Habe mich mal wieder an einen dicken Schinken gewagt, nämlich Die Gestirne von Eleanor Catton.
In Neuseeland betritt zur Zeit des Goldrauschs ein junger Jurist, der Goldgräber werden will, einen Salon, in dem zwölf Männer sich eigentlich heimlich treffen wollten. Er hat es durch Zufälle an allen Sicherheitsmaßnahmen vorbei geschafft ohne sie überhaupt wahrzunehmen und wird nun in die komplexen Intrigen der Stadt Hokitika eingewiesen.
Das ist bisher ein wunderbar altmodischer Roman - ein allwissender Erzähler navigiert meisterlich, also sowohl flüssig, nachvollziehbar und angenehm, durch Gegenwart und Vergangenheit, von Figur zu Figur, und es ist einfach ein Erzählfest.
Nach der Hälfte endet dann der erste große Teil des Buchs. Elf weitere folgen. Teil Zwei ist nur noch halb so lang wie Teil Eins, Teil Drei halb so lang wie Teil Zwei und so weiter. Mal sehen, wie sich diese Dynamik noch entwickelt. Nach Teil Eins sind alle Spielsteine platziert und durch das persönliche Drama der Figuren, habe ich jede Seite genossen. Und nun rollt das Teil ... Guter Stoff. Ich werde vielleicht ein Fan der Autorin
So, neulich habe ich Die Gestirne auch beendet.
Ein Plot aus einer Vielzahl von Fäden gibt den Staffelstab von Figur zu Figur weiter, bis man am Ende kaum sagen kann, ob Walter Moody, der anfangs die Identifikationsfigur ist, wirklich als Protagonist bezeichnet werden kann.
In allwissender Manier wird angenehm altmodisch erzählt. Lange Kapitel mit langen Gesprächen prägen den Großteil des Romans, und in diesen Gesprächen wird viel vom Setting etabliert, von den Figuren und ihren Hintergründen, alles wird zugänglich und erfahrbar.
Walter Moody stolpert also, den Sicherheitsmaßnahmen zum trotz, nichtsahnend in einen Salon, in dem sich zwölf Männer zu einem Geheimtreffen verabredet haben, um kuriose Geschehnisse zu besprechen. Ein Mann ist tot, eine Hure hat versucht, sich das Leben zu nehmen, und ein gigantischer Haufen Gold im Wert von 4000 Pfund ist aufgetaucht.
Walter Moody lässt sich die Ereignisse berichten, wie die zwölf Männer sie zu berichten wissen. Das ist die erste Hälfte des Romans und der erste Teil von insgesamt zwölf. Die restlichen elf Teile spielen sich also in der anderen Hälfte ab. Wie muss man sich das vorstellen?
Nun, die Szenen werden zunehmend stromlinienförmiger, kürzer und - durch das bereits etablierte Setting - ärmer an Beschreibungen. Zum Ende hin enthalten die Kapitelüberschriften mehr Plot als die sehr kurzen Kapitel, die durch die Überschriften manches auch nur noch andeuten müssen. Alles verkehrt sich so ins formale Gegenteil. Wo Moody anfangs der Protagonist zu sein schien, ist er später nur noch eine Erwähnung; wo die anfangs nur erwähnten Figuren nur fernes Rauschen zu sein schienen, sind sie am Ende die Hauptträger der Handlung.
Und über diese Handlung sollte ich wirklich kaum weitere Worte verlieren, denn ein so plotreicher Roman will selber entdeckt werden. Nur so viel: Im Prinzip haben wir es hier mit einer Kleinstadt-Story zu tun, in der jeder Figur ihre Zeit im Rampenlicht bekommt.
Die Sprache ist sowohl transparent als auch elegant, passend zum viktorianischen Stil, an den das Buch angelegt ist. In langen Sätzen navigiert einen Cattons Erzähler meisterlich und in fließenden Bewegungen durch die Kapitel, dass es eine Freude ist. Hier gibt es keine modernistischen Experimente, und das begrüße ich ausdrücklich, nachdem Rushdies "Mitternachtskinder" mich noch immer ermüdet zurücklassen - auf keine schlechte Weise, möchte ich betonen.
Thematisch - worum geht's da eigentlich? Vielleicht das Schicksal und die Liebe, vielleicht auch das Glück, wie sich das für eine Geschichte über ein Goldgräberdorf gehört.
Mit den Gestirnen hat die Geschichte in sofern zu tun, dass jede Figur für einen Planeten oder ein Sternenbild steht oder so. Kenner werden an Kapitelnamen und den Tierkreiszeichen wahrscheinlich einiges über den Plot ableiten können, aber ich bin kein Kenner der Astrologie und kam auch prima zurecht.
Was ich hier vor allem erkenne, ist ein intelligent gestalteter, altmodischer und postmoderner historischer Roman, der vor allem eines kann: unterhalten. Wer den Atem für einen Tausendseiter hat, dem empfehle ich dieses Ding ohne Einschränkungen.