Oriah und Mazul
Der Ork sieht den Dachs. Er schaut zum Menschen und erinnert sich, dass der etwas gerufen hat und das bissige Ding, was er gar nicht genau zu Gesicht bekommen hat, plötzlich verschwunden ist.
Da fallen ihm Geschichten ein. Geschichten, die er beim Winterthing im Rat der Anführer der Stämme gehört hat, die ihm aber lächerlich vorkamen. Von dem Menschen, der immer wieder Leuten hilft, die in der Wildnis in Not geraten. Dem es angeblich egal ist, zu welcher Rasse und ob Tier oder Nichttier der Hilfsbedürftige gehörte. Das klang eher nach einem Rauschpfeifentraum. Als er vom Mann zum Dachs und wieder zurückschaut, ändert er seine Ansicht.
»Du Oriah na Viko!« Es klingt wie Owea navicho, wie er es ausspricht. Sein Akzent ist bellend und schwer. Diese Wüstensprache, die weder eine seiner Muttersprachen ist, noch dass er sie länger als ein paar Monde gelernt hat, fällt weder seiner Kehle noch seinem Mund leicht.
»Du Mann mit Dachs.«
Oriah zuckt eine Schulter. »Ein komischer Name, ich weiß. Nach einem Tier genannt zu werden, von dem ich nicht einmal weiß, ob es mich leiden kann. Oriah genügt aber. Und da Du meinen Namen kennst, sagst Du mir auch Deinen?«
Der Ork zieht erstaunt die Luft ein. Noch nie hat ein Mensch nach seinem Namen gefragt.
»Mazul Mukgrakh.« Dann wird ihm klar, dass der Mensch gar nicht begreifen kann, was sein Zweitname bedeutet, also fügt er hinzu, den Menschen so gut er kann mit dem Schulterzucken imitierend: »Mazul! Einfacher für Menschenmund.«
Beide gehen wieder in Kampfstellung. Keiner hat vergessen, warum er hier steht. Aber jetzt, da sie ihre Namen kennen, ist die Sache persönlich. Jetzt ist es ein Duell, nicht irgendeine Begegnung auf einem Schlachtfeld.
Oriah lässt seine beiden Schwerter hängen, beinahe schleifen die Spitzen auf dem Boden. Er nähert sich seinem Gegner langsam. Ein Schritt vor, einen zur Seite, nach rechts oder nach links, beinahe zufällig, immer nach einem Schwachpunkt in der Beinstellung des Orks suchend.
Der Ork folgt den Schritten des Kriegers. Versucht sie zu spiegeln. Immer wieder lässt er den Zweihandsäbel ansatzweise schwingen, um den Menschen zu zwingen, sich entweder zurückzuziehen, oder seine Schwerter zur Parade zu heben.
Eine halbe Ewigkeit lang, so scheint es, führt keiner einen Hieb aus. Aus einem weiten Kreis wird ein enger Kreis, bis es scheint, dass beide Kämpfer nun losschlagen, nur damit sich beide mit vorsichtigen Schritten wieder trennen, auf dass der Tanz aufs Neue beginnt.
Ohne einen ersichtlichen Anlass ergreift Mazul die Initiative.
Ein gewaltiger Schwung seines Großsäbels zwingt Oriah zurückzuweichen. Der Rückschwung des Zweihänders treibt den Menschen noch einmal zwei weitere Schritte zurück, doch dann sieht er die Lücke.
Beinahe wirkt es, als ob er wegrutscht. Es bewegen sich Oberkörper und Beine in verschiedene Richtungen und für einen Moment liegt der Menschenkrieger fast waagerecht in der Luft. Die beiden Klingen, die bislang gerade noch locker herunterhingen zucken synchron vor und zielen auf Knie und Knöchel des linken Beins seines Gegners.
Überrascht grunzt Mazul, will zurückweichen, doch schon spürt er die beiden Treffer.
Ohne auf den einsetzenden Schmerz zu warten, schlägt er nach dem Menschen, der ohne Parademöglichkeit auf der Seite am Boden vor ihm liegt. Alle Kraft legt der Ork in seinen mächtigen Hieb, denn er weiß, dass er schnell gewinnen muss. Seine schwere Waffe ist nicht für einen langen Kampf gegen so einen erfahrenen Gegner gemacht.
Faru faucht aufgeregt auf seinem Platz, als er das Zweibein umfallen sieht. Er versteht zwar nichts von Krieg und Kampftaktik, aber seine Erfahrung sagt ihm, dass sein Zweibein auf den beiden Hinterbeinen schneller ist, als auf allen Vieren. Warum das so ist, interessiert ihn nicht. Ihm genügt völlig, dass es so ist.
Schon richtet er sich auf, bereit seinem Rudelgefährten zu Hilfe zu eilen. Auch hier fragt er sich keinen Moment, warum er das will, immerhin so gar kein Verhalten, das seiner Art entspricht.
Oriah bleibt jedoch nicht liegen. Er berührt kaum den Boden, als er eine Waffe loslässt und sich über den nun freien Arm auf den Ork zurollt. Die Klinge des Großsäbels schlägt nur Fingerbreit hinter ihm ein und er wird auch schon von den Beinen seines Gegners aufgehalten.
Energisch wirft sich der Mensch noch einmal über die Schulter, zwingt das angeschlagene Bein dazu einzuknicken und sticht mit der verblieben Waffe gegen die Rippen des Orks. Die ungewöhnlich solide Panzerung, nicht das reine raue Leder, mit dem sich die anderen Orks schützten, sondern an wichtigen Stellen mit Bronzeplättchen verstärkt, lenkt den Treffer jedoch ab.
Für einen Moment entsteht ein Knäuel aus Beinen und Armen, es werden Faustschläge und Tritte ausgetauscht, bis schließlich beide Kontrahenten wieder auf ihren Beinen stehen.
Oriah, nun nur noch mit einem Schwert, tänzelt leichtfüßig einen Schritt zurück, während Mazul sich schwer aufrichtet. Sein linkes Bein trägt ihn kaum noch, dennoch versucht er mit einem wilden Schwinger den flinken Menschen noch einmal zu überraschen. Sein Angriff wird beinahe nachlässig durch einen Paradehieb vereitelt. Seines sicheren Stands beraubt, stützt sich der Ork auf seine Großklinge, um nicht wieder zu Boden zu gehen. Eine beinahe hilflose Geste.
Ein frustrierter Wutschrei entfährt ihm.
Der Mensch weicht nochmals einen Schritt zurück und deutet mit seiner Klinge auf sein anderes Schwert, welches keinen halben Schritt neben dem Ork liegt.
»Dir fehlt das Gleichgewicht für deinen Großsäbel. Wenn Du weitermachen willst, nimm mein anderes Schwert. Ich werde nicht angreifen, bis Du es aufgehoben hast.«
Mazul starrt seinen Gegner wortlos an, nicht, weil er eine List vermutet, vielmehr weil er instinktiv spürt, dass der Mensch es ernst meint.
»Warum Du das tust? Mazul Dich tötet sobald Du schwach!«
Oriah grinst halb. Es ist dieses wölfische Grinsen, was fröhlich und gefährlich zugleich wirkt.
»Das ist so eine menschliche Unart. Wir geben einem Gegner, den wir achten, die Möglichkeit sich völlig zum Trottel zu machen oder aufzugeben, wenn ihm etwas am Leben liegt.«
Der Ork grunzt abfällig. »Das dumm. Mazul könnte machen Glückstreffer. Kampf manchmal viel mehr Teil von Glück als Können.«
Oriah nickt zustimmend. »Ganz meine Meinung. Es ist ziemlich dumm, aber wir beide haben wohl Gebräuche, die ziemlich dumm sind! Oder wie kommt es, dass ein echter Krieger sich mit einem Haufen Schläger zusammentut? Das ist ja wohl völlig unter Deiner Würde.«
Mazul atmet flach. Er will dem Menschen nicht zeigen, wie sehr ihn sein Bein schmerzt und vor allem nicht, wie sehr ihn die Worte getroffen haben.
»Was wissen Du über Ork-Brauch?« Er bellt es eher, als dass er fragt, wütend, dass ausgerechnet eine Glatthaut ihn an die Schmach erinnert.
»Nichts. Nur Geschichten, eher Gerüchte.« Der Mensch hebt die Schulter ohne Waffe. Die Andere bleibt angespannt, wachsam. Der Mann rechnet nach wie vor mit der Gefährlichkeit des Orks. »Aber ich erkenne einen wahren Krieger, wenn ich einen sehe.« Seine Augen wenden sich keinen Moment von Mazul ab.
Vielleicht ist es genau das, was Mazul schließlich dazu bringt etwas zu tun, was er noch nie zuvor in seinem Leben getan hat. Er lässt seinen Großsäbel los, humpelt ein paar Schritte bis zu einem halbhohen flachen Stein und lässt sich schwer darauf nieder.
»Oriah na Viko …«, sagt er leise, als wäre es eine Erklärung.
Langsam tritt der Genannte heran, sammelt seine zweite Waffe auf und auch den Zweihänder seines Gegners. Nach einem prüfenden Blick auf den großen Ork, der sein zweifach verletztes Bein untersucht, setzt er sich neben ihn ins Gras und legt die große Waffe direkt neben Mazul ab.
»Ich wette, Du warst einmal die Leibwache eines Orkfürsten. Habt Ihr überhaupt so etwas?«
Der Hüne fletscht die Zähne, aber die Augen blitzen. Er grinst und es wirkt keinen Deut weniger gefährlich, als das Grinsen seines Gegenübers!
»Ich kein ganzer Ork, Fremder. Ich Halbblut. War Beschützer von Halborkstamm Silberwölfe. Wenig Orkstamm ist Freund von Halbblut.«
»Und wie kommt es dann, dass Du mit den Strolchen dort gemeinsame Sache machst?«
Der Mensch schaut vielsagend zum Wäldchen, aus dem gerade der Karawanenwächter heraus stolpert.
»Was bei allen Göttern? Shaundakul, steh mir bei!« Während er den Gott der Winde und Karawanen anruft, humpelt er empört auf die beiden sitzenden Männer zu, seinen Krummsäbel wütend schwenkend.
»Wieso habt Ihr aufgehört! Diese Bestie verdient den Tod!«
Mazul und Oriah tauschen einen kurzen Blick. Sie sind sich einig über die Geringschätzung für diesen Mann.
»Der Kampf ist vorbei, der Sieger steht eindeutig fest. Kein Grund für vernünftige Männer, sich weiter zu verkrüppeln.« Oriah zuckt leichthin mit der Schulter.
»Der und seine Horde haben meine Karawane niedergemacht und meine Freunde entführt!«
Anklagend starrt der Wüstensohn auf den Fremden, an dessen Seite gerade Faru auftaucht und verwirrt schnaubt. Diese inkonsequenten Revierkämpfe der Zweibeiner sind für einen anständigen Dachs einfach nicht nachvollziehbar. Als Ausgleich brummt er das herankommende Zweibein unwirsch an, zumal der einerseits nach Angst riecht, sich andererseits aber aufführt wie der Chef am Platz. Es erscheint ihm, als bettle das Zweibein geradezu darum, einen der dicken Zehen zu verlieren, die leichtsinnigerer Weise aus seinem vorne offenen Pfotenfell heraus schauen.
»Ja, das ist mir bewusst, soviel konnte ich mir bereits zusammenreimen. Und wenn Du uns nicht weiter mit Deinem Geschrei und deinem Säbel auf die Nerven gehst, kann ich ihn ja mal genau dazu befragen.«
Der Wüstenmann schaut den Krieger an, als hätte der seinen Verstand verloren. »Und Du glaubst wirklich, er wird Dir auch nur ein Wort verraten?«
Oriah lächelt erneut. Es ist dieses wölfische Grinsen, was sowohl den Karawanenwächter zurückschrecken lässt und zugleich dem Halbork signalisiert, dass er auf einer befriedigenden Antwort besteht.
Der Halbork nickt einverstanden. »Mazul sagen, was wissen.«
»Du hast es gehört. Setz Dich zu uns, aber leg Deinen Säbel weg.«
Oriah steht auf und holt seine Satteltaschen, die er unweit am Rand des Wäldchen zurückgelassen hat.
»Faru? Nein! Geh und such‘ Dir etwas Anderes zum Fressen. Der Fuß dieses Mannes ist nicht Dein Abendessen!«
Hastig zieht der Wüstensohn sein Bein weg, an dem er den Dachs hat unbeachtet schnüffeln lassen.
Oriah hingegen setzt sich zwischen die beiden Männer und fördert aus seiner Tasche den Tiegel mit der Heilsalbe zu Tage.
»Also, Mazul, wir hören! Wie kommst Du zu dieser Orktruppe und warum überfallt ihr Karawanen? Eines ist ja mal klar: Normale Räuber verfolgen nicht über Meilen hinweg einen Wächter, der außer seinem Säbel nichts Wertvolles bei sich hat!«
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