Unter glühender Sonne (von @Cory Thain)
Es war heiß. Karneo hatte gewusst, dass es in der Wüste heißer war als in der Stadt. Doch so schlimm hatte er sich nicht vorgestellt. Selbst sein graues Sonnenschutztuch, dass seinen Körper komplett umhüllte, schien kaum die Hitze abwehren zu können. Karneo wollte nicht darüber nachdenken, ob es wohl außerhalb der Hülle noch heißer sein könnte.
Die Truppe war schon seit knapp 40 Tagen hier draußen, Männer und Frauen, die dem Elend der Stadt hatten entfliehen wollen. Allesamt waren sich in das gleiche schützende Grau gehüllt, sodass man nur spärlich erkennen konnte, wer wo ging. Nur der kleine stoffverhüllte Mensch neben Karneo war klar von den anderen zu unterscheiden: Robino, Karneos Bruder war eigentlich noch viel zu jung für die Wanderschaft gewesen. Doch seit die Eltern der beiden im Vorjahr auf die Wanderung gegangen waren, hatte Robino nur noch seinen Bruder. Und Karneo hatte sich erweichen lassen, den kleinen Jungen mit auf die Reise zu nehmen. Eine Reise, von der es keine Wiederkehr gab.
Wenn sie erst die Berge erreichten, wären sie aller Sorgen ledig. In den Bergen gab es Höhlen, die so tief waren, dass selbst im längsten Sommer angenehme Kühle herrschte. Quellen, klar und sprudelnd, an denen man seinen Durst löschen konnte, wann immer es einen danach gelüstete. Schattige Täler, in denen man selbst am Tage ohne Schutz wandeln konnte. Das Traumreich! Noch nie war jemand von dort zurückgekehrt in die Stadt. Warum auch, das Leben in der Stadt war unangenehm und hart...
Böse Zungen allerdings behaupteten, dass nur deshalb niemand zurückkehrte, weil niemand die Wanderung überlebte. Doch der Traum war nicht zu töten. Jedes Jahr brachen viele Leute auf, um ein besseres Leben zu finden.
Karneo wusste, dass die Wüste zu durchqueren, ein gefährliches Unterfangen war. Es waren in ihrer Gruppe bereits drei Leute gestorben, weil sie ihr Trinkwasser nicht richtig eingeteilt hatten, oder sie sowieso zu schwach gewesen waren.
Der erste Tote war die schlimmste Erfahrung. Die graue Gestalt war einfach in sich zusammengesackt. Irgendwer hatte unter seinen Umhang geblickt und festgestellt, dass er tot war. Einfach so, von einem Augenblick zum anderen ... oder wer weiß, wie lange er schon stumm gelitten hatte. Und dann hatte ein anderer dem Toten das graue Tuch vom Leibe gezogen. Der Leichnam war nun der prallen sengenden Sonne ausgesetzt und machte in beängstigender Geschwindigkeit eine grausame Wandlung durch: Seine Haut wurde glasig, irgendetwas graues waberte in den Beulen, die größer wurden, ineinander über gingen. Und dann riss die Haut, das graue Zeug floss heraus auf den Boden und versickerte. Die Haut fiel in großen Fetzen vom Körper des Toten, und das Fleisch darunter war schwarz und rissig, wie alte trockene Kohle. Der Leichnam lag schließlich wie ein verbranntes Häufchen im Wüstensand, sein Gesicht war nur noch eine schwarze Fratze, eigentümlich verzerrt, als hätten ihn noch im Tode die Schmerzen der Veränderung gequält.
Bei den zwei anderen Toten, einer älteren Frau und einem jungen Mann in Karneos Alter, hatten sie den Leichen das Tuch gelassen. Nicht so sehr aus Respekt oder Ehrfurcht, sondern aus Angst, dieses Schauspiel ein weiteres Mal miterleben zu müssen.
Als Robino wankte, fasste Karneo sofort zu: „Was ist, Bruder?“
Robinos Stimme war schwach, durch die Tücher hindurch kaum noch zu hören: „Wasser! Ich hab kein Wasser mehr!“
Karneo zog Robino an sich und hob ihre beiden Tücher, sorgsam darauf bedacht, keine Sonne abzubekommen. „Nimm von meinem,“ bot Karneo an, wissend, dass er sich vielleicht selber damit zum Tode verurteilte. Doch Robino war schon zu schwach, nach Karneos Flasche zu greifen und als der Größere seinem Bruder das Getränk an den Mund setzte, sackte Robino mit einem kläglichen Seufzer zusammen und zerrte dabei an den grauen Tüchern.
Für den Bruchteil eines Augenblickes war Karneos linke Hand mit der Wasserflasche den grellen Strahlen der Sonne ausgesetzt. Eilig zog Karneo sein Tuch wieder zurecht und beugte sich über Robino. Der kleine Junge atmete bereits nicht mehr. Karneo strich ihm mit der Hand über den kleinen überhitzten Kopf: „Du hättest noch nicht gehen sollen... WIR hätten noch nicht gehen sollen!“ flüsterte Karneo „ich bin schuld!“
Sorgsam deckte Karneo seinen Bruder mit dem grauen Tuch zu. Dann erhob er sich und steckte seine Wasserflasche wieder weg. Dabei bemerkte er winzig kleine rote Punkte auf seinem linken Handrücken.
Es waren nicht viele und sie lagen weit auseinander, und vor allem: Es juckte nicht. Karneo beobachtete einen Moment die Pünktchen, doch da sie sich nicht veränderten, schob Karneo den Gedanken daran weg. Er musste eilen, um die Gruppe wieder einzuholen.
Irgendwann begann die Hand zu kribbeln, als liefen tausende winzige Tierchen darauf herum. Karneo wollte nicht hinsehen und tat es doch. Die Punkte waren zu kleinen Blasen herangewachsen, in denen graue Flüssigkeit schwappte. Interessanterweise fühlte sich die Hand kühl an, sehr viel kühler als sie es bei einer solchen Hitze sein sollte.
Karneo konnte nicht aufhören, seine Hand anzustarren, die Blasen wurde größer, langsam nur, sehr viel langsamer als bei dem Toten in der Wüste, aber irgendwann wuchsen sie zusammen und waren eine große grau wabernde Fläche. Mit der Faszination des Ekels tippte Karneo mit der gesunden Hand auf die Blase, die daraufhin platzte und unter dem herunterlaufenden grauen Schleim schwarzes rissiges Fleisch offenbarte.
Es tat nicht weh. Das war das Eigentümliche. Karneo verspürte keinerlei Schmerz. Und als er mit der gesunden Hand auf den schwarzen Handrücken fasste, fühlte es sich zwar rauh an, aber die rissige verbrannte Hand lebte. Sie fühlte sich an, als sei sie völlig normal und das Rissige sei nur eine Schicht Dreck oder Schorf, der bald abfiele. Versuchsweise rieb Karneo daran, aber es gelang ihm nicht, das Schwarz wegzuwischen.
Karneo hatte nicht bemerkt, dass er langsamer geworden war und schließlich stehengeblieben. Immer wieder versuchte er, den schwarzen Schorf wegzurubbeln, vor allem, weil nun auch sein linker Arm mit kleinen roten Pünktchen bedeckt war. Unten am Handgelenk waren schon die ersten Blasen ineinander gewachsen und das kühle Gefühl des grauen Schleims begann zu wirken. Es war, bis auf das anfängliche Kribbeln, fast angenehm.
Als sein Oberkörper die ersten Bläschen zeigte, war der linke Unterarm bereits schwarz und rissig wie die Hand. Karneo hatte aufgegeben, zu reiben. Als sei es nicht er, der da kühl verbrannte, beobachtete er die Szenerie fast schon unbeteiligt.
Vom Oberkörper breiteten sich die roten Punkte gleichmäßig auf alle Körperteile aus. Die Blasen wuchsen, platzen und hinterließen schwarzes Fleisch.
Und jetzt tat es auch weh. Nicht besonders schlimm, eher, als zerre das trockene Fleisch an Knochen und Muskeln unter sich, als schöbe und verforme sich der Körper. Allerdings konnte Karneo keine wirklichen Veränderungen erkennen. Zumindest bis zu jenem Punkt, da das graue Tuch seine mit Bläschen übersäten Beine freigab. Eilig versuchte Karneo, sich zu bedecken, doch er musste feststellen, dass das Tuch geschrumpft war. Es reichte nicht mehr, um sich darin einzuwickeln.
Es machte ihm jedoch keine Angst und einen Augenblick fragte er sich, ob er nicht schon tot war oder zumindest im Delirium, fiebernd wildes Zeug träumend. Auch das ängstigte ihn nicht.
Er richtete sich auf, ließ das graue Tuch achtlos zu Boden gleiten und wartete auf den Sonnen-Tod. Doch er starb nicht. Die Sonne war nur angenehm warm auf seinem Körper und der Wind der Wüste strich kühlend über seine schwarze Haut.
Eine eigentümliche Bewegung hinter ihm ließ ihn erschrocken aufspringen und es dauerte einen Augenblick, eher er begriff, dass er nicht wieder landete nach dem Sprung. Im Gegenteil, immer höher stieg er in den klaren blauen Himmel, der Sonne entgegen, mühelos, schwerelos.
Karneo blickte nach unten zum Boden, der sich langsam entfernte. Ein Schatten auf dem Wüstensand entfachte Panik in ihm: Ein riesiger Drache flog irgendwo über ihm im Blau... Unruhig sah sich Karneo um. Da war nichts. Nirgendwo.
Nur er selber...