Beiträge von Thorsten im Thema „Der erste Satz“

    Er will vielleicht etwas ausdrücken... aber es liegt am Leser, das für sich festzustellen... denn der Leser gehört ja auch zum Prozess dazu.

    Und das ist irgendwie das schoene am Forum, denn der Autor bekommt gleich Feedback wie das was er ausdruecken wollte bei verschiedenen Lesern angekommen ist.

    Aus diesem Grund wird uns im Germanistikstudium eingepredigt, dass man diese Frage nicht stellen soll, weil sie sinnlos ist.

    Hm - das scheint mir ungewoehnlich...

    Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem Germanisten die mich da - sagen wir mal vorsichtig - ratlos gemacht hat. Es ging um die Beziehung zwischen Aragorn und Eowyn im Herrn der Ringe - besagter Germanist hat in einer Sammlung von Essays (fuer den ich was linguistisches beigetragen hatte) eine eher steile These zum Frauenbild dahinter vertreten.

    Jetzt gibt's in den 'Letters fo JRRT' auch einen Brief wo Tolkien seine Gedanken zu dem Dreieck Aragorn, Eowyn und Arwen recht genau darlegt - was eben nicht zu der These passte. Also hab' ich besagten Germanisten auf Tolkien's Absicht ('das will uns der Autor hier wirklich sagen') aufmerksam gemacht.

    Etwas erstaunt war ich dann ueber die Antwort - es kaeme nicht auf die Absicht des Autors an, sondern auf die Rezeption des Texts.

    Man ist ja Empiriker, und ich war damals in recht vielen Tolkienforen unterwegs, also hab' ich eine Spontanumfrage gestartet wie verschiedene Leute den Text rezipieren. Von etwa 30 Antworten waren die meisten wie Tolkien das beabsichtigt hatten, ein paar abweichend, niemand auf der Seite des Germanisten.

    Daraufhin hatte ich ihm geschrieben dass auch niemand den Text so zu rezipieren scheint wie er das behauptet - worauf ich informiert wurde dass ich nichts davon verstehen wuerde.

    Jo, wollte ich dann auch nicht mehr. Mir schien das eine Einladung zum rumfabulieren, recht losgeloest vom Text oder der Absicht des Autors. Insofern - schoen wenn das heute nicht mehr gemacht wird :D

    könnte ein Germanistiker da trotzdem "typische Stilmittel" rauslesen... ich hab ja ga keine reingeschrieben.

    Klar hast Du das.

    Sollen wir die Probe auf's Exempel machen ob irgendjemand einen Text von mir anhand einer Stilanalyse von einem Text von Dir unterscheiden kann?

    Du magst eher klare, einfache Saetze - ich hab' viel mehr Drang zum Nebensatz (und eine Schwaeche fuer Partizipien...). Du hast weniger Scheu vor Wiederholung von Namen der Akteure - ich gehe da eher auf Synonyme. Du verwendest wenig Adjektive - ich mag sie eigentlich sehr gerne.

    Ob Du da jetzt bewusst Alliterationen setzt oder nicht ist eher nebensaechlich - Deine Texte sind nicht so unaehnlich wie Du auch hier im Forum bist - eher direkt. Zufall? Ich denke nicht...:D

    Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr "der Deutsche" (tm) Dinge verkopfen kann. Ist das in anderen Sprach-Gebieten auch so? Gibt es "espaniolisten" oder "italianoisten"?

    Yepp.

    Thema/Rhema und 'topicalization' habe ich vor zwei Wochen erst bei Erhard Graefe in der Mittelaegyptischen Grammatik gefunden - das ist jetzt meiner Einschaetzung nach eigentlich mehr was linguistisches als was stilistisches.

    Der Punkt ist, dass es im aegyptischen Substantivalsatz (ein Satz ohne Verben) einen Unterschied fuer sie Wortstellung macht, was Thema und was Rhema ist - der Satz wird dadurch nicht besser wenn sich der Schreiber klar macht was was ist, sondern er wird erst dadurch richtig.

    Linguistik beschaeftigt sich mit solchen Strukturen (da gibt's durchaus noch schraegere, Chomsky's X-bar zum Beispiel) um darueber zu reden was in verschiedenen Sprachen gemeinsam oder unterschiedlich ist.

    Also - zum Beispiel hat Deutsch ein Futur mit Hilfsverb 'ich werde wissen' - Finnisch hat keine solche Form, aber natuerlich reden auch Finnen ueber die Zukunft - also braucht man ein Set von Begriffen in denen man Konzepte fasst die ein Sprecher ausdruecken will damit man sehen kann mit welchen Formen eine Sprache diese Konzepte konkret realisiert.

    Thema und Rhema sind solche Konzepte - die helfen Dir primaer wenn Du wissen willst wie Dein Satz moeglichst gut uebersetzt werden sollte oder wenn Du Sprachen vergleichst - um einen besseren deutschen Satz zu schreiben bringen sie eher nichts.

    Und ja, es gibt auch Anglisten, Russisten,... die sich mit der Literatur und der literarischen Sprache dieser Laender auseinandersetzen - ich glaube wenn man sowas studiert bekommt man auch den Grundkurs Linguistik dazu...

    Werden Texte besser, wenn man sie durch die Germanistik-Mühle treibt?

    Jein.

    Schreiben ist kreativitaet, aber es ist halt auch Technik dabei - ich nehme an auch fuer Dich sollte die Rechtschreibung okay sein, sollte die Grammatik stimmen und sollte vermutlich auch die Stilebene der Saetze zueinander passen - und an dem Punkt ist eigentlich schon recht viel Technik drin.

    Also - mal konkret:

    bigbadwolf hat uns z.B. auch extra noch die Alliteration 'Hilferufe holder Hofdamen' wieder ins Drehbuch fuer Schwert und Held II geschrieben so dass ich gestern 5 Minuten gepuzzelt habe wie ich die fuer die Untertitel gut auf Englisch machen kann ('despair of damsels in distress') - wenn Du genug 'Muehle' verinnerlicht hast dass das alles aus dem Bauch raus geht, dann gut - aber grade wenn Du dann mit dem Text arbeitest und versuchst Stilebene und Wortspiele zu uebersetzen oder kuerzen willst ohne die Essenz zu verlieren, dann hilft es schon da mehr Werkzeug zu haben mit dem man das analysiert.:)

    ich sehe Geschichten ganz unterschiedlich vor mir. Manche sind farbig, fast wie in Oel gemalt, Manche sind in gedeckten Erdfarben, wie im Kino vielleicht, Manche sind fast farblos, monochromatisch, wie ein Film Noir. Manche sind ganz detaillierte Bilder, andere eher wie ein Manga skizziert.

    Wie die Geschichte auf mich wirken wird, in welcher Farbpalette und welchem Detail, weiss ich normalerweise schon auf der ersten Seite,

    (Jede Art die Geschichte zu sehen ist fuer mich auf ihre Art und Weise reizvoll - das also ohne Wertung).

    Warum genau das so ist weiss ich nicht, aber es scheint mir dumm, anzunehmen dass der erste Satz nichts damit zu tun hat. Jeder der ersten Saetze schlaegt einen Pflock ein aus dem die Szene in meinem Kopf kommen muss. Ob der lakonisch ist oder lang, ob er viele Adjektive hat oder nicht, ob schon was passiert oder nicht - das spielt sicher eine Rolle.

    Aus den Beispielen oben:

    'Dune' zum Beispiel beginnt mit einem Geschehen - da sehe ich keine statische Szene sondern eher Details. 'Fraeulein Smilla' beginnt mit einer Sehnsucht - da sehe ich mehr inneres Erleben vor mir, und der Frost setzt die Farbpalette in meinem Kopf zu einem arktischen Pastell.

    Ich denke schon, einen guten Einstieg in eine Geschichte zu finden ist eine grosse Kunst (die aber am Ende steht - vorher will die Geschichte ja entworfen sein bevor man weiss, was fuer einen Einstieg man braucht...)