Beiträge von Cory Thain im Thema „[Ultra-Shortie] sans title“

    Eine kleine Geschichte, als Einstand, sozersägen... etwas älter und Teil einer größeren Sammlung (die noch geschrieben werden muss)

    Spoiler anzeigen


    (sans title) fantasy short story

    Er hatte SIE gefunden. In einer Welt, die so völlig anders als die seine war, sah er SIE in einem Raum stehen, dessen Wände aus dem klarsten Kristall waren, das er je gesehen hatte. Er wußte, dieses Kristall hieß Glas und war hier alltäglich. Trotzdem beeindruckte es ihn immer noch. Er glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um SIE berühren zu können.
    Er wußte, die kristallene Wand hatte eine Tür und er betrat den Raum. SIE hob den Kopf und lächelte ihn an: "Was kann ich für Sie tun?" 'Sag die Worte' forderte er in Gedanken, SIE lächelte jedoch und schwieg.
    "Ich hab dich gesucht!" sagte er sanft. SIE legte den Kopf schief. Er sah Verwunderung in IHREN Augen und er fühlte sie auch in IHRER Seele. Er trat auf SIE zu und streckte den Arm aus. SIE sah seiner Hand ruhig entgegen. Und er erinnerte sich, daß SIE ihm niemals Argwohn oder gar Angst entgegengebracht hatte, selbst nicht in Welten, wo bereits eine Berührung durch einen Anderen Schmerzen oder vielleicht den Tod brachten.
    Er berührte IHRE Stirn, strich sanft darüber, seufzte. Er konnte nicht eine Spur der GABE in IHR entdecken. Er ließ seine Hand zu IHRER linken Schläfe gleiten und preßte seine Fingerspitzen sanft auf IHREN Schlafpunkt. SIE sank in sich zusammen und er fragte sich wohl zum tausendsten Male, ob es nur Zufall war, daß SIE immer in seine Arme sank. Er wußte, daß SIE ihm diese Frage nie beantworten würde. Seufzend strich er IHR Haar nach hinten und begann, IHR Gehirn neu zu konfigurieren.

    SIE schlief. Er saß neben IHR auf dem Boden und bewachte SIE. Es war eine geringe Mühe, diesen Kristall-Wand-Raum vor den anderen Menschen abzuschirmen. Keiner der Vorübereilenden sah diesen Raum.
    SIE schlief. Langsam begann er sich Sorgen zu machen: SO lange hatte die Erholungsphase noch nie gedauert. Doch als er forschend IHRE Stirn berührte, fühlte er, daß alles in Ordnung war. Offenbar holte SIE nur Schlaf nach, den SIE in den vergangenen Tagen versäumt hatte. Und so wartete er geduldig, bis SIE die Augen öffnete und sich leise schnurrend streckte. Er liebte IHRE Art aufzuwachen.
    SIE setzte sich auf und sah sich um: "Was ist passiert?" fragte SIE "Du hast geschlafen" sagte er leise. SIE kniff die Augen zusammen: "Sie haben etwas... mit mir gemacht!" Er konnte den Vorwurf wie einen Faustschlag spüren. "Zu deinem Schutz..." begann er, doch SIE schnitt ihm das Wort ab: "Verschwinden Sie!" Auch diese Worte trafen mit einem Faustschlag.
    Vorsichtig streckte er seine Gedankententakel nach IHREM Bewußtsein aus. 'Sag die Worte' forderte er. 'Nein!' fauchte IHR Geist. 'Sag die Worte!' wiederholte er. Er konnte die Worte in IHR bereits fühlen, doch er mußte sie hören, um zu wissen, daß IHR Körper auch IHREM Geist gehorchte. Einmal nur hatte er es nicht von IHR gefordert. Er hatte SIE verloren. SIE war in seinen Armen qualvoll gestorben. Nie wieder würde das passieren, und wenn er die Worte aus IHR herausprügeln mußte. "Sag die Worte!" diesmal sprach er seine Forderung aus. Sie wurde rot: "Nein!" Und voller Erstaunen fühlte er, daß IHR die Worte peinlich waren. 'Warum?' fragten seine Gedanken. 'Wir sind hier nicht in einem Conan-Film!' antworteten die IHREN.
    'Sag die Worte!' SIE mußte spüren, daß er nicht mehr forderte, sondern bat. SIE schluckte und flüsterte fast unhörbar die rituellen Worte der Königsweihe:
    Mein Herz und meine Hand
    weihe ich dem silbernen Schwert
    Den Herzschlag der Sonne
    und den Atem des Mondes
    wähle ich zu meinen Gefährten.
    Zum Ruhme der Göttin
    und des Lichts!

    SIE verstummte und er sah Tränen auf IHREN Wangen. 'Was habe ich getan?' hallten IHRE Gedanken in seinem Kopf. "Du bist du selbst geworden" flüsterte er und wandte sich zum Gehen. "Warte!" sagte SIE "Was soll ich jetzt tun?" "Schmiede das silberne Schwert!" antwortete er und öffnete die Kristalltür.
    Für Sekunden wehte der fremde Wind einer anderen Welt in den Raum. Er trat hinaus und begann seine Suche. Er suchte nach IHR, um IHR die GABE zu bringen und die Worte von IHR zu hören.


    Er hatte SIE gefunden...
    [/quote]