Rezzan
Schützend schlinge ich meine Arme noch fester um das zitternde Mädchen, das sich an meine Brust schmiegt, und starre den Verbrecher grimmig an.
„Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas geschieht.“ Eigentlich aber sage ich diese Worte mehr zu unserem Angreifer als zu Lady Shannon, um ihm klar zu machen, dass ich, egal, wer kommen mag, ihn töten werde, um sie zu beschützen.
Mein Vater gibt ein Zeichen- und einer unserer besten Männer, der Hauptmann der Wache, tritt nach vorne, um das Urteil zu vollstrecken.
„Die Prophezeiung wird sich erfüllen.“ Mit diesen letzten Worten und einem dumpfen Aufschlag tritt der Verbrecher aus diesem Leben. Beschwichtigend ziehe ich das zierliche Mädchen von meiner Brust weg und zwinge sie, mich anzusehen.
"Er ist tot. Mach dir keine Sorgen.“ Zärtlich streichle ich ihr über die Wange, um sie zu beruhigen.
„Du hast gesehen, was mit denen passiert, die unseren Lieben wehtun.“
„Welche Prophezeiung?“, unterbricht uns mein Vater.
„Morgen, Vater. Besprechen wir das morgen. Ich denke, ich bringe Lady Shannon jetzt besser in ihre Gemächer. Das war heute etwas viel für sie.“ Ich bedenke meinen Vater mit einem eindringlichen Blick und hoffe, dass er gut tut, es bis morgen ruhen zu lassen.
„Ja, ich denke, das ist das Beste.“ Erleichtert reiche ich Lady Shannon meinen gesunden rechten Arm und führe sie außer Sichtweite des Königs, bevor ich wage, meinen Arm um ihre Schultern zu legen und mich etwas bei ihr abzustützen.
„Soll ich bei euch bleiben?“, biete ich ihr meinen Schutz an.
„Ihr solltet euch ausruhen, Mylord. Ihr habt schon genug für mich getan heute. Das kann ich nicht von euch verlangen.“ Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie die Tür zu ihren Gemächern hinter sich abschließt. Ihr müdes Gesicht prägt sich in meine Gedanken.
Mit einem gefälligen Grinsen auf dem Gesicht wende ich mich ab und werde schon von zwei schelmisch dreinschauenden Wachen erwartet.
„Jetzt schaut nicht so. Sie ist großartig. Bewacht sie gut.“
Ich kann das Grinsen nicht abschalten, bis ich in meinen Gemächern angelangt bin. Dort allerdings vergeht es mir recht schnell- denn der König sitzt auf meinem Bett und wartet auf mich.
„Vater.“ Ich deute eine Verbeugung an und geselle mich dann zu ihm.
„Wer ist sie? Und wovon hat dieser Verbrecher gesprochen, als er eine Prophezeiung erwähnte?“
„Oh, Vater. Das besprechen wir morgen. Lass deine Geschäfte doch einmal ruhen, wenigstens einen Abend, und sei der Vater, den ich schon lange nicht mehr hatte. Sie wird auch morgen noch hier sein. Dann kannst du sie auch noch ausfragen.“, vertröste ich ihn.
Ehrlich, sie ist sehr erschöpft. Ich dachte schon, ich müsste sie tragen. Ich habe noch nie ein so müdes Wesen gesehen.“
„Du weißt, dass es bald Zeit ist für dich und deinen Bruder, eine Zukünftige auszuwählen. Das ist noch eine Sache, die mich sehr beschäftigt, da du keinerlei Interesse an Frauen zu zeigen scheinst. Dein Bruder hingegen ist nie allein- sein Interesse an Frauen aber beschränkt sich nur auf ihre Körper und die Dienste, die sie ihm erweisen können. Rezzan, ich möchte etwas an dich herantragen. Vielleicht mag es dich überraschen oder gar schockieren, aber ich sehe deinen Bruder nicht auf dem Thron- dein Bruder würde mein ganzes Vermögen für das Vergnügen opfern. Wenn ich irgendwann einmal diese Welt verlasse- Leyla und Ragnar mögen mir ein langes Leben schenken, und dir auch, mein Sohn- sollst du meinen Platz einnehmen. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich einen Ball geben werde. Bald. Ich erwarte von euch, von dir und deinem Bruder, dass ihr euch dort eine Braut aussucht. Der ganze Adel des Landes wird da sein. Dass du mir ja nicht ohne eine Braut von diesem Ball verschwindest.“
Etwas geschockt bleibe ich auf meinem großen Bett zurück, das mir auf einmal so leer erscheint, nachdem die Tür hinter meinem Vater ins Schloss gefallen ist.
Lange denke ich darüber nach, was er da gesagt hat- was das bedeutet. Er erwartet von mir, mir eine Frau zu nehmen, irgendeine, und ihr alles zu schenken, was ich zu geben habe- mein Herz, meine Küsse, meine Männlichkeit, meine bedingungslose Liebe. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr weiß ich, dass sie nicht bedingungslos sein kann, wenn mein Herz nicht für sie schlägt. Eine Weile bleibe ich stumm sitzen und denke auch nicht nach, ich versuche nur auf mein Herz zu hören und herauszufinden, was es will. Und immer wieder erscheint Shannons Gesicht vor meinem inneren Auge. Aber die Rede, die mein Vater mir gehalten hat, macht irgendwie jegliche meiner Hoffnung zunichte.
Verzweifelt reibe ich mir über die müden Augen und die Schläfen, um mich weiterhin konzentrieren zu können. Vater wird mich umbringen. Ich kann das nicht. Er kann nicht von mir verlangen, dass ich irgendeiner Frau das Wichtigste schenke, was ich habe. Immerhin bedeutet eine Hochzeit hier ewige Treue und Liebe. Und wie soll, wie kann ich Jemandem treu sein, den ich nicht liebe.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. „Rezzan?“
„Shannon“, krächze ich erschöpft und springe auf, gerade als sie die Tür aufschiebt und den Raum betritt. Freudig umarme ich sie kurz und lade sie dann ein, sich neben mich aufs Bett zu setzen.
„Was treibt euch zu später Stunde noch hierher?“, erkundige ich mich und unterdrücke schwach ein Gähnen.
„Habt ihr geweint?“ Ihre kleinen Hände wischen vorsichtig über mein geschwollenes Gesicht. Jetzt erst spüre ich, dass mein Gesicht tränennass und mein Hemd durchtränkt ist.
„Ja, das habe ich wohl. Mein Vater… war hier. Aber ich will euch damit nicht belasten. Also, wieso seid ihr zu mir gekommen?“, hake ich nach.
„Ich hatte Angst. Es war so dunkel und ich war allein. Und ich habe sein grausiges Gesicht vor mir gesehen, die ganze Zeit.“, gesteht sie und spielt nervös an ihren Fingernägeln herum.
„Ihr könnt heute Nacht hierbleiben. Mein Bett ist groß genug, dass ihr nicht an mich stoßt, wenn ihr schlaft. Ihr könnt die linke Seite haben.“
„Danke.“
Ich spüre, wie sie ihren zierlichen Arm zögerlich um meinen Bauch schlingt und wie sie ihren Kopf an meinen Rücken schmiegt, an die Stelle zwischen meinen Schulterblättern.
Und plötzlich fühlt sich mein Bett nicht mehr leer an.