stern hatte sich gegen das Licht der nächtlichen Stadt durchgesetzt, leuchtete hell genug, damit man ihn erkennen konnte.
    Schwer blies Dakaria die Luft aus und sog die stickige Stadtluft ein. Noch waren sie schwach, aber ihre Zunft würde zurückkehren, stärker und besser als vor dreihundert Jahren. Sie würden sich genauso zurück an die Spitze kämpfen, genauso hell leuchten und die Nacht wieder für sich einnehmen.
    Die Geräusche ihres Partners im Rücken, griff sie nach dem Koffer und ihrem Schirm.
    Die Jagd war eröffnet.

    Nach gefühlten 1000 Jahren mal wieder ein Kurzgeschichte. Manchmal hat man Sachen im Kopf, die einen erst loslassen, wenn man sie endlich zu Papier gebracht hat. Und dieses Thema beschäftigt mich nun so lang (zwei Jahre). Das ist nun der Abschluss des Ganzen! Und ich hoffe, es reicht, dass der Kopf frei wird und ich endlich mal wieder zu etwas komme. Auch, wenn die Geschichte vielleicht nicht so gut ist, es ist befreiend, das Kapitel loszulassen und was Neues zu beginnen :)



    Freiheit

    Ich stehe auf dem Bürgersteig und blicke in den Himmel. Es ist wunderschönes Wetter, die Sonne hell, der Himmel blau und nur wenige Wolken ziehen über mir hinweg, durchbrechen das Blau ohne es zu stören. Es ergänzt sich, lässt es traumhaft wirken. Ich liebe den Anblick, sauge ihn in mir auf, als wäre es das letzte Mal, dass ich all das zu Gesicht bekomme.
    Ich atme tief ein. Die Luft riecht blumig, feurig. Es erinnert mich an meine liebste Jahreszeit – den Frühling. Im Frühling erblühen Farben, das Leben und die Leidenschaft. Es könnte das ganze Jahr Frühling sein und ich hätte nichts dagegen.

    Als würden meine Füße über Watte waten, schlendere ich über die Straße auf das rote Backsteingebäude zu. Rot ist eine so schöne Farbe. Warum kann nicht alles rot sein?
    In mir ist die Freiheit, ein Ozean der Freude. Ich habe mich lange nicht mehr so gefühlt. So sorglos, so gut – meine Welt ist in Ordnung.
    Meine Hand schließt sich um den kleinen weißen Beutel. Die Verzierungen und Schlaufen sehen edel aus und passen zum Inhalt – der Grund meiner Freude, meiner Freiheit und zum Teil auch des belebenden Duftes.

    Hinter mir brausen zwei große Fahrzeuge vorbei, ziehen den Geruch von Diesel nach sich. Es wirkt berauschend auf mich. Mein Herz schlägt höher und ich muss wieder an sie denken. Zwei Jahre und an diesem Tag habe ich es endlich geschafft, den entscheidenden Schritt zu gehen.
    Lächelnd schließe ich den Gedanken in mein Herz.

    Ich betrete das Gebäude, beachte die Menschen nicht, die an mir vorbeilaufen. Stur blicke ich nach vorn, der Dame am Empfang entgegen. Ihre Augen richten sich erst auf mich, als ich direkt vor ihr stehe und sie anlächle. Sie ist hübsch, mit ihren lockigen braunen Haaren und den großen grünen Augen, dem etwas kantigen Gesicht. Gleich der Sonne strahlt sie mir entgegen, als sie mich ansieht, ehrlich und freundlich. Sie spricht mich an, formt Worte mit diesen erstaunlich schmalen Lippen. Ich höre sie nicht. Ich grinse nur zurück und lege den Beutel auf dem Tresen ab.
    Sie mustert die rotweiße Tasche, den haarigen Inhalt mit den graublauen Augen. Es dauert seine Zeit bis sie versteht. Umso schneller springt sie zurück, wirft den Stuhl um, auf dem sie bisher saß. Blanke Panik tritt in ihr Gesicht, verzerrt es zu einer furchtbar hässlichen Fratze. Sie schreit. Es steht ihr nicht, lässt sie zerfallen. Sie erinnert mich an sie. Die gleiche entstellte Visage, die ich jeden Tag habe sehen müssen.
    Es macht mich sauer. Mein Lächeln schwindet und meine Hand schwingt zu dem Gegenstand in meiner Tasche.

    Aber ich darf nicht – will nicht. Sie ist nicht wie sie. Sie hat mit ihnen nichts zu tun. Sie kann und wird mir helfen, wird mir meine Wut nehmen. Doch ihr wird es nichts mehr bringen, ihnen allen und das ist gut so.

    Rot tropft es vom Tresen. Rot sprenkeln kleine Tropfen den Boden, zaubern bizarre Bilder. Rot ist das Leben. Blut das Symbol des Lebens. Rot ist aber auch das Feuer. Feuer das Symbol des Schmerzes.

    Ich reiße mich von dem Anblick los. Die Frau ist weg. Kurz ist da Trauer, dann musterte ich ihre blonden Haare, schaue in ihre graublauen Augen, sehe den Vorwurf, die Angst. Sie verflucht mich, kann mit ihren verkrüppelten Lippen aber keine Worte mehr formen. Nie wieder. Ich bedauere nichts. Ihre Stimme war Feuer. Nun ist ihr Gesicht rot wie das Leben.

    Jemand greift mich von hinten, schreit mich an, drängt mich nach vorn. Ich spüre die Kante des Tresens an meinen Lenden. Bestimmende Hände legen mir etwas Kaltes um die Gelenke. Ich lasse es geschehen, wehre mich nicht. Es ist richtig so.

    Jemand reißt mir die Kopfhörer aus den Ohren. I Don't Like Mondays verschwindet aus meinem Kopf, lässt das Rauschen eines Ventilators in meinen Verstand. Irgendwo schreit jemand aufgeregt, brüllt mir Befehle und Warnungen in die Ohren. Ein Hund bellt auf der Straße und entfernt höre ich Sirenen.

    In mir ist die Freiheit, ein Ozean der Freude. Es hat ein Ende. Zum ersten Mal seit zwei Jahren ist da Hoffnung. Sie ist weg. Sie alle sind weg. Brennen im Schmerz. Meine Welt ist in Ordnung. Ich bin sorglos.
    Ich lache, als ich ihr ein letztes Mal in die toten Augen blicke und sie mich abführen. Dafür hat es sich gelohnt. Dafür habe ich es gern gemacht. Ich behalte den Anblick des Himmels im Kopf und ich werde frei sein. Genauso wie die anderen. Endlich. Ihr Feuer wird niemandem mehr Schmerzen zufügen. Nur mein Feuer lässt sie alle brennen.

    @Tnodm0309 und @Sensenbach Es freut mich, dass euch diese Kurzgeschichten gefallen haben ^^ Ich bin leider sehr langsam mit schreiben, weil mir Kurzgeschichten unglaublich schwer fallen. xD Deshalb wird so schnell nichts Neues kommen.

    Bei "Nummer" hab ich den Anfang eines Kinofilms vor Augen gehabt. Schreibst du weiter an den Thema?

    Am Thema Nummer? Ich habe mal überlegt, ob ich eine größere Geschichte daraus machen sollte. Aber momentan habe ich keine Zeit dafür, deshalb wird das wohl vorerst so stehen bleiben. :D Eventuell kommt dazu mal noch eine Kurzgeschichte, aber wie gesagt. Das liegt mir nicht so, deshalb dauert das ewig :rofl:

    LG, Kye

    Von mir gibt es nun auch mal wieder eine kleine Kurzgeschichte. Kommt ja selten vor, aber in den anderen Geschichten geht es gerade nicht weiter. XD Nicht mal weil mir die Ideen fehlen, sondern weil ich mit keinem Satz mehr zufrieden bin. Ich hoffe also, dass es durch die eine oder andere Kurzgeschichte wieder besser wird ^^
    Da mein eigentlicher Stil ja eher lange Sätze umfasst, die doch recht viel beschreiben, wollte ich diesmal eher kurze Sätze versuchen, mit weniger Beschreibung.

    Danke übrigens an Rael und Alopex fürs Beta-Lesen. :panik:


    Nummer

    Ich bewege mich. Langsam. Zielsicher. Leise. Meine Augen immer nach vorn gerichtet.
    Der Gang ist eng und ohne Türen. Die Wände grau. Alles strahlt Kälte aus, aber auch Sicherheit. Eine erdrückende Sicherheit, die kaum als solche zu bezeichnen ist. Müsste ich ihr einen Namen geben, wäre er Gefangenschaft.
    Ich lehne mich an die Wand, stütze mich am Beton. Keuche. Meine Lungen beben, mein Herz rast, das Blut rauscht mir in den Ohren. Lange habe ich mich nicht mehr so viel bewegt. Wenn ich darüber nachdenke, dann habe ich das noch nie.
    Ich muss lächeln. Bald könnte ich das immer. Frei sein. Hingehen, wo auch immer ich will. So muss sich das Leben anfühlen.
    Hinter mir brüllt jemand eine Nummer, schreit Befehle. Schritte hallen von den Wänden wider. Sie brennen sich in meine Ohren.
    Ich atme noch einmal durch, dann stoße ich mich von der Wand ab und laufe weiter. Einzig ein blutiger Handabdruck, genau da, wo ich den Stein berührt habe, deutet auf meine Richtung hin. Aber das ist mir egal. Es gibt nur diesen Gang. Sie wissen ohnehin, wohin ich will.
    Mein Weg endet vor einer mechanischen Tür. Eine ID ist notwendig, um sie zu durchqueren. Jeder Mitarbeiter hier besitzt eine solche Karte. Jeder. Nur ich nicht. Denn ich gehöre nicht zu ihnen. Ich gehöre nicht einmal hier her.
    Die Schusswaffe in meiner linken Hand wandert in den Hosenbund. Ich habe sie einer der Wachen abgenommen. Ich weiß nicht, was es für ein Modell ist, aber ich weiß, wie sie funktioniert. Oft genug musste ich es mit ansehen, am eigenen Leib erfahren. Aber diesmal bin ich es, der auf der anderen Seite des Abzuges steht. Und das haben sie zu spüren bekommen.
    Ich tausche die Waffe durch die kleine schmale Karte. Mein Ticket in die Freiheit.
    „Georg Schulte“, steht darauf. Ich habe den Mann nicht gekannt, bis ich ihn niedergerungen, und ihm die Karte abgenommen habe. Nun braucht er sie nicht mehr.
    Ich ziehe sie durch den Schlitz, warte auf das Signal. Die Tür zischt, öffnet sich und hinterlässt einen Spalt. Ich schlüpfe hindurch und bin enttäuscht. Wieder stehe ich in einem Flur. Wieder ein Gang. Dieses Labyrinth scheint endlos.
    „Bleib stehen!“, befiehlt mir eine Stimme. Nicht sehr weit von mir entfernt.
    Ruhig drehe ich den Kopf, blicke schwarz gekleideten Männern und Frauen entgegen. Große Waffen werden auf mich gerichtet, viel größer und eindrucksvoller als die in meinem Hosenbund. Die Mündungen sind auf meinen Kopf gerichtet, zum tödlichen Schuss bereit.
    „Wir wollen nicht schießen, aber wenn du uns keine andere Wahl lässt … “ Eine Frau, in weiß gekleidet, spricht mich betörend an. Viele fallen auf diese Stimme herein. Ich nicht mehr.
    Ich mustere sie. Ihre Haltung, wie sie zwischen den Bewaffneten steht, eisern - wie eine Statue. Sie ist die Einzige, die keine Angst hat, die nicht zurückweichen würde, obwohl sie weiß, zu was ich fähig bin.
    „Ergib dich“, fordert sie erneut. Weich. Als will sie mir einen Gefallen damit tun.
    „Nein!“, schreie ich. Reiße mich aus meiner Starre und zerre die Pistole aus meiner Hose. Meine Bewegungen sind schnell, präzise. Zu lang habe ich auf diesen Tag gewartet. Niemals werde ich mich von ihr aufhalten lassen. Nie.
    Ich springe aus dem Bereich der ersten Schüsse, gebe selbst zwei in die Richtung meiner Verfolger ab. Sie können mich nicht aufhalten. Nicht heute, nicht jetzt, nicht kurz vor meinem Ziel.
    Erneut ziehe ich die ID-Karte durch das Bedienfeld und schaue dabei zu, wie sich die Tür wieder schließt.
    Den Schmerz spüre ich erst, als die Pforte geschlossen ist, sich zwischen mir und meinem Feind befindet. Nun ist es mein Blut, das an meinen Händen klebt, das sich in den Stoff der weißen Weste frisst, sich daran verköstigt.
    Schwärze tanzt vor meinen Augen. Sie nimmt mir die Sicht und macht mich schwach. Aber ich reiße mich zusammen, beiße mir auf die Zunge. Jetzt ist nicht die Zeit auf den Tod zu warten.
    Mit dem Griff der Waffe zertrümmere ich den Kartenschlitz. Ein Zischen ertönt, als kleine Blitze die Automatik der Tür zerstören. Das wird sie nicht aufhalten, aber sie vielleicht verlangsamen.
    Nur noch gedämpft, hallen wütende Stimmen zu mir. Gedämpft durch das Metall und gedämpft durch das Rauschen in meinen Ohren.
    Ich ignoriere die Stimmen, ignoriere den Schmerz. Stattdessen drehe ich mich um, renne durch den Gang, schlittere um eine Ecke. Der Flur endet in einem riesigen Raum. Weiter, als alles, was ich bisher gesehen habe. Höher, als meine Zelle.
    Mir gegenüber sehe ich eine Tür, doppelt so groß wie ich und aus massivem Holz. Sie sieht anders aus, als die Pforten, durch die ich bisher gelaufen bin.
    Freiheit.
    In meinem Ohr klackt die Sicherung eines Präzisionsongewehrs. Noch eine. Und noch eine. Sie sind leise, aber meine empfindlichen Ohren nehmen sie dennoch wahr.
    Ich blinzle in die Galerie, die sich einmal an den Wänden des ganzen Raumes entlangschlingt. Wieder diese Schwarzgekleideten. Und wieder hebt sich nur eine Person von ihnen ab. Ein Mann, gekleidet in einen weißen Kittel, der fast den Boden berührt.
    Meine Schultern sacken nach unten. Ich weiß, was mich erwartet.
    „Endstation, 15.4E31.“ Der Mann grinst. Grinst hämisch über das ganze Gesicht. Ich hasse ihn und seine Arroganz. Er wird gewinnen. Diese Erkenntnis blitzt in seinen Augen.
    „Vergiss es!“, zische ich dennoch. Ich habe keinen Grund aufzugeben.
    Ich renne los. Renne auf die Tür zu, höre das Brüllen der Gewehre, spüre die Schmerzen der Geschosse. Doch ich laufe weiter, stoße gegen das Holz, reiße den rechten Flügel der Tür mit mir und werde geblendet. Ich zerre meine Hände vor die Augen und stolpere. Hart schlagen meine Knie auf, dann meine Arme, der Kopf, mein Gesicht. Ich keuche vor Schmerz, doch ich will weiter. Aber meine Glieder gehorchen mir nicht mehr, zu groß sind die Verletzungen.
    Schwarze Punkte schweben wieder vor meinen Augen, vermischen sich mit dem roten Rinnsal, das neben mir eine Steinstufe hinabtropft.
    „Hast du wirklich geglaubt, du könntest entkommen?“ Wieder sie. Wieder ihre Stimme. Die Stimme, die ich so oft in meinem Leben gehört habe.
    „Nein.“ Ich bin schwach, spreche kratzig und außer Atem.
    Mein Blick geht in die Ferne. Ein weiter Platz liegt vor mir, planiert und mit Asphalt begossen. Schwere Maschinen mit Rädern stehen darauf. Dahinter ein zweistufiger Sicherheitszaun, ein geschlossenes Tor. Ich kenne diesen Anblick. Ich habe Bilder davon gesehen. Doch etwas hat sich geändert. Etwas, das sich das ganze Jahr immer wieder verändert, anpasst.
    Grün erstreckt sich ein Feld nur durchbrochen von bunten Farben. Es riecht süßlich, frisch. Ich höre Insekten summen. Ihre Flügel bringen mein Herz zum Flattern, als sie sich in den blauen Himmel erheben und dahin fliegen, wo auch immer sie hinwollen.
    Ich lächle.
    „Nur, dass ich frei bin“, ende ich. Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, dennoch weiß ich, dass sie mich hören.
    Dann schließe ich meine Augen und spüre, wie das Blut zurück in meinen Körper fließt.
    Ich werde nicht aufgeben, denn ihre Maschinen können mich nicht töten. Daran sind sie selbst schuld.
    Ich hatte mal einen Namen, jetzt bin ich nur noch eine Nummer. Ich will wieder einen Namen haben.

    Hallo Community,

    wie der Titel schon erahnen lässt, werde ich hier ab und an eine Kurzgeschichte einwerfen. Mittlerweile habe ich davon schon so einige auf meinem PC, da ich meist eine schreibe, wenn mir zu meinen anderen Sachen nichts mehr einfällt. Nun habe ich mir überlegt, sie nicht mehr nur für mich zu behalten und etwas Kritik einzuholen.

    Im Grunde sind alle diese Kurzgeschichten Experimente. Sei es der Erzählstil, oder die Perspektive. Das gelingt nicht immer, aber ich bin auch kein Multitalent, also was solls. :rofl: Auch mit den Themen habe ich etwas experimentiert. Sie werden durch alle Gebiete schwanken (Alltägliches; Träume; eigene Erfahrungen) und ich lege mich auf nichts völlig fest. (Deshalb auch im Non Fantasy Bereich) Wahrscheinlich werden einige etwas düsterer werden, da ich mit Liebesszenen auf dem Kriegsfuß stehe, aber ich denke, auch so etwas werde ich mal versuchen. Ab und zu wird auch mal etwas fantastischer Angehauchtes dabei sein, aber ich denke, das hält sich in Grenzen. :)

    Nun denn, hier die erste kleine Geschichte. ^^
    Ich hoffe, sie findet Gefallen und ihr könnt etwas damit anfangen.


    Glücklich

    Ich sitze auf einer der unbequemen Holzbänke - wie es sie in Parks in Massen gibt - unter einem der vielen Bäume. Mein Blick geht in den Himmel, beobachtet die Wolken, die ruhig vorbeiziehen. Sicher wird es heute noch regnen. Eine schöne Aussicht, denn ich liebe den Regen. Die Ruhe, die die einzelnen Tropfen ausstrahlen, wenn sie auf den Boden aufschlagen. Sie zerspringen und zaubern dabei Bilder. Jeder Tropfen erzählt eine andere Geschichte.
    Doch es dauert noch, bis der erste Regen fällt. Bis dahin wird die Sonne den Himmel beherrschen.
    Ich presse die Zähne aufeinander und kaue auf der Innenseite meiner Wange. Ich mag keine Sonne. Sie nicht und auch nicht dieses Veilchenblau, das sich immer zwischen den Wolken zeigt. Es wirkt bunt, falsch – es stört mich.
    Ich senke meinen Blick und ziehe die Kapuze weiter ins Gesicht. Ich will nicht, dass mich die Sonne blendet, meine Haut mit ihren brennenden Strahlen berührt. Stattdessen betrachte ich das Eis in meinen Händen. Es ist bereits geschmolzen und läuft mir unaufhörlich über die Finger. Doch das reizt mich nicht. Im Gegenteil. Die Waldfrucht hinterlässt eine dunkelrote Spur und erinnert mich an Blut. Ein irrsinniger Gedanke, aber ich kann ihn nicht leugnen. Die Ähnlichkeit ist zu stark.
    Dennoch. Ich seufze und werfe das Eis in den Mülleimer neben der Parkbank. Ich will nicht, dass meine schwarze Jacke dreckig wird. Die schwarze Jacke, in der ich mich immer sicher fühle, obwohl sie mir eigene Nummern zu groß ist. Vor Jahren hat sie einmal gepasst, aber nun ist sie mir schlicht zu weit.
    Ich kichere. Das kommt davon, wenn man sich ein Eis kauft, aber niemals einen einzigen Schlecker nimmt. Warum ich es immer wieder mache, weiß ich nicht. Eis ist nicht meins. Ich bekomme es nicht runter und kann nicht verstehen, wie andere es ständig essen können. Vielleicht will ich mich normal fühlen und kaufe es deshalb. Ich habe keine Ahnung.
    Ich wende meine Aufmerksamkeit auf die Menschen um mich herum. Manche von ihnen gehen ihren alltäglichen Geschäften nach. Aufgeregt hechten sie an mir vorbei, achten nicht auf die Schönheit der Parkanlage und kümmern sich nur um ihren nächsten Termin. Ihre Blicke gehen immer wieder auf ihre Uhren, auf ihre Handys und auf Notizen, als gäbe es im Leben nichts anderes mehr.
    Den Gegensatz bilden die Frauen und Männer, die ihren Kindern auf dem angrenzenden Spielplatz beim Toben zusehen. Einige unterhalten sich angeregt, andere schlichten einen Streit und wieder andere versuchen in einem Buch ihre Ruhe zu finden.
    Ich beobachte sie abwechselnd. Die Geschäftsleute, die Eltern, die Kinder. So unterschiedlich sehen sie alle aus, aber eigentlich sind wir alle gleich. In uns fließt die gleiche Flüssigkeit, die uns am Leben hält. Seltsam wie sich dennoch manche für etwas Besonderes halten, für jemanden, der über andere bestimmen, sie zu Sachen zwingen kann.
    Ein Windhauch lässt mich frösteln.
    Ich schiebe meine Hände in die Jackentaschen und ziehe die Beine auf die Bank, winkel sie an und mache mich klein. Menschen sind wie die Sonne. Ich mag sie nicht und meide sie lieber. Und doch bin ich wie die Motte, die vom Licht angezogen wird. Ich weiß, dass ich mich selbst quäle, kann aber nicht ohne sie sein. Sie zu beobachten macht Spaß, ihr Verhalten zu studieren, lässt mich über mein eigenes nachdenken.
    Meine Augen fixieren sich auf zwei Kinder. Lachend und feixend sprinten der Junge und das Mädchen hinter einem Fußball her. In ihren Gesichtern spiegelt sich Fröhlichkeit. Ob sie glücklich sind? Ich kann es nicht sagen, weiß ich nicht, wie es sich anfühlt, in einer solchen Situation glücklich zu sein. Warum konnte ich nicht genauso glücklich sein, wie sie? Warum?
    Ich verkrampfe meine Hände zu Fäusten, umklammere dabei den länglichen Gegenstand in meiner Jacke, bohre meine Fingernägel ins Fleisch und presse die Augen zusammen. Warum ist es nur anderen Menschen vorbehalten glücklich zu sein? Habe ich kein Recht dazu?
    Mein Kopf schüttelt sich automatisch. Nein, ich darf ebenfalls glücklich sein.
    Ich umgreife den Gegenstand etwas fester. Erst jetzt bemerke ich, dass er noch immer feucht ist und in meiner Hand hin und her wandert. Auch noch eine gute Stunde später, spüre ich den Drang, rieche das Süßliche und schmecke das Eisen. Sofort fühle ich mich besser - stärker. Ja, auch ich kann glücklich sein. Nur sieht mein Glück anders aus, als das anderer Menschen. Ich bin nicht wie sie. Wie alle, die munter herumlaufen und ihren täglichen Aufgaben nachgehen. Ich bin glücklich, wenn ich das Glück anderer in mich aufnehme, wenn ich es ihnen entreißen kann. Auf eine seltsame Art mag ich die Menschen also doch, auch wenn ich es hasse, wie sie sich für die banalsten Sachen begeistern können.
    Ich schrecke aus meinen Gedanken, als ich einen Druck an meinem Bein spüre. Als ich mich umsehe, erkenne ich einen schwarz-weißen Fußball, der von der Bank und noch wenige Zentimeter rollt, bis er bewegungslos verharrt.
    Zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen - kommen auf mich zu und wedeln die Arme. Lange sehe ich sie an, dann beuge ich mich nach unten. Ich ziehe meine linke Hand aus der Tasche, behalte mit der andern aber den Gegenstand fest im Griff. Meine langen Finger greifen nach dem Ball und heben ihn aus dem Staub. Gerade, als das Mädchen vor mir zum Stehen kommt. Mit großen braunen Augen blickt es mich an.
    Ich lächle und überreiche ihr den Ball. Es erstaunt mich immer wieder selbst, wie einfach es mir fällt, meine Gedanken und Gefühle hinter einem Lächeln zu verstecken. Obgleich ich nicht so fühle.
    „Danke“, flüstert sie mit süßlicher Stimme. Jeder hätte nun wohl ein Glücksgefühl in sich gespürt, hätte bemerkt, wie bei dem zarten Stimmchen das Herz höher schlägt - aber da ist nichts. Nur Leere. Und dennoch lächle ich, bis das Mädchen zu ihrem Freund zurückgerannt ist. Erst dann verschwindet es. Es ist Zeit zu gehen.
    Ich ziehe prüfend an meiner Kapuze, dann stehe ich auf und stelle mich vor den Papierkorb. Ich blicke hinein und sehe das rote Eis, zerlaufen auf einem Haufen Verpackungen liegen. Wie paralysiert starre ich es an, sehe zu, wie die geschmolzene Waldbeere langsam auf den weißen Karton einer alten Asia-Nudel-Box tropft. Das unschuldige Weiß, verdorben von einem unberechenbaren Rot. Auf mich wirkt der Anblick wie Kunst.
    Ich hole meine Hand aus der rechten Jackentasche. In ihr liegt immer noch das in braunes Leder eingewickelte Jagdmesser. Wieder steigt mir der süßliche Geruch in die Nase, der mich kurz fesselt, bevor ich den dolchartigen Gegenstand zwischen die Schachteln fallen lasse. Dabei löst sich das Leder ein wenig und gibt den Blick auf eine rote Klinge frei, die noch immer feucht glänzt.
    Ich schiebe die Hände zurück in die Taschen und setze mich in Bewegung. In meinem Gesicht der gleiche nichtsagende Blick wie immer. Weit entfernt kann ich den Sirenenlärm hören. Er wurde also entdeckt. Ein Lächeln huscht über meine Lippen, verschwindet aber ebenso schnell wie es kam.
    Ich bin glücklich. Noch mehr, wenn sie es endlich schaffen werden, mich zu stoppen.