Jetzt wenden wir uns mal einer Gruppe der Seelenräuber (neben den Fleisch- und den Bluträubern) unter den Aufgehobenen zu, den Mahren, die sich von den Ängsten und Qualen der Menschen nähren, denen sie Alpträume bringen. Viel Spaß!
Rache
Er hatte ihm alles genommen. Doch nun war der Tag der Abrechnung nahe.
Ganha ging die nächtliche Straße hinab, vorbei an den hohen, schiefen Häuserblöcken, in denen nicht zugeordnete Menschen lebten. Nicht mehr weit und er würde den Treffpunkt erreichen. Und dort die Leute einer Zelle der Jünger der wahren Götter treffen. Eine Sekte der Götter, die nun als tot galten und, noch wichtiger, eine Gruppe Rebellen, die den Aufgehobenen übel zusetzte. Sie würden ihm helfen, Rache zu nehmen. Rache am Mahr Karok, der seine Familie getötet hatte und nur ihn am Leben gelassen hatte, um sich im Gedanken an sein Leid zu suhlen. Dabei war es für Mahre nicht nötig, zu töten, um sich zu nähren! Aber das Leid anderer, das mit dem Tod einherging, würzte ihr Mahl. Angst und Schrecken war ihre Nahrung und sie brachten beides mit Alpträumen, so furchtbar, dass ihrer Beute das Herz stehen bleiben konnte.
Er lächelte bei dem Gedanken an seine baldige Rache. Karok arbeitete für die Augen der Finsternis und jagte die Jünger der wahren Götter. Ironisch, dass diese schließlich entscheidend dazu beitragen würden ihn zur Strecke zu bringen!
Er kam an, am Brunnen neben einem verkrüppelten, kleinen Baum, der sich zwischen den eng beieinander stehenden Häusern nach dem Licht wand.
Er wurde erwartet.
Eine Frau mit Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte.
„Etwas spät!“, meinte sie.
„Es tut mir leid, ich musste ein paar Wachhunden der Aufgehobenen ausweichen. Die Opportunisten sind aufmerksam dieser Tage“, flüsterte er.
Sie nickte. „Du wirst einen Anschlag auf eine Söldnereinheit ausführen. Die Bestien, wie sie sich nennen, haben gerade einige Leute eingesammelt. Sie zwingen sie zu Kämpfen gegeneinander, um die Überlebenden in den Dienst zu pressen. Scheinbar haben sie einige ihrer… Jagdhunde ermordet, weil einer davon sie gebissen hat“
Er nickte. „Was soll ich genau tun?“
„Du wirst in das Labor von Turen gehen. Er ist ein Gestaltwandler, aber mach dir darum keine Gedanken. Er weiß nichts über uns und die anderen Aufgehobenen sind ihm egal. Er ist ein Alchemist und bedient sich der Magie. Und dieses Geschenk der falschen Götter wird ironischerweise dein Werkzeug sein. Du kaufst einen Ignator, das Geld gebe ich dir. Er wird keine Fragen stellen“
„Gut“, sagte Ganha, „Und dann?“
„Ich gebe dir einen der Halsringe der Bestien mit. Den haben wir einem Opportunisten abgenommen dem ein… Unfall passiert ist. Damit kommst du in ihr Hauptquartier“
„Werwölfe haben einen sehr feinen Geruchsinn. Werden sie nicht merken, dass sie meinen nicht kennen?“, fragte er.
„Nein, sie haben, wie erwähnt, einige neue Rekruten und werden sich nicht über neue Gerüche wundern. Und wir haben einen Mann dort, der dich führt und dafür sorgt, dass du nicht auffällst. Wenn du drin bist, sage, du müssest du Szatl persönlich. Ein Wendigo und Anführer der Söldnerbande. Sage, du hättest einen Brief, den du ihm nur persönlich überreichen sollst vom Haus Nar. Niemand stellt viele Fragen, wenn einmal der Name dieses Hauses Gefallen ist“
Er nickte zustimmend. Dieses Haus, diese Meuchlerorganisation, war gefürchtet wie kein anderes. Seine Asambosams standen im Ruf, jeden finden und erreichen zu können. Und zu töten, wer immer den Nars Ärger bereitete oder das Pech hatte, dass jemand so viel für seinen Tod zu zahlen bereit war, dass es das Schutzgeld, dass er zahlen konnte, überwog.
„Und wenn ich bei ihm bin?“, fragte er.
„Dann aktiviert du den Ignator. Der Alchemist wird ihn dir erklären. Ein Inferno wird alles im Raum auslöschen und auch das Gebäude schließlich niederbrennen. Feuer ist der einzig vernünftige Weg, einen Wendigo zu verletzen. Szatl wird sofort tot sein. Du auch, mach dir also keine Sorgen wegen der Rache der Söldner. Du bist doch bereit zu sterben, oder?“
„Voll und ganz“, versicherte er.
„Gut, und du hast niemanden, um den wir uns kümmern müssen? Den wir beschützen müssen?“, fragte die Frau.
„Nein, die Aufgehobenenschweine haben mir alle genommen, die mir wichtig waren. Mein Leben ist nichts mehr wert, da soll es wenigstens mein Tod sein!“, antwortete er feierlich.
„Hier ist der Halsring!“, sagte sie, „Nur gut, dass du kein Gebrannter bist, sonst würde das auffallen. Und nur wenige Ringträger sind bereit, uns zu helfen. Sie hoffen lieber auf eine Aufhebung“
Sie zog einen Ring mit dem Zeichen der gekreuzten Äxte unter ihrem Umhang hervor und legte ihn Ganha um den Hals.
„Beuge dich so, dass der Ring auf dem Brunnenrand liegt!“, befahl sie.
Er gehorchte. Sie holte einen Hammer hervor und schlug mehrere Male kräftig auf den Bolzen ein, der den Halsring geschlossen halten würde, sodass sich sein Ende verdickte. Nun konnte der Ring nicht mehr abgenommen werden.
„Die wahren Götter seinen mit dir!“, sagte sie, „Wenn du den Wendigo getötet hast, wird sich die Söldnerbande um den Platz des Anführer selbst zerfleischen und damit auch alle schwächen, die sie anwerben wollten. Dein Opfer wird für uns von großem Wert sein!“
Er nickte und machte sich auf.
Schon recht früh am morgen trat er in das genannte Labor ein. Er legte den Beutel mit den Münzen auf den Verkaufstisch, den er von seiner Kontaktfrau erhalten hatte. 25 Häupter, eine stolze Summe!
Der Alchemist trat zu ihm, seine Züge sahen aus, als seinen sie geschmolzen und wieder erstarrt. Er könnte jede Gestalt annehmen, aber war wohl stolz auf das, was er war. Wollte, dass jeder es sah.
„Einen Ignator, bitte!“, orderte Ganha leise.
„Oh, da wollen wir etwas zündeln, was?“, fragte der Alchemist und lachte, „Sag nichts, es geht mich nichts an!“
Er strich über seine fleckige Lederschürze und verlies den Raum um kurz darauf mit einer kopfgroßen Tonkugel wiederzukommen.
„Du wirst einen Rucksack dafür brauchen, soll ja nicht jeder sehen“, meinte er.
Ganha nahm seinen Rucksack ab, er war groß genug und leer.
„Gut, gut. Diese Kugel ist mit einer geheimen Mischung gefüllt, Schwefel, Erdpech und Alkohol sind die Zutaten, die ich verrate. Einmal aktiviert wird sich ihr Inhalt schlagartig erhitzen. Sehr stark. Der Inhalt dehnt sich aus, kocht, verdampft und –puff- lässt die Kugel platzen. Allein wird alles in der näheren Umgebung töten. Aber der Inhalt vermischt sich so auch mit der Luft und fängt Feuer. Dadurch knallt es nicht nur noch mehr, alles wird in Brand gesteckt“, erklärte der Gestaltwandler.
„Und wie Aktiviere ich es?“, fragte Ganha.
„Aus praktischen Gründen… Kannst du lesen?“, fragte der Alchemist.
„Ja“
„Dann schreibe ich dir das Aktivierungswort einfach hier auf ein Stück Birkenrinde. Aus naheliegenden Gründen will ich es lieber nicht direkt neben dem Ignator aussprechen“, er kicherte.
Ganha nahm die Notiz entgegen. Brenne, Mistkerl stand darauf. Wie einfallsreich!
Er schob die Goldmünzen über den Tisch, der Gestaltwandler zählte kurz nach und nickte dann.
„Viel Spaß damit“, verabschiedete er sich.
„Werde ich haben!“, sagte Ganha und verließ das Labor.
Eine Komponente fehlte noch, ehe der Plan in seine letzte Phase gehen konnte, an dem er so lange getüftelt und an dessen Ausführung er so lange gearbeitet hatte. Durch die Gassen suchte er seinen Weg zum Hauptquartier der Bestien.
Der Boden war knöcheltief mit Kot und Abfall bedeckt. Streunende Hunde und Katzen suchten nach Essbaren und fanden es hin und wieder in Form von Leichen, die herumlagen. Vermutlich hatten Vampire und Asambosams gestern Nachtschwärmern aufgelauert, aber auch Werwölfe ließen oft etwas übrig. Die Stadt brachte mehr Leichen hervor, als die Ghule fressen konnten und nicht alle hatten noch Angehörige, die dafür Sorge trugen, dass das geschah. Dem Glauben an die lebenden Götter zufolge war das ein arges Problem für die Seelen auf dem Weg ins Jenseits.
Ihn kümmerte es nicht. Sein Leichnam würde auch ganz sicher nie Hunden und Katzen als Fraß dienen!
Er erreichte das Gebäude, ein festungsartiger Bau. Nur Schießscharten ließen Licht und Luft nach Innen und eine Tür aus dicken Eichenbohlen war der einzige Zugang.
Er klopfte an und ein Sichtschlitz wurde aufgezogen.
„Wer bist du? Ich kenne dich nicht…“, sagte der Türwächter, ein gebrannter Mensch.
„Ich bin neu. Ich habe einen Brief für Anführer Szatl persönlich. Vom Hause Nar“
„Ich sorge dafür, dass er ihn bekommt!“, sagte der Türwächter.
Da ertönte von innen eine Stimme: „Warte, Mann! Du willst nicht unnötig von etwas von den Nars in Berührung kommen! Könnte mit Kontaktgift behandelt sein! Der Anführer wird wissen, was zu tun ist“
Der Türwächter schluckte sichtlich. Der Riegel wurde zurückgezogen und die Tür öffnete sich.
Der Türwächter machte Platz und ein anderer Mann begrüßte ihn: „Sei gegrüßt! Ich nehme an, es ist die ganz besondere Lieferung für den geschätzten Anführer?“
Ganha sah ihm ins Gesicht. Lange und genau.
„Nein. Es ist nichts Besonderes. Übergib ihm das!“, er reichte dem etwas irritiert wirkendem Menschen einen Brief mit Siegel, drehte sich um und ging wieder.
„Und du erkennst sie wieder?“, fragte der Inspektor und Mahr Karok. Er war eine kleine Gestalt mit nachtschwarzer Haut und stechend gelben Augen. Er machte keinen Hehl aus dem, was er war. Zumindest im Moment.
„Ja, ich habe die Jüngerin vor unserem ersten Treffen lange observiert. Zudem habe ich den, der die Rebellen mit Ignatoren versorgt und einen Verräter in den Reihen der Kampfhunde der Bestien“, sagte Ganha lächelnd.
„Wenn das stimmt, Mensch, hast du unsere Abmachung so gut wie erfüllt. Ich gebe dir zwei Werwölfe und einen Wendigo mit, mit dem du die Sektierer verhaften kannst. Die Bestien wissen Bescheid?“
„Ja, ich habe ihrem Anführer einen Brief überbringen lassen, in dem steht, wie knapp er einem Anschlag entgangen ist. Er wird brennend interessiert sein, welcher seiner Hunde ihn verraten würde. Trotz des Exempels, dass seine Leute erst statuiert haben. Mit diesen dreien im Gewahrsam und etwas… Überzeugungskunst können die Augen der Finsternis sicher die ganze Zelle und deren Kollaborateure erwischen und dafür werden einige Organisationen sicher gut bezahlen“
Karok nickte.
„Ganha?“, fragte sie mit müden, blutunterlaufenen Augen. Sie war von der Folter gezeichnet.
„Nicht länger. Ich bin jetzt Chorza!“, sagte er, „Gestern wurde ich zum Mahr aufgehoben. Ihr wart der Preis.“
„Du Schwein! Du hast uns benutzt! Wie kannst du uns das antun?“
„Es ist ja nicht so, also wolltet ihr mich nicht benutzen, nicht wahr? In den Tod sollte der arme, gebrochene Mann für euch gehen“
Er sah sich in der kleinen, fensterlosen Zelle um. Sein Kopf berührte fast die Decke, aus dem lange nicht mehr gelehrten Eimer in der Ecke stank es erbärmlich und unweit davon erblickte er im Schein seiner Fackel ein Stück schimmliges Brot und einen Holzbecher mit abgestandenem Wasser.
„Du hast dich freiwillig gemeldet!“, fauchte sie.
„Wohl wahr. Aber seht ihr, ihr seid mir schlicht egal“
Sie wollte sich auf ihn werfen, aber eine Kette hielt sie an der Wand.
„Diese Aufgehobenen haben dir alles genommen! Wie konntest du dich gegen die wenden, die gegen sie kämpfen?“, fragte sie.
„Nicht die Aufgehobenen allgemein haben mir alles genommen. Karok hat mir alles genommen. Und jetzt bin ich ein Mahr wie er, von ihm eigenhändig aufgehoben. Der Folterer, mein Gott, zeigte mir meinen Weg zur Rache. Jetzt gehöre ich zu den Augen der Finsternis und bin Karok bald an Kräften ebenbürtig. Und dann wird er unter Qualen dafür büßen, was er meinen Lieben angetan hat“, er flüsterte mit einem bösen Lächeln.
„Ich hätte es sehen müssen, dass du bist wie sie. Gleichgültig, Rachsüchtig, Grausam. Ein wahrer Mustermahr!“, spuckte sie aus.
„In der Tat. Und als solcher habe ich natürlich besondere kulinarische Vorlieben“, sagte er und hob seine Hand.
Ehe sie reagieren konnte, pustete er ihr eine Priese eines Pulvers ins Gesicht. Sogleich wirkte sie benommen. Der Schlafpuder ließ sie sich nicht länger auf den Beinen halten, sie sackte zusammen.
„Schlaf gut und träum süß!“, sagte er, „Ich komme gleich noch einmal nach dir sehen!“