Beiträge von Miri im Thema „Ein bunter Haufen“

    Lohra saß mit den anderen um ein Feuer, über dem ein großer Kessel an einem Dreibein hing.
    Sie hatten sich alle ein wenig von der Suppe genommen. Sie schmeckte ein wenig orientalisch (Masala vielleicht, überlegte sie und anderen leckeren Gewürzen.) Im Laufe ihres langen Lebens hatte sie schon öfter solches Essen gegessen. Am liebsten mochte sie Falaffel, aber es schien so, als hätten sie diese nicht im Gepäck. Erst beim Essen merkte sie, wie sehr sie den Geschmack vermisst hatte. Sie streckte das Gesicht Richtung der letzten Sonnenstrahlen und genoss die Wärme. Es war einer dieser selten gewordenen Momente, in denen sie das Leben zu schätzen wusste. Innerleich seufzte sie und öffnete die Augen. Dabei bemerkte sie wie Rodrick sie von der Seite musterte. Er war sogar so dreist ihren Blick zu erwidern, statt ihn beschämt abzuwenden. Irgendetwas sagte Lohra, dass sie diesem Mann nicht trauen konnte, trotz des vorübergehenden Friedens, den sie geschlossen hatten.
    "Was?", fragte sie ein wenig unfreundlich.
    "Dir scheint das Zeug ja zu schmecken", sagte Rodrick und deutete auf ihre leere Suppenschale.
    Sie nickte. Was sollte sie dazu auch sagen. Sein Pech, wenn er gutes Essen nicht zu schätzen wusste.
    "Hast du sowas schon mal gegessen?", bohrte er nach.
    "Ja", antwortete sie knapp.
    "Wann? Wo?"
    Lohra hasste es, wenn andere in ihrer Vergangenheit stocherten. Ihre Geschichte hatte keinen Sinn, ihre Existenz keine Berechtigung. Sie hatte nichts von ihrer Bestimmung erfüllen können. Sie spürte, wie sich ihr Blick verfinsterte. Toll. Gerade, wo sie mal nicht daran gedacht hatte, musste ausgerechnet Rodrick sie in die Realität zurückholen.
    "Das geht dich einen feuchten Dreck an", fuhr sie ihm über den Mund, stand auf und entfernte sich von der Gruppe. Sie bemerkte, wie die anderen ihr verwundert hinterher blickten und wusste, dass sie Dinge sagten wie: "Die hat wohl ihre Tage." Und das machte sie noch zorniger. Es gab auf der ganzen verfluchten Welt niemanden, der sie verstand. Und dann traf sie eine Erkenntnis, die sie mittlerweile in 358 Jahren noch nicht so klar gesehen hatte. Sie musste einen der beiden letzten lebenden Alchimisten finden. Nur sie konnten ihr sagen, wie sie ihr Leben beenden könnte ... Gleich nach dem Kampf um Lordas Thron würde sie sich auf den Weg machen.
    Immer noch wütend fragte sie sich, warum zum Henker sie nicht früher darauf gekommen war. Aber sie schluckte ihren Frust hinunter und begann ihre Gedanken zu sortieren. Von den sieben lebten nur noch zwei. Der Ork und der Elf. Die Orks waren definitiv näher als die Elfen. Sie lebten im "hohen Gebirge" (sehr kreativ, dachte die Kriegerin). Das lag eine Woche Fußmarsch westlich von Lordas Stadt. Der "Singende Wald", die Heimat der Elfen, lag drei Wochen Fußmarsch südwestlich. Also würde sie es erst bei den Orks versuchen. Wenn das nichts brachte, konnte sie immer noch zu den Elfen gehen ...

    Die Tage vergingen schnell. Die Stadt war die ganze Zeit über von geschäftigem Treiben erfüllt gewesen. Überall liefen Männer und vereinzelt auch Frauen herum, die ihre Waffen schleifen und polieren, ihre Rüstungen flicken oder ergänzen ließen und ihre Vorräte auffüllten.
    Handwerker waren dabei Kriegsgeräte zu bauen. Pferde wurden ausgesucht und den Kriegern zugewiesen. Die Vorräte aufgefüllt. Auch Lohra nutze die Gelegenheit ihre Wasserschläuche gegen einen größeren Wasserbeutel aus Leder einzutauschen. Außerdem legte sie sich einen kleinen Privatvorrat an Nahrungsmitteln zu: ein kleines Rund Käse, einen kleinen Laib Brot, Pökelfleisch und ein paar Äpfel. Man konnte nie wissen, was auf so einem Marsch passieren würde und vielleicht wäre sie noch dankbar daran gedacht zu haben.
    Außerdem machte sie einen Abstecher zu einem Schmied und ließ ihre Klinge schärfen und fetten. Dabei beobachtete sie den Schmied genauestens.
    "Warum macht Ihr es nicht selbst, wenn ich es nur falsch machen kann?", fragte er sie irgendwann augenzwinkernd. Er war ein großer und muskelbepackter Mann, aber von Grund auf gutmütig. Er ließ sich von ihrem seltsamen Aussehen auch nicht beirren (was noch ein Grund war, warum sie in der Schmiede blieb und ihm zusah. Es war erfrischend sich mal nicht argwöhnisch begutachtet zu fühlen).
    Sie lachte ihre glockenklares Lachen. "Ihr macht das sehr gut. Ich danke Euch."
    "Ein wunderschöne Klinge", führte er das Gespräch fort und hielt ihr Schwert in den Glanz des Feuers, sodass es funkelte. "Perfekt ausgewogen, messerscharf und leicht und doch so untypisch." Ein kurze Stille trat ein. "Es ist auf Euch angepasst worden, nicht wahr?"
    Lohra überging, dass der Schmied vermutlich damit sagen wollte, dass eine untypische Klinge zu einer untypischen Frau passte (denn er meinte es sicher nicht böse) und nickte schlicht.

    Als sie wieder aus der Schmiede trat, entging ihr nicht, dass ein Mann schnell hinter einer Hausecke verschwand. Sie konnte ihn nicht genau erkennen, dennoch kam er ihr vage bekannt vor. Ihre Nackenhaare stellten sich warnend auf. Sie nahm sich vor wachsamer durch die Straßen zu gehen und verschwand so schnell es ging in der Menschenmasse. Dabei streifte sie die Kapuze ihre Umhangs über ihr auffälliges Haar ...

    Die Frau sprach mit junger, klarer Stimme.
    "Ich denke, ich spreche für uns alle", hier hielt sie kurz inne, falls jemand Einwände erheben wollte, "wenn ich sage, dass wir euch helfen werden. Wir verabscheuen Krieg, doch verabscheuen wir das Unrecht noch mehr."
    Bei diesen Worten warf Lohra einen Blick auf Adahna. Sie wusste nicht viel über die Geschichte des Mädchens, allerdings war sie sich nicht sicher, wie viel Unrecht nicht dahinter steckte ... Als sie aufblickte fing sie Erecks erleichterten Blick auf.
    "Unter einer Bedingung", setzte dann die Vorsitzende erneut an.
    War ja klar ..., dachte Lohra.
    Alle Blicke wandten sich wieder zu der grauhaarigen Frau. "Da Adahna nun ein Mitglied dieses Rates ist, muss der Dämon in ihr beseitigt werden. Erst dann werden wir sie vollständig anerkennen und ausbilden."
    Lohra hob eine Augenbraue. "Wie stellt Ihr euch das vor?", wagte sie zu fragen. Sie hatten alle keine magischen Fähigkeiten, geschweige denn, dass sie sich mit Dämonen auskannte. Nichtmal Lohra. Die hatte zwar schon einiges über Dämonen gehört und gelesen, doch waren diese nie der Fokus ihres Interesses gewesen.
    Die Vorsitzende blickte Lohra nun direkt an, wirkte aber nicht unfreundlich. Sie schien außerdem die Flut an Fragen zu erkennen, obwohl Lohra nur eine einzige gestellt hatte.
    "Nun, zunächst möchte ich uns erklären. Wir können es nicht. Dies ist ein Feld der Magie, in dem wir uns - wie ich gestehen muss - nicht auskennen. Aber wir kennen jemanden, der es kann. Er wohnt recht weit von hier, aber die Richtung in der die Stadt Lordas liegt, ist schon mal die Richtige."
    Sie gab eine detaillierte Wegbeschreibung. Es würde nicht leicht werden, aber machbar. Lohra spürte, wie Adahna sich anspannte, während Dinge diskutiert wurden, die sie betrafen, als wäre sie nicht da. Die Kriegerin legte dem Mädchen beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und lächelte zu ihr hinunter.
    Am Ende hatte man sich darauf geeinigt, dass die Magier samt einer Armee in einer Woche aufbrechen würden. Diese Zeit würde genutzt werden, um Männer und Kriegsgeräte aufbruchsbereit zu machen und Vorräte zu sammeln.
    Adahna würde nach dem Kampf losziehen, um den Dämon loszuwerden.
    Im stillen dachte Lohra entgegen ihrer Art Versprechen zu halten, dass sie Adahna zu nichts zwingen würde, was diese nicht wollte. Doch sie mussten erstmal ja sagen, damit sie Unterstützung bekamen.
    Bei einer guten Gelegenheit würde sie nochmal mit dem Mädchen sprechen und erfragen, was diese davon hielt.

    Lohra erwachte blinzelnd. Es war nicht besonders hell in dem Raum, in dem sie sich befand, allerdings hatte sie stechende Schmerzen hinter dem linken Auge und deswegen schmerzte sie selbst die geringe Helligkeit. Sie hasste Migräne ...
    Sie wollte sich an die Schläfe fassen und sie massieren, da wurde ihr bewusst, dass ihre Hände gefesselt waren. Alarmiert blickte sie sich um. Wo war sie? Wo war ihr Schwert? Und wieso war sie gefesselt?
    "Auch endlich wach?", hörte sie eine männliche Stimme fragen. Sie musste die Augen schließen, als der Sprecher eintrat und durch die offene Tür helles Licht zu ihr herein fiel. Sie konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Als sie die Augen wieder aufschlug sah sie den Mann genauer an. Er trug eine tiefschwarze Kutte und Sandalen aus Leder. Sie konnte sein Gesicht im Gegenlicht nicht erkennen. Sie schloss die Augen wieder.
    Sie hörte, wie der Mann vor ihr in die Hocke ging und spürte, wie er sie beobachtete.
    "Kopfschmerzen?", fragte er. Seine Stimme klang beinahe freundlich und mitfühlend. Lohra antwortete nicht. "Eine übliche Nebenwirkung. Das dürfte bald vorbeigehen", versuchte er sie zu trösten.
    Juhu, dachte sie sarkastisch. "Was wollt Ihr von mir?", brachte sie mühsam hervor.
    "Die Frage ist eher, was ein Wesen wie du von der Magiergilde will. Was bist du?"
    Sie konnte nicht genau einordnen wie seine Stimme klang. Nicht allzu misstrauisch, aber ... irgendetwas lag darin. Innerlich zuckte sie mit den Schultern. "Das würdest du mir ohnehin nicht glauben." Sie sprang automatisch ins du. Schließlich hatte er sie auch geduzt.
    Der Mann seufzte und richtete sich wieder auf. "Was wollt ihr von uns?", wiederholte er seine Frage.

    Lohra beäugte Rodrick misstrauisch, als er Adahna auf die Schulter klopfte und einige tröstende Worte für sie fand. Es fiel ihr schwer diesen Mann mit dem Menschenhändler in Verbindung zu bringen, als den sie ihn kennen gelernt hatte.
    Sie liefen noch eine Weile hinter Lordas her. Lohra hatte der Kleinen noch ein wenig gut zugeredet, bis sie sich beruhigt und sich ein wenig von der Kriegerin abgesetzt hatte. Jetzt hatte Lohra Zeit sich umzusehen. Alios war eine seltsame Stadt. Die Straßen und Gassen waren enger und verzweigter als in anderen Städten. Sie fragte sich, was dieser Bauweise zugrunde lag. Vielleicht konnte sie es herausfinden. Es War immer wieder spannend Neues zu entdecken. Es hielt sie davon ab Trübsal zu blasen. Bald erreichten sie eine Schenke, die von außen einen soliden Eindruck machte und traten ein, um eben nach Magiern zu fragen.

    Lohra musterte den Mann neben sich.
    Sie konnte nicht einordnen, ob er log oder nicht. Wenn es wirklich um das Wohl seiner Schwester ging, warum hatte er sie nicht einfach um Hilfe gebeten? Anderseits konnte er nicht wissen, dass Lohra gerne Menschen half. Sie warf einen Blick auf ihr Schwert und dachte an ihre Figur. Sie wirkte nicht unbedingt zartbesaitet. Vielleicht war er auch einfach nur verzweifelt gewesen, weil sich einfach keine bereit erklärte, an die Stelle seiner Schwester zu treten und hatte es deshalb mit Gewalt versucht ... oder er hatte gar keine Schwester.
    Wie auch immer. Sie musste ihn im Auge behalten. Der Mann schien zu allem bereit. Deshalb antwortete sie: „Ich schätze, ich akzeptiere die Erklärung. Aber meine Aussage von vorhin steht. Fass mich noch einmal an und… „„Natürlich", unterbrach er sie.

    Am nächsten Morgen hielten sie eine Lagebesprechung, ehe sie aufbrachen.
    "Wie gehen wir nun weiter vor?", fragte Ereck in die Runde und mit Blick auf Lordas.
    Dieser zuckte mit den Schultern. "In dieser Wüste gibt es nichts, außer Banditen, Überläufer und Verräter."
    "Wir könnten sie, wenn wir welche sehen bestechen und auf unsere Seite ziehen ...", überlegte jemand laut.
    Lohra folgte den Diskussionen nur mit halben Ohr. In der Nacht hatte sie über Rodricks Worte gegrübelt und fragte sich, ob in ihnen vielleicht der Schlüssel zu ihrem Tod lag ... Wenn sie diese Mission hinter sich gebracht hatte, würde sie vielleicht ernsthaft über das Angebot des Söldners nachdenken.
    "Wir haben kein Geld", erinnerte Rodrick die Gruppe sarkatisch.
    "Und mit Gewalt?", schlug Edgar vor.
    "Dann sind sie dir nicht treu", wandte Matt ein und kassierte eine undefinierbaren Seitenblick von dem zweiten Neuen in ihrer Gruppe.
    "Ich ... ich hätte da eine Idee", mischte sich überraschend Adahna in die Diskussion ein.
    Nun war Lohra voll da und betrachtete das schüchterne Mädchen. Sie steckte wirklich voller Überraschungen.

    Lohra wirbelte herum und parierte einen Schlag, der tükisch hinterücks geführt worden war. In der selben Bewegung drehte sie sich unter der Klinge hindurch und rammte ihrem Gegner di Schulter in den Magen. Er taumelte zurück, sie setzte ihm nach und beendete mit einem Streich sein Leben.
    Kurz nahm sie sich die Zeit sich umzusehen und entdeckte ihre Reisegefährten, jeden in einen Kampf verwickelt.
    Ein silberner Blitz riss sie aus ihren Beobachtungen. Erneut parierte sie, spürte aber einen seichten Schmerz in der Seite. Ein Pfeil hatte sie gestreift. Instinktiv warf sie sich auf den Boden. Der Zweite Pfeil schlug mit einem dumpfen Laut in die Brust ihres Gegners ein. Mit einer Drehung und ausgestrecktem Bein holte sie einen weiteren von den Füßen, sprang über ihn hinweg und gesellte sich zu Ereck. Gemeinsam schlugen sie sich eine Bresche und sammelten so nach und nach jeden ihrer Gefährten ein, bis sie schließlich Matt erreichten, der in ein sonderbares Duell verwickelt war.

    Lohra stand unschlüssig vor der Taverne.
    Sie hatte die Kleine gefragt, ob sie in der Nähe ein Schankhaus kenne, in dem sie sich mit den anderen zu einer Besprechung treffen konnten. Schließlich mussten sie überlegen, wie es nun weiterging und Ereck würde sie in dem Gewimmel nie finden.
    Sie hatte der Kleinen noch ein paar Münzen in die Hand gedrückt und sie geschickt, nach den anderen zu suchen. Sie hatte bereitwillig zugestimmt, auch wenn sie das Geld nur mit einiger Scheu aus ihrer Hand genommen hatte.
    Die Taverne war trotzdem nicht das, was Lohra sich vorgestellt hatte. Das Schild baumelte an quietschenden Ketten und war schon so verblichen, dass sie den Namen nicht mehr erkennen konnte.
    Das Holz der Tür war von der Trockenheit spröde und der Knauf sah so aus, als würde er mehrere Krankheiten übertragen.
    Naja, besser als nichts. Jetzt musste sie eben auf die anderen warten.
    Eben überlegte sie, ob sie drinnen oder draußen warten sollte, als fünf Männer die Gasse betraten. Sie sahen wenig vertrauenerweckend aus. Vier von ihnen musterten sie lüstern und grinsten widerlich. Ihre Haare waren fettig, die Zähne gelb ... Lohra schüttelte sich innerlich. Der fünfte sah am vernünftigsten aus. Er trug ein helles Leinenhemd, schwere Stiefel und einen dunklen Umhang, unter dem ihr geübtes Auge eine Schulterplatte ausmachen konnte. Außerdem ragte über seine Schulter der Griff eines mächtigen Zweihänders.
    Die Kerle sahen offenbar so aus, als wollten sie streit. Fünf waren vielleicht zu viele für sie alleine. Dennoch grinste sie. Eine Herausforderung hatte sie noch nie abgelehnt. Und so wie der Mann gerade seinen Zweihänder zog, konnte das ein ausgesprochen interessantes Duell werden. Bloß, wie wurde sie die anderen los?
    Ohne weiter nachzudenken, stieß sie die Tür auf und verschwand in die Taverne, die zu ihrer Überraschung fast leer war. Sie stellte sich direkt neben die Tür. Die wenigen Männer in der Kneipe sahen ähnlich aus, wie die, die draußen auf sie warteten, nur ohne diesen widerlichen Zug. Zumindest die Meisten von ihnen. Alle sahen sie ziemlich erstaunt und erwartungsvoll an. Dann trat der erste Kerl zur Tür herein. Blitzschnell entriss sie einem Säufer, der neben ihr an einem klebrigen Tisch saß, den Bierkrug und schmetterte ihn dem Eindringlich vor den Kopf. Dieser sackte zusammen. Einen war sie zumindest zeitweise los. Fluchend brachen nun die restlichen zur Tür herein und richteten ihre Schwerter auf den Punkt, an dem sie eben noch gestanden hatte.
    Aber Lohra war schon längst über Tische und Bänke gesprungen und bombadierte die Kerle mit einem Hagel aus Krügen.
    "He!", rief der Wirt aufgebracht. "Was soll die Scheiße?!"
    Lohra warf ihm einige Münzen zu und sofort verstummte der feiste Mann und duckte sich hinter seinen Tresen.
    Die Männer waren nicht dumm. In der Zwischenzeit hatten sie Lohra umkreist und wollten nun von allen Seiten angreifen. Sie zog ihr schimmerndes Schwert aus der Scheide. Obwohl sie es so lange nicht benutzt hatte, fühlte es sich vertraut an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, dann brach die Hölle los.
    Unter dem ersten Streich duckte sie sich weg und stieß ihrerseits ihr Schwert schräg nach oben. Der Angreifer sprang zurück, aber sie schlitzte ihm seinen Gürtel auf, was den Verlust seiner Hose zur Folge hatte. Diese rutschte bis an seine Knöchel, er verhedderte sich, schlug der Länge nach hin und blieb mit nacktem Arsch zwischen Stühlen und Scherben zum liegen.
    Plötzlich spürte sie brennenden Schmerz am Arm. Einer der Kerle hatte sie erwischt. Sie fuhr herum und sah sich dem Umhangtyp gegenüber. Ein wildes Duell entbrannte. Er griff an, sich wich zurück. Obwohl er seine Waffe beidhändig führen musste, führte er sie präzise. Lohra bekam zwar keine weiteren Verletzungen, musste aber immer weiter zurück weichen. Und dann kam ein Schlag. Sie riss ihr Schwert in die Höhe, doch die Wucht seines Hiebes war so heftig, dass er ihr das Schwert aus der Hand prellte. Es schlitterte klirrend über den Boden. Direkt vor die Füße einer der Söldner, der es grinsend aufhob.
    "Du Schlampe!", brüllte der Hosenlose plötzlich, der seine Hosen offenbar wieder fixiert hatte, und stürmte auf sie zu. Diese kurze Ablenkung reichte Lohra. Sie packte einen Stuhl, holte aus und zerschmetterte ihn an der Brust des Umhangs. Dieser flog rücklings in einen Tisch, der in der Mitte brach. Ohne zu zögern stürmte sie auf den Halter ihres Schwertes zu und ehe der wusste, wie ihm geschah, hatte er ihre Faust im Gesicht.
    "Verdammt!", brüllte Lohra und hielt sich die schmerzenden Knöchel, besann sich aber und packte ihr Schwert. Als sie sich umdrehte, um die ihre Angreifer im Blick zu haben, spürte sie die Klinge des Umhangs am Hals.
    "Die wird Nocat gefallen", rief einer der Männer und lachte dreckig.
    "Meinst du, er hätte was dagegen, wenn wir das mal austesten?", fragte ein anderer.
    "Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß", stimmte der Hosenlose mit ein und neselte schon an der Kordel, die er gefunden hatte, und die seine Hose notdürftig an Ort und Stelle hielt. Lohras Hand schloss sich fester um den Knauf ihres Schwertes. Sie spürte, dass ihre Handflächen feucht wurden. Der Umhang kam näher, aber ohne die Klinge von ihrem Hals zu nehmen und musterte sie eingehend.
    "Hübsch bist du ja. Was bist du?"
    Lohra spuckte ihm ins Gesicht. Sofort versetzte er ihr eine schallende Ohrfeige und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel sauber. Dann packte er sich plötzlich, entwand ihr das Schwert und drehte ihre Arme auf den Rücken. Sie wehrte sich verbissen, aber er war stärker und sie von seiner Ohrfeige benebelt. "Hüte dich", sagte er dicht an ihrem Ohr. Sie konnte seinen Atem auf der Wange spüren. "Oder ich lassen die anderen auf der Heimreise vielleicht doch mal an dich ran ..."

    "WAS GEHT HIER VOR?!", donnerte plötzlich eine vertraute Stimme. Ereck! Und dahinter der Rest der Truppe - bis auf Esme. Sie konnte sogar das kleine Mädchen erkennen.
    "Gutes Timing", grinste Lohra.

    Lohra War diese Frage über die Jahrhunderte schon so ist gestellt worden und dennoch war sie jetzt ein wenig überrumpelt, sie ausgerechnet aus dem Mund der wortkargen Hexe zu hören. Wahrscheinlich hätte Lohra Esme sogar die Wahrheit sagen können und diese hätte ihr geglaubt und wäre damit nicht zum nächsten Barden gerannt, der es allen weiter erzählte. Trotzdem reagierte sie verhalten
    "Ja." War ihre knappe Antwort. Was ja eigentlich auch nicht gelogen War. Bloß, dass diese Rasse schon seit 350 Jahren ausgestorben war.
    Esme blickte die sonst aufgeschlossene Kriegerin prüfend an, schien aber zu respektieren, dass Lohra nicht darüber sprechen wollte.
    Lohra selbst kam sich unhöflich vor und wechselte nun das Thema: "Wollen wir uns etwas zu essen suchen? Vielleicht finden wir dabei auch das Mädchen." Sie versuchte zu lächeln.

    Einigermaßen unbehelligt erreichten sie die Oasenstadt mitten in der Wüste.
    Lohras Kleider waren verstaubt, in ihren Haaren und Wimpern klebte der lästige Wüstensand. Die ganze Truppe war durch die Hitze und Strapazen eher wacklig auf den Beinen.
    Sie selbst konnte den Drang in den nächsten Stadtbrunnen zu springen nur schwer unterdrücken. Aber sie tat es den anderen gleich, wusch sich Gesicht und Hände und schöpfte mit beiden Händen gierig Wasser. Sie füllte sich den Magen mit dem kühlen Nass, bis sie das Gefühl hatte, sich beim nächsten Schluck übergeben zu müssen.
    Erschöpft lehnte sie sich an den Brunnenrand.
    Plötzlich huschte ein kleines Mädchen an ihr vorbei. Sie schien nur Lumpen zu tragen und sah nicht weniger mitgenommen aus, als Lohra selbst.
    Um ihre Hände wickelten sich Bandagen und wenn Lohra sich nicht verguckt hatte, dann waren diese blutig.
    ihr Mitgefühl war geweckt. Die Arme. Sie musste ihr helfen. Und wenn sie der Kleinen wenigstens nur die Wunden auswusch und sie anständig versorgen ließ. In der Hitze und dem Sand, der schier in jede Ritze kroch, würden sie sich vielleicht entzünden.
    "Hey, Kleine", rief sie deshalb. Jahrelange Übung ließ ihre Stimme sanft klingen. Sie hoffte, dass sie das Mädchen nicht allzu sehr verschrecken würde. Es sah nicht so aus, als wollte es gesehen werden.

    Lohra erhob sich und ließ ihre geschundenen Gelenke kreisen.
    Diese Hilfe war unerwartet.
    Sie musterte ihre Retter genauer: Der eine schien älter zu sein. Er war auch der Kleinere von beiden. Der Zweite schien fast noch ein Junge. Er hatte Lorie beeindruckt, wie er schweigend die Schmerzen ausgehalten hatte, um schließlich seine Fesseln loszuwerden, doch als er nun mit zwei blutigen Schwerter erschien, überdachte sie ihre allgemeine Meinung von ihm. Er schien ein zäher Bursche zu sein. Der Zustand der Kleidung der beiden Männer deutete darauf hin, dass sie schon länger in Gefangenschaft waren.
    Sie warf einen Blick zu Ereck, der die beiden mit offenem Mund musterte. Schließlich war es Ottmund, der seine Fassung zuerst wieder erlangte. Er trat nach vorne und deutete eine respektvolle Verbeugung an. "Allion, Zebru Lordas."
    Lohra warf einen ungläubigen Blick Richtung ihrer Gefährten. Das sollte der Thronerbe sein? Sie konnte sich wahrlich niemand besseren vorstellen. Der unterschätzte Gegner war der gefährlichste. Vielleicht spielte ihnen das Schicksal endlich mal in die Karten. Aber ehe sie über die Rückeroberung des Throns nachdenken konnte, mussten sie das aktuelle Problem lösen.
    Die Männer scharrten sich um Ottmund, Ereck, Lordas und Allion.
    "Wie viele sind draußen?", fragte Ereck.
    "Keine mehr." Lordas grinste. "Der Rest ist auf Beutezug."
    "Na dann nichts wie raus hier. Haltet dennoch eure Waffen bereit."

    Lohra saß draußen vor dem Haus Ottmunds.
    sie wusste, dass es keine allzu gute Idee war sich provokant auf die Straße zu setzen, nachdem ihr Aussehen heute Vormittag schon so einen Streit ausgelöst hatte, aber es war mitten in der Nacht und die in dunkle Mäntel gehüllten Gestalten beachteten sie gar nicht.
    Die Hitze des Tages war noch so nah, dass sie ihren Umhang nur lose um die Schultern gelegt hatte. mit rhythmischen Bewegungen schärfte sie ihr Schwert. Manchmal stoben kleine Funken auf und das Schaben ihres Steins auf der Klingt hallte leise durch die Gassen.
    Wie immer entspannte sie diese eintönige Arbeit und beruhigte ihre Gedanken, die sich schon wieder im Kreis drehten. Sie fragte sich ununterbrochen, ob es nicht egoistisch gewesen war vorzuschlagen, dass sie Karabäer verfolgten. Nur weil sie manchmal von einem Todeswunsch verfolgt wurde, hieß das nicht, das alle anderen nicht gern noch eine Weile leben würden. Sie hatte die Räuber in der Wüste erlebt. Gnade konnten sie nicht erwarten. Sie hoffte inständig, dass Ottmunds Männer vernünftig ausgerüstet waren und schwor sich ein Auge auf ihre Gefährten zu haben, obwohl diese nicht unbedingt hilflos waren. Dennoch hätte sie vielleicht alleine aufbrechen sollen, statt kopflos alle anderen mit hineinzuziehen. Sie seufzte. Ihre 357 Jahre lasteten manchmal schwer auf ihrer Seele. Sie hatte das Gefühl alles schon mal gesehen, erlebt und gefühlt zu haben. Sie hatte Gefährten gehabt und sie hatte sie verloren. Nur sie hatte immer überlebt.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie Sets Gesicht wieder vor sich sah. Er hatte sie gekannt. Hatte sie verstanden. War mit ihr gegangen und sie hatte ihn überlebt. Sie wusste, dass sie nicht schuld an seinem Tod war, aber dennoch vermisste sie ihn manchmal schmerzhaft. Er hatte es verstanden ihr den Schmerz ihrer Existenz zu nehmen. Die Bewegungen an ihrem Schwert wurden heftiger, bis sie sich an der Klinge in den Finger schnitt. Sie fluchte, ließ den Stein fallen und steckte sich den Finger in Mund.

    Am nächsten Morgen stand Lohra schon früh auf. Aber nicht früh genug. Ereck, Matt und selbst Esme waren schon auf den Beinen. Ars konnte sie nirgendwo entdecken, als sie aus dem Fenster auf den Platz schaute, auf dem sich bewaffnete Männer sammelten.
    Eilig zog sie sich an und warf sich nur ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben. Dann rannte sie die Stufen hinab und trat auf dem Platz. Die Hitze der Wüste traf sie mit voller Wucht und einen Moment musste sie nach Atem ringen, doch da trat Ottmund schon auf sie zu. In einer Hand die Zügel eines Pferdes. Es war ein Fuchs mit rötlicher Mähne. "Sein Name ist Donnerkeil."
    Andächtig streichelte Lohra die Nüstern des Tieres. "Danke."

    Nachdem alles gepackt, die Pferde gesattelt und die Reitordnung geklärt war, schwang sich Lohra sich in den Sattel und ritt mit den anderen aus der Stadt. In der Masse der Reiter ging sie zum Glück unter, sodass sie niemand mehr wegen ihrer Haare oder Augen anfeindete.

    "Meine Haare!" Durst, Müdigkeit und Sandsturm hatten an ihren Nerven gekratzt. Ihre sonst so beherrschte Art war in sich zusammengebrochen und statt ihrer gewohnten, freundlichen Zurückhaltung drangen nun Empörung, Wut und allgemeine Erschöpfung ans Licht. Gereizt wandte sie sich den Neuankömmlingen zu.
    "Ereck!", entfuhr es ihr erfreut. Sie ließ die anderen links liegen, die ihr empört nachschauten und trat auf den Mann zu. Er sah erbärmlich aus. Seine Haut war feuerrot und von Blasen übersät, sein Bart und die Haare ungepflegt, dennoch stand er stolz und sichtbar erleichtert zwischen den anderen Männern. §Ein Glück, du hast den Sturm überlebt." Im letzten Augenblick unterdrückte sie den Drang ihn in die Arme zu schließen.
    Ein dürrer Mann trat nach vorne und blickte zwischen ihr und Ereck hin und her. "Sind das deine Freunde?"
    Ereck nickte eifrig. "Dann sollen sie in meinem Haus willkommen sein. ich bin Kommandant Ottmar und heiße euch herzlich willkommen." Nun drehte er sich vollständig an Ereck: "Ich möchte ohnehin wissen, was euch nach Zesara verschlägt. Aber erstmal peppeln wir euch wieder auf."
    Er lächelte aufrichtig, auch wenn Lohra nicht entging, dass er sie skeptisch musterte. Sie wandten sich zum Gehen. Während sich die Gruppe, die sich freudig wieder gefunden hatte, auf den Weg machte, um dem Kommandanten zu folgen, hörte sie noch Kommentare wie "Hexe" und "Teufelsbrut" hinter ihrem Rücken.

    Lohra hustete einmal kräftig. Ihr steckte immer noch der Staub in den Lungen und verklebte ihre Haare und Augen.
    Matt schien den Sturm irgendwie besser weggesteckt zu haben. Er war es auch gewesen, der den Felsspalt entdeckt hatte, in den sie sich gemeinsam gezwängt und den Sturm abgewartet hatten. Lohra hatte ihren Transportbeutel zerrissen und die Fetzen mit wertvollem Wasser getränkt. Dann hatten Matt und sie damit ihre Atemwege vor dem schmirgelpapierartigen Sand geschützt, der ihnen schier die Haut von den Knochen reiben wollte. Die Felsen hatten das meiste abgehalten, dennoch hatte Lohra Schürfwunden an den Armen und auch Matt wirkte etwas mitgenommen.
    Als der Sturm sich gelegt hatte und sie aus der Spalte getreten waren, waren einige Meter weiter auch die Geschwister aus ihren Unterschlupfen gestolpert.
    Nun befanden sie sich gemeinsam auf dem Weg nach Zesara. Anhand der Sterne und der Sonne konnte sie die Richtung bestimmen, in die sie gehen mussten. Sie hoffte, dass es nicht mehr allzu weit war. Ihre Wasservorräte gingen zur Neige.
    "Ich hoffe die anderen schaffen es bis Zesara", sagte Matt und warf den Geschwistern dabei Blicke zu, als wären sie Schuld an allem Übel. Lohra musterte Matt. Der Junge gefiel ihr zunehmend. Er war ein Rätsel. Nach 357 Jahren konnte sie Menschen ziemlich gut einschätzen und leicht durchschauen. Bei Matt war das anders.
    "Sicher", versuchte sie ihn zu trösten. nicht besonders viel, das wusste sie, aber ihre Kehle war gereizt von Sand, Hitze und Trockenheit.
    "In Zesara sehen wir weiter", quälte sie sich noch heraus und nahm dann doch einen kleinen Schluck. Das Wasser rann unglaublich wohltuend ihren Hals hinab und sie musste sich stark beherrschen nicht alles in einem Zug auszutrinken.
    "Wenn wir Glück haben, dann kommen wir heute Abend an", meinte Yennifer von rechts.
    Lohra hoffte, dass sie Recht hatte.

    Sie hatten die Nacht abwechselnd Wache gehalten.
    Ereck brachte den Fremden ein gesundes Misstrauen entgegen, Matt aber schien die beiden Gestalten vollkommen abzulehnen, aus einem Grund, den Lohra nicht erkannte.
    Als sie in der Hitze der Sonne im heißen Schatten der Dünen Richtung Zesara und rettender Oase weiter zogen, versuchte sie den Jungen darauf anzusprechen.
    "Hey", versuchte sie ein Gespräch in Gang zu bringen. Matt ging aufrecht neben ihr und schien als einziger kaum bis gar nicht zu schwitzen. Ihr selbst brannte der Schweiß in den Augen und ihre schwarze Lederrüstung entpuppte sich mehr als unvorteilhaft. Matt erwiderte ihren Blick wortlos. "Was hast du gegen die Fremden?", kam Lohra also gleich auf den Punkt, nachdem sie sich umgeschaut und festgestellt hatte, dass Yennifer und ihr Bruder ganz ans Ende der Karawane gefallen waren, wo Ereck sie versuchte auszuhorchen.
    "Nichts", antwortete Matt ausweichend. Lohra war selten auf einen Menschen getroffen, der genauso verschlossen war, wie sie selbst, wenn es im ihre Geschichte und Empfindungen ging. Sofort wallte in ihr wieder die Düsternis auf, die ihr befahl sich in die Sonne zu setzen und zu warten, bis diese sie ausgetrocknet hatte, nur um zu sehen, wie es war zu sterben. Sie kämpfte den Drang zurück. Diese Truppe brauchte ihre Hilfe. Sie konnte sie nicht im Stich lassen. Der schmale Grat zwischen Leben und Tod machte ihr zu schaffen. Sie war ein Wesen, das längst tot sein sollte und dennoch unter den Lebenden weilte. Ein Wesen, dessen Seele Sterben wollte, der sich Körper und Wille aber entgegenstellte. Sie seufzte und bemerkte, wie Matt sie aufmerksam musterte, doch bevor er etwas fragen konnte, versuchte sie ihm mit Vernunft beizukommen: "Nichts kann nicht sein. Ich hab dich beobachtet. Du hast nichtmal am Feuer gesessen, obwohl du gefroren hast. Wenn sie gefährlich sind, solltest du es uns sagen ..."

    Ereck und Ars waren mit einem Mann namens Rez zu ihnen gekommen, der ihnen neue Kleidung und neue Waffen gegeben hatte.
    Lohra war heilfroh gewesen aus dem Wirtshaus heraus zukommen. Die Gerüchte um die Hexe machten ihr schwer zu schaffen. Sie hatte geglaubt, dass das, was sie in der Vergangenheit schon so oft erlebt hatte, mit den Jahren und der zunehmenden Vernunft der Menschen vergangen wäre. Aber Menschen - vor allem verängstigte Menschen - blieben immer die Selben.
    Sie fragte sich, warum sie über drei Jahrhunderte damit verbracht hatte so viel in diese Spezies zu investieren. Die anderen Völker, die ihr inne wohnten hatten ihre Hilfe bei weitem nötiger, denn nicht nur ein war vom Auslöschen bedroht.
    Aber dann fiel ihr Blick auf Ereck, der Gerechtigkeit für seinen Zebru wollte, auf Matt, der nichts mehr wollte, als seine Familie zu beschützen, auf Esme, die ihre Wunden versorgt hatte, obwohl sie als Gefangene in die Burg gekommen war und auf Ars, der sich verantwortlich fühlte, obwohl er eigentlich nichts mit der Sache zu tun hatte.
    Lohra musste die Mission zu Ende bringen - und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass sie das Richtige getan hatte. Allem Anschein nach hatte sie noch genug Lebenszeit sich auch um andere Völker zu kümmern.
    Sie bließ sich eine Strähne aus der Stirn. Rez hatte ihre Haare mit Ruß und Asche geschwärzt, sodass sie nun in filzigen Strähnen und matt grau in ihrem Pferdeschwanz baumelten. Sie liebte ihre Haare, obwohl sie ihr schon so viele Schwierigkeiten gemacht hatten. Sie zu Färben hatte sich wie Verrat angefühlt. Gegen ihre auffälligen Augen und die spitzen Zähne hatten sie nichts unternehmen können, weswegen Lohra immer noch mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze herum lief.
    "Wie gehen wir vor?", fragte sie in die Runde. Beim Klang ihrer Stimme zuckte Ars zusammen, als sei er in Gedanken gewesen, aber ein prüfender Blick aus den Augenwinkeln verriet ihr, dass er sie beobachtet hatte.
    "Marraz ist uns wohlgesinnt", sprach Ereck erstmal das Offensichtliche aus. "Mich und Ars hält man für tot."
    Matt und Esme betrachteten das Pergament, das vor ihnen auf dem kleinen Tisch saß. Für kleines Geld hatten sie ein großes Zimmer in einer heruntergekommen Taverne gefunden. Der Tisch wackelte, als Esme sich darauf stützen wollte.
    "Allerweltsgesicht", murmelte sie mit kehliger Stimme.
    Lohra nickte zustimmend. "Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, wo dieser Allion zu finden ist?"

    Lohra runzelte die Stirn. Das wurde ja immer besser ... dennoch: sollte zumindest Lordas noch am Lrb3n sein und unschuldig, so wie Erweckung behauptete, dann hätten sie einen rechtmäßigen Thronfolger des Zebrus gefunden und könnten Larenz ausstechen. Beim genaueren drüber nachdenken, fiel auch Lohra auf, dass der Plan wie zu viele "könntes" enthielt. Sie seufzte und stieg wortlos wieder auf ihr Pferd. Gemeinsam ritten sie zum Palast von Marraz, damit Ereck um eine Audienz bitten konnte. Er kannte den Zebru nicht mal. Zum aller ersten Mal in ihrem Leben fragte Lohra sich, ob sie da nicht in eine Sache hinein geraten war, die zu groß für sie war. Sich lächelte. Genau das machte den Reiz aus. Seit langem fühlte sie sich wieder lebendig und sollte der Tod sie auf dieser Mission finden, dann würde sie ihn freudig willkommen heißen.
    Sie erreichten einen großen Platz in dessen Mitte eine grüne Insel wuchs. Eine Buche, so alt, dass sie mit Lohra mithalten konnte, wuchs in ihrer Mitte, darunter kleine, bunte Blumen und Gras. Sofort schlugen die Pferde den Weg dorthin an, doch sie zwangen sie auf die steinerne Treppe des Palastes zuzuhalten. Sorgfältig banden sie ihre Tiere am Geländer fest und machten sich an den Aufstieg. Oben standen ein paar Wochen, die sofort ihre Lanzen kreuzten und ihnen den Zutritt vermehrten.
    "Wer seid ihr?"
    "Ich bin Ereck Weißkrähe aus Zesnar. Hauptmann der Garde des Zebrus. Ich möchte bei Zebru Marraz um eine Audienz bitten", stellte Ereck sich förmlich vor. Lohra bemerkte wie Esme vor ihr mit den Füßen scharren und teilte ihre Abneigung gegen diese Platten Höflichkeiten.
    "Und der Rest?", warf die Wache ein und schmiss einen Blick auf alle Beteiligten. Lohra grinste. Sie sahen abgerissen aus. Und nicht nur das. Lohra war vielleicht mit Abstand die seltsamste Erscheinung, aber sie trug wenigstens ein Schwert. Der Soldat fragte sich zu Recht was zwei halbe Kinder und eine alte Frau in der Garde des Zebrus zu suchen hatten.
    "Bitte", drängte Ereck. "Es ist sehr wichtig."
    "Wir können auch warten", warf Lohra ein, auch wenn es ihr nicht gefiel Ereck ohne Begleitung zu lassen. Wer wusste schon, wem sie trauen konnten?
    Ereck schien ihre Gedanken zu teilen. "Einen möchte ich mitnehmen." Er deutete auf Ars, der überrascht die Brauen hob. Die Wache aber nickte. "Zwei sind okay." Er bat die beiden einzutreten und Lohra blieb mit Esme und Matt auf dem Sockel der Treppe zurück.

    Lohra hievte Ars ein klein wneig höher. Der Alchimist konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Super. Zwei Schwerverletzte, die kaum einen Schritt alleine machen konnten.
    Matt mühte sich mit Ereck ab, während Emse versuchte beide - Ars und Ereck - im Auge zu behalten und zu Hilfe zu kommen, sollten diese welche benötigen.
    "Wir wollen die Stadt nicht verlassen!", brauste Matts Vater auf.
    "Ja. Zurück nach Hause", riefen auch die kleinen Geschwister des Schmieds.
    "Aber das Stadttor ist zu gefährlich", wandte Matt ein. Unruhig trat er von einem Bein auf das andere.
    "Meine Tür", murmelte Ars in diesem Augenblick, ehe er wieder in den Untiefen seines Bewusstseins verschwand.
    Lohra nickte. "Natürlich! So ist er in die Stadt gekommen. Genauso wie wir auch aus dem Kerker entkommen sind."
    Matts Familie verstand kein Wort.
    "Er ist Alchimist", erklärte Lohra. "So wie er eben die Brücke geschaffen hat, die Matt und mich gerettet hat, so hat er auch ein Tor in die Stadtmauer ... gezaubert." Lohra fiel kein besseres Wort ein, um sich verständlich zu machen.
    Matt nickte bekräftigend. "Genau! kommt mit hinter die Mauer, dann könnt ihr durch das unbekannte Tor unauffällig und gefahrlos zurück in die Stadt."
    Matt Vater schaute skeptisch, aber als die ersten Wachen die Treppe zum Wehrgang erklommen, zögerte er nicht lange, sondern schob seine Kinder und seine Frau in den Käfig. Als auch er selbst eingetreten war, schloss Lohra die Tür und Matt ließ den Käfig hinunter.
    Unruhig warf die Kriegerin einen Blick über die Schulter, aber die Wachen, die auf sie zukamen, konnten sich nur langsam bewegen, da die Mauer immer noch eine einzige riesige Falle war, die sich mit jedem Schritt als tödlich erweisen konnte.
    Matt kurbelte den Käfig wieder hinauf und sie sprangen hinein.
    "Und wer lässt den Käfig hinunter?"
    Lohra schluckte trocken. Die erste Fahrt hatte ihr schon nicht gefallen. Von der Höhe wurde ihr übel und alles begann sich zu drehen. Sie hasste ihre Höhenangst, aber sie konnte nun mal nichts dagegen tun.
    Matt packte das Ende des Seils, welches nicht am Käfig sondern an der Kurbel befestig war.
    "Lohra schneidet das Seil durch. Kurz bevor wir den Boden erreichen, müssen war alle ganz fest am Seilende ziehen."
    "Was?!" Entsetzt riss Lohra die Augen auf. Sie sollten unkontrolliert in diese Tiefe schießen? "Das mach ich nicht!"
    "Vertrau mir", murmelte Matt und da hatte Ereck auch schon das Seil mit seinem Schwert durchtrennt. Lohra konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken und ließ Ars in ihrer panischen Angst los. Dieser taumelte und sank schließlich zu Boden.
    "LOHRA!", brüllte Matt und riss sie so aus ihrer Trance. Fahrig griff sie nach dem Seil, welches ihr durch die Hände rauschte und trotz ihrer Angst wurde ihr klar, dass das weh tun würde.
    "Jetzt!"
    Gemeinsam fassten sie, Esme und Matt das Seil fester. Es glitt noch ein ganzes Stück durch ihre Hände und verbrannte ihnen die Handflächen, doch beide zwangen sich nicht loszulassen.
    "Wir schaffen es nicht", entglitt es Lohra verzweifelt, da packten Ereck und Ars mit letzten Kräften ebenfalls an. Vereint schafften sie es den Sturz soweit abzufedern, dass sie zwar hart, aber nicht tödlich am Boden aufschlugen. Alle fünf wirbelten durch den Käfig und stolperten übereinander. Irgendwie schafften sie es, dass sich dabei niemand verletzte.
    Lohra stieß die Tür auf und stieg schweratmend aus dem Höllengefährt.
    "Nie wieder", murmelte sie und dankte den Göttern, an die sie nicht glaubte, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
    "Wo müssen wir hin?", fragte Matts Vater.
    "Westen", nuschelte Ars.
    Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, das geheime Tor zu suchen.

    Lohra ging im Geiste die Möglichkeiten durch.
    Sie hatte Matt versprochen seine Familie zu retten und sie gedachte dieses Versprechen irgendwie zu halten. Aber in der Stadt gab es keinen Zufluchtsort mehr. Der äußere Ring brannte und aus dem inneren waren sie eben vor Larenz geflohen.
    Larenz aufhalten klang gut. Eine Eskalation mit den anderen Brüdern würde es nicht geben, da Larenz diese sicherlich schon aus dem Weg geräumt hatte. Sie hoffte inständig, dass das bedeutete, dass er sie einfach nur eingesperrt hatte.
    Es war vielleicht wirklich das Beste, sich auf den Weg zum Stadttor zu machen. Wenn sie Glück hatten konnten sie Matts Familie aus der Stadt bringen und gleichzeitig Larenz ein Schnippchen schlagen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.
    Sie nickte also und warf einen Blick in die Runde. Die anderen schienen ähnliche Gedankengänge wie sie zu haben, denn Skepsis hatte entschlossenen Mienen Platz gemacht.
    Nachdem Esme Erecks Wunden notdürftig versorgt hatte, hievten sie ihn gemeinsam in die Höhe. Mit Ars rechts und Lohra links gelang es ihnen sogar einigermaßen schnell voran zu kommen.
    Der Weg zum Stadttor war nicht weit, aber gefährlich. Brennende Dachbalken stürzten zu Boden, Häuser fielen in einem tödlichen Funkenregen in sich zusammen und Rauch drang in ihre Lungen und vernebelte ihre Sicht. Lohra hustete immer wieder trocken. Zu gern hätte sie einen nassen Lappen gehabt, um sich Nase und Mund damit zu bedecken, aber sie durfte jetzt nicht wählerisch sein.
    Nach einer schieren Ewigkeit tauchte das Stadttor vor ihnen im Dunst auf.
    "Hey", rief Lohra, in der Hoffnung, dass die Wachen sie bemerken und ihnen helfen würden.
    Die Wachen wandten ihre Blicke um, doch statt ihrem Hauptmann zur Hilfe zu eilen, steckten sie Köpfe zusammen und tuschelten. In lohras Bauch machte sich ein Ungutes Gefühl breit.
    "Öffnet das Tor", befahl Ereck schwach. Sie waren mittlerweile nah genug, dass die Wachen ihn über das Getöse der Flammen hinweg verstehen konnten.
    Statt auf seine Worte einzugehen setzten sie sich mit grimmigen Gesichtern in Bewegung. Über das Getöse der Flammen hinweg vernahm Lohra noch ein: "Ergreift die Verräter und alle die mit ihnen sind!"
    Erschrocken blickte Lohra sich um. Hinter ihnen war nichts als Feuer. Vor ihnen die Wachen. ihr Blick fiel auf die Treppe, die zum Wehrgang hinauf führte.
    "Der Käfig!", murmelte sie und Ereck schien zu verstehen.
    Sie drückte Ereck in die Hände von Matts Vater und schob die Gruppe Richtung Treppe.
    "Ich halte euch den Rücken frei!"
    Wenige Augenblicke später hörte sie hastige Schritte die Treppe hinauf eilen und spürte Ars Gegenwart neben sich. Verwundert blickte sie ihn an.
    "Ich will wissen was du bist, also kann ich dich ja wohl nicht sterben lassen."
    Noch ehe Lohra antworten konnte oder Schreck über seine Worte sie erfassen konnte, wurde sie angegriffen. Sie riss das Schwert in die Höhe und parierte funkensprühend den Schlag.

    Lohra eilte durch die Gänge. Sue verfluchte ihr auffälliges Erscheinungsbild, denn sie kam nur halb so schnell voran, wie ihr lieb war, weil sie immer wieder Wachen ausweichen musste. Irgendwann war sie dazu übergegangen die Verbindungstüren zu nutzen, um voran zu kommen und endlich fand sie eine Spur von Ereck. Ihr schnürrte es die Kehle zu. Sie hatte gehofft, dass Ereck wohlauf war, aber das sah anders aus. Weiße Federn lagen am Boden und wiesen ihr einige Meter die Richtung. Plötzlich stand sie vor Rogarrs Zimmer. Larenz, die Ratte, hatte sich also von dem Festsack bestechen lassen.
    Von drinnen hörte sie Stimmen. Rogarrs wütende und Erecks, immer wieder von Husten und Prusten unterbrochene Stimme. Sie schielte durch einen Spalt in der Tür.
    Ereck hing Kopf über von der Decke und blutete aus der Wange. Unter Ohm ein Bottich mit Wasser. Ein Soldat hielt das Seil, Larenz lehnte grinsend an der Wand und der Fettsack wollte wissen, wo sie und die anderen waren. Lohra wettete, dass rechts und links neben der Tür noch jeweils eine wache stand. Rogarr gab ein Zeichen und Ereck versank wieder im Wasser. Lohra zögerte nicht länger. Mit einem wütenden Schrei Hieb sie auf die Schaniere der Tür ein und trat sie dann auf.
    "Hier bin ich, du Ratte!"
    Sie glitt unter den Schwertern der Wachen hindurch, machte einen Satz auf den Bottichrand und trennte das Seil, das Ereck hielt, durch. Platschend schlugen die Beine neben dem Behälter auf und hebelten den Kopf den Hauptmanns über Wasser. Schon sah Lohra drei Klingen, der Fetti wurde von Larenz in Sicherheit gebracht. Lohra stieß sich ab, schlug einen Salto und landete geschmeidig hinter den Soldaten. Diesmal hatte sie keine Skrupel und rammte dem ersten ihre Klinge zwischen die Schulterblätter. Ein brennender Schmerz in der Seite ließ sie herum fahren und dem zweiten die Kehle aufschlitzen. Blut flog in glitzernden Rubinen durch die Luft. Der Letzte ließ beim Anblick der Furie sein Schwert fallen und rannte davon.
    "Ereck! Ereck geht es dir gut?" Lohra ließ ihr Schwert neben den Hauptmann fallen und nahm sein Gesicht in beide Hände. Die Augenlider flatterten, er atmete und fragte dann beinahe wütend: "Was zum Henker machst du hier noch?"