Niemand ging los und Jeder kam an
von Aztiluth
Vor nicht all zu langer Zeit, an einem weit entfernten Ort, lebte ein Königspaar.
Der Königin rabenschwarzes Haar zerbarst an ihren Schulter, wie Wellen an einer elfenbein farbenen Küste. Ihre Augen hingegen glitzerten tiefblau wie die junge Nacht. Des Königs Haar war kohlenschwarz und glatt wie poliertes Silber. Seine Augen funkelten wie ein blauer Opal. Ihr erstes Kind sollte ein Junge sein. Das Haar so schwarz wie die Pupillen eines Drachen, so glatt wie Glas und doch so wild wie das Meer. Des Prinzen Augen strahlten ebenfalls wie ein Opal, durch welchen sich jedoch das Mondlicht brach.
Ein Junge solcher Schönheit ward im ganzen Reich nie zuvor gesehen und würde es wohl auch nie wieder. Selbst seine sieben Geschwister, alle edel, rein und schön, erblassten wenn er den Raum betrat. Doch so anmutig und wundersam der Prinz auch schien, so hässlich pochte seine Seele, so verdorben und kalt.
Der Prinz schubste seine Brüder, zog an den Kleidern seiner Schwestern. Er warf die Knochen für die Hunde hinfort, in den Fluss und die Katzen hinterher. Er beleidigte die Diener und verspottete die Bürger.
Der König und die Königin sprachen mit ihm. Warum war er so böse? Der Prinz entschuldigte sich. Er bereue seine Tat und wolle sich ändern.
Dann schubste der Prinz seine Brüder von Treppen, zerriss die Kleider seiner Schwestern. Er prügelte die Hunde und trat nach den Katzen. Er übte Rufmord bei den Dienern und demütigte die Bürger.
Der König und die Königin sprachen mit Ihm. Warum war er so böse? Der Prinz entschuldigte sich, er bereue seine Tat und versprach sich zu ändern.
Dann schubste der Prinz seine Brüder von den hohen Terrassen, entblößte seine Schwestern vor gierigen Männern. Er vergiftete das Futter der Hunde und verbrannte Katzen bei lebendigem Leibe. Er trieb Diener in den Selbstmord und ließ Bürger grundlos hängen.
Der König und die Königin sprachen mit Ihm. Warum war er so böse? Der Prinz entschuldigte sich, er bereue seine Tat und schwor, bei den Göttern, sich zu ändern.
Aber das Königspaar glaubte ihm nicht mehr und verbannte ihn. Hinfort solle er gehen, zu fernen Ländern. So geschah es, dass der junge Prinz kein Prinz mehr war, sondern ein Wanderer. Er gelangte an eine große Kreuzung. Links ging es zum roten Berg, Reich des Dämons. Rechts ging es zur roten Wüste, Reich des Scheichs.
So machte er sich auf den Weg nach links, zum roten Berg, gab sich den Namen "Niemand" und kam sich schlau dabei vor.
Als Niemand trat er Tiere. Niemand stahl Essen und Niemand zündete Hütten an. Niemand ergötzte sich an den Schreien der Menschen. Er genoss die verwirrten Gesichter, wenn er den Namen nannte und lachte, wenn die Dörfler den Wachen erklärten, dass Niemand die Pferde freigelassen hatte, oder das Niemand den Fuchs zu den Hühnern warf.
Niemand wanderte weiter bis zum roten Berg. Dort lebte der Feuerdämon, von welchem man sagte, dass er Kinder fraß. Aber wenn Niemand es wagte, gab es keinen Grund zur Sorge. Es war ja dann Niemand da! So dachte der Junge und kletterte hinauf.
Oben war ein Schloss, schwarz wie seine Haare. Es war heiß wie Feuer und düster wie seine Seele.
Niemand ging durch das große Tor hinein. Oben, am anderen Ende, der mit Knochen und rotem Teppich verzierten Treppe, stand der Dämon. Seine Haut wie glühende Kohle, seine Krallen lang und große Hörner ragten aus dem Schopf. Dieser war schwarz wie das Haar seiner Eltern, wie das seiner Geschwister und sein Eigenes. Doch die Augen schienen fremd, waren sie rot wie Blut, leuchteten wie heiße Glut hinter teuren Rubinen. Der Dämon war groß, stark und anmutig. Seine Stimme tiefer als jeder Abgrund.
- Kind. Wer bist du, dass du dich traust, herzukommen? Weißt du denn nicht, was ich mit Kindern mache?
- Dämon. Hier ist Niemand! Geht beruhigt hinfort, Niemand will vorbei.
Daraufhin lachte der Dämon belustigt.
- Du bist Niemand. Niemand will vorbei und ich muss mich nicht sorgen, weil ja Niemand da ist. Dann muss Niemand darum bangen, dass mir Niemand so gut schmecken wird. Niemand wird meinen Magen füllen, wie gut, dass Niemand da ist! So muss Niemand voller Leid schreien, während sich Niemand langsam und qualvoll in meiner Magensäure zersetzt!
Der Junge bekam Angst und rannte so schnell er konnte hinaus, den Berg hinunter, bis zum Dorf und weiter, immer weiter, bis zur großen Kreuzung.
Nun aber machte er sich auf den Weg nach rechts, zur roten Wüste, gab sich den Namen "Jeder" und kam sich schlau dabei vor.
Als Jeder trat er Tiere. Jeder stahl Essen und Jeder zündete Hütten an. Jeder ergötzte sich an den Schreien der Menschen. Er genoss die verwirrten Gesichter, wenn er seinen Namen nannte und lachte, wenn die Dörfler den Wachen erklärten, dass Jeder die Kühe aufscheuchte, oder dass Jeder die Felder zerstörte.
Jeder wanderte weiter, bis hin zur roten Wüste. Dort lebte der große Scheich, von welchem man sagte, dass er Kinder, bis zu ihrem Tode, arbeiten ließ. Aber wenn Jeder es wagte, gab es keinen Grund zur Sorge. Der Scheich konnte ja nicht Jeden fangen! So dachte der Junge und durchquerte die Wüste.
In der Ferne war ein Palast, blau wie seine Augen. Es war heiß wie Feuer und strahlend wie sein Ego. Jeder ging durch den großen Bogen hinein. Weiter, am anderen Ende des, mit grünen und weißen Blumen, reich bepflanzten Gartens, stand der Scheich. Seine Haut gebräunt, seine Hände gepflegt, seine Tracht edel und luftig. Des Scheichs Haar war so lang wie die seidenen Strähnen einer Jungfer und so golden wie die Sonne. Die Augen waren weder blau noch rot, sondern so grün wie die frischen Blätter eines Baumes im Frühling. Der Scheich war wunderschön. Viel Schöner als alles, was Jeder je gesehen hatte. Seine Stimme erklang hypnotisierend und melodisch.
- Kind. Wer bist du, dass du dich traust, herzukommen? Weißt du denn nicht, was ich mit Kindern mache?
- Scheich. Hier ist... Ich bin...
Doch der Junge hatte es vergessen, so überwältigt war er vom strahlenden Scheich.
Und so kam es, dass der Junge arbeiten musste. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Doch auch wenn er seinen Namen vergessen hatte, war er immernoch der Junge, mit der schwarzen Seele.
Er stahl den anderen Kindern ihr Essen. Trat sie, wie einst die Geschwister, damit sie fielen und langsamer wurden. Auch verpetzte er die, die sich ausruhten.
Nach nur einem Jahr gehorchten ihm alle Kinder. Zu groß war ihre Angst, als dass sie etwas sagen würden. Er wusste nun endlich wer er war und arbeitete nicht mehr, sondern zwang die Anderen ihn zusätzlich zu bedienen.
Dem Scheich entging nicht, was geschah und so rief er den Jungen wieder zu sich.
- Kind. Vor einem Jahr wusstest du nicht einmal wer du bist. Jetzt lässt du dich von meinen Sklaven bedienen, als ob es deine wären. Wer denkst du, dass du bist, dass du dir solche Dreistigkeit anmaßt?
- Scheich. Ich denke nicht, ich weiß. Ich bin ein Meister, ein Herrscher. Und ich befehlige nicht nur eure Sklaven, sondern auch euch! Ich befehle mir feine Speisen zu bringen, den besten Wein eures Reiches und weiche Kissen, damit ich mich im Schatten auf ihnen ausruhen kann. Ich bin nicht Niemand und ich bin nicht Jeder. Ich bin der Eine, euer Herr und euer Besitzer. Ihr dürft mich Gebieter nennen!
Der Scheich musste lachen. So eine Ansprache hatte er noch nie gehört. Aber seit Jahren war er alleine in der Wüste gewesen. Seit seiner Geburt wurde er bedient und gefürchtet. Nie hatte es ein Mensch oder Tier gewagt ihm zu widersprechen. Nichtmal in Träumen gab es ein Wesen, dass sich anmaßte ihm Befehle zu geben! Der Scheich war, zum ersten mal seit Jahrzehnten, belustigt. Deswegen ließ er den Gebieter gewähren und gab ihm die Speisen, den Wein und die Kissen.
Der Gebieter lebte seither so, wie er es wollte. Er durfte jeden töten, verbrennen, auspeitschen, foltern und quälen. Er ließ Frauen verhungern, Männer Kinder essen und Tiere aufspießen. Mit seinem Alter wuchs auch die Grausamkeit. Bis er kein Kind mehr war.
Nach vielen, vielen Jahren verstand er, warum der Scheich ihn hatte gewähren lassen. Der Gebieter hatte alles was er wollte und nichts konnte sich ihm in den Weg stellen. Kein Mensch wunderte sich über seine Grausamkeit oder versuchte ihm zu widersprechen. Es wurde langweilig, eintönig. Er sah keine Befriedigung mehr darin, tun und lassen zu können, was er wollte. Nur seine Eltern hatten ihm Moral und Anstand beibringen wollen. Nur sie gaben ihm Liebe und lehrten ihm Güte. Was er als Kind belächelt hatte, vermisste er nun. Und jeden Morgen wurde seine Sehnsucht größer. Er wollte kein Gebieter mehr sein, sondern ein Prinz, ein Sohn und ein Bruder. Kein Sklaventreiber, sondern ein König mit einem freien Volk. Dass töten und foltern erfüllte ihn nicht mehr. Vielleicht ja die Familie?
Und so verabschiedete er sich vom Scheich und ritt zurück, vorbei an dem Dorf, an der großen Kreuzung und immer weiter, bis er zurück Zuhause war.
Das Königspaar eilte hinunter und seine Geschwister stellten sich dazu. Die Diener und Bürger lauschten, als der König den grausamen Prinzen fragte, warum er wieder da war.
Und der Junge fiel auf die Knie und flehte um Entschuldigung. Er wollte etwas Besonderes sein und von allen gefürchtet. Aber nun hatte er verstanden, dass man darin kein Glück finden konnte. Er wollte zurück und ein guter Sohn sein. Seine Brüder stärken und seine Schwestern beschützen. Hunde und Katzen achten und Diener und Bürger respektieren. Er hatte sich endlich verändert.
Und seine Eltern weinten vor Freude und eilten zu ihrem Sohn, den Prinzen. Sie drückten ihn und vergaben seine Sünden. Auch die Brüder und die Schwestern freuten sich und vergaben alles, was es zu vergeben gab.
So wurde aus dem grausamen Prinzen, ein gerechter König. Nur manchmal, wenn die Gegebenheiten es erlaubten, reiste er zu seinem Scheich zurück, um wieder der Gebieter über die rote Wüste zu sein.