Beiträge von Tom Stark im Thema „Abenteuer an der Schwertküste (Arbeitstitel)“

    Oriah und Mazul

    Der Ork sieht den Dachs. Er schaut zum Menschen und erinnert sich, dass der etwas gerufen hat und das bissige Ding, was er gar nicht genau zu Gesicht bekommen hat, plötzlich verschwunden ist.
    Da fallen ihm Geschichten ein. Geschichten, die er beim Winterthing im Rat der Anführer der Stämme gehört hat, die ihm aber lächerlich vorkamen. Von dem Menschen, der immer wieder Leuten hilft, die in der Wildnis in Not geraten. Dem es angeblich egal ist, zu welcher Rasse und ob Tier oder Nichttier der Hilfsbedürftige gehörte. Das klang eher nach einem Rauschpfeifentraum. Als er vom Mann zum Dachs und wieder zurückschaut, ändert er seine Ansicht.
    »Du Oriah na Viko!« Es klingt wie Owea navicho, wie er es ausspricht. Sein Akzent ist bellend und schwer. Diese Wüstensprache, die weder eine seiner Muttersprachen ist, noch dass er sie länger als ein paar Monde gelernt hat, fällt weder seiner Kehle noch seinem Mund leicht.
    »Du Mann mit Dachs.«

    Oriah zuckt eine Schulter. »Ein komischer Name, ich weiß. Nach einem Tier genannt zu werden, von dem ich nicht einmal weiß, ob es mich leiden kann. Oriah genügt aber. Und da Du meinen Namen kennst, sagst Du mir auch Deinen?«
    Der Ork zieht erstaunt die Luft ein. Noch nie hat ein Mensch nach seinem Namen gefragt.
    »Mazul Mukgrakh.« Dann wird ihm klar, dass der Mensch gar nicht begreifen kann, was sein Zweitname bedeutet, also fügt er hinzu, den Menschen so gut er kann mit dem Schulterzucken imitierend: »Mazul! Einfacher für Menschenmund.«
    Beide gehen wieder in Kampfstellung. Keiner hat vergessen, warum er hier steht. Aber jetzt, da sie ihre Namen kennen, ist die Sache persönlich. Jetzt ist es ein Duell, nicht irgendeine Begegnung auf einem Schlachtfeld.

    Oriah lässt seine beiden Schwerter hängen, beinahe schleifen die Spitzen auf dem Boden. Er nähert sich seinem Gegner langsam. Ein Schritt vor, einen zur Seite, nach rechts oder nach links, beinahe zufällig, immer nach einem Schwachpunkt in der Beinstellung des Orks suchend.
    Der Ork folgt den Schritten des Kriegers. Versucht sie zu spiegeln. Immer wieder lässt er den Zweihandsäbel ansatzweise schwingen, um den Menschen zu zwingen, sich entweder zurückzuziehen, oder seine Schwerter zur Parade zu heben.
    Eine halbe Ewigkeit lang, so scheint es, führt keiner einen Hieb aus. Aus einem weiten Kreis wird ein enger Kreis, bis es scheint, dass beide Kämpfer nun losschlagen, nur damit sich beide mit vorsichtigen Schritten wieder trennen, auf dass der Tanz aufs Neue beginnt.
    Ohne einen ersichtlichen Anlass ergreift Mazul die Initiative.
    Ein gewaltiger Schwung seines Großsäbels zwingt Oriah zurückzuweichen. Der Rückschwung des Zweihänders treibt den Menschen noch einmal zwei weitere Schritte zurück, doch dann sieht er die Lücke.
    Beinahe wirkt es, als ob er wegrutscht. Es bewegen sich Oberkörper und Beine in verschiedene Richtungen und für einen Moment liegt der Menschenkrieger fast waagerecht in der Luft. Die beiden Klingen, die bislang gerade noch locker herunterhingen zucken synchron vor und zielen auf Knie und Knöchel des linken Beins seines Gegners.
    Überrascht grunzt Mazul, will zurückweichen, doch schon spürt er die beiden Treffer.
    Ohne auf den einsetzenden Schmerz zu warten, schlägt er nach dem Menschen, der ohne Parademöglichkeit auf der Seite am Boden vor ihm liegt. Alle Kraft legt der Ork in seinen mächtigen Hieb, denn er weiß, dass er schnell gewinnen muss. Seine schwere Waffe ist nicht für einen langen Kampf gegen so einen erfahrenen Gegner gemacht.

    Faru faucht aufgeregt auf seinem Platz, als er das Zweibein umfallen sieht. Er versteht zwar nichts von Krieg und Kampftaktik, aber seine Erfahrung sagt ihm, dass sein Zweibein auf den beiden Hinterbeinen schneller ist, als auf allen Vieren. Warum das so ist, interessiert ihn nicht. Ihm genügt völlig, dass es so ist.
    Schon richtet er sich auf, bereit seinem Rudelgefährten zu Hilfe zu eilen. Auch hier fragt er sich keinen Moment, warum er das will, immerhin so gar kein Verhalten, das seiner Art entspricht.

    Oriah bleibt jedoch nicht liegen. Er berührt kaum den Boden, als er eine Waffe loslässt und sich über den nun freien Arm auf den Ork zurollt. Die Klinge des Großsäbels schlägt nur Fingerbreit hinter ihm ein und er wird auch schon von den Beinen seines Gegners aufgehalten.
    Energisch wirft sich der Mensch noch einmal über die Schulter, zwingt das angeschlagene Bein dazu einzuknicken und sticht mit der verblieben Waffe gegen die Rippen des Orks. Die ungewöhnlich solide Panzerung, nicht das reine raue Leder, mit dem sich die anderen Orks schützten, sondern an wichtigen Stellen mit Bronzeplättchen verstärkt, lenkt den Treffer jedoch ab.
    Für einen Moment entsteht ein Knäuel aus Beinen und Armen, es werden Faustschläge und Tritte ausgetauscht, bis schließlich beide Kontrahenten wieder auf ihren Beinen stehen.
    Oriah, nun nur noch mit einem Schwert, tänzelt leichtfüßig einen Schritt zurück, während Mazul sich schwer aufrichtet. Sein linkes Bein trägt ihn kaum noch, dennoch versucht er mit einem wilden Schwinger den flinken Menschen noch einmal zu überraschen. Sein Angriff wird beinahe nachlässig durch einen Paradehieb vereitelt. Seines sicheren Stands beraubt, stützt sich der Ork auf seine Großklinge, um nicht wieder zu Boden zu gehen. Eine beinahe hilflose Geste.
    Ein frustrierter Wutschrei entfährt ihm.
    Der Mensch weicht nochmals einen Schritt zurück und deutet mit seiner Klinge auf sein anderes Schwert, welches keinen halben Schritt neben dem Ork liegt.
    »Dir fehlt das Gleichgewicht für deinen Großsäbel. Wenn Du weitermachen willst, nimm mein anderes Schwert. Ich werde nicht angreifen, bis Du es aufgehoben hast.«
    Mazul starrt seinen Gegner wortlos an, nicht, weil er eine List vermutet, vielmehr weil er instinktiv spürt, dass der Mensch es ernst meint.
    »Warum Du das tust? Mazul Dich tötet sobald Du schwach!«
    Oriah grinst halb. Es ist dieses wölfische Grinsen, was fröhlich und gefährlich zugleich wirkt.
    »Das ist so eine menschliche Unart. Wir geben einem Gegner, den wir achten, die Möglichkeit sich völlig zum Trottel zu machen oder aufzugeben, wenn ihm etwas am Leben liegt.«
    Der Ork grunzt abfällig. »Das dumm. Mazul könnte machen Glückstreffer. Kampf manchmal viel mehr Teil von Glück als Können.«
    Oriah nickt zustimmend. »Ganz meine Meinung. Es ist ziemlich dumm, aber wir beide haben wohl Gebräuche, die ziemlich dumm sind! Oder wie kommt es, dass ein echter Krieger sich mit einem Haufen Schläger zusammentut? Das ist ja wohl völlig unter Deiner Würde.«
    Mazul atmet flach. Er will dem Menschen nicht zeigen, wie sehr ihn sein Bein schmerzt und vor allem nicht, wie sehr ihn die Worte getroffen haben.
    »Was wissen Du über Ork-Brauch?« Er bellt es eher, als dass er fragt, wütend, dass ausgerechnet eine Glatthaut ihn an die Schmach erinnert.
    »Nichts. Nur Geschichten, eher Gerüchte.« Der Mensch hebt die Schulter ohne Waffe. Die Andere bleibt angespannt, wachsam. Der Mann rechnet nach wie vor mit der Gefährlichkeit des Orks. »Aber ich erkenne einen wahren Krieger, wenn ich einen sehe.« Seine Augen wenden sich keinen Moment von Mazul ab.
    Vielleicht ist es genau das, was Mazul schließlich dazu bringt etwas zu tun, was er noch nie zuvor in seinem Leben getan hat. Er lässt seinen Großsäbel los, humpelt ein paar Schritte bis zu einem halbhohen flachen Stein und lässt sich schwer darauf nieder.
    »Oriah na Viko …«, sagt er leise, als wäre es eine Erklärung.
    Langsam tritt der Genannte heran, sammelt seine zweite Waffe auf und auch den Zweihänder seines Gegners. Nach einem prüfenden Blick auf den großen Ork, der sein zweifach verletztes Bein untersucht, setzt er sich neben ihn ins Gras und legt die große Waffe direkt neben Mazul ab.
    »Ich wette, Du warst einmal die Leibwache eines Orkfürsten. Habt Ihr überhaupt so etwas?«
    Der Hüne fletscht die Zähne, aber die Augen blitzen. Er grinst und es wirkt keinen Deut weniger gefährlich, als das Grinsen seines Gegenübers!
    »Ich kein ganzer Ork, Fremder. Ich Halbblut. War Beschützer von Halborkstamm Silberwölfe. Wenig Orkstamm ist Freund von Halbblut.«
    »Und wie kommt es dann, dass Du mit den Strolchen dort gemeinsame Sache machst?«
    Der Mensch schaut vielsagend zum Wäldchen, aus dem gerade der Karawanenwächter heraus stolpert.
    »Was bei allen Göttern? Shaundakul, steh mir bei!« Während er den Gott der Winde und Karawanen anruft, humpelt er empört auf die beiden sitzenden Männer zu, seinen Krummsäbel wütend schwenkend.
    »Wieso habt Ihr aufgehört! Diese Bestie verdient den Tod!«
    Mazul und Oriah tauschen einen kurzen Blick. Sie sind sich einig über die Geringschätzung für diesen Mann.
    »Der Kampf ist vorbei, der Sieger steht eindeutig fest. Kein Grund für vernünftige Männer, sich weiter zu verkrüppeln.« Oriah zuckt leichthin mit der Schulter.
    »Der und seine Horde haben meine Karawane niedergemacht und meine Freunde entführt!«
    Anklagend starrt der Wüstensohn auf den Fremden, an dessen Seite gerade Faru auftaucht und verwirrt schnaubt. Diese inkonsequenten Revierkämpfe der Zweibeiner sind für einen anständigen Dachs einfach nicht nachvollziehbar. Als Ausgleich brummt er das herankommende Zweibein unwirsch an, zumal der einerseits nach Angst riecht, sich andererseits aber aufführt wie der Chef am Platz. Es erscheint ihm, als bettle das Zweibein geradezu darum, einen der dicken Zehen zu verlieren, die leichtsinnigerer Weise aus seinem vorne offenen Pfotenfell heraus schauen.
    »Ja, das ist mir bewusst, soviel konnte ich mir bereits zusammenreimen. Und wenn Du uns nicht weiter mit Deinem Geschrei und deinem Säbel auf die Nerven gehst, kann ich ihn ja mal genau dazu befragen.«
    Der Wüstenmann schaut den Krieger an, als hätte der seinen Verstand verloren. »Und Du glaubst wirklich, er wird Dir auch nur ein Wort verraten?«
    Oriah lächelt erneut. Es ist dieses wölfische Grinsen, was sowohl den Karawanenwächter zurückschrecken lässt und zugleich dem Halbork signalisiert, dass er auf einer befriedigenden Antwort besteht.
    Der Halbork nickt einverstanden. »Mazul sagen, was wissen.«
    »Du hast es gehört. Setz Dich zu uns, aber leg Deinen Säbel weg.«
    Oriah steht auf und holt seine Satteltaschen, die er unweit am Rand des Wäldchen zurückgelassen hat.
    »Faru? Nein! Geh und such‘ Dir etwas Anderes zum Fressen. Der Fuß dieses Mannes ist nicht Dein Abendessen!«
    Hastig zieht der Wüstensohn sein Bein weg, an dem er den Dachs hat unbeachtet schnüffeln lassen.
    Oriah hingegen setzt sich zwischen die beiden Männer und fördert aus seiner Tasche den Tiegel mit der Heilsalbe zu Tage.
    »Also, Mazul, wir hören! Wie kommst Du zu dieser Orktruppe und warum überfallt ihr Karawanen? Eines ist ja mal klar: Normale Räuber verfolgen nicht über Meilen hinweg einen Wächter, der außer seinem Säbel nichts Wertvolles bei sich hat!«

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    Und wieder einmal vielen Dank an @Tariq ... keine Ahnung, was ich früher ohne Dich gemacht habe.
    Ich finde die Mühe, die Du Dir machst, einfach nur bewundernswert und Du hast auf jeden Fall großen Anteil daran, wenn sich die Texte danach gleich nochmal besser lesen!

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    Und nein, es muss Dir ECHT NICHT leid tun. Um es nochmal zu sagen, mir macht es nichts aus, wenn man mich und meine Texte verbessert. Ich schätze es sogar! Wenn überhaupt, dann ärgere ich mich über mich selbst, soviel nicht gesehen zu haben, gerade wenn es total offensichtlich ist ...
    Wie du ja siehst, wenn ich stilistisch anderer Meinung bin, dann bleibe ich schon bei meiner Version, auch wenn die Grammatik nicht ganz einverstanden ist ^^, aber echte Fehler gehören einfach verbessert, wenn man die Möglichkeit schon dazu bekommt.
    Ohje, schon wieder ein Bandwurmsatz? Aber ich arbeite daran!

    Kämpfer und Krieger

    Der zweite Schlag des Orks fegt die schwache Parade des Wächters einfach zur Seite.
    Mit aufgerissenen Augen muss der Mann zusehen, wie sein Feind die Keule ein drittes Mal schwingt und schließt unwillkürlich die Augen in Erwartung des Treffers.
    Ihm schießt das Bild seiner Mutter durch den Kopf, als er fortging, ihr verzweifelter Blick, als er sie und seine jüngeren Geschwister zurückgelassen hat. Er hat seit Jahren nicht mehr daran gedacht, geglaubt mit diesem armseligen Teil seines Lebens endgültig abgeschlossen zu haben. Warum soll ausgerechnet das sein letzter Gedanke sein?
    Nach zwei Augenblicken erkennt er überrascht, dass der Schmerz ausbleibt.
    Der Ork erhebt sich immer noch drohend über ihm, doch in dessen tierischer Miene steht grenzenlose Überraschung geschrieben. Langsam greift der gewaltige Orkkrieger an seine Brust, auf der sich ein roter Fleck langsam, aber stetig ausbreitet. Sein Blick bricht, immer noch voller Unglauben.
    Der Wächter rollt sich zur Seite weg, bevor der riesenhafte Gegner auf ihn fallen kann. Dann erst hört er das Brüllen.
    Zwei weitere Orks brechen durch das Unterholz. Der Eine schwingt ebenfalls eine dieser gewaltigen, mit Nägeln beschlagenen Keulen, der andere ein Krummschwert, welches der Wächter als die Waffe seines Hauptmanns erkennt.
    Panisch blickt der Wüstensohn sich um, doch die Bäume, die ihm noch vor Stunden sichere Zuflucht boten, erscheinen ihm nun wie eine Falle. Es ist das erste Mal, dass er so eng stehende Bäume erlebt und so kommt ihm das nächtlich lichte Wäldchen wie ein dichter Dschungel voller Hindernisse vor. Verzweifelt stürzt er sich dem nächsten Ork entgegen, um diesen mit einem überraschenden Schwung geradewegs in den Hieb seines Säbels laufen zu lassen.
    Ein tiefhängender Ast verhindert seinen Plan und beinahe verliert er sogar seine Waffe, als diese sich ins Holz eingräbt.
    Doch da beginnt der Ork zu straucheln, stolpert und fällt schließlich keinen halben Schritt vor dem Wächter ins Moos. Gebannt schaut dieser auf den spannlangen Metallstift, der aus dem Hinterkopf des Monsters wächst.
    Da ist auch schon der zweite Ork heran.
    Der Gegner macht Anstalten, das erbeutete Krummschwert vorzustoßen, geradewegs in den ungedeckten Unterleib des Wächters, als er von einer anderen Gestalt von hinten gerammt wird.
    Ein Mann in einer dunkelbraunen Lederrüstung bringt den Orkkrieger zu Fall. Schwer hat er ihn mit der Schulter getroffen und nutzt die Gelegenheit, um die Armbrust mit dem seltsamen Kasten fallen zu lassen. Er tritt einen Schritt zurück, greift an seinen Gürtel und holt eine fremdartige Handaxt hinterm Rücken hervor. Die andere Hand zückt ein langes Jagdmesser.
    Der kampferprobte Ork greift in den Boden und schleudert seinem Angreifer Dreck entgegen. Der Krieger dreht seinen Kopf und springt zur Seite, um dem hinterhältigen Tritt zu entkommen, der nahezu zeitgleich erfolgt. Dennoch hat sich der Ork die nötige Zeit erkauft, um auf die Beine zu kommen.
    Wild knurrend springt er auf seinen Feind zu, will ihn überraschen, einfach überrennen, auf den Boden zwingen und seine überlege Kraft ausnutzen.
    Unerwartet dreht sich der Mensch zur Seite, nutzt einen kleinen Baum als Deckung und lässt den Ork ins Leere springen. Er sticht zu und treibt die Klinge seines Messers tief in die Seite des wilden Kriegers, wo er sie stecken lässt. Der Ork versucht keuchend außer Reichweite zu kommen. Doch sein Gegner setzt nicht nach, schaut sich stattdessen um und wird daher auch nicht überrascht. Schon ist ein weiterer Orks heran. Der schlaue Bursche hat versucht sich heranzuschleichen, als ihm klargeworden ist, dass sie es mit mehr Gegnern als nur dem Flüchtigen zu tun haben. Sein Haumesser ist für einen Kampf zwischen den Bäumen auch deutlich besser geeignet als die langen Waffen seiner Kameraden.

    Immer noch ruhig in seinen Bewegungen, lässt der Mann seine Axt einmal ums Handgelenk wirbeln. Viele würden das für eine Spielerei, reine Angeberei halten, aber in Wirklichkeit verfolgt er damit ein Ziel. Es lenkt den Blick des Angreifers wie hypnotisch auf die Waffe und weg vom Gesicht, das vielleicht einen Angriff verraten kann.
    »Du darfst Dich ruhig am Kampf beteiligen, Kamerad. Immerhin sind die Kerle hinter Dir her …« Es klingt beiläufig, rüttelt den Karawanenwächter aber aus seiner Starre. Unwillkürlich macht er einen Schritt nach vorne auf die Kämpfenden zu.
    Durch das Geräusch des neuen Feinds abgelenkt, wendet der Ork seinen Kopf zur Seite. Pfeilschnell schwingt die Axt heran und vergräbt sich mit einem Krachen in seinen Rippen, das im nächtlichen Wäldchen beinahe überlaut wirkt. Reflexartig schwingt er das Haumesser in Richtung Kopf des in Leder gerüsteten Kriegers, doch sein Unterarm wird von kräftigen Fingern gepackt, der Hieb unschädlich gegen einen Stamm gelenkt.
    Endlich ist der Wächter heran. Seine ganze Wut und Panik geben ihm die Kraft, seinen breiten Krummsäbel durch den Rücken des Orks zu treiben.
    Der begleitende Schrei echot im kleinen Wald von allen Seiten zurück.
    Als der schwere Ork zusammenbricht, entgleitet dem Wächter die Waffe und er springt zur Seite, geradewegs in den Hieb des anderen Orks hinein, den er doch tatsächlich ganz vergessen hat.
    Mit einem weiteren Schrei, diesmal vor Schmerz, taumelt er zurück und hält sich instinktiv die tiefe Wunde an der Schulter.
    Ebenfalls mit einem Kriegsschrei setzt der Ork nach. Zwei wilde Schwinger zwingen den Verwundeten weiter zurückzuweichen. Eine Wurzel lässt den Wächter stolpern, nach hinten fallen und schon ist der Ork über ihm.
    Die Axt des Kriegers zertrümmert ihm den Schädel, bevor er den tödlichen Hieb ansetzen kann.
    Beinahe beiläufig erledigt er den letzten Ork, der nicht einmal mehr die Kraft hat, sich das Messer aus der Seite zu ziehen.
    »Dank … danke. Das war Rettu …«, stammelt der Wüstensohn, doch der Andere legt seinen Zeigefinger an die Lippen.
    »Fünf. Es sind Fünf!« Er flüstert es beinahe, so leise spricht er, während er sich verstohlen umblickt.
    Keuchend schaut sich der Wächter um. »Wo? Wo?«
    Da hört man ein Fauchen und einen Wutschrei.
    »Das kommt von draußen.«
    Als er erkennt, dass die Verletzung des Wächters zwar tief, aber nicht unmittelbar lebensbedrohlich ist, grinst der Mann in Leder kurz, was im dunklen Wald eher wie ein Zähnefletschen wirkt. »Stirb mir nicht. Ich habe Fragen.«
    Mit diesem Kommentar lässt er den Verwundeten zurück und eilt zum Rand des Wäldchens, wo er zwei seltsame, S-förmig geschliffene Schwerter aus den Scheiden zieht, die er dort zusammen mit seinem Gepäck und dem Pferd zurückgelassen hat. Sein Pferd tänzelt nervös auf der Stelle, nur die festgebundenen Zügel verhindern, dass es wegläuft.
    »Ganz ruhig, Großer. Das ist doch nur Faru, der mit einem neuen Freund Fang mich und ich beiß' Dich spielt.«

    Für einen Moment bedauert er es, nicht die stählernen Teile seiner Rüstung angelegt zu haben. Aber in voller Rüstung lang und ausdauernd zu laufen, sich gar an einen Feind heranzuschleichen, das ist trotz aller anderslautenden Geschichten einfach nur eine Bardenlegende.
    Er stellt sich aufs freie Feld, sodass der Ork ihn sehen muss.
    »Faru! Schluss jetzt. Lass den Mann in Ruhe!«
    Wider Erwarten lässt der kleine Dachs den großen Orkkrieger in Frieden, der bislang erfolglos versucht hat, den im halbhohen Gras fast unsichtbaren, kleinen Angreifer zu erwischen.
    Auch der Ork hält inne und sieht sich um.

    Einen schweren, zweihändigen Säbel in den Händen, mustert er seinen neuen Feind.
    Der braunhaarige Krieger ist eine ganz andere Größe als die Karawanenwächter, das erkennt er sofort. Die meisten halten die Orks für geistlose Wilde. Doch auch wenn ein gewisser Blutdurst sie zum Kampf treibt, ihr Gott, der einäugige Gruumsch, Gemetzel und Kampf sogar gebietet, gibt es auch unter den Orks Kämpfer und Krieger. Die einen kämpfen um des Kampfes willen, die anderen mit einem bestimmten Ziel.
    Dieser erfahrene Ork gehört zur zweiten Gruppe und wenn er sich den Mensch auf der Gegenseite ansieht, spürt er einen Gleichgesinnten. Vergessen ist die armselige Beute, die zu hetzen ihm zwar befohlen worden ist, ihm aber weder Freude noch Ehre einbringt.
    Dieser Mensch zieht in den Kampf, wenn er muss, wenn er selbst der Meinung ist, dass der Kampf nötig und es wert ist. Anders als die Karawanenwächter, anders als seine eigenen Leute, würde er sein Schwert nicht vermieten. Vielleicht kann man den Mann selbst für eine Aufgabe gewinnen, aber er wird immer selbst entscheiden, wann und ob er seine Waffe zieht.
    Es ist nicht lange her, da war er, der Ork, genauso. Oder er war doch so ähnlich, wie ein Orkkrieger einem Menschenkrieger ähneln kann.
    Ihre Ziele mögen andere sein, sind es gewiss, aber Kampf ist Mittel zum Ziel und kein Selbstzweck.
    Doch nun, unter dem neuen Herrn, sind die Regeln gebrochen, die Traditionen verraten und er nicht mehr frei in seinem Willen. Aber heute, wenigstens hier und jetzt, schüttelt er den fremden Willen ab, der ihn zwingt, gegen seine Natur zu handeln.
    Gelbe Augen finden braune Augen.

    Braune Augen finden gelbe Augen.
    Auch der Mensch betrachtet den Ork eingehend.
    Groß ist dieser Ork, noch größer als seine Artgenossen, doch das ist es nicht, was ihn so bemerkenswert macht. Es ist die Art, wie er seine Waffe trägt. Es ist die Art, wie er dasteht. Es ist die Art, wie er abwartet.
    Dieser Ork hat keine Eile und wird garantiert nicht dieselben Dummheiten machen, welche seine Männer im Wäldchen das Leben gekostet haben. Er wird weder blutrünstig noch zu siegessicher sein. Auch wird er auf Überraschungen gefasst sein, jederzeit damit rechnen, dass er sich plötzlich umstellen muss.
    Das ist kein Kämpfer, der nur den Weg nach vorne kennt. Das ist ein Krieger, der vor jedem möglichen Sieg sich die Konsequenzen einer Niederlage bewusst macht.
    Es sagt wenig darüber aus, ob der große Kerl mit dem Riesensäbel umgehen kann. Aber es sagt sehr viel darüber aus, warum er so eine Waffe wählt. Es ist keine schnelle Waffe, mit der man mehrfach schnell zuschlagen kann. Ein einziger Treffer genügt vielleicht schon zum Sieg. Wenn man aber damit zuschlägt und verfehlt, ist man aus dem Gleichgewicht und sehr anfällig. Zudem braucht so eine große Klinge viel Pflege mit einem gewissen Sachverstand, sonst ist sie sehr schnell sehr nutzlos.

    Grüßend hebt der Mensch seine Klingen.
    Herausfordernd schwingt der Ork seinen Großsäbel einmal über dem Kopf.

    In sicherer Entfernung sitzt Faru auf einem Felsen. Er schnieft, ob belustigt oder verärgert, dass er beim Kampf nicht erwünscht ist, weiß wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Angst vor großen Wesen hat er keine, aber er respektiert den großen Zweibeiner als Partner, manchmal sogar als Anführer.
    Wenn der Große also glaubt, er muss den Feind mit seinen blitzenden Krallen zu Tode reißen, dann hält sich Faru eben zurück. Bisher ist immer genug zum Fressen für ihn übrig geblieben. Warum sich also unnötig abrackern?

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    @Tariq wieder einmal vielen Dank für das Korrekturlesen!

    Spoiler anzeigen

    Ja, Bandwurmsätze. Kürze ich sie auf 2 oder 3 kommt es mir zu kurz vor ...

    Roa ist im Wüstendialekt das Wort für "Ross".

    Tja, warum liegt der Gaul und kann man es vorher wissen? ^^
    Er ist ja ein Kapitel zuvor zusammengebrochen. Außerdem sieht man nur den Schatten im Gras, so hoch, dass man ein stehendes Pferd nicht sieht, ist es aber doch nicht, sonst hätte der Dachs nie seine Nase hoch genug bekommen. Aber ja, ich hätte es auch erwähnen können.

    Nur Pferd und Sattel (eigentlich auch Zaumzeug, habe ich aber nicht erwähnt) sind herbeigezaubert. Satteltaschen, die sich einfach so auflösen, wären auf Dauer wohl auch ziemlich unpraktisch. Woher er das praktische Reittier hat, wird bald aufgeklärt.

    Tut mir leid, heute ist es etwas mehr im Spoiler.

    ... kam mir gar nicht so viel vor. Um so mehr danke für deine Mühen!

    In dem Abschnitt bist du ins Plusquamperfekt gerutscht. Das tut man eigentlich nur, wenn man im Präteritum schreibt, oder? Deine Vergangenheitsform müsste das Perfekt sein, oder

    Mir gefiel der ganze Absatz auch ganz und gar nicht, ich konnte nur beim besten Willen nicht rausbekommen warum. Jetzt ist es klar. Falsche Zeitformen. Ich benutze das PqP ohnehin sehr ungern.
    Der Einleitungssatz ist im Perfekt ganz gut, danach, da es eine Handlungsabfolge beschreibt, passt das Präteritum womöglich sogar noch besser als das Perfekt. Vermutlich kann man das diskutieren, weil es in der Umgangssprache heutzutage gleichwertig genutzt wird. Der erste Satz erscheint mir im Perfekt aber zwingend, weil das "Sichwiederfinden in dieser Welt" ja abgeschlossen ist, aber unmittelbar sein Hiersein in dem Moment der Erzählung erklärt.
    Ach, deutsche Grammatik ist einfach ... nicht einfach.

    Mann mit Dachs

    Der Reiter, der langsam querfeldein trabt, ist an sich schon bemerkenswert. Braune Haare umrahmen ein Gesicht, was man eher als männlich kantig denn als gut aussehend bezeichnen würde. Der Dreitagebart lässt den Mann vielleicht wilder wirken, als er ist. Seine Kleidung, hauptsächlich eine dunkelbraune, beschlagene Lederrüstung und ein dunkelgrauer Ledermantel, trägt Zeichen einer langen Reise, aber ist dennoch in guten Zustand. Hinter dem Sattel schaut der Kolben einer Armbrust aus einer Lederhülle, ein Bolzenköcher hängt kurz dahinter. Zwei große Satteltaschen und eine daran befestigte Rolle verraten, dass der Reiter eine weite Reise alleine vor sich hat, jedenfalls ohne Packtier für Vorräte.
    Die beiden Schwerter in ihren Scheiden, beide seitlich neben dem rechten Bein am Sattel hängend, scheinen nicht krumm genug für eine Wüstenklinge zu sein, aber auch nicht die gerade Linien einer Nordlandklinge aufzuweisen. Der Reiter selbst ist für einen Wüstensohn zu hellhäutig, aber zu dunkel für einen Nordmann und auch seine Züge wirken in dieser Gegend fremdländisch, ohne dass man den Finger darauf legen kann, warum genau.
    Doch wirklich außergewöhnlich sind Ross, Sattel und Zaumzeug. Alles scheint nicht ganz feststofflich zu sein, fast durchscheinend. Zudem bewegt sich das Pferd nahezu lautlos, viel flüssiger, als es bei einem lebendigen Tier jemals möglich wäre und es scheint vielmehr dahinzugleiten als echte Schritte zu machen.
    Natürlich sind solche Phantomrösser in den Reichen nicht völlig unbekannt, jedoch höchst selten, und sie bei einem Schwerträger zu sehen, ist noch viel seltener.
    Fast schon gewöhnlich erscheint da der kleine Begleiter des Reiters, der im halbschritthohen Gras beinahe verschwindet, mit seinem blauschwarzem Fell, dessen Rücken und Schwanz wie mit strahlend weißer Farbe angestrichen scheinen.

    »Faru, was ist los?«
    Der Reiter beugt sich tief über seinen Sattel hinab zu der schwarz glänzenden Nase des Dachses, die sich knapp über den Grashalmen erhebt. Der kleine Vierbeiner lässt ein pfeifendes Schniefen hören, die Nase verschwindet und der Schatten im Gras wendet sich ab. Nur das niedergewalzte Gras verrät seinen Weg.
    Der Reiter schaut seinem seltsamen Gefährten nach, wendet nach kurzem Zögern sein Ross und folgt dem immer wieder unwillig schniefenden Dachs langsam.

    Vor mittlerweile zwei Jahren hat sich der Reiter plötzlich in dieser fremden Welt, und als wäre das nicht verwirrend genug gewesen, auch noch mitten in der Anauroch wiedergefunden. Als erstes Lebewesen traf er, von Schlangen und Skorpionen abgesehen,diesen Honigdachs. Eine entschiedene Meinungsverschiedenheit, wem ein Stiefel gehört, dem Träger oder dem, der sich darin verbissen hat, führte zu einer mehrstündigen Verfolgungsjagd quer durch die heiße Wüste geführt.
    Schließlich fiel der Dachs vor Erschöpfung um. Der Mann wollte zuerst weitergehen, drehte jedoch seufzend um und nahm das erschöpfte Tier unter den Arm. Gemeinsam erreichten sie ein Gestrüpp, wo der inzwischen ebenfalls völlig erschöpfte Mann sich hinlegen wollte und sich auf den nahenden Tod vorbereitete. Der wieder etwas erholte Dachs begann auf einmal zu graben und legte binnen Minuten ein Wasserloch frei.
    Seitdem sind die beiden zusammen.
    Mehr oder weniger.
    Meist weniger.
    Zurzeit jedoch mehr.

    Nicht lange, bis der Reiter einen großen Schatten im hohen Gras sieht. Am Abendhimmel bemerkt er die ersten kreisenden Krähen, ein Zeichen, dass es hier Aas gibt oder bald geben wird.
    Nun lässt er sein Pferd laufen und schneller als irgendein sterbliches Ross galoppiert es über die Graslandschaft, ohne auch nur einen Halm zu knicken.
    Schnell erreichen sie den Schatten und der Reiter gleitet aus dem Sattel.
    »Stah, Roa.« Das Phantompferd bleibt wie angewurzelt stehen. Kein Haar aus seiner Mähne weht im Wind und sein Schweif hängt regungslos herab.
    Behutsam streicht der Reiter über den Kopf des verwundeten Tieres. »Ganz ruhig, Du Armer. Wer hat Dich so zugerichtet? Ruhig, ganz ruhig.«
    Das sterbende Pferd hebt seinen Kopf. Ein Seufzen, wie von einem Menschen, kommt durch seine Nüstern.
    »Hm, Pfeilwunde. Das hätte Dich doch nicht so zurichten dürfen?«
    Nachdenklich mustert der Mann die Fährte.
    »Fußspuren. Du bist also nicht ausgerissen, du hattest einen Reiter? Und einen schlechten dazu. Hat Dich fast zuschanden geritten, anstatt sich die Zeit zu nehmen, deine Blutung zu stoppen. So ein Narr. Ah, und hier, weitere Spuren. Vier, nein Fünf. Alle zu Fuß, ziemlich schwer, aber nicht sehr groß, Verfolger? Hm, hm.«
    Mit dem Fuß stößt der Mann den schnüffelnden Dachs vom Pferd weg. »Lass das, Fellgesicht. Der brave Hengst ist heute nicht unser Abendessen.«
    Unwillig schnaufend trollt sich der Dachs, ohne sich noch einmal umzuschauen, doch der Mann achtet nicht auf ihn. Aus seiner Satteltasche holt er zwei Lederbeutel und einen Wasserschlauch.
    »Gut, mein Großer. Eigentlich ist die Heilsalbe ja für Menschen gedacht. Ich hoffe aber, sie wirkt auch bei dir. Irgendwo ist ein Pferd ja auch nur ein Mensch.«
    Mit dieser eigenwilligen Logik beginnt er die Wunde des Tieres auszuwaschen. Erschöpft, wie es ist, leistet es keinen Widerstand. Als die Wunde sauber ist, streicht er die Paste darauf und streut Pulver aus dem weiteren Beutel auf die Paste, die darauf schnell aushärtet.
    Ohne Eile entlädt der Reiter sein Geisterpferd und lässt es dann achtlos stehen. Er setzt sich auf die Satteltaschen, tastet suchend seinen Mantel ab, bis er die Pfeife gefunden hat, die er gemütlich stopft und mit einem silbernen kleinen Metallkästchen anzündet, welches eine winzige Flamme erzeugt.
    Als die Dämmerung hereinbricht, beginnt das Geisterross zu wabern und löst sich nach einer knappen Minute einfach auf. Nun erst erhebt sich der Krieger und geht zum liegenden Pferd. Die tiefen Atemzüge verraten ihm, dass es schläft.
    »Hallo, Großer. Es wird Zeit, dass Du auf die Beine kommst. Die Paste sollte Deine Wunde inzwischen gut geheilt haben. Es ist nicht gut für Dich, weiter herumzuliegen wie ein Fohlen.«
    Mit einem müden Schnauben wacht der Hengst auf und kommt unter Schieben, aufmunterndem Klopfen und Zerren auf die Beine. Zuerst steht er wacklig da, als traue er sich selbst nicht, doch als er bemerkt, dass seine Wunde nicht mehr schmerzt und sein Körper auch sonst wieder kräftiger ist, trabt er versuchsweise herum.
    »Siehst Du? Fast alles wieder verheilt. Eine große Narbe wirst Du behalten, aber die Stuten stehen auf Narben, vertrau mir, ich kenne mich aus.«
    Der Hengst ziert sich ein wenig, doch schließlich lässt er sich die Sattentaschen über den Rücken werfen und auch das andere Gepäck.
    »Keine Angst, ich reite Dich heute noch nicht. Morgen vielleicht. Aber nun wollen wir los. Dein Reiter ist da lang. Ist einen großen Bogen gelaufen. Wohl auch nicht von hier? Zu seinem Glück treibe ich mich hier schon eine Weile herum. Ich wette, er wird auf die kleine Baumgruppe auf dem Bärenhügel zuhalten, sobald er sie sieht. Vielleicht schafft er es sogar bis es dunkel ist.«
    Ohne sich umzusehen, nimmt der Mann seine Armbrust, eine eigenartige Konstruktion mit einem Kasten vor dem Abzug und trabt in einem wiegenden Dauerlaufschritt los. Er nimmt den geraden Weg zum Wäldchen, vermeidet trittsicher das Feld mit den Kaninchenbauten und weiß auch, wo der kleine Bach mit einem bequemen Satz leicht zu überqueren ist.
    Der Hengst schaut ihm kurz hinterher, wiehert und folgt ihm dann.

    Faru schnieft ärgerlich aus der Ferne, als er Pferd und Nichtmehrreiter davontraben sieht. Einen Moment lang will er die beiden einfach ziehen lassen, aber etwas in ihm treibt ihn dann doch hinterher.

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    Nun verlassen wir Roya und ihre Gefährten eine kleine Weile und wenden uns einem weiteren Akteur der Geschichte zu.



    Überfall in Ascore

    »Verdammt, dahinten sind auch welche!«
    Die wenigen Karawanenwächter, die nach den zahlreichen, nadelstichartigen Überfällen noch kampffähig sind, fächern noch weiter auseinander, ihre ohnehin dünne Verteidigungslinie noch weiter schwächend. Die Ruinen der uralten Grenzstadt der Delzoun-Zwerge bieten zwar Deckung, aber auch genug Gelegenheiten sich anzupirschen.
    »Das ist das Ende, oh weh mir!« Der dickbäuchige Händler, dem der Großteil der Waren gehört und der auch die Karawane ausrichtet, knetet verzweifelt seine hängenden Backen unter dem sauber gestutzten Vollbart. Wie alle Bewohner der großen Wüste Anauroch, trägt er weite Gewänder, einen edlen Burnus und einen noch edlerer Haik, der seinen Reichtum angemessen widerspiegelt. Natürlich sind auch seine Kleider inzwischen dreckig und sogar teilweise blutig, wenngleich es das Blut des anderen Händlers ist, nicht sein eigenes. Seinen Partner hat es gleich zu Beginn erwischt. Was musste er sich auch den Angreifern so übermütig entgegenstellen? Dazu bezahlen sie immerhin die Wachen!
    »Vielleicht lassen sie uns gehen, wenn wir ihnen einen Teil der Waren geben. Und die Frauen. Wir überlassen ihnen die Frauen?«
    Die wenigen anwesenden Frauen sind allesamt in Seide gehüllt, beinahe durchsichtig, an schicklichen Stellen reichlich bestickt und mit Edelsteinen verziert. Das Zelt, welches Schutz und Bequemlichkeit sein soll, ist beim letzten nächtlichen Überfall in Flammen aufgegangenen. Nun stehen die dunkelhäutigen Schönheiten mit blitzenden Augen vor ihrem Ehemann und Vater und nicht nur eine hat ihre Hand an dem kurzen Krummdolch, wie ihn jede Frau in der Anauroch zur Verteidigung ihrer Würde trägt.
    »Du elender Feigling. Verkaufst uns, damit Du mit heiler Haut davonkommst? Aber daraus wird nichts. Diese Banditen wollen uns alle. Sie haben sogar die verwundeten Wachen geschont, damit sie mehr Sklaven bekommen. Sie werden keinen davonkommen lassen!«
    Musak ibn Asak seufzt tief. Natürlich weiß er, dass er kein Held ist, seine Talente liegen auf einem ganz anderen Gebiet. Aber niemand, der eine Karawane nach Felbarr und dann über Silbrigmond nach Mithril-Halle führt, ist ein Feigling. Aber am Ende auf jeden Fall ein reicher Mann, sofern er die gefahrvolle Reise übersteht.
    »Ach, haltet die Schnäbel. Das habe ich nicht ernst gemeint!«
    Entschlossen zieht er seinen reichlich verzierten Krummsäbel. Eigentlich ist die Waffe nicht für den Kampf gemacht. Wer hätte ahnen können, dass selbst zwanzig gut ausgebildete Wachen nicht ausreichen würden, seine kleine Karawane zu schützen?

    Bevor er sich weitere Gedanken machen kann, eilen zwei haarige, monströse Humanoiden zwischen den mannshohen Steinen der Ruinenstadt auf ihn zu.
    Natürlich hat Musak schon von Orks gehört, aber erst seit kurzem weiß er, wie schrecklich sie wirklich sind.
    Als er die großen Hauer aus ihrem Unterkiefern ragen sieht, einer davon abgebrochen, die anderen, beim zweiten Ork, blutig, als hätte er gerade jemand den Hals durchgebissen, verliert der Händler die Nerven und stürmt vor. Er verlässt damit die halbwegs sichere Reihe, die ihm die Wächter an seinen Seiten bieten.
    »Ahhh!« Hoch erhoben hat er seinen Säbel, will den Schädel des Monstrums spalten, als er ins Straucheln gerät. Gar nicht so einfach, loszulaufen, den Säbel hochzuhalten und dabei noch auf seine Füße zu achten. Das denkt er noch, als ihn der kampferprobte Ork umgeht und ihm von Hinten seine schwere Keule über den Kopf zieht. Als hätte ihm jemand alle Kraft auf einmal entzogen, fällt der Händler hin, geradewegs aufs Gesicht, unfähig, sich auch nur das kleinste Bisschen zu bewegen. Nicht einmal ein Wimmern entfährt ihm, auch wenn das ohnehin keiner hört.
    Die Wache zu seiner Rechten stellt sich tapfer, oder auch verzweifelt, man sehe es, wie man will, dem zweiten Ork.
    Er wartet erfahren den richtigen Moment ab, bis er mit seinem Speer zustößt.
    Die Parade des Orks kommt einen Moment zu spät. Sein schartiges Schwert schafft es, den Speer ein wenig nach unten zu schlagen, doch so trifft die gezackte Spitze nicht den Hals, sondern die ledergeschützte Brust. Die Wucht des Speers kann aber auch das gehärtete Leder kaum mindern und so dringt die Spitze fast völlig ein.
    Reflexartig stemmt der Wächter den Speer nun in den Boden. Der Ork, von der Wucht seines eigenen Ansturms nach vorne getrieben, spießt sich selbst auf, bis die Spitze sein Rückgrat durchstößt und der Speerschaft unter dem Gewicht des Körpers splittert.
    Doch schon ist der zweite Ork heran, kaum gebremst durch den ungeschickten Ausfall des Händlers. Er schwingt seine Keule wuchtig von links nach rechts und der Wächter muss zurückspringen.
    Einem weiteren Schwinger entgeht er, indem er sich in die Knie abduckt und zugleich seinen Krummdolch zieht.
    Verzweifelt versucht er die Beine des Orks zu erwischen, die Sehnen am Fuß oder gar die Kniekehle zu erreichen, doch der Ork ist ebenfalls erfahren.
    Mit einem halben Schritt zur Seite, bringt der pelzige Kämpfer sein Bein in Sicherheit und schlägt unbarmherzig nach dem Kopf des Wächters. Der hechtet zur Seite, kassiert damit den Treffer an der Schulter und kommt nur schwankend auf die Beine, den Dolch vor sich haltend.
    Dem Ork und seiner wuchtigen Keule ausgeliefert, weicht er zurück, doch sein Gegner setzt nach, Mord und Blutdurst in seinen gelben Augen.
    Ein weiterer Wächter sieht seinen Kameraden in Not, springt herbei und treibt die Klinge seines Krummsäbels tief in die Seite des Orks.
    »Shallal ..«, ruft der Gerettete triumphierend, doch der Ruf bleibt in seinem Hals stecken. Ein Pfeil wächst plötzlich aus seinem Hals und er bricht röchelnd zusammen.

    Der andere Wächter reißt seinen Krummsäbel heraus und sieht sich um.
    Als ob die Zeit zu Sirup wird, sieht er die Lage überdeutlich:
    Die Frauen werden gerade davongeschleppt, manche gezerrt, andere strampelnd auf der Schulter davongetragen. Zwei seiner Kameraden werden von mehreren der haarigen Monster niedergerungen und ein weiterer von seinem Gegner buchstäblich in Stücke gehackt.
    Der Kampf ist verloren und er ist alleine. Doch für den Moment scheint sich niemand um ihn zu kümmern.
    Sein Blick fällt auf eines der wenigen Pferde. Die Lasttiere sind alles Kamele, die Pferde für den Händler und den Hauptmann der Wachen reserviert. Doch der Wächter sieht weder den Hauptmann noch den Händler, zudem ist es ihm in diesem Augenblick gleichgültig.
    Er stürmt zu dem Tier, wirft sich auf den sattellosen Rücken und treibt es hart an. Zum Glück kann er reiten und noch mehr Glück hat er, dass das Tier keines dieser nervösen Edelrösser ist. Er hat das gutmütige Pferd des Händlers erwischt, der sich weit eher von seinem Pferd spazieren tragen lässt, als dass er es selbst reitet.
    Schon hört er hinter sich das Geheul der Orks und auch eine eindeutig nichtorkische Stimme:
    »Schnappt ihn Euch, der Meister will jeden verfügbaren Sklaven. Und lebend, wenn es geht!«

    Schon nach wenigen Sekunden ist er außer Reichweite, doch es dauert einige weitere Minuten, bis er sich so sicher fühlt, dass er das Pferd nicht mehr antreibt.
    Als er es langsam gehen lässt, fühlt er, wie es ins Stolpern kommt. Immer wieder stockt es und endlich bemerkt er die klebrige Flüssigkeit im schweißnassen Fell des Tieres. Ein Streifschuss, stellt er fest, aber es blutet stark. Er schätzt, dass das Tier nicht mehr lange durchhält.
    Panik überkommt ihn erneut. Ohne Pferd ist er verloren. Die Orks sind viel ausdauernder, das hat er in den letzten Tagen gelernt. Unbarmherzig treibt er das Tier wieder an, will möglichst viel Abstand zwischen sich und seine Verfolger bringen.
    Ohne nachzudenken, galoppiert er nach Osten, anstatt nach Westen auf die Wüste zu, obwohl ihm klar ist, dass die Orks aus dem Osten kommen. Aber ohne Wasser kann er in der Wüste nicht überleben. Außerdem müsste die Gabel in der Nähe sein, der Grenzposten der Felbarr-Zwerge, der die Weggabelung zu ihrer Zitadelle bewacht.

    Da beginnt das Tier wieder zu stolpern, immer langsamer wird es. Gerade noch rechtzeitig wirft er sich vom Pferderücken, bevor das umfallende Tier ihn mit sich reißen kann. Doch er atmet auf. Es ist beinahe dunkel. In der Nacht greifen die Orks nicht an, haben sie bisher noch nie.
    Ohne auf das sterbende Tier zu achten, hastet er weiter und sucht Schutz in einen winzigen Wäldchen, kaum mehr als zwei oder drei Dutzend nicht sehr dicht stehende Bäume. An Ort und Stelle sinkt er sich zusammen und schläft sofort ein.

    Schlaftrunken und völlig ausgelaugt erwacht er. Durch die Baumkronen sieht er den vollen Schild Selunes. Irgendetwas hat ihn geweckt. Für einen Moment weiß er nicht, wo er sich befindet.
    Gerade noch rechtzeitig kann er seinen Krummsäbel heben, um den Hieb mit der Keule abzufangen.
    Die Orks haben ihn gefunden. So schnell?
    Und, verdammt, sie greifen auch mitten in der Nacht an!

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    Mikla und Erala

    »Da bist Du ja. Hast Du Dich vor mir versteckt?« Mikla lächelt, als er sich neben seine Freundin setzt.
    Erala lehnt sich sofort bei ihm an und legt ihren Kopf auf seine Schulter. Sie ist kräftiger, als sie scheint, diese Schulter. Überhaupt ist dieser junge Kerl viel mehr, als es den ersten Anschein hat. Kein Wunder, immerhin war er ein aufsteigender Stern in der Diebesgilde von Baldurs Tor, dieser südlichen Metropole, noch viel südlicher als das berühmte Tiefwasser.
    »Ich brauchte nur einen Augenblick Ruhe.«
    Der junge Mann schweigt zustimmend.
    Nach einer langen, einträchtigen Pause, hebt Erala ihren Kopf und nimmt die Hände ihres Freundes in ihre eigenen, blickt ihm dabei tief in die Augen.
    »Du bist gekommen. Du warst aus unserem armseligen Leben weg und bist zurückgekommen!«
    Sein Lächeln wirkt älter, weitaus weiser, als man es in seinen jungen Jahren erwarten kann.
    »Meine große Liebe hat mich gerufen. Wie hätte ich nicht kommen können?«
    Verlegen, gar nicht ihre Art, senkt Erala kurz den Blick.
    »Dann verzeihst Du mir?«
    »Verzeihen? Ich weiß nicht, was ich Dir zu verzeihen hätte.«
    Sie seufzt. Sich zu entschuldigen, fällt ihr ohnehin schwer und dieser Idiot stellt sich auch noch dumm!
    »Du weißt es schon. Dass ich gegangen bin. Dass ich mit dem Paladin des Morgens fort bin, um einer von ihnen zu werden.«
    Mikla nickt wieder still. Auch er lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
    »Du bist mit ihm ausgezogen um das Dorf zu verteidigen und es ist euch gelungen. Jeder wäre mit ihm mitgegangen, wenn man ihm angeboten hätte, ebenfalls ein Morgenritter zu werden.«
    Sie lacht bitter »Ja, und was hat es ihm eingebracht? Nun ist er tot. Liegt nicht einmal begraben in einem namenlosen Bergwald, gestorben um mich zu beschützen. Nicht einmal unsre Männer und Frauen konnten wir befreien!«
    »Das ist nicht Deine Schuld, Era. Ich glaube Dein Ritter hat sich einfach überschätzt. Er hätte Hilfe holen sollen.«
    »Sprich nicht so über meinen Herrn! Wage es nur nicht! Er war der mutigste und tapferste Ritter im ganzen Land. Keinen Anderen hat es auch nur geschert, dass man unsere Leute verschleppt hat. Keinen!«
    Wieder schweigt Mikla, bis der Atem seiner Freundin weniger heftig geht und er sieht, dass sie nun bereit ist, ihm zuzuhören, ohne gleich an die Decke zu gehen.
    »Schau, ich habe auch ein bisschen von der Welt gesehen. Ja, es gibt Helden, die unter Umständen im Alleingang eine Orkhorde bekämpfen können. Wer hat nicht von dem legendären Dunkelelfen-Krieger Drizzt do‘Urden gehört, oder dem Zwergenkönig Bruenor Heldenhammer. Oder vom mächtigen Zauberer Elmnister, der mit einem Wink ganze Heere von Dämonen niederwirft. Oder gar von Lady Alustriel und ihrem fliegenden Streitwagen aus Feuer? Aber dein Meister Hearne war eben nicht so eine Legende. Doch selbst eine Legende bringt ihren Knappen nicht in Gefahr, indem sie ohne Not ein solches Risiko eingeht.«
    Erala schüttelt den Kopf, ein wenig enttäuscht, dass Mikla sie nicht versteht oder nicht verstehen will. »Meister Hearne war ein Held, verstehst Du? Er bekämpfte das Böse dort, wo er es vorfand und fragte nicht lange, ob er obsiegen oder unterliegen würde. Das macht einen echten Helden aus!«
    Ganz sacht, leise und sanft kommt Miklas Antwort: »Nein, mein Schatz. Das, was Du beschreibst, ist kein Held. Das ist ein Narr. Ein leichtsinniger, selbstverliebter Tor, der sich fürchterlich selbst überschätzt und nicht bedenkt, welche Folgen sein Scheitern für andere hat.«
    Erala schweigt betroffen. Nach einigen Augenblicken faucht sie: »Was weißt Du schon davon? Was hast Du gemacht in Baldurs Tor? Leutnant einer Diebesgilde? Was heißt das schon?!«
    Zum ersten Mal grinst Mikla und wäre Erala nicht gerade wieder so aufgewühlt, würde sie sehen, dass es ein gefährliches Grinsen ist, eines, welches die Augen nicht erreicht, eher schon ein Zähnefletschen. Sie hat ihn mit ihrer Antwort härter getroffen, als es scheint. Und andere hätten es bereut, vielleicht sogar mit dem Leben bezahlt.
    Doch kaum, dass das harte Grinsen auf seinem Gesicht aufgetaucht ist, verschwindet es schon wieder und macht dem sanften Lächeln Platz, welches er für seine Liebste reserviert hat.
    »Lass uns nicht über die Toten streiten. Erzähl mir lieber, was die Zauberin mit Dir zu bereden hatte.«
    Die junge Frau sieht überrascht auf und verflogen ist ihr Zorn, so plötzlich, wie er aufgekommen ist.
    »Du hast es mitbekommen?«
    Er lacht. Offensichtlich, da er ja fragt, aber wieder sagt er nichts. Die harte Schule in Baldurs Tor hat ihn beizeiten gelehrt, dass man weitaus mehr hört, wenn man dabei nicht redet. Also vermeidet er unnötige Worte.
    Sie seufzt und lehnt sich wieder an ihn, als wäre sie nicht gerade noch kurz davor gewesen, wenigstens mit Worten, über ihn herzufallen.
    »Sie hat mich ausgefragt. Warum wir die Überfälle machen. Warum wir außer Mutter Farial keine Erwachsenen bei uns haben.«
    »Und?«, hakt er nach, als sie nicht weiterberichtet.
    »Nichts und. Sie hat es einfach so geschluckt. Kommentarlos. Kein Vorwurf, keine Schelte, nicht einmal ein weises Wort. Sie hat einfach ihren Vorschlag gemacht.«
    Er wartet und sie mustert ihn. Manchmal erkennt sie den Jungen aus ihrer Kindheit nicht wieder. Der Junge, der ihr am Altar des Morgenherrns Lathanders geschworen hat, immer für sie da zu sein und dem sie dasselbe geschworen hatte. Im Gegensatz zu ihr, hat er seinen Schwur eingehalten. Wieder fühlt sie sich schuldig.
    »Sag mal«, wechselt sie das Thema. »Wärst Du auch gekommen, wenn Dir ein anderer aus dem Dorf geschrieben hätte?«
    Er lacht. »Wer hätte das wohl gekonnt? Du warst die Einige, die eine Ausbildung darin bekommen hat, dem Paladin sei Dank dafür.«
    Sie schnaubt: »Nein, ich meine, wenn es jemand der Anderen gekonnt hätte.«
    Er überlegt einen Moment. »Tatsache ist, dass es keiner außer Dir konnte. Was bringt es über Dinge nachzudenken, die ohnehin nicht eingetreten sind?«
    »Himmel! Wir waren dreizehn! In diesem Alter sollte man keine bindenden Schwüre ablegen!«
    Mikal grinst, ein echtes, verschmitztes Grinsen diesmal. »Ich war eben frühreif. Da kannst Du jeden fragen.«
    Lachend stößt sie ihn mit der Faust gegen den Oberarm. Wieder ist sie überrascht, wie hart die Muskeln dort sind. Sie selbst ist durch ihre Kampfausbildung körperlich hervorragend entwickelt, aber sie hat den Verdacht, dass im Zweifelsfall ihr Freund in einer Rauferei die Oberhand behält, nicht wie in früheren Zeiten, als sie immer die Stärkere war.
    »Und? Was war der Vorschlag?« Mikla hakt erneut nach, als er sieht, wie seine Freundin schon wieder mit ihren Gedanken abschweift.
    Erala erinnert sich an das Gepräch mit der rothaarigen Zauberin zurück. Es war so völlig anders verlaufen als sie sich das vorgestellt hatte.
    »Sie bot mir an, den Wagen für eine Weile zu behalten und ihre Vorräte aufzubrauchen. Hast Du gewusst, dass sie so viel mit sich herumfährt? Wenn wir sparsam sind, reicht das noch für sechs oder acht Wochen! Außerdem hat sie angeboten, ihre schwarze Löwin zu unserem Schutz bei uns zu lassen. Sie hat tatsächlich die große Katze gerufen und gefragt. Versteht Du, sie hat sie gefragt, als ob es ein Mensch wäre!«
    Mikla nickt schweigend.
    »Ich habe sie gefragt, ob sie unsere Leute retten kann, wenn sie ohnehin nach Sundabar geht, es ist ja dann nicht mehr weit.«
    »Und?«
    »Sie hat gesagt, dass sie sieht, was sie tun kann, aber sie würde nichts versprechen.«
    »Das ist doch immerhin etwas.«
    Erala beginnt wieder schneller zu atmen und runzelt ärgerlich die Stirn: »Magiergeschwätz ist das! Genau das, was zu erwarten war. Sie gehört zu denen, Mikla. Leute wie sie kümmern sich nicht um das Los der einfachen Leute.«
    Mikla schmunzelt: »Ich kenne sie nicht lange, aber ich denke, da irrst Du Dich gewaltig. Gerade sie und ihre Leute kümmern sich. Wenn niemand sonst, dann sie ganz gewiss.«
    »Wie meinst Du das? Was weißt Du?«
    »Die Zeichen an ihrem Wagen. Zwischen den bunten Flächen. Sind sie Dir nicht aufgefallen?«
    Erala überlegt. »Du meist diese Instrumente?«
    »Es sind Harfen.«
    »Na und, sie ist eine Bardin?«
    »Sie ist keine Bardin.«
    »Hast Du sie nicht vorhin singen hören. Sogar der brummige Zwerg hat am Ende mitgesummt. Und Schwester Farial hat sogar bei dem zotigen Lied gelacht. Sie lacht sonst nie über dreckige Witze!«
    »Ja, ich sage auch nicht, dass sie nicht ihren Unterhalt als Bardin verdienen könnte, aber sie ist eine Zauberin von der Akademie Silbrigmonds.«
    »Aha…«
    »Zudem kennt sie die Fürstin Alustriel. Persönlich. Sie spricht sogar in dem Tonfall von ihr, als wären sie befreundet.«
    Erala schnaubt: »Das heißt gar nichts. So wie ich sie erlebt habe, würde sie nach einer Vision selbst vom Morgenherrn persönlich so sprechen, als hätte sie gerade einen alten Kumpel getroffen.«
    Mikla lacht leise: »Da magst Du nicht ganz unrecht haben. Übermäßiger Ehrfurcht vor der Obrigkeit, selbst den Göttern, sagt man den Harfnern wirklich nicht nach.«
    »Und woher weißt Du das überhaupt, von der Fürstin?«
    »Ich habe zugehört, als sie mit Schwester Farial gesprochen hat.«
    Sie verzieht das Gesicht. »Du meinst, Du hast sie belauscht!«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich saß nicht weit weg. Sie haben mich einfach nicht bemerkt, das ist alles.«
    Sie schüttelt ebenfalls den Kopf, ungläubig, wie abgeklärt der einst unbeschwerte Junge aus ihrer Vergangenheit geworden ist.
    »Moment, Du meinst aber nicht diese Harfer?« Erala lacht Mikla aus, als sie den Faden des Gesprächs nach Weile wieder aufnimmt. »Die sind doch nur ein Ammenmärchen. Geschichten, damit einfache Leute wie wir glauben, es gäbe in der Welt so etwas wie Gerechtigkeit für sie.«
    Mikla schmunzelt nur und schweigt.
    »Was grinst Du so?«
    »Einfache Leute, wie wir, ja? Die Eine hat gelernt, wie man in schwerer Rüstung mit einem Zweihänder Monster erschlägt, der Andere bin ich.«
    Nun grinst sie ebenfalls. »Und, was hast Du so gelernt da unten, in Baldurs Tor?«
    Sein Grinsen erlischt schlagartig. »Mein Schatz, ich habe gelernt ein Monster zu sein, eines der Art, die Du gelernt hast zu erschlagen.«
    Sie schweigt betroffen, doch er stößt sie an: »Aber das liegt hinter mir. Nun stehe ich auf der Seite einer Fast-Paladina. Ich meine, das sollte bei den guten Göttern etwas wert sein.«
    Sie erwidert sein aufmunterndes Lächeln.
    Wieder schweigen sie zusammen. So langsam gefällt das auch Erala, jetzt wo sie erkennt, dass sie vielleicht gar nicht alles hören will, was Mikla erzählen könnte.
    »Ich habe sie gebeten, mitkommen zu dürfen. Nach Sundabar und vielleicht dann zu unsrem Dorf …«
    »Sie hat abgelehnt, stimmts’s?«
    »Woher weißt Du das?«
    »Du bist die Anführerin unserer Leute. Du warst schon immer eine Anführerin. Vielleicht wirst Du eines Tages wirklich noch eine Paladina. Die Leute scharen sich um Dich. Deine Leidenschaft gibt ihnen ein Leuchtfeuer, dem sie folgen können. Im Moment braucht man Dich hier dringend.«
    Erala will widersprechen: »Ohne dein Wissen, Deine Tricks, wir hätten alle den Winter nicht überstanden.«
    Er hebt die Schultern. »Ja, aber niemand will so genau wissen, woher ich das Essen organisiere, die Decken, die Lampen. Alle ahnen wohl, dass ich dabei nicht unbedingt ehrenhaft vorgehe.«
    »Wir sind Banditen! Was bedeutet uns Ehre?«
    Er lächelt sanft. »Dir? Alles. Und Du bist die, der sie folgen. Als Du gesagt hast, es ist gerecht die Aufmerksamkeit der Silbrigmonder Ritter durch Überfalle zu wecken, sie dadurch zu zwingen aktiv zu werden, da sind sie Dir ohne zu Zögern gefolgt. Hätte ich so etwas vorgeschlagen, hätten sie mich nur verächtlich angestarrt.«
    »Aber es hat geklappt! Nun ist eine Silbrigmonder Zauberin da und hilft uns … vielleicht.«
    Für einen Moment scheint es, als ob Mikla seiner Freundin das Loch in ihrer Logik aufzeigen will, doch wann immer er es zuvor versucht hat, sie von ihrem merkwürdigen Plan abhalten wollte, ist er gescheitert. Also tut er, was er immer in solchen Fällen macht:
    Er nickt schweigend.
    »Aber wie soll sie unser Dorf finden. Wie soll sie unsre Leute finden, in den Bergen. Es gibt nur einen kleinen Pfad dorthin und ohnehin gibt es dort kaum mehr andere Bewohner, die sich für uns interessieren würden. Nur Orks, Goblins und andere Banditen.«
    »Darum werde ich auch mitgehen. Ich werde ihnen in Sundabar helfen und vielleicht helfen sie mir dann im Gegenzug mit unseren entführten Leuten.«
    »Ha, du glaubst, sie werden Dich mitnehmen? Der Zwerg wird dagegen sein!«
    »Ich werde einfach nicht fragen. Was wollen sie schon tun, mich fesseln, um mich zurückzuhalten?«
    Wieder schweigen sie lange Zeit aneinander gelehnt.

    Es ist schon nach Mitternacht, als Erala aufsteht. Sie geht einige Schritte, bis sie sich zu Mikla umsieht.
    »Ich habe eine Decke. Eine große Decke. Groß genug für zwei, die eng zusammenliegen.«
    Kurz schaut der junge Mann seiner Freundin nach, bis er sich erhebt und ihr folgt.

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    Schwester Farial

    Die erste Person, die ich im Lichtschein der Lagerfeuer erkenne, ist Erela, die sich unvermittelt rüde von einer großen Schattenlöwin umgerempelt sieht und auf dem Hinterteil wiederfindet.
    Zahlreiche junge und sehr junge Stimmen quittieren das überraschende Auftauchen der aufmerksamen Wächterin. Die etwas älteren Kinder weichen zurück und gruppieren sich um eine betagte Frau, die in eine tiefgraue Robe gewandet ist. Der einzige Schmuck an ihr ist eine kleine Brosche an ihrem Kragen, sie stellt zwei weiße Hände dar, die an den Handgelenken mit einer roten Kordel verbundenen sind.
    Die jüngeren Kinder, manche bestimmt noch keine Fünf, starren die große schwarze Katze einfach an, unsicher ob sie begeistert strahlen oder angstvoll jammern sollen.
    Gerade will ich Irkat zurückrufen, bevor sie der alten Frau ebenso ruppig entgegentritt. Doch ehe ich etwas sagen kann, hält die Frau meiner pelzigen Gefährtin ihre rechte Hand hin und nun ist jeder Zweifel, falls ich vorher einen gehabt hätte, ausgeräumt. Die große Katze schnuppert an den Fingern und legt sich dann entspannt auf den Boden und lässt sich den Kopf tätscheln.
    Kein gutes Wesen in den Reichen wird ohne Not oder Zwang einen Kleriker des Ilmaters angreifen. Der weinende und erduldende Gott genießt sogar unter den Anhängern böser Götter eine gewisse Toleranz, da seine Kleriker wirklich jedem versuchen zu helfen, der Schmerz oder Leid erdulden muss. Ihr fürchterlicher Zorn, wenn man sich an jungen Kreaturen oder Kindern vergreift, ist ebenso gefürchtet, wie ihre Barmherzigkeit sonst nahezu allen anderen gegenüber berühmt ist.
    Ich erhebe mich und breite meine Arme aus, die allgemeine Geste des Gastgebers.

    »Seid willkommen an meinem Feuer, bitte tretet näher, nehmt Platz und teilt Mahl und Lagerplatz mit uns.«
    Die Alte lächelt warm und offen: »Sei bedankt für Deine Einladung.«
    Dann wendet sie sich an ihre Schützlinge und schiebt die Kleineren in Richtung der Feuer, wo bereits einige ihrer Verwandten aufgesprungen sind und ihnen entgegenlaufen.
    »Ihr hab es gehört. Geht zu den Großen und keine Angst vor den beiden Kätzchen, sie sind freundlich.«
    Ich blinzle überrascht. Die alte Klerikerin ist aber mutig. Und woher weiß sie überhaupt, dass es zwei sind? Ahja, stimmt ja, Erala.
    Eigentlich will ich ihr, als vermeintliche Wortführerin der Gruppe, ein paar Ideen vorschlagen, doch zuerst will ich mich um die Priesterin kümmern. Sie ist zwar rüstig, aber ich kann sehen, dass sie das schnelle Gehen durch die Nacht angestrengt hat.
    »Bitte, nehmt doch bei mir Platz und lass mich Euch etwas anbieten.«
    Sie ergreift meine Hände und ich bin wieder überrascht, diesmal von ihrem festen Griff, so gar nicht, wie man es erwartet.
    »Zuerst gibt es Wichtigeres. Ihr habt einen Schwerverletzten? Erala hat berichtet, dass sie einen Gnom beinahe umgebracht haben.«
    »Beinahe? Bei Moradim. Sie haben es am Ende doch geschafft.« Baerfred tritt hinzu und sieht so aus, als würde er die Klerikerin für alles verantwortlich machen.
    »Das ist Baerfred Eisenarm aus Mithril-Halle«, stelle ich ihn vor. »Mein Name ist Roya Lialuce, aus Silbrigmond.«
    Sie neigt ihren Kopf: »Farial Imargen, Schülerin von St. Morgan dem Schweigsamen.«
    Mir sagt dieser Orden sogar etwas, da einer der Ordensmitglieder auch in Silbrigmond zu finden ist. Wie ich dem Halbzwerg ansehe, sagt es ihm aber nichts und zudem ist es ihm auch völlig egal.
    »Seit drei Tagen hetzen uns Deine Schützlinge durch die Berge. Ich könnte schwören, einige von denen sollten nicht mehr auf den Beinen sein, so hart, wie sie Emmetts Bumm-Rohr getroffen hat.«
    »Ich nehme an, Emmett ist der Gnom? Diese schlimmen Brandverletzungen stammen also von ihm?«
    Ihr Tonfall ist rügend, beinahe anklagend.
    Bevor Baerfred antworten kann, und ich sehe an der Art, wie seine Hand sich um den Kopf seiner Handaxt klammert genau, welcher Art seine Antwort ausfallen soll, unterbreche ich das aufkommende Streitgespräch: »Ist das jetzt nicht völlig unwichtig? Wir sollten wirklich nach dem Gnom sehen, jetzt sofort!«
    Als mich beide darauf anstarren, werde ich rot bis unter den Haarwurzeln. Gut, das hat jetzt vielleicht ein kleines Bisschen so geklungen, wie ich meine Klassen immer zur Ordnung rufe, wenn das Chaos sogar mir zu viel werden droht.
    Die Klerikerin ist die erste, die leise kichert. Der bärtige Bergläufer hustet in seinen Bart und erst dann bemerke ich, wie alle Gespräche an den Feuern verstummt sind und nun wieder einsetzen.
    Farial schaut zum Baerfred und hebt entschuldigend die Hände. »Ich fürchte, das klang unbeabsichtigt wie ein Vorwurf. Natürlich hab Ihr das Recht Euch zu verteidigen und meine Schützlinge hatten kein Recht Euch anzugreifen, auch wenn sie Gründe haben, von denen sie wenigstens glauben, dass sie gerecht sind.«
    Der Lederstrumpf brummt besänftigt. »Und ich habe mich schon gewundert, wie diese zerlumpten, stinkenden Halsabschneider an einen götterverfluchten Heiler gekommen sind, der sie so schnell wieder zusammenflickt.« Er spuckt zur Seite aus und macht sich auf den Weg zu Wagen.
    Die beinahe weißhaarige Klerikerin schaut mich fragend an.
    Ich hebe die Schultern: »So wie ich ihn kenne, hat er sich gerade mit seinen Ausdrücken noch vornehm zurückgehalten.
    »Ich bin von Zwergen eigentlich mehr Höflichkeit gewohnt, zumal von der Heldenhammer-Sippe.«
    Sie macht sich ebenfalls auf den Weg zum Wagen und ich folge natürlich.
    »Ich kenne ihn auch noch nicht lange, aber wenn ihr mich fragt, ist er in vielerlei Hinsicht nicht ganz so zwergisch, wie es auf den ersten Blick aussieht.«

    Als sie den Gnom im Wagen sieht und mit fachkundigen Bewegungen untersucht, wird ihre Miene dunkel. Ein leises Gebet, was offensichtlich nur eine kurze Zwiesprache zwischen ihr und ihrem Gott sein soll, ignoriere ich bewusst. Die meisten Menschen oder Zwerge haben keine Ahnung, wie scharf die Ohren von Elfenblütigen sind. Die elfisch stämmigen Bewohner Silbrigmonds haben sich daher angewöhnt, diskret wegzuhören, sollte es die Höflichkeit erfordern.
    Sie wendet sich an Baerfred: »Ihr habt Recht, Euer Freund ist in der Schattenwelt und bereits auf dem Weg zur Fugenebene, um von dort, so Kelemvor ihn für würdig hält, in Gronds Werkstatt der ewigen Wunder einzugehen.«
    »Könnt Ihr Ihn ins Leben zurückrufen?« Baerfreds tiefe Stimme ist fast ebenso leise, wie das Gebet der Klerikerin zuvor.
    Sie schüttelt den Kopf. »Nicht mit meinen Mitteln. Aber wenn ihr mir bringt, was es benötigt, kann ich Emmet in Zwischenzeit auf seiner Reise rufen und ihn bitten, noch eine Weile in der Schattenwelt auszuhalten, bis Ihr zurück seid und wir das Ritual durchführen können.«
    Der Halbzwerg schaut mich an: »Ich hab’s ja gesagt.«
    Ich seufze. Zum Glück erfordert die Natur meiner Mission keine Eile, im Gegenteil. »Und was soll das sein, was wir Euch bringen müssen?«
    Die Klerkerin überlegt einen Augenblick: »Du bist eine gelehrte Frau, also solltest Du wenigstens erkennen können, was eine Konstruktionszeichnung ist. Oder ein Herzstück eines seltenen Konstrukts, eine verloren gegangene Erfindung, oder einfach eine extrem feine Mechanik. Etwas in der Art ist nötig, um seine Seele zurückzurufen.«
    »Ich könnte so etwas in Silbrigmond kaufen?«
    Sie lächelt traurig. »So einfach geht das nicht. Nicht bei einem Kleriker Gronds. Ihr werdet schon irgendwo etwas Besonders auftreiben müssen, was man nicht gerade auf dem Markt kaufen kann.«
    Ich schaue ratlos. Vielleicht weiß Ria ja Rat? Oder Hainzen der Schmied, mein Nachbar?
    »Sundabar!« Der Halbzwerg spricht das eine Wort, als wäre das die Lösung:
    »Sundabar?«, echoe ich fragend. »Das sind doch nur noch Ruinen, in denen es so spukt, dass sogar die Orks abgezogen sind?«
    »Bei Moradims Bart. Was bringt man Euch Zauberern denn auf Euren Schulen bei? Unter Sundabar gibt es ganze Hallen, die immer noch Kunstwerke und Reichtümer der Sundabar-Zwerge enthalten. Es müsste mit Gruumsch zugehen, wenn wir dort nicht etwas finden, was meinen ungeschickten und völlig verrückten Partner zurückholt.«
    Farial zuckt etwas zusammen, als sie den Namen des brutalen einäugigen Ork-Gottes vernimmt, nickt aber dann zustimmend. »Aber Ihr habt nicht viel Zeit.«
    Ich werfe meine Hände in die Luft. »Das war ja so klar! Also, wie lange?«
    Sie lächelt mich mitfühlend an. »Ihr habt achtundzwanzig Tage. Am neunundzwanzigsten Morgen muss ich mit dem Ritus beginnen. Einen Tag später und ihr müsst schon einen Hohepriester der Gnome suchen, denn länger kann ich Emmetts Seele nicht am Weiterreisen hindern. Sie würde sonst in der Schattenwelt ernsthaft Schaden nehmen. Und eine Seele aus Gronds Paradies wieder ins Leben rufen, das vermag ich nicht.«
    »Gut. Ich breche sofort auf.« Schon will Baerfred aus dem Wagen steigen. Ich halte ihn auf:
    »Langsam. Wir sollten uns etwas ausruhen, Du lässt deine Wunden nochmal versorgen und morgen früh ziehen wir dann los.«
    Ich werde seltsam gemustert. »Das heißt, Du kommst mit, Handwedlerin?«
    »Äh, ja schon, wenn Du nichts dagegen hast, natürlich nur.«
    »Warum? Was bedeutet Dir mein nervtötender, ungeschickter Partner?«
    Wieder hebe ich die Schultern: »Nervtötender als Du, mit Deinem ewigen Brummen und Misstrauen? Das kann unmöglich sein. Allein um das zu überprüfen, helfe ich schon gerne.«
    Ich bekomme das erwartete Brummen zur Antwort.
    »Na, schön. Bei Morgengrauen. Und zieh gutes Schuhwerk an, ich warte nicht, schon gar nicht für verweichlichte Silbrigmonder mit wunden Füßen …«

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    Die Speisung der Räuber

    Eine kleine Weile gibt es noch Chaos. Durch einen kleinen Zaubertrick, der eine kalte Flamme von der Größe eines kleinen Lagerfeuers etwa einen Schritt über mir entstehen lässt, kommen schließlich alle zusammen, nachdem Mikla laut gerufen hat, dass es in Ordnung sei und keine Gefahr bestehe.
    Der zwergische Lederstrumpf sieht zwar so aus, als würde er nur zu gerne die Gelegenheit nutzen und allen zugleich die Rübe abschlagen, aber wegen Irkats Aufmerksamkeit, die ohnehin jeden, der mir oder dem Zwerg zu nahe kommt, ziemlich rüde abdrängt und es deshalb auch einige neue blauen Flecken gibt, ist er fürs Erste zufrieden. Zudem ist da noch der Gnom, von dem ich beim besten Willen nicht sagen kann, ob er schon fast tot oder beinahe noch am Leben ist, um den sich der harte Jäger mit rührender Sanftheit kümmert.
    Als sich alle endlich eingefunden haben, sehe ich wenigstens neun Verletzte unter den Räubern. Zwei davon halten sich die Brust und sehen aus, als ob sie einen meiner Feuerbälle aus nächster Nähe abbekommen hätten. Alle haben gemeinsam, dass sie weit eher armselig als gefährlich aussehen. Die meisten sind noch nicht einmal erwachsen und ihre Bewaffnung ist am ehesten als provisorisch zu beschreiben. Wenn das die Räuberbande sein soll, vor der man mich sogar in Silbrigmond gewarnt hat, bin ich doch ein wenig enttäuscht. Da hätte ich wenigstens einen Halbork mit Augenklappe, oder einen Tiefling mit glühenden Augen und Hörnern als Anführer erwartet.
    Aber wie es scheint, haben Mikla und Erala das Sagen, wobei ich eher auf Erala tippe, die auch zuerst das Wort ergreift: »Also Ihr seid diese Zauberin, die so gnädig sich herablässt und den unbedeutenden, wertlosen Leu …«
    Gerade als sie sich so weit gefasst hat und in Fahrt kommen will, taucht Tarik hinter ihr, scheinbar aus dem nichts auf und grollt, tief und hungrig. Die junge Frau macht einen Satz und wäre wohl schwer gestürzt, wenn Mikla sie nicht aufgefangen hätte.
    »Ich glaube, die Katze mag es nicht, wenn Du so mit ihrer Herrin sprichst«, meint er trocken, schiebt sich dennoch halb vor sie, um Tarik den Weg zu verstellen, falls dieser wirklich ernst machen sollte.
    Als ich in die Runde sehe, die vielen Verletzten und vor allem ausgezehrten Gestalten, erinnere ich mich an einen der Leitsätze von Ria. »Von Leuten, die hungern, darfst Du keine Höflichkeit erwarten. Anstand und Kultur haben ihren Sitz im Kopf, nicht im Magen.«
    Daher erhebe ich mich. »Was meint Ihr, schafft Ihr es noch bis zu meinem Wagen? Ich finde, wir sollten alle zuerst einmal etwas essen, bevor wir uns unterhalten.«
    Ich sehe, wie Mikla auf einmal seine Füße anstarrt. »Was ist, junger Mann? Gibt es ein Problem?«
    »Wir haben nichts zum Essen dabei, und selbst das im Lager ist zu wenig. Wir haben noch Kinder bei uns …«
    Entsetzt werfe ich die Hände in die Luft. »Na dann bringt sie auch mit. Und Ihr seid eingeladen, allesamt. Bringt nur Decken und Gefäße fürs Essen und Wasser mit. Ich glaube so viel Geschirr habe ich nicht im Wagen, damit jeder etwas abbekommt.«
    Die junge Frau an seiner Seite bekommt große Augen: »Ist das Euer Ernst. Ihr gebt uns allen zu essen. Allen?«
    Ich grinse schief: »Nein, nur den Kleinen, die Großen verfüttere ich an Irkat und Tarik, die haben doch auch Hunger!«
    Als ich die panischen Mienen der Leute sehe, tut mir mein kleiner Scherz auch schon leid.
    »Nein, natürlich bekommt jeder etwas zu essen. Ich lasse doch nicht die Einen hungrig den Anderen zuschauen, für was haltet ihr mich denn? Und meine beiden Katzen haben ihr eigenes Futter, keine Sorge. Ich bin aus Silbrigmond.« Ich versuche ein versöhnliches Lächeln. »Egal was Ihr über uns gehört habt, aber wir essen niemals die Leute, die wir zum Essen einladen.«
    Kurz kommt mir in den Sinn, dass man das auch falsch verstehen kann, aber ich habe mich auf meinen Stab gestützt und nehme ohne zu fragen das Gepäck des Zwergs, damit der seinen verletzten Partner tragen kann. Beinahe kullere ich den Hang hinab, weil ich im Leben nicht damit rechne, dass jemand so viel Gewicht, freiwillig mit sich herumträgt.
    »Holla, Vorsicht, Langbein. Das ist alles was ich besitze, was Du da trägst. Ich will es nicht aus einer tiefen Felsspalte herauszerren müssen.«
    Ich werfe dem Zwerg einen schiefen Blick zu.
    »Ja, und Dich auch nicht«, fügt er darauf brummelnd hinzu.

    Als wir eine Weile unterwegs sind, wird mir schließlich das Gepäck von einem stämmigen jungen Mann abgenommen. »Mikl sad i soll s für Ech tragn.«
    Überrascht öffne ich den Mund, aber bevor ich weiß, ob ich widersprechen, danken oder einfach fragen soll, was er überhaupt gesagt hat, ist er schon mit dem schweren Gepäck wieder in der Masse der anderen verschwunden, keine Ahnung, ob er nicht mit seiner Beute auf und davon ist. Ich sehe zwar ganz gut im Dunkeln, ein Teil meines Erbes, dennoch halte ich immer noch die große leuchtende Kugel über meinem Kopf in Gang, die uns allen den Weg beleuchtet. Anders ausgedrückt, außerhalb des Lichtscheins sehe ich gar nichts mehr.
    Ich verlasse mich einfach auf Tarik und Irkat, die ständig um die Gruppe herum sind und verhindern, dass jemand in einen Spalt stürzt oder immer dann kurz vor mir auftauchen, wenn ich im Zweifel bin, wie ich weiter gehen soll.
    »Hm hm, ich habe mich nicht vorgestellt. Baerfred, heiße ich. Vom Eisenarm-Clan, Teil der Heldenhammersippe.«
    Immer noch über die Größe des Zwergs erstaunt, es fehlt nicht viel, dann hielte man ihn eher für einen kleinen, aber sehr kompakt gebauten Menschen, nicke ich ihm zu:
    »Roya. Aus Silbrigmond. Und Du stammst aus Mithril-Halle?«
    Er mustert mich einen Moment mit diesem Blick, den ich sehr gut kenne. Es ist derselbe, den ich lange Jahre den Leuten zugeworfen habe, die ungestellte Frage, ob jemand ein Problem damit oder mit mir haben könnte.
    Als er sieht, dass ich einfach nur neugierig bin, öffnet sich seine Miene ein wenig.
    »Ja, meine Mutter ist eine Eisenarm.«
    Ich höre den ungesagten Satz so deutlich, als hätte er ihn gesagt: »… und frag mich nicht nach meinem Vater!«
    Also frage ich auch nicht.
    »Da wollte ich schon immer einmal hin.«
    Er brummt nur und ich sehe das Gespräch als beendet an. Der Weg durch die Nacht ist schwer genug.
    »Hältst Du es wirklich für eine gute Idee, die ganze flohverseuchte Bande auch noch zu verköstigen? Das sind immerhin alles verlauste Strolche, die wahrscheinlich meinen Freund auf dem Gewissen haben. Ich will nicht undankbar sein, bin sogar sehr froh über Deine Hilfe, aber wenn diese zeckenversuchten, ungewaschenen …«
    »Ja, ich verstehe Deinen Standpunkt, Baerfred«, unterbreche ich ihn schnell, bevor er so richtig loslegt, die letzte Kostprobe noch überdeutlich in den Ohren. »Aber selbst Du hast inzwischen wohl gemerkt, dass das keine Banditen aus Überzeugung sind, davon einmal abgesehen, dass sie auch kein Talent dafür haben.«
    »Wie meinst Du das?«
    »Sieh es mal so. Gehe ich Recht in der Annahme, dass die meisten ihrer Verletzungen von Dir stammen?«
    Er grinst zufrieden, was mir Antwort genug ist.
    »Sie sind also total in der Überzahl, kennen das Gebiet und trotzdem habe ich den Eindruck, die brauchen weit eher meine Hilfe, als Du? Und dann riskieren sie Leib und Leben, um Dir ein paar Felle abzunehmen? Oder trägst Du etwa einen Schatz in Deinem Rucksack herum?«
    »Nee. Fallen und solches Zeug. Was ich wirklich an Schätzen besitze, zumindest, was diese Narren dafür halten könnten, ist sicher in Mithril-Halle. Da kommen zehntausend Orks nicht dran, schon gar nicht ein Dutzend zerlumpte Halsabschneider, wie die hier.«
    »Beweisführung abgeschlossen.«
    Der Zwerg mustert mich seltsam.
    »Vertrau mir einfach. Da steckt mehr dahinter, als wir bis jetzt sehen. Aber hungrige, geschlagene Amateur-Räuber reden weitaus eher, wenn sie satt und an einem Feuer in eine warme Decke gewickelt sind.«
    Leise füge ich hinzu: »Außerdem kann ich Deinem Freund am Wagen besser helfen, falls ich ihm helfen kann.«
    Er nickt, brummelt aber auch. »Ich an Deiner Stelle hätte sie ja in Asche verwandelt, so wie Du es gesagt hast.«
    »Äh, ja. Was diesen speziellen Punkt betrifft, bin ich nicht so scharf darauf, meinen Ankündigungen Taten folgen lassen zu müssen …«
    Der nächste Blick ist länger. Zuerst verwirrt, dann nachdenklich und schließlich verstehend.
    »Du hast Sie verarscht, bei Moradim. Und sie sind Dir allesamt auf den Leim gekrochen, sogar ich.«
    Ich bin froh, dass er ebenfalls leise gesprochen hat, den freundschaftlich gemeinten Stoß in meine Rippen, der mich nach Luft schnappen lässt, nehme ich daher ohne Protest hin. Den habe ich wohl verdient.

    Eine Stunde Fußmarsch, der eher als Kletterei und Rutschen über unsichtbares Geröll bezeichnet werden muss, und ich bin ziemlich fertig mit den Nerven und am Rande meiner körperlichen Kräfte. Endlich taucht der Pass auf und es geht deutlich leichter weiter.
    »Halt, wartet kurz.« Es ist Mikla.
    »Erela geht zum unserem Unterschlupf und holt die Anderen. Steht Euer Angebot noch, Zauberin?«
    »Aber sicher. Wie viele werden denn noch dazu kommen?«
    »Etwa«, ich sehe wie er mit den Fingern halblaut zählt, »Eins und Fünfzig.«
    »Einundfünfzig?!« Ich falle beinahe auf meinen Hintern, als ich vor Schreck nicht mehr auf den Weg achte.
    »Fünfundeinzig?« Es ist mehr eine Frage als eine Antwort.
    »Dreimal eine ganze Hand an Fingern abgezählt«, erklärt er endlich und ich atme erleichtert auf.
    »Ja, Fünfzehn, meinst Du.« Ich lächle. »Keine Sorge, ich glaube, dann reicht es für alle.«

    Bei meinem Wagen angekommen, legen wir zuerst den Gnom in das Bett meines Wagens. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob er noch lebt, Baerfred genauso wenig. Dann bitte ich den Zwerg mir behilflich zu sein und gemeinsam strecken wir die Fässer und Kisten mit Essen ins Freie, die von vielen Armen allzu gerne in Empfang genommen werden. Sogar für Verbandszeug und Wundsalben hat Ria gesorgt. Wenn ich wieder in Silbrigmond bin, das schwöre ich mir, bekommt sie jeden Tag ihre Bananen, und wenn ich dafür Überstunden im College ableisten muss.
    »Sucht Holz und macht Haufen für Feuer. Ich entzünde sie nachher. Und sucht schon einmal heraus, was man sofort essen kann und legt los, während wir auf die anderen warten.«
    Während die einen schon begeistert die Vorräte öffnen und sich zum Teil verwundert fragen, was für eine Frucht dieses gelbe, gebogene Ding wohl sein könnte, fangen andere schon an, sich heimlich ein paar der Nahrungsmittel unter die Hemden zu stopfen. Der Zwerg und ich tauschen einen langen Blick, als wir das sehen. Silbrigmond und Mithrill-Halle mögen nicht sehr viel gemeinsam haben, aber sowohl unsere Fürstin, als auch der König der Halle, würden es als persönliches Versagen ansehen, wenn ihre Untertanen nicht genug zu essen hätten, sodass sie sogar bei einem Gastmahl sich genötigt sehen würden, Essen zu stehlen.
    Ich kümmere mich um die Verletzungen. Die schlimmsten sind eindeutig Pfeilwunden bis auf zwei, die haben diese schweren Verbrennungen. Ich frage mich nach wie vor, wie sie sich diese zugezogen haben. Nach einer guten Stunde bin ich immer noch zu Gange, zum Glück erweist sich Mikla als noch geschickter als ich und weiß nach einigen Minuten Zuschauen genau, wo er wie einen Verband anlegen muss. »Ein echtes Naturtalent!«, lobe ich ihn erfreut.
    Er winkt verlegen ab. »Mutter Farial meint das auch immer.«
    Ich schaue fragend, aber er gibt vor es nicht zu bemerken, weil er mit einem Jungen, bestimmt keine Fünfzehn, beschäftigt ist, dessen Oberschenkelwunde zu säubern.
    Als ich sehe, dass Mikla die Restlichen mindestens so gut versorgen kann wie ich, gehe ich zu den sechs Holzhaufen und entzünde sie. Ich gebe ebenfalls vor, die scheuen Blicke nicht zu bemerken, mit denen die jungen Leute das beobachten. Vielmehr gebe ich mein Bestes so zu tun, als wäre es das Normalste auf der Welt.

    Es ist erstaunlich, wie schnell sich eine Stimmung hebt, wenn die Gäste eine warme Mahlzeit in die Bäuche bekommen. Waren die Meisten zu Beginn noch misstrauisch, sogar ängstlich, kann ich nun vereinzelte Gespräche hören und manchmal wird sogar gelacht.
    Tarik und Irkat sitzen wie Statuen an strategisch günstigen Punkten und überwachen das Ganze, was mir nicht zuletzt die Sicherheit gibt, mich so entspannt unter den Jungbanditen zu bewegen, als wäre ich hier in meinem Wohnzimmer und das eine große Feier mit der versammelten Verwandtschaft.
    Als ich endlich selbst dazu komme, mir einen heißen Apfel zu gönnen, setzt sich Baerfred zu mir, seine Miene ist steinern und seine Augen hart, nur mühsam gezügelte Wut schwelt in ihnen knapp unter der Oberfläche.
    »Zauberin. Ich glaube, Emmett ist gerade zu seinem Grond gerufen worden.«
    Ich nicke langsam. Grond, der Gott der Erfinder, einer der Hauptgötter der Gnome, sagt mir natürlich etwas. Wenn ich an das seltsam verkohlte Rohr denke, welches der Zwerg so behutsam neben den Gnom gelegt hat, als wäre es das Lieblingsschwert eines Ritters, an die verkohlte seltsame Lederkluft und den Schwefelgeruch, der an dem kleinen Mann zu kleben scheint, kommt mir eine Vermutung, woher das Donnern in den Bergen und die mysteriösen Brandwunden gekommen sind.
    »Ich teile Deinen Schmerz, Baerfred. Aber so sein Gott es will, kann man ihn wiederbeleben. Man benötigt nur einen hochrangigen Kleriker, der das in die Wege leitet.«
    Der Halbzwerg schüttelt den Kopf. »Ich könnte ihn nach Mihtril-Halle bringen, aber der verfluchte Weg ist zu weit. Es dürfen nicht mehr als fünf verdammte Tage vergangen sein. Sonst muss es ein beschissener Priester des Grond sein und ich habe keine Scheiß-Ahnung, wo einer zu finden ist. Ihr etwa?«
    Ich schüttle bedauernd der Kopf. Vielleicht in Silbrigmond, aber ich meine, davon hätte ich gehört.
    »Außerdem ist es nicht so einfach. Um die Wiederbelebung einzuleiten, benötigt es etwas von Wert.«
    »Nun, es gibt das Falkennest, nicht weit von hier. Ich bin mir sicher der Kleriker dort hilft uns unentgeltlich, wenn ich ihn bitte.«
    Er mustert mich eine Weile. »Ihr seid keine ver … normale Zauberin, das ist mal sicher. Aber das ist nicht der Punkt. Es ist der verfluchte Vorgang der beschissenen Wiederbelebung, der das erfordert. Am besten etwas, das für den Toten von großem Wert wäre.«
    Nachdenklich runzle ich die Stirn. »Wie wäre es mit dem Rohr?«
    Er lacht, es ist ein bitteres Lachen. »Wenn es so einfach wäre! Emmett ist Erfinder, kein Waffenschmied. Sein Donnerrohr war eine nützliche Waffe, aber sie hat ihm eigentlich nichts bedeutet. Dieser talentlose, kleine Scheißer ist im Grund seines Herzens ein Pazifist. Man stelle sich das mal vor! Kann Waffen bauen, die einen brennende Scheiße spuckenden Drachen in Stück reißen können, will es aber nicht. Und dann wird er verrückt davon, weil ihn die dreimal verfluchten Drow gezwungen haben, es doch zu machen, um seine Stadt zu beschützen.«
    So ganz verstehe ich zwar nicht, was der Halbzwerg mir sagen will, doch bevor ich fragen kann, höre ich viele Stimmen näherkommen.
    »Wir reden später nochmal darüber, ja?«
    Der Blick des Zwergs jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
    »Emmett wird sich kaum beschweren können, oder?«

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    Unter Banditen

    Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich reflexartig einen nützlichen Zauber auspacke, aber sekundenlang stehe ich wie gebannt da. Erst als ich einen Schritt nach vorne mache und beinahe über ein dickes Metallrohr stolpere, schüttle ich meine Benommenheit ab.
    Wie durch dicken Nebel, höre ich zahlreiche aufgeregte Stimmen. Nein, aufgeregt trifft es nicht ganz. Wütendes Geheul beschreibt es besser.
    Noch bevor ich weiß, wie mir geschieht, werde ich von zwei Steinen getroffen, hebe instinktiv meine Arme vors Gesicht und werde dann von Tarik umgerissen.
    Ich höre, wie der große Kater immer wieder getroffen wird und zuerst knurrt, dann aber zu jaulen beginnt.
    Da endlich beginnt mein Verstand wieder seine Arbeit und mir fallen diverse Möglichkeiten ein.

    Feuerball? Ja, immer eine Idee. Nur sollte man wissen wohin damit, wen genau man treffen will und ob die sekundären Schäden einen nicht selbst umbringen. Außerdem habe ich den gar nicht vorbereitet. Bei meiner Verfassung solch einen machtvollen Zauber der Vernichtung quasi aus der Hüfte zu feuern – lieber nicht.
    Unsichtbarkeit! Wäre eine Möglichkeit, aber da wir ohnehin außerhalb jeder Sichtlinie zwischen Felsen liegen und trotzdem getroffen werden, vermutlich sinnlos.
    Dämmerung? Ja, Dämmerung. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, würde ich über die Idee breit grinsen.
    Eigentlich ist dieser Zauber gar nicht in meinem Repertoire und so ziemlich an der Grenze dessen, was ich mir ohne lange Wochen oder Monate des Übens zutraue. Aber in Mellisandes Zauberbuch war die Matrix vorhanden, so kurz und elegant, dass ich mir den Zauber, einfach schon aus purer Neugierde, in jenem Teil des Gedächtnisses eingeprägt habe, den ich jahrelang für das Bereithalten eines Zaubers vorbereitet und trainiert habe.
    Dämmerung ist zudem ein nicht völlig zutreffender Name, aber auch nicht völlig abwegig.
    Ich schließe einen Moment die Augen und lasse den Zauber in meinen Gedanken die letzte nötige Verknüpfung zum magischen Netz herstellen. Dann schiebe ich Tarik vorsichtig von mir hinunter, so sanft es eben bei einer Großkatze möglich ist, die wenigstens das Doppelte von mir wiegt. Wie von selbst finden meine Finger den Sonnenanhänger in meiner Zauberkramtasche und umklammern ihn, während ich mich aufrichte, zwei weitere Treffer, zum Glück recht harmlose, dabei ignorierend.
    »Tarik, Irkat, Augen zu.« Sage ich leise und hoffe, die beiden Katzen verstehen mich.

    »Luz del día, alzati. Brilas pli brila ol la suno«
    [Licht des Tages, erhebe Dich. Strahle heller als die Sonne]


    Dann ziehe ich den Anhänger hervor und von ihm ausgehend erstrahlt ein Licht, so hell wie eine Sommersonne zur Mittagszeit, die von hunderten Spiegeln in alle Richtungen reflektiert wird.
    Das Licht pulsiert, wird mal etwas schwächer, mal sogar stärker, aber nie schwach genug, dass man die Augen öffnen kann, ohne geblendet zu werden. In Mellis Buch stand, die Wirkung würde etwa eine Minute anhalten und kann zu schwerem Sonnenbrand und Erblindung führen, oder zum plötzlichen Feuertod, wenn man etwa ein Vampir ist. Tatsächlich ist der Zauber eigentlich zur Abwehr von lichtscheuen Monstern und Untoten gedacht, aber auf die kann ich ja gerade schlecht warten.
    Ich fühle, wie der Zauber meinem Gedächtnis Stück um Stück entgleitet und ich ihn mir erneut einprägen muss, sollte ich ihn wieder nutzen wollen.
    Im Zentrum des Lichts bin ich gegen die Blendwirkung und die Einstrahlung immun, kann daher in aller Ruhe einmal betrachten, wer und was hier gerade los ist.

    Wenigstens ein Dutzend Leute sehe ich, alles Menschen, oder zumindest keine Vollelfen oder Zwerge. Auch keine Orks, wie ich erleichtert zur Kenntnis nehme. Die meisten haben sich von mir abgewandt und ihre Waffen, Schleudern oder Steine als Wurfgeschosse, fallen gelassen und schützen ihre Augen mit den Händen. Sie taumeln umher, einige liegen schon oder rutschen gerade auf dem Geröll aus. Von jungen Leuten bis älteren Erwachsenen reicht die Spanne des Alters, aber kein Einziger scheint mir älter als dreißig. Das ist schon seltsam.
    Zu meinen Füßen liegt ein riesiger Zwerg, mit Sicherheit der größte, den ich je gesehen habe, zudem ziemlich ungewohnt in Leder gekleidet. Halb von Geröll verdeckt sehe ich die leblose Gestalt eines Gnoms. Auch der trägt Leder, wenngleich es merkwürdige schwarze Flecken überall aufweist.
    Als ich die frischen Felle entdecke, die bei der Ausrüstung der Beiden zusammengerollt und fest verschnürt liegen, schließe ich messerscharf: Jäger und/oder Fallensteller.
    Ich bediene mich eines weiteren Zaubertricks, keine große Sache, einfach ein Trick, den jeder Magielehrende in größeren Hörsälen sehr schnell beherrscht. Meine Stimme wird nicht wirklich lauter, aber sie wird vervielfacht, indem sie aus allen Richtungen zugleich zu kommen scheint.
    »Was, bei allen guten Göttern, glaubt ihr eigentlich, was Ihr da gerade macht?«
    Ich mache eine Kunstpause, bis ich mir der Aufmerksamkeit der Umstehenden gewiss bin. Einige, vermutlich nicht gerade die Klügsten unter ihnen, schauen instinktiv in meine Richtung und werden natürlich erneut geblendet. Seufzend unterdrücke ich, schon aus Gewohnheit, ein Augenrollen. Falls mich doch jemand sieht, soll er nicht denken, ich würde diese Sache hier nicht ernst nehmen.
    »Diese zwei Herren sind offensichtlich keine reichen Leute, ich wage sogar zu sagen, sie sind nicht einmal wohlhabend. Was könnten die bei sich tragen, was für Banditen von Wert ist?! Oder seid ihr einfache Mordgesellen, die alles umbringen, nur weil sie es können? Sagt mir nur ein Wort, denn ich bin willens und fähig, hier jeden Einzelnen in einen Haufen Staub und Asche zu verwandeln!«

    Gut, ich bin mir gar nicht sicher, ob ich dazu fähig bin, aber willens bin ich schon mal gar nicht, das ist auf jeden Fall sicher. Der Trick soll ja auch sein, dass die Räuberbande sich dessen sicher ist und wenn ich mir so die hängenden Schultern ansehe, geht mein Plan auf.
    Plötzlich höre ich Irkat hinter mir brüllen und fahre herum.
    Da hat sich doch tatsächlich einer der ganz harten Banditen, eine Frau natürlich, wie kann es anders sein, mit dem Arm halb vorm Gesicht, in meinen Rücken geschlichen. In der Rechten hält sie einen Speer, bereit ihn nach mir zu werfen. Nunja, ich bezeichne das krumme, teilweise nicht einmal ganz von Rinde befreiten Stück Holz mit feuergehärteter Spitze einmal großzügig so. Auch so ein Ding will man nicht mit voller Wucht zwischen die Schulterblätter bekommen.
    Meine Schattenkatze duckt sich zum Sprung. Die tapfere, sehr verdreckte, aber auch sehr junge Frau, sieht aber nur mich und nicht die zweihundert Stein Tod und Verderben, die sich gleich auf sie stürzen.

    »Bitte nicht! Zauberin, bitte halte Deine Katze zurück. Erala, bleib stehen, lass den Speer fallen!«

    Die junge Frau hält inne und schaut über ihre Schulter zurück. Dort nähert sich, das Gesicht abgewandt, aber mit erhobenen Händen, ein junger Mann, den ich kenne. Der seltsame Knecht aus Khelb.
    »Mikla, bist Du das?«
    Der junge Mann seufzt erleichtert, als Irkat zwar immer noch bereit ist, aber ihren Sprung verzögert.
    »Ja, ich bin es, Zauberin. Erala, jetzt lass endlich den blöden Stock fallen. Siehst Du denn nicht die große Schattenkatze da vor Dir? Die Zauberin befehligt sie.«
    Die junge Frau, schätzungsweise im selben Alter wie Mikla, öffnet ihren Mund, schließt ihn dann wieder und wirft, mehr wütend als geschlagen, ihre Waffe weg.
    Dann dreht sie sich zu dem Knecht um, mich und Irkat vollkommen ignorierend.
    »Ich hätte sie gehabt. Das wäre den Blaublütern eine Lehre gewesen. Wenn eine Zauberin umkommt, würden sie Truppen schicken, jede Wette!«
    Das Gleißen meines Anhängers verliert nun zusehends an Kraft. Ich fühle auch die letzten Reste des Zaubers aus meinem Gedächtnis entschwinden. Für einen Moment muss ich gegen die Panik ankämpfen, die jeden Magier überkommt, wenn so ein machtvoller Zauber aus der Erinnerung getilgt wird, als hätte man ihn nie gelernt. Die Furcht, noch andere wichtige Dinge dabei zu vergessen, schwingt immer mit, ganz egal wie erfahren und abgebrüht man ist – denke ich jedenfalls.

    Irkats ungläubiger Blick in meine Richtung bringt mich jedoch schnell auf andere Gedanken. Ich kann sie verstehen. Auch ich bin mir nicht sicher, ob die junge Frau sehr mutig oder sehr leichtsinnig ist, einer Zauberin und einer aggressiven Großkatze einfach den Rücken zuzudrehen.
    Ich zucke ratlos die Schulter und vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, aber ich glaube, dass auch die Schattenkatze eine Art Schulterzucken zuwege bringt.

    »Das ist die Zauberin, von der ich Euch erzählt habe. Sie hat dem Bauern geholfen und sie wird auch uns helfen!«
    Oh, werde ich das? Schön, vermutlich ja, wenn ich kann, aber ich will doch wenigstens gefragt werden. Irgendwo hat man doch auch seinen Magierstolz.

    »Unmöglich!« Die Frau schüttelt wild ihren Kopf. Kleine Äste und anderer Dreck, ich beschließe, dass ich das gar nicht so genau wissen will, spritzt aus ihrem Haar in alle Richtungen davon.
    »Wir haben sie doch, vom Posten aus, am Rastplatz lagern sehen. Sie kann unmöglich so schnell hergekommen sein.«
    »Nun, was das betrifft«, schalte ich mich ins Gespräch ein, bevor ich völlig zur Statistin degradiert werde, »ich habe da zwei Schattenkatzen, die kennen da schnellere Wege als man denkt. Achso, eine davon ist gerade mächtig sauer, weil Ihr sie beschossen habt. Und wo wir dabei sind, ich auch.«
    Für einen Augenblick glaube ich doch tatsächlich, die Gesprächsführung wieder an mich gerissen zu haben.

    »Ha, Schattenkatzen? So nennt man die Kleinen hier im Norden. Das sind echte Schattenlöwen aus dem Süden und noch nicht einmal ausgewachsen, oder ich will nicht Baerfred Eisenarm heißen, bei Moradim!«
    Der hünenhafte Zwerg ist aufgestanden und tritt nun neben mich, ein Messer in der Faust, das ich, ohne zu Zögern, als nur leicht zu kurz geratenes Breitschwert einschätze.
    »Und nun zu Euch, ihr Würmer fressenden, Ogerschwänze lutschenden …«

    Und ich dachte wirklich, ich wäre aus dem Alter heraus, wegen unflätiger Ausdrucksweise noch rot anlaufen zu können!

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    Ich suche das Licht (leichte Neuinterpretation eines Klassikers)

    Ich wandere schon lange, mit nur wenig Hoffnung im Herzen.
    So verloren in der Nacht, ohne auch nur ein Zeichen von dir.
    Die ganze Zeit so einsam und verlassen.
    Ich suche das Licht!

    Bin kurz davor abzustürzen, hänge an meinen Fingerspitzen.
    Ich poltere und stolpere durch Rosen und Dornen
    Das warnende Zeichen kann ich nicht sehen.
    Ich suche das Licht!

    Oh, auch die dunkle Wolke über mir, die sehe ich nicht.
    Und als der Regen auf mich prasselt, ertrinke ich fast.
    Ich habe ja keine Ahnung, in welchem Mist ich stecke.

    Meine Schuhe sind schon abgenutzt, vom Wandern auf diesem einsamen Weg.
    Nichts Neues in Sicht, aber ich fühle etwas kommen,
    und ich habe ein ganz mieses Gefühl.
    Dennoch, ich suche das Licht!

    Meine Hände sind gebunden und ich inmitten von Narren und Toren,
    doch ich glaubte das Schlimmste läge hinter mir.
    Nun sehe ich erst, in was für einem Mist ich stecke.

    Meine Schuhe sind schon abgenutzt, vom Wandern auf diesem einsamen Weg.
    Nichts Neues in Sicht, aber ich fühle etwas kommen,
    und ich habe ein ganz mieses Gefühl.
    Dennoch, ich suche das Licht!

    Doch nun sehe ich Selune wieder über mir. Ich schaue nicht zurück.
    Alle Wünsche werden wahr, genauso, wie es sein soll.
    Nichts kann mich jetzt noch aufhalten,
    denn ich suche das Licht.

    Ich suche das Licht.
    Ich suche das Licht.

    In den Schatten

    Plötzlich ist Tarik hellwach und ich schrecke ebenfalls aus meinem Dösen auf.
    Gemeinsam schauen wir uns um, aber da ist nur die Nacht, Fenne, die ebenfalls mit hängendem Kopf vor sich hin döst und das Feuer, was kurz vor dem Verlöschen steht. Automatisch lege ich die restlichen Zweige nach, denn jetzt, wo die Hitze des Tages aus den Steinen weicht, wird es merklich kühler und man merkt nun doch die Höhenmeter, die ich in den letzten Stunden zurückgelegt habe.
    Doch obwohl mir nichts auffällt, was die erhöhte Alarmbereitschaft meines etwas größeren Katers erfordern sollte, vertraue ich seinen Instinkten.
    Woran es genau liegt, kann ich selbst nicht sagen, aber in genau diesem Moment weiß ich, ohne jeden Zweifel, dass Irkat genau zwischen den Felsen neben meinem Wagen auftauchen wird.
    Zeitgleich mit Tarik schaue ich genau dorthin und richtig, mit einem gewaltigen Satz kommt die große Katze aus dem eigentlich viel zu kleinen Schatten, den der Mond zwischen die Steine wirft.
    Irkats Muskeln zittern und sie hechelt schwer, ein deutlicheres Zeichen, wie schnell sie gerade unterwegs war, brauche ich gar nicht.
    Tarik geht flehmend auf seine Schwester zu, ihre Blicke treffen sich und der Kontakt hält mehrere Herzschläge an, bis der Kater sich zu mir umdreht und dieses fast lautlose Fauchen ausstößt, was ich schon von seiner Schwester kenne.
    »Komme gleich, ich will nur meinen Stab mitnehmen um …«, ich verstumme, als mir klar wird, dass eine Gefahr, mit der meine beiden Katzen nicht fertig werden, von denen zumindest Irkat bereits die Schulterhöhe von Fenne hat, auch vor meinem Stab nicht die Flucht ergreifen wird. Aber besser man hat einen Stab und braucht keinen, als benötigt ihn und entbehrt seiner.
    »Gut, wer geht voran?«
    Kommentarlos – keine Ahnung, warum ich das halb und halb bei ihr erwarte – dreht sich die größere Katze um und hält wieder auf den Schatten zwischen den Steinen zu.
    »Äh … halt, Irkat. Ich glaube nicht dass ich das …« Ein freundschaftlicher Schubs, Tarik drückt einfach seinen Schädel gegen meinen Rücken, und ich setze mich, mehr oder weniger freiwillig, wieder freiwillig in Bewegung.
    Als wir den Schatten bei den Felsen erreichen, ist Irkat bereits darin eingetaucht, als wäre er ein Wasserfall. »Leute, ich glaube immer noch nicht …«
    Wieder werde ich gestoßen, diesmal kräftiger und gerate ins Stolpern. Schon strecke ich meinen Arm aus, will mich am Felsen abfangen, doch ich greife ins Leere und taumle nach vorne, immer weiter angeschoben vom Schattenkater.
    Die Welt in die ich nun eintauche, erwischt mich wie ein Sturz ins Eiswasser.
    Alle Farben um mich herum sind mit einem mal verschwunden. Selunes Rundschild ist verschwunden. Nicht einfach verdeckt, oder untergangen, nein verschwunden, wie in nicht da oder niemals dagewesen. Selunes ganze Präsenz in dieser Welt existiert einfach nicht. Überall herrschen Farbtöne von grau, wobei die dunklen Grautöne bei Weitem überwiegen.
    Die Landschaft ist voller Schatten, die sich allesamt zu bewegen scheinen, jedoch ist es kaum zu fassen, woher sie kommen, immerhin ist das diffuse Licht nichtgeeignet solche Schatten hervorzubringen. Instinktiv will ich eine magische Leuchtquelle erschaffen, doch noch bevor ich die erste Silbe zu diesem Zauber hervorbringe, fühle ich diese Leere.
    Das mystische Netz, Mystras Geschenk an die Welt der Lebenden, es existiert hier nicht. Was ich jedoch deutlich fühle, sind die negativen Energien und die Magie der Schatten.
    Betäubt falle ich auf die Knie.
    Ich weiß ganz genau, wo ich bin, obwohl ich noch nie hier war und ganz gewiss nie hier landen wollte.
    Das hier ist Schattensaum, Shadowfell, die Schattenebene oder einfach die Schatten. Es ist nicht nur einfach eine eigene Ebene, sie ist auch der Übergang für die Toten, die in die Fugen-Ebene wandern, um dort das Urteil über ihre weitere Existenz entgegennehmen. Schattensaum wurde von der böse Göttin Shar einst als Ersatz für Mystras Netz geschaffen hatte, als sie die Göttin der Magie vermeintlich umgebracht hatte und das Netz sich auflöste. Für eine ganze Weile schien es auch so, als ob nur noch Shars Anhänger Magie wirken könnten, doch auch wenn die bösen Götter mitunter gewaltige Siege erringen, schlafen die guten Mächte auch nicht und Mystras Netz wurde erneut aufgespannt.
    Ich fühle wie Verzweiflung sich in mein Herz schleicht. Hier hat es keinen Horizont, die Geräusche klingen allesamt wie Teil einer Symphonie der Trostlosigkeit, die Luft schmeckt schal und etwas zieht mit jedem Atemzug die lebendige Energie aus mir. Mir ist eiskalt, bis tief in die Knochen, obwohl ich gar keine Temperatur auf der Haut fühle,weder warm noch kalt.
    Die beiden Schattenkatzen scheinen von meiner heftigen Reaktion verwirrt. Sie sind vermutlich gegen die negativen Einflüsse dieser Zwischenebene immun. Tarik stößt mich besorgt an, Irkat knurrt sogar unwillig und sieht sich alarmiert um.
    Mich schwer auf den Kater stützend, komme ich wieder auf die Beine. Ich mache ein paar Schritte und ganz langsam, mich weiterhin an seinem Rücken festhaltend, gelingt es mir einen halbwegs sicheren Stand zu erhalten.
    Da höre ich Irkat laut brüllen, nie hätte ich gedacht, dass sie das kann. Ich wette, sonst wäre ich vor Schreck zusammengefahren, aber selbst der Schrecken ist in Shadowfell stumpf und kaum geeignet den Körper wie vorgesehen, in Kampfbereitschaft zu versetzen.
    Eine Handvoll Gestalten taucht aus einer Schlucht auf, die unmittelbar in den Pfad mündet, den wir gerade gehen, von dem ich aber ohnehin kaum etwas mitbekomme. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, überhaupt ein Bein vor das andere zu setzen.
    Irkat brüllt noch einmal und ihr Bruder stimmt ein. Ihr gemeinsamer Ruf zum Kampf schafft es endlich, auch mich aus meiner Lethargie zu reißen.
    »Herrin Selune, steh mir bei!« Ich bete, obwohl ich sie so weit entfernt fühle, wie nie zuvor.
    Unerwartet beginnt der Stab aus weißem Holz in meiner Faust zu strahlen. Pures Mondlicht dringt zwischen den Bändern hervor, normalerweise ein sanftes, beruhigendes Licht, in dieser Schattenwelt ist es vielmehr ein Gleißen, vor dem die Dunkelheit in Panik zurückweicht.
    Ich erkenne die Wesen, die sich meinen pelzigen Gefährten zum Kampf stellen wollten, nun aber zurückprallen, als wären sie vor eine unsichtbare Wand gelaufen.
    Die meisten von ihnen gehören zu den Untoten, wie ich an dem Zustand ihrer Körper sehe, aber ein paar sind auch noch atmende Wesen, deren Haut jedoch blass und farblos geworden ist, wie alles, was sich länger in dieser Schattenebene aufhält. Auch die Lebenden haben diesen düsteren Glanz in den Augen, diesen Hunger auf alles Lebende, oder vielmehr die Energie des Lebendigen. Ich sehe an den Rändern meines Gesichtsfeldes auch Geister und Spuks herumstreifen, die Seelen Verstorbener, die aus den verschiedensten Gründen eine Existenz hier, dem Urteil der Götter in der Fugenebene vorziehen.
    Eines weiß ich sicher. Außer Irkat und Tarik, habe ich in diesen Landen keinen einzigen Verbündeten. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass ich niemand, der sich hier freiwillig länger aufhält, als Verbündeten haben will.
    Die Furcht der Gegner spornt mich an. Ich habe zwar nicht Mystras Magie zur Verfügung, allerdings gibt es da etwas in mir, was nicht von der Göttin der Magie kommt. Langsam lasse ich den Zorn in mir aufsteigen. Die Wut auf die Geschöpfe Shars, die das Leben verhöhnen, den Grimm, dass es der bösen Zwillingsschwester meiner Gottheit gelungen ist, diese Abscheulichkeit zu erschaffen. Und meine Glut entflammt erneut. Doch diesmal halte ich nichts zurück.
    Die Welt um mich versinkt in dem tiefen, dunklen Rot eines Vulkanfeuers und außer Schatten, die in einer Feuersbrunst in sich zusammenfallen, kann ich überhaupt nichts mehr erkennen.
    Erschrocken kommen mir die Schattenkatzen in den Sinn. »Nicht meine Katzen! Oh, bitte nicht die beiden!«

    Eine sehr lange und verdammt raue Zunge schleckt mir übers Gesicht und ich komme wieder zu mir.
    Tarik sitzt neben mir und ich sehe den Schatten einer weiteren großen Katze über mich fallen. Selunes Schild beleuchtet das mich umgebende Geröllfeld so deutlich, als läge es in voller Sonne.
    »Selunes Schild!«
    Erleichtert atme ich auf. Wieder zurück aus Schattensaum! Ich muss während des Feuersturms die Besinnung verloren haben, gar nicht so verwunderlich, bei der Kraft die mein Geist kanalisieren musste.
    Wie meine beiden Katzenkameraden es geschafft haben, sich und mich herauszuholen, ist mir ein Rätsel, aber im Moment auch gleichgültig. Tariks Sommerfell sieht ein wenig angesengt aus, aber sonst fehlt ihm offenbar nichts. Als ich mich aufrichte, höre ich jemand mit tiefer Stimme, keine zwei Schritt hinter mir, brüllen:
    »NOCH.NICHT.TOT.«

    Gerade will ich ihm, zumindest im Geiste zustimmen, als ein gewaltiger Knall meine Ohren zum Klingeln bringen, und ich kann überhaupt nichts mehr hören, außer einem sehr hohen Pfeifen.

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    Baerfred und Emmett, Teil III

    Der Halbzwerg spart sich jedes Wort, denn der Gnom brabbelt zwar vor sich hin, aber es ist Fieberwahn: »Toill, Toill. Co osch, ahjai, co osch« - Feuer, Feuer, so heiß, ohweh, so heiß.
    Das Gnomisch ist zwar nur sehr weitläufig mit dem Zwergischen verwandt, aber das versteht sogar Baerfred ohne Mühe. Nicht einmal ein Kommentar dazu, dass der Gnom im Delirium offenbar normal sprechen kann, kommt dem besorgten Bergläufer in den Sinn.
    Immer wieder hält er seinem Partner den Mund zu, wenn der gar zu laut wird in seinem Wahn. Aber es ist eine halbherzige Geste. Die Nacht ist still und trägt die Geräusche weit. Falls die Räuber in der Nähe sind, und daran zweifelt der Halbzwerg keine Sekunde, haben sie seinen Standort längst in Erfahrung gebracht. Also nimmt er den letzten Rest seines Wassers, flößt dem Gnom einen Schluck ein und tränkt das Halstuch, was als Lappen zum Kühlen der heißen Stirn des Fiebrigen herhalten muss.

    So entgehen ihm auch die funkelnden Augen, die ihn aus dem Schatten zweier naher, großer Findlinge beobachten. Irkat, die Besitzerin dieser Augen betrachtet den Halbzwergen in seiner Lederkleidung, die für sie überdeutlich knarzt und nach altem Schweiß sinkt. Für eine Jägerin mit ihren Sinnen, gar nicht zu verfehlen. Noch deutlicher wittert sie den Gnom. Sein Körper verströmt den verzweifelten Geruch des nahen Todes und unwillkürlich läuft der großen Katze das Wasser im Mund zusammen.
    Doch dann erinnert sie sich an die silberhaarige Zauberin. Sie hat Irkat und ihren Bruder aus dem Käfig befreit, in den man sie gesteckt hat, als man ihre Mutter getötet und ihre Haut abgezogen hat, ohne jedoch sich an ihrem Fleisch zu nähren. Für die Schattenkatze immer noch eine völlig unverständliche Untat. Wer riskiert den Kampf mit einer mächtigen Jägerin und nimmt ihr dann nur die Haut, lässt aber das gute Fleisch und die herrlichen Innereien liegen? Nur seelenlose Monster morden ohne Not. Noch weniger versteht sie bis heute, warum man sie und ihren Bruder in diesen Käfig gesteckt hat. Allerdings ist sie sich sicher, dass ihr Schicksal kein Gutes gewesen wäre.
    Kurz knurrt sie sich selbst an, innerlich, weil sie Gedanken an eine Zukunft verschwendet, die es gar nicht gibt. Seitdem diese Zauberin sie und ihren Bruder befreit und ihre Geister irgendwie größer gemacht hat, macht sie sich viele Gedanken, die zum Beispiel ihre Mutter nie gedacht hat, da ist sich Irkat sicher. Tarik, ihr kleiner Bruder, denkt noch viel mehr, aber er war auch schon immer der Klügere gewesen. Er wäre sicher der Planer im Rudel geworden, der die Beute aussucht, die Art festlegt, wie man sie am besten in die Enge treibt. Irkat wäre die gewesen, die den Todesbiss, schnell und endgültig, angebracht hätte.
    Diese Beiden dort sind keine Beute. Die Katze und ihr Bruder haben mit dem zweibeinigen Silberhaar ausgemacht, dass sie nur Vierbeiner jagen, und auch nur die, die sich nicht Gedanken über sich selbst machen können. Zentauren, zum Beispiel, oder Einhörner, sind auch keine Beute.
    Dennoch gibt es hier andere Jäger und sie haben ihre Beute bald gestellt. Zweibeinige dürfen also Zweibeinige zur Beute nehmen? Irkats Kopf wird schwer von all diesen Gedanken. Sie muss ihren klugen Bruder fragen. Oder noch besser, sie holt das weiche Rothaar mit der Stimme, die manchmal klingt wie der Gesang der Vögel.
    Irkat mag das Rothaar. Nicht so wie Tarik, aber doch genug, um sie gerne im Rudel zu haben. Darum hat sie Tarik auch zugestimmt, das Vierbein, welches die wandelnde Höhle des Rothaars zieht, nicht zur Beute zu nehmen, sondern es auch als Teil des Rudels zu betrachten.
    Unwillig schüttelt sie all diese hüpfenden Gedanken fort. Tarik und Rothaar finden, Hierherbringen!
    Klare Gedanken, klare Handlungen.
    Sie taucht tief in den Schatten ein, nutzt die gefährlichen Kurzwege durch die Schattenwelt und taucht schnell wieder in der Farbenwelt auf, ganz in der Nähe von Rothaar und Tarik. Instinktiv kennt sie den schnellsten Weg. Lange darf sie nie im Schattenland bleiben. Zu viele Feinde lauern dort. Doch die Feinde sind dumm. Können ihr nicht in die farbige Welt folgen!
    Nun hat die Katze die Witterung der drei anderen Mittglieder ihres Rudels genau in der Nase. Mit langen Sätzen jagt sie auf sie zu.

    Baerfred schließt für einen Moment die Augen. Nur ganz kurz.
    Als er sie wieder öffnet hat der Vollmond, den die Menschen und Gnome auch Selunes Rundschild, die Elfen seltsamerweise aber Sehanines gespannten Bogen nennen, irgendwie einen Satz am Himmel getan.
    Da ist er ist doch tatsächlich eingenickt, wie ein zu alter Jagdhund hinterm Ofen. »Moradim und Clangeding, das hätte ins Auge gehen können!«
    Als er sich halb aufrichtet, zuckt er zusammen und macht sich sofort wieder klein. Etwas weiter oberhalb seiner Position sieht er zwei Gestalten, die an einem großen Felsbrocken herum schieben. Erste Kiesel geben schon nach.
    »Die wollen doch nicht etwa einen Zwerg mit einem Felsen erschlagen?« Vor Empörung vergisst er jegliche Vorsicht, greift nach seiner Axt und schleudert sie mit aller Kraft.
    Ein Aufschrei und ein Körper, der den Hang hinab rollt, zeigen den erfolgreichen Treffer an.
    Der Aufschrei wird von allen Seiten ringsherum aufgenommen und bevor Baerfred weiß, wie ihm geschieht, wird er mit einem Hagel an Geschossen eingedeckt.
    Ein verhältnismäßig kleiner Stein trifft ihn an der Schulter. Trotzdem spürt der Halbzwerg sofort einen lähmenden Schmerz.
    Steinschleuder, stellt der erfahrene Bergläufer fest und geht noch tiefer in die Hocke, sitzt beinahe auf seinem Hintern.
    Weitere Steine fliegen heran und ein etwa faustgroßer Abpraller trifft Emmett an der Brust. Der Gnom hustet darauf schwach und die angeborene Nachtsicht lässt Baerfred blutige Bläschen erkennen, die mit jedem weiteren Atemstoß zwischen den Lippen des Gnoms erscheinen.
    Schnell richtet sich der Bergläufer auf, den Klappbogen im Anschlag. Gegen den Nachthimmel mit dem vollen Mond geben diverse Gestallten ganz passable Ziele ab und der Halbzwerg fackelt nicht lange.
    In einer fließenden Bewegung, die Jahrzehnte lange Übung verrät, legt er an und schießt. Treffer. Ein weiterer Schrei und die Gestalt verschwindet zwischen den Felsen. Noch ein schneller Schuss, noch ein Treffer, doch dann muss sich der Jäger wieder klein machen. Der folgende Hagel an Wurf und Schleudergeschossen ist noch heftiger. Inzwischen weiß wohl nun auch wirklich jeder seiner Feinde ganz genau, wo er sitzt.
    Obwohl ihn jeder Treffer schmerzt, legt sich Baerfred über den Körper seines Partners, um diesen abzuschirmen, auch wenn dort die Deckung deutlich schlechter ist.
    Dankbar für eine Atempause, der Dauerbeschuss hat aufgehört, sieht er eine größere und eine kleinere Gestalt zwischen den Felsen auf ihn zu schleichen.
    »Sieh an, sie schicken Späher, um zu schauen, ob wir schon tot sind. Aber noch sind wir das nicht, kleiner Pulvermischer«, informiert der Halbzwerg seinen Partner murmelnd, bewusst ignorierend, dass er von diesem schon eine Weile kein Geräusch mehr vernommen hat.
    Er richtet sich auf und brüllt den Beiden entgegen. »NOCH. NICHT. TOT.«
    Baerfred nimmt sich das Bronzerohr, welches er gleich zu Beginn der erzwungenen Rast mit einem Bumm-Pulver-Paket seines Freundes geladen hat, ganz wie er es hundert Mal beobachtet hat und nie müde geworden war zu versichern, dass ihn keine Macht der Neun Höllen dazu bringen könnte, dieses Dämonending jemals anzufassen.
    Nunja, aus den Neun Höllen kommen diese Schufte ja auch nicht, geht es ihm durch den Kopf, als er das Rohr auf die Schulter hebt, anlegt und diesen Hebel an der Seite drückt, der einen Funken erzeugt und die Ladung abfeuert. Die Entfernung ist so gering, er kann gar nicht verfehlen.
    Der harte Schlag des Rohrs gegen seinen Kopf, trifft ihn völlig unerwartet. Bei Emmett sieht das immer so leicht aus?
    Mit tiefer Befriedigung sieht er noch, wie die Explosion die beiden Schleicher von den Beinen holt, dann verliert er das Bewusstsein.

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    Karten, Bilder und Wissenswertes zur Story

    @Tariq

    öhm, klar, Fenne. Obwohl, ne Henne die einen ganzen Wagen zieht, wär mal was.
    Allerdings gibt es Eulenbären!
    Ha! Ich liebe mein krankes Hirn, welches aus einem Fehler eine witzige Idee macht, :crazy:

    Und natürlich hast Du vollkommen recht, die fahren ja nach Osten. :patsch:

    Verbesser ich gleich.
    Dann kommt das nächste Kapitelchen, diesmal mit etwas :pirate::elf: und :aikido::minigun:
    achso, :fox: kommt auch vor - also was Ähnliches!