Beiträge von Miri im Thema „Gruppenzwang“

    Jack schaute in den Raum, aber sein Blick ging ins Leere. Er hatte absolut keine Idee. Er fühlte sich, als würde ein Wüstenläufer durch seinen Kopf wehen. Sich in einen Wolf zu verwandeln brachte nichts. Alles einfach abfackeln auch nicht, schließlich wollte Aljin ja die Schriftrollen lesen. Zaubertränke brachten auch nichts und Cordrac würde wohl kaum Joska vorschicken (was sowieso überhaupt niemals nie in Frage kommen würde. Auch wenn Joska ihn mit Misstrauen beobachtete, so war sie doch ein Rudelmitglied).
    "Bleibt nur sinnlos mit Sandbällen werfen", meinte Jack frustriert und trat gegen einen am Boden liegenden Stein, der plump auf die Seite kippte. Plötzlich setze ein Knirschen und Knistern ein und alle sprangen alamiert zwei Schritte zurück. Salems Feuerball flackerte, weil der Magier sich nicht mehr auf ihn konzentrierte.
    Doch der Boden tat sich nicht wie erwartet auf. Stattdessen hatte der Stein einen anderen Mechanismus ausgelöst.
    Die Sicheln an der Tür rasteten mit einem hörbaren Klicken ein.
    "Aljin!", sagte Jack aufgeregt. "Wirf nochmal einen Ball, dort auf die Sicheln."
    Die Frau folgte seiner Bitte und siehe da: Nichts geschah. Die Sicheln waren an Ort und Stelle fixiert.
    "Hm, dann gibt es sicher noch mehr versteckte Knöpfe und Hebel, die die Fallen deaktivieren", überlegte Cordrac. Als hätte Joska seine Gedanken gelesen, begann die Hündin aufgeregt über den Boden zu schnüffeln.
    Salem holte den Feuerball wieder näher zu ihnen heran.
    "Okay", meinte der Magier. "Lasst uns logisch vorgehen: Wenn wir durch die Tür gegangen wären, was wäre unser nächster Schritt und dementsprechend wo die nächste Falle. Dort muss dann irgendwo in der Nähe die Nächste Sicherung sein ..."

    Was nun folgte glich Atlantis, wenn die Stadt aus dem Wasser auftauchte - oder zumindest dem, wie Jack es sich vorstellte (absurderweise begann er, während der Boden unter seinen Füßen bedrohlich zu schwanken begann zu lächeln und dachte daran, dass Atlantis sicher auch mal eine Reise wert wäre). Er schüttelte den Kopf und kehrte in die Realität zurück.
    Mühsam versuchte er das Beben des Bodens auszugleichen, während sich vor ihm ein gigantiusches Gebäude aus den Dünen der Wüste erhob.

    Gelbe Kaskaden aus Staub und Sand rieselten von Türmen, Zinnen, Säulen und Simsen, die aus gelbem Sandstein bestanden. Einige Steinbrocken schossen gegegen die Schwerkraft nach oben und setzten sich an ihre angestammten Plätze in der ursprünglichen Ruine. Das obere Stockwerk eines riesigen Tempels. Die Fenster, die auftauchten waren tot und dunkel und wirkten alles andere als einladend.
    Der ganze Spuk konnte nicht länger als einige Sekunden gedauert haben, doch am Ende standen die Gruppenmitglieder den Kopf in den Nacken gelegt und mit offenen Mündern da und starrten den Tempel an, der sich soeben vollständig aus dem Sand erhoben hatte.
    Direkt vor ihnen gähnte ihnen ein wenig einladendes, schwarzes Loch entgegen. Ein Torbogen.
    Urplötzlich flammten Fackeln mit lautem Zischen nacheinander den Gang hinab und hinein in den Tempel auf. Jeweils ein kleiner Funken löste sich von den Fackeln, die Salem entzündet hatte. Sie schossen spielerisch um die Gefährten herum, als wollten sie sie begutachten. Jack folgte "seinem" Funken mit den Augen und hatte den irrationalen Eindruck nicht zu genügen. Schließlich wandte der Funke sich ab, verschmolz mit den anderen. Die Flamme verharrte kurz in der Luft. Ein Zischeln und Flüstern erfüllte die Luft, als schienen die einzenlen Funken zu beraten. Dann teilte sich die Flamme und wanderte zu Salem und Aljin - Jenen, die das magisch entzündete Feuer als am interessantesten erachtet hatte.
    Aljin betrachtete die Flamme mit etwas missgelauntem Blick und war dann trotzdem die erste, die sich aus ihrer Starre löste.
    "Na dann", meinte sie und zuckte lapidar mit den Schultern. "Wer kommt mit?"
    "Blöde Frage", knurrte Jack und gesellte sich an ihre Seite. Nach und nach folgten die anderen, bis sie in einer Reihe nebeneinander - Aljin in der Mitte - vor dem Tor standen. Alle zögerten. Niemand wollte den ersten Schritt tun. Und als hätten sie sich angesprochen traten sie alle gleichzeitig über die Schwelle des Tempels.

    Die Gruppe Menschen, die sie umstand, warf sich Blicke zu, die nicht bedeutungsvoller hätten sein können. Jack schluckte einen Kloß, der sich in seinem Hals bilden wollte, hinunter. Das konnte nichts Gutes sein. Oder wenn, dann war es gewiss gefährlich und nicht einfach. Andererseits ... Er warf einen Blick auf Aljin. Sie wirkte etwas erschöpft von ihrer ... Darbietung. Instinktiv spürte er, dass es für sie unendlich wichtig war in die Stadt zu kommen und dort Antworten auf ihre Fragen zu finden.
    Dann würde er eben verdammt nochmal organisieren, was es zu organisieren gab! Schließlich mochte er Aljin und was auch immer sie war. Er meinte dunkel von Wesen gehört zu haben, die in einer Flasche wohnten, aber ihm wollte der Name einfach nicht einfallen. Sei es drum. Immerhin hatten sie alle ihre Geheimnisse und Herkünfte, von denen sie untereinander wenig wussten. Das einzige was Jack wusste, und was für ihn auch am meisten zählte, war, dass er sich auf die anderen verlassen konnte.

    Einer der Männer sagte etwas und Jack lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf das Geschehen.
    Das Mädchen übersetzte: "Ein Phönixei. Wir wollen ein Phönixei von euch mitgebracht bekommen."
    "Das ist alles?", fragte Jack. Sie mussten einem Vogel nur ein Ei stehlen?
    Das Mädchen lächelte überlegen und erklärte ohne zu übersetzen: "Der Phönix wird auch Feuervogel genannt. Er ersteht aus seiner eigenen Asche wieder auf. Eier legt er nur selten und wenn, dann verteidigt er sie mit dem Einsatz seines Lebens und all seinen Fähigkeiten."
    Jack blickte zu Salem. Mit Feuer würden sie klar kommen. Außerdem hatten sie es mit einem Mantikor aufgenommen. Was konnte da ein Vogel schon anrichten.
    Dennoch wartete die Gruppe auf Aljins Antwort. War es ihr das Risiko wert?
    "In Ordnung", antwortete sie knapp und mit etwas müder Stimme.
    Das Mädchen übersetzte und zu ihrer Überraschung wurde die Gruppe nach ein paar Befehlen losgebunden und etwas abseits des Lagers geführt. Die Stammesältesten ließen ein Feuer für sie entzünden und brachten ihnen etwas zu essen und zu trinken. Anschließend richteten sie wieder Worte an die Gruppe, die das Mädchen übersetzte: "Esst und schlaft. Es wartet eine anstrengende Reise auf euch. Morgen werdet ihr mit Proviant versorgt und wir werden der Dschinni die Formel nennen. Wagt ja nicht ohne das Ei zu uns zurückzukehren! Wir haben Möglichkeiten ..." Sie beendete ihre Drohung nicht, aber Jack zweifelte nicht daran, dass die Rache der Hariq sie treffen würde, sollten sie versagen. Etwas unbehaglich begann er seinen Eintopf zu essen. Aber mit vollem Magen und wärmendem Feuer waren die düsteren Gedanken schnell vertrieben. Morgen würden sie aufbrechen.

    Jack hatte seinen Ausflug genossen. Zum Glück war ihm keine Menschenseele begenet, auch wenn er die Fährte irgendeines Nomadenstammes aufgenommen hatte. Doch diese war schon mehrere Tage alt.
    Jetzt saß der Werwolf wieder dort, wo die anderen ihn zurückgelassen hatten und wartete. Es dauerte nicht lange, da erkannte er schon Salems vertrauten Kopf, der als erstes über die Dünen ragte. Wenig später konnte er auch Aljin und Codrac und dann sogar Esme erkennen.
    "Esme!", rief Jack erfreut und unterdrückte im letzten Moment ein freudiges Hecheln. Der Wolf hing wohl immer noch in den Knochen.
    Er stand auf, packte die Sachen zusammen und gibg auf die Truppe zu. Esme grüßte mit einem nüchternen Nicken, auch wenn ein Lächeln um ihre Lippen spielte.
    "Und?", fragte Jack und sah von einem zum anderen.

    "Wir brauchen die Flamme des Raschid Ibn Nishaat al-tamar", informierte in Salem.
    "Äh ... Okay?", machte Jack.

    "Es ist ein uralter Zauber der Hariq", fuhr Codrac fort.

    Die Hariq! Natürlich. Deshalb war ihm der Geruch gestern Abend so vertraut vorgekommen.

    "Nichts leichter als das. Ich weiß wo die zu finden sind", sagte Jack voller Elan.
    "Das ist leider ur die halbe Miete", stelle Salem auf seine pragmatische Art und Weise fest.
    "Der Zauber ist geheim und die Hariq ein unglaubliches stures Volk. Ich habe keinen Schimmer, wie wir sie dazu bringen können uns den Zauber zu verraten", erklärte im Aljin.
    Jack zuckte leichthin mit den Schultern. "Beim letzten mal waren sie doch ganz nett. Außerdem: Alles hat seinen Preis. Vielleicht können wir gegen etwas tauschen oder anderweitig in Naturalien zahlen." Beim letzten Teil wackelte Jack mit den Augenbrauen und musterte dabei Salem aus dem Augenwinkel. Der Magier schien seinen Blick aufzufangen, denn seine Augen begannen schelmisch zu glitzern.

    Aljin seufzte überlaut. Ob ihr jacks Flirt aufgefallen war und sie deshalb seufzte oder weil sich diese Quest als schwieriger erwies als erwartet, konnte Jack nicht einschätzen. Es war ihm aber auch egal. Er hatte heute verboten guten Laune. Beschwingt schwang er sich auf sein Kamel und schlug die Richtung ein, in die er die Hariq zuletzt erschnüffelt hatte.

    Jack erlebte die Rückreise geistig eher ... abgedriftet, wenn man es denn so nennen wollte.
    Er konnte selbst nicht so benennen warum. Okay, Salem war ein verderbter Magier, aber das war kein Grund zur Aufregung. Irgendwie hatten scheinbar sowieso alle etwas zu verbergen gehabt. Jack fragte sich eher, was Aljins Geheimnis war. Sie hatte sich als einzige aus der Unterhaltung raus gehalten, obwohl offensichtlich war, dass sie keine einfache Frau war.
    Der Werwolf überlegte, was sie davon abgehalten könnte, ihnen ihr Geheimnis anzuvertrauen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es nichts Schlimmes war und sie ihr weiterhin vertrauen konnten. Ihr schien nur viel daran gelegen zu sein, selbst mit etwas aufzuräumen und wenn Jack dabei helfen konnte, wollte er das gerne tun. Er stimmte ihn nur ein wenig traurig, dass Aljin ihnen offenbar nicht genug vertraute, um das Geheimnis preis zu geben. Aber wer wusste schon, was daran hing? Er selbst hatte schließlich Jahrzehnte lang geschwiegen ... Einzig Salem schien kein Problem damit zu haben, anderen von seiner Verderbtheit zu erzählen. Wahrscheinlich weil er durch seine ganze Erscheinung Ablehnung gewöhnt war. Der Werwolf beäugte Salem von der Seite und lächelte. Wenn man den Magier erst einmal kennen gelernt hatte ...

    Das Problem, dass er nicht mehr einfach in die Stadt hinein spazieren konnte, war schnell gelöst.
    Die kommende Nacht war eine Vollmondnacht. In solchen sollte Jack sich fern von jeglicher Zivilisation halten.
    Also ließ die Truppe ihn einige Kilometer vor den Toren der Stadt in der Wüste zurück und nahm die Kamele mit sich. Jacks Tier warfen sie ein großes Tuch unter dem Sattel über den Rücken, damit die Narben verdeckt wurden, an denen der ursprüngliche Besitzer das Tier würde erkennen können.
    Salem warf ihm noch einen unbehaglichen Blick zu, aber Jack zuckte leichthin mit den Schultern. Wenn er sich in einer Vollmondnacht verwandelte, konnte ihm nichts und niemand etwas anhaben. Außer vielleicht der Mantikor, aber um den musste er sich ja keine Sorgen mehr machen.
    Ungeduldig blickte er der Truppe hinterher, bis sie hinter der nächsten Düne verschwunden war und ließ sich dann im Sand nieder, um auf den Einbruch der Nacht und den Vollmond zu warten. Es wurde Zeit ...

    Jack blinzelte. Salems Erklärung erklärte rein gar nichts, außer dass sie einigermaßen gruselig klang.
    Allerdings konnte Jack jetzt erahnen, warum ihm sein Biss nichts hatte anhaben können. Und wenn er Salem dank des bösen Geistes noch ein bisschen länger ... genießen konnte ... Auch egal! Er zuckte innerlich mit den Schultern und blickte in die Runde.
    Salem versuchte die Wunde in seinem Herzen genauer in Augenschein zu nehmen und presste dafür das Kinn auf die Brust. Aljin schaute betont lässig in der Gegend herum. Fehlte nur noch, dass sie begann zu Pfeifen. Jack grinste, bis sein Blick zu Codrac glitt, der sie alle immer noch einigermaßen misstrauisch beobachtete.
    "Ich schätze, es wäre nur fair, wenn du wüsstest, mit welchen Gestalten du dich eingelassen hast ...", murmelte er schließlich und rieb sich verlegen mit der Hand über den Nacken.
    Codrac nickte nur. Auch Joska nahm eine abwartende Haltung ein. Sie schien mit ihrem Herrchen übereinzustimmen.
    Jack hüstelte, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Schließlich platze er heraus: "Ich bin ein Werwolf."
    Eine kleine Pause entstand und Jack fühlte sich genötigt anzufügen: "Aber total ungefährlich! Meine Bisse verwandeln nur, wenn Vollmond ist. Und in Vollmondnächten gehe ich euch sowieso aus dem Weg ...!"
    Salem kicherte.
    "Dafür konnte ich nichts!", rief Jack empört und lief feuerrot an bei der Erinnerung, wie er nur mit einem Ahornblatt bekleidet vor dem Feuermagier stand.

    Jack wurde zur Seite geschleudert und landete im Sand. Er blinzelte heftig, um seine Augen von den brennenden Körnern zu befreien und versuchte panisch die Lage einzuschätzen. Himmel, Arsch, wer rechnete denn mit sowas?!
    Endlich klärte sich sein Blick. Mühsam rappelte er sich auf und blickte sich um. Codrac und Joska schienen im Augenblick genauso nutzlos wie er selbst zu sein. Er wünschte sich nichts sehnlicher als den Mond herbei, um sich verwandeln zu können, doch bis Sonnenuntergang waren es sicherlich noch zwei Stunden. Hemmungslos begann er zu fluchen und blickte sich nach den Kamelen um. Wenigstens hier konnte er sich nützlich machen. Die Tiere waren ebenso wie ihre Reiter auseinander gestoben, suchten ihr Heil aber überraschenderweise nicht in der Flucht. Sie standen in sicherem Abstand und beäugten das Geschehen. Jack fragte sich, ob Kamele sehr furchtlos oder einfach sehr dumme Tiere waren. Er tippte auf letzteres. Naja ihm sollte es recht sein. Kurz überlegte er, ob er die Tiere dennoch aneinander binden sollte, doch so wären die Tiere dem Mantikor hilflos ausgeliefert, sollte er sie in Visier nehmen.
    Also blickte Jack sich hektisch nach Salem um. Der warf gerade Feuerkugeln und wurde ... "Nein!", rief Jack. Entsetzt blieb er einige Sekunden wie angewurzelt stehen. Genauso lange, wie Salem brauchte um in die Knie zu sacken und in den Sand zu fallen. Aljin übernahm. Jack stürzte auf den Feuermagier zu.
    "Nein! Nein! Nein!", rief er immer wieder. Das konnte doch nicht sein! Salem war mächtig. Und groß! Und furchteinflößend! Und ... Jack wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Lieber nicht eingestehen. Das würde den Schmerz nur vergrößern.
    Stattdessen ließ er sich neben Salem auf die Knie fallen und betrachtete hilflos die Wunder. Der giftige Stachel steckte genau in seinem Herzen. Trotzdem presste Jack die Hände um den Stachel, um das Blut aufzuhalten, das heiß zwischen seinen Fingern hervorquoll. Den Stachel ziehen, würde es nur schlimmer machen.
    Dumpf hörte er wie Aljin gegen den Mantikor kämpfte. Wäre Salems Puls unter seinen Händen nicht immer schwächer geworden, so hätte er sie bewundert. Die Macht, die sie hier in der Wüste ausstrahlte, hatte er so an ihr noch nie wahrgenommen. Man merkte, dass dies hier ihr Zuhause war. Dann erlosch Salems leben endgültig. Ein letzter Atemzug entglitt seinen Lippen und traf Jack warm im Gesicht.
    Jack nahm die Hände von Salems Brust und ließ den Kopf hängen. Fassungslos starrte er auf dem leblosen Körper des Magiers.
    "Ein bisschen Hilfe wäre super!", hörte er Aljin schreien. Und als hätte Salem dieses Kommando gebraucht, schlug er die Augen wieder auf.
    "Aber ...", flüsterte Jack ungläubig. "Das ist nicht möglich!"

    Jack hatte eigentlich gehofft, dass sie bei den Nomaden eine kleine Pause einlegen würden.
    Er hatte Hunger und der Topf über dem Lagerfeuer, um den mehrere Frauen fleißig herum flirrten, hatte einen allzu köstlichen Geruch verströmt. Dass sie dann trotzdem aufbrachen, erleichterte den Werworlf trotzdem in mehrerer Hinsicht.
    Zum einen waren ihm die Zelte aufgefallen, aus denen Stöhnen und Wimmern drang und aus denen Helfer mit blutigen Binden heraus und mit frischen wieder hineingingen. Scheinbar hatte der Mantikor ziemlichen Schaden angerichtet. Die Nomaden brauchten keine zusätzliche Belastung in Form von hungrigen Wanderern. Zumal sie eh nicht so begeistert von ihrem Besucht waren, obwohl sie Codrac kannten. Was die Frage aufwarf, ob sie allgemein gegen Fremde abgeneigt war oder ob Codrac Mist gebaut hatte. Sie kannten den Neuen ja schließlich nicht, wer wusste also, was er verbockt hatte?
    Zum Zweiten sah Jack ein, dass sie lieber sofort nach dem Mantikor suchten. Was immer Aljin in Akrabia zu finden hoffte, schien ihr unglaublich wichtig zu sein. Sie durften also keine Zeit mit Essen vertrödeln, während der Mantikor auf Nimmerwiedersehen verschwand.
    Obwohl Jack schon ein wenig mulmig zumute war. Die Reaktionen, wenn Akrabia zur Sprache kam, musste zwangsläufig alle Alarmglocken schrillen lassen ...
    Eine feuchte Nase, die seine Hand anstupste, riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah nach unten und erkannte Joska. Die Hündin von Codrac. Seit er von seinem Kamel gestiegen war, nutzte sie jede Gelegenheit ihn zu beschnüffeln. Kein Wunder. Er musste zugleich vertraut und fremd riechen. Plötzlich stellte Jack fest, das Codrac nicht wusste, dass er ein Werwolf war. Was würde passieren, wenn er es rausfand? Der Neue musterte Jack sowieso schon die ganze misstrauisch, weil Joska ihre Nase nicht bei sich behalten konnte.
    Jack lächelte und hob die Hand, um Joska über den Kopf zu streicheln, aber sie wich zurück und musterte ihn misstrauisch.
    "Dann nicht." Jack zuckte mit den Schultern und stieg auf sein Kamel. Immerhin hatte die Hündin ihn nicht vor aller Augen angeknurrt.

    Sie waren schon eine ganze Weile Richtung Osten unterwegs. Die Sonne brannte unerbittlich und Jack hatte sich ein helles Leinentuch um Kopf und Schultern geschlungen. Seine abgetragene Kleidung war zum Glück leicht genug, verdeckte aber den Großteil seiner Haut. Auch seine Hände hatte er eingewickelt. Sie hatten recht schnell eine rötliche Färbung angenommen. Seine helle Nordmannhaut vertrug sich nicht mit der prallen Wüstensonne. Aljin schien keinerlei Schwierigkeiten zu haben. Sie passte mit ihrer Kleidung sowieso wie Arsch auf Eimer in die Wüste. Sie schien sogar etwas aufzublühen.
    Es regte sich kein Lüftchen, trotzdem schien der Sand über die Dünen zu wandern und ihre Spuren nach und nach zuzudecken. Wahrscheinlich war das auch mit den Spuren des Mantikors passiert, denn Jack konnte nichts entdecken. Und da er auch nicht wusste, wie ein Mantikor roch, konnte er auch seiner Nase nicht wirklich vertrauen. Obwohl sich seit einiger Zeit ein unangenehmer Geruch in den Wüstenduft gemischt hatte. Es roch ein wenig wie faules Wasser. Schnell wurde dieser Geruch intensiver. Er warf einen Blick zu Joska, auch sie wurde unruhig und hielt sich dicht bei Codrac. Dann bildete er sich das also nicht ein.
    "Leute", warf Jack vorsichtig in die Runde. Sein Tonfall ließ sie anderen alarmiert inne halten. "Ich rieche da was."
    "Du riechst was?", fragte Codrac skeptisch. "Hier ist weit uns breit nichts zu riechen."
    Jack ignorierte den jungen Mann. "Wir sollten trotzdem vorsichtig sein."
    Salem, Aljin, und Esme nickten, nur Codrac musterte ihn weiter, als hätte er nicht mehr alle Latten am Zaun. Langsamer setzten sie ihren Weg fort. Jack spürte, dass sie nah dran waren.
    Siedend heiß fiel ihm ein, dass sie alle keine Ahnung hatten, wie ein Mantikor aussah, außer Codrac vielleicht, aber er hatte sein Wissen nicht weitergegeben. Okay, Kralle klang bedrohlich, und weiter? Wenn man nicht wusste, wie etwas aussah, wie bekämpfte man es dann? Wie waren die Nomanden dem Monster begegnet? Irgendwie waren so erpicht darauf gewesen den Mantikor zu finden, dass niemand gefragt hatte, wie man ihm nun eine Kralle abluchsen konnte. Schwach war die Truppe keinesfalls, aber wie stark war ein Mantikor?

    Jack wandte sich an seine Gefährten und zuckte mit den Schultern.
    Er hatte nichtsdagegen. Je größer die Gruppe, desto lustiger würde die Reise werden.
    Außerdem schien die Hündin, Joska hatte er sie genannt, sehr an ihm zu hängen. Dem Instinkt eines Hundes konnte man getrost vertrauen, schließlich waren sie die kleinen Geschwister der Wölfe.
    Da von sich von seinen Gefährten niemand vehement gegen die Begleitung des Kerls aussprach (auch wenn zugegebenermaßen auch niemand in Freudenjubel ausbrach), sie aber jemanden, der sie in der unbekannten Wüste führen würde, gut gebrauchen konnten, drehte er sich zurück zu dem jungen Mann und reichte ihm seine Hand.
    "Jack", stellte er sich vor und lächelte.
    Der Mann blickte von seinem Getränk auf und erhob sich dann.
    "Codrac", erwiderte er mit festem Händedruck.
    "Also dann, Codrac, bist du Bereit oder müssen wir dir noch ein Kamel und Proviant besorgen?"

    Wie sich herausgestellt hatte, brauchte Codrac zumindest keinen Proviant. Jack spürte allerdings Aljins Unruhe. Sie schien wirklich dringend loslegen zu wollen. Also übernahm er die Besorgung des Kamels. Und so kam es, dass sie die Stadt Hals über Kopf verlassen mussten.
    Aber war konnte Jack dafür, wenn jemand sein armes Kamel einfach an einem Pfosten anband, während der Besitzer sich in einer Schenke (für die Größe der Stadt gab es hier erstaunlich viele) volllaufen ließ.
    Gerade als Jack das Kamel losgebunden hatte, taumelte der Besitzer hinaus auf die Straße. Er brauchte einige Sekunden, um seinen schielenden Blick auf sein Reittier und somit auf Jack zu fokussieren.
    "Haltet den Dieb!"
    Aber die wenigen Augenblicke hatten Jack gereicht, um sich auf das Kamel zu schwingen und es anzutreiben. Kamele waren sonst eigentlich gemütliche Tiere, doch die Striemen an seinen Flanken zeigten, dass der Betrunkene es nicht gerade gut behandelt hatte. Es schien seine Chance zur Flucht zu erkennten und preschte durch die Gassen der Stadt.
    Salem, Aljin, Esme und Codrac warteten am Stadtrand auf ihn.
    Erstaunt beobachteten sie, wie Jack auf seinem Kamel an ihnen vorbeisprintete. Erst als Jack im vorbeireiten "Los! Los! Los!" brüllte und wenige Augenblicke später die Stadtwache um die Ecke gefegt kam, begriffen die anderen, was geschehen sein mussten und trieben ihre Kamele ebenfalls an und hinaus in die Wüste.
    Einige Meilen später hatte die Stadtwache aufgegeben. Sie hatten nicht genug Wasser und Proviant dabei, um bei einer längeren Verfolgungsjagd mithalten zu können.
    So trabten sie nun gemütlich über Sanddünen.
    "Auf dem Rückweg müssen wir wohl einen kleinen Umweg machen", grinste Jack die anderen an.
    Er hatte schon lange nichts mehr gestohlen und erst jetzt bemerkte er, dass er das etwas vermisst hatte.

    Jack blickte Salem nach, der urplötzlich und beinahe fluchtartig die Taverne verließ. Er warf Esme und Aljin einen fragenden Blick zu, aber die zuckten nur mit den Schultern. Also ergriff der Werwolf die Initiative und folgte dem Magier.
    Er fragte sich, was Salem wohl dazu bewegt hatte einfach zu verschwinden. Das Gespräch war doch gut verlaufen und es war nichts gesagt worden, was in irgendeiner Weise hätte unhöflich oder verletzend sein können. Auch wenn Jack sich fragte, was zum Henker ein Mantikor sein sollte. Allerdings, wenn der Wüstenwind ein Opfer verlangte, war es sicher nichts harmloses ... und Kralle klang jetzt auch nicht nach einem süßen Häschen ... Jack seufzte. Einerseits freute er sich auf die Reise, aber andererseits graute es ihm auch davor. Die Hitze. Die Reise. Die Rätsel ... und sicher gab es in der Ruine auch versteckte Fallen.
    Als Jack hinaus ins Tageslicht trat, sah er Salems dunkle Gestalt in den Stall schlüpfen. Was wollte er ausgerechnet dort?
    Ohne zu zögern ging der Werwolf ebenfalls in den Stall. Die Tür knarrte leise, als er sie öffnete und er musste ein paar Mal blinzeln, ehe sich seine menschlichen Augen (Wolfsaugen waren in jeder Hinsicht so viel praktischer!) an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    Suchend blickte er sich um. "Salem?", rief er.
    Er bekam keine Antwort, dafür klang ein hektisches Rascheln aus der letzten Box, in der kein Kamel stand.
    Jack ging darauf zu und blickte hinein. Dort stand tatsächlich der Magier mitten im Heu.
    Jack grinste. "Was machst du hier?" Wie Salem hier so im Stall herum stand, konnte Jack nicht verhindern, das ein gewissen Kopfkino bei ihm einsetze. Unwillkürlich trat in er die Box und schloss die Tür. Er dachte an den Kuss, den er und Salem schon getauscht hatten und ohne Salems Antwort abzuwarten, war er schon bei Magier angekommen. Jack legte die Hände auf Salems schmale Hüfte. Salem beugte sich ihm entgegen und zog wie beim letzten Mal im letzten Moment das Tuch herunter, sodass ihre Lippen sich trafen. Diesmal war es Jack, der Salem gegen die Wand drängte und ihn nicht mehr freigab. Seine Hände strichen über den großen, maskulinen Körper des Magiers und genossen, wie sich dessen Muskeln erregt unter seiner Berührung anspannten.
    Wie genau es geschehen war, wusste Jack nicht, doch nun hatte Salem die Führung übernommen. Gemeinsam sanken sie in einen Heuhaufen. Salem ließ von Jacks Mund ab und begann sich seinem Hals zu widmen. Die Hände des Magiers glitten unter sein Hemd und Jack erzitterte. Salem schob es immer weiter nach oben und seine Küssen zogen eine kribbelnde Spur über Jacks Brust immer weiter nach unten.
    Jacks Atmung beschleunigte sich. Er vergrub seine Hände in Salems Haaren und stöhnte genussvoll auf.


    Nach einer Weile, die Jack endlos und doch viel zu kurz vorgekommen war, lagen sie nebeneinander im Heu. Jack hatte seine Hose zwar wieder an, aber war immer noch Oberkörperfrei. Salem hatte noch alles an. Selbst das Tuch hatte er wieder über sein Gesicht gezogen, ehe Jack einen Blick darauf hatte erhaschen können. In seiner Ekstase hatte er ganz vergessen hinzusehen ... Aber Jack machte das nichts aus. Er mochte das Geheimnis an Salem. Dennoch ... Jack strich sich unsicher durch die Haare.
    "Salem ... also ... hör mal. Ich würde auch gern bei dir ... also wenn du verstehst, was ich meine. Aber ich habe das Gefühl, dass es dir unangenehm wäre, deine Kleidung ... Ich also ... ich will dich zu nichts drängen, bei dem du nicht wohl fühlst und du musst mir meinetwegen auch nicht sagen warum, auch wenn ich es gern wissen würde, also falls du drüber reden willst. Ich meine nur, also ich hätte ein offenes Ohr, aber du musst natürlich nicht ..." Jack machte eine Kurze Pause. Er redete wirres Zeug, Und auch, wenn es stimmte, dass er bei Salem nur zu gerne auch mal Hand anlegen wollte, so wollte er Salem auf keinen Fall unter Druck setzen und ihn so von sich stoßen. Also versuchte er dem Thema eine andere Richtung zu geben. "Egal, ich möchte sagen: Auch, wenn du sehr an deiner Kleidung zu hängen scheinst, solltest du dir für die Wüste etwas luftigeres suchen. Ich meine, es gibt ja auch langärmlige Hemden und lange Hosen, die leicht und außerdem nicht schwarz sind ... Aljin könnte dir bestimmt helfen, etwas Vernünftiges zu finden. Was meinst du?"

    Jack beobachtete das Geschehen vom zweiten Wagen aus.
    Esme neben ihm grummelte etwas Unverständliches. Jack ging davon aus, dass die Hexe sich bereit machte ... etwas Hexisches zu tun. Für den Fall eben.
    Er bewunderte Aljin für ihre kühle Art, mit der sie ihr impulsives Handeln immer wieder zur Schau stellte. Das war neben ihrer geheimnisvollen Art und der fremdländischen Herkunft etwas, das sie ziemlich interessant machte. Nicht auf romantische Weise (da hatte er im Augenblick nur Salem im Kopf), aber er würde versuchen Aljin besser kennenzulernen.
    Im Augenblick war er einfach nur dankbar, dass sie die Initiative ergriff. Er konnte nicht wirklich mit Waffen umgehen und war nur als Wolf wirklich gefährlich. Aber er wollte sich auf keinen Fall vor einer Gruppe Händler verwandeln, die schon vor zerlumpten Banditen buckelte ... Warum hatte sich die Karawane nur keine Söldner zum Schutz angeheuert? Jack grübelte.
    "Also geht ihr besser uns aus dem Weg und lasst uns weiterfahren, sonst seid ihr diejenigen, die den Kopf zukünftig unter dem Arm tragen." Ein Grinsen stahl sich auf Aljins Gesicht, sodass Jack unwillkürlich mit grinsen musste. "Achja, falls das einige von euch nicht kapiert haben sollten: Der Überfall ist beendet!“
    Der Mann, den Aljin vermöbelt hatte, hatte sich zwar erholt, wagte aber nicht aufzustehen. Die anderen Banditen machten keine Anstalten etwas zu unternehmen. Sie warteten auf Anweisungen ihres Anführers (auch wenn dieser sichtlich überfordert war). Aber das brachte Jack auf eine Idee. Sie mussten dem Anführer Beine machen. Dann waren die anderen keine Bedrohung mehr. Besagter Anführer schien in Gedanken auch endlich zu einem Schluss gekommen zu sein, denn er rief: "Nein, ist er nicht!"
    "Wohl!", brüllte Jack zurück und sprang seiner Eingebung folgend vom Wagen.
    "Nein!" Der Kerl sprang vom Pferd.
    "Doch!"
    "Nein!" Nun stampfte er sogar mit dem Fuß auf.
    "Doch!" Jacks Stimme nahm einen bedrohlichen Unterton an. Eine Art tierisches Knurren.
    "Nein!" Der Räuber kam auf Jack zu.
    "Doch!" Jack konnte spüren, wie Aljin, Esme und Salem sich förmlich mit der Hand gegen die Stirn klatschten und auch Jack musste sich beherrschen weiterhin ernst zu bleiben und nicht in Lachen auszubrechen.
    "Nein!"
    "Doch!" Nun standen die beiden Nase an Nase und lieferten sich ein Blickduell. Und dann plötzlich, wie aus dem Nichts, ließ Jack zu, dass seine Augen sich kurz in die goldenen Augen eines Wolfes verwandelten. Der Mann zuckte zurück. Dann wurde sein Blick wieder entschlossen und er machte einen Schritt auf Jack zu. Aber da bemerkte Jack aus dem Augenwinkel er, wie Salem, Aljin und Esme neben ihn traten.
    Salem, der den mann um eineinhalb Köpfe überragte und mit seinem Tuch vor dem Gesicht für Fremde extrem gefährlich aussah. Aljin mit dem Säbel, um deren Hals sich Jaki wand und bedrohlich zischelte. Esme, der man in diesem Moment ansah, dass sie mehr als nur eine alte Frau war. Jack spürte die Einheit, die sie zu viert auf einmal bildeten. Und diese Aura schien auch der Bandit wahrzunehmen. Er machte auf dem Absatz kehrt, stieg auf sein Pferd, riss es herum und gab ihm die Sporen.
    Der Rest der Bande, den Männern in der Karawane zahlenmäßig immer noch überlegen stutze. Für einen Augenblick glaubte Jack, dass sie ihrem Anführer nicht folgen würden, aber dann sah man kollektives Schulterzucken und die Räuber zogen von dannen.
    "Das war irgendwie schräg", sagte Jack schließlich.

    Jack betrachtete die grüne Umgebung und versuchte die Bäume und Wiesen und den warmen Sommerwind in sich aufzunehmen.
    Ihm war bewusst, dass er in der Wüste sehr lange eine solche Landschaft nicht mehr sehen würde und ihm graut jetzt schon vor den eintönigen Weiten der Wüste. Und um ganz ehrlich zu sein fürchtete er sich vor einem Sandsturm. Er war ein Wolf. Er gehörte in Wälder und Bergelandschaften und wenn ein kleines bisschen Schnee lag, war es auch recht.
    Aber andererseits freute er sich auch auf das Abenteuer. Seit er ein Wolf war, war er als Einzelgänger unterwegs gewesen. Allein schon aus Angst entdeckt und verraten zu werden. Aber in dieser Truppe schien er Gefährten gefunden zu haben, die alle ihr Päckchen zu tragen hatten und sich deshalb nicht darum scherten, wer oder was er war.
    Besonders freute er sich über Salems Gesellschaft. Nach ihrem Kuss am vorigen Abend konnte er zumindest davon ausgehen, dass beidseitiges Interesse bestand. Auch wenn Salem sich zuweilen ein wenig distanziert verhielt. Leider wusste Jack wirklich nicht warum. Die Vehemenz ihrer Begegnung sprach eigentlich Bände. Dennoch ... Aber egal. Noch überwog das Hochgefühl, denn es hatte sich wirklich gut angefühlt.

    Auf dem Wagen holperten sie weiter Richtung Wüstenrand. Die Reise würde etwa zwei Tage dauern.
    Sie wurden von einigen anderen Händlern begleitet, die ebenfalls Richtung Wüste unterwegs waren, um ihre Waren zu verkaufen. Insgesamt umfasste die Karawane rund zwanzig Wagen. Jack fragte sich, ob es auf der Handelsroute eigentlich Wegelagerer gab ...

    'Zur tanzenden Witwe' ... Jack wusste nicht genau, ob er den Namen gut finden sollte. Vielleicht tanzte sie aber auch traurig, weil ihr Mann gestorben war. Andererseits, warum sollte eine Witwe nicht fröhlich tanzen dürfen? Vielleicht war ihr Mann ja ziemlich übel gewesen. Der volle Schankraum ließ jedenfalls darauf schließen, dass das Essen gut war.
    Wie immer dachte Jack, wenn er nicht über Dinge, die ihn bewegten nachdenken wollte, über den größten Mist nach.
    Sein Blick streifte Salem, der an den Treppen zu den Schlafzimmern hinauf stand und seinen Blick über die Menge streifen ließ. Es schien, als würde nach Jack Ausschau halten.
    Quatsch!, schalt sich der Werwolf in Gedanken selbst. Er suchte die ganze Gruppe. Warum sollte der Magier ausgerechnet nach ihm suchen?
    Obwohl sein Blick vorhin sehr lange an ihm haften geblieben war. „Nun, ich fände es furchtbar schade, auf Eure Gesellschaft verzichten zu müssen."
    Jack stieß einen tiefen Seufzer aus. Damit kam er auch nicht weiter. Er zwang seine Beine sich in Bewegung zu setzen und hielt auf den großgewachsenen Mann zu, der die Menge wie ein schwarzer Fels überragte.
    "Hi", stieß er wenig geistreich hervor, als er Salem erreichte. Er spürte, wie er bis zum Haaransatz errötete und führ sich verlegen mit der Hand über den Nacken. Warum zum Henker wurde er in Salems Gegenwart so verlegen. Das kennte er gar nicht.
    Bei Frauen war es immer umgekehrt gewesen. Diese wurden rot und stammelten verlegen herum und er musste eigentlich überhaupt nichts dafür tun, dass sie ihm in den nächstbesten Heuhaufen folgten. Ja, das war übertrieben, aber er war verdammt nochmal selbstsicher! Er hatte diese wunderbarer verwegene Ausstrahlung, die zugleich Abenteuer und Sicherheit versprach. Das wusste er ziemlich genau. Und das zog bei Frauen unwahrscheinlich (zumindest bei den unbedarften und behüteten Dorfmädchen). Aber Salem war undurchdringlich. Nicht auf unangenehme Art. Aber er schien schon viele Abenteuer erlebt zu haben und Schutz brauchte er ganz sicher nicht. Was hatte Jack also schon zu bieten, um Salem von seinen Vorzügen zu überzeugen???
    "Geht es dir gut? Du siehst ein wenig erhitzt aus", unterbrach Salem seine Gedanken.
    "Ich .. äh ... ja. Ich bin nur etwas müde." Jack drückte sich an dem Magier vorbei und stieg die Treppe hinauf. Er hörte, wie Salem ihm folgte. Der Flur oben war lang. links und rechts zweigten die Gästezimmer ab. Sie hatten den Luxus von Einzelzimmern. Obwohl Jack sich auch gern ein Zimmer geteilt hatte. Er spürte Salem dicht hinter sich. Die feinen Härchen an Jacks Nacken stellten sich auf. Er blieb vor seiner Zimmertür stehen und drehte sich zu Salem um, um ihm gute Nacht zu sagen. Der Gang war leer. Salems Blick traf seinen und hielt ihn fest.
    "Ach verdammt!", entfuhr es Jack leise. Dann trat er einen Schritt auf Salem zu und küsste ihn. Es fühlte sich etwas seltsam an, weil das Tuch, welches Salems Gesicht verbarg, zwischen seinen und Salems Lippen lag. Aber der Magier war so bedacht, dass niemand sah, was unter dem Tuch war, dass Jack sich nicht traute es ohne dessen Einverständnis hinunter zu ziehen.
    Ebenso schnell, wie Jack sich zum Kuss hatte verleiten lassen, unterbrach er ihn auch wieder. Er traute sich nicht Salem in die Augen zu sehen.
    Scheiße! Er hatte einen Mann geküsst. Und wusste nichtmal, ob dieser das gut fand oder nicht. Am liebsten würde er sich in Luft auflösen. Er konnte Salem nicht in die Augen sehen. Schwule Männer waren selten beliebt. Auch wenn er ja nicht schwul war ... scheinbar mochte er Beides.

    Jack stellte sich auf Aljins andere Seite, sodass die junge Frau von ihm und Esme flankiert wurde.
    Der Kerl hatte zwar eingelenkt, aber Jack schätzte den Mann so ein, dass er Aljin auch versuchen würde zu bestehlen, wenn sie unachtsam wurde. Er hatte zwar keine Ahnung, was einer Flasche so unglaublich wertvoll sein sollte, aber für Aljin schien sie sehr großen Wert zu haben, so wie sie sich benahm und Jaki um ihren Arm gewunden zischelte. Auch die Schlange schien ein Auge auf die Flasche zu werfen.
    "Zeig her!", forderte Aljin barsch und Jack wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Händler zu.
    "Eine Schatzsuche klingt spannend. Sowas wollte ich schon immer mal machen", versuchte er die Spannung zu lockern und lehnte sich zum Händler hinüber.
    Dieser kramte widerwillig eine Karte hervor. Sie war vergilbt. An den Stellen, an denen die Karte wieder und wieder gefaltet worden war, war das Papier dünn und die Schriftzüge kaum noch lesbar. Die Ränder waren ein wenig zerfleddert.
    "Ist die Karte überhaupt noch aktuell?", fragte Jack und fuhr mit der Hand durch seine unordentliche Frisur.
    Der Händler warf ihm einen bösen Blick zu.
    "Es ist die Wüste! Da verändert sich nicht viel und alte Ruinen und Städte wandern in der Regel nicht."
    Kein Grund gleich unfreundlich zu werden, dachte Jack, hielt aber den Mund, denn der Händler deutete auf einen Punkt auf der Karte.
    "Hier ist es." Er machte eine melodramatische Pause, eher er "Akrabria" anfügte.
    Jack schätze, dass Akrabria rund zehn Tagesreisen von ihnen entfernt lag. Sie mussten ein gutes Stück in die Wüste hinein.
    Der Weg dorthin sollte allerdings nicht zu anstrengend werden. Auf dem Weg lagen einige Städte und Oasen. Wenn sie ihre Vorräte in der letzten Bastion vor Akrabria auffrischten, sollten sie damit lange genug hinkommen, um eine Weile in der Ruine überleben und den Rückweg schaffen zu können.
    "Moment mal", warf Jack schließlich leise an Aljin und Esme gerichtet ein. "Wollen wir überhaupt nach Akrbria? Und wenn ja, warum?"

    Der Weg zurück nach Argentusia war überraschend ruhig verlaufen.
    Die Leute und Soldaten in der Stadt hatten genug damit zu tun das Feuer in Schach zu halten. Dennoch wurde Jack das Gefühl nicht los, dass das noch ein Nachspiel haben könnte ...
    Nun saßen sie mit dem gebeutelten Stadthalter von Argentusia, dem Hauptmann der Stadtwache und den drei führenden Zwergen an einem Tisch und berichteten nochmal was geschehen war.
    "Ihr habt was?!", fragte einer der Zwerge ungläubig.
    Jack zuckte verlegen mit den Schultern. "Uns blieb irgendwie keine andere Wahl. Wir brauchen das Silber wirklich verdammt dringend."
    Der Zwerg funkelte den Werwolf böse an.
    Hast fügte Jack hinzu: "Und wir finden es natürlich unverantwortlich und widerwärtig ein so fleißiges Volk wie euch auszubeuten ..."
    Dann hielt er den Mund und überließ den anderen das Reden.
    Es dauerte nicht lange bis beide Parteien einen Vertrag ausgehandelt hatten, mit dem beide einverstanden waren.
    Die Zwerge hatten Verständnis für den Stadthalter, der erpresst worden war und erklärten sich bereit wieder Silber abzubauen und erstmal zum ursprünglichen Preis zu verkaufen, bis die Stadtkasse wieder so weit gefüllt war, dass der Stadthalter ihnen zehn Prozent mehr Lohn geben konnte.
    Die Zwerge verließen nach Vertragsunterschrift die Verhandlung.
    Der Stadthalter musterte die Gefährten.
    "Ich bin euch sehr dankbar für eure Hilfe. Auch wenn diese etwas ... unkonventionell ausfiel. Deshalb seid mir nicht böse, aber kauft euer Silber und dann verschwindet, ehe ihr auch Unheil über Argentusia bringt. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist."
    Die vier Gefährten nickten, packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg zu Zwergen in den Steinbruch, um ein kleines Stück Silber zu erstehen.

    Jack war hin und hergerissen. Einerseits imponierte ihm Salem mit seinem bestimmten Verhalten und auch, dass er keine Angst zeigte.
    Salem sah in Normalstimmung schon recht bedrohlich aus, aber so wie er jetzt vor dem Stadthalter stand, hochaufgerichtet, einen entschlossenen Blick und den Flammen, die sich um seine Arme wanden, sah er noch eine Spur beeindruckender aus.
    Andererseits schoss ihm Salems Kommentar beim Betreten der Stadt durch den Kopf: Die einfachste Lösung wäre, diese Stadt vom Erdboden verschwinden zu lassen. Kein Pugna, keine Silberforderungen.
    Salem hatte doch jetzt nicht ernsthaft vor Pugna einfach abzufackeln? Ja gut, der Stadthalter war ein Vollpfosten und wirklich ungerecht und unhöflich und grundsätzlich würde diese Konsequenz ihr Problem lösen, aber das war doch kein Grund eine ganze Horde Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und ihrer Heimat zu berauben ...
    Vielleicht könnten Sie dem Stadthalter ja doch ein kleines Klümpchen Silber aus den Rippen leiern ... "Ähm ... Salem ...", wandte er vorsichtig ein, doch der Magier fixierte immer noch den Stadthalter und schien ihn nicht zu hören.
    Ihn zu berühren wagte Jack aber ebenso wenig wie die Wachen. Der Wolf in ihm scheute das Feuer, auch wenn er wusste, dass ihm von Salem kein Schaden drohte.
    Tja dann musste er sich wohl oder übel auf das kleine Abenteuer einlassen ... Mit gemischten Gefühlen beobachtete er, was wohl als nächstes geschehen würde.

    Sie machten sich ohne Umschweife auf zum Stadthalter. Sie hatten Aljin überreden können mitzukommen (was nicht wirklich einfach gewesen war). Aber sie und Jaki waren schon bei ihrer letzten Besprechung mit einem Sesselfurzer erfolgreich gewesen.
    Salem stieg ohne zu Zögern die drei Stufen zum Haupteingang des Haus des Stadthalters empor und hob die Hand, um daran zu klopfen, als die beiden grimmig blickenden Wachen rechts und links des Portals ihre Lanzen verschränkten:
    "Was wollt ihr?", fragten sie unfreundlich.
    "Zum Stadthalter", antwortete der Hauptmann und trat hinter Salem hervor.
    Die Soldaten an der Tür zuckten zusammen, als sie ihren Vorgesetzten erkannten und öffnete hektisch die Tür.
    Leise trat die Truppe ein. Die Eingangshalle war kleiner, als Jack es erwartet hatte und überhaupt schien das ganze Mobiliar recht schlicht und spärlich. Kein Teppich lag auf dem Boden und statt eines pompösen, goldenen Kronleuchters hin ein einfacher aus Eisen von der Decke. Die Kerze flackerten im Luftzug der offenen Tür. Alles in allem schien dies nicht das Heim eines geldgierigen Machthabers zu sein.
    Jack wandte seinen Blick zum Hauptmann, der ebenso betreten um sich blickte. Scheinbar hatte er etwas anderes erwartet. Das gab Jack zu denken, denn als Hauptmann musste er schon öfter hier gewesen sein und müsste die Einrichtung kennen.
    Oder aber .... oder aber sie hatte sich seit seinem letzten Besuch verändert.
    Der Hauptmann fing sich rasch und führte sie wortlos einen Korridor hinunter. Helle Flecke auf dem Fußboden und an der Wand kennzeichneten die Stellen, an denen wuchtige Schränke und Vitrinen gestanden oder Bilder und Wandbehänge gehangen hatten.
    Eine Vitrine stand noch einsam im Flur. Jack öffnete im Vorbeigehen leise die Tür und stellte fest, dass sie leer war.
    Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
    Der Hauptmann klopfte leise an eine Tür am Ende des Ganges und trat dann ein. Vorher bedeutete er ihnen draußen zu warten.
    "Sir", hörte Jack ihn sagen.
    "Was wollt Ihr, Hauptmann?" Die Stimme des Stadthalters klang unendlich erschöpft, aber nicht unfreundlich.
    "Ich habe ein paar ... Freunde, mit einem Anliegen. Ich dachte, Ihr könnt ihnen am besten helfen."
    "Geht es um das Silber?"

    Der Hauptmann antwortete nicht, wohl weil er wusste, dass der Stadthalter ihn sonst direkt wieder wegschicken würde. Er gab nur ein Zeichen, dass sie eintreten durften. Einer nach dem anderen schoben sie sich durch die Tür.
    Zuerst der Riese Salem, mit dem dunklen Tuch vor dem Gesicht. Dann Aljin, deren Schlange sich um ihren Arm wand, es folgte Esme mit ihrem wilden hexenartigen Aussehen und dann Jack in seiner abgewetzten und staubigen Kleidung.
    Der Stadthalter warf dem Hauptmann einen ungläubigen Blick zu. "Wo habt Ihr die denn aufgegabelt?"
    "Ich bitte Euch, hört sie an ...", kam die sanfte Antwort.
    "Ich habe andere Sorgen."
    "Ich weiß, um eben darum geht es ..."
    "NICHTS weißt du!",
    brüllte der Stadthalter plötzlich aufgebracht und sprang dabei auf die Füße.
    Erst jetzt fiel Jack auf, wie klein und abgemagert der Mann war. Sein Haar hing in Strähnen an seinem Kopf, seine Kleidung schien die Älteste zu sein, die er hatte finden können. Er hatte auf einem einfach Holzstuhl gesessen zu dem der passende Tisch fehlte.
    Der Hauptmann zuckte zurück. Jack schob sich nach vorne, denn er wusste, dass sein Charme auch bei Männern seine Wirkung zeigte.
    "Das stimmt", sagte er beschwichtigend und hob dabei die Hände. "Wir wissen rein gar nichts. Aber ... darf ich offen sein?"
    Der Stadthalter, dessen Zorn ebenso plötzlich verebbt warm wie er gekommen war, ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und nickte müde.
    Jack machte eine Handbewegung, die das gesamte Haus miteinschloss. "Dieses Haus sieht nicht wirklich aus, wie ein Haus von einem geldgierigen Geizhals. Vielmehr sieht es aus, wie das eine Mannes, der in großen Schwierigkeiten steckt ..."
    Der Stadthalt sog leise die Luft ein. Offensichtlich hatte Jack ausgesprochen, was alle dachten und wussten, aber sich nie hatten anzumerken getraut. Doch eine weitere Welle Wut seitens des Stadthalters blieb aus. Er seufzte nur tief und unendlich erschöpft.
    "Ich würde euch ja etwas zu trinken und einen Sitzplatz anbieten, aber ..." Er lächelte halbherzig.
    Jack blickte sich um, sah aber nur einen kleinen Fußhocker, der einsam im Raum stand. Er zog ihn heran und setzte sich. Allein schon, um mit dem Stadthalter auf eine Augenhöhe zu kommen. "Erzählt ..."

    Jack beobachtete Salem, der wiederum die Zwerge beobachtete.
    Bildete er sich das ein, oder starrte Salem auf die mächtigen Bärte der Zwerge? Gut, sie sahen schon toll aus. In allen Nuancen von braun und rot, struppig und doch gepflegt. Sie waren kunstvoll geflochten und mit bemalten Holzperlen und kleinen Tierköpfen aus Gold uns Silber verziert. Letztere waren jedoch nicht so häufig vertreten. Aber trotzdem: Stand Salem etwa auf Haare? Jack strich über sein haarloses Kinn und dachte an seine glatte Brust. Andererseits war er als Wolf ziemlich haarig und sein Fell war - bescheiden gesagt - umwerfend. Es schimmerte beinahe bläulich und war unglaublich seidig. Aber als Wolf mit Salem ... Moment! Dachte er gerade wirklich darüber nach, ob er Salem gefiel? Also stand er wirklich auf den Magier. Bis jetzt hatte er das nie so direkt festgestellt und den Gedanken immer beiseite geschoben, aber das war schon eindeutig.
    Ich stehe auf Salem ..., dachte Jack. Ich stehe auf Salem!
    Überrascht stellte der Werwolf fest, dass ihm der Gedanke sogar gefiel.

    Und während Jack sich um seinen inneren Kosmos drehte, löste sich die Veranstaltung vor ihnen langsam auf. Die Zwerge gingen mürrisch und pöbelnd, aber sie gingen. Sie schienen, ebenso wie der Hauptmann, nicht daran interessiert die Situation eskalieren zu lassen. So viel Beherrschung hätte Jack den kleinen Haudegen gar nicht zugetraut.
    Neben ihm setzte sich Salem in Bewegung und folgte dem Hauptmann, der mit seinen Soldaten in sicherem Abstand den Zwergen folgte, um sicherzustellen, dass nichts Dummes geschah.
    "Herr Hauptmann!", rief der Magier und beschleunigte seinen Schritt ein wenig. Selbst Jack, der eigentlich recht groß gewachsen war, hatte Mühe mit den langen Beinen Salems mitzuhalten.
    Der Hauptmann hörte Salems ruf und blieb stehen. Er strahlte in erster Linie Autorität aus, aber auch Freundlichkeit. Er musterte die Gefährten und schien sie - jeden für sich - einzuschätzen. Es überraschte Jack, dass bei Anblick Salems kein Misstrauen in die Augen ihres Gegenübers trat, wie es sonst so oft der Fall war.
    "Was gibt es?", fragte der Mann in Gardeuniform.
    "Wissen Sie was der Grund des Aufstandes der Zwerge ist?", ergriff Jack das Wort.
    Der Hauptmann sah sie ungläubig an und Jack warf schnell hinterher: "Wir sind erst vor kurzem angereist. Man sagte uns, hier gäbe es das beste Silber in 500 Meilen Umkreis. Aber es ist nicht mal schlechtes Silber erschwinglich zu kaufen und dann treffen wir auf einen Zwergenaufstand."
    Der Hauptmann schmunzelte und erst da ging Jack auf, dass er sein letztes Wort vielleicht etwas ungünstig gewählt hatte. Sei's drum. Der Hauptschien amüsiert und war zum Glück kein Zwerg. Trotzdem sah Jack sich nochmal vorsichtshalber um. Kein Zwerg zu sehen. Puh.
    "Die Zwerge streiken", antwortete der Hauptmann.
    "Bitte was?", fragte Jack ungläubig.
    "Sie streiken. Sie wollen mehr Geld für ihre Arbeit. Sie schürfen das Silber für eine recht bescheidene Entlohnung. Der Stadthalter aber ist mit dem Handel reich geworden. Die Zwerge wollen an dem Erfolg beteiligt werden und solange das nicht der Fall ist, legen sie ihre Arbeit nieder. Das heißt: kein Silber."

    Die Antwort lag nahe. Sie mussten in die nächstgrößere Stadt.
    Dunneport war zu klein und Jack hatte dort weder einen Juwelier noch einen Goldschmied gesehen.
    Natürlich hätte er Salem auch anderweitig Schmuck besorgen können, allerdings konnte er Silber kaum von Nickel unterscheiden und bevor er die Sache noch schlimmer machte, beschloss er in diesem Fall ehrlich Silber zu erwerben ... oder sich zumindest ehrlich von jemandem beraten zu lassen, der Ahnung hatte.
    Nach Esmes Beschreibung lag die nächste Stadt nur eine Tagesreise entfernt an der Küste. Sie entfernten sich also noch ein gutes Stück von der Wüste. Was Jack ganz gelegen kam. Er mochte es zwar warm, aber nicht heiß.
    Er packte also kurzerhand seine sieben Sachen und hakte sich spaßeshalber bei Salem unter (sein Arm kribbelte bei der Berührung).
    Dann wandte er sich an die anderen. "Wer kommt mit?"

    Jack stieß ein reflexartiges Knurren aus, das er nicht mehr unterdrücken konnte.
    Seine Augen flackerten hin und her, unschlüssig was er tun sollte. Er warf einen Blick zu Aljin und Esme. Beide wussten nicht was er war, doch er war sich ziemlich sicher, dass sie ahnten, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
    Die Wiedergänger rückten näher um sie, Salem hob drohend seine Hand, die Flammen darum wurden größer.
    Auch Aljin und Emse gingen in Position. Sie schienen also ebenfalls kämpfen zu wollen.
    Dennoch zweifelte Jack, dass sie kämpfen UND ihn beschützen konnten. Er konnte nicht untätig herum stehen und sie im Stich lassen ...
    Seine Gedanken überschlugen sich. Würden sie ihn verstoßen? Würden sie gar nach seinem Leben trachten, wenn sie erkannten, was er war?
    Andererseits hatte Salem es auch nicht getan ... und er half ihnen schließlich.
    Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als die ersten Wiedergänger sich auf die Gruppe warfen. Jacks Instinkte übernahmen die Kontrolle. Mit einem wilden Schrei warf er sich ebenfalls auf seine Angreifer. Auf halber Strecke verwandelte sich sein Ausruf in ein wölfisches Heulen, ihm wuchsen Fell und Augenblicke später zerbiss sein Gewaltiger Kiefer den Körper des Wiedergängers. Wild fuhr er herum und glitt tiefer in die Reihen seiner Feinde. Immer wilder kämpfte er. Dann plötzlich stand Salem vor ihm. Er blickte ihn an. Jack sprang mit einem gewaltigen Satz über ihn hinweg. Freund! (Zum Glück war in der Vergangenen Nacht Vollmond gewesen, sonst hätte Salem abermals einen Biss abbekommen.)
    Jacks Nase registrierte, dass der Magier sich davon machen wollte. Sein Geruch entfernte sich.
    Jack stieß ein amüsiertes Knurren aus. Er blickte sich um. Seine Begleiter schienen die Lage irgendwie im Griff zu haben. Also setze er mit riesigen Sprüngen dem Magier nach. In einer normalen Nacht, waren seine Bisse frei von jedem Zauber. Also mochten die Götter dem Mann gnädig sein, wenn er ihn erwischte ...
    Nicht töten! Freund braucht ihn!, ermahnten ihn die Reste seiner menschlichen Sinne.
    Es dauerte nicht lange und er hatte den Mann eingeholt. Gehetzt blickte dieser sich um und sah sich Auge in Auge mit dem nachtschwarzen Wolf. Er begann Blitze zu werfen. Einige trafen Jack, doch in seiner Raserei war es ihm egal.
    Er holte den Magier vollends ein und schlug seine Zähne in sein Bein. Der Mann heulte auf und fiel der Länge nach hin. Jack versetzte ihm einen Schlag mit seiner mächtigen Pranke, der seinem Gegner die Sinne ausknipste.
    Innerlich schüttelte der Werwolf den Kopf. Erbärmlicher Magier ... setzte seine Magie so widerlich ein und schien ansonsten auch nicht so viel drauf zu haben. Ob er Salem wirklich helfen konnte? Einen Versuch war es wert.
    Er schlug seine Zähne in das gesunde des Mannes (sicher ist sicher, falls er aufwachte) und schleifte ihn zurück zu seinen Gefährten.