Auf Messers Schneide - 3
Lokeschs Klinge tanzte vor
Argons Augen. Der Bastard war nicht so schlecht, wie sein dicker
Bauch hatte hoffen lassen. Die haarige Plauze hob und senkte sich bei
jedem Atemzug. Die Schultern hatte der Dörfler leicht nach vorne
geschoben, die Arme kampfbereit erhoben. Auch seine Beine waren nun
leicht gebeugt. Lokesch lernte schnell und imitierte Argon. Wenn er
ihn nicht bald besiegte,...
Lokesch stach plötzlich
zu. Das hatte Argon nicht kommen sehen. Die Schultern waren noch
nicht dazu bereit gewesen. Trotzdem war Lokesch schnell. Zu schnell,
um den angreifenden Arm wegzuschlagen, zu schnell, um noch
auszuweichen. Wie ein dumpfer heftiger Schlag traf es Argon auf die
Brust. Aus dem Augenwinkel sah er, dass nur die Spitze des Messers in
ihm steckte und nicht die ganze Klinge. Reflexartig schlug Argon
zurück. Für Schmerz war keine Zeit. Lokesch war sehr weit nach vorn
gebeugt, vielleicht weit genug.
Der erste Hieb traf seine
freie Hand. Der zweite den Waffenarm, kurz unterhalb des Ellenbogens,
noch während Lokesch sein Messer zurückzog, um erneut zuzustechen.
Der Getroffene stieß einen Schrei aus und fasste nach der Stelle.
Sein Messer fiel zu Boden. Mit schreckgeweiteten Augen sah er Argon
an. Ohne zu zögern, hieb Argon Lokesch das Messer in die linke
Schulter, setzte mit seinem ganzen Körper nach und beide gingen zu
Boden. Argon schaffte es, über seinem sich windenden Gegner zu
bleiben, die Klinge an den Hals seines Feindes zu legen.
Argon atmete schwer.
Lokesch schnaufte und wimmerte abwechselnd unter ihm. In den dunklen
Augen wohnte die Todesangst. Argon musste lächeln. Plötzlich fühlte
er sich mächtig und unbesiegbar. So oder so, er hatte triumphiert.
Wenn der Wicht unter ihm sich jetzt noch wehrte, dann würde er ihm
den Hals durchschneiden.
„Ich... ich.... Du hast
gewonnen“, stammelte Lokesch mit erstickter Stimme. Noch einen
weiteren Augenblick hielt Argon die Spannung in seinem Körper, die
Klinge am Hals seines Gegners. Mit kalten Augen blickte er Lokesch
an, lauernd wie ein Raubtier kurz bevor es seine Beute erlegte.
„Du hast gewonnen!“,
wiederholte Lokesch, nun nachdrücklicher, aber auch eine Spur
panischer. Argon lächelte ihn so böse an, wie er konnte, drückte
die Klinge etwas fester gegen den Hals. Dann ließ er locker und
erhob sich ächzend.
Während Lokesch am Boden
liegenblieb und erleichtert aufheulte, begann der Schmerz seinen
Triumphzug durch Argons Körper. Der linke Arm brannte wie Feuer. Mit
jedem Pulsschlag pochte es von der Handwurzel bis zum Ellenbogen. Der
Treffer an seiner Brust war noch schlimmer. Langsam und dumpf
breitete er sich über seine ganze linke Seite aus, presste gegen die
Rippen und drückte ihm die Luft aus den Lungen. Gequält beugte sich
Argon nach vorne, rang um Atem. Alles verblasste unter dem Schmerz.
Alle Kraft schien aus seinem Körper zu fliehen. Seine Sinne, eben
noch so scharf wie sein Messer, drohten ihm zu schwinden. Das Blut
rauschte in seinen Ohren, übertönte das aufgeregte Reden der Menge.
Der Schmerz verschleierte ihm die Sicht. Wie ein alter Bekannter
grinste er Argon zu, schloss ihn in seine Arme und drückte zu. Die
Umarmung eines Riesen...
Mit einem innerlichen
Aufbäumen zwang sich Argon dazu, nur ein Knie auf den Boden zu
setzen, den Kopf aufzurichten und langsam zu atmen. Der Schmerz war
ein alter Bekannter. Kein angenehmer, aber einer, der wieder ging,
wenn man ihn annahm. Solange Schmerz da war, war er noch am Leben.
Und wer noch am Leben war, konnte kämpfen.
Blinzelnd und verbissen
sah er in die Menge der Dorfbewohner. Der Atem pfiff zwischen seinen
Lippen hindurch. Mit jedem Zug etwas kontrollierter, bestimmter und
auch kräftiger.
Nach und nach klärte sich
sein Blick wieder und er erkannte Einzelheiten. Die jungen Männer in
der vorderen Reihe, die zur Not die Frauen und Kinder beschützt
hätten. Die neugierigen Kinder, die zwischen ihnen versuchten, so
viel wie möglich vom Kampf zu sehen. Und dahinter die älteren
Dorfbewohner, Männer und Frauen, mit den Kleinsten. Ihre Gesichter
sprachen viel Widersprüchliches, zumeist aber waren es
schreckgeweitete Augen, die es nicht gewohnt waren, Kämpfe zu sehen.
Doch gerade die jungen Männer blickten auch unzufrieden, sahen ihn
ablehnend, ja gar hasserfüllt an. Ihre Lippen bewegten sich, doch er
verstand kein Wort. Noch immer rauschte es in seinen Ohren. Argon war
klar, dass viele der Dorfbewohner eher auf Lokeschs Seite standen. Er
selbst war hier der Fremde und damit eine Bedrohung für sie. Für
sie wäre es besser gewesen, wenn nicht Lokesch sondern Argon sieglos
im Staub liegen würde. Doch Argon war schon immer ein Kämpfer
gewesen und er hatte auch seinen Stolz. Er würde nicht klein
beigeben, nur weil es den Dörflern so nicht passte.
Bereit sich nötigenfalls
einer Schar junger Männer erwehren zu müssen, erhob sich Argon. Er
achtete darauf, keine Schwäche mehr zu zeigen, egal wie sehr sein
Körper noch schmerzte. Zumindest einer der Männer schien drauf und
dran zu sein, ihn direkt anzugreifen. Wild gestikulierend und laut
schimpfend kam er auf Argon zu.
Der Priester trat neben
ihn, stieß seinen Stab zweimal auf den Boden und brachte mit einer
herrischen Geste seiner linken Hand die Menge zum Verstummen. Der
mögliche Angreifer machte noch einen Schritt, blieb dann stehen und
ließ etwas ratlos die Arme sinken. Argon nutzte den Moment, um sich
schnell umzusehen. Zwei Frauen und ein älterer Mann kümmerten sich
um Lokesch. Eine Handvoll Kinder hatten sich von den Händen ihrer
Eltern oder Geschwister losgerissen und wuselte über den Kampfplatz.
Die Männer, die aus der Menge heraus und auf den Platz getreten
waren, schätzte Argon als nicht für ihn gefährlich ein. Sie würden
sich zweifellos wehren, falls er sie angriff, aber sonst würden sie
sich aus allem heraushalten. Das hoffe er zumindest. Damit war es
vielleicht nur der eine. Mit einem weiteren Blick versuchte er
herauszufinden, ob der Mann bewaffnet war. Er war etwas kleiner als
Argon, trug ein langes Arbeitsgewand, in dessen Falten sich alles
mögliche verstecken konnte. Am Ledergürtel, der die Taille
umschlang, hing ein Beutel, vielleicht für Geld, vielleicht für
Wetzstein und Zunder. Zumindest trug er keine offensichtlichen
Waffen.
Nachdem das letzte
Gemurmel erstorben war, warteten alle nun gespannt darauf, was weiter
geschehen würde. Mit lauter Stimme verkündete der Priester.
„Damit ist es
entschieden. Lokesch Yamuna ist unterlegen und wird Saira Yamuna
nicht mit in sein Haus nehmen dürfen. Stattdessen wird dem
siegreichen Argon Kanja die Vormundschaft über das Mädchen
übertragen.“
Argon hörte die Worte des
Priesters zwar, aber er realisierte nicht ganz, was sie bedeuteten. Er war noch damit beschäftigt, seinen Gegner einzuschätzen,
vielleicht eine Schwäche festzustellen. Trotzdem blickte er nochmal
in die Runde, suchte die junge Frau. Saira hatte erfreut die Hände
vor's Gesicht geschlagen und ihre Augen leuchteten vor Erleichterung.
So glücklich wie sie in dem Moment aussah, konnte er nicht anders,
als sich mit ihr zu freuen. Er lächelte sie an.
Der Priester indes fuhr
ohne Pause fort: „Die Ältesten haben beschlossen, dass der Fremde
keinen Platz im Dorf haben kann und er es daher bis zum
Sonnenuntergang verlassen haben muss. Saira steht es frei, ihm zu
folgen oder hier zu bleiben.“ Er drehte sich langsam um, blickte
die Menge entlang, suchte Saira. Als er sie fand, hielt er inne,
fixierte sie mit einem strengem Blick, bevor er in die atemlose
Stille langsam und sehr deutlich weitersprach.
„Wenn du hier bleibst,
so übergebe ich dich der Vormundschaft deines nächsten männlichen
Verwandten, Lokesch Yamuna, so wie es Sitte ist, bis er für
dich einen angemessenen Ehemann gefunden hat. Wie lautet deine Wahl,
Kind?“