Als ich auf der obersten Ebene der Tiefgaragen ankomme bin ich zuerst erstaunt, wie wenig Fahrzeuge hier stehen. Die Meisten sind kleine Lieferwägen oder Kombis. Dann erinnere ich mich: Das Gebäude bekommt erst im neuen Jahr feste Bewohner. Instinktiv nehme ich die Route, die mich vermutlich ungesehen an den meisten Überwachungskameras vorbeiführt. Obwohl ich ein geladener Gast bin und nichts Böses im Sinn habe, also nichts Böses, was die Security mir hier übel nehmen sollte, erscheint es mir ratsam, unentdeckt zu bleiben, und ich vertraue Instinkten, die oft nur das Resultat von Erkenntnissen sind, die das Unterbewusstsein gesammelt hat.
Ich begegne keiner Seele, weder lebend noch verstorben, also nehme ich eines der vielen Mini-Treppenhäuser und gehe noch eine Etage tiefer. Dort stehen gar keine Fahrzeuge und auch die Lichtanlagen scheinen noch nicht in Betrieb, nur eine Notbeleuchtung beleuchtet die Hauptfahrwege und die Fluchtrouten zu Fuß. Schon will ich einfach in die nächste Etage hinabsteigen, als ich ein leises Geräusch vernehme, das ich nicht einordnen kann. Natürlich ist auch eine leere Garage von dieser Größe niemals völlig leise, zumindest nicht für mich, wenn Beast meine Sinne schärft. Irgendwo rauscht eine Belüftung, irgendwo summen Transformatoren, sogar das Knistern elektrischer Spannung liegt in der Luft. Und dann hat es noch Kleintiere. Machen wir uns nichts vor. Wo Menschen bauen und wohnen, da folgt ihnen das Nage-Getier auf den Fuß. Jemand mit meinen Sinnen würde verrückt werden, wenn er all das immer aktiv wahrnehmen und verfolgen würde. Es ist ähnlich, wie ein einzelnes Gespräch in einem Raum voller sich unterhaltender Menschen zu verfolgen.
So schnell ich es lautlos kann, und verdammt ich bin schnell, wenn es darauf ankommt, husche ich in die Richtung des Geräusches. Als ich ankomme, bin ich für einen Moment so verblüfft, dass ich stehenbleibe und starre. Man sagt ja, irgendwann hätte man alles gesehen. Nunja, das hier ist für mich jedenfalls eine Premiere.
Zwei schwankende Sicherheitsmänner stehen neben einer der Zahlreichen Säulen, die das Stockwerk halten, starren dort hoch und greifen beinahe komisch hilflos mit ihren Händen in die Luft.
Oben, unter der Decke zwischen den Streben und Rohren der Feuerlöschanlage hängt tatsächlich der Weihnachtsmann. Gut, es ist wahrscheinlich irgendein Weihnachtsmann, nicht genau das Original, trotzdem sieht man so etwas nicht alle Tage, nicht einmal an Weihnachten.
Als er mich sieht, löst sich beinahe seine Umklammerung und sofort werden die Security-Leute munterer. Doch anstatt etwas zu sprechen, oder gar ihre auf der Schulter angebrachten Walkie-Talkies zu benutzen,kommt nur eine Mischung zwischen Keuchen, Stöhnen und knurren aus ihren Mündern.
Nun bin ich doch sehr froh, meine Dolche dabei zu haben. Regel Eins meines Lieblings-TV-Serien-Helden: Gehe nie ohne Messer aus dem Haus. Ich nehme sogar zwei mit. Doppelt ist immer besser als einfach, bestimmt auch so eine Regel, sollte es auf jeden Fall sein.
Mein Nicken zu dem Weihnachtsmann soll beruhigend wirken, aber eine Gestalt die lautlos aus dem Dunkeln kommt, Frack und Mantel trägt, zugeben einen sehr hellen Hauttyp besitzt und zwei große Krummdolche zückt, ist vermutlich auf den ersten, zweiten oder auch dritten Blick kein Grund sich zu beruhigen. Meine Augen, die wahrscheinlich gerade wie kleine LED-Leuchten aufglühen, berauben mich dann auch noch des letzten Bisschen Vertrauenswürdigkeit. Aber wenigstens schreckt der Aufschrei des Weihnachtsmann die beiden Jungs unter ihm nicht auf und der Typ klammert sich noch fester an die Streben der Decke. Guter Mann!
Ich husche zum ersten Sicherheitsmann.
Wankt, schlägt sinnlos mit seinen Händen zu und ist keiner echten Sprache mehr fähig. Nun wittere ich es auch, was mir die verdammte Klimaanlage bisher unmöglich gemacht hat. Die beiden Jungs riechen nach Tod, frischem Tod, keine zwei Stunden alt, würde ich meinen.
Schwankt wie ein Zombie, riecht wie ein Zombie – wenngleich ein ganz neuer – redet wie ein Zombie und handelt auch so. Ich schließe also messerscharf: Zwei Zombies. Hier, mitten in Manhattan. An Weihnachten. Und dort oben hängt zitternd der Weihnachtsmann. Ich kann nicht anders, ich muss lächeln. Jetzt fehlt nur noch Last Christmas, dann würde ich wirklich an den Weihnachtsmann glauben.
Beide Messer in Halshöhe erhoben kreisele ich einmal und die beiden Klingen trennen den Kopf sauber von den Schultern des Untoten, nach wie vor eine der besten Methoden einen Zombie unschädlich zu machen. Natürlich werde ich von einigen Blutspritzern erwischt. Bei so frischen Zombies ist es einfach nicht genug geronnen, um keine Schweinerei anzurichten. Aber ein paar farbige Kleckse tun meiner Schwarzweiß-Aufmachung sicher gut.
Der andere Zombie dreht sich in meine Richtung, ist aber viel zu langsam. Beinahe bin ich enttäuscht, dass er mir keinen wirklichen Kampf liefert, aber nur fast. Zwei Zombies, zu Weihnachten, nur für mich! Ich werde jetzt nicht anfangen über Geschenke zu meckern, wie so ein verwöhntes Kind.
Als er nach mir schlägt, gehe ich in die Hocke und kreisle mit ausgestrecktem Bein. Seine Beine werden weggefegt, ich setze sofort nach und nagle seinen einen Arm mit dem Knie am Boden fest, den anderen mit dem Dolch. Zombies mögen nicht die furchtbarsten Gegner sein, sie sind langsam, dumm und nicht viel stärker als das Lebewesen, das sie vor der Umwandlung waren, aber ihre Krallen und Bisse verbreiten im Blut ihres Opfers ein ziemlich tückisches Gift.
Mein zweiter Dolch bohrt sich genau über der Nasenwurzel bis zum Boden in den Kopf des Untoten. Nun sehe ich natürlich vollends aus, als käme ich direkt vom Praktikum im Schlachthaus. Nachdem ich mich durch Tritte versichert habe, dass die Untoten nun ununtot sind, ziehe ich sie etwas zur Seite.
Mein Blick fällt auf den immer noch zitternden Weihnachtsmann. Für einen so beleibten Kerl, ist der erstaunlich sportlich. Immerhin muss er es irgendwie geschafft haben, aus dem Stand drei Meter an die Decke zu springen.
»Hey, Mister. Du kannst jetzt runterkommen, die beiden sind erledigt, also wirklich endgültig. Der Zauber, der ihre Körper besetzt hat ist nun wirkungslos, frag mich aber nicht warum. Hat irgendetwas mit der Einheit von Körper des Opfers und Geist des Zauberers zu tun, so ganz habe ich das nie kapiert.«
Klar, normalerweise rede ich nicht so viel, aber das hier ist der Weihnachtsmann und es ist Weihnachten. Also kann ich immerhin versuchen den armen Kerl zu beruhigen und wenn ich dazu das bisschen Wissen ausspucken muss, dass mir die Magier in meiner Bekanntschaft seit Jahren versuchen näherzubringen, dann mache ich das eben.
Beiläufig schüttelte ich meine Klingen ab und reinige sie an der Uniform eines Wachmanns, bevor ich sie ebenso beiläufig in ihren Scheiden verschwinden lasse.
»Jetzt komm schon runter, ich bringe Dich nach oben in Sicherheit.«
Er mustert mich, besonders mein Gesicht und entspannt sich etwas. Verblüfft lege ich den Kopf zur Seite und kneife fragend ein Auge zu. Woher dieser Sinneswandel? Ich meine, ich versuche ja ihn zu beruhigen, aber ich weiß auch, wie schlecht ich in sowas bin.
»Deine Augen. Sie sind jetzt blau?« Ich bin von der relativ jungen Stimme überrascht. Ok, der künstliche Bart und die Perücke, sind eine wirklich brauchbare Verkleidung. Als der Mann sich geschmeidig - ja genau, geschmeidig- herabfallen lässt und sich geübt mit allen Vieren auffängt, wird mir klar, dass auch der dicke Bauch Staffage ist.
»Äh, ja. Wenn ich, sagen wir mal, aus dem Kampfmodus komme, normalisiert sich die Farbe wieder.«
Als er vor mir steht, rieche ich zwar seine Nervosität, aber er scheißt sich vor mir nicht mehr in die Hose. Obwohl ich ja genau darauf hinarbeite, bin ich auch misstrauisch.
»Du hast Deinen Schrecken ja schnell überwunden, Weihnachtsmann.« Ich grinse halb.
»Das liegt daran, dass ich Dich nicht sofort erkannt habe. Mein Arsch ging mir aber auch gerade echt auf Grundeis.«
»Du kennst mich?« Nun bin ich vollends platt. Ich hatte keine Ahnung, dass ich in der Weihnachtsmanngemeinde Fans hatte?
»Du bist Agent Alabastra. Wir haben uns einmal getroffen, als Du in einem Waisenhaus einen Dämonen erledigt hast.« Er streift sich die Perücke und den Bart ab.
Zum Vorschein kommt ein Mann Mitte oder Ende Zwanzig, dunkelblondes Haar, sympathische braune Augen und ein markantes Grübchen am Kinn.
Ich schüttle nachdenklich den Kopf. »Du warst keines der Kinder, oder?«
Er lächelt. »Nein, ich war dieser junge Polizeianfänger, der mit seinem Partner zuerst am Tatort war. Du hast mich wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Ich habe dafür gesorgt, dass niemand hereinkam, der nicht herein sollte.«
Ich hebe bedauernd die Schultern. Erstaunlich, dabei halte ich mich für jemand, der sich Gesichter merkt. Aber ein Streifenpolizist der einfach nur ein Gebäude absperrt, rutscht sogar durch mein Raster. Ich nehme mir vor das zu ändern. »Sorry, kann mich nicht mehr an Dich erinnern, aber wenigstens musste ich Dich nicht von der Decke zerren. Kannst Du mir sagen, was zur Hölle hier los war?«
Normalerweise frage ich keine Normalen nach Zombies, Werwölfen, etc. Es ist besser die vergessen das schnell wieder. Die überschäumende Phantasie und Hollywoods Halbwahrheiten sorgen ohnehin dafür, dass man eher das hört, was die Leute noch irgendwie zu sehen erwartet haben, und ganz selten, was wirklich vorgefallen war. Aber der Mann erzählt mir gerade ziemlich entspannt von Dämonen. Zombies verhalten sie zu Dämonen in etwa wie ein bissiger Terrier zu einem jagenden Säbelzahntiger. Mit dem Einen kann man fertig werden, der Andere wird in aller Regel mit Dir fertig.
»Ich glaube irgendwer versucht in den okkulten Tresor einzubrechen. Ich war gerade auf Rundgang als ich auf die …«
»Moment. Halt! Du weißt von dem Tresor?« Nun bin ich beinahe etwas sauer. Da glaubt man einmal, man wäre in ein Geheimnis eingeweiht, und dann weiß der erste Weihnachtsmann, den man an der Decke hängend aufgreift, auch schon davon?
»Ja sicher.« Er hebt seine Faust und zeigt mir seinen Ring. Das Symbol darauf ist bei diesem Licht nicht gut zu sehen, aber ich habe schon genug von diesen Ringen gesehen um es trotzdem zu erkennen. Ein aufgeklappter Zirkel, der mit Winkel eine Raute bildet, in deren Mitte ein offenes Auge ruht.