Beiträge von Theo-Drecht im Thema „Der erste Satz“

    Liebe Cory Thain , liebe Alle – was für eine tolle Diskussion hier erblüht ist, als ich das erdfarbene Forenfenster für ein paar Tage missachtete :D

    Zuerst abzuhandeln:

    Der Punkt ist, dass es im aegyptischen Substantivalsatz (ein Satz ohne Verben) einen Unterschied fuer sie Wortstellung macht, was Thema und was Rhema ist - der Satz wird dadurch nicht besser wenn sich der Schreiber klar macht was was ist, sondern er wird erst dadurch richtig.

    Forum.exe has stopped working. :thumbsup: Sorry Thorsten, hier musste ich herzlich lachen, plötzlich vom "Ägyptischen Substantivalsatz" zu lesen! Nein, es ist ein toller Einschub, weil er zeigt, dass die Begriffe wichtig sind, und insbesondere was selbst zum Erlernen unserer Sprache das Gefühl übernehmen kann uns zu Einsichten über unsere eigene Sprache zwingen würde, wenn wir nun ägyptisch lernen wollten!

    Mein Linguistikdozent sagt nach jedem dritten Satz: "Und das grandiose ist ja, dass Sie 90% von dem einfach können!"

    Stanzls (überholtes) Modell der Erzählperspektiven

    Nichts gegen Stanzls unüberholbares Modell der Erzählperspektiven! :pirate:

    Etwas erstaunt war ich dann ueber die Antwort - es kaeme nicht auf die Absicht des Autors an, sondern auf die Rezeption des Texts.

    Dazu fällt mir ein: Autonomieästhetik. Die Vorstellung dass die Kunstsphäre für sich und nur für sich steht und jeder kreative Beitrag selbst für den Autor unbegründet bleibt. Daher war auch Biographismus (das Analysieren des Textes hinsichtlich des Lebens des Autors) lange Zeit in der Germanistik verpönt. Dein Germanistik(freund/feind) wollte vielleicht darauf hinaus. Dann hat er deine Umfrage missachtet, weil er vielleicht, wie so einige Autoren der Moderne (Anfang 20.Jhd.) ein elitäres Verständnis von Kunst oder Autorschaft hat. Denn wenn die Kunst zur absoluten und entkörperlichten Sphäre wird, ist sie natürlich nur den ›Priestern‹ vorbehalten.

    Und noch zu dir Cory, die du das hier angestoßen hast, eigentlich als Antwort auf meinen (ich gestehe es: eigentlich überflüssigen) Exkurs: Ja! Die Wissenschaft zerstört das Gefühl. Es ist auch was dich stört: Du fühlst etwas und jemand kommt und reduziert es auf leere Begriffe. Das ist Postmoderne in Reinform… Das ist auch der Grund, warum Germanistik meine Hassliebe ist.

    Man kann sich allerdings durchaus durch Analyseübungen von Literatur (ich sitz gerade dran und untersuche Thema-Rhema in einem Kafka-Text) sich selbst ein feineres Verständnis einhandeln von den Bedeutungsnuancen, die ein Satz haben kann. Das ist wie ein Musikinstrument üben: Das Üben selbst ist auch wenig Gefühl, aber viel Technik. Das Tolle ist: Die ganzen feinen Triller, die man stundenlang in den Stinkefinger einarbeiten musste, die ganzen feinen Bedeutungsnuancen also, für die man nach so einer Analyse zumindest sensibilisierter ist, wirken dann doch wieder direkt auf das Gefühl!

    Ich glaube Teils-Teils an Autonomie des Textes, also Unabhängigkeit vom Autor. Wenn er in einer gewissen Kreativität schreibt, dann verbinden seine Metaphern Welten und stellen neue Wahrheiten auf, die er nicht einmal selbst begriffen haben muss. Viele Dinge laufen dann auch unterbewusst, sicherlich. Beim Autor wie beim Leser.

    Gewisse Schreibziele gibt es dann schon. Bei einem Abenteuerroman sind es wohl eher die großen Handlungslinien, die die Metaphern bilden; bei einer Kurzgeschichte können das auch wenige Worte sein, die, unbewusst zusammengestellt, irgendwas ins Klingen bringen; schließlich beim Gedicht alles.

    Danke für die Diskussion, ist toll wie viel Standpunkt hier über unsere Lieblingsbeschäftigung zusammenkommt. Mich als Forenneuling beglückt das ;*

    Sorry, dass ich jetzt mal absolut germanistischen Mist loswerden muss!

    Aber beim Lesen eines Textes über sogenanntes "Thema" und "Rhema", fiel mir auf, ich hätte den Eindruck, besonders viele erste Sätze (zumindest von mir) begännen mit Es.

    Die Begriffe: Thema ist eine bekannte und Rhema eine neue Information. Wenn wir zwei Sätze haben wie:

    "Papa ist ein toller Ingenieur. Er weiß alles."

    Dann ist im ersten Satz "Papa" (der optimalerweise schon vorher erwähnt wurde) Thema und "Ingenieur" Rhema, weil dem Thema nun eine neue Information (Ingenieur) zugewiesen wird. Im zweiten Satz allerdings ist "Er" Thema (könnten wir auch mit "Papa" ersetzen, denn in diesem Satz kennen wir ihn ja schon aus dem ersten) und dass er alles weiß, ist Rhema.

    Charakteristisch fürs Deutsche ist erstmal, dass das Rhema (das Neue) immer eher am Ende des Satzes steht.

    Deswegen gefiel mir auch dein erster Satz unter diesem Blick so gut, @Drachenlady2001:

    Zitat

    Wieder einmal, wie schon so oft in den vergangenden Tagen, saß Anika auf dem Balkon und ihre Gedanken reisten wie von selbst in die Vergangenheit.

    Weil das "Wieder einmal" als Einstieg eigentlich relativ bedeutungsentleert ist, und ja irgendwie auch einer allgemeinen Lesehaltung entspricht, mit der man "wieder einmal" deinen Text und den ersten Satz liest (wie vielleicht auch in den vergangenen Tagen). Und erst mit Fortschritt, gegen Ende des Satzes, erreichen wir die rhematischeren Positionen: Anika, und schließlich der Rhema-Gipfel: Die Vergangenheit. Mit der es ab dem nächsten Satz wohl als neues Thema weitergeht.

    Damit gehst du irgendwie vom Leser selbst gleichsam behutsam wie auch mit der für die Spannung nötigen Rasanz in die Geschichte hinein und das ist, was mir gefällt ^^

    Nun dachte ich mir, dass das ja eigentlich klassisch ist: "Es war einmal" – Das heißt, man geht vom Anfang, vom Nichts (Es ist ja sinnleer) als Thema aus und sagt dann als Rhema, dass überhaupt etwas war.

    Leider musste ich beim Lesen aller ersten Sätze hier feststellen, dass keineswegs "Es" auffällig oft als erster Satz vorkommt, zumindest nicht so oft, dass man eine besondere Häufung von Wendungen wie "Es war Nacht" oder "Es regnete" feststellen könnte. (Aber deswegen wie toll! diese Sammlung!)

    Vielleicht hilft dieser theoretische Einschub ja, den ersten Sätzen ein wenig tiefer nachzuspüren. Denn üblicherweise ergibt sich gerade am Textanfang das Problem, das noch kein syntaktisches "Thema" aus dem Vorsatz bekannt ist (wie obig im zweiten Beispielsatz "Er") und man einfach irgendwas Neues als Thema setzen muss.

    Das ist dann, was man wohl oft auch gerne als 'direkten Einstieg‘ liest; man bekommt ein Thema vor den Latz geknallt, wird ins "kalte" (also unerwähnte) "Wasser geworfen", was ja auch Spannung erzeugen kann. Ich fühle mich allerdings von Sätzen wie denen Drachenladys angesprochener!

    Liebe Grüße :)

    Was für ein toller Thread! Lasst uns doch bitte erste Sätze sammeln :D

    Ich glaube, ich bin tatsächlich jemand, dem Geschichten (oder Threads) am liebsten sind, die voller erster Sätze sind. Auf Szenerien hab ich gar nicht so viel Bock – und mir für eigene Geschichten Handlungen ausdenken zu müssen ist das mühsamste. Die ersten Sätze sind ein Bild und alles danach ist Eintauchen. Hier die ersten Sätze durchgehen zu dürfen ist ein Gefühlskonzert.

    Um also das Museum ein wenig weiterzuführen, hier ein wenig Bücherregal:

    "Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später…"

    Jede gute Geschichte beginnt mit Regen. Das hier ist aus Tintenherz. Tintenherz ist so ein Buch, das versucht, voller erster Sätze zu sein, und sich in all dem Pathos verrennt. Ich habe es meist nur bis zur Hälfte geschafft.

    "Was ist das. – Was – ist das…"

    "Je, den Düwel ook, c'est la question, ma très chère demoiselle!"

    Das sind die Buddenbrooks :D Musste gerade lachen, als ich das aufgeschlagen habe. Ich kenne keinen, bei dem Sätze egaler zu sein scheinen als Thomas Mann. Ist auch mühsam.

    "In dieser Nacht noch sollten die Trolle kommen, so hieß es."

    Find ich sehr gut. Habe mich mit einer Kommilitonin darüber gestritten, ob das literarische Qualität ist. – Ach und warum nicht? "Na – Trolle! Welcher vernünftige, also ernsthafte Autor schreibt denn über Trolle!" :P

    (Hennen, Elfenlicht)

    Funfact: Den ersten Satz der Unendlichen Geschichte kann ich hier kaum wiedergeben, denn er steht über dem Kapitel in Spiegelschrift als

    Dann folgt: "Diese Inschrift stand auf der Glastür eines kleinen Ladens, aber so sah sie natürlich nur aus, wenn man vom Inneren des dämmerigen Raumes durch die Scheibe auf die Straße hinausblickte. Draußen war ein grauer kalter Novembermorgen und es regnete in Strömen. Die Tropfen…"

    Ha! Regen! Proven my point.

    Ich muss zugeben, bei dieser Recherche fällt mir doch auf, dass denn alles mit dem zweiten Satz steht und fällt ;)

    Und: Erste Sätze machen mich glücklich. So voller Möglichkeit. Sobald die Verstrickungen der Handlungen dazukommen, geschieht wieder alles aufs Ende hin. Hier geschieht es auf den Anfang hin.

    Gute Nacht!