Beiträge von Asni im Thema „Der erste Satz“

    Kritisch wird es immer bei Fragen wie "was will uns der Autor damit sagen?", wie sie in der Schule häufig gestellt werden.

    Ich kenne die Frage auch noch sehr gut aus der Schule. Sehr häufig wurde sie falsch formuliert oder falsch verstanden. "Was sagt uns der Text heute noch?", "Was bedeutet der Text, was wird dadurch ausgesagt?" sind nicht so weit davon weg (also sprachlich; strenggenommen inhaltlich schon eher). Gerade im alltäglichen Gespräch setzt man doch häufig Text und Autor gleich, einfach, weil alle am Gespräch beteiligten das schon richtig verstehen, etwa "bei Tolkien ist es so..." oder "in der Herr der Ringe schreibt Tolkien...".

    Wichtig finde ich solche Interpretationen eher aus dem Grund, dass man sich Zeit nimmt, mal tiefer über (geeignete) Texte nachzudenken und vielleicht auch das Genießen von Sprache zu erlernen (oder zumindest die Möglichkeit dazu zu eröffnen).

    Im besten, häufigsten Fall ist der Autor längst tot und denkt gar nichts mehr, und man kann den Satz "Die Gardinen waren blau" bis in "Einsamkeit, Selbstisolation, Abschottung" und sonst-was interpretieren - der Autor dachte möglicherweise einfach nur: "Die Gardinen waren blau".

    Prinzipiell stimme ich dir da zu. Allerdings gibt es schon auch Symboliken, die z.B. in einer Epoche so häufig von verschiedenen Autoren verwendet wurden, dass es eben naheliegender ist, dass die blauen Gardinen für Einsamkeit stehen, als das sie andeuten, dass alle Leute zu der Zeit blaue Gardinen hatten. Das kann man natürlich meist erst dann überblicken, wenn man aus der entsprechenden Epoche eine größere Menge an Werken gelesen hat oder es in irgendeinem Brief etc. der Autoren mal angesprochen wird.

    Eine weiße Taube kann natürlich einfach eine weiße Taube sein, aber wenn sie bei der Erstbegegnung mit Marsianern freigelassen wird, nachdem sich herausgestellt hat, dass die Aliens friedliebend sind, dann wird dadurch schon an eine sehr alte Tradition angeknüpft, dass die weiße Taube im christlichen Kontext / Kultur für Frieden, vielleicht auch für den heiligen Geist und so was steht. Umso lustiger ist es, wenn besagte Marsianer das als Auslöser hernehmen und der Menschheit den Krieg erklären :D

    Hey, Cory Thain

    Ich bin immer wieder fasziniert, wie sehr "der Deutsche" (tm) Dinge verkopfen kann. Ist das in anderen Sprach-Gebieten auch so?

    Ja, zumindest in der Anglistik gibt's die Analysen von Thema und Rhema in Texten auch. Manchmal ist es halt schon spannend, wie z.B. ein politischer Text (eine Rede) aufgebaut ist, wenn er eine bestimmte Wirkung erzeugen soll. Da wird man automatisch an Bekanntem anknüpfen und auf geteilte Überzeugungen zurückgreifen, bevor man z.B. die Abschaltung aller Atomkraftwerke verkündet (oder deren Wieder-ans-Netz-Gehen).

    Dazu fällt mir eine Hausarbeit ein, die ich in einer ähnlichen Richtung mal geschrieben habe. Es ging um Argumentationsmuster und rhetorische Mittel in politischen Texten und Geschichten der Auseinandersetzung von progressiven und konservativen Schriftstellern und Politikern in England mit der französischen Revolution. Ja, das Thema hat höchste Bedeutung für alle Menschen :rofl: , aber es war tatsächlich spannend und hat mir gezeigt, wie völlig gegensätzlich sich z.B. Metaphern einsetzen lassen.

    Werden Texte besser, wenn man sie durch die Germanistik-Mühle treibt?

    Bestimmt nicht automatisch, aber letztlich sind die Analyse- und Beschreibungswerkzeuge ja auch vor allem Hilfsmittel, die ich einsetzen kann (aber nicht muss). Vielleicht kann man das mit einer Brille vergleichen, die man aufsetzt, um etwas anderes im Text bewusster wahrzunehmen. Natürlich braucht das nicht jeder. Oder um mal in der Metapher zu bleiben:

    Viele Menschen haben zwei gesunde Augen und sehen damit ganz hervorragend. Andere brauchen eine Brille oder Kontaktlinsen. Manche schleppen riesige Ferngläser mit auf ihre Wanderungen, damit sie Wildtiere beim Futtern detailliert beobachten können. Andere schauen Zellen unter einem Mikroskop an. Jeder hat dabei natürlich andere Interessen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Ziele, etc. und dementsprechend nutzen sie die Hilfsmittel, die ihnen am geeignetsten erscheinen.

    Mir ist egal, ob da ein Thema, ein Tremor oder ein Plusquamperfekt im ersten Satz steht. Es muss für mich(!) zu meiner Geschichte passen, zu meinem Stil und grammatikalisch und ortodingslich einigermaßen korrekt sein...

    Eine Lektorin oder der Autor einer ganzen Serie von Büchern (die also beide sehr viel mit ersten Sätzen zu tun haben) könnten sich irgendwann fragen: Wie können wir erste Sätze so gestalten, dass sie funktionieren? Was macht gute erste Sätze eigentlich aus? Meiner Meinung nach ist das eine Frage mit mindestens zwei Aspekten: zum einen natürlich ein sprachlicher Aspekt, zum anderen aber auch ein psychologischer: Was wird eigentlich als "guter erster Satz" bewertet. Auf der Ebene, auf der wir das hier im Forum betreiben, geht es uns vor allem darum, uns auszutauschen, verschiedene Beispiele zu sehen und uns eine Meinung über und ein Gefühl für erste Sätze zu bilden. Einer Wissenschaftlerin ist das vielleicht nicht genug (und passt auch nicht so ganz zu den Anforderungen, die ihr Berufsfeld stellt). Sie möchte objektiv beschreiben können, was gute erste Sätze ausmacht. Zugegeben, die Frage scheint mir wissenschaftlich etwas zu eng und zu irrelevant, aber man weiß ja nie ^^ Und wie es in jedem Beruf üblich ist, hat man die jeweilige Fachsprache zu lernen, weil das eben auch Teil des Berufs ist. In den meisten Wissenschaften kommt noch dazu, dass man alles möglichst genau und unmissverständlich (im Sinne von nicht zweideutig) formuliert, was sehr schnell eben "verkopft" wirkt.

    Also auch hier gilt, dass verschiedene Leute eben verschiedene Bedürfnisse haben. Dass es da zu Reibungen zwischen verschiedenen Meinungen kommt, ist dann ja auch irgendwie klar. So sind wir halt, wir Menschen ^^

    Ja, jetzt weiß ich auch nicht, warum ich so viel geschrieben habe... xD Bin halt auch etwas verkopft ^^

    Geübte Leser und erst recht Lektoren können, wie Werluchs andeutet, aus den ersten Sätzen einer Geschichte schon ganz gut darauf schließen, um was für ein Buch es sich handelt.

    Das stimmt aber auch nur, wenn der Autor die ersten Sätze so geschrieben hat, dass das möglich ist. Andersherum könnte der Autor die Erwartungen solcher Leser, die durch die ersten Sätze geweckt werden, gezielt brechen, d.h. die Leser in die Irre führen.
    Und das ist eigentlich ein spannender Punkt: Wenn man sich "darauf einigt", dass der erste Satz / die ersten Sätze, in stark verkürzter Form darstellen sollen, was insgesamt passiert, dann spielt für den Autor vor allem die richtige Formulierung eine wichtige Rolle. Das geht dann insgesamt etwas mehr in eine künstlerische Richtung, bzw. eine Richtung, die ein paar klare Anforderungen stellt. Dazu fällt mir die Kurzgeschichte "The Fall of the House of Usher" von Edgar Allen Poe ein. Da ist das nämlich genau so, wenn ich mich an mein erstes Semester Anglistik-Studium richtig erinnere. :hmm:
    *Einschub: Ich hab mir gerade mal den Beginn des Textes auf englisch und deutsch angeguckt... Wer kann, unbedingt das Original lesen! Darin kommt die Stimmung viel, viel besser zur Geltung.

    Wichtig ist, dass der Autor natürlich dieser "Schreibtheorie" folgen muss, sonst hilft das auch einem Leser, der genau das im ersten Satz erwartet nix.

    Der erste Satz ist für mich schon etwas besonderes, denn er nimmt den ersten Kontakt mit dem Leser auf. Er kann ihm leise zuflüstern oder anschreien. Ihn bei der Hand nehmen oder mit sich zerren…

    Das ist natürlich ohne Zweifel richtig. ^^
    Spontan fällt mir hier ein: You never get a second chance for the first impression.

    In der Tat ein interessantes Thema. Für Romane seh ich es ähnlich wie @Kyelia und @Skadi, da hat der ersten Satz nicht unbedingt die große Bedeutung. Das liegt einfach daran, dass ich einem Roman mehr Zeit zugestehe, in der er sich für mich als Leser als interessant oder lesenswert erweisen darf.
    Bei einer Kurzgeschichte sehe das aber etwas anders. Ohne das ich das im Moment genau begründen oder ausführen kann, würde ich sagen, dass hier der erste Satz eine größere Rolle spielen kann bzw. mehr leisten muss.

    Dennoch kann ein erster Satz sowohl in einer Kurzgeschichte als auch in einem Roman sehr allgemein den Rahmen abstecken und etwas sehr banales beschreiben: "Es war ein kalter Wintertag." Ob der Satz interessant ist hängt ja auch davon ab, was danach kommt. Daher würde ich einen solchen Satz weder als von sich aus interessanter noch als weniger interessant als etwa "In einer Höhle im Boden da lebte ein Hobbit" ansehen (Wenn ich mich richtig erinnere, dann fängt so in der Art der kleine Hobbit an; das ist damit auch das einzige Buch, bei dem ich grob auswendig weiß, wie der erste Satz lautet.). Argumentationen wie "das Wörtchen Hobbit macht neugierig darauf, was ein Hobbit ist" überzeugen mich persönlich wenig. Es kann nämlich auch sehr gut sein, dass mich nicht die Bohne interessiert, was das sein soll, vor allem, weil es sich bei einem Höhlenbewohner offensichtlich nur um ein wenig kultiviertes Lebenwesen handeln kann (Vielleicht fährt Tolkien deswegen fort und beschreibt, dass es sich bei der Höhle nicht um eine Höhle handelt, wie wir sie uns vielleicht vorstellen... und damit macht er das Ganze dann doch irgendwie spannend / interessant / lesens- und vielleicht sogar liebenswert).
    Letztlich liegt es wie @Cory Thain schon sagte an jedem Leser selbst, ob nach dem ersten auch der zweite, der dritte, etc. Satz gelesen wird. Was für den einen funktioniert, schreckt den anderen eher ab. Ist halt so.