Beiträge von Miri im Thema „Auf der Spur ...“

    Der Marsch dauerte etwa eine Woche, blieb aber völlig ereignislos.
    Für einfache Wegelagerer, die hofften ihre Vorräte ein wenig aufzufüllen, waren sie wohl ein zu großer Tross gewesen.
    Alle anderen Interessengruppen schienen ihre eigenen Sorgen zu haben, denn sie hatten nicht mal den Versuch eines Überfalls erlebt.
    Nachdem die ersten Nächte ereignislos verstrichen waren, hatten die Soldaten, die den Tross begleiteten angefangen dem Alkohol übermäßig gut zuzusprechen. Casper war schleierhaft, was in deren Köpfen vorgegangen war. Er und seine Freunde waren nüchtern geblieben und dankbar gewesen, als der Alkohol nach zwei Nächten zur Neige gegangen war.
    Jetzt erblickten sie endlich die Stadtmauern - oder viel mehr was davon übrig war - von Lucar.
    Die Häuser außerhalb des Rings, aus Holz, Stroh und Lehm, waren niedergebrannt und beinahe völlig zerstört. Die Häuser im inneren, schon aus Stein gebaut, hatten dem Krieg schon eher stand gehalten, sahen aber auch alles andere an gut aus.
    Casper zog sich beim Anblick der vielen Leute, die in den Trümmern nach verwertbaren Rohstoffen suchten, die Kehle zusammen.
    Umso größer war die Freude, als die Menschen erkannten, was sie geladen hatten.
    Holz, Kleidung und Möbel. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um die Menschen davon abzuhalten ihre Wagen zu plündern. Sie waren zum Glück zu kraftlos und zu erschöpft, um eine ernsthafte Gefahr zu werden.
    Außerdem wollten sie ja tauschen. So leid Caspar die Menschen waren, sie waren nicht die einzigen, die vor dem nichts standen.
    Die Stadtwachen am Tor erkannten ihr Wappen und ließen sie das Stadttor passieren. Nur Neneve verstellten sie aggressiv den Weg und es bedurfte Sans Einschreiten und das Siegel seines Vaters, um die Soldaten dazu zu bewegen, dass sie die Elfe in Ruhe ließen. Trotzdem spürte Casper ihre misstrauischen Blicke im Rücken.
    Sie folgten einer grauen Straße, die feucht von der herbstlichen Luft im Dunst von offenen Feuern und Nebel lag. Immer wieder sahen sie Menschentrauben, die sich an den Feuern zu wärmen versuchten und nichts weiter als dünne Kleider und löchrige Schuhe trugen.
    Sie erreichten das Haus des Stadthalters ohne große Schwierigkeiten. Es stand so tief im Stadtkern, dass es unversehrt schien.
    "Du gehst rein und redest mit ihm", sagte ihr Truppenführer harsch zu San. (Casper war schon aufgefallen, dass es dem Mann nicht in den Kram gepasst hatte, dass San und der Rest der Gruppe sich nicht betrunken hatten. Warum auch immer ...)
    San zuckte nur mit den Schultern, nickte und stieg die Treppen zum Eingangsportal empor. Casper, Gyahara, Cifer und Neneve folgten ihm wie selbstverständlich.

    Am frühen Morgen brachen sie auf.
    Die Karawane war beladen mit allem, was man gefunden hatte und was noch zum Tauschen taugte.
    Am meisten hatten sie Holz dabei. Ein Rohstoff, der in anderen Städten, fern des Waldes, nicht leicht zu beschaffen war.
    Aber sie hatten auch Lebensmittel, Stoffe und einige wenige Möbel geladen. Alles von den reicheren Familien gespendet, die sich als außerordentlich solidarisch erwiesen hatten. Oder einfach Angst vor Sedars Vater hatten. So genau konnte Casper das nicht sagen.
    Zur Freude des Nicht-mehr-Henkers waren alle mit an Bord. Neneve und Gyahara (die nebeneinander gingen und sich unterhielten), Cifer und auch Sedar und Derrick, die beiden letzteren sahen allerdings einigermaßen zerstört aus. Casper fragte sich gerade warum, als Sedar sich ein wenig zurückfallen ließ und ihn leise ansprach, sodass sein Bruder sie nicht hören konnte.
    "Ähm ...", begann er unsicher. "Casper ..." Pause.
    "Ja", hakte der Henker nach.
    "Also ... was ist eigentlich so besonders an ... Schwertern?"
    Sedar betonte das letzte Wort seltsam, stellte Casper fest, aber er verstand nicht warum.
    "Öh ... Was soll so besonders daran sein?"
    "Nun, das frage ich dich." Sedar schien erleichtert, dass es nicht nur ihm ein Rätsel war.
    "In welchem Zusammenhang?", fragte der Henker nach, um der Sache auf den Grund zu gehen.
    "Ich sagte ... also ...", stotterte Sedar und suchte nach Worten. Er holte tief Luft. "Ich unterhielt mich mit meiner Schwester und meinem Bruder. Und ich sagte im Spaß, dass ich mein Schwert ziehen würde, wenn meine Schwester weiter so frech wäre und dann sagte mein Bruder: Vielleicht solltest du dein Schwert bei deiner Schwester lieber außen vor lassen. Bei dieser Schankmaid allerdings, solltest du es unbedingt raus holen. Ich bin mir sicher sie würde es dir vortrefflich ölen."
    Casper sah Sedar an und begann aus vollem Halse zu lachen. So sehr, dass sein Bauch wippte.
    "Na, da haben wir ja eine Nase dabei", sagte er schließlich, als er wieder einigermaßen Luft bekam und deutete auf Derrick.
    Sedar sah ihn pikiert an. Er verstand es wirklich nicht. Augenblicklich wurde Casper ernst und beugte sich vertrauensvoll zu ihm hinab.
    "Also, Schwert in diesem Zusammenhang, meint deinen ...", Casper zögerte. "dein bestes Stück." Er zeigte auf Sedars Unterleib. "Und Ölen ... naja ... ich glaube, jetzt weißt du, was Derrick dir sagen wollte."
    "Oooooooh", machte Sedar und wurde rot wie eine Tomate.
    Dann verfielen beide in Schweigen. Sedar schien nachzudenken ... oder dachte an besagte Maid. Casper grinste einfach nur über die Unbedarftheit der Jugend.

    Abends saßen sie gemeinsam beim Abendbrot mit Sans Familien.
    Nach den Tagen, die sie hier schon verbracht hatten, nach dem gemeinsam Aushecken eines Plans, der auch noch gefruchtet hatte und vor allem nach dem gemeinsamen Kampf, hatten sie alle bei Sans Vater an Ansehen gewonnen. Selbst Neneve schien dazuzugehören, denn er unterhielt sich mittlerweile mit ihr, wie mit jedem anderen am Tisch auch.
    Casper schaufelte sich eine große Portion Schinken und Butterbrot auf den Teller. Es war lange her, dass er so gut gegessen hatte.
    "Wie gehen wir weiter vor?", fragte Sans Vater plötzlich in die Runde.
    Casper warf ihm einen fragenden Blick zu, hatte allerdings den Mund zu voll, um antworten zu können.
    "Ich meine, wie gehen wir am besten den Wiederaufbau meines Landes an? Vieles ist vom Krieg zerstört, viele Männer gefallen und Frauen mit ihrem Kindern auf sich allein gestellt. Rohstoffe beschaffen ist nicht so einfach. Die nächsten Steinbrüche sind bei der Nachbarstadt, aber ich denke im Wald wird es von Wegelagerern nur so wimmeln. Es gibt genug schlechte Menschen, die die Not der anderen ausnutzen."
    "Wir könnten die Karawane als Schutz begleiten", sagte Casper, der mittlerweile geschluckt hatte.
    "Und währenddessen könnt Ihr Euch ein Bild von Eurem Land und dem Ausmaß der Zerstörung machen", schlug Gyahara vor.
    "Genau. Wir besorgen in der Nachbarstadt Steine. Die übrigen Männer können Holz im Wald fällen. Vielleicht gibt es auch den ein oder anderen, der noch Ressourcen zum Tauschen hat. Nahrung, Kleidung oder andere Rohstoffe. Wir könnten auch Holz gegen Stein tauschen. Sicher sind die Leute dankbar." Casper war ins Reden gekommen. Sans Vater nickte zustimmend. Casper freute sich zunehmend. Die Gruppe würde noch eine Weile zusammen bleiben! "San ... äh ich meine Sedar, begleitest du uns?", fragte er.

    Caspers Brust hob und senkte sich schwer. Von seiner Axt tropfte etwas Blut auf den Boden. Darunter hatte sich eine kleine, rote Pfütze gebildet. Vor ihm lag ein enthaupteter Assassine. Er wandte den Blick ab und betrachtete die anderen.
    Alle sahen einigermaßen mitgenommen aus, nur Neneve und Sans Vater verbargen ihre Empfindungen - oder waren Mord und Totschlag schlichtweg gewöhnt. Casper hoffte, dass auch Cifer und San gesund davongekommen waren.

    Casper hatte gemeinsam mit Neneve und Sans Vater verschiedene Schreiben aufgesetzt.
    Dort veranlassten sie ein Attentat auf verschiedene hohe Persönlichkeiten in ihren eigenen Reihen - unter anderem auch auf Sans Vater.
    Es handelte sich hauptsächlich um Generäle und Offiziere. Diesen Zielen konnten die Assassinen am wenigsten widerstehen, denn der Tod dieser Männer bedeutete die Zerschlagung der feindlichen Armee, da dann niemand mehr die Fäden ziehen konnte.
    Das ganze gegen eine beachtliche Summe Geld und die Angabe von (angeblichen) Gewohnheiten der Zielpersonen und Zeitpunkten, an denen ein Attentat besonders leicht fallen würde.
    Casper faltete die Briefe und gab sie an Neneve, diese schob sie in einen Umschlag und gab die an Sans Vater weiter, der Wachs auf die Umschläge tropfte mit einem siegellosen Ring verschloss.
    "Meint ihr, es ist nicht verdächtig, wenn kein Wappen auf dem Wachs zu sehen ist?", frage Casper.
    Neneve schüttelte den Kopf. "Wenn die Briefe abgefangen werden, will schließlich niemand als Absender erkannt werden."
    San, der mit am Tisch saß und ihnen erklärt hatte, was für Informationen für die Enklave nötig waren, nickte zustimmend.
    Sans Vater brummte etwas unverständliches in seinen Bart, doch es klang freundlich und er warf dabei einen Blick auf Neneve, der die Elfe und den Henker gleichermaßen überraschte. Insgeheim freute sich Casper, dass Sans Vater mit Neneve warm zu werden schien. Sie schien ihn mit ihrer logischen und selbstbewussten Art zu beeindrucken.

    Zwei Tage später hatten verschiedene Kuriere die Briefe auf unterschiedlichen Wegen der Enklave zukommen lassen.
    Morgen wäre es soweit ....

    Casper beobachtete wie Jared scharf die Luft einsog, doch Sans Hand auf seinem Unterarm schien ihn zu beruhigen.
    "Du musst zugeben, dass sie recht hat", wagte er an seinen Vater gewandt einzuwenden.
    Jereds Kopf zuckte herum und San zuckte mit den Schultern.
    "Finde ich auch", warf Casper ein und fügte hinzu: "Der krieg muss auf jeden fall irgendwie beendet werden. Nicht nur, weil er einfach durch dämliche Intrigen entstanden ist, sondern einfach, weil viel zu viele Menschen ... und Elfen sinnlos gestorben sind." Er nickte zu Neneve, als er ihre Worte wiederholte. Jered schien sie aus dem Munde eines Menschen einfach besser aufzunehmen. Der Blick des Generals klärte sich ein wenig und schließlich nickte er. "Was schlagt ihr vor?"

    Seit Ewigkeiten lag Casper wieder in einem weichen Bett mit einer Matratze, die nicht aus Stroh war.
    Er hatte die Decke bis zur Nase gezogen und sich darunter zusammengerollt.
    Eigentlich sollte er schlafen wie ein Stein, während draußen der Mond die Landschaft versilberte, aber er lag hellwach auf ihrem Bett und starrte aus dem Fenster. Hinter sich hörte er das gleichmäßige Atmen von Cifer, mit dem er sich ein Zimmer teilte.
    Die Frauen hatten ein anderes Zimmer bekommen und San war noch wach und bei seiner Familie. Der Henker freute sich wirklich für ihn, dass er seine Eltern nach all den Jahren endlich wiedergefunden hatte, aber ihm hatte die Art wie Sans Vater mit Neneve umgegangen war nicht gefallen. Lustige Ironie, dass er Gyahara mit Zuvorkommenheit und die Elfe beinahe wie Abschaum behandelt hatte. Nur seinem verlorenen Sohn zu Liebe hatte er eingewilligt sie in seinem Haus schlafen zu lassen, allerdings nicht ohne Wachen vor ihrer Tür zu postieren.
    Egal wo sie hinkamen waren und blieben sie Außenseiter ...
    Er seufzte. Morgen wollten sie die Lage mit Sans Vater besprechen (es war ungewohnt, dass ihn alle Sedar nannten) und Neneve konnte ihren Wert unter Beweis stellen, indem sie Insiderinformationen teilte.
    Unruhig dachte Casper daran, dass noch längst nicht alles ausgestanden war und langsam hatte er genug vom Kämpfen und vom fliehen. Auch wenn er dabei seine Axt mittlerweile richtig gut beherrschte. Trotzdem hoffte er, dass sie so bald wie möglich so weit wie möglich von hier weggehen konnten. Die Frage war allerdings, ob San bei ihnen bleiben würde ... Vielleicht würde auch alles besser, wenn der Krieg erstmal vorbei war ...
    Verstrickt in diese Überlegungen fielen ihm schließlich doch die Augen zu und er schlief bis zum Morgengrauen.

    Nach ein paar Tagen der Wanderung hatten sie die Grenze den Elfenreiches erreicht und nun ließ sich Neneve ein Stück zurückfallen.
    Direkt hatte die Gruppe nun niemanden mehr, der sie führte, allerdings mussten sie sich auch nicht mehr verstecken. Deshalb fragte Casper den nächstbesten Bauern, der ihren Weg kreuzte, nach der Richtung, die sie einschlagen mussten, um Kesara zu erreichen.
    "Osten", antwortete dieser knapp und deutete in die entsprechende Richtung. "Vielleicht drei Tagesreisen." Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Casper kam nicht umhin sich über den Grund der unfreundlichen Art zu wundern.
    Er hatte einen kurzen Seitenblick zu Neneve wahrgenommen. Außerdem wirkte die Kleidung des Bauern verarmt und er hatte eine Hacke und einen Rechen geschultert. Von einem Pferd mit Pflug keine Spur.
    Der Eindruck verstärkte sich, je weiter sie ihren Weg fortsetzten. Sämtliche Ortschaften, an denen sie vorbei kamen, sahen mitgenommen und ärmlich aus. Die Häuser waren teilweise zerstört und nur notdürftig geflickt. Essen konnten sie nirgends erwerben. Die Menschen in diesem Landstrich schienen selbst nicht viel zu haben. Und wollten offensichtlich nicht mit einer Elfe teilen. Die Feindseligkeit wurde mehr oder weniger offen zur Schau getragen. Allerdings wagte niemand die Hand gegen sie zu erheben. Schließlich war Neneve in Begleitung von Menschen und außerdem waren die Bewohner zumeist Bauern, die froh waren, wenn sie ihre Familie irgendwie durchbringen konnten. Der Sommer neigte sich langsam dem Ende. Die Tage wurden kürzer und auch wenn es noch nicht merklich kälter geworden war, so würde die harte Zeit doch unweigerlich kommen.

    Casper versuchte sich so lautlos wie möglich zu bewegen.
    Was in Anbetracht seiner Statur eher weniger als mehr erfolgreich klappte.
    immer wieder stieß er mit dem Kopf an niedrige Äste, wenn er aufpasste wohin er trat und wenn er versuchte sich nicht den Kopf zu rennen, knackten Laub und dünne Zweige unter seinen Schritten oder er stolperte über Wurzeln.
    So langsam hatte er keine Lust mehr leise und vorsichtig zu sein.
    Die Tage bei den Dämonen waren erholsam gewesen, keine Frage, aber auch dort hatte er aufpassen müssen, damit niemand durch Geräusche auf den Durchgang aufmerksam wurde oder die Dämonen ihn missbilligend anzischten.
    Er war mittlerweile so frustriert, dass er am liebsten irgendwelche lautstarken Henkerslieder angestimmt hätte, die durch blutige Texte und fröhliche Melodien einen interessanten Kontrast abgaben, der die Menge bei Hinrichtungen anheizte.
    Aber er beherrschte sich - mit einiger Mühe.
    Schließlich mussten sie bei den Assassinen einen guten Eindruck machen.
    Er fragte sich, warum er überhaupt mitgekommen war. Der Heiler hatte Recht gehabt. Die Sache brachte ihm gar nichts. Am Anfang der Mission hatte er noch an Ruhm und Ehre geglaubt, aber schon längst begriffen, wie naiv er gewesen war. Er hatte wohl einfach seine neu gewonnen Freunde nicht im Stich lassen wollen. Ob das genügte ...?
    Vor Casper lief San. Er war tief in Gedanken versunken, seit sie aufgebrochen waren und hatte kaum gesprochen.
    Dann kamen Gyahara und Cifer und schließlich Neneve, die vorne weg lief, weil sie sich immer noch am besten auszukennen schien und mit den Wegbeschreibungen des Heilers etwas anfangen konnte. Der Heiler hatte die Enklave mit Hilfe der Waldtiere ausfindig gemacht und war über Brieftauben mit ihnen in Kontakt getreten. Da die Enklave die Angaben zum Weg gemacht hatten, waren sie entsprechend verschlüsselt gewesen und der Heiler hatte es mit seiner Ausdrucksweise nicht besser gemacht.
    Schon vor einigen Tagen hatte Casper geglaubt, dass sie sich hoffnungslos verlaufe hatten, aber Neneve hatte zuversichtlich gewirkt.
    Nach einer schieren Ewigkeit hob Neneve die Hand. Die anderen schlossen zu ihr auf und blieben dann ebenfalls stehen.
    Casper erkannte, dass sie am Rande einer Lichtung standen. Durch die Stämme der umliegenden Bäume hindurch fiel das fahle Licht der untergehenden Sonne. Hohe Gräser wogten idyllisch im Wind. ein schmaler Trampelfpfad führte direkt in die Mitte auf ein verfallenes und verlassenes Haus zu.
    "Das müsste es sein", murmelte die Kriegerin.
    Casper blieb skeptisch.

    Casper fiel es schwer Cifer zurück zu lassen.
    Er hatte es sich bei der Verabschiedung nicht so anmerken lassen wollen. Sicher war es für Cifer auch keine leichte Entscheidung gewesen und er hatte es ihm nicht noch schwerer machen wollen. Dennoch vermisste er den Gestaltwandler.
    Aber er freute sich auch. Denn Cifer schien ein neues Zuhause gefunden zu haben. Jetzt wo der Henker selbst so ziellos umher irrte, gönnte er Cifer von ganzem Herzen sein Glück.
    Vielleicht ergab für ihn selbst auch einmal die Gelegenheit sich wieder irgendwo niederzulassen. Irgendwo wo ihn niemand kannte. Vielleicht konnte er seine Freunde überreden es ihm gleich zu tun. Er hatte sie alle sehr ins Herz geschlossen.
    In Gedanken versunken stapfte der Hüne hinter der Gruppe her. Brun vorne weg, seine dämonische Begleitung bildete die Nachhut.
    Beide waren eher unangenehme Gestalten. Überhaupt nicht so wie Gyahara. Er hoffte, dass sich das Verhältnis über die Zeit noch ändern würde.
    Er gab sich nicht sonderlich Mühe, sich den Weg zu behalten. Warum auch? Dämonen wurden nicht gefunden, außer man war selbst ein Dämon oder sie wollten es.
    Plötzlich schob Brun ein wenig Grünzeug vor einer Felswand zur Seite und offenbarte der Gruppe einen Spalt.
    Ohne ein Wort zu verlieren zwängte er sich hinein und verschwand.
    San, Gyahara und Neneve aber drehten sich zu ihm um. Casper konnte nicht verhindern, dass er rot wurde.
    "Könnte eng werden", murmelte er nur und ging auf den Durchlass zu.
    Er nahm seine Axt vom Rücken und reichte sie Neneve. "Würdest du?" Die Elfe nickte, nahm seine Waffe und Casper schwor, dass sie kurz grinste.
    Fiese Möpp, dachte er, musste aber auch schmunzeln.
    Er blies alle Luft aus den Lungen und zog den Bauch ein, so weit es ging. Dann duckte er sich und zwängte sich in den Spalt.
    Die Wände drückten eng auf seinen Körper und pressten noch den letzten Rest Sauerstoff aus seinen Lungen. Er konnte kaum atmen und nach wenigen Zentimetern merkte er schon, wie ihm durch den Mangel an Luft leicht schwindelig wurde. Er schloss fest die Augen und versuchte die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Der Gang war nicht sonderlich lang. Er würde schon durch kommen. Auch wenn ihm jetzt schon vor dem Rückweg graute.
    Plötzlich spürte er kräftige Hände auf seinem Körper. Gyahara hatte sich neben ihn gequetscht und schob ihn nun vor sich her. Mühsam ging es vorwärts, wobei sich Casper Rücken und Brust an den rauen Wänden aufschürfte. Zum Glück hielt wenigstens sein Hemd. Als wäre das sein einziges Problem.
    Endlich blobbte (Casper fiel kein anderes Wort ein, um es passend zu beschreiben) er aus dem Felsspalt. Um ihn herum drehte sich alles und schwarze Flecken erfüllten sein Sichtfeld, als er tief und gierig Luft holte.
    "Hhhhhhhh ..."
    Taumelnd fiel er gegen Gyahara, die ihn ohne große Schwierigkeiten stützte.

    Casper schlief eine Weile wie ein Stein.
    Kaum hatte er sich ins Bett gelegt, waren ihm die Augen zugefallen. Der Heiler musste ihm irgendetwas in den Tee gemischt haben, aber Schlaf war bekanntlich die beste Heilung. Als er aufwachte wusste er nicht wie lange er schon geschlafen hattem fühlte sich aber schon deutlich besser. Als er den Verband an seinem Bein vorsichtig löste, könnte er sehen, dass die WUnde nicht mehr entzündet war und schon zu heilen begann.
    Mühsam stand er auf und humpelte zu San hinüber. Auch dem Jungen schien es besser zu gehen. Er schlief zwar noch, aber sein Gesicht schien ihm nicht mehr so Blut leer. Auch Cifer, der ein Bett weiter lag, sah schon besser aus und schlief zur Abwechslung mal ruhig und ohne Krämpfe.
    Innerlich dankte er den Göttern, dass endlich einmal Glück gehabt hatten.
    Allerdings machte er sich Sorgen um den freundlichen Arzt. Sans Enklave war ihnen auf den Fersen und würden sicher jeden umbringen, der zwischen ihnen und der Gruppe stand. Er seufzte bei dem Gedanken diesen Ort bald wieder verlassen zu müssen. Ihm gefiel es hier. Die Ruhe und die Abgeschiedenheit. Fast wie zu Hause in Anklam, nur mit ein bisschen mehr Gesellschaft.
    Gyaharas und Neneves Betten waren leer. Sie waren sicher schon wach und unten.
    Vorsichtig machte er sich ebenfalls auf den Weg die Treppen hinab.
    Tatsächlich saß Neneve am Tisch und aß eine Kleinigkeit und trank dazu frische Milch. Draußen schien die Sonne. Ihr Licht fiel in einer langen staubigen Bahn durch die offene Haustür in den hohlen Baum.
    Der Heiler werkelte mit ein paar Kräutern herum.
    "Guten Morgen", begrüßte er den Henker. Neneve schenkte ihm ein knappes, aber freundliches Nicken.
    "Morgen", murmelte Casper verschlafen und setzte sich zu der Elfe an den Tisch.
    Der Heiler stellte ihm einen Teller mit frischem, weichen Brot, Butter und Honig und dazu ein Glas Milch hin.
    Erst nachdem er gierig die Mahlzeit in sich hineingeschlungen hatte, fiel ihm auf, dass von Gyahara keine Spur war. Er warf einen Blick zu Neneve, die sich entspannt zurück lehnte. "Wo ist Gyahara?", fragte er schließlich.
    Der Heiler antwortete statt der Elfe: "Dinge tun, die Dämonen eben so machen."
    "Ahja ... Könnte sie dabei Hilfe gebrauchen?" Sorge breitete sich in dem Henker aus. Wehrlos war die Dämonin nicht, aber sie hatten die Assassinen am Hals und sie stokelte alleine im Wald herum ... Wie konnte Neneve so ruhig bleiben?
    "Du bist kein Dämon ..."
    Casper blieb skeptisch, aber in Anbetracht von Neneves Gelassenheit, beschloss er es auch ruhig anzugehen. Er wusste zwar nicht, warum die Kriegerin das Leben auf einmal so locker nahm, aber gut ... Man konnte sich ja mal drauf einlassen. Trotzdem fasste er den innerlichen Beschluss, dass er sie suchen würde, wenn sie einer Stunde nicht zurück war.

    Neneve hatte in der Nähe einen Stall gefunden, in dem die letzte Box leer stand. Wenn sie leise waren, würde sie dort keiner bemerken.
    Abermals hatte Casper Gyahara losgeschickt und ihr die Pflanzen beschrieben, die er brauchte, um San notdürftig zu helfen.
    Sie hatte in Windeseile alles gefunden und nachdem er noch einige Blätter und Zweige aussortiert hatte, hatte er Sans Wunden verbinden und den Arm schienen können.
    Der arme Kerl war weiterhin mitgenommen, aber immerhin wieder ansprechbar. Der Pferdediebstahl musste wohl warten.
    Casper, Cifer und San warteten nun mit Stroh bedeckt im Stall, während die beiden Frauen loszogen, um einen Heiler zu finden.
    Die Sonne war schon fast hinter dem Horizont verschwunden, als Neneve und Gyahara zurückkehrten. Kurz vor ihnen waren Stallburschen da gewesen, um die Pferde zu füttern und zu tränken. Sie waren nachlässig gewesen und hatten die drei Verletzten so nicht bemerkt. Sie hatten ja nicht mal bemerkt, dass sie ein Pferd fütterten, das gar nicht in diesen Stall gehörte, nämlich Franz.
    Casper hatte ein wenig vom Hafer seines Hengtes abgezweigt. Er hatte keine Ahnung, ob Neneves Hirsch so etwas aß, aber eine Mahlzeit konnte er sicherlich gebrauchen.
    Nun knarrte die Tür erneut und die Elfe und die Dämonin traten ein.
    Neneves leise Flüche waren schon von Weitem zu hören: "Unglaublich, dass mein Titel absolut nichts mehr wert zu sein scheint! Ich habe die Hauptstadt gerettet! Ich habe der Königin das Leben gerettet und das ist nun der Dank dafür?!"
    Casper konnte ihren Unmut nur zu gut nachvollziehen. Ihnen war nicht im geringsten gedankt worden. okay, sie waren Menschen, aber Neneve? Elfen waren bescheuert.
    Die Tür zu ihrem Abteil öffnete sich.
    "Jungs?", flüsterte Gyahara ins Halbdunkel.
    "Wir sind hier", nuschelte Cifer und befreite sich von seiner Tarnung. Casper tat es ihm gleich und schaufelte danach San frei.
    Ein dritter Schatten erschien in der Tür.
    Gott sei Dank, dachte Casper.
    Als der Umriss näher trat konnte Casper erkennen, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelte. Er war heruntergekommen und trug ärmliche Kleidung. Dass seine Ohren rund waren, erklärte diesen Zustand. Er war ein Mensch.
    Gyahara folgte dem Blick des Henkers und zuckte mit den Schultern.
    "Arbeitsloser Heiler auf der Durchreise. Er war der Einzige, der bereit war zu helfen."
    "Was bekommst du für deine Hilfe?", fragte Casper, dankbar, dass sich überhaupt einer erbarmt hatte, dennoch gingen ihm seinen leeren Taschen nicht aus dem Kopf.
    "Nichts", antwortete der Mann, der nicht viel mehr zu besitzen schien als das, was er am Leib trug. "Man nennt mich übrigens Hak."
    "Casper", erwiderte der Henker verlegen und reichte ihm die Hand. "Bist du sicher, dass du nichts möchtest?"
    Hak lächelte freundlich und offen. "Aber ganz sicher. Ich bin in erster Linie Heiler geworden, um zu helfen, nicht, um Geld zu verdienen. Im Gegensatz zu manch anderen ... die dann auch noch Rassenunterschiede machen."
    Neneve ging auf die Spitze nicht mal ein, so frustriert und wütend war sie.
    "Und mindestens einer kann meine Hilfe gebrauchen", fügte Hak mit Blick auf San an. Er nahm seine kleine Tasche aus Leder zur Hand, die Casper erst jetzt auffiel und öffnete sie. Der Henker zog anerkennend eine Augenbraue in die Höhe. Der Mann schien das bisschen Geld, dass er verdiente, fast zur Gänze in seine Utensilien zu stecken.

    Müde und abgerissen maschierte die Gruppe durch ein Tor im Palisadenzaun, der die Stadt umgab.
    Sie war größer als ein Dorf, aber so klein, dass sich eine Steinmauer nicht lohte. Dennoch schöpften sie Hoffnung, denn mit ihnen passierten auch viele Händler - unter anderem ein Viehhändler - die Mauer. Sie ließen sich einfach immer tiefer in die Stadt mitreißen, bis sie durch eine Gasse auf den markplatz geschwemmt wurden, der erstaunlich groß für die Kleinstadt war.
    Es wurde allerlei Gemüse und Obst feilgeboten. Bäckern feilschten neben Metzgern. Hier und da gab es sogar Schmuck und Süßigkeiten und dazwischen der Tierhändler. Alles in allem eher kleiner Stände, aber genug, um ihre Vorräte aufzufüllen. Nur hatte Casper für seinen Teil kaum noch Geld. Sein Hemd hatte er mit Mühe und Not mit den Rest des alten geflickt. Sehnsüchtig blickte er zum Tierhändler. Er selbst hatte zwar Franz, aber der alte Gaul war ebenso geschafft wie sie alle und würde, wenn überhaupt, nur noch eine von den Frauen tragen können. Liebevoll täschelte der henker dem Tier die Flanke.
    Gemeinsam mit Gyahara machte er sich auf den Stand zu erkunden, während San bei einem Schmied stehen blieb, Cifer sich Medikus umsah und in Mangel dessen wohl beim Schnaps hängen bleiben würde und Neneve doch ihr Glück als Elfe beim Tierhändler versuchte.
    Die Dämonin stützte Casper, als sie sich durch das lose Gedränge auf dem Platz schoben. Dass sie beide aussahen wie im Wald hausende Banditen, machte ihnen das Durchkommen zusätzlich einfacher, denn die Leute wichen angewidert vor ihnen zurück.
    "Vielleicht stinken wir auch einfach nur", versuchte Gyahara, die seine Gedanken gelesen zu haben schien, aufzumuntern. Der Henker grinste.
    "Ich würde auch was für ein ordentliches Bad geben ..."
    "Nicht mit deinem Bein", sagte die Dämonin bestimmt.
    "Meinem Bein geht es blendend", erwiderte Casper, während er versuchte es nicht zu belasten. "Es hat sich nicht entzündet."
    "Es schließt sich aber auch nicht ..."
    "Malt ihr immer so schwarz?", fragte der Henker und spielte auf ihre Rasse an.
    Gyahara warf ihn einen Blick zu der Bände sprach und Casper zog es vor zu schweigen. Sie kauften Brot, Käse, Schinken und Äpfel ehe sie sich wieder mit den anderen trafen.
    "Und?", fragte San an Neneve gewandt. Er schob sich gerade seine Errungenschaften, die aussahen als seien weniger zum Essen und mehr zum Töteten geeignet, in die Taschen.
    Die Elfe schnaubte. "Er wollte mir Ponys verkaufen. Ponys! Ich bin Königsbotin und kriege nicht mal Pferde verkauft ..."
    "Was machen wir jetzt?", fragte Casper. "Ich glaube nicht, dass ich es zu Fuß schaffen werde ..."
    "Wir stehlen welche", sagte Cifer nüchtern und schraubte seinen Flachmann wieder zu. Alle Köpfte ruckten zu ihm herum. Erst spiegelte sich Unglauben auf allen Gesichtern, aber dann zuckte selbst Neneve die Schultern. "Und zwar seine Besten."

    Sie saßen im Kreis zusammen.
    Keine von ihnen hatte es für eine gute Idee gehalten ein Feuer zu entzünden, zu viele Soldaten trieben sich noch in der Gegend herum, obwohl Lovia und die anderen tierischen Gefährten von Neneve mittlerweile entspannter wirkten und sie schon lange niemanden mehr gehört oder gesehen hatte. Scheinbar verlagerte sich der Kampf immer mehr in Richtung Stadt, was hieß, dass die Belagerer sich offenbar zurückzogen.
    Casper lehnte mit dem Rücken an einem Baumstamm. Den Schmerz in seinem Arm und seinem Bein konnte er ausblenden, aber seine Seite brannte höllisch. Vorsichtig presst er die Hand auf den Kräuterumschlag, den Gyahara ihm nach seiner Anweisung gefertigt hatte.
    In ihrer Mitte lag eine Art Karte, die Cifer wohl von einem Elfen bekommen hatte, der Mitleid mit ihm gehabt hatte.
    Neneve hatte gesagt, dass die Geschichten uralt seien und es nicht sicher war, ob es diesen Heiler gab, ob er überhaupt jemals existiert hatte.
    Aber Cifer hatte schon keine Hilfe von den Elfen bekommen, obwohl er alles in seiner Macht stehende getan hatte, um diesem Volk zu helfen. Warum sollten sie ihre Meinung nun ändern? Nochmal bei der Königin vorzusprechen, dafür hatten sie schlichtweg nicht die Zeit. Casper merkte selbst, dass er mit jeder Stunde ein bisschen wackliger auf den Beinen wurde. Schlafmangel, Blutverlust und leicht entzündeten Wundrändern sei Dank. Die Klingt, die ihn erwischt hatte, musste mit irgendetwas verunreinigt gewesen sein.
    Er hörte dem Gespräch der anderen kaum zu, sondern starrte nach oben in die Baumkronen. Das schwarze Nachthimmel hatte sie zu hellem Grau und schließlich zu sanftem orange gewandelt.
    "Dann wagen wir es also?", fragte San in die Runde und warf einen Blick auf die dürftige Karte. Casper entdeckte einige nachträglich eingefügte Punkte, die größere Städte markierten. Neneve musste sie eingetragen haben. Sie kannte sich hier am besten aus. Mit roter Farbe war ein Weg eingezeichnet, der höchstwahrscheinlich zum Heiler führen würde. Wenn man der Karte glauben durfte, dann war es ein ganz schönes Stückchen. Casper stöhnte innerlich, machte aber keine Anstalten sich zu beschweren. Cifer ging es schlechter als ihm und er hatte weit mehr Strecke bewältigt.
    Neneve wirkte ziemlich unglücklich. "Ich kann mein Volk und meine Königin doch nicht einfach sang und klanglos verlassen ..."

    Casper blickte Casper hinterher.
    Im Nachhinein war er nicht mal wirklich überrascht.
    Ihm war der Rabe schon öfter aufgefallen. Nur, dass Cifer verschwand, wenn der Rabe auftauchte, das hatte er bis jetzt nicht in Verbindung gebracht. Er seufzte und strich sich mit der Hand einmal über das Gesicht. Da hatte er den kränklichen Burschen ganz schön unterschätzt und das nur weil er nicht groß war oder eine Waffe trug. Er warf Gyahara einen Blick zu, die ihn vielsagend erwiderte, zuckte mit den Schultern und stapfte Cifer hinterher. Es war nicht klug, dass sie sich trennten, wenn es hier von feindlichen Soldaten nur so wimmelte.
    Nach kurzer Zeit hatte er den Rothaarigen eingeholt, der einen kräftigen Zug aus seiner Flasche nahm und ihn böse über deren Rand hinweg anfunkelte.
    "Es tut mir leid", setzte Casper an. "Ich bin doof und oberflächlich gewesen. Man sollte Menschen nicht nach äußeren Maßstäben beurteilen. Du bist sehr mutig und vor allem hilfreich." Der Henker scharrte nervös mit einem Fuß. Eine Geste, die so gar nicht zu dem Hünen passen wollte. Als Cifer die Flasche absetzte, war sein Blick schon entspannter. "Schon okay", meinte er knapp, aber mit einem Ausdruck in den Augen, den Casper nicht deuten konnte. Was er in den Augen sehen konnte, war nicht gegen ihn gerichtet, aber dennoch war unterschwellig ... Zorn? Frustration? Er wusste es nicht genau.
    "ACHTUNG!", durchschnitt Cifer plötzlich die Stille. Caspers Blickkontakt mit ihm brach, als er herumfuhr. Zu spät. Die Klinge traf ihn am Arm. Mit einem Schmerzensschrei stolperte der Henker einige Schritte rückwärts und presste sich dabei eine Hand auf den Schnitt. Rot quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Er blickte sich nach Cifer um, doch er war verschwunden, stattdessen flatterte eine Rabe aufgeregt herum und versuchte die fünf Angreifer irgendwie abzulenken. Casper packte seine Chance beim Schopfe, griff nach seiner Axt und stürmte auf die Feinde zu. Sein Arm schmerzte höllisch, als er die Axt über seinen Kopf hob. Dennoch wollte er seinen Freund nicht hängen lassen und ihm beweisen, dass er seine Hilfe zu schätzen wusste und vor allem, dass sie als Team gut funktionierten und er gut hineinpasste.
    Es ging nicht mehr bloß um das Töten von Feinden, nein es ging darum diese Gruppe nach und nach endgültig zusammenzuschweißen. Sie waren schon so viele Wochen unterwegs und dennoch misstrauten sie sich gegenseitig. Das konnte und durfte nicht sein.
    Wütend schwang er seine Axt in einem Halbkreis und erwischte einen am Arm, der daraufhin sein Schwert fallen ließ. Ein Ausfallschritt nach vorne und ein kräftiger Stoß mit Kopf in der Axt in den Solarplexus und der Gegner ging kampfunfähig zu Boden. Casper grinste, als ihm einfiel, dass er eine ähnliche Attacke bei San beobachtet hatte.
    Cifer tat sein Bestes, aber Casper bekam noch zwei heftige Hiebe ab, ehe er die Soldaten alle überwältigen konnte. Röchelnd ließ er seine Axt fallen und versuchte zu atmen. Er wusste nicht auf welche Stelle er seine Hand zuerst pressen sollte um die Blutung zu stillen. Der Riese lehnte sich an einen Baum und rutschte daran hinunter, einen metallischen Geschmack im Mund. Einige Federn stoben auf, als Cifer sich in seine menschliche Gestalt zurück verwandelte. "Wo sind die anderen? Sie hätten den Lärm hören müssen ...", murmelte dieser. Dann fiel sein Blick auf den Henker. Blut durchtränkte sein Hemd am rechten Oberarm und der linken Hüfte. Das rechte Hosenbein war zerissen, doch der Schnitt darunter nicht allzu tief.
    "Scheiße", fluchte Cifer und eilte auf den Henker zu.

    Alvion war erstaunlich organisiert. In weniger als einem halben Tag hatte er seine Truppen zusammen gerufen, Vorräte aufgetrieben und Kriegsgerät bereit gestellt. Gemeinsam mit ihrem Fürsten machte sich die Armee in Begleitung der Gruppe auf den Weg. Neneve ritt neben dem Fürsten auf ihrem prächtigen Hirsch und ging mit ihm die Lage durch und erarbeitete zusammen mit ihm und seinen Beratern eine Strategie. Casper und der Rest waren aufgrund ihres "Nicht-Elfen-Seins" ganz ans Ende der Gruppe gescheucht worden. Ihre Pferde wurden als Packtiere verwendet - bis auf Franz - sodass sie wie die Fußsoldaten laufen mussten.
    Elfen waren schon bescheuert, fand Casper.
    Man hatte ihnen jeweils einen großen Sack und eine Schaufel in die Hand gedrückt, mit denen sie die Pferdeäpfel aufsammeln sollten, mit denen sie später am Abend Feuer machen konnten und so Ressourcen sparten. Casper hatte sie zusammen mit San und seinen Seile Franz auf den Rücken gebunden, sodass sie wenigstens nur schaufeln mussten.
    "Wo ist Cifer eigentlich?", fragte er in die Runde.
    Gyahara zuckte mit den Schultern. "Er sucht immer noch nach einem Heiler."
    "Nicht, dass sie nicht genug hätten ...", murrte Casper, der nicht verstehen konnte, wie man einem bedrohten Leben einfach nicht helfen konnte oder wollte.
    Niemand sprach aus, was sie von den Elfen in Damora hielten. Kälter war eigentlich nur Zumina. Dennoch waren sie dankbar, dass sie ihrer König zu Hilfe kamen und wollten es sich nicht mit ihnen verscherzen.

    Sie brauchten ein bisschen länger, als sie für den Hinweg gebraucht hatten, aber schlussendlich erreichten sie die umliegenden Felder der Hauptstadt der Elfen. Sie lagerten außer Sichtweite und feilten ein letztes Mal an ihren Plänen. Laut Neneve wollte sich Alvion allerdings erst von der Dringlichkeit der Lage einen Eindruck verschaffen, ehe er mit seinen Männern ins Feld zog. Neneve hatte sich fürchterlich aufgeregt, wie er einer Königsbotin nicht glauben konnte, aber Alvion meinte - vernünftigerweise , wie Casper ihm widerwillig zugestehen musste - dass er seine Männer nicht gegen eine unbekannte Macht ins Feld führen wollte und im Zweifelsfall Verstärkung aus den umliegenden Dörfern und den nächsten größten Städten anfordern.

    Casper rollte hinter Neneve mit den Augen.
    Er konnte die Elfe wirklich verstehen. Dennoch hätten sie von Zumina ein wenig mehr Dankbarkeit erwartet.
    Vielleicht eine Pause, ein Bad, was vernünftiges zu essen. Nichts dergleichen hatten sie bekommen. Immerhin hatte eine Elfe aus der königlichen Küche ihnen schnell ein paar Brote belegt und ihnen zusätzlich Äpfel und Trockenfleisch eingepackt. Ihre Trinkschläuche mussten sie allerdings an dem nahe liegenden Bach füllen. Die Wasservorräte der Stadt gingen wohl schneller zur Neige, als der Königin lieb war. Wenigstens hatte man ihnen ihre Waffen zurück gegeben und nicht nur Casper trat wieder selbstsicherer auf, nachdem er das vertraute Gewicht seiner Axt auf dem Rücken spürte.
    Selbstsicher, Casper lächelte. Das war ein Adjektiv, mit dem er sich vor einigen Wochen noch nicht beschrieben hätte. Aber jetzt hatte er auch Freunde. Er musterte die anderen unauffällig. Sie waren Außenseiter, abgerissene Gestalten. Verbrecher oder Leute mit einem nicht gerade ehrbaren Beruf und dennoch hatten alle ihre Qualitäten. Selbst Neneve war nicht gerade beliebt und dennoch wusste Casper sie zu schätzen und glaubte daran, dass sie genauso fühlte.

    Nachdem sie sich endlich aus dem dunklen Tunnel geschafft hatten - die größte Hürde war für Casper wieder der Ausgang gewesen - hatten sie ohne Zwischenfälle den Bach erreicht, von dem Zumina gesprochen hatte. Casper stand bis zu den Knien darin und füllte seinen Trinkschlauch. Er genoss das kühle Nass und wusch sich, nachdem alle genug getrunken hatten, Schweiß und Dreck der letzten Tage von der Haut. Sein Hemd war schon wieder an mehreren Stellen gerissen. Er seufzte. Das wenige Geld, das er besaß, sollte er lieber für wichtigere Dinge aufsparen. Trotzdem hätte er gerne ein neues Hemd gehabt.
    "Neneve, weißt du in welcher Richtung Damora liegt?", fragte Gyahara, die am Ufer des Baches saß.
    "Westlich von hier. Zwei Tagesreisen. Wenn wir uns beeilen schaffen wir es in eineinhalb oder vielleicht sogar in einer Nacht und einem Tag." Sie warf Cifer einen undurchdringlichen Blick zu. Den Mann schien es nicht zu kümmern. Stattdessen zückte er seine kleine Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. "Klingt machbar", sagte er nur.
    Casper stieg aus dem Wasser und reichte dem Rothaarigen seinen Schlauch. "Bist du sicher?"
    Cifer war dem Henker einen giftigen Blick zu und Casper nahm sich einfach vor ihn im Auge zu behalten.
    "Irgendwer muss den Weg auskundschaften", meinte Casper, nach einem entschuldigenden Blick zu Cifer, in die Runde.
    "Das kann ich machen", warf San ein.
    "Na das glaub ich gern...", zickte Neneve gereizt. Jeder verstand die unausgesprochene und im letzten Moment nicht ausgesprochene Spitze, doch alle waren klug genug sie nicht persönlich zu nehmen. Die Nerven der Elfe waren einfach zu zerreißen gespannt.
    San warf einen Blick auf die Sonne und wandte sich dann nach Westen. "Gebt mir ein paar Minuten Vorsprung. Solltet ihr einen Uhu hören, haltet euch bereit." Mit diesen Worten verschwand er im Unterholz.

    Gyahara zuckte zustimmend mit den Schultern.
    Geheimnis hin oder her.
    Wenn sie die in der Stadt vorhandene Armee (wenn man das denn so nennen konnte) aufteilen konnten, dann würden ein paar zurück bleiben und so tun, als wäre die Stadt ncoh voll besetzt, während der Rest durch den Tunnel verschwand und den feinden in den Rücken fiel. Sollten sie bis dahin die Stadt allerdings schon eingenommen haben, dann könnten sie ihrerseits die Belagerung aufnehmen und warten, bis Verstärkung eintraf. Die hatten sie - egal in welchem Fall - bitter nötig. Sie mussten einen Weg finden in befreundeten Städten schnell um Hilfe zu bitten, ehe sich am Ende noch Elrion einmischte.
    Gemeinsam wollten sie zu den anderen in das Wachhaus eilen, als sie Schritte vernahmen. Geistesgegenwärtig zogen sich die Dämonin und der Henker in den Schatten neben den Wachhaus zurück.
    "Was ist hier los?", hallte eine Männerstimme zu ihnen herüber.
    "Wir haben den Assassinen daran gehindert das Tor hinunter zu lassen", erklang nun Neneves Stimme.
    Es folgte eine Pause, in der der Sprecher wahrscheinlich das notdürftig befestigte Seil und die Leiche des Assassinen musterte.
    "Wer sagt uns, dass nicht ihr die Verräter seid?", mischte sich ein anderer ein.
    "Äh ... was?", entglitt es der Elfe. Selbst San schien sprachlos zu sein.
    "Genau! Habt ihr Beweise?" Es entbrannte eine hitzige Diskussion zwischen Neneve und den Soldaten. Casper und Gyahara entschieden sich gerade ihren Freunden zu Hilfe zu eilen, als sich der, der die haltlosen Anschuldigungen gegen Neneve hatte verlauten lassen, unauffällig aus der von ihm angezettelten Diskussion löst und zu dem Wachhaus eilte, in dessen Schatten er und die Totengräberin sich versteckt hatten.
    "Er will die Seile lösen!", raunte Gyahara entsetzt.
    Casper fackelte nicht lange. "Beobachte ihn nur. Der Hauptmann muss ihn auf frischer Tat ertappen. Wenn das Seil sich löst, versuch es festzuhalten, aber sonst unternimm nichts."
    Gyahara verstand und schob sich aus dem Schatten. Casper hingegen walzte Richtung des Befehlshabers, packte ihn ohne Umschweife am Arm und schliff ihn hinter sich her. Durch die Überraschung war er Kraft und körperlichen Masse des Henkers nichts gewachsen. Dieser zerrte ihn aber vor den Augen seiner Einheit einfach weiter über das Pflaster der Straße und schubste ihn in das zweite Wachhaus. Gerade rechtzeitig. Denn der Hauptmann konnte sehen, wie sein eigener Soldat das Seil löste und wie Gyahara aus dem Schatten herbei eilte, um es zu halten. Casper kam ihr sofort zu Hilfe und gemeinsam schafften sie es, es erneut notdürftig zu befestigen.
    Zähne knirschend betrachtete der Hauptmann seinen Soldaten und seine Wut, die er wohl eben noch für Casper und sein respektloses Handeln empfunden hatte, richtete sich gegen seinen eignen Mann.
    "Verräter!", zischte er und fuhr zu seinen anderen Leuten herum. "Habt ihr davon gewusst?"
    In diesem Augenblick traten Neneve, San und Cifer von hinten an die Gruppe heran. Jeweils einen Flüchtigen am Schlafittchen gepackt.
    "Sperrt sie ein!"

    Da stand er nun. Der Assassine.
    Casper wusste, dass er nicht die Geringste Chance gegen diesen Kerl hatte, obwohl er ihm körperlich überlegen war.
    Nicht einmal Neneve würde gegen ihn ankommen, hatte San gesagt.
    Aber was war mit San UND Neneve. Einfach würde es gewiss nicht werden, aber gemeinsam hatten sie vielleicht eine Chance.
    Er, Gyahara und Cifer müssten nur verhindern, dass das Tor sich öffnete, damit sie sich ein bisschen Zeit erkaufen konnten, und die Armee vor den Toren zwangen, sich einen neuen Plan auszudenken ...
    Als hätte der Assassine seine Gedanken gehört, lachte er und warf ein Beil, dass das Seil, welches das Tor hielt, durchtrennte. Casper machte einen gewaltigen Satz, und bekam das Ende zu fassen. Er riss das Seil zurück Richtung Boden, bevor das andere im Wachhaus gegenüber nachgab und ebenfalls riss. Augenblicklich spürte er brennenden Schmerz in der Seite, als eine Klinge ihn streifte.
    Ein Aufschrei entrang sich seiner Kehle, aber er weigerte sich das Seil loszulassen. Und dann war auch schon Neneve bei ihm und hielt weitere Angriffe von ihm fern.
    "Gyahara! Das andere Seil ...!", brüllte er über das Klingengeklirre hinweg.
    Die Dämonin verstand und verschwand nach draußen.
    San war nun Neneve zu Hilfe gekommen, doch statt zusammenzuarbeiten versuchte jeder den Assassinen auf seine Weise auszuschalten, weil beide glaubten den einzigen Weg zu kennen, wie dies möglich war. Damit gaben sie dem Attentäter immer wieder die Möglichkeit sie zu verletzen.
    Ein zweiter Treffer hagelte auf Casper herab. Diesmal tiefer als zuvor. Reflexartig ließ er das Seil los, griff aber sofort wieder danach. Er verbrannte sich die Handflächen, als das Seil durch seine Finger rauschte, ehe er es wieder im Griff hatte. Die Schmerzen hinderten ihn nicht an einem Fluch, den wahrscheinlich der nächste Zuhälter in sein Repertoire aufgenommen hätte, dann schimpfte er: "Himmel, reißt euch zusammen! Schon mal was von Team gehört?!"

    Casper stellte sich bestärkend neben Gyahara, wich aber gleichzeitig ein Stück zur Seite, damit San die König wieder sehen konnte.
    Er deutete auf den Jungen.
    "Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, dass San ebenfalls zu der Gruppierung der Assassinen gehört." Der henker spürte, wie die Dämonin ihm einen Stoß in die Rippen verpasste. "Aber", hob er die Stimme, ehe die Königin sich zu etwas herablassen konnte. "Aber San - ja ich nenne ihn bewusst San, unter diesem Namen habe ich ihn kennen gelernt und unter diesem Namen bürge ich für ihn. San hat nichts mehr mit dem Sedar von einst zu tun. Er hat die ganze Reise loyal zu uns gestanden und ist beim ersten Angriff des Assassainen auf dem Schiff beinahe gestorben. Das war keine Show, das war echt."
    "Komm zum Punkt!", murrte Neneve hinter ihm gestresst. Casper nickte. "Verzeiht. Was ich sagen wollte: Er war in dieser Gilde, er weiß wie sie denken, er kann uns vielleicht sagen, wie wir dem Angriff zuvor kommen können."
    Alle wandten sich nun an San, der mutig einen Schritt nach vorne trat und sich vor die schützende Mauer seiner Freunde stellte.
    "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein einzelner dieser Männer reicht, um die Torwachen zu überrumpeln. Wenn einer von ihnen dabei ist, wer weiß, wie viele sie noch für sich gewinnen konnten. Wer weiß, wen sie alles schon geschmiert haben -"
    "Königsboten lassen sich nicht schmieren!", rief die König zornesrot.
    "Ich mein ja nur", San hob beschwichtigend die Hände. "Wir müssen uns eine Strategie ausdenken, wie es gar nicht erst dazu kommt, dass die Assassine in die Stadt gelangen und die Tore öffnen."
    "Der Angriff soll morgen stattfinden", warf Cifer ein.
    "Dann wäre es vielleicht das Beste, wenn wir ihnen zuvorkommen." Gyahara zuckte mit den Schultern. Das war auch in Caspers Augen die logischste Schlussfolgerung.
    "Unmöglich!", rief die Königin aus. "Wenn ihr nichts Besseres zu bieten habt als für euren verlogenen Freund zu sprechen und utopische Ideen abzusondern, tretet mir nicht mehr unter die Augen."
    "Aber sie hat Recht!", warf Neneve ein und Casper war überrascht, wie vehement die Elfe ihrer Königin, auf die sie sonst nichts kommen ließ, widersprach. Zumina fuhr herum und funkelte ihre Botin aus sprühenden Augen an.
    "Achja?", fragte sie lauernd.
    "Wenn wir nichts dagegen tun können, dass die Tore geöffnet werden, dann schlagen wir eben zuerst zu. So haben wir wenigstens die Überraschung auf unserer Seite."
    "Und wie willst du einen Blitzangriff so schnell organisieren?"
    "Probieren kostet nichts und wenn die Tore früher fallen, sind wir immerhin vorbereitet." Casper warf einen Blick in die Runde. "Je länger wir diskutieren, desto mehr rennt uns die Zeit davon."
    Neneve nickte und gab ihnen ein Zeichen. "Kommt. Wir machen uns an die Arbeit."
    Geschlossen drehten sie sich um und gingen einfach. Die Wachen waren so perplex über den eigenmächtigen Entschluss, dass sie eine Gasse bildeten und sie einfach gehen ließen. Erst als sie die Tür erreicht hatten, hatte auch Zumina ihre zornige Überraschung überwunden und polterte los: "Neneve, das werdet ihr bezahlen! Niemand untergräbt vor meinen Soldaten ungestraft meine Autorität!"
    Cifer, San und Casper waren schon in den Flur gelangt und als der Henker sich umdrehte sah er, wie Neneves Entschlossenheit zu wanken begann, aber Gyahara packte die Elfe am Arm und zog sie mit sich.