Beiträge von Thorsten im Thema „Magie ausarbeiten“

    Was ich versuche zu sagen ist: Es gibt in jeder Welt, auch in unserer, den sogenannten ISSO-Faktor. Dinge, die man nicht erklären kann. Gut, irgendwer wird das vielleicht können, aber Otto Schnawulke und ich können es nicht. Trotzdem funktionieren sie. Und wir nutzen sie.

    Hm, ich denke, als Autor sollte man darueber Bescheid wissen worueber man schreibt- inwieweit der Leser das gesagt bekommen muss ist eine andere Frage. Wenn ich jetzt eine Geschichte auf einem Pferdehof spielen lasse, dann muss ich nicht erklaeren wie eine Galopphilfe eingesetzt wird, oder wie sich eine Kandare von einem Hackamore unterscheidet. Aber wenn ich nicht weiss was eine Kandare ist, sondern nur dass es irgendwas ist was am Pferd befestigt ist und das Wort trotzdem verwende, dann ist die Gefahr dass die Reiter unter den Lesern nicht mehr die Geschichte sehen, sondern dass in den Vordergrund tritt dass der Autor offensichtlich keine Ahnung hat, sondern einfach nur so tut.

    In einer Zombie-Geschichte zwingt den Autor niemand, zu erklaeren wie Zombies funktionieren - aber wenn er es selbst nicht weiss, verwickelt er sich vielleicht in Widersprueche. In einer SciFi Geschichte verlangt niemand dass der Autor reales technisches und wissenschaftliches Vokabular benutzen muss (in Star Wars funktioniert das wunderbar ohne...) - aber wenn er es tut ohne es zu verstehen, dann muss er damit rechnen dass Leute die es verstehen aus der Geschichte rausgerissen werden. Und wenn jemand einen Plot hat der mit den Grenzen von Magie in einer Welt zu tun hat und einmal geschrieben hat dass X moeglich ist, und ein anderes Mal dass aus X Y folgen kann, dann kann er nicht spaeter schreiben dass Y nicht geht - viele Leser die ich kenne hassen es, wenn die Regeln fuer Magie erst eingefuehrt und dann wieder verworfen werden und sich das nie zusammenfuegt.

    Es zwingt niemand einen Autor einen Plot zu verwenden in dem es wichtig ist was die Regeln und Grenzen fuer Magie sind (oder sie teilweise zu erklaeren) - aber wenn er es tut, dann sollte er sie kennen und sich an sie gebunden fuehlen.

    David:

    Magie ist so mein grosses Thema an Fantasy - der wichtigste Grund warum ich das lese und schreibe. Also versuch ich vielleicht mal was zum Nachdenken zu schreiben.

    Man kann Magie auf zwei Arten anlegen - die eine ist wie Du das gemacht hast - das wuerde ich Metaphysik nennen. Magie ist eine Kraft in der Welt, die kann man quantifizieren ('da ist mehr oder weniger Mana drin'), speichern, uebertragen, die kann etwas tun - wir koennten das ganz detailliert ausarbeiten und Gleichungen aufstellen die zeigen wie ein Magier im Lauf der Zeit sein Mana verliert (wie etwa ein Kondensator seine elektrische Ladung),...

    Das ist wie Physik, nur mit dem Unterschied dass die Kraft eben bestimmte geistige Anstrengung erfordert. Magier in dieser Welt werden dann eher wie Wissenschaftler, sie studieren eben den Fluss dieser Kraft und die Regeln nach denen sie gelenkt werden kann...

    Das ist, auf seine Art, reizvoll wenn es gut beschrieben ist.

    Die andere Art, Magie anzulegen, ist, dass es etwas geheimnisvolles ist, was im Kern nicht direkt erzaehlt werden kann. Das ist jetzt schwer zu erklaeren, denn... ich kann nicht erzaehlen was ich meine.

    Magie kann nicht in Worte gefasst werden, statt dessen tanzt die Geschichte staendig um darum herum, spielt mit Symbolen und Andeutungen, mit Dingen sie sein koennten, es gibt keine Regeln die ausformuliert sind, aber es gibt Regeln.

    Ich geb' einfach mal weil ich ihn da habe einen Text von mir wo eine Hexe Magie wirkt als Beispiel:

    Die Hexe blickte auf den Dolch und die Schale die sie auf dem Stein ausgebreitet hatte ohne die Gegenstände wirklich zu sehen. Es war nicht nötig - diese Dinge waren nicht wirklich, wirklich war nur die Bedeutung die sie hatten.

    Sie konnte die Kälte um sich herum spüren, an ihren geröteten Fingern, an ihren schon fast tauben Wangen und tief in ihren alten Knochen. Die
    alten Legenden hier im Norden sprachen davon, daß die Welt aus Eis und Feuer erschaffen war. Unten im Süden erzählten sie andere Geschichten, aber niemand der hier stand, das Feuer an den tiefen Wurzeln der Berge spürte und den tödlichen Eiswind, der um ihre Gipfel stürmte, konnte zweifeln was die Wirklichkeit war.

    Feuer und Eis... Das war die Wirklichkeit hinter den Dingen. Hitze und Kälte, Leben und Tod, Erschaffung und Zerstörung.

    (...)

    Sie tat einen tiefen Atemzug, enspannte ihren Blick und sah in die Anderswelt. Nach all den Jahren kostete es sie keine Anstrengung mehr,
    zwischen den Welten zu wechseln. Grauer Nebel, auch hier, aber da schwebten die beiden Runen vor ihr, substanzlos noch, und dennoch fühlte
    sie die Macht, die ihnen innewohnte. Die plötzliche Gewalt eines Hagelsturms, der aus dem heiteren Himmel die Ernte zerstören konnte. Und
    das fiebrige Glühen einer Fackel, Licht das sich selbst verzehrte um ein letztes Mal aufzuleuchten.

    Es war kalt - wie auf den Bergen, so in ihren Knochen. Es war heiß - wie tief unter den Bergen, so der Zorn in ihrem Herzen. Wie oben, so unten. Es war der letzte Morgen der alten Welt, und der erste Morgen einer neuen Welt. Erschaffung und Zerstörung, beides war Eins.

    Sie zog Macht aus den Bergen, von tief unter ihren Wurzeln und von hoch oben an ihren Gipfeln. Sie murmelte keine Worte mehr um die Magie zu kanalisieren wie in ihrer Jungend, statt dessen atmete sie die Macht, blies sie auf die Runen die hell aufflammten. Filigrane Muster breiteten
    sich vor ihren ihneren Auge aus, gaben ihrem Willen Form und der Kraft die duch sie strömte Gestalt.

    Der letzte Morgen der Welt - der erste Morgen einer neuen Welt. Zerstörung und Schöpfung.

    Ihr Atem vermischte sich mit dem eisigen Wind und trug ihre Magie mit sich, fort von dem Hügelrücken auf dem sie stand, weit hinunter ins Tal.

    Was in dieser Beschreibung passiert wirklich - was ist nur Vorstellung? Was sagt der Text ueber die reale Welt aus - was bedeutet das fuer die Anderswelt? Wie ist denn die Vorstellung vom Aufbau der Welt, die der Passage zugrunde liegt?

    Fuer mich persoenlich ist die sezweite Art, ueber Magie zu schreiben viel reizvoller - aber zugegebenermassen auch viel schwieriger. Ein tolles Buch wo tatsaechlich beide Arten zusammen vorkommen ist 'The Name of the Wind' von Patrick Rothfuss - wo der Protagonist Kvothe erst Metaphysik lernt und dann irgendwann realisiert dass er ploetzlich was ganz anderes zu Gesicht bekommen hat - die Magie aus den alten Geschichten, wie es genannt wird. Und im zweiten Band gibt's einen herrlichen Abschnitt wo Kvothe mehr oder weniger daran verzweifelt zu begreifen was das 'Lethani' ist- denn es ist ein Konzept das nicht erklaert werden kann - und er zufaellig einen Weg findet, ueber das Lethani zu reden, ohne dass er sagen kann was er da eigentlich weiss.

    Etwas wissen, ohne es zu wissen - so ein Konzept gut in einen Text packen zu koennen, das ist fuer mich ganz grosse Kunst.