„Alle Künste vereint durch das Prinzip der Schönheit“ war die Idee des Franzosen Charles Batteux, der 1746 den Begriff der „Schönen Künste“ (Les Beaux-Arts) prägte. Das Konzept findet sich jedoch schon in Platons Dialog Phaidros: Hier fahren die menschlichen Seelen in einem Pferdegespann über den Himmel, im Lichte des Wahren und Idealen. Durch die Widerspenstigkeit der Pferde stürzt der Wagen vom Himmel, wodurch die Flügel der menschlichen Seelen brechen, sodass sie zum Verbleib auf der Erde verdammt sind. Einzig durch die Erfahrung des Schönen und der Liebe, durch den Eros, beginnen die Flügel der Menschen wieder zu wachsen. Es ist die Schönheit, die trotz aller Unvollkommenheiten in der Welt dem Menschen die Erreichbarkeit des Wahren zeigt.
Diese Aufgabe kommt also den „Schönen Künsten“ zu: Sie sollen die menschliche Seele wieder in ihren himmlischen Ursprung erheben. Um solche Werke zu schaffen, muss der Künstler „können“ und „kennen“. Und der Betrachter muss einen Sinn dafür entwickelt haben, er muss „erkennen können“, was allerdings einer Erziehung bedarf. Unzählige Studien belegen die positive Wirkung von Kunst- und insbesondere Musikerziehung: so konnte nachgewiesen werden, dass Barockmusik die Rechtschreibung verbessert, dass klassische Musik generell Intelligenz fördert und Gewalt minimiert. Nicht umsonst werden heute Bahnhöfe und andere Orte mit größeren Menschenansammlungen mit klassischer Musik bespielt. Friedrich Schiller legte 1795 in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ dar, wie die Schönheit den sinnlichen Menschen vernünftig macht und ihn so ohne Zwang zu einem moralischen Handeln führt. Wenn er schreibt, dass „durch Schönheit im angespannten Menschen die Harmonie und im abgespannten Menschen die Energie“ wiederherstellbar sind, klingt das wie ein Werbeslogan aus einem modernen Wellnesstempel. Wissenschaftlich bezeichnet man dies heute als „Mozart-Effekt“.
Doch genau diese ästhetische Erziehung fehlt heute weitgehend. Sie ist längst einer einseitigen rational-fachlich-technischen Ausbildung gewichen. Diese pragmatische Ausbildung zu einem roboterartig funktionierenden Spezialisten richtet den Blick der Menschen rein auf das Funktionelle und Materielle und bindet ihn somit an die Erde, anstatt seinen Blick zu heben und ins Geistige zu weiten. Vor mehr als 200 Jahren schon erkannte Schiller (im 6. Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“), dass Arbeitsteilung und Spezialisierung den Menschen von seiner in ihm angelegten Harmonie entfremden. Für ihn hat der Theoretiker „ein kaltes Herz“, weil er das Ganze zergliedert und damit seiner emotionalen Wirkung beraubt, und der Geschäftsmann „ein enges Herz“, weil er über seinen Horizont nicht hinausschauen und das Ganze nicht sehen kann.
Ein erstes Plädoyer lautet daher: es gilt Schönheit und ästhetische Erziehung zu fördern.
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Das zweite Plädoyer lautet [...], [sich] von einem passiven Betrachter von Kunst in einen aktiven Kunst-Erfahrenden zu verwandeln. Ein Kunstwerk als Symbol zu reflektieren, sich als Mitspieler vom Ernst des Lebens zu befreien, ohne die Ernsthaftigkeit zu verlieren, ein Kunstwerk wie ein Fest zu begehen, lassen uns die rein rationale, praktisch-nützliche Sicht auf das Leben überschreiten und Wahrheit und Ganzheit über den intuitiven Weg erahnen. Es ist ein Hören-Können mit dem inneren Ohr, ein Sehen-Können mit dem inneren Auge.
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Das dritte Plädoyer richtet sich demnach an alle: dass wir wieder mehr musizieren, gemeinsam singen, dass wir uns kreativ betätigen, Poesie lesen und schreiben, dass wir wieder mehr tanzen, spielen, malen, basteln, gestalten, dass wir es unseren Kindern ermöglichen und mit unseren Kindern tun, und dass wir es in den Kindergärten und Schulen einfordern oder bewusst Schulformen wählen, die dies unseren Kindern ermöglichen.