Beiträge von Everad im Thema „Wildnis“

    Da war die Stadt. Wie lange hatte er auf diesen Moment warten müssen? Wie viele Tage hatte er allein in der Kälte verbracht? All das war nicht mehr von Bedeutung, denn er war angekommen. Er hatte das Ziel seiner langen Reise erreicht. Endlich könnte er denen, den es so ergangen war wie ihm, helfen, aus dieser misslichen lange zu entkommen.
    Marlin war ebenfalls stehen geblieben und musterte ihn. Er war froh, dass er sie getroffen hatte, schließlich hatte er lange keine Gesellschaft mehr genossen. Dennoch wusste er nicht, wie es weiter gehen würde. Er wollte sie nicht in Dinge hineinziehen, die sie in Gefahr bringen könnten. Allein sein, wollte er allerdings auch nicht. Früher oder später müsste er eine Entscheidung treffen.
    "Ja ich bin sicher, dort gibt es auch Fisch!", antworte Taon mit einem Grinsen. "Sobald wir einen Händler gefunden haben, werde ich dir einen Kaufen."
    Mit selbstbewussten Schritten und einem neuen Ziel vor Augen, durchschritt Taon hinter Marlin das Stadttor.

    --> Dunedin

    Als Taon erwachte, war die Sonne bereits aufgegangen. Es war eine lange, traumlose Nacht gewesen. Der Brief, den er gelesen hatte, ließ ihn jedoch nicht los. Er wusste, was er zu tun hatte, was er tun würde.
    Als er sich von seiner Schlafmatte erhob, sah er Marlin. Neben ihr lag ein Rucksack mit etwas Räucherschincken auf dem Boden.
    Sie hat doch nicht etwa ...
    Doch anstatt sich zu ärgern, musste er grinsen. Offensichtlich verstand sie ihr Handwerk. Vielleicht wäre das noch irgendwann einmal nützlich.
    "Wie ich sehe, war deine letzte Nacht recht erfolgreich", sagte er. "Wir sollten bald Dunedin erreichen; im Laufe des Vormittags."
    Sie schien überrascht, dass er ihr keine Predigt hielt. Sie nickte.
    "Auch wenn wir einen meiner Verfolger ausgeschaltet haben, sollten wir dennoch vorsichtig sein. Ich kann es natürlich verstehen, wenn du mich in Dunedin verlässt. Schließlich bedeutet meine Anwesenheit auch eine Gefahr für dich."
    Insgeheim hoffte Taon, dass Marlin beleiben würde. Ihre Anwesenheit tat im gut, doch er würde sie keiner Gefahr aussetzen.
    Ich muss allein mit meiner Vergangenheit abschließen. Es wäre unverzeichlich, wenn ihr etwas zustößt.
    Taon nam sich ein Stück des Räucherschinckens und machte sich genüsslich darüber her. Langsam verstand er, warum Marlin offensichtlich nicht Wiederstehen konnte.
    Nachdem er aufgegessen hatte, rollte er seine Schlafmatte ein, schulterte seinen Rucksack und stapfte gemeinsam mit Marlin auf die Straße nach Dunedin zu.

    Den ganzen Weg hatte Taon über den Inhalt der Schriftrolle nachgedacht. Schließlich gab er seiner Neugier nach und holte sie aus seinem Gewand hervor und entrollte sie:
    "Ich bin sehr mit dem Fortschritt, den du in den letzten Wochen vollbracht hast, zufrieden. Es freut mich, dass die neuen Novizen sich schnell eingefunden haben und begierig lernen. Wir werden die Hallen in Dunedin bald vergrößern müssen. Es war gut, auch in Dunedin unsere Macht zu vergrößern. Bald wird die erste Lieferung bei dir eintreffen; sie ist schon auf dem Weg. Ich werde meinen Stellvertreter Seraf zu dir schicken, damit er dich in der Handhabung mit der Lieferung unterwiest. Doch er wird nicht allein kommen. Ein Junge wird ihn begleiten. Du sollst dich seiner Annehmen, ganz so, wie ich es von dir gewohnt bin. Ich kann seine Schmerzensschreie schon jetzt in meiner Kammer hören. Bald, schon sehr bald, werden wir die Welt mit einer dunklen Flut überdecken. So wie die Geburt eines Kindes blutig ist, so wird es auch unsere sein. Blut wird fließen und all unsere Gegner mit sich reißen.
    Ich werde dir bald einen Besuch abstatten, um die Novizen zu begutachten.
    T."

    Taon las den Brief mehrere Male durch. Sie waren ihm einen Schritt voraus. Er würde in Dunedin nicht sicher sein. Was ihm jedoch am meisten ängstigte war der Gedanke, dass weitere Kinder in die Finger dieser Nekromanten gelangten. Er schauderte. Er würde nicht zulassen, dass noch mehr sein Schicksal teilen müssten. An die Stelle der Furcht trat ein eiserner Wille. Er würde sie retten! Langsam schlief er ein.

    Taon brauchte einen Moment, um sich wieder zu beruhigen.
    "So etwas wird nicht wieder vorkommen, nie wieder!", sagte er. "Ich kenne diesen Mann schon sehr lang und ich kann dir versichern, dass er es nicht anders verdient hat. Er wäre in Nekromant, ein Totenbeschwörer. Als ich noch ein Kind war, wurde ich aus meinem Heimatdorf entführt. Man hat mich gedemütigt, gefoltert und schließlich gebrochen. Er war es, der mir Schmerzen zufügte. Solch grausame Schmerzen, die du dir nicht fortstellen kannst."
    Er machte eine kurze Pause. Eine Träne lief im dir rechte Wange herab. Es schmerzte ihn, über seine Vergangenheit zu reden, doch war er froh, endlich mit jemandem Sprechen zu können. Er vertraute Marlin aus einem Grund, den er nicht erfassen konnte.
    "Es gelang mir zu fliehen und seit dem bin ich auf der Flucht. Doch sie haben mich gefunden und nun stehe ich hier vor dir. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich werde dir nichts tun."
    Erst jetzt Spürte er den Schmerz auf seinem rechten Oberarm. Eine schmale, aber lange Wunde hatte sich auf ihm gebildet. Blut lief an seinem Arm herab und tropfte auf den Boden.
    "Ich werde jetzt weitergehen. Du kannst mich gern begleiten, doch ich werde dich nicht aufhalten, wenn du gehen solltest."
    Taon richtete sich auf und trat an die Leiche heran. Seine Hoffnung auf ein paar silberne Münzen wurde enttäuscht. Stattdessen fand er eine Schriftrolle. Schnell, ohne das Marlin es merkte, ließ er sie unter seinem Gewand verschwinden. Vielleicht könnte der Inhalt ihm noch nützlich sein.

    Hass. Nur noch Hass konnte Taon für den Mann auf dem Boden empfinden. Er war es, der ihn gezwungen hat, die dunklen Künste zu erlernen. Er war der Stellvertreter des obersten Nekromanten. Nun lag er da mit einem hämischen Grinsen. Doch das würde Taon ihm austreiben.
    Er blickte kurz Marlin an, ohne die diese Situation vermutlich mit seiner Leiche geendet hätte. Er wollte nicht, dass sie es sieht, doch es musste endgültig beenden werden.
    Er atmete schwer aus, konzentrierte sich und richtete seine rechte Hand auf den Mann. Sofort spürte er einen beißenden Schmerz auf seinem rechten Oberarm doch er ignorierte ihn. Sein Verstand wurde nur noch von seinem Hass geleitet. Ein lauter Schmerzensschrei durchbrach die Stille. Der Nekromant wand sich unter gewaltigen Schmerzen, sein Gesicht zu einer hasserfüllten Fratze verzehrt. Blut lief ihm an seinen Mundwinkeln herab. Immer lauter schrie er, doch Taon zeigte kein Erbarmen. Mit einem lauten Knacken brach er ihm den rechten, dann den linken Arm. Es war eine grausamen Szenerie und Taon war wie im Rausch.
    Als aus dem Mund des Nekromanten nur noch ein wimmern und röcheln kam, erkannte Taon was er getan hatte. Er beendete den Zauber. Er konnte Marlin nicht ansehen, wollte das Entsetzen in ihren Augen nicht wahrhaben. Langsam und am ganzen Körper zitternd ging er zu dem Schwerverletzten, zückte seinen Dolch und sah ihm tief in die Augen.
    "Es tut mir leid.", flüsterte Taon, mehr zu sich selbst. Dann versenkte er den Dolch mitten im Herzen des Sterbenden.

    Die frühe Morgensonne schien Taon in das Gesicht, als er erwachte. Viel ist in der letzten Nacht passiert. Schließlich hatte er eine Mitreisende gefunden und vielleicht wird er sich nicht mehr so allein, wie in den letzten Wochen, fühlte. Obwohl er nicht viel geschlafen hatte, fühlte er sich ausgeruht und bereit das letzte Stück nach Dunedin zu beschreiten. Sein Herz tanzte vor Freude.
    Marlin schien nicht minder aufgeregt zu sein. Sie sprudelte förmlich vor Motivation, auch wenn sie es nicht sagte.
    "Bist du bereit?" Fragte Taon.
    Marlin nickte.
    Schnell rollte Taon seine Schlafmatte ein, befestigte sie an seinem Rücksack und befestigte den Dolch an seinem einfachen Ledergürtel. Taon schritt voran und Marlin folgte ihm. Gemeinsam folgten sie der Straße und sahen nach kurzer Zeit einen Wegweiser, der ihnen versicherte, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatten.
    Gerade als die Straße nach rechts abbog, blieb Taon wie von einem Blitz getroffen stehen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Vor ihnen stand ein Mann, vielleicht dreißig Winter alt, mit einer langen krummen Nase und kantigen Gesichtszügen. Seine dunklen Augen funkelten. Taon kannte ihn.
    Wie ist das möglich? Wie konnten sich mich finden?
    Schon hatte der Mann eine schwarzschimmernde Klinge gezückt.
    "Endlich. Wir mussten lang nach dir suchen.", sagte er mit kalter Stimme. "Hab keine Angst. Ich werde dich schnell vernichten. Wenn du mir nicht im Leben dienen willst, dann vielleicht im Tod!"

    Taon musterte sie eine Weile. Konnte er ihr vertrauen? Er kannte sie doch gar nicht. Allerdings wirkte sie etwas ungeschickt im Umgang mit Menschen und sie allein in die Stadt gehen zu lassen schien ihm als unverantwortlich.
    "Ja, ich bin auf dem Weg nach Dunedin. Du kannst mich gern begleiten.", sagte Taon.
    Ich glaube nicht, dass sie mir die Wahrheit über sich erzählt hat, doch sollte ich sie nicht mehr danach fragen.
    Er selbst würde ihr auch nicht sagen, dass er ein Nekromantie ist. Schließlich reagieren nicht alle wohlgesinnten auf die Totenbeschwörer. Einige hasten sie sogar inständig.
    "Wir sollten abwarten, bis die Sonne aufgegangen ist. Dann können wir uns auf den Weg machen. Wir brauchen denke ich nicht mehr allzu lang.", sagte Taon. "Wir sollten die Zeit nutzen und noch etwas schlafen."
    Sein Herz tanzte vor Freude. Erst jetzt wurde ihm wieder bewusst, dass er bald wieder unter Menschen war. Zugegeben, etwas Gesellschaft kann auch nicht schaden. Dennoch nahm er sich vor, Marlin im Auge zu behalten. Zwar ging er nicht mehr davon aus, dass sie ihm nach dem Leben trachtete, doch hielt er es nicht für unwahrscheinlich, dass sie etwas unbedachtes anstellte.
    "Eine Bedingung gibt es aber.", forderte Taon. "Versuch dich möglichst unauffällig zu verhalten. Ich will nicht, dass gleich jeder Bürger weiß, dass wir in die Stadt kommen."
    Noch immer fürchtete er, dass die Nekromanten ihn suchen würden. Nun musste er nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben von Malin wahren und im Nofall verteidigen. Die Frage war nur: würde sie das auch?

    Interessante Wortwahl.
    "Ich glaube, diese Straße führt nach Dunedin, wenn ich richtig informiert bin. Dort wohnen sehr viele Menschen.", sagte Taon. "Auch Lebensmittel kannst du dort bekommen. Allerdings solltest du sie vielleicht beim nächsten Mal nicht stehlen, sonst hast du die Stadtwache am Hals."
    Aus irgendeinem Grund faszinierte Marlin ihn. Ihre Haltung, ihre ganze Art war anders. Zwar sah sie aus wie ein Mensch, doch schien sie entweder lang von Menschen isoliert gewesen zu sein oder sie war keiner. Sie schien ebensowenig auf einen Kampf zu bestehen, wie er selbst. Er entspannte seine Muskeln, behielt sie jedoch genau im Blick.
    "Was bist du.", fragte Taon nach kurzer Pause. Die Frage war zwar sehr direkt, doch wollte ihr auf alles gefasst sein. Er mochte keine Überraschungen und wollte lieber die, die mit ihm an einem Lagerfeuer saßen, genau kennen.

    Entgegen seinen Erwartungen war das Mädchen namens Marlin offensichtlich nicht ängstlich. Dennoch wollte sie Dinge in Erfahrung bringen, die sie nichts angingen.
    "Du hast mir also mein Pöckelfleisch, das Letzte das ich hatte, gestohlen?", fragte Taon. Dabei überging er das Knurren, das er hörte. Es war kein menschlicher Laut und er schien aus ihrem tiefsten Innern zu kommen. Dennoch wollte er keinen Kampf, nicht jetzt. Auch wenn Marlin vermutlich keine Bedrohung für ihn darstellte. Dennoch war sie nicht unsicher.
    "Ich heiße Taon und ich schätze es nicht, wenn jemand mich bestiehlt." Er steckte seinen Dolch weg. "Was macht eine Dieben allein hier draußen, wo doch keine Menschnseele, abgesehen von mir, hier draußen wandelt?" Auf die Frage schien sie keine Antwort geben zu wollen.
    Das scheint ja noch spaßig zu werden!
    "Ich verzeihe dir deinen Diebstahl. Du siehst aus, als hättest du schon lang nichts mehr gegessen. Leider habe ich nun nichts mehr, dass ich mit dir teilen könnte."
    Etwas angespannt setzte sich Taon wieder auf seine Schlafmate. Dennoch war er bereit, im Notfall einen Zauber zu sprechen.

    Taon riss seine Augen auf. Es war ein schrecklicher Traum. Er war wieder in seinem Verließ und mit einer Metallstange brach man ihm die Finger seiner rechten Hand. Doch es war nich real. Er war noch immer auf der Lichtung und auch das wärmende Feuer brannte noch immer. Die Sonne würde erst in ein paar Stunden aufgehen. Plötzlich merkte Taon, dass er nicht mehr allein war. In Dem Bruchteil einer Sekunde sprang er von seiner Schlafmatte auf und umklammerte seinen Dolch. Sein Puls ging schnell und seine Nerven waren zum Bersten gespannt.
    Erst da merkte er, dass es ein Mädchen, etwas jünger als er selbst war. Langsam ließ er den Dolch sinken und starrte sie unentwegt an. Sie wirkte vorsichtig. Für einen Moment verlor er sich in ihren wunderschönen grünen Augen. Dann sagte er:
    „Wer bist du? Bist du mir gefolgt?“

    Taon glaubte für einen Moment etwas in den Augen des Fuchses gesehen zu haben. nur ein Fuchs. Nichts weiter., dachte Taon, als der Fuchs die Straße verließ. Er setzte seinen Marsch fort und folgte der Straße. Als die Sonne ihren Abstieg begann entschied er sich, die letzte Nacht in freier Wildbahn ein kleines Stück abseits der Straße, auf einer kleinen Lichtung, zu verbringen. Er rollte die Schlafmatte, die an seinem Rucksack befestigt war, aus und setzte sich. Als er seine verbleibenden Vorräte betrachtete, stellte er mit Freude fest, dass noch etwas Pöcklefleisch übrig war. Genüsslich machte er sich über eines der Stücke her. Anschließend legte er sich auf die Schlafmatte und starte in den Himmel. Es war so friedlich hier.
    Langsam brach die Nacht herein und der Mond ging auf. Taon sammelte schnell ein wenig trockenes Holz und entzündete ein wärmendes Feuer. Mein einem Stock stocherte er darin herum und eine Funken folgen dem Himmel entgegen.
    Das ist meine letzte Nacht hier draußen.

    Taon folgte einem schmalen Trampelpfad, der sich schlangengleich durch den Wald wand. Bald hat er das Ziel seiner Reise erreicht. Wie sehr er sich schon auf ein gutes Gasthaus, warme Speisen und ein weiches Bett freute. Die letzten Tage hatte er draußen verbracht und war durch den schier endlosen Wald geirrt, bis er ein Schild mit der Aufschrift Dunedin erreichte. Kurzerhand hatte er beschlossen, dort sein Glück zu versuchen. In weniger als zwei Tagen sollte er dem Wegweiser zufolge vor dem Stadttor stehen.
    Zwar hatte er nicht viel Geld bei sich, doch sollte er in der lange sein, ein paar der Kaufleute von ihren goldenen Münzen zu befreien. Allerdings waren seine Fähigkeiten im Taschendiebstahl mehr als furchtbar, doch sollte ihm seine Magie in dieser Situation zu Seite stehen. Dennoch war Taon kein Dieb. Er tat es nur, wenn die Situation ihm keine andere Möglichkeit bot; er nahm nie mehr als nötig.
    Seine Füße schmerzten ihm bereits von dem langen Marsch und er legte eine kleine Pause an einem nahgelegenem Bach ein. Er streifte seine ledernden Stiefel ab und tauchte seine Zehen in das kühle Nass. Ein Stöhnen der Erleichterung entrann seinen Lippen. Die Mittagssonne schien ihm in das Gesicht und er blickte zu den kleinen weißen Wolken am Himmel empor. Es war ein schöner Tag.
    Ich werde sie finden, dachte er. Ich werde endlich meine Eltern finden.
    Neue Kraft schöpfend erhob er sich, schlüpfte wieder in seine Stiefel und folgte weiter dem Pfad. Nach kurzer Zeit erreichte er eine breite, menschenleere Straße. Nur ein einsamer Fuchs schien ihr zu folgen. Taon blickte ihm direkte in die Augen.